Das Ende von South Stream
Das ‚gemeinsame Haus‘ von Kohl und Gorbatschow wird entmietet

Geschichte wie Ende dieses Großprojekts einer europäisch russischen ‚strategischen Partnerschaft‘ bei der Energieversorgung Europas beweisen, dass die Sicherung der Verfügung über Energie als dem elementaren Lebensmittel des kapitalistischen Getriebes in Europa eine imperialistische Affäre erster Güte ist: ein Kampf darum nämlich, möglichst weitgehend Herr auch über die einschlägigen auswärtigen Quellen des nationalen Wachstums zu sein. Ein Kampf also um die Kontrolle über die Abhängigkeiten, die Europa im Verhältnis zu Russland als seiner Energiequelle eingegangen ist und mit denen Russland seinerseits als kapitalistische Macht vorankommen will. Dieser Kampf hat jetzt dank der neu eröffneten politischen Gegensätze zur Aufgabe des Projekts South-Stream geführt. Europa will nicht ‚erpressbar‘ sein durch seinen Lieferanten, ringt also auch und gerade in Energiefragen um seine imperialistische Handlungsfreiheit gegen Russland und dessen Anspruch auf eine mitbestimmende Machtrolle in Europa.

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Das Ende von South Stream
Das „gemeinsame Haus“ von Kohl und Gorbatschow wird entmietet

Anfang Dezember 2014 geben der russische Präsident und der Chef von Gazprom bekannt, dass der Bau der Pipeline South Stream, über die russisches Gas durch das Schwarze Meer über den Balkan bis nach Österreich mit möglichem Anschluss weiterer Abnehmer geliefert werden sollte, eingestellt wird. Und zwar deshalb, weil Russland vor der EU-Kommission kapituliert. Putin: Es ist nicht so, dass die EU-Kommission bei der Ausführung des Projekts behilflich gewesen wäre – wir erleben, dass lauter Hindernisse für die Ausführung geschaffen werden. Wenn Europa das nicht will, dann wird es eben nicht gemacht.[1]

Die Kommission weist diese Schuldzuweisung mit Entschiedenheit von sich. Die EU-Kommission sei nie gegen das Projekt gewesen. Sie habe nur darauf beharrt, dass die Pipeline im Einklang mit den EU-Regeln gebaut werde. Mit der einschränkenden Bestimmung „nur“ kennzeichnet die Sprecherin ganz unironisch die Blockade, die die Kommission über das Bauprojekt verhängt hat. Immerhin hatte die Kommission Bulgarien Anfang Juni aufgefordert, den Bau des auf seinem Gebiet verlaufenden Pipelineabschnitts einzustellen (FAZ, 3.12.14), nachdem sie schon im Dezember 2013 sämtliche bilateralen Verträge, die Russland mit Bulgarien, Serbien, Ungarn, Griechenland, Slowenien, Kroatien und Österreich für den Bau von South Stream abgeschlossen hatte, für rechtswidrig erklärt hatte. Der zuständige Beamte damals vor dem EU-Parlament: Die Kommission hat sich diese zwischenstaatlichen Verträge angeschaut und ist zu dem Schluss gekommen, dass kein einziger europäischem Recht entspricht.[2] Kommissar Oettinger hat dem russischen Energieminister einen Brief geschrieben und die Lage erklärt, in seinem bekannt charmanten Englisch, asking him ‚to look positively‘ into the possibility of re-negotiating the deals with the countries concerned. Russland soll einfach positiv denken und sich auf einen neuen Verhandlungsmarathon freuen.

Bei derselben Gelegenheit bestreitet der russische Vizeminister für Energie der EU das Recht, ihre Regelungen gewissermassen exterritorial, gegen grenzüberschreitende Projekte in Anschlag zu bringen: Russland akzeptiert nicht, dass EU-Bestimmungen auf grenzüberschreitende Projekte wie Pipelines angewandt werden, die nicht ausschließlich auf dem Gebiet der EU verlaufen. Die Beziehungen zwischen der EU und Russland können nicht überwiegend durch EU-Recht bestimmt werden, sie fallen einzig unter internationales Recht. Sachverständige Beobachter, die wissen, dass die Kommission mit Nichtmitgliedstaaten durchaus Ausnahmen von ihren Rechtsvorschriften aushandeln kann, und das gerade in dieser Sphäre in der Vergangenheit auch getan hat, verweisen zur Erläuterung der ausgreifenden Rechtsansprüche der EU in diesem Fall auf die mittlerweile eingerissene gesteigerte Empfindlichkeit in den Beziehungen zwischen der EU und Russland. In der letzten Woche wurden die europäischen Staatschefs schockiert durch die Entscheidung des ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch, die Unterschrift unter das Partnerschaftsabkommen zu verweigern.

Die Verhärtung der Verhandlungsposition der EU-Kommission in der Angelegenheit South Stream verdankt sich offenkundig der Konfrontation beider Seiten im Streitfall Ukraine. Was die russische Führung ihrerseits bekräftigt, indem sie Anfang dieses Jahres ihre Absage an das Projekt South Stream um die Ankündigung ergänzt, nach Auslaufen der entsprechenden Verträge sämtliche für Europa bestimmten Lieferungen via Ukraine einzustellen. Gazprom-Chef Miller: Ab 2019 ist die Gaspipeline Türkischer Strom der einzige Weg, über den 63 Milliarden Kubikmeter russischen Gases, die zurzeit noch durch die Ukraine transportiert werden, geliefert werden können. Andere Varianten gibt es nicht. (Sputnik, 14.1.15) Miller hebt die Grundsätzlichkeit der Revision hervor, der Russland seine Beziehungen zu Europa im Energiesektor unterzieht:

„Gazprom entwickle eine neue Strategie wegen der geplanten Energie-Union der EU, Gazprom wolle künftig neue Pipelines nur bis zu den Grenzen der EU bauen.“ (Sputnik, 15.1.15) „Europa müsse eine neue Infrastruktur aufbauen und das Gas über die geplante Pipeline ‚Turkish Stream‘ beziehen. ‘Mit dem Bau werden wir beginnen, sobald uns alle Beschlüsse vorliegen. Wir sind nicht darauf angewiesen, ihn mit den europäischen Kollegen zu erörtern...Wir werden sie fertigstellen und abwarten (bis die Europäer die Gasleitungen zum Hub an der türkisch-griechischen Grenze verlegen)‘.“ (Sputnik, 14.4.15)

Auf die Weise geben beide Seiten unmissverständlich bekannt, dass diese Absage kein x-beliebiges Investitionsprojekt betrifft, dass es in dem Streit um weitaus mehr geht als um ein missglücktes Investitionsvorhaben. Ein gesamtes Kapitel Beziehungen zwischen Russland und EU, das Kapitel der Energielieferungen zum beiderseitigen Vorteil, wird revidiert, ein Kapitel, das auf der Grundlage einer verbindlichen Kooperation im Energiesektor auch auf mehr abgezielt hat, nämlich auf ein weiterreichendes Bündnis, das immerhin schon unter dem anspruchsvollen Titel einer strategischen Partnerschaft gehandelt wurde. Und auch das haben die Parteien bekannt gegeben: Schwer beschädigt worden ist die früher in Aussicht genommene stabile europäisch-russische Völkerfreundschaft am Fall der Ukraine, dem für Russland bedeutsamsten Transitland, das Europa unbedingt aus dem russischen Einflussbereich herauszerren will. In der Auseinandersetzung, die schon eine längere Vorgeschichte hat – seit dem ersten Anlauf, der orangen Revolution von 2004, ist der Energie-Transit über die Ukraine immer wieder zum Material für diesen Streit geraten –, haben sich die beiden Seiten mittlerweile zur Feststellung der Unvereinbarkeit ihrer Interessen und zu einem gediegenen Grad von Feindschaft vorgearbeitet.

Vom Plan einer „strategischen Partnerschaft“ zur „Widerstandsfähigkeit“, die sich Europa unbedingt gegenüber dem russischen Energielieferanten beschaffen muss

1. Der Ausgangspunkt: Europa umarmt einen enorm nützlichen neuen Partner

„Auf ihrem Gipfel vom Oktober 2000 kamen Russland und die EU überein, einen strukturierten Energiedialog zu führen... Ziel ist es, die komplementären Interessen zusammenzuführen und zu einer dauerhaften Energiepartnerschaft zu verdichten. Russland besitzt die Rohstoffe und benötigt Erschließungs- und Modernisierungsinvestitionen, nach Ansicht von Experten bis 2020 rund 670 Mrd. Euro. Europa verfügt über Kapital für Technologietransfer und benötigt seinerseits zusätzliche Energieträger. Als Scharnier russisch-europäischer Kooperation bildet die Energiepartnerschaft gleichsam eine Vorstufe zum angestrebten Gemeinsamen Europäischen Wirtschaftsraum.“ [3]

Was in Europa damals mit solch optimistischen Tönen gefeiert wurde, war der außerordentliche Glücksfall, dass sich nach der Auflassung des Sowjetblocks und dem Beschluss des Rechtsnachfolgers, sich künftig als moderne Marktwirtschaft auf dem Weltmarkt zu etablieren, ein Zugang zu einem regelrechten Rohstoffparadies unmittelbar vor der eigenen Haustür eröffnet hatte. Und nach den chaotischen Jahren unter Jelzin und dem Zusammenbruch in der Rubelkrise richteten sich auch einige Erwartungen auf den neuen Präsidenten und dessen Anstrengungen zur Stabilisierung und Herstellung von Rechtssicherheit in dem von Europa aus erwartungsvoll besichtigten Wirtschaftsraum.

Von wegen Abhängigkeit von Russland, die heute zum erstklassigen Sicherheitsproblem avanciert ist: Das liest sich damals noch anders, nämlich als Reduktion der Abhängigkeit von anderen, als die einmalige Gelegenheit, sich mit dem autonomen Zugriff auf die russischen Ressourcen getrennt vom amerikanisch dominierten Ölmarkt inkl. der bisherigen Angewiesenheit auf die Lieferanten im krisenträchtigen Nahen Osten eine eigene Energiequelle zu schaffen:

„Russland trägt in nützlicher Weise zu einer aufgefächerten Versorgung der Europäischen Union mit fossilen Energien bei... Die Russische Föderation ist nicht nur unser wichtigster Lieferant für fossile Energien und Uran, sondern könnte gleichzeitig eine beschwichtigende Rolle auf dem Weltmarkt spielen, da sie in gewisser Hinsicht die vielversprechendste und geographisch nächstliegende Alternative zur Energieversorgung Europas aus dem Mittleren Osten darstellt.“ [4]

Von wegen quantitative Begrenzung der russischen Brennstoffimporte, um die heute gekämpft wird:

„Es ist nicht denkbar, dass die Europäische Union mengenmäßige Importbeschränkungen verhängt... Hierzu heißt es im Dritten Fortschrittsbericht der Hochrangigen Gruppe vom November 2002: ‚In der EU gibt es keine derartige Forderung nach quantitativer Begrenzung für den Import verschiedener Arten fossiler Brennstoffe aus Russland.‘“

Die europäische Kommission ist voll des Lobes über den neuen Partner: Zu dieser Aussage hat ganz gewiss die Tatsache beigetragen, dass sich Russland über die Jahrzehnte hinweg als zuverlässiger Energiepartner erwiesen hat. Und jetzt soll der Energiedialog eine Pionierfunktion beim Ausbau der Beziehungen übernehmen.

Dieser Energiedialog kommt gut in Schwung und mit ihm auch der Ausbau der Beziehungen. Die europäische Wertschätzung solcher Perspektiven beruht nämlich des Weiteren darauf, dass, nachdem Russland seine Hilfsbedürftigkeit in Sachen Kapital erklärt hat, die europäische Seite noch ganz andere Verdienstsphären für Euro-Kapital ins Auge fasst: Neben dem vielversprechenden Geschäft mit dem fundamental bedeutsamen kapitalistischen Handelsartikel Brennstoff ist der Übergang vom bloßen Handel zum Eigentumserwerb an den Quellen eingeplant, der Einkauf europäischer Konzerne in die Rohstoffförderung und die Infrastruktur, die Übernahme kapitalschwacher russischer Unternehmen und das Geschäft mit der weiteren kapitalistischen Erschließung des Landes. Europäisches Kapital nimmt die Einladung gerne an, das Riesenreich auf Geschäftstauglichkeit zu prüfen und alles, was sich lohnt, zu „modernisieren“.

Der Auftrag, den sich die Politik mit dem politischen Gesichtspunkt der Versorgungssicherheit erteilt, nicht nur Öl und Gas, sondern auch die Lieferanten und deren politischen Sachwalter in den Griff zu bekommen, um den anderen Souverän auf die Garantie dieser elementaren Voraussetzung des gesamten Wachstums zuverlässig zu verpflichten, wird auch zu der Zeit keineswegs vernachlässigt. Mit dem Umfang des Geschäfts wächst nämlich wie von selbst das europäische Bedürfnis, es abzusichern, rechtliche Bedingungen für den vorteilhaften Fortgang der Beziehungen herzustellen. Zuverlässigkeit des Partners hin oder her: Russland braucht einen vernünftigen Rechtsrahmen, den Europa gerne spendiert, und in den sich der Partner nur einzufügen hat:

„Wie es das Grünbuch zur Energieversorgungssicherheit der Union aufgezeigt hatte, zielt die europäische Politik der Versorgungssicherheit weniger darauf ab, die Autonomie im Energiebereich zu maximieren oder die Abhängigkeit zu minimieren, als darauf, die damit verbundenen Risiken zu verringern. Somit muss in unseren Beziehungen mit der russischen Föderation, der gegenüber die Energieabhängigkeit unvermeidlich zunehmen wird, die Zusammenarbeit darauf abzielen, eine Beziehung der konstruktiven Interdependenz zu begründen: vorhersehbare Regelungen für den Handel aufstellen, die Kapazität der Transportnetze ausbauen und Investitionen begünstigen, indem ein stabilerer und transparenterer Rechtsrahmen gefördert und Schlüsselreformen im russischen Energiebereich ermutigt werden.“

Weil die EU sich künftig ausgiebiger an russischer Energie bedienen will, steigt nicht einfach das Geschäftsvolumen, sondern die europäische Abhängigkeit – die natürlich nicht zugelassen werden darf. Russland für die Versorgungssicherheit Europas einzuspannen schließt offensichtlich sehr weit reichende politische Ansprüche an diesen Staat ein: Er soll die Abhängigkeit seines Partners erträglich machen, indem er sich auf die Funktion als Lieferant dieses Grundstoffs des gesamten kapitalistischen Wachstums festlegen lässt. Die nach Auffassung der EU nötigen Schlüsselreformen zielen auf die Verankerung der nötigen Eigentumsrechte im gewendeten Russland, die Inanspruchnahme der russischen Staatsgewalt für eine ungehinderte private Zugriffsmacht europäischen Kapitals auf Fördergebiete und Transportmittel – insgesamt auf die Herrichtung Russlands zu einem Staat, der die Garantie des freien Zugriffs auf seine Energie- und anderen Ressourcen als seine erste Hauptaufgabe anerkennen soll: Russland soll als eine Art von Ölstaat im Dienst am europäischen Wirtschaftsraum funktionieren.

