EU-Osterweiterung zum Dritten: die „östliche Partnerschaft“ mit der Ukraine
Europa geht bis an die Grenzen seiner Methode friedlicher Eroberung und darüber hinaus

Der Streit um die Ukraine eskaliert. Und alle Welt weiß, dass es da allein um die Frage geht, wohin die Ukraine gehört: zu uns, nach Europa oder zu Russland. Was dieses „Gehören“ so alles einschließt, braucht nicht weiter zu interessieren, nachdem das Geschehen komplett unter die nützliche Abstraktion Gewalt gegen friedliche Demonstranten, also wieder einmal Freiheit gegen Unterdrückung subsumiert worden ist.

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EU-Osterweiterung zum Dritten: die östliche Partnerschaft mit der Ukraine
Europa geht bis an die Grenzen seiner Methode friedlicher Eroberung und darüber hinaus

Der Streit um die Ukraine eskaliert. Und alle Welt weiß, dass es da allein um die Frage geht, wohin die Ukraine gehört: zu uns, nach Europa oder zu Russland. Was dieses „Gehören“ so alles einschließt, braucht nicht weiter zu interessieren, nachdem das Geschehen komplett unter die nützliche Abstraktion Gewalt gegen friedliche Demonstranten, also wieder einmal Freiheit gegen Unterdrückung subsumiert worden ist. Ukraine-Versteher und Beobachter vor Ort liefern ausgewogene Stellungnahmen zur Gewaltfrage ab. Mit gewissen Wahrnehmungsstörungen wiederholen sie unablässig die Formel vom friedlichen und damit legitimen Charakter des Protests, während im Hintergrund Brandbomben fliegen, sorgen sich anschließend darum, ob Klitschko den schwarzen Block aus ukrainischen Nationalisten und Kiewer Ultras unter Kontrolle hat, und erklären im nächsten Moment, dass der per definitionem friedliche Protest in Wut und Enttäuschung umschlagen muss, wenn die Regierung Janukowitsch den Forderungen nicht augenblicklich nachgibt und zurücktritt. So etwas ist nach ihren Auskünften bei einer echt demokratischen Protestkultur einfach die Regel.

Der deutsche Außenminister warnt den ukrainischen Präsidenten, er solle bloß nicht an eine gewaltsame Lösung denken, während die Maidan-Mannschaften ein Ministerium nach dem anderen besetzen und Aufrufe zum Staatsstreich erlassen. Aus dem Weißen Haus erfolgt die Bekanntgabe, dass man dort für alle Gewalttätigkeiten die ukrainische Regierung verantwortlich macht, die sich am Willen ihres Volkes vergeht. Wo der ukrainische Volkswille, egal in welche Fraktionen er sich im Land auseinanderlegt, wirklich hin will, weiß man offensichtlich in Washington, Berlin und Brüssel am besten. Wenn es nicht anders geht, muss die Nation mit einem Kapitel Bürgerkrieg auf den richtigen Weg gebracht werden.

Bei der westlichen Lesart – das Volk der Ukraine will nach Europa und begehrt auf gegen ein korruptes Regime, das den Staat wieder unter die russische Knute führen will – kommt die Substanz des Streits ein bisschen zu kurz. Wieso mündet der Dissens über ein angebliches Freihandelsabkommen in Straßenschlachten mit dem Ziel, die Regierung zu stürzen? Warum hat sich die Janukowitsch-Mannschaft nach ihrer vorhergehenden weitreichenden Bereitwilligkeit dann doch für außerstande erklärt, sich auf die Bedingungen der EU einzulassen und das Abkommen zu unterschreiben? Und wenn schon unerhörter wirtschaftlicher Druck aus Russland zur Erklärung bemüht wird, warum haben es dann die Euro-Politiker erst einmal kategorisch abgelehnt, in einen Bieterwettbewerb einzusteigen und die Ukraine mit ökonomischen Zugeständnissen von diesem Druck zu entlasten? Warum haben sie stattdessen alles dazu getan, die politischen Gegensätze in der Ukraine so weit aufzurühren, dass die westlichen Medien jetzt mit geheuchelter Entrüstung auf Verletzte und Tote deuten können? Und warum betreibt dasselbe Europa, das sich unentwegt über die Untauglichkeit seiner letzten Eroberungen auf dem Balkan beschwert, mit einer solchen Unerbittlichkeit den Anschluss der Ukraine, dass ihm offensichtlich jedes Mittel recht ist, auch wenn das Staatswesen, das es sich angliedern will, auf diesem Weg immer unbrauchbarer gemacht wird? Das wird wohl so ein Fall von Verantwortung in einer globalisierten Welt sein, von der Merkel und Kollegen behaupten, dass die Welt sie von uns erwartet.

1.

Wenn die EU zum Beweis ihrer außerordentlichen Großzügigkeit darauf verweist, dass es sich bei ihrem Assoziierungsabkommen um das „in seiner Tiefe ehrgeizigste“ Angebot handelt, das die Union jemals abgegeben habe, hat sie schon recht. Es handelt sich dabei nämlich um einen umfassenden Kanon erpresserischer Angebote, mit denen Europa die Notlage der Ukraine zum Hebel machen will, um sich dieses Staatswesen unterzuordnen. Verkauft wird das als Dienstleistung an einer hilfsbedürftigen Nation.

Laut dem für Erweiterungsfragen zuständigen EU-Kommissar Füle bietet sich Europa diesem „Partner“ sowohl als Teil einer politischen Lösung der politischen Krise in der Ukraine an wie auch als Beistand in der sich bedrohlich abzeichnenen Finanzkrise der Ukraine. Wir müssen der Ukraine helfen, schnell das Vertrauen nicht nur ihrer Bürger, sondern auch das der internationalen Investoren und Gläubiger wiederzugewinnen.[1] Der europäische Ehrgeiz richtet sich also auf eine Nation, die einerseits von fundamentalen politischen Gegensätzen zerrüttet ist und sich andererseits am Rande eines Staatsbankrotts bewegt.[2]

Was der Ukraine in dieser Krisenlage als europäische Hilfe offeriert wird, besteht in erster Linie in dem „tiefen und umfassenden Freihandelsabkommen... Es wird nicht nur die beiderseitigen Märkte füreinander öffnen, indem Zölle und Kontingente reduziert werden, es wird auch zu einer weitreichenden Harmonisierung von Gesetzen, Normen und Regulierungen in allen ökonomischen Sektoren führen.“[3] Das Eigenlob, das sich die EU-Diplomatie spendiert, kennzeichnet das Verfahren, mit dem man die politökonomische Notlage der Ukraine auszunutzen gedenkt: Angesichts der Schwierigkeiten, sich mit der aus Sowjetzeiten ererbten Ausstattung auf marktwirtschaftliche Weise ein Bruttosozialprodukt zu verdienen, aufgrund derer sich die Ukraine in ihre Schuldenlage hineinmanövriert hat, und angesichts der geopolitischen Lage, in die dieses Staatswesen hineingeraten ist – es ist Anrainer der (osterweiterten) EU, zugleich durch das Bollwerk des Binnenmarkts und seiner Regularien aus dieser Wohlstandszone kategorisch ausgeschlossen –, setzt Europa auf die unwiderstehliche Attraktivität seiner Angebote in Sachen Zulassung zum Binnenmarkt.[4]

Die Vorteile, die der Ukraine durch den Entfall von Zöllen und die Reduktion von Kontingentierungen entstehen sollen, werden ausgiebig beziffert. Allerdings geht das freie Handeln erst gar nicht los, ehe nicht die Ukraine gewisse Bedingungen erfüllt – nämlich die tiefe und umfassende Umstellung ihres ganzen Ladens: die Unterordnung ihres Produktionsapparats unter den EU-eigenen Korpus von Vorschriften, mit welchen Merkmalen ein Produkt versehen sein muss, um legitimerweise die Grenzen zur EU überschreiten zu dürfen, sowie die Verpflichtung ihrer Wirtschaftspolitik auf sämtliche Regeln der innereuropäischen Konkurrenz. Verlangt ist die Anpassung an die sogenannten technischen Normen und Standards der EU, das Produkt langjähriger erbitterter innereuropäischer Konkurrenz zwischen den europäischen Unternehmen und Nationen: ein umfassender Katalog rechtsförmlicher Regelungen bezüglich Qualität und Herstellungsverfahren von Warensortimenten und Dienstleistungen, der vom vorschriftsmäßigen Anteil an Antibiotika im Fleisch über die Quadratzentimeter des Raums einer Legehenne bis zur Beschaffenheit von ‚Finanzprodukten‘ reicht. Verlangt ist ferner: die Verabschiedung vom Staatseigentum; die Einführung des umfassenden Rechtsapparats, der die Bedürfnisse des Privateigentums kodifiziert; nicht zu vergessen das geistige, einschließlich eines Insolvenzrechts, das das Ausscheiden von bankrotten Firmen aus dem Markt regelt; die Unterschrift unter das dritte Energiepaket der EU, das den gesamten Energiesektor der Ukraine umkrempeln soll; die Liberalisierung aller Dienstleistungssektoren, deren Funktionieren bislang nur unter staatlicher Obhut gewährleistet war etc. etc. Dieser umfassende Rechtsapparat, ironischerweise innereuropäisch immer wieder gerne als Ausgeburt der Regelungswut Brüsseler Bürokraten verunglimpft, wird der Ukraine als der direkte Weg zur Prosperität verkauft – ungeachtet der Tatsache, dass die EU ihrem Partner bisher nur eine low-value-Exportfähigkeit attestiert und offenherzig davon ausgeht, dass mit der beiderseitigen Öffnung der Märkte und der schönen Harmonisierung von Gesetzen als erstes einmal ein Kampf ums ökonomische Überleben in einigen Bereichen, die gegenwärtig vor dem Wettbewerb geschützt sind, ansteht.[5]

Die ukrainische Regierung hat zu Protokoll gegeben, dass sie auf den Anschluss ihres Landes an die EU, den Eintritt in den Binnenmarkt als die entscheidende Perspektive setzt, hat sich dabei allerdings die Freiheit herausgenommen, angesichts der prekären politökonomischen Lage um pekuniäres Entgegenkommen der EU zu feilschen, weil ihr eine ziemlich entscheidende Voraussetzung für die sogenannte Modernisierung fehlt, das erforderliche Kapital: ‚Wir sind uns darüber im Klaren, dass der Weg der Ukraine über eine Modernisierung, über europäische Standards und über eine Harmonisierung der ukrainischen Gesetzgebung führt. Wir haben uns für diesen Weg entschieden... Die Modernisierung der ukrainischen Wirtschaft ist auf hohe Investitionen angewiesen, die es aber nicht gibt‘, sagte Janukowitsch. Er erinnerte an Kalkulationen von Fachleuten, wonach die Anpassung ukrainischer Betriebe an EU-Normen 100 bis 500 Milliarden US-Dollar kosten würde.[6]

Die Anfrage, ob denn die EU dazu bereit wäre, kompensatorisch tätig zu werden, hat eine ebenso klare Antwort aus Brüssel erhalten. Dort verliert man die kritische Lage der ukrainischen Staatsfinanzen keineswegs aus dem Blick, versichert dem Partner treuherzig, dass er nach Erfüllung des Forderungskatalogs mit einem reichlichen Zufluß internationalen Kapitals rechnen darf. Vorher hat aber erst einmal kategorisch das Gegenteil stattzufinden, nämlich der sofortige Vollzug der Spar- und Sanierungsmaßnahmen, auf denen der IWF besteht. Die Bitten der ukrainischen Führung, ob nicht Europa und Amerika den IWF zu mehr Entgegenkommen bewegen könnten, werden abgelehnt. Die lauthals angekündigten Hilfen gibt es erst, wenn die Ukraine die IWF-Diktate erfüllt. Dazu die Kanzlerin Merkel:

„Eine zusätzliche enorme Herausforderung für die Ukraine ist die Haushaltskonsolidierung. Ohne solide Finanzen wird es das Beistandsabkommen mit dem IWF nicht geben können. Wir glauben, dass ein solches Beistandsabkommen mit der Ukraine dringend notwendig wäre. Daran hängen auch die substanziellen bilateralen Kredite der EU als Makrofinanzhilfe, insgesamt mehr als eine halbe Milliarde Euro. Hier ist unser stetiger Rat an die Ukraine, die nötigen Reformen zu unternehmen. Diese Schritte können wir der ukrainischen Regierung nicht abnehmen.“ [7]

