Standort Deutschland
Abrüstung und Sparen, Umrüstung und Kosten, Verteidigung weltweit, in Jugoslawien, Somalia und anderswo…
Die Normalisierung des deutschen Militarismus
Allen anders lautenden Gerüchten zum Trotz ist Deutschland ein militärischer Riese. Die geforderte internationale Handlungsfähigkeit beweist die Gültigkeit der imperialistischen Wahrheit: Das Militär eines in jedem Erdenwinkel engagierten Kapitalismus ist für das Zuschlagen in aller Welt da und nicht zum Schutz von Heimat und Frieden gegen aggressiven Nachbarn. Dafür arbeitet Deutschland an einer neuen Militärdoktrin.
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Standort Deutschland
Abrüstung und Sparen, Umrüstung und
Kosten, Verteidigung weltweit, in Jugoslawien, Somalia
und anderswo…
Die Normalisierung des deutschen
Militarismus
1. Deutschland ist ein militärischer Riese, allen anderslautenden Gerüchten zum Trotz. Und das nicht erst, seit ihm Gorbatschow eine ganze Nationale Volksarmee als Erbe vermacht hat.
Richtig ist, daß es einmal ein staatliches Provisorium namens Bundesrepublik gab, das seinen schnellen Wiederaufstieg in die zivile Völkergemeinschaft einer für imperialistische Benutzung freien Welt unter die Parole stellte, daß von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgehen darf. Weil die Rechtsnachfolger der faschistischen Herrschaft nie wieder einen Krieg verlieren wollten, haben sie den Auftrag der amerikanischen Siegermacht, eine weltkriegstaugliche Front gegen das ‚Reich des Bösen‘ zu bilden, als einmalige Gelegenheit wahrgenommen, unter der schützenden Oberaufsicht der Nato die mächtigste Armee in Europa auf die Beine zu stellen. Eine halbe Million Gewehr bei Fuß, Millionen in Reserve zur jederzeitigen Mobilmachung, mit modernsten Waffen aller Gattungen ausgerüstet, jederzeit fähig und bereit zur Vorwärtsverteidigung, voll eingeordnet in die Nato-Triade, um Abschreckung – oder Überlegenheit – auf jeder Eskalationsstufe zu gewährleisten.
Was die deutschen Politiker jetzt, nach dem Ende der „unmittelbaren Existenzbedrohung“, guten Gewissens an Männern in Uniform abbauen, was sie sich an Gerätschaften sparen zu können glauben, ohne das stolze „Gewicht“ und die „Wettbewerbsfähigkeit“ des eigenen Gewaltpotentials im Verhältnis zu näheren und weiteren Nachbarn zu gefährden, unterstreicht nur die Macht, welche der deutsche Militarismus bereits war, als das Grundgesetz ihm die Offensive noch „verbot“.
Wenn der gesamtdeutsche Verteidigungsminister im selben Atemzug, da er ungeduldig militärische „Handlungsfreiheit“ beansprucht, zufrieden feststellt, daß „für die Hauptverteidigungskräfte in den nächsten Jahren keine grundlegende Modernisierung vorzusehen“ ist, dann bestätigt das nur, was jeder weiß: Dem wirtschaftlichen Riesen BRD waren die Milliarden guter D-Mark für sein Militär nie zu schade, beim Bedarf an Vernichtungswerkzeug war nur das Feinste gut genug.
Und an den Klagen verantwortungsbewußter Landes- und Gemeindeväter über die drohenden wirtschaftlichen Folgen der Reduktion von Wehrstandorten und Beschaffungsaufträgen wird immer wieder das Eine deutlich: Wieviel vom ökonomischen Treiben der Exportnation sich im Rahmen ihrer militärisch-industriellen Komplexe abspielt(e), sich also dem unmittelbaren Dienst an der Gewalt verdankt!
