Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Der neueste Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung
Armut in Deutschland – nachgezählt, problematisiert und für gut befunden.
Armut gehört in dieser Gesellschaft dazu, nicht nur
ausnahmsweise und nicht nur als Krisenphänomen. Das wird
nicht geleugnet. Die Medien berichten vom Überlebenskampf
aller möglichen Elendsgestalten: Man erfährt von
Obdachlosen, die zu erfrieren drohen, von Leuten, die auf
Essensspenden von Tafeln angewiesen sind, um zu
überleben, von Armen, die sich eine medizinisch
notwendige Therapie nicht leisten können, und von den
Schwierigkeiten, die ganz normale Leute mit dem Bezahlen
ihrer Mieten und Lebensmittel haben. Auch der Regierung
ist die Armut ihres Volkes bestens vertraut, und nicht
nur das: Sie geht ganz selbstverständlich von ihrem
Fortbestand aus und beobachtet Art und Umfang ihrer
Entwicklung
. Dazu gibt sie über die materielle
Situation der Bevölkerung statistische Erhebungen in
Auftrag und lässt das Ergebnis alle vier Jahre
veröffentlichen, auf dass sich in der Demokratie, in der
nichts verschwiegen wird, jedermann ein von offizieller
Seite beglaubigtes Bild von der sozialen Lage im Land
machen kann. Im September 2012 ist es wieder so weit: Das
zuständige Bundesministerium für Arbeit und Soziales legt
seinen Entwurf für den 4. Armuts- und Reichtumsbericht
der Bundesregierung
den anderen Ministerien zur
Ressortabstimmung vor – und weiß erstaunlich Positives
über die Lebenslagen
in Deutschland zu berichten.
Aus der Zeitschrift
Teilen
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Gliederung
Der neueste Armuts- und
Reichtumsbericht der Bundesregierung
Armut in
Deutschland – nachgezählt, problematisiert und für gut
befunden.
Armut gehört in dieser Gesellschaft dazu, nicht nur
ausnahmsweise und nicht nur als Krisenphänomen. Das wird
nicht geleugnet. Die Medien berichten vom Überlebenskampf
aller möglichen Elendsgestalten: Man erfährt von
Obdachlosen, die zu erfrieren drohen, von Leuten, die auf
Essensspenden von Tafeln angewiesen sind, um zu
überleben, von Armen, die sich eine medizinisch
notwendige Therapie nicht leisten können, und von den
Schwierigkeiten, die ganz normale Leute mit dem Bezahlen
ihrer Mieten und Lebensmittel haben. Auch der Regierung
ist die Armut ihres Volkes bestens vertraut, und nicht
nur das: Sie geht ganz selbstverständlich von ihrem
Fortbestand aus und beobachtet Art und Umfang ihrer
Entwicklung
. Dazu gibt sie über die materielle
Situation der Bevölkerung statistische Erhebungen in
Auftrag und lässt das Ergebnis alle vier Jahre
veröffentlichen, auf dass sich in der Demokratie, in der
nichts verschwiegen wird, jedermann ein von offizieller
Seite beglaubigtes Bild von der sozialen Lage im Land
machen kann. Im September 2012 ist es wieder so weit: Das
zuständige Bundesministerium für Arbeit und Soziales legt
seinen Entwurf für den 4. Armuts- und Reichtumsbericht
der Bundesregierung
den anderen Ministerien zur
Ressortabstimmung vor – und weiß erstaunlich Positives
über die Lebenslagen
in Deutschland zu berichten.
Nützliche Armut ist gar keine Armut ...