Demgegenüber stehen die damaligen russischen Berechnungen mit der angebotenen Energiepartnerschaft, die gar nicht einfach in der von der Kommission ausgerufenen Harmonie komplementärer Interessen aufgehen. Das neue Russland ist angesichts der vernichtenden Ergebnisse der kapitalistischen Prospektion, was seine industrielle Ausstattung betrifft, zwar dringend auf das Exportgeschäft mit seinen Öl- und Gasvorräten angewiesen. Es hat die dafür nötige Infrastruktur aus dem Bestand der Sowjetunion geerbt und noch während der ruinösen Jelzin-Jahre den Rohstoffexport in den Westen explosionsartig ausgebaut, zielt aber mit dem Angebot einer Energie-Allianz mit der EU auf etwas anderes als sich zu einem ökonomisch und politisch abhängigen Anhängsel dieses Staatenblocks zu entwickeln. Aus diesem Deal mit Europa will es die Mittel für seinen kapitalistischen Aufbau herauswirtschaften, Auslandskapital attrahieren, um eine Kapitalakkumulation im eigenen Land in Gang zu bringen und sich die nötige ökonomische Basis zur Restaurierung seiner Rolle als Großmacht zu beschaffen.

In diesem Sinne bietet Russland Europa eine stabile und langfristige Energiepartnerschaft an, als materielle Grundlage für eine gesicherte wechselseitige politische Anerkennung, mit der Perspektive auf ein regelrechtes Staatenbündnis. Putin präsentiert dem deutschen Bundestag seine Vorstellung von einer strategischen Partnerschaft:

„Niemand bezweifelt den großen Wert der Beziehungen Europas zu den Vereinigten Staaten. Aber ich bin der Meinung, dass Europa seinen Ruf als mächtiger und selbstständiger Mittelpunkt der Weltpolitik langfristig nur festigen wird, wenn es seine eigenen Möglichkeiten mit den russischen menschlichen, territorialen und Naturressourcen sowie mit den Wirtschafts-, Kultur- und Verteidigungspotenzialen Russlands vereinigen wird.“ [5]

Gemeinsame Interessen gegenüber Dritten sind eben immer noch die sicherste Grundlage für eine Freundschaft zwischen Staaten. Der russische Präsident appelliert berechnend an den Antiamerikanismus der europäischen Kollegen, die ja das Ende des Kalten Kriegs auch als Gelegenheit begreifen, sich von der erdrückenden Dominanz des atlantischen Partners freizumachen und sich selbst zu einer global bedeutenden Macht aufzubauen. Der dritte Pol, der beim Zusammenzimmern der strategischen Konzeption der europäisch-russischen Energieallianz – ausgesprochen oder unausgesprochen – immer mit im Spiel ist, das sind eben die USA.

Die kalkulieren von Beginn an anders mit dem neuen Russland und seinen numehr kapitalistisch verwertbaren Ressourcen: Im rein strategischen Blick auf Russland als einzudämmende und weiter zu dezimierende Macht arbeiten sie an der Einhegung des Nachfolgers der Sowjetunion, dem kein bestimmender Einfluss auf die Energieströme in seinem Exstaatsgebiet zusteht. Seit Gründung der GUS sorgt sich Amerika um die Unabhängigkeit der neuen Staaten in der russischen Nachbarschaft und den freien Fluss von Öl und Gas und ist auch darum bemüht, die europäischen Verbündeten in seine Strategie einzubauen, vor der Gefahr der Abhängigkeit von russischen Importen zu schützen sowie den Transkaukasus und Zentralasien russischem Einfluss zu entziehen und den eigenen Interessen unterzuordnen.[6]

Entgegen amerikanischer Bedenken ist die europäisch-russische Energie-Partnerschaft in Gang gekommen, das beiderseitige Geschäft hat einen enormen Aufschwung genommen, auch die Staatenfreundschaft hat – zu Zeiten von Schröder und Chirac – einen gewissen Höhepunkt erreicht, das alles aber begleitet von einer Kette von Streitfällen, die aus den gar nicht kompatiblen Berechnungen beider Seiten entstanden sind. Im Rückblick:

„Die Annäherung erwies sich jedoch als eher schwierig. Der russisch-ukrainische Gasstreit von 2006 veränderte Russlands Beziehungen zur EU ganz erheblich. Dass sich aus russischer Sicht mit der Auflösung der Sowjetunion simple Transportangelegenheiten in Transitfragen wandelten, war den westeuropäischen Abnehmern lange Zeit ebenso wenig bewusst wie die Problematik, die damit einherging. Russland ist in diesen Fragen aber hoch sensibilisiert. In den Energiedebatten der EU wurde die Versorgungssicherheit zum vorherrschenden, dabei nahezu ausschließlich mit Erdgaslieferungen aus Russland assoziierten Thema... Das Jahr 2009 erwies sich als Wendepunkt. Die EU-27 zog Lehren aus der neuerlichen russisch-ukrainischen Gaskrise.“ (SWP-Aktuell 30, Mai 2012)

Dass sich die europäische Vorstellung von Versorgungssicherheit so wenig und zunehmend weniger mit der russischen Sicht vereinbaren ließ, liegt allerdings weniger an der Ahnungslosigkeit der westlichen Partner, wie es in der sensiblen russischen Seele aussieht; daran, dass sich die genannten Transitfragen vor allem im Fall der Ukraine zu einer regelrechten Problematik ausgewachsen haben, war ja nicht zuletzt die EU als Subjekt maßgeblich beteiligt.

2. Die EU ringt um den ungehinderten Zugriff auf die russische Energiewirtschaft: Privatisierung contra „Rückfall“ in Staatswirtschaft

Was sich Europa unter konstruktiver Interdependenz vorgestellt hat, das ist ein Haufen europäischer Vorschriften für den Gebrauch der Macht in Russland, was die Rechte auswärtiger Kapitale auf ungehinderte Aneignung russischen Reichtums betrifft.

In der ersten Etappe dieser Völkerfreundschaft wird unablässig die Forderung erhoben, Gazprom zu privatisieren, also auch dem Geschäftsgeist auswärtiger Kapitalmacht zur Verfügung zu stellen, dessen Exportmonopol abzuschaffen und für eine freie, preissenkende Konkurrenz von Gasförderern in Russland zu sorgen. Unter Berufung auf die Energiecharta wird auch die Forderung nach freiem Zugang anderer zu den russischen Transportnetzen angemeldet. Außerdem wird der Streit um marktwidrige Exportzölle auf russische Rohstoffe geführt, aus denen Russland allerdings die größten Teile seines Staatshaushalts bestreitet. Und auch die Reglementierung der Energiepreise auf dem russischen Markt wird als unerlaubter Konkurrenzvorteil der – reichlich kaputten – russischen Wirtschaft angegriffen. Nachdem die russische Regierung unter Putin beschließt, sich die staatliche Kontrolle über die Unternehmen zu sichern, die die entscheidenden Exporterträge abwerfen, und per gesetzlicher Definition strategischer Unternehmen anordnet, dass die grundsätzlich nicht zum Übergang in ausländisches Eigentum zur Verfügung stehen – die Beteiligung ausländischer Unternehmen wird auf einen Minderheitsanteil beschränkt –, ist Europa entrüstet über diesen Rückfall in die Staatswirtschaft, auch wenn so etwas von fast allen Ölstaaten praktiziert wird. Die gesamten Anstrengungen zur Wiederherstellung eines russischen Gewaltmonopols gegenüber seinem ‚bandit capitalism‘, die Unterordnung der russischen Oligarchen unter nationale Direktiven – exemplarisch ist da der Fall Yukos [7]– fallen vom europäischen Standpunkt aus unter das Verdikt, dass Putin damit schwere Verbrechen gegen die nötigen marktwirtschaftlichen Freiheiten des Privateigentums begeht. Dieselben Instanzen fordern zwar an anderer Stelle immerzu mehr Rechtssicherheit gegenüber den russischen Bandits ein – aber dass der Staatschef dieses Essential jeder Staatsmacht, sein Gewaltmonopol, auf eigene Rechnung repariert, verstehen sie als unzulässigen Eingriff in ihr Recht auf einen echt freien Kapitalverkehr.

An all diesen Punkten muss Europa die unangenehme Entdeckung machen, dass der russische Partner sich selber als Macht behauptet bzw. sich weiter dazu ausbaut, nach den 90er Jahren keine noch so gut gemeinten Vorschriften mehr widerspruchslos übernimmt und vielmehr darauf besteht, die Energiewirtschaft unter seiner Kontrolle zu behalten, statt sie, wie es sich nach Auffassung der EU für einen zur Marktwirtschaft geläuterten Staat gehören würde, europäischen Marktkräften und -mechanismen zur Verfügung zu stellen.

Nicht, dass da nicht dennoch viel gegangen wäre, aber als unter staatlicher Regie betriebenes Tauschgeschäft: Russland besteht auf der vertraglichen Verankerung der Beiderseitigkeit des Nutzens in Gestalt einer für Russland nützlichen Kapitalverflechtung: Man gewährt der westlichen Seite, die unbedingt Zugriff auf die Förderung haben will, entsprechende Anteile, das aber nur unter der Bedingung, dass die umgekehrt die Beteiligung russischer Unternehmen am europäischen Geschäft, an Lagerung, Vertrieb etc. zulässt.[8] Damit können die italienische ENI, die deutschen E.ON, RWE und Wintershall und die französische Total viel anstellen, und auf dem Weg lässt sich dann auch eine gediegene Staatenfreundschaft etablieren, die es im Fall Deutschland sogar zu dem Gemeinschaftsprojekt der Ostseepipeline Nord Stream gebracht hat: Russland wird die bedeutende Transportlinie unter Ausschluss der bisherigen Transitländer genehmigt, während Deutschland eine zentrale Rolle als Gasverteiler in Europa bekommt.

Gleichzeitig mit den Auseinandersetzungen mit Putins Russland erwirbt sich Europa aber auch die Überzeugung, der Eigenwilligkeit dieses Partners an anderer Stelle energischer mit Grenzziehungen entgegentreten zu müssen.

3. EU-Initiativen zur Schwächung der Position der viel zu mächtigen Energiemacht Russland durch Diversifizierung

In diesem Sinne betreibt Europa die Ausdehnung seiner Versorgung durch den Bau neuer Röhren. Das „flagship-project“ heißt Nabucco; mit dem will Europa sich – an Russland vorbei und auf dessen Kosten, im Übrigen auch an der Ukraine vorbei – die kaspischen und perspektivisch auch die zentralasiatischen Energieressourcen erschließen und aus ihrer bedauernswerten Abhängigkeit vom russischen Transportnetz erlösen.

Die EU scheut sich nicht, damit ein ganzes Kapitel imperialistischer Ansprüche und Konflikte aufzumachen. Das als Hauptlieferant in Aussicht genommene Aserbaidschan verkauft seinen Stoff auch an Gazprom und lässt sich diese Deals auch nicht ausreden; was es bereit ist, in die europäische Röhre einzuspeisen, reicht nicht, um den Betrieb von Nabucco rentabel zu machen. Da der Iran gerade politisch geächtet und mit Sanktionen belegt wird, der Irak nach der Befreiung von Saddam mehr ein Trümmerhaufen mit Bürgerkrieg als ein Beiträger zur europäischen Energieversorgung geworden ist, richtet sich der begehrliche Blick der Euros – natürlich! – auf Zentralasien. Wenn nicht die anderen, dann sind eben die unsere berufenen Energiequellen, wofür sie freilich ein bisschen aus den bislang eingerichteten Verhältnissen herausgebrochen werden müssen. Die europäischen Versuche, sie gegen Russland aufzustacheln bzw. unter Anwendung des Menschenrechtsinstruments unter Kontrolle zu bringen, gelingen mangels verwertbarer nützlicher Abhängigkeiten nicht nach Wunsch, die Staaten dort unten haben Alternativen. Außerhalb der Reichweite des europäischen Einflusses befindet sich auch der endlose Streitfall um die völkerrechtliche Definition des Kaspischen Meers, an der sich die konkurrierenden Ansprüche der Anrainer, inkl. Russland und Iran, festmachen und bislang den Bau übergreifender Transportlinien verhindern. Schließlich steht Europa da auch in Konkurrenz zu China, dem es lange vor der EU gelingt, mit dem Bau einer eigenen Pipeline die entscheidende Gasförderung in Turkmenistan unter seine Fuchtel zu bringen. Lauter Problemfälle, so dass Europa nicht umhinkommt, sich zu seiner Verantwortung auch für diese Weltgegend zu stellen, aber zur Kenntnis nehmen muss, dass es zur Subsumtion der Region unter seine Energieinteressen ein weiter Weg ist.

Das ist auch den Konzernen aufgefallen, die mit Nabucco gutes Geld verdienen wollten: Unter den geltenden Bedingungen können sie bei dem kostenträchtigen Vorhaben einfach nicht die nötigen Gewinnaussichten erkennen. Aus diesem Angriff auf die Energiegroßmacht Russland ist erstmal nichts geworden. Aber dann...

4. Die EU benützt die Revolutionierung der Gasförderung zum Angriff auf die für Russland viel zu vorteilhaften bisherigen Gasverträge

In der Auseinandersetzung um die unbequeme Machtposition von Gazprom kommt der EU die amerikanische Revolution durch die neue Technik des Frackings zu Hilfe. Aufgrund der eigenen sprunghaften Förderung verzichtet Amerika auf bisherige Flüssiggaslieferungen aus dem Ausland, und die sorgen dann für eine „Gasschwemme“ in Europa. So kommt die segensreiche Wirkung der kapitalistischen Produktionsweise, Überproduktion, als Druckmittel zum Einsatz, um die bisherige Geschäftsgrundlage aufzumischen.