2. Die gegenwärtige nationale Debatte unter dem Motto „Wir müssen international handlungsfähig werden!“ beweist einzig und allein die Gültigkeit der imperialistischen Wahrheit: Das Militär eines in jedem Erdenwinkel engagierten Kapitalismus ist für das Zuschlagen in aller Welt da und nicht zum Schutz von Heimat und Frieden gegen aggressive Nachbarn. Ohne die Bereitschaft und Fähigkeit zu kriegerischen Auswärtsspielen, die fremden Staatsgewalten und Bürgerkriegsparteien den Willen zur Botmäßigkeit aufzwingen und Zuwiderhandlungen bestrafen, sehen sich die Sachwalter der nationalen Interessen zur Ohnmacht verdammt. Ohne Armee, die das von Deutschland beanspruchte Recht auf die Beaufsichtigung der Welt praktisch vollstreckt, würde der Konkurrenz das Feld überlassen – und damit auch die Benutzung der Welt ihren Gnaden übereignet. Die Freiheit der Nation wird auswärts verteidigt, oder sie wird zuschanden. Der erste Einsatz war deshalb überfällig, ein Einstieg ist gemacht. Wo ein politischer Wille ist, da ist auch ein Recht.
Dieser keine Parteigrenzen kennende Standpunkt deutscher Politiker fordert Gefolgschaft beim Bürger mit dem Argument, er vollziehe bloß „die Rückkehr zur Normalität“. Ein Einwand gegen diese ist damit nicht beabsichtigt, sondern verboten. Rückblickend stellt sich die Geschichte vom „vierzigjährigen Frieden“, den wir der Nato herzlich verdanken, als eine einzige anomale (Selbst)Beschränkung dar, deren Fortsetzung als unerträgliche Mischung aus parasitärer Abstinenz und gewissenloser Feigheit, die einer wahrhaft souveränen Nation nicht würdig ist.
Der militärische Aufbruchswille Deutschlands, der im Aufbau von universell brauchbaren Interventionstruppen manifest wird, lebt von der Gewißheit, daß der Krieg – endlich – wieder zu einem im Prinzip frei handhabbaren Mittel der Politik geworden ist. Die immer schon durch die Praxis der Aufrüstung und Stellvertreterkriege blamierte Lüge vom verlorengegangenen Sinn des Krieges im Atomzeitalter ist dem programmatischen Bekenntnis gewichen, daß gewaltsames Aufräumen unter Umständen das effektivste, weil einzig unwiderstehliche Instrument der Herstellung der gewünschten Ordnung ist, und militärisches Eingreifen jenseits der eigenen Grenzen deshalb das selbstverständliche Recht und die moralische Pflicht einer anständigen Ordnungsmacht.
Daß ein defensives Militär ein Widerspruch ist, den die imperialen Ansprüche einer kapitalistischen Nation nicht vertragen, verkünden derzeit nicht notorische Marxisten, sondern die demokratischen Volksvertreter persönlich und auf Anfrage das Bundesverfassungsgericht hochoffiziell und verbindlich. Natürlich muß die Hoheit über das eigene Territorium gewaltsam gesichert werden. Ein uneinnehmbarer Standort muß schon sein, wenn von ihm aus weiterhin Kapital und Kredit die Welt erobern sollen, ohne Rücksicht auf die dabei unausweichlichen Verluste. Aber erstens heißt der deutsche Standort längst Europa, und zweitens beginnt die eigentliche Freiheit staatlicher „Sicherheitspolitik“ dort, wo sie die Objekte und Mittel zu sichern imstande ist, derer die Nation zur Mehrung von Geld und Macht bedarf. Und wo, bitteschön, gibt es einen Landstrich, auf den deutsches Interesse sich nicht erstreckt?
Auch in Deutschland kehrt also Klarheit ein: Die Armee ist dazu da, die von ihrem politischen Oberkommando beanspruchte Kontrolle über den Gebrauch auswärtiger Macht zu garantieren, also auch praktisch zu vollstrecken. Wo die Regierung Diplomaten hinschickt und Geschäftsleute ein- und ausgehen, da müssen bei Bedarf auch Soldaten aufmarschieren. Dafür werden sie gedrillt, bewaffnet und in wüstentaugliche Kleider gesteckt. Wann und wohin die aufgestellten „mobilen Eingreifkorps“ auf welche „Krise“ durch kriegerische Intervention zu „reagieren“ haben, entscheidet das nationale Interesse, sprich die Regierung. Auch in der Frage der richtigen Etikette, ob sie den blauen, grünen oder normalen Helm aufsetzen dürfen, wird sie rechtzeitig ein Tagesbefehl erreichen.