Folgendes haben die dienstbaren Experten über die
abhängig Beschäftigten
herausgefunden:
„Alles in allem belegen die Daten eine positive Entwicklung der Lebenslagen in Deutschland: Die Entwicklung des Arbeitsmarktes ist in den vergangenen Jahren besonders gut verlaufen. Als Ergebnis insbesondere der Arbeitsmarktreformen werden heute in Deutschland auch bei bescheidenem Wirtschaftswachstum Arbeitsplätze geschaffen. Die Arbeitslosigkeit insgesamt ist auf den niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung gesunken, die Arbeitslosenquote Jugendlicher hat sich halbiert und auch die Zahl der Langzeitarbeitslosen konnte deutlich reduziert werden. Die Zahl der Kinder und Erwerbsfähigen in Bedarfsgemeinschaften sind rückläufig. Gerade vor dem Hintergrund der Finanz- und Wirtschaftskrise ist dies eine beachtlich positive Entwicklung.“ (Armutsbericht, Entwurf vom 17.9.12)
Zufrieden ist man also mit der positiven Entwicklung
der Lebenslagen
, die wesentlich mit der
Entwicklung des Arbeitsmarktes
zusammenhängen. Die
Lage nicht gerade weniger Leute hängt ja tatsächlich
davon ab, dass sie für an-dere arbeiten. Obwohl
mittellos, gelten sie nicht als arm, jedenfalls nicht, so
lange sie einen Arbeitsplatz haben. Ob sie einen haben,
liegt allerdings nicht an ihnen: Maßgeblich dafür ist die
Gewinnrechnung derer, die ihre Arbeitskraft gegen Entgelt
nutzen, und da für die Lohn eine möglichst knapp zu
kalkulierende Kost ist, wird so mancher Arbeitsplatz
eingespart. Das ist ein Risiko, das bei dieser Lebenslage
immer dazugehört, das aber auch dann noch lange kein Fall
von Armut ist, wenn es einen trifft: Die, die keine
Arbeit mehr haben, erhalten schließlich Stütze vom Staat.
Sie haben es dann schon wieder mit einer neuen Lebenslage
zu tun: Sie fallen den Kassen des Staates zur Last, und
weil die nicht dazu da sind, Leuten sinnlos den
Lebensunterhalt zu finanzieren, sorgt die Obrigkeit schon
immer – und mit den Arbeitsmarktreformen
der
letzten Jahre um so dringender – dafür, diese Kundschaft
möglichst schnell wieder einer nützlichen Verwendung
zuzuführen. Diese Fürsorge, zusammen mit der
konsequenten Anwendung der in den Arbeitsmarktreformen
vorgesehenen Sanktionsmaßnahmen
, hat dafür gesorgt,
dass diesbezüglich die Entwicklung
besonders
gut verlaufen ist
, und zwar für den Staat wie für die
Betroffenen: Für den Staat, weil er sich Kosten spart,
die nicht produktiv sind, und für die Arbeitslosen, weil
die dann ja wieder einen Arbeitsplatz
haben, der
garantiert, dass sie auch dann kein Fall von Armut sind,
wenn sie mit Arbeit so viel oder kaum mehr Einkommen
haben als ohne sie. Wer sich gegen Entgelt nützlich
macht, ist ja ohne Rücksicht auf dessen Höhe
definitionsgemäß nicht arm.
Besonders positiv
ist daher die Entwicklung von
Lebenslagen
bei Jugendlichen und
Langzeitarbeitslosen. Die sinkende Zahl letzterer spart
dem Sozialstaat dauerhafte Unterstützungszahlungen,
während die Abnahme der Jugendarbeitslosigkeit ein
ökonomischer und sittlicher Wert an sich ist: Je früher
einer sich daran gewöhnt, mindestens ein Drittel seiner
Lebenszeit an irgendeinem Arbeitsplatz zu verbringen,
desto besser. Ob und wie der seinen Inhaber ernährt, ist
eine offene Frage. Schön ist jedenfalls, dass so die
Chancen der Jugendlichen steigen, in keiner öffentlichen
Armutsstatistik zu erscheinen.