„In den USA kam es zu einer regelrechten Revolution bei der Förderung von Schiefergas: Wurden im Jahr 2000 noch weniger als 10 Milliarden Kubikmeter gefördert, waren es im Jahr 2009 bereits 88 Milliarden Kubikmeter. Ursprünglich für die Vereinigten Staaten vorgesehenes verflüssigtes Erdgas (LNG) wurde in die EU umgelenkt. Gleichzeitig sank der Bedarf im Zuge der Wirtschaftskrise. Auf den EU-Märkten kam es infolgedessen zu einer »Gas-Schwemme«. Der Anteil der LNG-Importe stieg auf fast ein Viertel aller EU-Erdgasimporte an...
Mit dem Zufluss großer Mengen an LNG Mitte 2009 brachen die Preise für Erdgas auf den sich entwickelnden nordwesteuropäischen Spotmärkten ein. Sie lagen damit auf einmal deutlich unter dem Preisniveau der an den Ölpreis gekoppelten Gaspreise der Langfristverträge.“ (SWP-Aktuell 30, Mai 2012)

Die Leistung der USA, Fracking als neuen Hebel auch zur Gestaltung des Weltmarkts in strategischer Absicht einzusetzen und mit dem Angriff auf den Gaspreis die Position der bisherigen Lieferländer zu erschüttern, spielt der EU die neue Waffe in die Hand: die durchschlagende Wirkung auf den Gaspreis auf den europäischen Spotmärkten – die bis dahin nur eine sehr marginale Bedeutung hatten, da ja die Hauptmasse Gas über fest installierte Leitungen auf einer ebenso festen vertraglichen Grundlage nach Europa geschleust wurde.

Zwar steht das nach Europa umgeleitete Flüssiggas keineswegs europaweit auch tatsächlich als Preisbrecher zur Verfügung; schließlich sind die Mitgliedsländer noch weit davon entfernt, die Vorteile ihres nationalen Gasgeschäfts einer EU-weiten Versorgungssicherheit zu opfern und zum Zweck der Vergemeinschaftung die nationalen Netze miteinander zu verbinden. Dass die nötige Infrastruktur für ein europaweites Verschieben von Gaskontingenten zum Zweck der Preissenkung noch gar nicht vorhanden ist – die wird schließlich erst jetzt, im Rahmen der Energieunion (s.u.), in Angriff genommen –, hindert die Kommission allerdings überhaupt nicht daran, das Fallen der Gaspreise, das dann noch durch die Wirkungen der deutschen Energiewende und das krisenbedingte Schrumpfen der Nachfrage verstärkt wird, für eine ganz grundsätzliche Korrektur der Verhältnisse im Gasgeschäft gegen Russland in Anschlag zu bringen. Der große Vorteil der Energieallianz mit Moskau, eine stabile, auf Jahre hinaus vertraglich geregelte Versorgung, entpuppt sich nunmehr als Zwangsregime und sogar als Rechtsverstoß, nämlich als unfair pricing:

„Die Kommission beschuldigt Gazprom, seinen Kunden unfaire Preise zu berechnen, indem es sein Gas auf der Grundlage von langfristigen ‚take-or-pay-Verträgen‘ verkauft, die den Gaspreis an den Ölpreis binden.“ [9]

Der gute Sinn dieser Regelungen und der beiderseitige Nutzen, dem sie einmal gedient haben, ist zwar keineswegs unbekannt:

„Take-or-pay-Kontrakte sind Vereinbarungen, bei denen sich der Käufer dazu verpflichtet, eine bestimmte Menge Gas abzunehmen oder eine Gebühr zu entrichten, wenn er einen Teil der vereinbarten Menge nicht abnimmt. Der Preis ist bei einer solchen Vereinbarung üblicherweise an den Ölpreis gebunden, entsprechend der seit langem installierten Politik der EU-Länder zur Absicherung langfristiger Gas-Verträge. Nach diesem Schema – das nicht nur von Gazprom, sondern auch von großen Produzenten wie Sonatrach und der norwegischen Statoil angewandt wird – wird den Versorgern eine beständige Nachfrage garantiert, so dass sie mehrjährige Investitionen planen können, während die Garantie einer Versorgung über zwanzig oder dreißig Jahre hinweg den Käufern erlaubt, langfristige downstream-Strategien zu entwickeln.
Allerdings hat sich inzwischen weitgehend die Auffassung durchgesetzt, dass solche Praktiken unfaire Extraeinkommen für die Versorger und höhere Gaskosten für die europäischen Konsumenten zur Folge haben.“ (Ebd.)[10]

Jetzt hat sich also Europa die Meinung zugelegt, dass das System extrem unfair funktioniert. Dass die Marktkräfte in dieser Periode den Ölpreis zu ungeahnten Steigerungen hochspekuliert haben, ist jedenfalls kein Grund, dass Russland dank der Ölpreisbindung mit seinem Gas Windfall Profits einstreicht. Da sich dank Fracking die sachliche Grundlage gefunden hat, um russische Gaslieferungen partiell durch andere zu ersetzen, eröffnen die europäischen Abnehmer, mit Unterstützung der Norweger, die sich auf eine Preissenkung einlassen und sich damit weitere Marktanteile erobern, einen Preiskrieg gegen Gazprom. Da kann es auch nicht ausbleiben, dass erst ein deutsches und dann ein österreichisches Gericht einen mutigen Vorstoß wagt und den russischen Rechtsbruch ermittelt:

„Vor der Ermittlung im Fall Gazprom hat die Kommission die take-or-pay-Klausel und die Ölpreisbindung, die diese Gesellschaften in ihren Verträgen benutzen, noch nie überprüft. Bis neulich war der Bundesgerichtshof die einzige öffentliche Instanz in Europa, die Gelegenheit hatte, die Rechtmäßigkeit der auf dem Ölpreis basierenden Preisanpassungen zu untersuchen. Er hat herausgefunden, dass sie die Möglichkeit für eine illegitime Steigerung der Profite der Versorger enthalten, da der Ölpreis die einzige Variable für die Preisanpassungen der kontrahierten Gasmengen darstellt.
Kürzlich hat RWE Transgas, der führende Gasimporteur der Tschechischen Republik, im Streit mit Gazprom über Verträge bezüglich der Gaspreis-Bildung gewonnen: Ein österreichisches Gericht hat entschieden, dass die tschechische Gesellschaft nicht nach dem take-or-pay-Prinzip für Gas bezahlen muss, das sie nicht abgenommen hat.“ (Ebd.)

Die rechtlichen Handhaben dafür, sich zunehmend für die vertraglichen Bedingungen des Gasgeschäfts zuständig zu machen, hat sich die Kommission in den 2000er Jahren mit dem Ausbau des Binnenmarkts verschafft, der Ausdehnung des Gemeinschaftsrechts im Sinne eines freien Energiemarkts auf Energie als Ware im Sinne der Art. 28 ff. AEUV... Mit dem Vertrag von Lissabon erhielt die europäische Energiepolitik erstmals eine eigenständige Rechtsgrundlage im Primärrecht. Dies hat die Folge, dass nunmehr auch die Ziele ‚Versorgungssicherheit‘ und ‚Wirtschaftlichkeit der Energieversorgung‘ explizit verfolgt werden können... Dies erfordert gerade für leitungsgebundene Energieträger besondere Regularien... Die ersten Liberalisierungsrichtlinien wurden Mitte/Ende der 1990er Jahre erlassen, aufgrund zahlreicher Mängel in der Umsetzung, nämlich wegen des hartnäckigen Widerstands vonseiten Deutschlands und Frankreichs, folgten 2003 jeweils sog. Beschleunigungsrichtlinien. Diese sahen die Vollendung des Energiebinnenmarkts bis zum 1. Juli 2007 vor. (Wikipedia)

Dass sich die Kommission mit dem Anliegen dieser Liberalisierung durchgesetzt hat und schließlich die Mitgliedsstaaten ihre vorher nationalstaatlich reglementierten oder in staatlichem Eigentum befindlichen Versorgungsunternehmen, die sogenannten natürlichen Monopole in die Selbständigkeit entlassen und auf Konkurrenzregeln verpflichtet haben, liegt daran, dass auch den Staaten letztendlich der imperialistische Sinn dieser Liberalisierung eingeleuchtet hat.Denn auch diese Sparten der nationalen Standorte dienen der Wirtschaftsmacht Europas ganz anders, wenn sie in schlagkräftiges Privateigentum verwandelt in und an der internationalen Konkurrenz wachsen können. Zu diesem Zweck werden sie weitgehend von ihrer staatlichen Verpflichtung entbunden; mit einigen Entflechtungen, die die nationale Monopolstellung aufheben sollen, wird zunächst der europäische Energiemarkt zu einem Konkurrenzraum umgestaltet, indem sich die neu aufgestellten Konkurrenten die nötige Kapitalgröße beschaffen sollen, um sich damit auch auf dem Weltmarkt durchzusetzen.

Auf dieser Grundlage baut die Kommission dann ihre rechtliche Zuständigkeit weiter aus in ziemlich eindeutiger Absicht.

5. Die Subsumtion Russlands unter europäisches Recht: Erweiterung des Binnenmarktreglements durch das Dritte Energiepaket der EU – eine „lex Gazprom

Mit der Etablierung des EU-Rechts als maßgeblicher Richtlinie, der sich der große Kontrahent unterzuordnen hat, und das auf dem für Russland elementar bedeutenden europäischen Markt, startet die Kommission den Angriff auf die entscheidende Stärke Russlands im Energiegeschäft, die Kombination von ergiebigen Energiequellen und Infrastruktur, um die Modalitäten des Gasmarkts unter ihre Kontrolle zu bringen.

Durch eine Laune der Geschichte, das legendäre Gas-Röhren-Geschäft noch zu Zeiten des Kalten Kriegs, und durch die Energiepartnerschaft mit dem neuen Russland ist die Verwertung von Russlands Haupteinkommensquellen, den riesigen Reserven an Kohlenwasserstoffen, schließlich infrastrukturmäßig fest an den europäischen Markt angebunden. Mit dem gesamten Transportnetz samt den darin versenkten Investitionssummen ist Russland gewissermassen sachlich an Europa als seinen bedeutendsten Abnehmer gekettet – und aus dieser Abhängigkeit lässt sich nach Beschluss der EU-Kommission eine hervorragende Waffe verfertigen, um Russland zur Unterwerfung unter das neu geschaffene EU-Recht zu zwingen, das mit der gesamten bisherigen Vertragsgrundlage auch die gesicherte Kalkulationsgrundlage des Gasgeschäfts und alle darauf gegründeten Berechnungen des Energiepartners angreift.

In Brüssel weiß man auch genauestens Bescheid über die Wucht dieser Erpressung. Dass es Russland immer noch nicht gelungen ist, seine Wirtschaft zu diversifizieren, wird ihm mit geheuchelter Anteilnahme an seinem Entwicklungsbedarf ja immerzu vorgerechnet. Dass sich der Staat nach wie vor trotz aller Erfolge wesentlich aus den Erträgen der Brennstoffexporte finanziert, dass schließlich der große, so gut wie den gesamten europäischen Kontinent umfassende EU-Markt für Russland nicht nur die Hauptgeldquelle ist, sondern das entscheidende Mittel für seine Bemühungen, den Status der bloßen Öl- und Gasquelle loszuwerden und einen kapitalistischen Aufbau hinzubekommen, verleiht der Anwendung der Bestimmungen des Dritten Energiepakets die ganz eigene Durchschlagskraft. Und die EU arbeitet zielsicher an der Ausdehnung ihres großen Marktes als Waffe gegen den Lieferanten, indem sie die energierechtlichen Bestimmungen gleich noch auf alle assoziierten oder im Beitrittsverfahren befindlichen Nachbarn erweitert.[11]

5.1. Die Bestimmungen des Dritten Energiepakets: Rechtliche Vorschriften zur Unterordnung der Gasinfrastruktur unter Prinzipien einer echt freien Konkurrenz

Die Kommission verkündigt, dass die neue Gesetzgebung ganz im Dienste der Verbraucher steht, give consumers more protection and the benefit of the lowest possible energy prices, und dass denen vor allem durch die Einführung des segensreichen Prinzips der Konkurrenz gedient ist, dadurch dass die Gesellschaften die Chance erhalten, unter gleichen Wettbewerbsbedingungen zu konkurrieren (to compete on a level playing field).[12]

Als erstes will sie für das level durch die wirksame Trennung der Erzeugung der Energie vom Netzbetrieb sorgen. Dadurch sollen Gesellschaften, die sowohl die Förderung wie die Durchleitung von Energie betreiben, daran gehindert werden, ihre privilegierte Stellung auszunützen, um anderen Versorgungsunternehmen den Zugang zu den Leitungsnetzen zu verweigern.

Es ist zwar noch gar kein Fall bekannt geworden, in dem irgendwelche Konkurrenten den Antrag gestellt hätten, etwas in die russischen Röhren einzuspeisen, aber das kümmert die Kommission wenig. Sie legt mit ihren Prinzipien einer fairen Konkurrenz den Rechtsrahmen fest, an dem sich die Rechte von Gazprom in Zukunft zu beschränken haben, ganz jenseits der Frage, ob es vor Ort tatsächlich alternative Lieferanten gibt oder nicht.

Als zweites verlangt sie, um die Trennung effektiv zu verankern, die eigentumsrechtliche Abspaltung der entsprechenden Bestandteile des gemeinten Konzerns: Die Entflechtung der Versorgung und der Verfügung über die Leitungsnetze der integrierten Konzerne soll dazu dienen, Interessenkonflikte zu vermeiden. Das hört sich zwar ein bisschen nach Enteignung an,[13] dient aber laut EU allein dem lieben Frieden – auch wenn sie es selbst ist, die gerade den Konflikt mit Russland anzettelt.

Die Kommission prophezeit weitere heilsame Wirkungen: Die Entflechtung wird Investitionen in die Netzwerke stimulieren. Investoren bauen bekanntlich gerne mit gewaltigem Kapitalaufwand eine neue Infrastruktur, nur um ihre Konkurrenten gut darin unterzubringen. Und schließlich soll das Verfahren diskriminierendes Verhalten verhindern, nach der Logik: Kapitalgröße und Marktmacht sind gleichbedeutend mit der Diskriminierung anderer Marktteilnehmer, auch wenn es die in dieser Sphäre des Gasgeschäfts noch kaum gibt bzw. die anderen bedeutenden Gaslieferanten der EU, die norwegische Statoil und die algerische Sonatrach, mit ihren Pipelines genauso wie Gazprom von dieser Neuregelung betroffen sind. Wenn dieselbe EU, die ihren Binnenmarkt in der Berechnung kreiert hat, dass dank eines solchen playing field ihre Energiekapitale in eine Größe und privileged position hineinwachsen, mit der sie dann erfolgreich Weltmarktsegmente besetzen, zum Kampf gegen diskriminierende Marktmacht schreitet, kommt es offensichtlich enorm darauf an, wer das ist, von welcher Nation diese Macht ausgeht.