Das Volk, das in der Demokratie natürlich nicht gefragt wird, darf sich an die neue Normalität durch die Praxis gewöhnen. Die Gefahr, daß der mündige Bürger seinerseits die Frage aufwerfen könnte, was Kohl, Kinkel oder deutsche Landser auf dem Balkan und in Kambodscha zu suchen und anzuordnen haben, wird nicht gesehen. Wer Schwierigkeiten mit den diplomatisch-moralischen Rechtfertigungstiteln hat – ob die Soldaten jetzt oder in Zukunft humanitär unterwegs sind, einen Frieden bewahren oder erst schaffen –, dem wird versichert, daß letztlich jeder Einsatz deutscher Soldaten immer alles drei zugleich ist, also von höchster menschlicher Güte. Und außerdem ist es eine Schande, ewig zu diskutieren, während anderswo die Leute ganz ohne deutsche Hilfe verrecken.
Die Emanzipation des vereinigten Deutschland zur Weltordnungsmacht ist das politische Programm. Die „neue Bundeswehr“ hat sich dafür durch erfolgreichen Einsatz bei der allfälligen „Lösung“ von Gewaltfragen zu bewähren. Gemessen an diesem Auftrag erscheint die „Verteidigungspolitik“ des seligen Frontstaats rückblickend als einziges Mißverhältnis, das ein für allemal zu korrigieren ist: Eine Riesenarmee ohne Einsatz, angeblich sogar ohne Einsatzauftrag – das kommt den Hauptgewinnern des Kalten Krieges wie eine (un)freiwillige Degradierung zum Papiertiger vor. Die Ideologie, mit der fast 40 Jahre lang das pazifistische Ziel einer geläuterten Wehrmacht gefeiert wurde, Ziel sei die Vermeidung des Krieges – man erinnere sich: „Wenn der erste Schuß fällt, hat die Abschreckung versagt“ –, wird da ex post für bare Münze genommen und als abnorm-gefährlicher Unsinn disqualifiziert. Auch wenn nicht wenige Generäle der Frontstaatarmee schon immer der Meinung waren, daß eine „Armee im Wartestand“ die Moral der Truppe versaut, die Wahrheit war das natürlich nicht. Denn solange der Kalte Krieg angesagt war, galt für die westdeutsche Wehr nur eine Alternative: Entweder ein Weltkrieg bis hin zum totalen Atomkrieg oder kein Krieg. Und sie bereitete ersteren vor, wollte ihn in und mit der Nato „führbar“, d.h. gewinnbar machen, da ihre Herren unmöglich das weltkriegsträchtige Anliegen aufgeben konnten, die Revision der Nachkriegsordnung zu betreiben. Sie hatten es sich schließlich in ihr Grundgesetz geschrieben. Nur die friedliche Kapitulation der UdSSR ersparte dem Frontstaat den Ernstfall, für den er aufrüstete und zu dem er bereit war.
Wenn die Führer des neuen Deutschland heute die ehemalige Rolle der Bundeswehr im westlichen Bündnis als Ausnahmeperiode unnatürlicher Zurückhaltung betrachten, dann nicht, um die Friedensideologie des Kalten Krieges noch einmal ins Recht zu setzen, sondern weil es ihnen darauf ankommt, sein Erbe zu überwinden: die beschränkte Handlungsfreiheit des deutschen Militärs. Das „Ende der Bedrohung“ fördert für sie vor allem Defizite im Gebrauch der Gewalt zutage. Was bis gestern ein Gütesiegel deutschen Imperialismus war, daß er die kriegerische Drecksarbeit gerne den Verbündeten überließ, gilt plötzlich als schwere Hypothek, die die Verwandlung der nationalen Erfolgsbilanz in internationale Aufsichtsrechte höchsten Kalibers gefährdet. Das „Ende des deutschen Sonderwegs“ ist deshalb beschlossene Sache: Es meint die Wiederherstellung der vollen Souveränität Deutschlands in den Fragen von Krieg und Frieden, die uns dank Adolf Hitlers Versagen solange gefehlt hat.