Verlangt wird immerhin von dieser Regierung, einer weitflächig verelendeten Bevölkerung die Subvention der Energiepreise zu streichen – wozu sich im Übrigen auch schon die west-freundliche Vorgänger-Regierung unter Timoschenko nicht verstehen wollte. Des Weiteren soll sie Löhne und Renten kürzen[8] und die nationale Währung Griwna abwerten, was angesichts einer umfassenden Verschuldung in Dollar und Euro die Zahlungsunfähigkeit großer Portionen der ukrainischen Kreditnehmer herbeiführen würde[9] – insgesamt ein „Spar- und Konsolidierungsprogramm“, das den Überlebenskünsten des ukrainischen Volks neue Höchstleistungen abverlangen würde. Als Belohnung dafür könnte die Ukraine dann auf das Stand-by-Arrangement des IWF hoffen, nach Auskunft von Ministerpräsident Asarow ein Darlehen, dessen Höhe genau reicht, um die Schulden beim IWF abzuzahlen[10], während sie in den beiden kommenden Jahren 25 Milliarden Dollar an ausstehenden Schulden und Zinsen zu begleichen hat.[11]

Auf die Gründe, deretwegen sich die ukrainische Regierung sträubt, den Forderungen unter dem Generaltitel Haushaltskonsolidierung nachzukommen, will die EU keine Rücksicht nehmen. Dieses freundlicherweise unter dem Titel Reformen verhandelte Abwicklungsprogramm können Merkel und Kollegen der amtierenden Regierung schlechterdings nicht abnehmen. Sie strapazieren die Bereitschaft der ukrainischen Regierung, sich um der wirtschaftlichen Perspektiven ihres Standorts willen dem ganzen EU-Reglement zu unterwerfen, bis aufs Äußerste, weil sie davon ausgehen, dass es sich die ukrainische Regierung gar nicht leisten kann, sich ihren Angeboten zu entziehen; schließlich befindet sich die Entscheidung über die Zahlungsfähigkeit dieses Staatswesens erfreulicherweise schon weitgehend in der Zuständigkeit der westlichen Kreditagenturen. Der Einsatz des IWF als Erpressungshebel gegen die Ukraine sagt dann auch alles über die Perspektive, die sie der Ukraine zu bieten haben: Die schließt offenbar die Inkaufnahme einer ökonomisch nicht mehr lebensfähigen Ukraine ein; die sogenannten Angebote eröffnen nur die Alternative zwischen Staatsbankrott und einer IWF-Betreuung mit dem Inhalt, ihren Standort kaputtzusanieren und alle Staatstätigkeiten auf das zu beschränken, was ein von EU und IWF für notwendig erachteter und mit deren Krediten und entsprechenden Auflagen geregelter Staatshaushalt unter dem obersten Gebot der Schuldenbedienung überhaupt noch erlaubt. Das nennt sich dann ‚Modernisierung‘, der selbstgerechte Ausdruck für das ökonomische Machtverhältnis, mit dem die EU operiert, um sich die Ukraine als strategischen Zugewinn im Osten zu verschaffen.

2.

Mit dem Assoziierungsabkommen inklusive der weitgehenden Übernahme seines Acquis verlangt Europa nicht mehr und nicht weniger, als dass die Ukraine die Eigenständigkeit ihrer staatlichen Berechnungen aufgibt. Das euro-imperialistische Programm will Schluss machen mit dem unhandlichen ukrainischen Nationalismus und seiner sogenannten „Schaukelpolitik“; das ukrainische Lavieren zwischen den Lagern soll ein für allemal entschieden werden.

Das Assoziierungsabkommen beschränkt sich nicht darauf, die Ukraine zur Übernahme des gesamten wirtschaftspolitisch-rechtlichen Regelwerks des europäischen Kapitalismus zu nötigen. In einem zweiten großen Kapitel werden alle Anforderungen aufgelistet, die sie in Sachen Politik zu erfüllen hat – ein Pflichtenkatalog, der offeriert wird wie eine Sammlung von Methoden für nationalen Erfolg durch gutes Regieren. Der Sache nach wird damit etwas mehr festgelegt, nämlich ein ganzes in Gestalt dieser Gesetze fixiertes Staatsprogramm, eine verbindliche Staatsraison.[12] Der politische Hauptteil des Abkommens, ebenfalls wieder ein ganzer Gesetzeskorpus, definiert Ausrichtung und Aufgaben künftiger ukrainischer Herrschaft, bis hin zum Verzicht auf eine eigenständige Außenpolitik.

„Sukzessive Integration findet bereits in den laufenden Verhandlungen zum freien Visaregime, zur Aufnahme in den Schengen-Raum, in die Euro-Zone und zur Energiegemeinschaft, zur Mitgliedschaft in bestimmten Gemeinschaftsprogrammen und EU-Agenturen sowie zur Beteiligung am Instrument zur verstärkten Zusammenarbeit in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik statt. Die Aushandlungen zum Freihandelsabkommen implizieren bereits die Übernahme von bis zu 80 % des acquis communautaire. Die sukzessive Teilnahme am Binnenmarkt und weiteren Gemeinschaften bedeutet faktisch die Übernahme eines großen Teils des rechtlichen Besitzstandes der EU.“ [13]

Viel bleibt bei so viel Integration nicht mehr übrig von einer ukrainischen Souveränität.

Europa hat bei diesem Kapitel von Beginn an wenig Zweifel daran aufkommen lassen, dass es damit auch die Entscheidungshoheit über den fundamentalen Streit zwischen den politischen Lagern in der Ukraine beansprucht. Mit dem Ultimatum der EU-Kommission, erst dann das Freihandelsabkommen (DCFTA) zu unterschreiben, wenn eine Reform des Wahlsystems, ein Verzicht auf selektive Strafverfolgung und Fortschritte im Reformprozess erfolgt sind[14], hat Europa dem ukrainischen Staatschef immerhin die Vorleistung abverlangt, sich in Sachen politischer Justiz schuldig zu bekennen und seine dezidierte Feindin, die ehemalige „Revolutions“-Ikone Timoschenko wieder im politischen Leben der Ukraine zu installieren. Mit der Beseitigung der „selektiven“ Justiz, d.h. der Abwicklung des innerukrainischen Machtkampfs mit den Mitteln der Justiz, einer Reform des Wahlrechts sowie der Wiederholung angezweifelter Wahlen in verschiedenen Bezirken und der Veranstaltung sofortiger Neuwahlen in der Hauptstadt Kiew, mit der Einrichtung einer institutionellen Rolle der „Zivilgesellschaft“, d.h. der vom Westen unterhaltenen NGOs, wird der Ukraine eine Neufassung der Instrumente der politischen Willensbildung verordnet, mit dem kaum verhüllten Zweck, den proeuropäischen Kräften und Janukowitsch-Gegnern zur Durchsetzung zu verhelfen.[15]

Die rührende Sorge der EU um Fortschritte der ukrainischen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, mit allem Menschen- und sonstigem Rechtspathos vorgetragen, zielt auf die Sache, die in diesem innerukrainischen Machtkampf ausgestritten wird: Seit der Beförderung der Ukraine in die Souveränität, programmatisch seit der orangefarbenen Revolution, zerlegt sich die herrschende Klasse an der Frage der Ausrichtung der Ukraine als Objekt zwischen konkurrierenden Großmächten. Wie viel oder wie wenig Anbindung an die eine oder die andere Seite das nationale Interesse verlangt, wie man die Forderungen der gegensätzlichen Mächte zum Nutzen der Ukraine austarieren könnte – auf ukrainisch heißt das „Mehr-Vektoren-Politik“ –, das sind die Fragen, an denen entlang die verschiedenen Machtwechsel in der Ukraine abgewickelt worden sind, sich diverse Regierungen aufgerieben haben, das Land an den Rand eines Bürgerkriegs geführt worden ist und sich auch die Heroen der Revolution zerkriegt haben. Die Sachwalter der glorreichen ukrainischen Unabhängigkeit haben es nämlich immer auch mit der Tatsache zu tun, dass die Nation eine eindeutige Festlegung nicht verträgt, weil es ihren Bestand gefährdet, in politischer wie ökonomischer Hinsicht. Sie verfügt schließlich nicht über autonome nationale Lebensmittel, sondern lebt von den auswärtigen Beziehungen: einerseits immer mehr von der Geld- und Kreditmacht des Westens; andererseits von den Verbindungen zu Russland; das meiste vom Wirtschaftspotential der Ukraine als Transitland, als Kornkammer, mit der ererbten Industrie, den Kohlebergwerken und der Schwerindustrie im Osten taugt nur so viel, wie die Staatsführung sich mit Moskau ins Benehmen setzt und an ökonomischer Kooperation zustande bringt.

Die Abhängigkeit des ukrainischen Wirtschaftslebens von den Beziehungen zu Russland kommt aber im Programm der EU nur in einer Hinsicht vor: Sie ist nicht zu dulden. Europa stellt sich zu den Existenzbedingungen der Ukraine rein negativ, indem es alles in Bewegung setzt, um den innerukrainischen Machtkampf zu entscheiden. Wenn sich dieses Land schon in einen ökonomischen und sonstigen Verkehr mit der EU mit dem erfreulichen Resultat einer weitreichenden Abhängigkeit hineinbegeben hat, kann es nach Auffassung der EU einfach nicht angehen, dass es sich weiterhin die Freiheit einer eigenen nationalen Linie herausnimmt, weiterhin versucht, sich in dieser Lage zu behaupten und aus dem Verkehr mit beiden Seiten das Beste für sich herauszuschlagen.

Bezeichnenderweise sieht das Assoziierungsabkommen zwar die Übernahme eines beinahe vollständigen, nach europäischen Richtlinien zugeschnittenen Staatsprogramms vor, aber keineswegs die Aussicht auf Beförderung in den Status eines Mitglieds, dem auch die entsprechenden Rechte auf Mitsprache und -entscheidung in Europa zustehen. Es definiert die Rolle der Ukraine gleich als Anhängsel, das sich die Aufsicht und Anweisungen der EU gefallen zu lassen hat – früher wurden solche Staatsgeschöpfe als Satelliten beschimpft, heute nennt man sie Partner. Als solcher darf man sich glücklich schätzen, dem strategischen Besitzstand der EU zugeschlagen zu werden. Schon bei den vorhergehenden Osterweiterungen der EU war der gute imperialistische Sinn und Zweck der Operation die schiere Inbesitznahme eines Landstrichs ohne viel Berechnung auf einen entscheidenden ökonomischen Zugewinn.[16] Das war aber, bis zuletzt noch bei der Eingemeindung der Balkanstaaten, verdeckt durch die Unterwerfungsbereitschaft der dortigen Herrschaften und deren alternativlose Berechnung, nur mit einer Angliederung die politische und ökonomische Lebensfähigkeit ihrer neuen kapitalistischen Staatsprojekte irgendwie sichern zu können. Jetzt, beim Anschluss der Ukraine bemüht die EU mit ihrem Assoziationsprojekt gar nicht erst die Vorstellung, es ginge für sie irgendwie um die Aneignung und Entwicklung lohnender neuer Reichtumsquellen. Und genausowenig werden der Ukraine Zusagen gemacht, was die Bewältigung ihres ökonomischen Notstands betrifft. Mit der Programmatik des Vertrags und der einigermaßen ultimativen Einforderung der ukrainischen Unterschrift wird rein um die Aneignung der Verfügungsmacht über dieses Land gerungen, darum, dass die EU ökonomisch und politisch Inhalt und Betätigung ukrainischer Souveränität, also die selber ein für alle Mal definiert und festlegt, nämlich in ihre Regie übernimmt. Denn wie alle Fernsehkanäle und Zeitungen dem Publikum einhämmern: die Ukraine gehört (zu) Europa – ist also ein für alle Mal und verlässlich allem russischem Einfluss zu entziehen.

3.

Der Standpunkt der EU gegenüber Russland: Wenn die Ukraine dem europäischen Besitzstand zugeschlagen wird, die bisherigen nützlichen Beziehungen zu Russland unter EU-Reglement gestellt werden und jede russische Einflussnahme auf den Nachbarstaat ausgeschaltet wird, geht das Russland nicht das Geringste an. Außerdem kann Russland nichts Besseres passieren als der strategische Aufwuchs der EU an seinen Grenzen.