Schlussendlich ist das Rechtswerk auch gut für die Herstellung von Transparenz. Die Förderung von Markttransparenz bei der Durchleitung wird gleichen Zugang zu Informationen sichern, die Preisbildung transparenter machen, das Vertrauen in den Markt erhöhen und dabei helfen, Marktmanipulationen zu vermeiden. Bei der Macht der anderen Seite ist der Verdacht auf Manipulation unseres Marktes einfach nicht von der Hand zu weisen.

Die verlangte Transparenz hat sich die EU-Kommission dann verschafft, indem sie ihrem Partner die Polizei ins Haus geschickt und sich Einblick in die verschiedenen Verträge verschafft hat:

„Vertreter der Kommission haben unangemeldete Inspektionen in den Geschäftsräumen von Gesellschaften durchgeführt, die bei Versorgung, Transport und Speicherung von Gas in verschiedenen Mitgliedsstaaten aktiv sind... Die Kommission erhebt den Verdacht, dass ausschließendes Verhalten vorliegt, wie die Abschottung von Märkten, Behinderung des Netzzugangs, Hindernisse gegen die Diversifizierung der Versorgung, ebenso wie mögliches ausbeuterisches Benehmen (exploitative behaviour) wie eine exzessive Preisbildung. Alle solchen Praktiken könnten einen Verstoß gegen die Antitrust-Gesetze der EU darstellen, die den Missbrauch einer marktbeherrschenden Position und beschränkende Handelspraktiken verbieten, bzw. gegen die Artikel 102 und 101 im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union.“ [14]

Die juristischen Vorwürfe der EU reklamieren insbesondere eine „Abschottung der Märkte (Market partitioning)“ durch sogenannte Gebietsschutzklauseln:

„Gazprom wird verdächtigt, den freien Fluss von Gas zwischen den Mitgliedsstaaten durch die Einführung von ‚Gebietsklauseln‘ in seinen Verträgen verhindert zu haben. Solche Klauseln, die einem Käufer untersagen, das von ihm gekaufte Gas an Dritte in anderen Ländern weiterzuverkaufen, haben das Potential, den einheitlichen EU-Markt in verschiedene nationale Untermärkte aufzuteilen (oder abzuschotten)...
Schließlich beschuldigt die Kommission Gazprom, dass es den Kunden unfaire Preise auferlegt, indem es sein Gas auf der Grundlage langfristiger, an den Ölpreis gebundener take-or-pay-Verträge verkauft. Laut Energiekommissar Guenther Oettinger ist russisches Gas in einigen Mitgliedsstaaten bis zu 30 % billiger als in anderen.“ [15]

Der Vorstoß der Kommission richtet sich also gar nicht nur gegen üble russische Geschäftspraktiken, sondern gleichzeitig gegen Konkurrenzinteressen europäischer Energiekonzerne und Regierungen, die ja mit diesen Geschäftssitten bis dahin gut gefahren sind. Die weit verbreitete und auch in anderen Branchen ehrenwerte Praxis, bei der der eine Partner mit dem anderen gegen einen entsprechenden Preis, mit Sonderkonditionen, Rabatten etc. den Ausschluss von Weiterverkauf vereinbart, um sich andere Märkte zu reservieren – diese gewöhnlichen Konkurrenzpraktiken entpuppen sich jetzt anhand der Rechtssetzung der EU als Vergehen. Und zwar als Anschlag auf den Gemeinsamen Markt – auch wenn der da gar nicht gemeinsam bewirtschaftet wird und die einschlägigen Verträge auch gar nicht gegen den Willen der jeweiligen europäischen Geschäftspartner und Staaten zustande gekommen sind, weil die gerade mit den national separierten Märkten ihre Rechnungen machen bzw. sich einen Standortvorteil gesichert haben. Die Meldung von Oettinger ebenso wie die Beschwerde, dass Gazprom die Ukraine, die Balten u.a. mit hohen Preisen terrorisiert, lassen sich ja auch umgekehrt lesen: Gewissen Staaten ist es da offensichtlich gut gelungen, mit dem Gewicht ihres großen nationalen Markts Gazprom zu besonders günstigen Preisen zu bewegen. (Siehe auch den aktuellen Streit um die europäische Energieunion, bei dem die BRD überhaupt nicht begeistert ist über den polnischen Vorschlag, ein Einkaufskartell gegen Russland zu bilden, weil mit einem europäischen Einheitspreis zwar eine Einheit des Binnenmarkts hergestellt, aber ein enormer deutscher Konkurrenzvorteil perdu wäre.)

Mit der Polizeiaktion und entsprechenden Gerichtsverfahren setzt die EU auf der einen Seite ihr neues Rechtswerk in Kraft; allerdings bleibt die Materie daneben immer auch Verhandlungssache.[16] Und bis neulich noch, genauer bis zum Eklat in der Ukraine, galt auch das Projekt South Stream bei der Kommission und ihrem Energiekommisssar Oettinger noch gar nicht definitiv als Bruch europäischen Rechts, sondern durchaus auch als eine bedeutende Versorgungslinie für Europa, nachdem ja das Projekt Nabucco beendet worden und entsprechender Bedarf bei der Belieferung der europäischen Südschiene vorhanden war. Die zuverlässige Versorgung mit russischem Gas will man schließlich nicht verhindern,[17] sondern Russland zur grundsätzlichen Anerkennung zwingen, dass es die EU ist, die in dieser Sphäre die Bedingungen des Geschäfts setzt. Wenn der geschätzte Partner sich dem EU-Recht beugt, die Kosten für den Bau der Infrastruktur trägt, sie dann auch Konkurrenten zur Verfügung stellt und sich die Mengen und Preise von den Launen der Spotmärkte und der Spekulation mit dem Ölpreis diktieren lässt – dann hätte auch Oettinger nichts gegen South Stream einzuwenden.

5.2. Die neueren Anwendungsfälle des Dritten Energiepakets aus aktuellem Anlass: Die EU beschränkt Nord Stream und torpediert South Stream

Der Streit mit Russland um die geplante europäische Aneignung der Ukraine eskaliert.[18] Nach dem Sturz von Janukowitsch und dem Bürgerkrieg im Osten der Ukraine, nachdem die EU realisieren muss, dass sich Russland nicht wie bislang mit der ausgreifenden europäischen Inbesitznahme der Staatenwelt im Osten abfindet, sondern seine Machtmittel gegen die in Kiew etablierte anti-russische Mannschaft in Stellung bringt, wirft sie einen ganz neuen Blick auf die Energiebeziehungen. Ihre bisherige Doppelstrategie, die russischen Ressourcen auszunützen und Russland überhaupt zu einem europäisch besetzten Zukunftsmarkt herzurichten, zu dem Zweck auch die Beziehungen zur dortigen Staatsmacht zu pflegen und gleichzeitig mit ihr um die Subsumtion dieser Beziehungen unter europäisches Recht zu ringen, um die mit dieser Kooperation einhergehende russische Machtentfaltung einzudämmen, wird revidiert: In der festen Absicht, Russland zur Unterwerfung unter die europäische Regelungskompetenz in der Ukraine-Affäre zu zwingen, weil dort gewissermassen die imperialistische Leistungsfähigkeit der EU auf dem Spiel steht, wird die eigene Abhängigkeit von russischer Energie, die immer schon politisch betreut worden ist, jetzt neu definiert, als Angreifbarkeit. Diese Schwäche darf sich Europa nicht leisten. Der ausdrückliche Übergang zur Feindseligkeit gegenüber dem ehemaligen Partner, zu dem zwar immer noch alle Kanäle offen bleiben müssen, aber eben damit er sich in seine Niederlage in der Ukraine schickt, verschafft der Aufgabe, Versorgungssicherheit herzustellen, eine ganz andere Bedeutung: Verlangt ist die Freiheit, imperialistisch herumzufuhrwerken, also die Waffe der Energiebeziehungen, über die Russland verfügt, möglichst unschädlich und wirkungslos zu machen.

Was Russland gegenüber immer wieder als Anklage vorgebracht wird, Energie als politische Waffe zu missbrauchen und damit gegen die Idylle freier Märkte zu verstoßen, ist ein Instrumentarium, das Europa ebensogut beherrscht – aber natürlich mit den allerbesten Gründen. Im April 2015 schickt die Kommission Gazprom die förmliche Anklageschrift mit den oben genannten Vorwürfen, die darauf hinauslaufen, dass es seine beherrschende Marktposition bei der Gasversorgung in einem Teil der EU missbraucht.[19] Zudem bringt sie ihre Genehmigungshoheit als politische Waffe im Kampf um die Ukraine zum Einsatz: Seit längerem verhandelt Russland mit der Kommission um die Genehmigung, die OPAL-Pipeline, eine Verlängerung von Nord Stream auf dem Landweg, statt der bisher genehmigten 50 % vollständig auszulasten.

„Im März hatte die EU-Kommission die Ausnahmeregelung eigentlich genehmigen sollen, sie dann aber verschoben. Gewertet wurde das als Antwort der EU auf Russlands Ambitionen auf der Krim.“ (Wallstreet Journal, 15.9.14)

Wenn Russland alles daran setzt, seinen Interessen an der Ukraine mit seinen Konditionen der Energielieferungen Beachtung zu verschaffen, dann sorgt Europa dafür, die russischen Anstrengungen, bei den Lieferungen an Europa die Ukraine zu umgehen, soweit es irgend geht, zunichte zu machen. Auch die direkte Schädigung Russlands, indem die nördliche Infrastruktur durch mangelnde Auslastung zum Verlustgeschäft gemacht wird, ist beabsichtigt.

„OPAL stellt im Grunde genommen eine Fortsetzung der Ostsee-Pipeline Nord Stream dar und verbindet diese mit dem europäischen Gastransportnetz. Wegen der Einschränkung der EU-Kommission kann Nord Stream immer noch nicht mit voller Leistung betrieben werden.“ [20]

Und allen am Projekt South Stream interessierten Staaten auf dem Balkan, dazu noch Ungarn, Österreich und auch Italien wird aus Brüssel beschieden, dass das Projekt jetzt wegen Verstößen gegen das Dritte Energiepaket gestoppt wird.

„Früher hat die EU im Einzelfall beim dritten Energiepaket Ausnahmen gemacht. Warum jetzt nicht?
Aus zwei Gründen: Zum einen will man nicht die Ukraine geschädigt sehen. Denn strategisches Ziel Russlands mit South Stream ist ja, die Ukraine endgültig mit Nord und South Stream als Transitland zu umgehen. Der zweite Grund sind die aktuellen Verhärtungen zwischen Moskau und Brüssel.“ (DW, 3.12.14)

In der Eskalation der Auseinandersetzung mit Russland setzt sich das Subjekt Europa, in dem Fall die Führungsnationen gemeinsam mit der Brüsseler Kommission, entschlossen über die Entscheidungen einzelner Länder Europas hinweg, die als Mitglieder abweichende Interessen im Umgang mit Russland verfolgen und im Interesse ihrer nationalen Energieversorgung das Projekt South Stream hartnäckig verfolgt haben. Gefragt ist jetzt Unterordnung unter das Euro-Programm, Russland zuzusetzen, und das nicht nur von den Mitgliedsstaaten, sondern gleich auch noch vom nur assoziierten Partner Serbien und den anderen Beitrittskandidaten auf dem Balkan.

Unmittelbar beschädigt werden die Interessen Italiens, das der Pipeline immerhin strategische Bedeutung für seine durch die Verwandlung Libyens in einen Bürgerkriegsschauplatz gefährdete Energieversorgung und seine Ambitionen, sich als südeuropäischer Energie-Hub zu etablieren, zugemessen hat; dessen Energiechampion ENI darf mit dem Ende von South Stream etliche ins Projekt investierte Milliarden abschreiben; Österreich kann sich sein Vorhaben, seine Rolle als europäische Drehscheibe für Gas aus Russland auszubauen, abschminken; Bulgarien, Serbien, Griechenland, Ungarn, Slowenien, Kroatien haben fest mit der neuen Versorgungsquelle und den Einnahmen aus dem Transitgeschäft gerechnet; Bulgarien, das anerkannt ärmste Land der EU, insbesondere mit der Perspektive, sich mit dem Terminal an der Schwarzmeerküste eine maßgebliche Einnahmequelle zu verschaffen und damit die Absicherung des eigenen Energiebedarfs (90-prozentige Abhängigkeit von Russlands Gaslieferungen) zu erreichen. Alle diese Länder haben sich zwischen 2008 und 2010 mit Russland über eine Zusammenarbeit geeinigt. Lokale Energiefirmen, Netzbetreiber, staatliche Energieversorger sind jeweils bis zu 50 % in das Projekt eingestiegen, haben Verträge und Investmentvereinbarungen geschlossen und Bauprojekte in Gang gesetzt. Angesichts der gekippten Verträge stehen nun zudem russische Entschädigungsforderungen im Raum.

Die Zumutungen, die der Zwang zum Ausstieg aus einem national überaus vorteilhaften Großprojekt für die südöstlichen Mitglieder Europas faktisch bedeutet, haben aber gefälligst als Preis für die Zugehörigkeit zu diesem erlesenen Bündnis entrichtet zu werden. Da kommt besonders Bulgarien ins Blickfeld, das sich wegen Armut als besonders anfällig für russische Verlockungen erwiesen hat. Erst erhält die Regierung in Sofia Post von der Kommission mit dem Vorwurf weitestgehender Verstöße gegen EU-Richtlinien.[21] Dazu kommen dann weitere Entscheidungshilfen: Die EU sperrt Bulgarien zugesagte Gelder; in Sofia bricht eine Bankenkrise aus, zufälligerweise trifft eine Cyber-Attacke eine Bank mit einem russischen Anteilseigner, der einerseits in das Projekt South Stream involviert ist und andererseits auf der amerikanischen Sanktionsliste steht. Nach einigen weiteren amerikanischen Pressionen kommt dann ein Regierungswechsel zustande und neues Personal an die Macht, das die nötige Einsicht in das Notwendige aufbringt.