All diese Erfolgsmeldungen aus der Welt der abhängig
Beschäftigten
sind umso erfreulicher, weil auf dem
Hintergrund einer Finanz- und Wirtschaftskrise
viel
Schlimmeres zu erwarten war. Jeder weiß doch, dass der
Kapitalismus noch ganz anders kann und eigentlich
noch viel mehr Arbeitslose fällig gewesen wären, weil ja
irgendwer die Krise ausbaden muss. Das gehört schließlich
erfahrungsgemäß zu den Spezialitäten proletarischer
Lebenslagen. Was für ein Glück also, dass es doch nicht
ganz so kam, und die Finanz- und Wirtschaftskrise
mit ihrem bedrohlichen Hintergrund
viel schonender
mit den abhängig Beschäftigten
umgesprungen ist,
als man gedacht hätte. Die Arbeitsministerin von der
Leyen ist damit und mit ihrer Organisation der
Armutsrisiken
sehr zufrieden. Armut im Kreis der
Arbeitsplatzbesitzer kann sie jedenfalls ganz klar
dementieren.
... freilich nicht selten mit Armutsrisiken verbunden
Allerdings sind Ausnahmen von der Regel, dass sich mit
Arbeit gut leben lässt, nicht selten, dem Armutsbericht
fehlt es da nicht an Problembewusstsein. Es gibt jede
Menge Problemgruppen
, bei denen das Zurechtkommen
mit ihrer Lebenslage in Frage steht. Den
Alleinerziehenden mit und ohne Job, den teilzeit- und
vollzeitberufstätigen Frauen, denen, die Familie und
Beruf zu vereinbaren, Kinder zu betreuen oder Alte zu
versorgen haben, den zu jung heiratenden und den frisch
Geschiedenen – all denen und dazu noch den ganz Alten und
nicht wenigen ganz Jungen attestiert der Bericht ein
hohes Armutsrisiko
und liefert eine interessante
Differenzierung: Armut fängt dort an, wo das
Sich-Einrichten in und das Durchwursteln durch lauter
Entbehrungen nicht mehr klappt, und für den
Eintritt dieses Risikos
braucht es nicht eben
viel: Der Bericht führt vor, dass im Grunde alle, die vom
Lohn leben, Kandidaten für soziale Hilfsleistungen sind,
sobald in ihrem Lebensplan auch nur das Geringste schief
läuft. Ein bisschen kapitalistisches Pech reicht da schon
für den Übergang mancher Arbeiterfamilie zur
Bedarfsgemeinschaft
. Aber Armut als Möglichkeit
heißt eben noch lange nicht, dass einer wirklich arm ist,
selbst wenn er es ist:
„Niedriglöhne können mit einem materiellen Armutsrisiko verbunden sein. Diese Verknüpfung ist aber nicht zwingend. Es kommt immer auch auf den Umfang der Beschäftigung sowie den Haushaltszusammenhang an. Auch ein niedriger Lohn kann zu einem ausreichendem Haushaltseinkommen beitragen und eine Niedriglohnbeschäftigung kann der Einstieg oder Wiedereinstieg in eine besser bezahlte Beschäftigung sein. Stundenlöhne aber, die bei Vollzeit zur Sicherung des Lebensunterhalts eines Alleinstehenden nicht ausreichen, sowie eine einseitige und polarisierende Lohnentwicklung generieren, verschärfen Armutsrisiken und schwächen den sozialen Zusammenhalt.“ (Armutsbericht, Entwurf vom 17.9.12)
Beim Niedriglohn, von dem man eingestandenermaßen nicht
überleben kann, kommt es ja ganz darauf an, mit wie
vielen Stunden abgelieferter Arbeitsleistung er
multipliziert wird. Das muss ja auch gar nicht nur an ein
und demselben Ar-beitsplatz geschehen, wie es ja auch
sein kann, dass sich mehrere solcher Empfänger von
Niedriglohn zusammentun und so zu einem ausreichenden
Haushaltseinkommen beitragen
. Überhaupt kann es ja
auch sein, dass einer demnächst wieder einen besser
bezahlten Job findet, so dass es auch bei niedrigsten
Löhnen ganz darauf ankommt, was einer aus ihnen zu machen
versteht und ob aus ihm ein Fall von Armut wird oder
nicht. Erst dann, wenn der Monatslohn auch bei einer
40-Stunden-Woche seinen Empfänger nicht ernährt, kann –
nein, nicht von Armut, sondern allenfalls – davon die
Rede sein, dass sich gewisse Risiken
, arm zu
werden, verschärfen
. Insbesondere droht dann, wenn
solches im Standort Deutschland zur Regel wird, der
soziale Zusammenhalt
geschwächt zu werden – und
da entdeckt die Ministerin Handlungsbedarf:
Dieses „Risiko“, das aus der wachsenden Armut im
Lande erwachsen könnte, nimmt sie als Indiz und
gleichermaßen an sie adressierten Auftrag, für ein
besseres politisches Management der nützlichen Armut zu
sorgen. Dafür hat sie nicht nur prima Rezepte, sondern
auch eine Idee, wie sich die leidige Frage nach deren
‚Finanzierbarkeit‘ lösen ließe.