Mit der Umrüstung der Bundeswehr zu einer Interventionsstreitmacht stellt das vereinigte Deutschland klar, daß es die Konkurrenz um die gewaltsame Zurichtung der Staatenwelt aufnimmt. Der Umfang und die Ausrüstung des deutschen Militärstandorts wird ab sofort an den Fähigkeiten zum militanten Eingreifen bemessen. Überflüssige, weil auf den Krieg gegen den Warschauer Pakt berechnete Mittel werden abgebaut. Wir „sparen“. Alles Nötige für den „drängenden Bedarf“ an schlagkräftigen Eingreiftruppen wird bereitgestellt. Das rückt alle Sparpläne wieder ins Lot. Denn eines ist sicher: Die Ansprüche der Nation „erlauben keine zweitklassige Armee“ (Verteidigungsministerium), und was eine erstklassige „globale Verteidigung der vitalen Interessen Deutschlands“ braucht und kostet, „darf nicht von der Haushalts- und Konjunkturlage abhängig gemacht werden“ (Klose von der SPD).
3. Deutschland arbeitet an einer neuen Militärdoktrin. Deren doktrinärer Charakter besteht vor allem darin, sich nicht festzulegen, wo man hin will, weil man im Prinzip überall hin will. Richtig ist darum: Die Einsatzfelder der Bundeswehr liegen noch nicht fest. Fest dagegen steht: Wo geschossen wird, ist sie dabei. Wie? Als Nato-, als UNO-, als WEU-Mitglied leistet sie „Beiträge“ in supranationalen Bündnissen globaler Ordnungsstiftung. Jedoch: Nicht einfach, um dabei zu sein. Wo Deutschland dabei ist, will es die Sache auch bestimmen. Das freilich ist nicht so leicht – muß aber sein.
Das seit der Auflösung des Warschauer Pakts und dem Abgang der Sowjetunion immer drängender gewordene Bedürfnis Deutschlands, seine Soldaten raus aus den Kasernen, rein ins weltweite Getümmel zu schicken, hat in der Kapitulation des Ostens einen bestenfalls negativen Grund: Der alte Hauptfeind, auf den Waffenarsenal, Strategie und Sollstärken des BRD-Militärs ausgerichtet waren, ist verschwunden und mit ihm eine Schranke deutscher Souveränität. Die umgekehrte Lesart: Weil der Russe weg ist, kann die Bundeswehr nicht länger „abstinent“ bleiben und muß hinaus in die Welt, verwechselt zielstrebig Lage und Interesse und gibt somit nur den politischen Willen des vereinigten Deutschland zu Protokoll, den Sieg im Kalten Krieg als Chance zu nutzen, seine Rolle in der Konkurrenz der Mächte neu, also wuchtiger zu bestimmen.
Wie es diese Chance angeht, ist bemerkenswert. Die Bundeswehr kommt „im Bündnis“, genauer: in Bündnissen; in alten (Nato), in jahrzehntelang totgesagten und jetzt wiederbelebten (WEU), in brandneu aufgemachten Militärverbänden (deutsch-französisches, deutsch-amerikanisches Korps) sowie in einer Organisation, die bis vor kurzem als Auftraggeber von Kriegen gänzlich unbekannt war (UNO). Wobei der Plural durchaus Methode hat: Jeder Beitrag Deutschlands in und zu diesen unterschiedlichen Vereinen unterstreicht einerseits die bombenfeste Absicht dieser Nation, von der erfolgreichen „Frontstaat“-GmbH zur Weltmacht mit unbeschränkter Haftung aufzusteigen, und steht andererseits für unterschiedliche, teils sogar konkurrierende Wege und Optionen, den alten Status abzuschütteln.