Gegen den russischen Protest in Sachen Assoziierungsabkommen tritt die EU mit außerordentlicher Dreistigkeit an. Als ob sie nicht von der strategischen Bedeutung der Ukraine für Russland wüsste,[17] definiert sie einerseits die beabsichtigte Verschiebung der Machtverhältnisse in Osteuropa unverfroren auf die Ebene einer rein ökonomischen Alternative zwischen europäischem Freihandel und russischer Zollunion herunter. Umgekehrt verkünden die EU-Instanzen ihren eigenen Unvereinbarkeitsbeschluss, indem sie den russischen Protest hochdefinieren zu einem völkerrechtswidrigen Vetorecht, das Russland gar nicht anmeldet: Wir können keinerlei Vetorecht von Drittstaaten hinnehmen. Die Zeiten begrenzter Souveränität von Staaten in Europa sind vorbei.[18] Die ukrainische Souveränität gehört nämlich nicht begrenzt, sondern ganz in die Zuständigkeit von Brüssel. Das Europäische Parlament verbittet sich den russischen Einspruch, der die absehbaren Schäden für die ukrainisch-russischen Beziehungen reklamiert,

„... in der Erwägung, dass ein Assoziierungsabkommen mit der EU politische und rechtliche Reformen umfasst, die zur Stärkung der Rechtsstaatlichkeit, Verringerung der Korruption und Sicherung einer stärkeren Achtung der Menschenrechte beitragen; in der Erwägung, dass der Beitritt zur Zollunion demgegenüber keine wertbasierten Vergleichsmaßstäbe und Auflagen beinhaltet und daher nicht als Anreiz für innerstaatliche Reformen betrachtet werden kann“ [19],

also ironischerweise mit Berufung darauf, dass der geplante EU-Zugriff auf die Ukraine von viel grundsätzlicherer Natur ist als das russische Ansinnen; das Assoziierungsabkommen soll nämlich den Staat gänzlich nach europäischen Richtlinien aus- und einrichten.

Die EU weigert sich, in der Sache überhaupt die Existenz konfligierender Interessen anzuerkennen. Ebensowenig will sie irgendwelche Rechte kennen, wie sie sonst im Staatenverkehr angemeldet werden; da könnte Russland aufgrund seiner langen staatlichen Einheit mit der Ukraine mindestens so viele ins Feld führen, wie sie Deutschland mit seiner Wiedervereinigungspolitik durchgesetzt hat. Europa aber will seine Nachbarschaftspolitik aussschließlich auf der allerhöchsten Ebene der, d.h. selbstverständlich ihrer alleingültigen Werte angesiedelt wissen, die unverhandelbar, also jeder Güterabwägung enthoben sind. Diese offensive Kampfansage ergänzt Europa dann freundlicherweise noch dadurch, dass es Russland vordekliniert, wie dessen eigene wohlverstandenen Interessen gelagert sind. Man kann es der begriffsstutzigen russischen Führung nicht oft genug sagen: Wenn sich die EU bis an die russische Grenze vorschiebt, Russlands politischen Einfluss in seiner unmittelbaren Staatennachbarschaft bricht, seine ökonomischen Interessen substantiell schädigt und seine militärische Lage bedrohlich verschlechtert, muss der so beglückte Nachbar endlich einsehen,

„dass die fortschreitende Integration der Partnerstaaten mit der EU mit ihrem Streben nach gutnachbarschaftlichen Beziehungen zu Russland im Einklang steht ... dass weitere politische und wirtschaftliche Reformen in diesen Staaten auf der Grundlage der Werte und Normen der EU letztlich auch im eigenen Interesse Russlands sind, da diese das Gebiet der Stabilität, des Wohlstands und der Zusammenarbeit an seinen Grenzen vergrößern würden.“

Und weil man schon dabei ist, diese gedeihliche Zusammenarbeit zu definieren, wird Russland davor gewarnt, weiterhin durch wirtschaftlichen Zwang Druck auf die Ukraine auszuüben. Russland soll stillhalten, wenn die Ukraine nach Europa gezerrt wird, sie weiter mit Energie versorgen und sich als Markt zur Verfügung stellen, also gefälligst seinen Beitrag zum Unterhalt der EU-Neuerwerbung beisteuern, statt sich anzumaßen, seine ökonomischen Beziehungen als Hebel politischer Einflussnahme gebrauchen. Das steht nur der EU zu.

Mit ihren Kundgaben, die kaum mehr als diplomatische Heuchelei zu fassen sind, weil sie den eindeutigen und offenkundigen Zweck der Offensive schlicht leugnen und das Gegenteil als wahr behaupten, erklärt die EU ihren festen Willen, alles, was Russland als sein Interesse an der Ukraine anmeldet, niederzumachen. Die Konfrontation, im Stil einer Großmacht den Zaren im Kreml vor vollendete Tatsachen zu stellen, traut sich Europa offensichtlich zu. Die Parlamentarier werden schon wissen, warum ihnen bei der Gelegenheit das Budapester Memorandum von 1994 zur nuklearen Abrüstung der Ukraine einfällt, durch das der Ukraine im Falle des Einsatzes von oder der Drohung mit Gewalt Garantien gewährt werden und das Unterstützung für die Ukraine vorsieht, wenn der Versuch unternommen werden sollte, durch wirtschaftlichen Zwang Druck auf sie auszuüben. Bei ihrem Zugriff auf die von Russland beanspruchte Einflusssphäre, auf den entscheidenen Teil dessen, was Russland als sein nahes Ausland definiert, handelt es sich um eine Gewaltfrage ersten Ranges: um einen entscheidenden Schlag gegen den Machtstatus, den Russland beansprucht. Nicht umsonst bemühen alle Sachverständigen die strategische Devise von Brzezinski. Deshalb bringen die Euro-Politiker, die sich in derselben Entschließung gerade noch als Gebiet der Stabilität, des Wohlstands und der Zusammenarbeit vorgestellt haben, mit der Großleistung aus der Vergangenheit, bei der die Ukraine atomar entwaffnet worden ist, einmal kurz ihre andere Seite als NATO-Mitglieder in Erinnerung. Bei der Ausschmückung ihrer edelsten Absichten mit den Segnungen von Freihandel, Modernisierung und Rechtsstaatlichkeit ist von der NATO zwar nie die Rede. Hinter der Risikobereitschaft, mit der Europa seine strategische Erweiterung bis an die russische Grenze vorantreibt, und der Unverschämtheit, mit der es alle vitalen Interessen Russlands als gegenstandslos behandelt, steht aber offenkundig die Selbstgewissheit, dass die Euro-Strategie auf der Erpressungsmacht ihres Militärbündnisses samt der Rückendeckung durch die USA beruht. Jenseits der europäisch-amerikanischen Machtkonkurrenz stimmen die NATO-Partner schließlich in dem strategischen Ziel überein, dass die Ukraine Russland entrissen gehört.

4.

Den europäischen Angriff auf das Bündel wirtschaftlicher, politischer und strategischer Interessen, die mit der Ukraine verknüpft sind, will Russland nicht hinnehmen. Es konkurriert um Verhinderung, dringt gegenüber der ultimativen Vorgehensweise der EU auf die Berücksichtigung seiner Interessen und auf Verhandlungen. Da es damit bei der EU aufläuft, bemüht es erst das Instrument von Retorsionsmaßnahmen gegen die Ukraine, und versucht dann, dieser mit viel Geld die Entscheidung abzukaufen.

Russland sieht sich also konfrontiert mit der drohenden Verwandlung der russisch-ukrainischen Grenze in eine EU-Außengrenze durch ein Abkommen, das im Übrigen einen Bruch sämtlicher Verträge der Ukraine über den Handel in der GUS, der euro-asiatischen Wirtschaftsgemeinschaft Moskaus, und mit Russland bedeutet. Dagegen führt Russland die absehbaren Schäden ins Feld, die die Unterstellung der Ukraine unter das EU-Reglement für die beiderseitigen Wirtschaftsbeziehungen nach sich ziehen würde – eine im Vergleich zur EU-Diplomatie ausnehmend sachliche Befassung mit dem Fall –, und kündigt an, in dem Fall seinerseits Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Die russischen Instanzen machen vorstellig, dass die außenhandelspolitischen Regelungen mit Zöllen, Kontingentierungen, nicht-tarifären Handelskonditionen etc., mit denen sie ihre konkurrenzschwachen Industrien gegen die internationale Konkurrenz schützen wollen, bei einer Fortsetzung der geltenden Handelskonditionen voraussichtlich via Ukraine unterlaufen würden, während sich in der umgekehrten Richtung russische Ware auf diesem künftigen Teil des EU-Binnenmarkts an dessen Standards rechtfertigen müsste bzw. davon ausgeschlossen würde.[20] Zudem würde mit diesem bedeutenden Transitland der gesamte darüber abgewickelte Energiehandel in die Zuständigkeit der EU-Kommission und ihrer Politik fallen, Gazprom möglichst auf die Position eines bloßen Lieferanten zurückzudrängen. Zahlreiche industrielle Verflechtungen zwischen Russland und der Ukraine wären von der Umstellung auf die technischen Normen und Standards der EU betroffen[21], u.a. auch sicherheitspolitisch bedeutsame Kooperationen in Abteilungen der Rüstungsproduktion, im Raketen- und Flugzeugbau.[22] Was würde deutschen Politikern wohl einfallen, wenn sich ein Nicht-EU-Mitglied die Kontrolle über Teile der Airbusproduktion verschafft?

Gegen die gebetsmühlenhaft wiederholte EU-Formel, richtet sich nicht gegen Russland, Entwicklungen, von denen letztlich alle profitieren, und das damit garnierte rücksichtslose Vorgehen der Europäischen Union dringt Russland auf die Anerkennung seiner absehbaren Schädigung und besteht damit auf seiner Berücksichtigung als beteiligte Macht durch die EU – ohne allerdings die geringste Wirkung zu erzielen. Angesichts der ultimativen Vorgehensweise der EU, die die russischen Einwände ignoriert und mit dem Abschluss des Abkommens so schnell wie möglich vollendete Tatsachen zu schaffen bemüht ist, setzt Russland einen Teil seiner Drohungen gegen die Ukraine in die Tat um und führt ihr mit Zöllen und Grenzschikanen vor Augen, dass sie sich den Verlust ihres bisherigen Russland-Geschäfts nicht leisten kann. Des Weiteren versucht die russische Diplomatie, den ukrainischen Nationalismus gegen Europa anzustacheln und dem Nachbarstaat den Verlust seiner Souveränität vor Augen zu stellen.[23] Russland besteht so gegenüber der EU auf seinem Recht, die ehemaligen Brudervölker und heutigen Nachbarstaaten in eigenen Bündnissen zu verstauen, erinnert – ebenso erfolglos – die EU daran, dass es sich doch nur um eine Art Kopie des Wegs bemüht, den die EU vor langer Zeit einmal beschritten hat. Das kommt im Übrigen der Wahrheit näher als der Vergleich zwischen dem Assoziierungsabkommen und der russischen Zollunion, wie ihn der Westen anstrengt, der in der Zollunion nichts als Unterdrückung und Anläufe zur Rekonstruktion der Sowjetunion entdecken will.

Der Unterschied in der imperialistischen Konkurrenz zwischen EU und Russland ist nicht zu übersehen. Russland dringt nicht auf den Ausschluss der EU, sondern auf die Verhinderung seines Ausschlusses, den die EU betreibt. Moskau konkurriert darum, seine nützlichen Beziehungen zur Ukraine aufrechtzuerhalten und weiter auszubauen, ohne dass damit deren Freiheit, mit der anderen Seite entsprechend zu verkehren, ausgeschlossen sind. Das Abkommen mit Europa schließt dagegen die Aufgabe der ukrainischen Autonomie ein, und das längst nicht nur handelspolitisch. Die Ansprüche an das nahe Ausland, die Russland erhebt, liegen weit unterhalb der besitzergreifenden Verfahrensweise der EU und ihrer festen Absicht, den nationalen Willen der Ukraine alternativlos auf sich festzulegen und jeden Widerstand dagegen zu brechen. Russland kämpft um den Nutzen seiner bisherigen ökonomischen und politischen Beziehungen mit der Ukraine, während die EU darauf aus ist, die Ukraine in einen festen ökonomischen und politischen Besitzstand zu verwandeln. Russland erklärt sich auch dazu bereit, zu dritt zu verhandeln, während Europa das als Anschlag auf seine Zuständigkeit definiert und entschieden ablehnt. Und Moskau hat – ganz im Gegensatz zur EU, die jeden ‚Schacher‘ mit der Ukraine ablehnt – neben seinen Retorsionsmaßnahmen auch massive ökonomische Unterstützungsleistungen im Angebot. Um die ukrainische Regierung von der Unterzeichnung abzuhalten, bietet Putin die drastische Absenkung des Gaspreises und einen Kredit in Höhe der vorenthaltenen IWF-Tranche, der die Ukraine fürs erste aus ihrer Zahlungskrise befreit, 15 Milliarden, das ist der Betrag, den der IWF als große internationale Organisation der Ukraine zu geben geplant hat, und in diesem Fall war es Russland, das diese Summe ganz allein zur Verfügung gestellt hat oder jedenfalls dabei ist, das in jedem Fall zu tun ... anders als der IWF haben wir die Bedingungen für diese Anleihe nicht genauestens und in schriftlicher Form niedergelegt.[24] Zudem offeriert Moskau die Aussicht auf mögliche lukrative Kooperationen im Rüstungsbereich und in der Atomwirtschaft.[25]

Den Versuch, den Zugriff der EU auf die Ukraine zu verhindern, lässt sich Russland also einiges kosten, nicht zuletzt auch wegen der gravierenden strategischen Bedeutung eines Lagerwechsels der Ukraine. Ein amerikanischer Thinktank veranschlagt den Wert der Ukraine mit einem Blick auf die Landkarte: eine Quelle strategischer Verwundbarkeit für Russland... Die Ukraine ist von zentraler Bedeutung für Russlands Verteidigungsfähigkeit.[26] Zudem hat der Kreml schon etliche Erfahrungen mit den bekannt friedlichen Erweiterungen der EU hinter sich, bei denen sich Europa und die USA um das während der Zwei-plus-Vier-Verhandlungen abgegebene Versprechen, die NATO nicht nach Osteuropa auszudehnen, nicht weiter geschert haben. Inzwischen sind in Polen, Rumänien und Bulgarien Bestandteile der amerikanischen Raketenabwehr stationiert, und Amerika hat auch der Ukraine bereits das Angebot gemacht, sie in seinen sogenannten Schutzschirm – gegen wen? – einzubeziehen. Die militärische Einkreisung Russlands kommt voran, und der Vertrag, den Russland mit Janukowitsch über seine Marinebasis in Sewastopol abgeschlossen hat, dürfte das Papier nicht wert sein, auf dem er steht, wenn die Ukraine an Europa assoziiert ist. Müßig die Frage, was der NATO wohl einfallen würde, wenn einer ihrer Stützpunkte unter die Fuchtel eines Nicht-NATO-Staates käme?