Eine besseres Management der Armut ist machbar
Womöglich hat die personifizierte soziale Kompetenz der
Union den Vorwurf der unsoliden Haushaltspolitik – in
Zeiten knapper Kassen
und so – einfach nur satt.
Jedenfalls sieht sie sich bemüßigt, ihre guten Ideen zur
nachhaltigen Elendsverwaltung und ihren Tatendrang mit
einem Vorschlag zu verbinden, wie sich all das
finanzieren ließe, was ihr da vorschwebt, und dessen
Genialität liegt darin, zwei Fliegen mit einer Klappe zu
schlagen: Sie kennt nicht nur eine Geldquelle, sondern
sie kann auch noch darauf verweisen, dass es nur gerecht
wäre, sie anzuzapfen. Denn recht betrachtet, haben die
Armen nicht so sehr ein Problem mit ihrer eigenen Armut,
sondern mit dem Reichtum der anderen:
„Die Privatvermögen in Deutschland sind sehr ungleich verteilt. (…) Während die Lohnentwicklung im oberen Bereich in Deutschland positiv steigend war, sind die unteren Löhne in den vergangenen zehn Jahren preisbereinigt gesunken. Die Einkommensspreizung hat damit zugenommen. (…) Eine solche Einkommensentwicklung verletzt das Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung und kann den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden.“ (Armutsbericht, Entwurf vom 17.9.12)
Die Armen werden immer ärmer, die Reichen immer reicher –
und noch bevor irgendwelche Betroffenen ihre
Unzufriedenheit darüber äußern, buchstabiert ihnen ihre
Arbeitsministerin vor, worauf die sich allenfalls
beziehen könnte: Nicht auf ihre eigene trostlose
Lebenslage, sondern auf ein Gerechtigkeitsproblem.