6. Europa sichert die Versorgungssicherheit seines neuen Besitzstands Ukraine, beschließt den Aufbau einer Energie-Union, den weiteren Ausbau der EU zu einem einheitlichen Wirtschaftsblock und ruft nach mehr politischer „Kohärenz“: mehr imperialistischer Einheit gegen Russland

2014 ist der Streit um die Ukraine voll entfacht, und das Thema Energiesicherheit hat Hochkonjunktur:

„Das Europäische Parlament... vertritt die Auffassung, dass die Erdgasfernleitung ‚South Stream‘ nicht gebaut werden sollte und andere Versorgungsquellen erschlossen werden sollten; ... ist überzeugt, dass die Ukraine gestärkt auf politischen und wirtschaftlichen Druck reagieren kann, wenn die EU die Ukraine durch die Sicherstellung der Versorgung mit Erdgas entgegen der Hauptflussrichtung, durch eine weitere Diversifizierung, durch die Förderung von mehr Energieeffizienz und durch die Errichtung von leistungsfähigen Verbindungsleitungen zwischen der Ukraine und der EU unterstützt; ... weist in diesem Zusammenhang erneut auf die strategische Rolle der Energiegemeinschaft hin, deren Vorsitz im Jahr 2014 die Ukraine innehat...“ [22]

Die EU setzt gegen Russland, das im Streit mit der Ukraine um Preise und Schuldenbegleichung die Belieferung der Ukraine einstellt, alle Hebel in Bewegung, die Erpressung gegenstandslos zu machen: Mit Hilfe des sogenannten reverse-flow-Verfahrens lässt man russisches Gas via Polen und Slowakei als Ersatz in die Ukraine fließen, und der deutsche Konzern RWE zeigt sich hilfsbereit, indem er eigentlich für Deutschland bestimmtes Russengas noch in der Ukraine dem neuen Assoziationspartner zur Verfügung stellt.

Um den unerträglichen russischen Einfluss auf den neuen europäischen Besitzstand unwirksam zu machen, zeigt das Bündnis auch den nötigen Wagemut und nimmt das Risiko der ungenügenden Auffüllung der europäischen und ukrainischen Gasspeicher – u.a. auch eine technische Bedingung, um den nötigen Druck in den Leitungen zu garantieren – in Kauf. Zwischenzeitlich warnen Experten vor möglichen Versorgungsunterbrechungen, aber der verhältnismäßig milde Winter gemeinsam mit den von der EU beaufsichtigten Verhandlungen zwischen Ukraine und Russland samt russischer Nachgiebigkeit, die zur Wiederaufnahme der Belieferung führen, sorgen dafür, dass die Sache noch einmal gut gegangen ist.

Der europäische Bedarf an Versorgungssicherheit wächst in dem Streit allerdings über die aktuelle Absicherung der Ukraine um einiges hinaus.

„Das Europäische Parlament... hält es für dringend geboten, eine wirkungsvolle gemeinsame Energiesicherheitspolitik zu betreiben, eine Energieunion zu schaffen, die darauf abzielt, die Abhängigkeit der EU von Erdöl und Erdgas aus Russland zu verringern und dabei die Energieversorgungsquellen zu diversifizieren, das Dritte Energiepaket vollständig umzusetzen und sich in die Lage zu versetzen, Erdgaseinfuhren, falls notwendig, auszusetzen“. (Ebd.)

Mit dem entsprechenden Kampfgeist beseelt meldet die Kommission auch einen erhöhten Bedarf an Kontrolle an und beantragt:

„Diese Debatte sollte sich mit der Kontrolle strategischer Infrastrukturen durch außerhalb der EU ansässige Rechtspersonen, insbesondere durch staatseigene Unternehmen, Nationalbanken oder Staatsfonds wichtiger Lieferländer, befassen, die darauf abzielen, den EU-Energiemarkt zu durchdringen, und nicht das Ziel verfolgen, die Netze und Infrastrukturen in der EU auszubauen.“ [23]

Ein interessanter Unterschied von durchdringen und ausbauen: Festmachen lässt sich der gewiss nicht an der Machart der Infrastruktur; das Unterscheidungsvermögen der Kommission zielt ganz auf den Eigentümer und die Frage, wie sich Europa gegen den aufzustellen gedenkt. In dieser Optik sind die russischen Energielieferungen und Kapitalniederlassungen in Europa nichts als Instrumente zur feindseligen Unterwanderung des EU-Markts, und der Europäische Rat beschließt die unverzügliche Umsetzung einer Reihe vordringlicher Maßnahmen zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit Europas und zur Erhöhung seiner Energieversorgungssicherheit.[24] Das Bündnis braucht Widerstandsfähigkeit, um die russische Drohung mit der Einstellung von Lieferungen unwirksam und damit die eigenen Erpressungsmittel gegen Russland schlagkräftig zu machen; Europa beschließt, sich zu einer Energieunion umzubilden.

Der Beschluss setzt ein Stück Ausbau des Euro-Imperialismus nach innen auf die Tagesordnung. Mit Polen, dem Vorreiter dieser Idee, beantragt ein bis gestern untergeordneter Mitmacher der Union ein Stück Vergemeinschaftung der ökonomischen Macht – im Dienst an seinen nationalen Interessen, die es in Kombination mit einer strategischen Sonderbeziehung zu den USA zum entschiedensten Vertreter einer neuen antirussischen Linie Europas hat werden lassen. Und es hat damit Erfolg.

Geplant sind weitere Anstrengungen zur Diversifizierung, weitere Vorkehrungen zur Umkehr des Energieflusses im Netz sowie der systematische Zusammenschluss der nationalen Netze, damit Russland in Zukunft keinen Druck auf einzelne osteuropäische Länder mehr ausüben kann, die ganz auf russische Lieferungen angewiesen sind. Die Kommission denkt gründlich vorwärts, will den Ausbau grenzüberschreitender Leitungen fördern und die Staaten zur stärkeren Öffnung ihrer Märkte zwingen (FAZ, 26.2.15). Was dabei weniger zur Sprache kommt, ist die Geldfrage. So weit geht die Gemeinsamkeit ja schließlich nicht, dass Europa seinen minderbemittelten Mitgliedern im Osten eine sichere Energieversorung spendieren würde; die müssen dann schon ihre nationalen Haushalte und die Bevölkerung mit den entsprechenden Preisen traktieren, um sich eine dem jeweiligen Grad an Russenfeindschaft entsprechende Infrastruktur hinzustellen.[25]

Zusätzlich beantragt die Kommission ein Stück Kontrollmacht über den Abschluss nationaler Verträge.

„EU-Kommission will bei Gasverträgen mitreden, ... das soll in eingeschränktem Rahmen auch für die kommerziellen Verträge zwischen den europäischen Energieunternehmen und ihren Lieferanten aus Drittstaaten gelten... Dass die kommerziellen Verträge Geschäftsgeheimnisse enthalten, ist nach Ansicht des Slowaken kein Argument gegen mehr Transparenz“. (FAZ, 26.2.15)

Der Geist der Zeit verlangt es einfach, dass die Kommission den EU-Mitgliedern die kleinlichen Konkurrenzberechnungen austreibt, auch in der Abteilung Einkauf: „Auch an der Idee, den Gaseinkauf einzelner EU-Staaten zu bündeln, um deren Verhandlungsmacht gegenüber Ländern wie Russland zu stärken, hält die Kommission fest...“(ebd.). [26]

Das Exekutivorgan des Bündnisses ist fest entschlossen, den bornierten Nationalismus seiner Subjekte in dieser Sphäre zu beenden:

„Allzu häufig werden jedoch Fragen der Energieversorgungssicherheit nur auf nationaler Ebene behandelt, ohne die gegenseitige Abhängigkeit der Mitgliedstaaten in vollem Umfang zu berücksichtigen. Der Schlüssel zu einer besseren Energieversorgungssicherheit liegt erstens in einer gemeinsamen Vorgehensweise in Form eines funktionierenden Binnenmarkts und in einer stärkeren Zusammenarbeit auf regionaler und europäischer Ebene, insbesondere um die Entwicklungen bei den Netzen zu koordinieren und die Märkte zu öffnen, und zweitens in einem kohärenteren auswärtigen Handeln. Dazu gehört, dass mithilfe der Erweiterungsinstrumente dafür gesorgt wird, dass diese Leitprinzipien von den Kandidatenländern und potenziellen Kandidatenländern beachtet werden.“ [27])

Im Umgang mit Russland ist mehr Kohärenz der Union dringend angesagt, soviel hat die Ukraine-Krise Europa gelehrt. Zur Herstellung strategischer Wucht heisst es, auf nationale Konkurrenzmittel verzichten und wieder ein Stück Souveränität an Brüssel abtreten.

*

Wo das Bündnis die Energiefrage im Verhältnis zu Russland schon so weit zur Kampffront erklärt hat, dass die Herstellung einer inneren Einheitsfront geboten ist, um in dieser Auseinandersetzung zu bestehen, lässt sich eine Fachfrau von der Stiftung für Wissenschaft und Politik, einem Think Tank der Bundesregierung, noch ganz anders inspirieren und spekuliert schon hocherfreut auf heilsame Wirkungen der Ukraine-Krise für den erwünschten Fortschritt der EU in fundamentaler Hinsicht: Ukraine-Krise könnte Katalysator für mehr Integration sein. [28] Sie identifiziert schlechte Europäer: Andere Staaten sehen in Russland vor allem einen Handelspartner und wichtigen Rohstofflieferanten. Die torpedieren nämlich die GASP: So gibt es bestenfalls punktuelle Kooperationen, eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, die diesen Namen verdient, gibt es nicht. Das mag in friedlichen Zeiten reichen. In Krisenzeiten aber ist es zu wenig. Aber sie setzt auf die neue Außenbeauftragte der Union und deren Absichtserklärung, „verstärkt auf Mehrheitsentscheidungen in der GASP setzen zu wollen... Mit Blick auf das Verhältnis zu Russland würde sich die Anwendung dieser Instrumente bei der Energieaußenpolitik und der Sanktionspolitik anbieten: Mit einer vergemeinschafteten Energieaußenpolitik, in deren Rahmen die EU-Kommission das Verhandlungsmandat gegenüber Russland bekäme, würde den russischen Versuchen, die Mitgliedstaaten gegeneinander auszuspielen, ein Riegel vorgeschoben. Die Vergemeinschaftung der Sanktionspolitik der EU liegt ebenfalls auf der Hand. Bisher hat der Rat der EU im Rahmen der GASP in aller Regel einstimmig über Sanktionen beschlossen.

Wenn es demnächst aber um die Verschärfung der Sanktionen geht, dürfte eine Einigung angesichts der disparaten Interessenlagen schwieriger oder sogar unmöglich sein. Eine vergemeinschaftete Sanktionspolitik könnte Alleingänge vermeiden. Gerade wegen der disparaten Interessenlagen ist die Bereitschaft zur Vergemeinschaftung aber derzeit nicht bei allen 28 Mitgliedstaaten vorhanden.“

Da besteht also dringender Handlungsbedarf, um das lästige institutionelle Hindernis aus dem Weg zu räumen. Wenn es an Bereitschaft zur Vergemeinschaftung mangelt, dann muss eine Führung her, die das Nötige mit der Brechstange durchsetzt, d.h. natürlich voranschreitet:

„Stattdessen sollte eine kleinere Gruppe integrationswilliger Staaten voranschreiten. In der Ukrainekrise sind es bisher Deutschland und Frankreich, die führen. Nun sollten sie versuchen, auch Polen und bestenfalls Großbritannien mit ins Boot zu holen, um ein Kerneuropa zu formieren, das Europa stabilisiert. Zur kollektiven Führung gehört es auch zu verhindern, dass sich einzelne Staaten im Europäischen Rat als verlängerter Arm Russlands gerieren, ohne dass dies zu politischen Konsequenzen führt.“

Die Ukrainekrise animiert die Politikberaterin zu ein paar ehrlichen Auskünften über die Qualität des so überaus friedlichen Bündnisses und seines harmonischen Zusammenwachsens: Hegemonie ist dringend nötig, das Ausmerzen abweichender Interessen, statt dem enervierenden Geschacher, weil einige immer noch meinen, machen zu können, was ihnen nutzt und frommt. Und als nützlicher Sachzwang, der die Unterordnung der widerstrebenden Partner erzwingen soll, dient die Konfrontation mit Russland, seine Deklaration zum Gegner, ein hoffnungsvoller Blick auf den Fall Ukraine, ungefähr so vielversprechend wie damals Bismarcks Einigungskriege.

7. Ausbau des Euro-Imperialismus nach außen

Der Streit mit Russland schafft neue imperialistische Sachzwänge. Da gibt es viel zu tun, angefangen von der Türkei bis zu Zentralasien; nach dem Scheitern von Nabucco macht die EU einen erneuten Anlauf zum Zugriff auf den Südkaukasus und Zentralasien

„‚Die EU wird all ihre außenpolitischen Instrumente nutzen, um strategische Energiepartnerschaften mit Produktions- und Transitländern zu schaffen‘, heißt es im aktuellen Entwurf zur Energieunion. Dazu zählen namentlich Algerien und die Türkei, Aserbaidschan und Turkmenistan, der Nahe Osten und einige afrikanische Länder. Zusätzlich sollen Partnerschaften mit Norwegen, den USA und Kanada intensiviert werden...
Entsprechend versucht die EU nun ihre Energiequellen zu diversifizieren – auch wenn manche der erwähnten strategischen Energiepartner durchaus umstritten sind. Turkmenistan etwa besitzt zwar eines der weltgrößten Gasvorkommen; der Ex-Sowjet-Staat ist aber auch eine Diktatur und zählt laut Transparency International zu den zehn korruptesten Nationen der Erde. Aserbaidschan belegt in einer Rangliste der Organisation Reporter ohne Grenzen zum Thema Pressefreiheit Platz 162 von 180.“ (Spiegel online, 22.2.15)

Den alten Partner hat sich Europa zum Gegner gemacht, dann müssen eben vermehrt andere Partner herangezogen werden. Und mit dem Beschluss, dass unser Gas und Öl in Zukunft vermehrt aus anderen Ländern zu fließen hat, dass einige unserer Energiequellen jetzt dort liegen, steht auch schon deren Herrschaft unter Beschuss. Die einschränkende Floskel des „Spiegel“ – auch wenn durchaus umstritten – bedeutet in der Sache ja keine Zurückhaltung gegenüber derart anrüchigen Lieferanten, sondern ganz umgekehrt den Auftrag, sich die Herrschaften zurechtzubiegen. Vom Öl und Gas bruchlos zur Menschenrechtswaffe vorwärts gedacht, das ist das passende öffentliche Problembewusstsein zur aktuellen Bedeutung von Versorgungssicherheit.

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Dazu haben es die europäisch-russischen Beziehungen mittlerweile gebracht: Der europäische Anspruch, sich den Partner für den eigenen Bedarf zurechtzumachen und unterzuordnen, und die Erfolge des europäischen Staatenbündnisses, ihm sein staatliches Umfeld streitig zu machen, sind so weit vorangekommen, dass sich der eingerichtete Geschäftsverkehr auf dem Energiesektor für die EU in mehrfacher Weise als fatal herausstellt: Erstens begreift man in den europäischen Hauptstädten die zuverlässige Belieferung durch Russland mit aller Infrastruktur, die leitungsgebundene Energie nun einmal braucht, als einseitige Anbindung an Russland, und identifiziert die damit einhergehende Abhängigkeit mit der Erpressbarkeit Europas mit diesem wichtigen Stoff. Zweitens sind die enormen Summen, die Europa Russland für seine Brennstoffe bezahlt, der Beitrag zu seinem Haushalt, folglich Mittel seiner viel zu großen Machtentfaltung. Drittens verleiht der Geschäftsverkehr den Russen auch noch eine gewisse Macht über andere Staaten, die ihnen unbedingt genommen werden muss.