5.

Die Ukraine, in ihrer ökonomischen Verfassung auf Beziehungen zu beiden Seiten existenziell angewiesen, aufgerieben zwischen den konkurrierenden Mächten, konfrontiert die EU mit ihrer Krisenlage. Am Rand eines Staatsbankrotts, aber im Besitz einer strategischen Lage, eröffnet sie einen Streit um den Preis für den von Europa betriebenen Übertritt ins westliche Lager.

Mit der Verweigerung der Unterschrift unter das Abkommen versucht die ukrainische Führung sich ein weiteres Mal in eben der berüchtigten „Schaukelpolitik“, die die westlichen Freunde einer freien Ukraine nicht leiden können. Nach mehrjährigen Verhandlungen, in denen sie sich bereits auf einen Großteil des europäischen Programms eingelassen hatte, und nachdem schon eine Reihe proeuropäischer Gesetze im Parlament verabschiedet worden ist, sind die Zuständigen offensichtlich auf die Idee verfallen, die um sie konkurrierenden Mächte ausgerechnet mit der ökonomischen Zwangslage, in der sich ihr Staatswesen befindet, zu Zugeständnissen zu bewegen. Sie präsentieren der EU ihre Gegenrechnung, was erstens die nötige Umstellung auf die von der EU vorgegebenen Standards für den Freihandel ihre Nation kosten[27]), und was zweitens die von Russland angedrohten Änderungen im Handelsverkehr an fundamentalen nationalökonomischen Schäden für die Ukraine nach sich ziehen würden.[28] Aus dieser verheerenden Bilanz leiten sie ihrerseits eine Liste von Forderungen ab:

„Die EU muss handeln und der Ukraine konkrete Hilfsleistungen anbieten. Um einige zu benennen: die volle Unterstützung für die Wiederaufnahme der Zusammenarbeit zwischen der Ukraine und dem IWF; ehrgeizige finanzielle Hilfen; die sofortige Öffnung der EU-Märkte für ukrainische Produkte, die die EU Standards erfüllen; Anpassung der EU-Hilfen an den Bedarf, der aus der Implementierung weiterer Reformen auf Grundlage des Assoziationsabkommens entsteht; die EU muss Finanzmittel für die Modernisierung des ukrainischen Gasdurchleitungssystems bereitstellen und das politisch motivierte South Stream Gasleitungsprojekt verhindern; die veralteten, seit Ende des 20. Jahrhunderts geltenden Antidumpingmaßnahmen gegen ukrainische Exporte müssen aufgehoben werden.“ (Kostiantyn Yelisieiev, Ambassador of Ukraine to the EU, Financial Times, November 13, 2013)

So viel an staatlicher Berechnung und Behauptungswillen liegt dann doch vor bei dem Staatsobjekt, das sich die EU einverleiben möchte, dass sich zum ersten Mal ein solcher europäischer Anschlusskandidat anmaßt, seinerseits hartnäckig und am Ende prinzipiell um die Bedingungen zu rechten, die ihm Europa offeriert. Genauer gesagt, Europa wird von der Ukraine mit der Tatsache konfrontiert, dass die sich die Erfüllung der europäischen Forderungen schlicht nicht leisten kann, weil ohne Aussicht auf kompensierende EU-Angebote beim Vollzug der IWF-Forderungen und gleichzeitiger Inkaufnahme von Verlusten im Handel mit der GUS der Zusammenbruch ihrer ökonomischen Grundlage absehbar ist.[29] Die ukrainische Nationalökonomie beruht schließlich maßgeblich auf dem Energiegeschäft mit Russland, auf der nationalen Versorgung mit Öl und Gas sowie dem Transitgeschäft.[30] Dazu kommen andere Handelsbeziehungen, auf die die Nation in ihrer transformationsbedingten Geldnot kaum verzichten kann. Dass von der ukrainischen Schwerindustrie, vom Maschinen- und Anlagenbau, von Chemieindustrie, Flugzeug-, Waffen- und Raketenproduktion etliches die Transformation und Staatsgründung überlebt hat, verdankt sich zu gewichtigen Teilen der aus Sowjetzeiten überkommenen arbeitsteiligen Verflechtung des beiderseitigen Produktionsapparats. Bei dem, was in Russland an Wachstum zustandekommt, partizipieren ukrainische Betriebe, im übrigen auch mit Produkten, die auf dem Weltmarkt wenig konkurrenzfähig wären. Umgekehrt sind sie ebenso auf Zulieferungen aus Russland angewiesen.[31]

Vertreter der regierenden Partei der Regionen weisen die EU darauf hin, mit welchen Folgen sie rechnen, wenn sie sich in das Abkommen hineindrängen lassen:

„‚Wir sind nicht bereit, dieses Abkommen zu unterschreiben, wenn dabei hunderte Betriebe, vor allem im industriellen Ballungszentrum des Landes, werden schließen müssen‘, sagte der stellvertretende Vorsitzende der regierenden Partei der Regionen, Michail Tschetschetow. Betroffen wären Betriebe in den Gebieten Donezk, Lugansk, Saporoschje, Charkow und Dnepropetrowsk. Kiew sei nicht sicher, dass die EU in der Lage wäre, die Verluste auszugleichen, die die ukrainische Wirtschaft wird hinnehmen müssen, sollten die Absatzmärkte für ukrainische Waren in Russland und anderen Ländern der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten schrumpfen.“ (RIA, 26.11.13)

Auf der anderen Seite aber befindet sich die ukrainische Ökonomie eben auch schon in Schuldverpflichtungen in Richtung Westen und benötigt dringlich weiteren Kredit, allein schon deshalb, damit das Energiegeschäft weitergehen kann.[32] Deshalb zielt der halbscharige Erpressungsversuch in Richtung EU auch erklärtermaßen nicht auf den Anschluss an die russische Zollunion; vor- und nachher beteuert die ukrainische Führung, dass sie im Prinzip weiterhin auf den Weg nach Europa setzt.[33] Die Präsentation der Sachlage, dass die Ukraine in ihrer ökonomischen Verfassung weder die Erpressung durch Russland noch die durch die westliche Seite aushält, zielt einzig auf eine angemessene Berücksichtigung durch die EU, ist also eher ein Bittgesuch an diese Adresse, dass die sich dazu verstehen sollte, kompensatorisch tätig zu werden und v.a. den IWF zur Aufgabe seiner Bedingungen zu bewegen.[34] Das erklärt die EU für ‚erpresserisch‘ und weist es strikt zurück. Die Notlage der Ukraine, ihre Angewiesenheit auf Russland und die EU hat sich schließlich längst bis zur Kanzlerin herumgesprochen:

„Janukowitsch habe ein paar Fakten auf den Tisch gelegt. Etwa die Hälfte des Handels gehe nach Russland oder in die Republiken der Zollunion, ungefähr genauso viel in die Europäische Union. ‚Es gibt also eine Bindung nach allen Seiten‘, sagte Merkel.“ (SZ, 30.11.13)

Das befördert nur ihre Entschlossenheit, diese „Bindung“ der Ukraine neu und ausschließlich in eine Richtung zu organisieren, koste es die Ukraine, was es wolle.

Nach dem erfolglosen Versuch, von der westlichen Seite Konzessionen in Sachen Kredit zu erreichen, begeht die ukrainische Führung einen weiteren unverzeihlichen Fehler, verständigt sich mit Russland und erreicht dort ökonomische Zugeständnisse, womit sie wiederum die westliche Seite zu mehr Entgegenkommen bewegen will. Außerdem unternimmt sie auch auf einer höheren Ebene den Versuch, die Interessenten zu ihren Gunsten gegeneinander auszuspielen: Um sich aus der unangenehmen Rolle als Objekt dieses jahrelangen Streits, bei der sie immer abwechselnd von beiden Seiten traktiert wird, ein wenig zu befreien, beantragt die ukrainische Regierung, dass die konkurrierenden Mächte doch wenigstens gemeinschaftlich mit ihr über den Umgang mit ihrem Staatswesen befinden sollten:

„Da bei uns Probleme durch die Haltung Russlands einerseits und die Haltung der EU andererseits entstanden sind, ist es wohl logisch, diese Probleme auf dreiseitiger Ebene zu lösen. Russland hat unser Angebot akzeptiert. Nunmehr liegt es an der Europäischen Union.“ (Ministerpräsident Asarow, RIA, 27.11.13)

Vom Standpunkt der EU aus ein Affront, denn Russland als entscheidende Größe hinauszubefördern - das ist ja gerade der Sinn der Sache.

6.

Wenn die ukrainische Führung meint, mit den russischen Angeboten taktieren zu können, ist ihre Behandlung als „Partner“ vorbei. Der Westen setzt postwendend auf den Umsturz der Regierung, orchestriert den Aufstand und dringt mit flankierenden Maßnahmen als Entscheidungsinstanz jenseits und oberhalb des Getümmels vor Ort auf das gewünschte Ergebnis. Unstimmigkeiten im westlichen Lager bleiben dabei nicht aus, weil Europa die ihm zugeteilte Ordnungsaufgabe aus amerikanischer Sicht viel zu zögerlich angeht.

„Da fahren also 28 Staatsrepräsentanten nach Vilnius, um sich vom Präsidenten einer Schaukelrepublik am Nasenring durch die Manege ziehen zu lassen... Die Annäherung aller Staaten an die EU funktionierte bisher ja auch nach dem Magnet-Prinzip: Alle Kraft geht vom Pol aus. Und der liegt nun mal in Brüssel. Aber: Jenseits der reinen Lehre haben die Ukraine-Verhandlungen die Schwachbrüstigkeit der EU offenbart... Wer seine Interessen durchsetzen will, der muss im Staatengeschäft mehr bieten als hohe Moral und einen dicken Geldbeutel... Europa mag Werte haben, aber es muss sie auch verteidigen können.“ [35]

Joschka Fischer legt nach:

„Demonstrative Akte, papierene Erklärungen und ansonsten weitgehendes Desinteresse bis hin zur strategischen Ignoranz der eigenen Interessen werden im Verhältnis zu Russland nichts nützen.“ [36]

Die Tatsache, dass der weitere Durchmarsch Europas im östlichen Teil des Kontinents auf größere Hindernisse trifft, halten die Autoren für dermaßen unerträglich, dass sie dem europäischen Staatenblock einen gravierenden Mangel an imperialistischer Machtentfaltung nachsagen und nachdrücklich eine Kursänderung beantragen. Der Frieden in Europa hat ja auch lange genug gedauert - jedenfalls der in der Ukraine.