Schlecht an der Armut ist der relative Reichtum der
anderen, denn die Einkommensspreizung
hinterlässt
Spuren im Gemüt des kleinen Mannes. Oder wie Frau von der
Leyen es im Dezember formuliert: Armut ist relativ
Armut unter Armen ist eine Sache, mit der sich leben
lässt, aber wenn den Minderbemittelten Reiche
gegenüberstehen, dann tut Armut erst richtig weh. Da
sieht von der Leyen Handlungsbedarf, und der verträgt
sich aufs beste mit ihrem Geldbedarf. Denn wenn es um
soziale Gerechtigkeit geht, lässt sich Armut gut
bekämpfen, indem man den Besserverdienenden etwas mehr
wegnimmt als bisher. Davon profitieren dann die Armen
gleich doppelt: Die Reichen haben zwar immer noch viel
mehr als sie, aber ein bisschen weniger als gestern, und
der Staat hat mehr Geld, das er für die Organisation
erträglicher Armut verwenden kann. Jedenfalls ist Frau
von der Leyen auf die in ihren Reihen etwas extravagante
Idee verfallen, dass man doch einmal die zur Kasse bitten
könnte, die für die „leeren Kassen“ des Staates
maßgeblich verantwortlich sind:
„Die Armuts- und Reichtumsberichterstattung der Bundesregierung entwickelt auch die Analyse des Reichtums in der Gesellschaft weiter. Der steigende Wohlstand in Deutschland spiegelt sich in der gesamtwirtschaftlichen Vermögensentwicklung wider. Im Jahr 2010 belief sich das Volksvermögen auf knapp 12 Billionen Euro und war damit fünf Mal so hoch wie das Bruttoinlandsprodukt mit rund 2,48 Billionen Euro. Im Zuge der notwendigen Rettungsmaßnahmen anlässlich der Finanz- und Wirtschaftskrise ist eine Verschiebung privater Forderungen und Verbindlichkeiten in staatliche Bilanzen feststellbar. In der Folge ist der Schuldenstand der staatlichen Haushalte im Jahr 2010 auf rund 83 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gestiegen. Ohne die Krise hätte er bei rund 70 Prozent gelegen... Während das Nettovermögen des deutschen Staates zwischen Anfang 1992 und Anfang 2012 um über 800 Mrd. Euro zurückging, hat sich das Nettovermögen der privaten Haushalte (einschließlich privater Organisationen ohne Erwerbszweck) von knapp 4,6 auf rund 10 Billionen Euro mehr als verdoppelt.“ (Armutsbericht, Entwurf vom 17.9.12)
Sie hat die Reichen als Quelle der Finanzierung ausfindig gemacht und dafür ein ökonomisches Argument: Die sind nicht nur unermesslich viel reicher geworden, sondern verdanken einen Gutteil ihres gewachsenen Reichtums den staatlichen Geldern, die im Zuge der Finanzkrise in den Bankensektor geflossen sind. Ohne diese zusätzlichen Schulden des Staates wären sie so reich nicht, weshalb es doch nur billig und gerecht wäre, wenn sie jetzt ihrerseits einen Beitrag zur Finanzierung von Angelegenheiten öffentlichen Interesses leisten würden. Zumal sie ja sonst auch für jeden Scheiß jede Menge Geld übrig haben:
„Persönliches und finanzielles Engagement zeigen Vermögende bisher aber vorrangig in Sportvereinen (45,2 Prozent) und Berufsverbänden (25,1 Prozent), Heimat- und Bürgervereinen (22,6 Prozent) sowie privaten Klubs (21,6 Prozent). Stiftungen und soziale Initiativen dagegen werden nur von unter fünf Prozent der befragten Vermögenden genannt“.(Armutsbericht, Entwurf vom 17.9.12)
Die Reichen gehen stiften, aber nicht für die Armen. Der eine kauft sich einen Trainer, der nächste einen ganzen Fussballclub, für jeden Spleen haben sie Geld – ihr Sinn fürs Soziale aber ist ziemlich schwach ausgeprägt, und dem würde Frau von der Leyen gerne etwas auf die Sprünge helfen:
„Die Bundesregierung prüft, ob und wie über die Progression in der Einkommensteuer hinaus privater Reichtum für die nachhaltige Finanzierung öffentlicher Aufgaben herangezogen werden kann.“ (Armutsbericht, Entwurf vom 17.9.12)
Mit diesem sozialismusverdächtigen Einfall landet die
Superpowerfrau
einen echten Kracher.