– In der Nato – jenem Klub von Weltmächten, deren Allianz immer schon mehr war als eine bloße Beistandskoalition von Staaten gegen Staaten: Seit seiner Aufstellung beanspruchte das „atlantische Bündnis“ Aufsicht über die Staatenwelt. Dieser Gründungszweck, für den die Mitgliedsländer 40 Jahre interkontinentale Aufrüstung betrieben, ist auch nicht dadurch entfallen, daß der Feind, der den geballten Aufsichtswillen des Westens mittels eines „atomaren Gleichgewichts“ genauso lang parierte, sich nun verwinselt hat. Gewiß: Was entfallen ist, ist die Sistierung der Konkurrenz untereinander, auf die sich die Nato-Staaten wegen dieses von ihnen eröffneten und gewollten weltweiten Block-Gegensatzes verpflichtet hatten – überflüssig geworden ist das älteste und größte Verteidigungskollektiv der Welt nach Ansicht aller Beteiligten damit noch nicht.[1]
Auch und erst recht nicht für Deutschland. Dem Schutz der Nato verdankt es nicht nur seine sagenhafte nationale Karriere vom Weltkriegsverlierer zum Hauptnutznießer der Selbstaufgabe des gemeinsam angefeindeten Ostblocks; das Monopol in Sachen Weltaufsicht, das die Nato mit der Beseitigung der 2. „Supermacht“ errungen hat, macht die Mitgliedschaft in diesem Bündnis 1993 nicht weniger attraktiv. Aus diesem Grund ist Deutschland – ohne jede Ironie – überaus Nato-treu: An der Ausübung ihrer hinzugewonnenen Weltmacht will es teilhaben, zu ihrer Ausstattung will es beitragen.
Deutsche Politiker sind sogar so Nato-treu, daß sie den Wunsch anmelden, mehr für die Allianz zu tun. Die Methode, Gewicht und Einfluß in der Nato zu steigern, ist ihnen noch aus ihrer Zeit als Musterschüler der amerikanischen Bündnisräson vertraut: Je mehr Mittel ein Staat aufbringt, je größer sein Einsatz für das gemeinsame Weltkontrollwesen, umso größer sein Mitspracherecht. Heute steht dieses Verfahren für ein deutsches Ansinnen neuer Güte: Jetzt, wo die Gemeinsamkeit, wer wann wo und womit zu beaufsichtigen ist, gar nicht mehr von vornherein feststeht, sondern in jedem Fall gefunden, d.h. ausgehandelt werden muß, pocht der deutsche Militarismus nach dem gleichen Schema auf „Gleichberechtigung“, also auf Anerkennung seiner gewachsenen Ambitionen. Feierlich gelobt das wiedervereinigte Deutschland, künftig überall mitmischen zu wollen; nicht nur Geld, sondern auch Kampftruppen zu spendieren; in den neuen „Kommandostrukturen“ Führungsaufgaben zu übernehmen; bei der Entscheidungsfindung mitzuwirken, sie dann aber auch mitzutragen. Dafür will Deutschland sich fit machen.
– In der UNO. Im Unterschied zur Nato sind in dieser Weltorganisation alle Staaten versammelt: ob groß, ob klein, ob arm, ob reich. Bedeutsam ist dieser Unterschied insofern, als eine Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen gerade nichts über die Macht eines Staates aussagt. Selbst dann nicht, wenn die UNO – die ja gar kein Militärpakt ist, nach dem amerikanischen Irak-Modell aber als vorzügliches Instrument zum Schmieden von Kriegsbündnissen gehandelt wird – Mandate zum Kriegführen erteilt: Die Differenz zwischen Staaten wie Österreich oder Pakistan, die seit Jahrzehnten treue und emsige Blauhelmträger sind, und den USA, die eine UN-„Mission“ gegen Saddam Hussein durchsetzen und anführen, verschwindet eben nicht dadurch, daß beide im Auftrag der „Völkergemeinschaft“ unterwegs sind. Im ersten Fall reicht die Militärmacht eines Staates nur und gerade mal so weit, wie durch die UNO beauftragt; im zweiten läßt eine Weltmacht sich durch die UNO dazu beauftragen, was sie ohnehin vor hat – und auch vermag.