Was da bisher so blendend nach dem Magnetprinzip funktioniert hat, war allerdings schon immer etwas anderes als die Kombination von Moral und Geldbeutel. Vielmehr hat Europa die historisch einmalige Gelegenheit ergriffen, mit der Abschreckungsmacht der NATO im Rücken die Schwächephase der politischen Nachlassverwalter in Russland auszunützen, um sich große Teile des auseinandergebrochenen sozialistischen Machtblocks zuzuschlagen. Und der Pol in Brüssel hat seine wundersame Anziehungskraft nur deswegen so friedlich ausgeübt, weil es auf seiten der Objekte einen Staatswillen zu instrumentalisieren gab, der keine Alternativen zu seiner Unterordnung gesehen hat. Nach dem ökonomischen Zusammenbruch durch die Abschaffung des alten Systems, ausgestattet mit dem erbitterten Willen, sich die staatliche Existenz auf dem Weg der kapitalistischen Bewirtschaftung ihrer Nationen zu sichern, aber ohne auch nur annähernd über die dafür nötigen Mittel zu verfügen, haben sich die Kandidaten der Osterweiterung von Beginn an der Zuständigkeit der EU unterstellt und sich aufgrund ihrer mehr oder weniger heftigen Feindschaft gegenüber „Moskau“ auch von der NATO eingemeinden lassen. In der Berechnung, sich nur dank der Standortpolitik der EU überhaupt eine wirtschaftliche Basis für ihre Staatsambitionen schaffen zu können, haben sie sich freiwillig, wenn auch nicht ohne reichliche Belastungsproben für ihren freigesetzten Nationalismus den Anschlussprozeduren unterzogen und ihre Staatsraison in der neuartigen Rolle eines passiven Imperialismus aufgehen lassen, in der sie ihr ökonomisches Schicksal gänzlich den Entscheidungen auswärtiger Kapitaleigner, der EU-Instanzen und deren Binnenmarkt überantwortet haben.

Im Unterschied zu diesen Kapiteln Osterweiterung hat es Europa bei der Ukraine mit einem unhandlicheren Fall zu tun. Das Ärgerliche an diesem Objekt der europäischen Begierde ist die Tatsache, dass es mit beiden Seiten kalkuliert, aus den Beziehungen zu denen auch noch Machtmittel, eine materielle Grundlage herauswirtschaftet, mehr schlecht als recht, aber immerhin so viel, dass es seine eigenen Berechnungen darauf gründet – kurz: eben die „Schaukelpolitik“ betreibt, die ihm Europa seit seiner Staatsgründung verübelt. Zwar führt das Lavieren der dortigen Führungsmannschaft zu einem beständigen Streit um die Ausrichtung der Staatsraison, der aber nur zu verschiedenen Machtwechseln und auch nach der glorreichen bunten Revolution zu keiner endgültigen Festlegung geführt hat. Dieses Ärgernis hat die EU im Auge, wenn sie die Lage für instabil erklärt; und sie ist fest entschlossen, ohne Rücksicht auf die Verfasstheit der Ukraine den Staat, wie man so sagt, an sich zu binden: Ein großer Schuldenfall, ein Sammelsurium von ökonomischen und politischen Krisen, ein von den permanenten Machtkämpfen zersetzter Staat mit guten Aussichten auf Spaltung und Bürgerkrieg soll mit allem Nachdruck zur rechtsförmlichen Unterordnung unter die EU genötigt werden – von wegen also, der Staat sollte erst eine gewisse Reife an sich herstellen, bevor die Europäer ihm eine Assoziierungs- oder gar Beitrittsperspektive schenken können, wie es in anderen Fällen heißt.

Da das Unternehmen aber nicht reibungslos über die Bühne geht, kommt das Prinzip der ach so friedlichen europäischen Erweiterungspolitik zum Vorschein. Was als großzügiges Geschenk an die bedürftigen Nachbarn daherkommt – Europa liefert mit seinem Acquis nur die methodische Anleitung für gutes Regieren und wirtschaftlichen Erfolg –, verlangt von der beschenkten Nation in der Sache, ihre Zuständigkeit, wofür und wie regiert wird, aufzugeben. Die Angebote haben den Charakter der Erpressung, sie sind mit Bedingungen verknüpft, die mit dem nationalen Berechnen und Herumlavieren der Ukraine Schluss machen sollen und darauf zielen, den auf Eigenständigkeit bedachten nationalen Willen zu brechen. In diesem Fall geht es der EU darum, die Alternativlosigkeit herzustellen, die sie bei den anderen vorgefunden hat. Aufgrund der Vorbehalte der ukrainischen Regierung und der russischen Interventionen tritt deshalb der erpresserische Charakter der europäischen Landnahme zu Tage. Weil der Automatismus des bisherigen Erweiterungsverfahrens nicht mehr funktioniert, weil die Abhängigkeiten, die eingerichtet sind, den gewollten Ertrag nicht bringen, wird die EU unter deutscher Führung offensiv und greift zum Mittel der Erpressung mit der längst eingerissenen Abhängigkeit der Ukraine von ihrem ökonomischen Machtblock und besteht bedingungslos auf ihrem Anschlussprogramm. Daher weisen die Chefs der EU Janukowitschs Erkundigung nach kompensatorischen Leistungen strikt zurück. Die EU kann sich doch nicht auf eine Bieterkonkurrenz einlassen; Scheckbuchdiplomatie kommt nicht in Frage. Eine Rücksichtnahme auf den Bedarf dieser Nation ist nicht im Angebot, weil es Europa hier ums Prinzip der Unterordnung geht. Mit seiner Ablehnung der Unterzeichnung des Abkommens liefert Janukowitsch gewissermaßen den letzten Beweis dafür, dass dieser störende Nationalismus erledigt werden muss.

Ohne einen Moment zu zögern, schalten die Euro-Führer gegenüber dem bisherigen Verhandlungspartner um auf offene Feindschaft. Wenn die ukrainische Regierung meint, sich gegen die Modalitäten der geplanten Übernahme wehren zu müssen, verweist die EU darauf, dass sie über andere Mittel gebietet, die Unterordnung zu erzwingen. Sie bestreitet die Legitimität der Janukowitsch-Mannschaft, über das Schicksal ihrer Nation zu entscheiden, und setzt alles in Bewegung, um deren Macht zu untergraben, vermittels der ukrainischen Opposition und sämtlicher Gegensätze, die in diesem Staatswesen unterwegs sind, auch wenn sich darüber der Staat immer weiter zerlegt.

Erstmals kann Deutsch-Europa dabei einen selbst produzierten alternativen Führer präsentieren. Dass der Mann nach Auskunft seines Beraterstabs von der Konrad-Adenauer-Stiftung Nachhilfe braucht im Ukrainischen und beim Reden überhaupt, macht nichts. Dass Bekanntheitsgrad und Glaubwürdigkeit unseres Helden aus einer etwas anderen Karriere herrühren, ist auch kein Hinderungsgrund, dient umgekehrt als Ausweis von Sauberkeit und Tatkraft. Hergestellt wird seine Legitimität nicht durch umständliche Wahlverfahren, sondern dadurch, dass sich die Sponsoren, Westerwelle, Ashton und haufenweise Euro-Parlamentarier auf dem Maidan neben ihn stellen und den Auflauf auf dem Platz zur einzig gültigen Willensäußerung des ukrainischen Volkes und den Boxer zu dessen Repräsentanten ernennen. Auf der Sicherheitskonferenz in München setzt man ihn wie einen offiziellen Vertreter der Ukraine, mit dem gleichzeitig schon Verhandlungen geführt werden, aufs Podium...

Die gesamten Aktivitäten der Opposition werden unter den Schutz des Westens gestellt, indem der noch im Amt befindlichen Regierung unter Androhung von Sanktionen verboten wird, die Mittel einzusetzen, die Regierungen üblicherweise gegen Umsturzversuche ergreifen.[37] Daneben bearbeiten diplomatische Vertreter der USA die ostukrainischen Oligarchen, um Janukowitsch diese Machtbasis zu entziehen. Die westlichen Auftraggeber verschaffen ihrer Gegenregierung eine Bühne, die internationale Aufmerksamkeit und erforderliche Resonanz, an Finanzmitteln und technischem Equipment mangelt es dem Aufstand auch nicht. Unabhängige Fernsehsender und Internetorgane versorgen die in- und ausländische Öffentlichkeit mit spektakulär aufbereitetem Material.

Damit der von Europa bestellte Führer etwas hermacht, braucht er auch eine Truppe. Die gibt es, als wüstes Sammelsurium aus westukrainischen Nationalisten, Ultra-Verbänden mit Kampferfahrung von der Fußballszene und allem, was aus sonstigen Gründen die Regierung nicht leiden kann – Gründe dafür hat die vergeigte Lage der Ukraine ja genügend geschaffen. Zusammengehalten wird das Ganze von nur einem verbindenden, abstrakten Anliegen: Janukowitsch muss weg. Für die Mannschaften, die die Barrikaden bauen und die Ministerien besetzen, reichen die Stichworte „korrupt“ und „Verbrecher“ völlig als politisches Programm. Janukowitsch versucht vergeblich, dem Trio der Oppositionsführer die politökonomische Zwangslage der Nation zu unterbreiten, um sie in die Verantwortung mit hineinzuziehen. Die verweigern jedes Zugeständnis, ehe der Präsident ihnen nicht die Macht übergibt.

Das Absehen davon, welche Kräfte der Westen da fördert, ist im Preis für den Umsturz mit drin. Alles, was sich in der Ukraine gegen die Regierung auflehnt, ist recht[38]; auch Figuren, die sich, nach über 20 Jahren Erfahrungen mit der Demokratie in der Ukraine, als Antidemokraten bekennen.[39] Auch die Partei „Swoboda“, die an die edelsten vaterländischen Traditionen anknüpft und die Kämpfer aus dem separaten ukrainischen Freiheitskampf im Zweiten Weltkrieg, an der Seite und unabhängig von der Wehrmacht, samt deren Heldentaten gegen Bolschewisten, Juden und Polen wiederaufleben lässt. Die Berichterstatter sind voller Verständnis für den Umschlag von Enttäuschung in Wut, der sich ganz spontan vollzieht und schon paramilitärisch organisiert ist. Gelegentlich kommt zwar zur Sprache, dass die Mannschaften, die die westlichen Regierungen unter ihren Schutz gestellt haben, nicht unbedingt unter die Kategorie lupenreine Demokraten fällt – aber das meist auch nur als das Problem, ob Klitschko und Kollegen die Kampftruppen auf dem Maidan unter Kontrolle haben, und als Beweis, was die Regierung mit ihrer Gewalt alles anrichtet.

Die ukrainische Regierung versucht der von außen nach Kräften aufgeheizten Lage mit den Mitteln beizukommen, die Staaten für solche Fälle bereitzuhalten pflegen, lässt sich andererseits aber auch beeindrucken von den westlichen Drohungen, keinesfalls Gewalt auszuüben – schließlich will man sich in Kiew den Weg nach Europa nicht grundsätzlich verbauen. Herauskommt ein Hin und Her aus massivem Einsatz der Staatsgewalt, Verschärfung des Demonstrationsrechts und ostentativer Nachgiebigkeit und Kompromissbereitschaft.[40] Da wird die Polizei zur Durchsetzung von Recht und Ordnung erst in erbitterte Straßenkämpfe geschickt, dann wieder zurückgepfiffen; da genehmigt sich die Regierung eine Reihe von Gesetzen zur besseren Bewältigung des Aufruhrs – die Institution der Bannmeile war in der Ukraine offensichtlich noch unbekannt; ebenso das Vermummungsverbot und die anderen Instrumente des Demonstrationsrechts, über die gereifte Demokratien verfügen. Kaum erlassen nimmt sie diese Gesetze dann, als Konzession ans Ausland und Angebot an die Opposition, die für einen Kompromiss gewonnen werden soll, wieder zurück. Nachdem schließlich die Einheit der Nation ernstlich auf dem Spiel steht, wirft der Präsident alle anderen bisher gültigen Berechnungen und Bedenken über Bord, entlässt die Regierung und bietet der Opposition die Teilnahme an der Regierungsgewalt an, was die aber erst einmal ablehnt: Ohne die weitgehende Entmachtung Janukowitschs verhandelt sie nicht.