Armut – ein Fall von sozialpolitischem Versagen und eine gute Gelegenheit für die Opposition
Ein paar Wochen nach der Veröffentlichung ihres Entwurfes
wird am Thema ‚Reichtum und Armut‘ in sämtlichen Medien
herumgezerrt. Dass die Existenz von bitterster Armut im
Lande – wenn auch nur als Risiko
– eingeräumt
wird, nehmen die Kritiker der Bundesregierung wie das
Eingeständnis unhaltbarer Zustände. Angesichts der
politisch gewollten Erfolge und zählbaren
Nebenwirkungen bei der Senkung des nationalen
Lohnniveaus, die sich alle dafür Verantwortlichen immer
wieder zugutehalten, drücken Attac, Gewerkschaften,
Sozialverbände und Politiker aus Oppositionsparteien des
linken Spektrums auf die Moraltube und demonstrieren für
einen fairen Umgang mit dem Fußvolk der Nation. Sie
nehmen Formulierungen wie die Privatvermögen in
Deutschland sind sehr ungleich verteilt
als
Eingeständnis eines politischen Versagens, das
Resultat der gelaufenen Politik der Verelendung, den
sorgfältig beobachteten und nachgezählten Anstieg der
Massenarmut im Lande bei gleichzeitigem Wachstum des
Reichtums weniger Privatiers als Offenbarungseid der
Bundesregierung
, als Unterlassung gerechter
Sozialpolitik, und klagen bei den für sie
Verantwortlichen eine Kehrtwende
ein: So bleibt
die doppelte Lüge intakt, Armut wäre kein Resultat der
Produktion des Reichtums, sondern eine Frage von
dessen gerechter Verteilung, und der Staat der berufene
Anwalt dafür, den Armen auch auf diesem Feld Gutes zu
tun.
Die Oppositionsparteien greifen den Entwurf von der Leyens begeistert als Steilvorlage für die eigenen Wahlkampfparolen zum Umgang mit der wachsenden Armut im Billiglohnstandort Deutschland auf: Reichensteuer verlangen sie, Anhebung des Höchststeuersatzes und Einführung von Mindestlöhnen! SPDlern, Grünen und Linken wird es ganz warm ums Herz, wenn das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ungefähr die gleichen Vorschläge für die künftige Bewirtschaftung der Massenarmut ventiliert wie sie selbst und ihre Genossen. Das halten sie für einen guten Grund, die SPD an die Macht zu wählen: Was beweist schöner die Berechtigung sozialdemokratischer Vorschläge als der Umstand, dass eine CDU-Ministerin sie auch hat!
Von wegen „Skandal“ – Armut ist eine Strukturverbesserung
Die Kanzlerin sieht das in etwa genauso, bloß umgekehrt, und ist überhaupt nicht amüsiert über eine CDU-Ministerin, die im Wahlkampfjahr Wasser auf die Mühlen der Opposition leitet. Aber vor allem vom FDP-geleiteten Wirtschaftsministerium wird Korrekturbedarf angemeldet.
„Anstoß nimmt Röslers Ministerium vor allem an jener Passage in von der Leyens Entwurf für den Armutsbericht, in der es heißt: ‚Die Bundesregierung prüft, ob und wie über die Progression in der Einkommensteuer hinaus privater Reichtum für die nachhaltige Finanzierung öffentlicher Aufgaben herangezogen werden kann.‘ Das Wirtschaftsministerium wertet dies als Plädoyer für die Einführung höherer Steuern für Besserverdiener.“ (Stern, 20.9.12)
Aus der Sicht des Wirtschaftsministers ist es völlig
verfehlt, die Leistungsträger der Wirtschaft vermehrt zur
Kasse zu bitten. Mit dieser Auffassung setzt er sich
gegen von der Leyen durch. Noch bevor der Entwurf des
Arbeits- und Sozialministeriums zur Ressortabstimmung
geht, wird verlautbart, dass er nicht die Meinung der
Bundesregierung
repräsentiert.Im November wird die in
diesem Sinne überarbeitete Fassung veröffentlicht, und
siehe da:
„Die Bundesregierung hat ihren Armuts- und Reichtumsbericht in einigen entscheidenden Passagen deutlich geglättet. (…) Die erste Fassung der amtlichen Analyse, die das Bundesarbeitsministerium alle vier Jahre erstellt, war Mitte September an die anderen Ressorts gegangen. Zwei Monate später fehlen nun bestimmte Sätze, mit denen die Beamten des Ministeriums von Ursula von der Leyen (CDU) einen durchaus kritischen Blick auf die Republik warfen. (SZ, 28.11.12)
Die Änderungen sorgen für einen Sturm im Wasserglas der sozialen Entrüstung. Das Streichen der Passagen, die die Wirkung von Einkommensdifferenzen und das Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung problematisieren, wird als Beschönigung der Armut gelesen:
„In der ersten Variante stand: ‚Während die Lohnentwicklung im oberen Bereich positiv steigend war, sind die unteren Löhne in den vergangenen zehn Jahren preisbereinigt gesunken. Die Einkommensspreizung hat zugenommen.‘ Diese verletze ‚das Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung‘ und könne ‚den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden‘. Stattdessen wird nun angeführt, dass sinkende Reallöhne ‚Ausdruck struktureller Verbesserungen‘ am Arbeitsmarkt seien. Denn zwischen 2007 und 2011 seien im unteren Lohnbereich viele neue Vollzeitjobs entstanden, und so hätten Erwerbslose eine Arbeit bekommen. Vorsichtiger beschreibt die Bundesregierung nun auch, dass manchen Alleinstehenden mit Vollzeitjob der Stundenlohn nicht für die Sicherung des Lebensunterhalts reicht. In der ersten Fassung wurde angemerkt, dies verschärfe die Armutsrisiken und schwäche den sozialen Zusammenhalt. (SZ, 28.11.)
Das Wirtschaftsministerium ebenso wenig wie das
Arbeitsministerium bestreitet, dass es massenweise
Vollzeitjobs mit Löhnen unterhalb der Armutsgrenze gibt.
Und auch darin, wie diese Tatsache zu bewerten ist, sind
sie sich weitgehend einig: Sinkende Reallöhne und
Stundenlöhne, die oft nicht zum Überleben reichen, sind
ein Fortschritt, denn wenn man vom Lohn abhängt,
sind Löhne unterhalb der Armutsgrenze erstens besser als
gar keine und zweitens vor allem dann, wenn mit ihnen ein
Vollzeitjob
drin ist, weil ja auch eine
Arbeit
besser als keine ist. Die Korrekturwünsche des
von der FDP geleiteten Wirtschaftsministeriums drängen
auf eine andere Sorte Richtigstellung. Wenn Niedriglöhne
ein Fortschritt sind, dann verbietet es sich, den auch
nur irgendwie zu problematisieren und kleinlich auf
irgendwelchen Schattenseiten des gesenkten Lohnniveaus
herumzureiten. Stattdessen gehört sich deutlich gesagt,
worauf es hierzulande ankommt:
„Die wachstumsorientierte Politik der Bundesregierung hat im Berichtszeitraum für steigenden Wohlstand und neue Arbeitsplätze in Deutschland gesorgt.“ (Armutsbericht, Entwurf vom 21.11.12)
Gearbeitet wird in Deutschland nicht für den
Lebensunterhalt von irgendwem, sondern dafür, dass
Wachstum geschaffen wird. Alles, was
dem dient, ist eine
Strukturverbesserung
, und allein das gilt
es in einem Bericht, in dem von Armut die Rede ist, zu
vermelden. Denn Löhne sind ganz ungeachtet ihrer Höhe
kein Problemfall, sondern der Wohlstand
, den einer
sich mit seinen nützlichen Beiträgen zum Wachstum
erwirtschaftet – soweit die amtliche Klarstellung des
Ministers für Wirtschaft zum Thema ‚Armut in
Deutschland‘: Wo es auf das Wachstum des Reichtums
ankommt, spielt sie einfach keine Rolle – und
sozialkritisch gestimmte Gemüter halten ausgerechnet das
für eine Beschönigung
!