Aus diesem Leiden an einem viel zu mächtigen Gegenüber zieht der europäische Imperialismus seine Schlüsse: Es gilt, diese russischen Machtquellen zu entwerten, dem Staat auf dem für ihn elementar wichtigen Feld Energie Schäden zuzufügen, die Einflusszone Russlands in der GUS nach Kräften zu zerstören, in einem Ausmaß, das den Partner von gestern zur Unterordnung unter die Machtansprüche der EU nötigen soll.

Russland kämpft um seine Etablierung und Behauptung als Energiemacht

1. Die Rolle des Geschäfts mit der Energie für den Status der Nation

Die Energieallianz mit der EU ist von der russischen Seite darauf berechnet, sich einen respektierten Status als mit entscheidende Nation in der Weltordnung zu verschaffen. Dass sich Russland seit dem Zerfall der Sowjetunion immer stärker als Energiemacht definiert,[29] umschreibt allerdings das kapitalistische Defizit dieser Art von Macht; sie gebietet nicht über das komplette Inventar der ökonomischen Waffen, um in der Weltmarktkonkurrenz bestimmend auftreten, mit einer eigenen Kapitalakkumulation, Kapitalexport und Kredit andere Staaten auf Respekt und Freundschaft verbindlich verpflichten zu können. Neben dem verbliebenen, aber kaum konkurrenzfähigen Industrieapparat aus sowjetischen Zeiten verfügt es allein über nach wie vor attraktive Rüstungsprodukte und eben enorm vielfältige und reichhaltige Rohstoffvorkommen. Deren Export steht daher unter dem staatlichen Auftrag, die Mittel zu beschaffen, sich aus dem Status eines Rohstoffexporteurs, dessen Erfolge ganz von den Launen der Nachfrage abhängen, zu befreien. Zu dem Zweck setzt die russische Führung seit Putin auf den systematischen Ausbau der Energiebeziehungen zu Europa, um daraus erstens wachsende Erträge zu erwirtschaften, sich mit denen zweitens im erweiterten Geschäftsbereich in Europa – bis hin zum Vertrieb – einzukaufen, also an der dortigen Kapitalakkumulation zu partizipieren und sich darüber drittens die Mittel für die sogenannte „Modernisierung“ der eigenen Industrie zu beschaffen, vom Technologieimport bis zur Kreditierung von Joint Ventures mit Auslandskapital und Anreizen für weiteren westlichen Kapitalimport. Um sich mit seinem Gasreichtum eine gesicherte Machtposition auf dem Weltmarkt zu verschaffen, fasst Russland zeitweilig auch die Gründung eines Lieferanten-kartells ins Auge, aus dem allerdings dank des Widerstands von Norwegen und Katar, die ihre Beziehungen zur EU höher gewertet haben als das Bündeln mit Russland, nicht viel geworden ist.[30]

Das Energiegeschäft ist jedenfalls die Grundlage, mit der Putins nationale Strategie steht und fällt; im Zusammenschluss mit dem europäischen Markt, den er sich vorgenommen hatte und von dem ja auch vieles zustandegekommen ist, besteht aber gleichzeitig die Verwundbarkeit dieser Strategie, auf die mittlerweile sowohl die USA wie Europa offensiv setzen, um den strategischen Rivalen entscheidend zu schwächen. Das Defizit der Energiemacht ist auch den politologischen Experten nicht verborgen geblieben: „Gelegenheit und Abhängigkeit liegen in Gestalt der Leitungsnetze und des europäischen Bedarfs objektiv vor.“ [31]

Die Sache mit der Abhängigkeit gilt eben, wie das bei Tauschgeschäften so ist, nicht nur für die eine, die europäische Seite, sondern für beide, und hat sich auch für Russland im Verlauf der Energiepartnerschaft als Konfliktstoff, nämlich als politisches Material für die divergierenden und gegensätzlichen Interessen all der Souveräne herausgestellt, die als Abnehmer und Transitländer an diesem Geschäft beteiligt sind.

2. Die guten russischen Gründe für Nord und South Stream: Die Transitstaaten, von Russland als Nahes Ausland und euro-asiatischer Wirtschaftsraum beansprucht – von der EU als Assoziierungspartner

Für seine strategische Kalkulation der Herstellung von Energiemacht nimmt Russland sein Nahes Ausland, die zur Gemeinschaft der Unabhängigen Staaten emanzipierten früheren Teilrepubliken der Sowjetunion in Anspruch: Es betreibt das System der von der Sowjetunion geerbten Zuliefer- und Transportlinien weiter, setzt sich darüber auch weiterhin als bestimmender Faktor für deren Energieversorgung und -geschäft in Szene, nutzt diese Abhängigkeiten wiederum als Instrument der Einflussnahme auf diese ansonsten ziemlich mittellosen Staatsgeschöpfe, um sich da – nach dem großen Vorbild der EU – auch einen erweiterten Wirtschaftsraum zu schaffen. Und damit gerät es erstens mit den entgegengesetzten Ordnungsvorstellungen der USA aneinander, die sich als Sachwalter einer ganz echten Unabhängigkeit gegen alle ererbten Bindungen dieser Staatenwelt an Russland in diesem Raum betätigen. Und zweitens tritt es damit in Konkurrenz zu den Europäern und deren Erweiterungsstrategien, die mit ihren ersten Osterweiterungen noch lange nicht saturiert sind, in erster Linie sämtliche Anrainer an den russischen West- und Südgrenzen mit ihrer Nachbarschaftspolitik anwerben, aber auch in Zentralasien Fuß zu fassen bestrebt sind.

Die neuen, aus der Aufspaltung der Union hervorgegangenen Unabhängigen widmen sich mit ihren freigesetzten nationalen Ambitionen den Erfordernissen einer Staatsgründung, die aber wesentlich an den Wirkungen der Aufspaltung und der Notlage der Einführung eines Kapitalismus ohne Kapital leiden. Mit ihrer daraus begründeten elementaren Bedürftigkeit und Unzufriedenheit eignen sie sich gut zum Material für die west-östliche Konkurrenz um die Beschlagnahme dieser Staatengegend. In erster Linie hat sich da die Ukraine mit ihrer überragenden Bedeutung für den russischen Gastransport im Besonderen[32] und das russische Konzept einer euro-asiatischen Wirtschaftsgemeinschaft im Allgemeinen als Streitobjekt für die Eskalation im west-östlichen Verhältnis bewährt.

Spiegelbildlich zum europäischen Gesichtspunkt der Versorgungssicherheit begründet auch der russische Anspruch auf einen zuverlässigen geschäftsdienlichen Verkehr mit den Transitländern den weiter reichenden Anspruch auf ein kooperatives politisches Verhältnis, eine möglichst fest verankerte und vertraglich fixierte Verpflichtung der zuständigen Souveräne auf die jeweiligen Dienstleistungen im Rahmen der russischen Strategie. Umgekehrt operieren die neuen Staatssubjekte jetzt aber mit ihrer Macht über ein Teilstück der ererbten gemeinschaftlichen Infrastruktur als nationales Eigentum, das sowohl als maßgebliche Einkommensquelle als auch als politischer Hebel für Erpressungsgeschäfte zum Einsatz kommt. Das sowjetische Röhrennetz samt Speichern und Verdichtungsstationen – für sich genommen bloß eine zweckmäßige Infrastruktur für den Transport von Öl und Gas – gerät unter dieser Zweckbestimmung zum Kristallisationspunkt für eine eskalierende Staatenfeindschaft. Dass sich aus russischer Sicht mit der Auflösung der Sowjetunion simple Transportangelegenheiten in Transitfragen wandelten,[33] ist eben keine bloße Sicht, sondern eine ziemlich objektive, durch die segensreiche Auflösung der Sowjetunion in unabhängige, nunmehr kapitalistisch rechnende Staatsgebilde bedingte Tatsache. Die genannten Transitfragen spielen seitdem vor allem im Verkehr zwischen Russland und der Ukraine eine mustergültige Rolle für zwischenstaatliche Händel, die die westliche Seite als Hebel benützt, um sich ihre Zuständigkeit über die Ukraine gegen Russland zu erobern.

Gekippt wird der bis dahin einigermaßen geregelte Verkehr zwischen Russland und der Ukraine durch die orange Revolution, in der mit Hilfe westlich organisierter NGOs, dem ersten Auflauf auf dem Maidan und einer tatkräftigen europäisch-amerikanischen Diplomatie ein vorgesehener russlandfreundlicher Regierungswechsel verhindert und eine entschieden antirussische Mannschaft an die Macht gebracht wird.

Damit ist der Streit um sämtliche Bedingungen des Energiegeschäfts zwischen den beiden Ländern und mit der EU in der Welt: Russland berechnet der Ukraine den Preis der neuen Freiheit, kündigt die quasisowjetischen Preise, beendet mit der Preisdifferenz eine für die Ukraine bedeutende Geschäftsgelegenheit,[34] um die neue Führung nachdrücklich auf ihre Abhängigkeit zu verweisen und zu einem einvernehmlichen Umgang zu zwingen. Im Streit um die Preise, die die Ukraine nicht bereit ist zu zahlen, stoppt Russland 2006 die Gaslieferung. In den folgenden Jahren versucht es, die wachsende Verschuldung der Ukraine auszunützen, bringt ganz nach den Regeln der Marktwirtschaft seine Gläubigerrechte in Anschlag und verlangt die Begleichung der Schulden durch die Übereignung der Transportnetze. Dazu dient auch der Hinweis auf die Kapitalnot der Ukraine, die nicht einmal dazu in der Lage ist, die nötige Instandhaltung der Netze zu garantieren – so dass zwischenzeitlich auch einmal von deutscher und russischer Seite gemeinsam der Vorschlag einer aus den drei Staaten gemeinsam gebildeten Betreibergesellschaft ins Gespräch gebracht wird, um das Funktionieren der Verbindungen zu garantieren. Das alles scheitert aber an der von Amerika gedeckten antirussischen Linie der Ukraine, die sich das unveräußerliche nationale Eigentum an der gesamten Infrastruktur in ihre Verfassung schreibt. (Heute, wo die Ukraine endlich ihre Souveränität wiedergewonnen hat, ist trotz heftiger Erregung im ukrainischen Parlament das Recht auf die Veräußerung des unveräußerlichen Eigentums zu haargenau 49 % durchgedrückt worden). Der Streit um Preise und die Nichtzahlung der aufgelaufenen Schulden geht unverdrossen weiter, Anfang 2009 stellt Russland wiederum die für die Ukraine bestimmten Lieferungen ein. Die bedient sich dann an den für Europa bestimmten Kontingenten, woraufhin Russland auch diese Lieferungen stoppt – um die EU unter Druck zu setzen, damit die ihren Schützling Ukraine zum Einlenken nötigt. Hinter den Kulissen findet das auch irgendwie statt, damit sich die Ukraine wieder als Transitland aufführt und Europa sein Gas bekommt. Insgesamt läuft Russland damit aber am Standpunkt der EU auf, die auf ihrem Zugriffsrecht auf eine unabhängige Ukraine besteht. Es handelt sich damit nur die imperialistische Replik der EU ein, die sich in der offiziellen Diplomatie unbeirrt hinter die Ukraine stellt und die Schuld am gestörten Verkehr ausschließlich Russland zuschreibt. Europa definiert mit entschiedener Einseitigkeit gegenüber der Faktenlage Russland als den Risikofaktor für „unser“ Gas, es versteht nämlich den russischen Versuch, Europa zu nötigen, als unverschämte Anmaßung und Herausforderung zu der Auseinandersetzung, wer die entscheidende Macht über die sogenannte Energiepartnerschaft geltend machen kann.

Aufgrund dieser erfreulichen Begleiterscheinungen, die die Einführung des allein seligmachenden Systems von Marktwirtschaft & Demokratie im Osten mit sich bringt, hat sich Russland, nicht erst seit der bunten Revolution in der Ukraine, danach aber mit aller Entschiedenheit auf die Strategie verlegt, die Transitländer mit neuen Transportlinien zu umgehen.[35] In der Absicht, denen damit das Erpressungsmittel weitgehend aus der Hand zu schlagen und sie mit dem Verlust des Transitgeschäfts zu bestrafen, sich selbst die ökonomischen und vor allem politischen Kosten, die mit diesen Transportwegen verknüpft sind, zu ersparen, hat Russland keine Kosten gescheut, erst die Verbindung über die Ostsee und dann das Gegenstück dazu, South Stream zu bauen. Das erste Projekt hat es zustande gebracht, allerdings auch nur aufgrund der handfesten Unterstützung durch die BRD, die sich gegen den erbitterten Widerstand der skandinavischen Länder und deren Schützlinge, den Transitländern Polen und im Baltikum – im Hintergrund immer die USA –, gegen deren Rechtseinsprüche mit sämtlichen denkbaren ökologischen, sicherheitspolitischen und sonstigen Argumenten durchgesetzt hat.

Der zweite Grund für das Projekt South Stream ergibt sich aus der unmittelbaren Konkurrenz mit der EU, die sich ihrerseits um Versorgungslinien bemüht, die Russland umgehen und damit seine Machtposition als Energielieferant erschüttern sollen: Die Ausschaltung von Nabucco wird betrieben um so ziemlich jeden Preis.

Russland nimmt die Konkurrenz auf und konzipiert South Stream, das mit dem wesentlich kürzeren Transportweg Kosten und der direkten Verbindung per Schwarzmeer nach Europa Durchleitungsgebühren erspart, auch um damit Einfluss auf die Rentabilitätsberechnung der Kapitalgesellschaften zu nehmen, die sich in europäischem Auftrag für Nabucco engagieren sollen. Zugleich damit ist die Absicherung von russischem Geschäft und Einfluss in den neuen Transitländern auf dem Balkan und bei den weiteren Abnehmern geplant. Gegen die Vorbehalte, die maßgeblich von amerikanischer Seite, aber auch zunehmend in der EU gegen Russland ins Spiel gebracht werden, ist man bemüht, sich in der EU Parteigänger zu schaffen, auch auf dem Weg, den großen europäischen Konzernen eine Beteiligung am absehbaren Geschäft zu bieten. Das ist zwar gelungen, hat aber letztendlich gegen den Einspruch der EU-Kommission nichts genützt.