Vorbild für eine Beteiligung deutscher Soldaten, Panzer und Jagdbomber an Aktionen der UNO kann darum nur letzteres sein – die penetranten Erinnerungen an das schmachvolle Abseitsstehen im Golf-Krieg belegen, womit sich Deutschland vergleicht.
Bezogen auf die beiden Ziele – Nato-Aktionen bestimmen, per UNO-Auftrag eigene Kriege auf die Tagesordnung setzen können – nehmen sich die derzeitigen deutschen Beteiligungen an supranationalen Militär-Interventionen allerdings aus wie ein schlechter Witz. Sowohl die Schiffe der Bundesmarine in der Adria und die AWACS-Piloten über Bosnien, die als Nato-Teilstreitkräfte im Einsatz sind, wie auch die 1600 Soldaten, die ab August in Somalia als UN-Blauhelme mit Entwaffnungsmandat fungieren sollen, stehen in einem grotesken Mißverhältnis zu den Absichten, wegen derer Deutschland dabei ist.
Und dennoch:
– Mit diesen Anfängen ist eine neue Qualität deutschen weltpolitischen Engagements hergestellt. Kambodscha, Somalia und Bosnien sind die Einstiegshilfen in die Emanzipation der Nation von ihrer Vergangenheit als Wirtschaftsmacht, die weltweiten Respekt (mit der Versicherung Nato im Rücken) „nur“ durch Geld und Kredit gebietet; jetzt betritt sie die Bühne auch als Militärmacht. Der Haken, daß den Auftritten deutscher Soldaten in der Fremde dieses qualitativ Neue gar so schlecht anzusehen ist – glatt könnten sie mit Österreichern verwechselt werden, so meilenweit sind sie vom Ziel deutscher Militärambitionen noch entfernt –, ist niemandem besser bekannt als Kinkel und Rühe, aber kein Grund, die Armee zu Hause zu lassen: Einstieg ist Einstieg.
– Denn es ist ja wirklich so: Wenn Deutschland Soldaten verschickt, dann machen die – selbst wenn sie dasselbe tun wie Belgier, Österreicher oder Honduraner – eben nicht dasselbe! Mit seinen Nato- oder UNO-Kontingenten an Soldaten und Gerät stellt Deutschland per se etwas anderes dar als ein Staat, der in der Rangliste der Nationen ansonsten wenig bis nichts zu bieten hat: Als Deutschland – mit seiner ökonomischen Potenz, mit dem erworbenen und beanspruchten Gewicht dieser Nation – tritt es ein in die Konkurrenz um militärische Macht. Das ist die Art, wie es seinen Anspruch anmeldet, durchs Mitmachen (wie „bescheiden“ und hilfssheriffmäßig erst mal auch immer) beim Mitgemachten zu bestimmen.
– Ohne Rest geht das nicht auf; denn für die Durchsetzung des Anspruchs, fremden Nationen eigene Gewaltoptionen vorgeben und sie dafür instrumentalisieren zu können, sind Einsätze zur Luftüberwachung in Bosnien und zur technischen Hilfe in Somalia objektiv zu wenig. Es gibt aber einen Grund, warum die Beteiligungen der Deutschen einstweilen so gering ausfallen, wie sie ausfallen.
Der liegt nicht etwa darin, daß ihre Munition für Belgrad oder afrikanische Warlords nicht ausreichen würde, sondern im Status Quo einer Staatenwelt mit aufgeteilten Kompetenzen, die zwar von Deutschland, nicht aber von deren Inhabern in Frage gestellt werden. Sein militärpolitischer Emanzipationswille trifft in der postsowjetischen „neuen Weltordnung“ auf andere Staaten, die „alten“ Partner, die ihre Positionen haben, ein – aus hiesiger Perspektive „überholtes“ – Kräfteverhältnis verteidigen, aber eben auch dazu in der Lage sind, wo Deutschland erst hin will: Ort, Zeitpunkt und Ausmaß kriegerischer Aktionen zu diktieren.