Das Herumrudern der Führungsfiguren zwischen Drohungen, den Notstand zu verhängen, und Angeboten zur nationalen Versöhnung strapaziert die Einsatzbereitschaft und Loyalität der Sicherheitskräfte, bricht die Einheit der Kommandostruktur bis in die oberste Ebene und zersetzt so den staatlichen Machtapparat. Die staatstragende Partei der Regionen selbst fällt auseinander in Befürworter des Euro-Anschlusses und andere, die die Wiederherstellung der staatlichen Ordnung verlangen. Die Militärführung fordert die Regierung ebenfalls auf, endlich für Stabilität zu sorgen, und erklärt gleichzeitig, sich im Konflikt zwischen der Regierung und der Opposition neutral verhalten zu wollen, weil sie befürchtet, dass sich auch der vermeintlich letzte Garant der Einheit der Nation in feindliche Lager spaltet, wenn er zur Durchsetzung des Gewaltmonopols gegen den Aufstand antreten soll. Das nicht ohne Grund, denn die Armee ist nach dem Territorialprinzip aufgebaut; die in den Landesteilen stationierten Streitkräfte rekrutieren die Wehrpflichtigen mehr oder minder komplett vor Ort.[41]

Landesweit zerfällt die gesamtstaatliche Ordnung: Im Westen werden die bisherigen Regierungsorgane als von oben installierte Instrumente einer Fremdherrschaft aufgelöst und neue politische Institutionen gegründet. Inzwischen tagt dort als neues Legislativorgan eine Volksversammlung (Volks-Rada), die zum Putsch gegen die ukrainische Führung aufruft und vorsorglich schon einmal die Partei der Regionen und die Kommunistische Partei in ihrem Sprengel für illegal erklärt und verbietet. Die Verwendung der Symbole der beiden Parteien wird künftig strafrechtlich verfolgt. In Lemberg wird dazu aufgerufen, dass alle Personen, die legal eine Waffe besitzen, in eine Bürgerwehr eintreten. Die Chefs in anderen Regionen wiederum verlangen, dass die Regierung endlich für Ordnung sorgt, und beschließen, weil Taten ausbleiben, ihrerseits eigenhändig Maßnahmen wie das Verbot der Partei „Swoboda“ auf ihrem Terrain und die Aufstellung von Bürgerwehren gegen die Maidan-Bewegung. In Gebieten im Osten werden Forderungen laut, sich von der Westukraine abzutrennen...

Das alles gibt den Verantwortungsträgern in den USA und Europa sehr zu denken – nämlich ob in und mit diesem Verhau das Entscheidende, der Seitenwechsel der Ukraine, auch flott genug vorankommt. Die USA betätigen sich an allen Fronten, um die Sache zügig zu Ende zu bringen: Sie drohen der ukrainischen Führung ihrerseits mit Sanktionen, können überhaupt nicht verstehen, warum die EU nicht endlich Gelder für eine künftig von der Opposition gestellte Regierung locker macht, und fordern sie auf, der Ukraine den Beitritt zu versprechen, um so Putins Vorstellung von der Auferstehung des russischen Reichs (McCain) den Boden zu entziehen. Zugleich bestellt Washington einen UNO-Emissär, um die Federführung nicht Europa zu überlassen – fuck the EU –, und sucht sich nebenbei aus dem Oppositionsangebot den Führer aus, der ihm passt – Klitsch jedenfalls nicht. Schließlich hat die US-Regierung auch noch eine ganz besondere Entscheidungshilfe für Janukowitsch bei der Konfliktlösung parat: Zwei ihrer Kriegsschiffe nehmen Kurs auf die ukrainischen Hoheitsgewässer im Schwarzen Meer, zufälligerweise liegt ja Sotschi direkt neben der Ukraine.

Europa lässt sich die Sache nicht aus der Hand nehmen, d.h. in dem Fall beansprucht die deutsch-französische Führungsmacht die Definitionshoheit darüber, was sich Europa im Machtkampf um die Aneignung der Ukraine schuldig ist. Ashton bleibt zuhause, dafür wird der Vorkämpfer des polnischen Revanchismus gegenüber der Ukraine miteingepackt. Schließlich hat die neue deutsche Regierung die Welt ja schon damit bekannt gemacht, dass sie mehr Verantwortung übernehmen will, dass sich Deutschland nach Auskunft des Bundespräsidenten als guter Partner früher, entschiedener und substanzieller einbringen und nicht länger mit Hinweis auf seine Geschichte aus Zurückhaltung eine ‚Selbstprivilegierung‘ machen [42] möchte. Deutschland opfert sich jetzt also endlich mal für die Völkerfamilie, nötigt gemeinsam mit Frankreich und Polen den ukrainischen Präsidenten dazu, eine Art Kapitulationserklärung zu unterschreiben und leistet damit einen weiteren tatkräftigen Beitrag zum Umsturz der ukrainischen Machtverhältnisse.

Nachdem die europäische Diplomatie die Regierung zum Gewaltverzicht genötigt, sich also umgekehrt mit aller europäischen Macht hinter den Aufstand gestellt hat – das nennt sich Vermittlung –, sieht sich der friedliche Protest endgültig ins Recht gesetzt. Dort hat man die Botschaft ganz richtig verstanden, nämlich als Ermächtigung zum Sturm auf Parlament und Regierungssitz. Angesichts dieser Machtdemonstration kippt die Mehrheit im Parlament und schlägt sich auf die Seite der stärkeren Partei; die hat offenkundig keine Skrupel, der Nation die Zerreißprobe zuzumuten, die der Lagerwechsel der Ukraine bedeutet.

Janukowitsch ist abgesetzt, der Jubel im Westen über den Austausch der Führungsfiguren ist groß. Verbleibt nur das restliche Staatswesen, an dem jetzt wieder eine pro-europäische Mannschaft ihre Führungsqualitäten unter Beweis stellen darf: ein Ensemble aus Abhängigkeiten in beiden Himmelsrichtungen, mit der russischen Verfügung über die Energieversorgung und der prekären Finanzlage, mit der vom IWF verlangten Rosskur für Standort und Bevölkerung, mit all seinen Gegensätzen sowohl in der Führungsmannschaft wie im Volk, mit den aufgestachelten Feindseligkeiten zwischen West- und Ostukraine, mit seiner brisanten strategischen Lage und der massiven Bedrohung russischer Sicherheitsinteressen. Imperialistisch gesehen sicher a better place.

[1] europa.eu/rapid/press-release

[2] Seit der Lehman-Krise bezweifeln die Finanzmärkte die Kreditwürdigkeit der Ukraine, der Staat kann seine aufgelaufenen Schuldverpflichtungen nur noch mit Mühe auf dem freien Geldmarkt refinanzieren und steht unter Aufsicht des IWF. Da die ukrainische Führung dessen Forderungen nicht nachkommen will, werden auch die zugesagten Tranchen des Stand-by-Kredits nicht ausgezahlt. Westliche Banken ziehen ihr Kapital ab, Fachleute warnen vor einer absehbaren Zahlungsunfähigkeit und prognostizieren eine Wirtschafts- und Währungskrise, die wohl ein IWF/EU-Bail-out notwendig machen wird. („Zyklischer Abschwung, strukturelle Schwächen und Ereignisrisiken – droht eine erneute Wirtschaftskrise?“ Gunter Deuber, Andreas Schwabe, in Ukraine-Analysen, 14.11.13)

[3] eeas.europa.eu/delegations/ukraine/documents/virtual_library/vademecum_en.pdf, im Folgenden ‚vademecum‘

[4] Zu den zwei größten Anreizen, die die EU ihren Partnerländern innerhalb der östlichen Partnerschaft anbietet, zählt die EU neben ihrem tiefen und umfassenden Freihandelsabkommen (DCFTA) auch die Aussicht auf visafreies Reisen. (European Integration Index 2013 for Eastern Partnership Countries, International Renaissance Foundation in cooperation with the Open Society Foundations and Eastern Partnership Civil Society Forum, www.eap-index.eu, im Folgenden ‚eap-Index‘)

 Auch eine Weise, das landesübliche Elend auszunützen, wenn Europa mit der Legalisierung der Gelegenheit, von dort abzuhauen, um die westeuropäischen Bordelle und Märkte für Schwarz- und Billigarbeit zu bestücken, für den Anschluss wirbt.

[5] vademecum

[6] Janukowitsch: Ukrainische Waren auf EU-Markt nicht gefragt, de.ria.ru, 14.11.13. Auch die Verfasser der EU-Propagandaschrift räumen ein, dass nach Inkrafttreten des Abkommens einiges an ukrainischer Ökonomie der EU-Konkurrenz zum Opfer fallen dürfte.

 Aber:“Das ist ein Kampf, bei dem die Bürger der Ukraine, ihre Ökonomie und das Land insgesamt die Gewinner sein werden, weil die Ressourcen, die gegenwärtig in jenen ineffizienten, nicht konkurrenzfähigen Sektoren feststecken, freigesetzt werden für einen Einsatz mit höherer Wertschöpfung in anderen Wirtschaftssektoren.“ Mit der Umdefinition von Betriebspleiten in eine Freisetzung von Kapital ist die positive Perspektive gerettet. Und mit der Zeit wird sich alles schon richten: Im Lauf der Zeit wird diese Angleichung die Kosten für Unternehmen reduzieren, die gegenwärtig zwei verschiedenen Gruppen von Normen und Regelungen entsprechen und um verschiedene Zertifizierungen nachsuchen müssen.

 Den Skeptikern in der Ukraine wird auch noch einiges über die angeblichen Erfolge der osterweiterten Nachbarstaaten erzählt:

Die Erfahrungen der neuen Mitgliedsstaaten zeigen, dass sich die immer engeren Beziehungen mit der EU auszahlen. Die pessimistischen Erwartungsszenarien eines Zusammenbruchs der Ökonomien in den Visegrad- oder den baltischen Staaten nach der Öffnung ihrer Märkte (steigende Inflation, Arbeitslosigkeit, massenhafte Pleiten) haben sich nicht bewahrheitet. Stattdessen wurden wir Zeugen eines relativ hohen Wachstums des Bruttoinlandsprodukts in der Region während der letzten 15 Jahre, wenn auch begleitet von einem Auf und Ab in einigen Ländern. (vademecum)

 Gemessen an einem möglichen Kollaps zählt schließlich alles andere als Wachstum, zumal die betreffenden Länder große Abteilungen des Kollaps schon vor dem Beitritt abgewickelt haben. Und das Dogma, dass die Angliederung an Europa sich gar nicht anders als wohltuend auswirken kann, wird auch nicht durch die regelmäßigen Statistiken beeinträchtigt, nach denen sich diese Länder dauerhaft im Status der Peripherie und Armenhäuser wiederfinden:

Osteuropa verliert den Anschluss... In den postkommunistischen Volkswirtschaften Osteuropas verfestigt sich die Wohlstandslücke zu Westeuropa. Die neuen Mitgliedstaaten der EU sind wirtschaftlich seit der Finanzkrise von 2008/2009 kaum weiter an den europäischen Durchschnitt herangekommen... Derzeit schreitet die Konvergenz kaum voran. Am weitesten fortgeschritten ist Slowenien mit einer Wirtschaftsleistung pro Kopf von rund vier Fünfteln des Durchschnitts der EU. Doch selbst dort hat sich seit 2008 die Lücke der Realeinkommen gegenüber dem Durchschnitt der EU verbreitert. (FAZ, 29.11.13)

[7] Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Merkel zum EU-Gipfel „Östliche Partnerschaft“ am 28./29. 11.13

[8] „Die (IWF-)Direktoren unterstrichen die Notwenigkeit einer umfassenden Reform des Energiesektors. Sie betonten, dass drastische und umfassende Tariferhöhungen unausweichlich sind, um die quasi-staatlichen Verluste (der staatlichen Energieversorgungsunternehmen) zu reduzieren... Die Direktoren betonten die Wichtigkeit der Haushaltskonsolidierung für die Umstellungsanstrengungen insgesamt. Hohe Budgetausgaben sollten reduziert werden durch Rationalisierung im öffentlichen Beschaffungswesen, durch Beschränkung des Wachstums bei Löhnen und Beschäftigung im öffentlichen Sektor und durch die Begrenzung der Anbindung der Renten an die Inflation.“ (IMF Executive Board Concludes 2013 Article IV Consultation, First Post-Program Monitoring, and Ex Post Evaluation of Exceptional Access with Ukraine, Press Release No. 13/531, December 19, 2013)

Der Fonds kritisiert vor allem hohe Lohn- und Pensionserhöhungen sowie die exorbitanten Energiesubventionen, die sich inzwischen auf 7,5 Prozent des ukrainischen Bruttoinlandsprodukts beliefen. Die von Moskau zugesagten Preisrabatte für Gaslieferungen dürften die Energieverschwendung noch anheizen. (HB, 22.12.13)

[9]Der Ministerpräsident der Ukraine Mykola Asarow befindet die Forderung des IWF, die Landeswährung der Ukraine massiv zu entwerten, um Vorteile im Außenhandel zu gewinnen, nicht für sinnvoll. Nach Worten des Premierministers werde die Entwertung der ukrainischen Landeswährung zur Verteuerung des US-Dollarkurses um das Zweifache führen, was für nicht wenige Bevölkerungsschichten extrem schmerzhaft wäre.“ (NRCU, 27.12.13)

[10] Rede des Premierministers Mykola Asarow im Parlament, 22.11.2013

[11] HB, 22.12.13

[12] Zu der gehört dann ganz nebenbei auch die Verpflichtung des Staates auf die Durchsetzung einer neuen Sittlichkeit, allem voran der gesetzlich vorgeschriebene Respekt vor den Schwulen- und Lesbenrechten in einem ziemlich andersrum eingestellten Volk.