3. Die Kündigung von South Stream

Angesichts der europäischen Intransigenz und der amerikanischen Erpressung der interessierten Länder erklärt Putin, dass Russland kapituliert, und berichtet von dem Hindernisrennen, das die Kommission dem Projekt aufgezwungen hat:

„Das waren nicht wir, die es abgelehnt haben, das Projekt fortzusetzen, sondern andere, die uns daran gehindert haben... Im letzten April hat das Europäische Parlament entschieden, dass das Projekt South Stream nicht nur nicht lohnend wäre, sondern der EU sogar schadet, und dann hat die Kommission Bulgarien einen Brief geschrieben und verlangt, dass sie alle vorbereitenden Arbeiten einstellen.
Auch für die Arbeiten unter dem Meer mussten wir einen Antrag bei einem holländischen Regulator stellen, weil South Stream aus Gründen der Steueroptimierung als internationale Gesellschaft in den Niederlanden registriert ist. Der niederländische Regulator hat uns, wie ich zugeben muss, überrascht, und seine Genehmigung erteilt, wenn auch mit einer Verzögerung von vier Monaten. In Übereinstimmung mit dem Bauvertrag sollte eine italienische Gesellschaft, eine Tochtergesellschaft der ENI, sofort mit der Arbeit unter dem Meer beginnen. Aber wie konnten wir der Gesellschaft grünes Licht zum Start der Arbeiten geben ohne die Erlaubnis, auf bulgarischem Territorium anzukommen? Es war eine rundum absurde Situation. Wir mussten schließlich das ganze Projekt aufgeben. Das waren nicht wir, die entschieden haben, es aufzugeben, sondern andere, die uns keine Chance gegeben haben, es auszuführen...
Schließlich könnte die Kommission heute ablehnen, morgen zustimmen und am nächsten Tag schon wieder alles zurücknehmen. Wir bestehen daher auf ernsthafter, langfristiger Partnerschaft, so wie wir sie viele Jahre lang unterhalten haben. Russland war immer ein äußerst zuverlässiger Partner und wird das auch in Zukunft sein.“ [36]

Russland kapituliert auch vor der Wirkung des sinkenden Ölpreises, für die die USA einiges unternommen haben, dazu kommt die Kreditklemme dank der westlichen Sanktionen. Das Projekt war zwar immer auch politisch und insofern nicht allein nach Rentabilitätskriterien kalkuliert, jetzt stellt es aber nur noch die Kombination von durch die gesamten Verzögerungen bereits eingetretenen Verlusten und einer unabsehbaren Ansammlung von Risiken dar.

Der Hauptvorwurf richtet sich allerdings gegen den ehemaligen Partner: Der ist alles andere als zuverlässig und vertragstreu, was immer noch eine sehr höfliche Umschreibung für dessen feindselige Absichten ist. Als passende Antwort darauf belässt es Russland aber auch nicht beim Eingeständnis der Niederlage, sondern kündigt einen Strategiewechsel an, eine grundsätzliche Veränderung seiner Beziehungen zu Europa: Der europäische Kontrahent soll zur Kenntnis nehmen, dass mit dem Sterben des Projekts Russland als Macht keineswegs aus dem Spiel ist, dass es diese Macht auch in unfreundlicher Art und Weise gegen Europa zu benützen versteht und dass Europa mit seiner Kündigung der Partnerschaftlichkeit einiges zu verlieren hat. Russland kann sich in dieser Affäre zwar nicht gegen Europa durchsetzen, demonstriert aber, dass es über Mittel verfügt, Europa zu schaden.

Erstens nämlich muss es zwar auf South Stream verzichten, verzichtet deshalb aber noch lange nicht auf seine strategische Entscheidung, die Ukraine als Transitstaat zu verabschieden. Mit Auslaufen der entsprechenden Verträge 2018 fließt kein russisches Gas für Europa mehr durch die Ukraine. Das sind immer noch – trotz Flüssiggas etc. – solche Mengen, dass die EU sich mit der Frage herumschlagen muss, wie sie dafür Ersatz beschafft. Russland einigt sich zwar mit der Türkei auf die Umlenkung der schon in Bau befindlichen Linie in den europäischen Teil der Türkei; falls Europa sich dort zu seiner Versorgung einklinken will, hat es sich aber selbst um die nötige Infrastruktur zu kümmern.

Zweitens gibt sich Putin große Mühe, die balkanischen EU-Mitglieder und -Anwärter gegen das Bündnis aufzuhetzen, indem er ihnen die drohenden ökonomischen Schäden vorrechnet, sowie ihre durch Amerika und Brüssel beschränkte Souveränität: Sie – in erster Linie Bulgarien – sollen sich die Frage vorlegen, ob sie sich die Euro-Disziplin bzw. Unterwerfung unter die US-Richtlinien überhaupt leisten können.

„Meine bulgarischen Kollegen haben mir immer gesagt, egal was passiert, sie würden bestimmt South Stream implementieren, weil es ihren nationalen Interessen entspricht. Aber das ist, unglücklicherweise, nicht passiert. Wenn Bulgarien die Möglichkeit genommen worden ist, als souveräne Nation zu agieren, dann sollte es wenigstens von der EU-Kommission als Entschädigung für die entgangenen Gewinne Geld verlangen, denn die unmittelbaren Einkünfte für den bulgarischen Staatshaushalt hätten nicht weniger als 400 Millionen Euro pro Jahr betragen. Aber letztlich ist auch das die Entscheidung unserer bulgarischen Partner, es sieht so aus, als ob sie da gewisse Verpflichtungen hätten.“ [37]

Der Streit um die Sanktionen gegen Russland und überhaupt um den Umgang mit Russland ist in der EU ja längst unterwegs; der frühere Chef des italienischen Energiekonzerns ENI, Scaroni, der mit Gazprom den Vertrag über den gemeinsamen Pipeline-Bau unterzeichnet hatte, gibt Brüssel die Schuld für das Scheitern des Pipeline-Projekts, ‚wenn man bedenkt, wie sehr sich die Beziehungen zwischen Europa und Russland angespannt haben, dann hatte Wladimir Putin keine andere Wahl‘, betonte er und erinnerte, dass Gazprom seit nahezu zwei Jahren auf Brüssels Zustimmung für das Projekt gewartet hatte. Der Generaldirektor des österreichischen Öl- und Gaskonzerns OMV, Gerhard Roiss hadert ebenfalls mit der Kommission: Europa braucht russisches Gas, darauf können wir nicht verzichten. Und Gas braucht bekanntlich auch Pipelines, um die Versorgungssicherheit zu gewähren. Und das ist hier ein Schritt in die falsche Richtung. (RIA, 4.12.14) Einige der geschädigten Nationen hat Russland auch schon dazu animieren können, sich zusammenzurotten, um gegen die Direktiven aus Brüssel mit Russland einen Ersatz auszuhandeln: Die potenziellen Teilnehmer des Nachfolgeprojekts ‚Türkischer Strom‘ rücken enger zusammen... Die Außenminister von Griechenland, Serbien, Mazedonien, Ungarn und der Türkei haben bei ihrem Treffen am Dienstag in Budapest den Wunsch ihrer Länder bekräftigt, an dem Projekt teilzunehmen, das Russlands Präsident Wladimir Putin bei seinem Ungarn-Besuch im Februar vorgestellt hatte.[38]

Und die russische Führung lässt auch sonst nichts aus, um die Unzufriedenheit anzufeuern. Unter anderem werden auch einige an anderen Stellen geplante oder bereits aktive Gemeinschaftsunternehmen abgesagt, teils aus Geldgründen, teils in der Vorwegnahme von Sanktionen – aber auch mit dieser Rückabwicklung der Verflechtungen im Energiesektor dokumentiert Russland den europäischen Partnern, was sie zu verlieren haben, wenn statt Zusammenwachsen das Bestrafen von Russland angesagt ist.

Drittens schließlich kündigt Putin die Umschichtung der russischen Energielieferungen in andere Himmelsrichtungen an: Wir werden den Fluß unserer Energieressourcen auf andere Weltgegenden ausrichten... Wir werden den Absatz auf anderen Märkten voranbringen, und Europa wird diese Mengen nicht erhalten – jedenfalls nicht von Russland. Wir meinen, dass das den wirtschaftlichen Interessen Europas nicht entspricht und unserer Kooperation abträglich ist. (Ebd.)

Russland verfügt schließlich auch über andere Partner, mit denen es sich, im Unterschied zur EU, auf den beiderseitigen Vorteil einigen kann, und es verfügt über Potenzen, mit denen es Staaten wie die Türkei und China starkmachen kann, Staaten, die ihrerseits eine ziemlich unabhängige Linie gegenüber Europa verfolgen.

Mit der Türkei handelt Russland das neue Projekt Turkish Stream aus, das einerseits der Schadensbegrenzung dient: Die Türkei wird zum Ersatz für das geplatzte Vorhaben als Absatzmarkt für das russische Gas eingeplant, so dass auch die schon geleisteten Vorarbeiten für South Stream nicht ganz unter Verluste abzubuchen sind. Andererseits betreibt Putin damit aber auch die Aufwertung der Türkei, in der Berechnung, dass es die EU da mit einem eigenwilligen Partner zu tun bekommt. Die antieuropäische Note dieser Staatenfreundschaft ist auch nicht verborgen geblieben, der Umstand, dass da eine strategische Partnerschaft zwischen zwei Ländern beginnt, die ein Grundgefühl eint: von der EU, von Europa ausgegrenzt und schlecht behandelt zu werden... Die Entwicklungen in Russland wie in der Türkei können ein enormes aggressives Potenzial entwickeln, das dem übrigen Europa große Schwierigkeiten bescheren kann. (taz, 14.12.14)

Zumal die Kommission ironischerweise in den ewig sich hinziehenden und blockierten Verhandlungen mit der Türkei das einschlägige Energiekapitel noch nicht einmal eröffnet hat:

„Die Kommission kann das Energiekapitel im Rahmen der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei nicht eröffnen, weil einige Mitgliedsstaaten dagegen sind. Dennoch, so Šefcovic, glaubt die Kommission, dass die Türkei genügend vorbereitet ist, um Verhandlungen im Energiekapitel aufzunehmen. Er sagte, dass sein Stab damit fortfahren werde, das Thema mit den Mitgliedsstaaten zu erörtern, und betonte das europäische Interesse, dabei Fortschritte zu erzielen.“ [39]

Mittlerweile ist auch ein Ersatzprojekt mit Griechenland, der Anschluss an Turkish Stream, in der Debatte – auch das mit einem ausgeprägt antieuropäischen Akzent.

*

So sieht das vorläufige Ende der hoffnungsvoll begonnenen europäisch-russischen Energiepartnerschaft aus: Am Fall Ukraine sind die Beziehungen der Partner in eine offene Konfrontation umgeschlagen. Der Kreml soll sich mit der Beschlagnahme der Ukraine durch den Westen abfinden, die EU als dominante Macht im weit nach Osten ausgreifenden europäischen Raum anerkennen, und antwortet mit seinen Mitteln, um den Bürgerkrieg in der Ukraine in Gang zu halten, der Kiewer Regierung und deren Schutzmächten ihre Grenzen aufzuzeigen. Vom Standpunkt dieses Kräftemessens, also aus einer strategischen Perspektive im elementaren Sinn, gerät die eingerichtete Energiepartnerschaft zu einem Sicherheitsproblem ganz neuer Art. Der Aufgabe, für Versorgungssicherheit in dem Sinn zu sorgen, dass das staatliche Gegenüber auf das europäische Interesse verpflichtet wird, hat sich Europa zwar von Beginn an mit aller Gründlichkeit gewidmet. Heute sieht es sich aber – wegen seines Expansionismus, der schon bis an die russische Grenze vorgestoßen ist, und wegen der russischen Gegenwehr – vor der Notwendigkeit, die unverzügliche Umsetzung einer Reihe vordringlicher Maßnahmen zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit Europas gegen den früheren Partner zu beschließen.[40] An die Stelle der anfangs gerühmten Komplementarität von Interessen ist das strategische Ringen beider Seiten getreten, was die tatsächliche Versorgung mit ganz neuen Unsicherheiten versieht. Allerdings nicht nur die, daneben darf ja auch noch über den Ausbruch eines neuen Kalten Kriegs gemutmaßt werden.

[1] News conference following state visit to Turkey, December 1, 2014, eng.kremlin.ru

[2] Alle folgenden Zitate aus: South Stream bilateral deals breach EU law, Commission says, Euractiv, 4.12.13

[3] Eberhard Schneider: Die Europäische Union und Russland im 21. Jahrhundert. Interessen beider Seiten, Mai 2005, Diskussionspapier swp-Berlin, www.swp-berlin.org

[4] Die folgenden Zitate aus: Mitteilung der Kommission an den Rat und das europäische Parlament, 13.12.04. Der Energiedialog zwischen der Europäischen Union und der Russischen Föderation von 2000 bis 2004, www.jurion.de

[5] Wortprotokoll der Rede Wladimir Putins im Deutschen Bundestag am 25.9.01, www.bundestag.de

[6] Nachzulesen in GegenStandpunkt 3-2000, Wem gehört das Kaspische Öl? Der Imperialismus mischt eine Region neu auf

[7] Zu einer gerechten Strafe haben sich die zuständigen Gerichte letztes Jahr vorgearbeitet, siehe GegenStandpunkt 3-14, Das Verfahren Yukos vs. Russia

[8] 2005 meint z.B. eine Expertin, dass Europa einiges dafür tun müsste, „dass der Markt in Westeuropa attraktiv für Russland bleibt, da nicht nur die 2003 von der russischen Regierung verabschiedete Energiestrategie bis 2020 den Großteil der gesteigerten Förderung von Öl und Gas zum Export nach Asien oder Amerika vorsieht, sondern Fortschritte in der Technik von LNG (Liquefied Natural Gas) die Möglichkeiten des Exports von russischem Erdgas in neue Absatzmärkte wie die USA, China oder Japan wirtschaftlich rentabel machen... Kooperationen zwischen europäischen und russischen Energieunternehmen könnten entsprechende strukturelle Verbindungen schaffen. Wenn Alexej Miller, Vorstandsvorsitzender der OAO Gazprom, über den Ausbau der Kooperation mit Wintershall äußert: ‚Wir sind überzeugt, dass wir mit der jetzt vereinbarten Intensivierung der Zusammenarbeit entlang der Wertschöpfungskette ein zukunftsweisendes Modell gefunden haben‘ , so könnte Wingas (Das Gemeinschaftsunternehmen von Wintershall und Gazprom) als Beispiel für einen grundlegenden Weg angesehen werden, die zukünftige Anbindung Russlands zur europäischen Energieversorgung zu sichern.“ (Antje Nötzold: „Die europäische Strategie zur Energieversorgungssicherheit“, www.kas.de)