Deshalb haben der Außenminister, der Verteidigungsminister und die gesamte mitleidende Öffentlichkeit mit dem Maß ihrer Beteiligung an den gegenwärtigen supranationalen Auswärtsspielen immerzu dasselbe Problem: Das Angebot der maßgeblichen Staaten an Deutschland sich einzumischen entspricht nie dem Bedürfnis der deutschen Nachfrage. Was die Deutschen wollen, kriegen sie nicht (Federführung plus Hilfspolizisten); was sie sollen, liegt ein Stück unter „gebührendem“ Niveau (z.B. Somalia); und im Fall Jugoslawien ist der AWACS-Beitrag ein bißchen dünn, ein Einsatz von Besatzungstruppen hingegen zu dick, weil man dann in Bonn den Verdacht haben müßte, für die Interessen der anderen Ordnungskräfte funktionalisiert zu werden.
Diese Problemlage spiegelt sich in den neuen „verteidigungspolitischen Richtlinien“ wider: Ohne militärische Beiträge zu den „Krisenherden“ und Fronten, die wichtig sind, weil Nato und/oder UNO sie beschließen, geht nichts; deshalb wird überall dort mitgeschossen. Wie man durch diese Beiträge ans Ziel – imperialistische Richtlinienkompetenz – gelangt, ist die offene Frage.
4. „Nie wieder Krieg“ – diese Lehre, die Deutschland aus dem letzten großen Waffengang gezogen haben soll, buchstabiert sich 1993 als die Moral: Nie wieder alleine Krieg! Ein interessantes Dementi: Wenn niemand, selbst Deutschland nicht, will, daß es alleine in den Krieg zieht – warum wird dann eigentlich dermaßen darauf herumgeritten? Wozu der Streit um die deutsche Verfassung und das Gezerre vors dafür zuständige Gericht – wenn das Grundgesetz internationale Einsätze „in Systemen kollektiver Sicherheit“ längst erlaubt und etwas anderes gar nicht beabsichtigt ist? Ein öffentliches Theater von erheblicher Verlogenheit, aber diplomatischem und moralischem Gewicht.
Das GG verbietet keinen kriegerischen Einsatz „out of area“, sondern erteilt in Artikel 24 einen Blankoscheck für Beiträge „zur Wahrung des Friedens“ in einem „System kollektiver Sicherheit“, sofern der Staat ihm angehören will – weswegen eine unbedingte Notwendigkeit zur Änderung bzw. Erweiterung aus juristischen Gründen keineswegs zwingend ist. Es verbietet zwar „Angriffskriege“, aber die führt sowieso kein Staat, es sei denn zur Verteidigung – weswegen dieser Passus auch bleibt. Als tatsächliche Behinderung für militärische Auftritte des heutigen Kalibers war die deutsche Nachkriegsverfassung demnach niemals gemeint – das wäre ja auch noch schöner; sie kamen für das geteilte Deutschland aus viel gewichtigeren Gründen bloß einfach nicht in Frage.[2] Seit aber die ersten Szenarien für Einsätze der neuen gesamtdeutschen Wehr auf dem Tisch liegen, ist es einhelliger Parteienkonsens, daß die Verfassung der neuen „Lage“ unbedingt angepaßt werden muß. Was zwar eine hübsche Klarstellung zu der Frage ist, ob der politische Wille des Staates dem Recht gehorcht oder umgekehrt; der billige rechtsstaatliche Formalismus, sich per Verfassung noch mal extra zu genehmigen und zu heiligen, was man sowieso vor hat, ist darum aber auch nur der halbe Witz. Dessen andere Hälfte besteht in einer Botschaft – ans Ausland und ans Volk:
Nach außen will die Verfassungsänderung diplomatisch beschwichtigen. Bei ihrem Aufbruch zu neuen militärpolitischen Ufern, den das GG in der Erweiterung deutscher Lizenzen zum Töten dokumentieren soll, legt die geläuterte Nation schwer Wert auf die Versicherung, dies künftig nur unter der Hoheit und mit dem Segen internationaler Dachverbände zu tun, Ehrenwort! Das beinhaltet zwar weder einen deutschen Willen zur Unterordnung noch hat es irgendetwas Mäßigendes in der Sache – nach dieser Logik wäre, um einmal ein unpassendes Beispiel zu wählen, eine „kriminelle Vereinigung“ ja weniger schlimm als ein einzelner Gangster! –, doch kommt es der diplomatischen Doppelzüngigkeit eh nur auf den Ton an. Egal, wie der einschlägige Artikel dereinst lauten wird – die doppelte Auskunft an den Rest der Welt wird er allemal rüberbringen: Wir Deutsche lassen uns zwar von niemandem etwas vorschreiben; wo wir uns einmischen, entscheiden wir selbst; aber unser Eingreifen geht nicht auf Kosten anderer; deshalb bitte keine ungerechtfertigten Einwände!