[13] Positionspapier der Expertengruppe Östliche Partnerschaft. Markus Meckel, Georg Milbradt, Friedbert Pflüger, Christian Schwarz-Schilling, Rainder Steenblock, Rita Süssmuth, Günter Verheugen, Karsten D. Voigt, in: dgap Standpunkt, Februar 2012

 Die Ukraine „darf“ sich auch schon an der Sicherheitspolitik der EU „beteiligen“, bei Polizeitruppen in Bosnien, bei der Piratenbekämpfung vor Somalia, mit Dienstleistungen bei europäischen Militäreinsätzen mit ihrer Antonow. Außerdem ist die Ukraine der einzige NATO-Partnerstaat, der an allen im Rahmen der NATO laufenden friedenserhaltenden Operationen teilnimmt: Kosovo – 133 ukrainische Peacekeeper dienen in der multinationalen Kampftruppe Ost unter US Kommando; Afghanistan – 20 ukrainische Diensttuende beim Militär; Irak (NATO Training Mission – NTM-1) – 8 Offiziere der ukrainischen Armee; Mittelmeer – seit 2007 nehmen ukrainische Kriegsschiffe an der NATO Antiterror Operation Active Endeavour teil, wo sie den Seeverkehr in einer ihnen zugeteilten Zone überwachen. (Potential for cooperation between Ukraine and the European Union in the sphere of security. Policy Paper of Center for Army Conversion and Disarmament Studies prepared for Konrad Adenauer Foundation, 2/43 KAS- PolicyPaper 19)

[14] Deutsche Beratergruppe, newsletter 55, März 2013

[15] Das Assoziierungsabkommen verpflichtet sich explizit dem hohen Wert, die regierungsfeindlichen Kräfte zu stärken, indem es denen die nötigen „tools“ und „leverage“ liefert:

Das Assoziationsabkommen wird ernstzunehmende Auflagen für unwillige Reformer schaffen: Es wird schwerer werden, Reformen abzulehnen, die sowohl sehr detailliert als auch gesetzlich bindend sind. Darüber hinaus wird das Assoziationsabkommen ein Werkzeug sein und jenen Akteuren in den Ländern der östlichen Partnerschaft, die an Reformen interessiert sind, ein Instrumentarium zur Verfügung stellen. Es hat das Potenzial, ihre Macht auf lange Sicht zu stärken. Da sich der Kampf zwischen den reformunwilligen Akteuren und denen, die auf Reformen aus sind, sicherlich verschärfen wird, wird ein starker äußerer Anstoß nötig sein, um die Waagschale zugunsten der Letzteren sinken zu lassen und einer gespaltenen Gesellschaft eine Orientierungshilfe zu geben. (eap-Index)

 So viel zur Freiheit der Selbstbestimmung dieser Länder: Wenn sich eine Regierung Europa nicht freiwillig unterordnet, wird Europa den ‚reform-minded‘ zur Macht verhelfen.

[16] Wie der Euroimperialismus die Staatsraison der Transformationsstaaten, die Merkwürdigkeit eines passiven Imperialismus für seine Osterweiterung benützt hat, erklärt der Artikel Ein neuartiger Fall von imperialistischem Abenteurertum in GegenStandpunkt 1-03

[17] Dabei zitieren die Thinktanks der EU immer wieder den Ausspruch des ehemaligen amerikanischen Sicherheitsberaters Brzezinskis: Ohne die Ukraine wird Russland kein Reich mehr. Doch mit der Ukraine, die zunächst bestochen und danach unterworfen wurde, wird Russland automatisch zum Imperium. (de.ria.ru)

 Der strategische Sinn und Zweck der östlichen Partnerschaft ist im Übrigen auch daran abzulesen, dass sie den gesamten Staatenkranz entlang der russischen Grenzen, von Weißrussland im Westen bis zu Aserbeidschan im Süden auf Europa auszurichten beansprucht. Das Schwergewicht dabei ist und bleibt allerdings die Ukraine, weswegen den neu Assoziierten, Moldawien und Georgien, von deutschen Schreibtischstrategen mitgeteilt wird, dass sie in diesem great game nur als peanuts zählen: Mit der Weigerung aus Kiew ist das Herzstück der ‚östlichen Partnerschaft‘ weggebrochen. Zwar unterzeichnen in Vilnius Georgien und Moldau Verträge mit der EU, aber Moldau ist winzig und Georgien ein schwer durchschaubarer Partner. (Spiegel-online 29.11.13)

[18] NZZ, 29.11.13

[19] Entschließung des Europäischen Parlaments zum Druck Russlands auf Staaten der Östlichen Partnerschaft im Zusammenhang mit dem anstehenden Gipfeltreffen der Östlichen Partnerschaft in Vilnius, 18. September 2013, im Folgenden ‚Entschließung‘

[20] Das Erste, was wir den ukrainischen Kollegen erklären werden, ist, dass die Ukraine, wenn sie das Assoziations-Abkommen unterschreibt, die Möglichkeit verliert, an den Prozessen der eurasischen Integration teilzunehmen. Das Zweite: In diesem Fall beraubt sie sich des Status eines selbständigen Partners und wird ohne Zustimmung der Eurokommission keine einzige Entscheidung im Bereich der Regelung von Handels- und Wirtschaftsbeziehungen treffen können. Das Dritte: Wir drücken unsere Besorgnis aus darüber, dass diejenigen Handelsregelungen, die die Ukraine mit der EU einführt, ernsthafte Veränderungen in der Struktur des Warenverkehrs nach sich ziehen können – ich betone nicht nach sich ziehen, sondern nach sich ziehen können. Diese Veränderungen sind mit zwei Risiken verbunden. Das erste Risiko ist ein Überschwappen europäischer und türkischer Waren, äußerlich als ukrainische deklariert. Um das zu neutralisieren, gibt es die Prozedur der Administrierung von Zöllen. Und das zweite Risiko ist die Verdrängung ukrainischer Waren vom Binnenmarkt auf den Markt der Zollunion. Das ist unausweichlich, insofern ein erheblicher Teil der Produzenten nicht innerhalb von 2-3 Jahren ihre Produktion mit den europäischen Regeln in Übereinstimmung (werden) bringen können, wie dies die Assoziation fordert. Als Folge werden sie den eigenen ukrainischen Markt verlieren, und ihnen verbleibt der Markt der Zollunion. Davon ausgehend wird die Zollunion es ihrerseits unternehmen, einen Zolltarif einzusetzen. Noch einmal versichere ich Ihnen, nicht wir sind es, die die Ukraine erpressen, es ist die Ukraine, die uns vor das Faktum stellt, dass sie Art. 13 des Großen Vertrags der GUS verletzt, das ganze System der Handels- und Wirtschafts-Regelung ändert und es in die einseitige Abhängigkeit von einer dritten Seite bringt. (Glasjew, ein Berater Putins in Kommersant-Ukraine vom 3.9.2013)

[21] Ja, wir wollen europäische Standards, aber lasst uns die so einführen, dass die Maschinenbauer morgen nicht dicht machen, dass der Schiffsbau sich über Wasser halten kann, dass die Flugzeugfabrikation nicht zusammenbricht, dass die Raumfahrtindustrie nicht kaputt geht und dass das Ingenieurswesen im allgemeinen überlebt. Alle diese Märkte und Kooperationen sind mit Russland verbunden. (Putin, News Conference, December 19, 2013, president.kremlin.ru)

[22] Wir haben bis jetzt fast 100 % der Helikoptermotoren für unsere Streitkräfte von der Ukraine gekauft. Fast 100 %. Wir haben viele Male verschiedene Optionen zur Zusammenarbeit angeboten, aber wir haben es nicht geschafft, eine Übereinkunft zu erzielen. Was ist die Folge? Wir haben begonnen, die zweite Fabrik zur Herstellung von Flugzeugmotoren in der Nähe von St Petersburg zu bauen. Die erste hat schon mit der Produktion begonnen; sie stellt die Motoren her, und das sind die Motoren der nächsten Generation. Wohin wollen sich die ukrainischen Hersteller wenden mit dem, was sie daheim produzieren? Werden sie nach Europa exportieren? Das bezweifle ich stark. Es mag möglich sein, wird aber sehr schwierig werden. (a.a.O.)

[23] ... dass es die europäischen Politiker sind, die direkten politischen Druck auch in Fragen der ukrainischen Innenpolitik ausüben und ‚Daumenschrauben‘ ansetzen und Kiew dazu zwingen, auf die Souveränität der Ukraine teilweise zu verzichten und seine Handels- und Wirtschaftsbeziehungen praktisch unter Brüsseler Kontrolle zu stellen. Der Entwurf des Assoziierungsabkommens mit der Europäischen Union sieht eine signifikante Veränderung des gesamten Handelssystems der Ukraine, eine Übertragung von Hoheitsrechten im Bereich der Zoll- und Handelspolitik, Sanitär-, Veterinär- und Pflanzenschutzmaßnahmen und technischer Vorschriften vor. Gleichzeitig wird die Ukraine gezwungen, Gesetze nach den Mustern der Europäischen Union zu ändern, ohne das Recht zu behalten, Entscheidungen in den wichtigen Wirtschaftsbereichen beeinflussen zu dürfen. (Erklärung der Staatsduma Russlands: Im Zusammenhang mit der Verabschiedung der Entschließung des Europäischen Parlaments mit den haltlosen Anschuldigungen gegen die Russische Föderation vom 20.9.13)

[24] Putin nach dem EU-Russland-Gipfel (January 28, 2014, Brussels, president.kremlin.ru)

[25] „Wir haben immer noch sehr viel Potential zur Zusammenarbeit. Das Antonow-Konstruktionsbüro ist gut aufgestellt und wir können die Zusammenarbeit weiterentwickeln. Beim Schiffsbau können wir vieles gemeinsam in Angriff nehmen und in der Weltraum- und Raketentechnologie ebenso wie in der Atomindustrie ließe sich eine Menge gemeinsamer Projekte angehen.“ (Putin, News Conference)

[26] „Die beiden Staaten haben eine lange gemeinsame Grenze, und Moskau ist nur rund 480 Kilometer (300 Meilen) vom ukrainischen Territorium entfernt – ein Streifen Land, flach, leicht zu durchqueren und deshalb schwierig zu verteidigen. Wenn irgendeine Macht die Lücke zwischen der Ukraine und Kasachstan sperren würde, wäre Russland vom Kaukasus, seiner südlichen Grenze und Verteidigungslinie abgeschnitten.

 Darüber hinaus beheimatet die Ukraine zwei Häfen von entscheidender Bedeutung, Odessa und Sewastopol, die für Russland sogar noch wichtiger sind als der Hafen von Novorossiysk. Wenn Russland den wirtschaftlichen und militärischen Zugang zu jenen Häfen verliert, würde sein Einfluss im Schwarzen Meer vollständig unterminiert und sein Zugang zum Mittelmeer abgeschnitten. Russlands einzig verbleibende Häfen würden blockiert durch die Grönland – Island – Großbritannien – Lücke im Westen, durch Eis im Nordosten, durch Dänemark in der Ostsee und durch Japan im Osten.“ (George Friedman, Perspectives on the Ukrainian Protests, Tuesday, January 28, 2014,)

[27]Die ukrainische Regierung habe Brüssel um Finanzhilfe für die Umsetzung der technischen EU-Standards im Rahmen der Assoziierung gebeten, teilte Asarow am Samstag in einer Sendung des ukrainischen TV-Senders Inter mit. ‚Bei unseren Verhandlungen ging es um die Summe von einer Milliarde Euro mit einer Laufzeit von sieben Jahren. Eine beeindruckende Summe nicht wahr?‘ Doch würde allein die Anpassung der technischen Regelungen an die EU-Standards in den nächsten zehn Jahren die Ukraine nach Angaben der Regierung 165 Milliarden Euro kosten.“ (RIA, 23.11.13)

[28] Der ukrainische Premier erklärt seinem Parlament, warum es sich die Ukraine in ihrer aktuellen Lage nicht leisten kann, auf den Handel mit Russland zu verzichten:

 „Wie können wir Realitäten wie diese ignorieren:

• Rückgang bei der Produktion von Chemikalien und chemischen Produkten um 19 %;

• Rückgang des Produktionsvolumens in der Maschinenindustrie um 14 %;

• Rückgang bei der Stahlproduktion um 6 %;

• Produktionsrückgang von Bauprodukten um 16 %.

Wie können wir die Tatsache ignorieren, dass in diesem Jahr die Warenexporte aus der Ukraine nach Russland um rund 2 Mrd. US-Dollar gesunken sind? Die Exporte sind zurückgegangen in für die ukrainische Wirtschaft so wichtigen Ländern wie Israel (um 12,8 %), Indien (um 15,6 %), Indonesien (um 31,4 %), Südkorea (um 65,1 %).