[9] An Issue of Fair Competition or a Foreign Policy Quarrel? Nicolò Sartori, IAI Working Papers 13, 3 January 2013, pubblicazioni.iai.it

[10] Eine kleine Ironie der Geschichte: Erfunden haben die Ölpreisbindung samt take-or-pay-Klausel die Ölmultis gemeinsam mit dem holländischen Staat. Erstere haben sich damit ein neues Geschäftsfeld gesichert, samt Kontrolle über das Preisverhältnis zu ihrem Ölgeschäft, die Staaten ein großes Stück Versorgungssicherheit:

Die Ölpreisbindung war eine Erfindung des niederländischen Wirtschaftsministers de Pous zusammen mit Exxon und Shell und bildete die Basis für die Vermarktung der riesigen Gasfunde aus Groningen in den Niederlanden. (Sie) wurde in den 1960er Jahren etwa gleichzeitig mit der Gründung der OPEC eingeführt und diente zunächst auch der Sicherung von Investitionen im Bereich der Förderung und Leitung von Erdgas: Weil für die Gewinnung und den Transport von Erdgas große Investitionen erforderlich waren, haben die Produzenten mit den deutschen Importeuren langjährige Verträge abgeschlossen, die auch zur Sicherung der Investitionsfinanzierung herangezogen werden. Im Gegensatz zum Erdöl gibt es aufgrund von Bezugs- und Abnahmeverpflichtungen in langfristigen Verträgen kaum freie Erdgasmengen und deshalb für Erdgas keinen Markt, auf dem frei verfügbare Mengen gehandelt werden, so dass sich überhaupt ein Marktpreis für Erdgas herausbilden könnte. ... zugleich sollte gewährleistet werden, dass die Erdgaspreise nicht durch einen Preiswettbewerb die Ölpreise nach unten drücken können, was nicht im Interesse der traditionell an der Gasförderung beteiligten großen Ölgesellschaften (BP, Shell, Esso) gelegen hätte. (Wikipedia)

Die Ölpreisbindung folgte dem Anlegbarkeitsprinzip. Das heißt, dass die Langfristverträge in einer Preisformel an die im Wärme- bzw. Industriesektor dominierenden Konkurrenzenergien (schweres und leichtes Heizöl bzw. Kohle) gekoppelt waren; und diese Formel war in einer Weise austariert, die das Produkt stets wettbewerbsfähig machte, weil sein Preis unter dem der Konkurrenzenergie gehalten wurde. Dadurch konnte das Erdgas die entsprechenden Marktsegmente erobern. (Versorgungssicherheit beim Erdgas. Ein Schlaglicht auf vier Herausforderungen für die Politik, Kirsten Westphal, swp-aktuell, April 2012)

[11] Über die Europäische Energiegemeinschaft, deren Mitglieder sich zur Umsetzung der einschlägigen EU-Regeln verpflichtet haben, wird der Geltungsbereich der Energie-Binnenmarktpakete auch auf die Ukraine, Moldawien und die Staaten des Balkan ausgeweitet. (EU-Russland-Gasbeziehungen, Ralf Dickel / Kirsten Westphal SWP-Aktuell 30, Mai 2012)

 Ein Kollateralnutzen des Assoziationsverfahrens und der langen Beitrittsprozeduren: Die Herrschaft der EU über die Handelspraktiken der befreundeten Staaten wird schon etabliert, ehe die überhaupt die Gelegenheit bekommen, in der EU irgendwie mitreden zu können.

[12] Alle folgenden Zitate aus: IP/09/1038, Brussels, 25 June 2009, EU adopts new rules strengthening the internal energy market, europa.eu

 Im Streit mit der Kommission versucht sich Putin auch schon einmal mit Appellen an den Verbraucher: Nehmen wir an, Gazprom und dessen deutsche Kollegen haben eine Pipeline verlegt, dann aber heißt es, lasst einen Dritten ins Konsortium. Alles läuft darauf hinaus, dass Gazprom das Gas quasi am Eingang zur EU verkaufen soll. Dann aber bekommt das Gas einen neuen Eigentümer, der ebenfalls etwas verdienen will, also wird der Gaspreis erneut steigen. (german.ruvr.ru 3.3.11)

 Wo er recht hat, hat er recht, aber da trifft er ja auch nur die Heuchelei der EU.

[13] Putin und Kommissionspräsident José Manuel Barroso lieferten sich einen minutenlangen Schlagabtausch über Europas Energiepolitik, bei dem Putin der EU wörtlich vorwarf, den russischen Gaskonzern Gazprom mit Enteignung zu drohen. (Die Presse, 24.2.11)

[14] MEMO/11/641, Brussels, 27 September 2011, europa.eu

[15] An Issue of Fair Competition or a Foreign Policy Quarrel? Nicolò Sartori, IAI Working Papers 13, 3 January 2013, pubblicazioni.iai.it

[16] Der russische Gaskonzern Gazprom rechnet mit einem positiven Resultat der Verhandlungen mit der Europäischen Union über die Anwendung von Bestimmungen des 3. EU-Energiepakets zu seinen Energieprojekten in Europa... Dabei erinnerte Medwedew daran, dass norwegische Pipelines einen Sonderstatus innerhalb der EU genießen. ‚Dass unsere Pipelines um einige tausend Kilometer länger sind, dürfte ihren Status nicht tangieren. Der einfachen Logik zufolge können wir mit einer ähnlichen Bewertung rechnen.‘ (RIA, 7.4.12)

[17] Nach der Polizeiaktion gegen Gazprom melden sich daher auch warnende Stimmen, Russland soll schließlich nicht jeder Anreiz zum Energiegeschäft genommen werden, es soll ja weiterhin seinen Beitrag zur Überproduktion leisten:

Die EU sollte daher für die russischen Bedenken ein offenes Ohr haben, denn wenn in Bezug auf die Nachfragesicherheit zu große Ungewissheit besteht, wird Russland kaum im nötigen Ausmaß in Produktion und Infrastruktur investieren. Für die russische Gazprom stellt sich außerdem die Frage, wie der komplexe und weite Gastransport durch die EU zu den Abnehmern organisiert wird, wenn erst einmal die alte Struktur der langfristigen Verträge auf der Importebene verschwunden ist – und/oder vor allem die mit ihnen einhergehenden langfristigen Transportverträge. (EU-Russland-Gasbeziehungen, Ralf Dickel / Kirsten Westphal SWP-Aktuell 30, Mai 2012)

[18] Die politischen Absichten und militärischen Kampfmaßnahmen beider Seiten werden behandelt in GegenStandpunkt 1-14, Wem gehört die Ukraine?, GegenStandpunkt 2-14, Ein Bürgerkrieg in der Ukraine und eine neue weltpolitische Konfrontation sowie in GegenStandpunkt 1-15, Herausforderung und Haltbarkeitstest für das NATO-Kriegsbündnis

[19] Die EU-Behörde sandte dem staatlich kontrollierten Gas-Unternehmen in dem seit zwei Jahren laufenden Kartellverfahren die offiziellen Beschwerdepunkte zu. Die Kartellstrafe könnte bis zu zehn Prozent des Jahresumsatzes betragen. Bei einem Jahresumsatz von etwa 100 Milliarden Dollar wären das 10 Milliarden Euro. (Die Zeit, 22.4.15)

[20] sputniknews.com/wirtschaft

[21] „Abgesehen von Verstößen gegen Bestimmungen des EU-Energie-Binnenmarkts, die es verbieten, dass Energieproduzenten gleichzeitig Eigentümer der Leitungsnetze sind (das sogenannte unbundling von Eigentum), die alle sieben Vereinbarungen enthalten, zählt das Schreiben folgende Klagen auf:

 Bulgarien hat zugesagt, Gazprom den günstigsten Steuertarif zu gewähren, was nach Auffassung der EU-Kommission einen Bruch mit den EU-Regeln für Staatsbeihilfen darstellt;

 In dem zwischenstaatlichen Abkommen ist sowohl vereinbart worden, dass bulgarische und griechische Gesellschaften als Subunternehmer beauftragt werden, als auch, dass Gesellschaften beider Seiten (Bulgarien und Russland) bevorzugt werden, was beides den EU-Wettbewerbsbestimmungen widerspricht.

 Das Abkommen legt fest, dass die Tarife für die Nutzung der Pipeline ‚durch die Gesellschaft‘ festgelegt werden, was in Widerspruch zu den Befugnissen der nationalen Regulierungsbehörde steht, die die Durchleitungstarife in Übereinstimmung mit EU-Recht zu genehmigen hat.“ (Barroso warns Bulgaria on South Stream, Euractiv, 28.5.14)

 Ein paar Geschäfts- und Steuervorteile, die dürftigen nationalen Mittel, über die eine bulgarische Regierung verfügt, um sich in der EU-Konkurrenz überhaupt eine Gewinnquelle zu verschaffen, stehen unter Anklage. Denn ein Geschäft zum beiderseitigen Vorteil zwischen Bulgarien und Russland ist schlicht und einfach anti-europäisch.

[22] Entschließung des Europäischen Parlaments vom 17. April 2014 zum Druck Russlands auf die Länder der Östlichen Partnerschaft und insbesondere zur Destabilisierung der Ostukraine, www.europarl.europa.eu

[23] Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat, Strategie für eine sichere europäische Energieversorgung“, 28.5.14, COM (2014)

[24] Europäischer Rat (Tagung vom 26./27. Juni 2014), www.consilium.europa.eu

[25] Der Entschluss Polens, seine Energiesicherheit durch den Bau eines LNG-Terminals zu erhöhen, bringt allerdings Kosten mit sich. Es hat mit Katar einen Vertrag über die jährliche Lieferung von 1,6 bcm Gas über 20 Jahre abgeschlossen, ein Handel, der ihm mit die höchsten Preise in der Welt aufbürden könnte. (http://www.businesstimes.com

 Der estnische Premier Taavi Rõivas, der sich mit Finnland über den Bau und die Kostenübernahme eines LNG-Terminals streitet:

‚Die EU-Kommission wird den Hauptteil der Finanzierung tragen. Ob und wieviel wir zu der Investition beitragen können, ist noch nicht klar.‘ Die estnischen Konsumenten wären nicht dazu in der Lage, die Baukosten in Gestalt der Gastarife zu bezahlen. (Prime ministers work on LNG agreement between Estonia and Finland, BC, Tallinn, 24.10.14. www.baltic-course.com)

[26] Deutschland leistet sich da allerdings noch eine abweichende Lesart von Liberalisierung: Während der ukrainischen Gaskrise wurde erwogen, dass die EU künftig Gas für alle 28 Mitgliedsstaaten zentral einkauft. Die Bundesregierung lehnt diesen Vorschlag in einem internen Positionspapier ab. Eine EU-weite Einkaufsstrategie für Erdgas widerspricht nach Ansicht der Bundesregierung dem Geist der EU. Es sei mit der Liberalisierung des europäischen Gasmarktes nicht vereinbar, dass eine EU-Behörde künftig Gas für alle 28 EU-Mitgliedstaaten zentral einkauft und bei Versorgungsengpässen die betroffenen Staaten entsprechend versorgt, heißt es in einem Positionspapier der deutschen Regierung. (Spiegel online, 21.1.15)

[27] Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat, Strategie für eine sichere europäische Energieversorgung“, 28.5.14

[28] Alle folgenden Zitate aus „Kurz gesagt“, Annegret Bendiek, swp Berlin, 24.2.15

[29] Susan Stewart: Russland und die EU: Ambivalenz setzt der Zusammenarbeit Grenzen, in: Die EU im Beziehungsgefüge großer Staaten, SWP Berlin, Dezember 2013, S. 67ff

[30] Russland, Iran und zwölf weitere große Gasexporteure schließen sich zusammen: Bei einem Treffen in Moskau haben sie ihrem ‚Forum Gasexportierender Länder‘ (GECF) eine Satzung gegeben und als Sitz der Organisation Doha in Katar festgelegt.- Ministerpräsident Wladimir Putin machte bei der Tagung auch gleich klar, auf was sich die Verbraucher in Europa einstellen müssen: dauerhaft hohe Gaspreise. ‚Die notwendigen Ausgaben für die Entwicklung von Gasfeldern steigen stark‘, sagte Putin wörtlich. ‚Das bedeutet natürlich, dass trotz aller gegenwärtigen Finanzprobleme die Ära billiger Energievorkommen, des billigen Gases vorbei ist‘. (Spiegel online, 23.12.08) Damit hat er sich gründlich getäuscht. Über den Status eines Forums, das der wechselseitigen Unterstützung bei der Förderung dienen, in dem es aber ausdrücklich keine Preisabsprachen, Vereinbarungen über Fördermengen oder sonstige Kartell-Maßnahmen geben sollte, ist die geplante „Gas-OPEC“ nie hinausgekommen.

[31] Stewart, FN 30

[32] In der Ukraine läuft russisches Erdgas aus mehreren großen Pipeline-Trassen aus Nordsibirien (Druschba-Trasse, Südzweig Jamal/Nordlicht) und Zentralasien (Sojus) zusammen und wird durch die Transgas-Trasse über die Slowakei und Tschechien nach Westeuropa weitergeleitet. Bis zur Inbetriebnahme der Alternativtrasse Nord Stream im Jahr 2011 wurden etwa 80 Prozent des russischen Erdgases für Europa über die ukrainischen Pipelines transportiert. (Wikipedia)

[33] SWP-Aktuell 30, Mai 2012

[34] Durch die russische Subventionierung war der Gaspreis in der Ukraine bisher deutlich niedriger als in Russland selbst. In vielen Bereichen, vor allem in der Metallindustrie, belieferte die Ukraine dadurch den russischen Markt zu Dumpingpreisen und übervorteilte so die russischen Produzenten. Einen Teil ihres für 50 Dollar erworbenen Gases verkaufte die Ukraine für 260 Dollar an Rumänien. (Wikipedia)

[35] Ähnliche Auseinandersetzungen mit Weißrussland führen zu einer Einigung, bei der Lukaschenko der russischen Forderung nachgibt und gegen die Verrechnung mit den aufgelaufenen Schulden und das Zugeständnis niedrigerer Preise das Eigentum an den Netzen an Russland abtritt.

[36] February 17, 2015, Budapest, eng.kremlin.ru

[37] News conference following state visit to Turkey, December 1, 2014, eng.kremlin.ru

[38] Sputnik, 08.04.15

[39] Šefcovic gives his blessing to Southern Gas Corridor, Euractiv, 13/02/2015

[40] Europäischer Rat, Tagung vom 26./27. Juni 2014, Schlussfolgerungen, www.consilium.europa.eu