Nach innen steht die Grundgesetzdebatte für die beruhigende Mitteilung ans Volk: Wenn deutsche PolitikerInnen die Nation mit der Verschickung von Soldaten überall dorthin, wo „Risiko“ für den Weltfrieden ist, in die Phalanx der Weltmächte zurückführen, dann ist und wird alles gut – denn sie tun es zwar „nicht im Alleingang“, aber für Deutschland. Und das muß jeder Deutsche verstehen, der unsere Geschichte nicht aus den Augen verliert.
Hätte es Hitlers Revisionskrieg gegen die damalige Weltordnung nicht gegeben – deutsche Nachkriegspolitiker müßten ihn fast erfinden, so auffällig oft rückbesinnen sie sich dieser Tage auf die Niederlage des 3. Reiches als die „logische“ Konsequenz „verhängnisvoller Isolation“. Zweifel, wie der Vergleich gemeint ist? War Hitler böse, weil er alleine gegen den Rest der Welt antrat? Oder wäre er mit einer Nato erfolgreicher gewesen? Wahrscheinlich beides: Wer die Größe Deutschlands verspielt, ist böse. Das soll „uns“ also nicht noch mal passieren. Eine Klarstellung gleich nach zwei Seiten: 1. Ihre Kriegsbereitschaft ist kein Einwand gegen die deutsche Politik, sie geht in Ordnung, da nicht „im Alleingang“. 2. Im Bündnis achtet Deutschland besser auf seine nationalen Interessen als der leibhaftige Repräsentant „deutschen Größenwahns“. Befürchtungen von Nationalisten sind daher gegenstandslos: Die deutsche Sache geht im Miteinander nicht unter, sondern lebt von ihm und in ihm auf.
Aufgeführt wird diese Klarstellung im parlamentarischen Wechselspiel von Regierung und Opposition. Man erlaubt sich den demokratischen Scherz, den Aufbruch der Nation auch noch in ein Gefeilsche um die gelungenere Variante der Verfassungsänderung zu übersetzen. Dieselbe Botschaft in einer anderen Reihenfolge – nur im Bündnis, aber souverän; oder: souverän, aber nur im Bündnis –, das ist das ganze Hickhack!
Das Bundesverfassungsgericht spielte im Streit der Parteien die ihm von der Koalition zugedachte Rolle bravourös: Seine einstweilige Verfügung, dem Einsatz deutscher AWACS-Könner auf dem Balkan grünes Licht zu geben, „bis dessen Verfassungsmäßigkeit abschließend geklärt ist“, gibt der angestrengten Logik vom Alleingang (schlimm) und Gemeinschaft (gut) die gewünschte höchstrichterliche Rückendeckung. Mit der eher schnöden Begründung, „drohender politischer Schaden“ sei von der Republik abzuwenden – und der trete unweigerlich ein, wenn das Gericht noch sechs Monate zum Überlegen braucht und solange nichts passiert. Der Name dieses irreparablen Schadens? „Isolation Deutschlands von den Hilfsmaßnahmen der Völkergemeinschaft“! Dagegen hilft natürlich nur eines: Ab marsch nach Bosnien.
[1] siehe GegenStandpunkt 1-92, S.167: „Nato ohne Hauptfeind – Von der Abschreckung zur totalen Kontrolle“
[2] Vgl. GegenStandpunkt 1-93, S.121: Schwierigkeiten bei der „Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ – Der deutsche Drang zu „weltpolitischer Verantwortung“