 All dies ist nicht nur Statistik. Dies bedeutet den Verlust von Tausenden von Arbeitsplätzen, Lohnkürzungen, verspätete Rentenzahlungen, Kürzungen bei Sozialleistungen. Dies bedeutet auch, dass wir keine Modernisierung der Produktionsanlagen durchführen können.

 Wie können wir die Tatsache ignorieren, dass die Länder der Zollunion beschlossen haben, die Ukraine aus der GUS-Freihandelszone auszuschließen, wenn die Ukraine eine Freihandelszone mit der EU bildet? Kürzlich hat die Rating-Agentur Fitch die Bonität der Ukraine abgesenkt. Als Hauptgrund für die Herabstufung haben die unabhängigen Experten die ungelösten Probleme bei den Wirtschafts- und Handelsbeziehungen mit der Russischen Föderation identifiziert. Für Analytiker der renommierten Agentur liegt es auf der Hand, dass das ein grundsätzliches Problem der finanziellen Situation in der Ukraine heute ist.

 Was entschädigt uns für riesige Verluste wegen der Schließung von Märkten in der Zollunion?

 Auf diese Frage haben wir leider keine realistische Antwort bekommen.

 Der letzte Strohhalm war die Position des Internationalen Währungsfonds, die in einem Brief an die Regierung vom 20. November dieses Jahres enthalten ist. Der IWF hat die Bedingungen für ein Darlehen dargestellt, dessen Höhe genau reicht, um die Schulden beim IWF abzuzahlen. Diese Forderungen sind: nahezu eine Verdoppelung der Tarife für Wohnungs- und Kommunaldienstleistungen, das Einfrieren der Gehälter, Renten und Sozialleistungen auf dem aktuellen Niveau, eine deutliche Reduzierung der Staatsausgaben, eine Abschaffung der Steuervergünstigungen für Landwirte und eine Reihe von Anforderungen an die Geldpolitik. Ich möchte die sogenannten Oppositionsführer fragen: Sind Sie mit diesen Forderungen einverstanden? Stimmen Sie solchen Bedingungen für das Darlehen zu? Sagen Sie es den Menschen in der Ukraine offen.“ (Rede des Premierministers Mykola Asarow im Parlament, 22.11.13 )

[29] Zur insgesamtigen ökonomischen Verfassung der Ukraine macht die Weltbank folgende Angaben:

Die Ukraine ist konfrontiert mit einer Krise der Volksgesundheit, und das Land muss dringende und weitreichende Maßnahmen ergreifen, um die fortschreitende Verschlechterung der Gesundheit seiner Bürger rückgängig zu machen. Die Sterblichkeitsraten von Erwachsenen in der Ukraine sind höher als die ihrer unmittelbaren Nachbarn Moldawien und Weißrussland, und sie sind unter den höchsten, nicht nur in Europa, sondern auch weltweit... Die Ukraine hat ein gewaltiges landwirtschaftliches Potential, und sie könnte eine entscheidende Rolle bei der globalen Sicherung der Versorgung spielen. Dieses Potential wird nicht voll ausgeschöpft wegen stark zurückgegangener bäuerlicher Einkommen und einem Mangel an Modernisierung in diesem Sektor... Die Verkehrssicherheit in der Ukraine ist nach wie vor mit die schlechteste in Europa, sowohl was Verkehrsunfälle wie was Todesfälle betrifft... Die Ukraine ist eines der Länder mit der niedrigsten Energieeffizienz in der Region... Der städtische und der Dienstleistungssektor in der Ukraine leiden seit Jahrzehnten an fehlenden Investitionen und schlechter Instandhaltung. (worldbank.org/en/country/ukraine/overview)

[30] Nicht dass die EU sich nicht auch für die Energiefrage zuständig erklären würde: Sie arbeitet an Umkehrlieferungen von Erdgas nach Moldawien und in die Ukraine. Dass bei diesem Geschäft, wo russisches Gas erst in die EU und von dort als Geschäftsartikel von EU-Konzernen wieder rückwärts in den Osten gepumpt wird, freie, nämlich marktwirtschaftliche Preise zum Zuge kommen und im letzten Jahr auf dieselbe Höhe angestiegen sind wie der erpresserische Gazprom-Preis, müssen die Staaten dann aber schon auch aushalten können.

[31] Der russische Präsident Putin zitiert in seiner alljährlichen Pressekonferenz einen bezeichnenden Fall, bei dem die USA die Kooperation mit Russland unterbrochen haben:

In einem Fall kaufte die Ukraine amerikanischen Brennstoff und benutzte ihn für ukrainische Atomkraftwerke. Alle Brennstäbe verformten sich. Sie sehen, was passiert? Das sind ernstzunehmende Dinge. Später mussten unsere Experten wieder kommen und schwierige technische Probleme lösen, alles entfernen und wieder russischen Brennstoff laden. Die Anlage war ursprünglich für russischen Brennstoff geplant. (News Conference, 19.12.13)

[32]Der ukrainische Regierungschef Nikolai Asarow kann es nach eigener Aussage nicht fassen, warum die Europäische Union die Modernisierung der ukrainisches Gaspipelines, durch die russisches Erdgas nach Europa fließt, nicht mitfinanzieren will... ‚Warum erweckt dieses System, das für Europa von strategischer Bedeutung ist, bei den Europäern kein Interesse? Warum muss die Ukraine diese Kosten alleine tragen‘, empörte sich der Premier. Er verwies darauf, dass die ukrainischen Transitpipelines seit 30 Jahren nicht mehr modernisiert worden seien.“ (de.ria.ru/business)

[33] „‚Der europäische Vektor in der Entwicklung der Ukraine bleibt für uns Priorität. Für uns bedeutet das den europäischen Lebensstandard, europäische Löhne und europäische Sozialversicherung‘, erklärte Wladimir Olejnik, Mitglied der Parlamentsfraktion der Partei der Regionen.

 Der politische Kurs habe sich nicht geändert. Es gehe lediglich um eine ausgewogene gut durchdachte Lösung, die auf den Schutz der nationalen Interessen der Ukraine und ihrer Bürger gerichtet sei. ‚Das Gesetz über die Grundlagen der Innen- und der Außenpolitik bleibt weiterhin in Kraft. Wir treten der Zollunion nicht bei, zugleich brechen wir die Brücken zur EU nicht ab und machen keine politische Wende. Wir tun alles, um unsere Beziehungen zu unserem größten Handelspartner Russland ausgewogen zu gestalten. Für uns bedeutet das keine Geopolitik, sondern Millionen Arbeitsplätze und das Wohlergehen unserer Bürger‘, betonte Olejnik...“ (RIA, 21.11.13)

[34] Dagegen beteuerte der ukrainische Vize-Premier Alexander Wilkul immer wieder: Die ‚Ukraine geht nach Europa‘... Kiew wolle jetzt mit Moskau verhandeln, damit nicht der Markt der Zollunion aus Russland, Kasachstan und Belarus für die ukrainischen Unternehmen verloren gehe. Wilkul nannte zudem als unbedingte Voraussetzung für die spätere Unterzeichnung des Abkommens mit der EU einen besseren Zugang zu den EU-Märkten sowie makroökonomische Hilfen und Kredite ohne Auflagen. Von deutscher Seite wurde dies mit Befremden aufgenommen. Das rund 1.000 Seiten lange Vertragswerk war schließlich mit der Ukraine über fünf Jahre hinweg ausgehandelt worden. Die Auflagen des Internationalen Währungsfonds (IWF) für neue Milliarden-Kredite sind Wilkul zufolge ‚unannehmbar‘. (gtai, Ukraine rückt näher in Richtung Russland, 24.12.13)

[35] SZ, 30.11.13.

[36] SZ, 8.1.14

[37] Die Vereinigten Staaten verurteilen nachdrücklich die zunehmende Gewalt auf den Strassen von Kiew, die zu Verletzten und der Erschiessung von zwei Demonstranten geführt hat. Die Schuld dafür wird der Regierungsseite zugeteilt: Die erhöhten Spannungen in der Ukraine sind eine direkte Folge des Scheiterns der ukrainischen Regierung bei dem Versuch, in einen echten Dialog einzutreten, sowie der Verabschiedung von antidemokratischen Gesetzen am 16. Januar. Pflichtgemäß distanziert man sich von gewissen Auswüchsen: Die aggressiven Aktionen der Mitglieder der rechtsextremen Gruppe Prawyj Sektor sind jedoch nicht akzeptabel, heizen die Lage auf den Strassen an und untergraben die Bemühungen der friedlichen Demonstranten. Denn es gilt nach wie vor die Definition: Die Maidan-Bewegung zeichnet sich durch Gewaltlosigkeit aus, die wir stark unterstützen. (ukraine.usembassy.gov)

[38] Die antisemitischen Ausfälle soll sich der Euro-Maidan allerdings abgewöhnen – wegen der Einheit, die die Bewegung braucht: Der US-Senat drängt alle politischen Parteien, sich mit Hassreden zurückzuhalten und mit Aktionen, die einen antisemitischen oder anderen Charakter haben, der das ukrainische Volk weiter spaltet, wo Einigkeit nottut. (murphy.senate.gov/newsroom/press)

[39] Der ‚Rechte Sektor‘ wendet sich ironischerweise auch strikt gegen die Euro-Integration: ‚Eine Vereinigung mit Europa würde den Tod der Ukraine bedeuten. Europa ist der Tod des Nationalstaats und des Christentums. Wir wollen eine Ukraine für Ukrainer, geführt von Ukrainern‘, zitiert der britische ‚Guardian‘ Andrej Tarasenko, einen Führer der Bewegung, der auch ganz klare Vorstellungen davon hat, was mit einem gestürzten Janukowitsch passieren soll: ‚Wir würden ihm und seiner Familie 24 Stunden geben, das Land zu verlassen, andernfalls gibt es ein Revolutionstribunal.‘ (Die Presse, 27.1.14)

Der ‚Rechte Sektor‘ erklärt sich für die Ideen des ukrainischen Nationalismus, kritisiert Humanismus, Sozialismus, liberale Demokratie, Atheismus, Kosmopolitismus und Globalisierung, da diese, ihm zufolge, ein sklavisches Bewusstsein des Menschen bilden und ihn in einen Teil der ‚kosmopolitischen Herde‘ verwandeln, deren Heimstätte ein ‚weltweites Konzentrationslager‘ sei. Als Alternative wird eine nationale Wiedergeburt der Ukraine als Staat des ukrainischen Volkes propagiert, das von Gott geschaffen sei. Ideal des ‚Rechten Sektors‘ sei ‚der ukrainische unabhängige Gemeinschaftsstaat‘ (USSD: ‚Ukrainische Gemeinschafts Unabhängige Macht‘), an deren Spitze ein ‚Nationaler Orden‘ stehen soll. ‚Der ‚Rechte Sektor‘ kritisiert die ukrainische parlamentarische Opposition, darunter auch ‚Swoboda‘ wegen ihres ‚Liberalismus und Konformismus‘. (Auszüge aus der russischen Wikipedia, alle Zitate stammen aus Verlautbarungen dieser Gruppe)

[40] Tatsache ist jedenfalls, dass Präsident Janukowitsch das Protestlager der Revolution am Unabhängigkeitsplatz ‚Majdan Nesaleschnosti‘ seit nunmehr zwei Monaten duldet. Räumungsversuche der Polizei hat es zwar gegeben, aber sie waren immer halbherzig, und auch das vergangene Wochenende, an dem aus den Reihen der Demonstranten brutale Angriffe auf die Miliz gestartet worden sind, hat daran nichts geändert. Wer erwartet hatte, das Regime werde den Ausbruch nutzen, um den Majdan endlich gewaltsam zu liquidieren, sah sich getäuscht. Nach den Beschwörungen der Gewalttätigkeit des Regimes ein erstaunliches Verhalten, das die FAZ aber postwendend als raffiniertes Manöver entlarvt, die Bewohner von Kiew gegen den Protest aufzuhetzen: Janukowitschs ‚Partei der Regionen‘ hat in Kiew nie viel zu melden gehabt, aber jetzt wittert sie ihre Chance. (22.1.14)

[41] Die ukrainische Armee und das Innenministerium werden nach dem Territorialprinzip gebildet. Das bedeutet, dass die Militärs in jeder Region die Interessen und Ziele der politischen Gruppen unterstützen, die vor Ort an der Macht sind. Bei einem Konflikt würden insofern die Bemühungen der Zentralmacht in Kiew zur Beilegung des Konflikts kaum wirksam sein. (RIA, 30.1.14)

[42] Gauck auf der Sicherheitskonferenz (Tagesspiegel, 31.1.14)