Das Verfahren Yukos vs. Russia: Der Schiedshof in Den Haag versieht das Urteil „Unrechtsstaat“ mit einem Preis von 50 Mrd. Dollar
Ein Stück Weltordnung in Sachen Energiemarkt
Das Schiedsgericht in Den Haag hat entschieden, dass den Vertretern einiger Finanzorganisationen, Abkömmlingen des ehemaligen russischen Ölmultis Yukos, Forderungen in der Höhe von 50 Milliarden Dollar gegen die russische Staatsmacht zustehen. Die Kommentare der deutschen Öffentlichkeit fallen etwas gemischt aus, so etwa die Stellungnahme des Handelsblatts:
„Der Schadensersatz in Milliardenhöhe zeigt auch, welche Macht Schiedsgerichte in der heutigen Wirtschaftswelt haben – es handelte sich um das größte Verfahren in der Geschichte der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit. Das Urteil könnte den Gegnern des Freihandelsabkommens TTIP Munition liefern: Sie befürchten, dass Investoren die EU oder einzelne Länder vor Schiedsgerichte ziehen und nationale Regelungen schwächen könnten, wenn sie sich in ihrem unternehmerischen Handeln behindert sehen.“
Aus der Zeitschrift
Teilen
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Gliederung
- Der rechtliche Maßstab, den das Gericht in Den Haag gegen den russischen Staat in Anschlag bringt: die Energiecharta
- Der Fall Yukos: Kapitalbildung per Zerschlagung der Sowjetwirtschaft
- Putin zerschlägt Yukos
- Das westliche Ausland urteilt über den Fall: das marktwirtschaftlich-menschenrechtliche Verbrechen der Putin-Herrschaft
- Die Kläger: ein Finanzkapital der besonderen Art
- Das Urteil des Schiedsgerichts: Eigentum steht über Souveränität
- Die Pfändung russischen Auslandsvermögens
Das Verfahren Yukos vs. Russia: Der
Schiedshof in Den Haag versieht das Urteil
„Unrechtsstaat“ mit einem Preis von 50 Mrd.
Dollar
Ein Stück Weltordnung in Sachen
Energiemarkt
Das Schiedsgericht in Den Haag hat entschieden, dass den Vertretern einiger Finanzorganisationen, Abkömmlingen des ehemaligen russischen Ölmultis Yukos, Forderungen in der Höhe von 50 Milliarden Dollar gegen die russische Staatsmacht zustehen. Die Kommentare der deutschen Öffentlichkeit fallen etwas gemischt aus, so etwa die Stellungnahme des Handelsblatts:
„Der Schadensersatz in Milliardenhöhe zeigt auch, welche Macht Schiedsgerichte in der heutigen Wirtschaftswelt haben – es handelte sich um das größte Verfahren in der Geschichte der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit. Das Urteil könnte den Gegnern des Freihandelsabkommens TTIP Munition liefern: Sie befürchten, dass Investoren die EU oder einzelne Länder vor Schiedsgerichte ziehen und nationale Regelungen schwächen könnten, wenn sie sich in ihrem unternehmerischen Handeln behindert sehen.“ [1]
Putin hat nach Auffassung des Handelsblatts zwar
einwandfrei eine Quittung
verdient, aber wie sieht
die Sache aus, wenn man das Urteil als Präzedenzfall
dafür nimmt, was wir uns mit TTIP einkaufen?
Weniger interessant die Frage, woher das Schiedsgericht eigentlich diese außerordentliche Macht bezieht, einen nicht ganz unbedeutenden Staat erstens zu belangen und zweitens zu einem Schadensersatz in Rekordhöhe zu verurteilen, wobei drittens die Wirksamkeit dieses Urteils – gegen den erklärten Willen des russischen Staats – von keiner Seite angezweifelt wird. Es haben ja schon viele Gerichte und UNO-Vollversammlungen die verschiedensten Staaten verurteilt und Schadensersatzansprüche in die Welt gesetzt, ohne dass daraus viel mehr als ein diplomatisches Getöse geworden wäre. Wie kommt die Hierarchie zustande, in der Rechtsakte des russischen Souveräns dem Entscheid eines internationalen Schiedsgerichts unterstehen?
Der rechtliche Maßstab, den das Gericht in Den Haag gegen den russischen Staat in Anschlag bringt: die Energiecharta
Schon 2009 hat der Schiedsgerichtshof in einem Entscheid festgestellt, dass er die russische Regierung – trotz ihrer zunehmenden Vorbehalte gegenüber dem Abkommen und der endgültigen Ablehnung im Juni 2009 – dennoch als an dieses Vertragswerk gebunden betrachtet. Ein Rechtsentscheid, der den guten imperialistischen Sinn dieses Abkommens bekräftigt: Es ging seinerzeit – 1991 – um den Zugriff auf das in kapitalistisches Neuland verwandelte ehemalige Reich des Bösen:
„Die Europäische Energiecharta in ihrer ursprünglichen Auslegung war auf folgende Ziele ausgerichtet:
– Schaffung einer Energiegemeinschaft der Länder beiderseits des Eisernen Vorhangs auf der Grundlage der Komplementarität der westlichen Märkte, des Kapitals, der Technologie und der natürlichen Ressourcen der Oststaaten;
– Umkehr der rückläufigen Entwicklung der sowjetischen Wirtschaft durch Beschaffung von ausländischem Kapital, und zwar durch Verringerung des politischen Risikos;
– Erhöhung der Sicherheit durch enge Zusammenarbeit in einem wichtigen Schlüsselsektor.“ [2]
Nach der überraschenden Wende im Osten entdeckt Europa
eine vielversprechende Komplementarität
: Die –
damals noch – sowjetische Seite verspürt den dringlichen
Bedarf nach Kapital, über das Europa reichlich
verfügt; und umgekehrt hat Europa den ehemaligen
Hauptfeind bereits als künftige Rohstoffbasis
für sein Wachstum verplant. Allerdings beschränkt sich
dieser Deal bei weitem nicht auf den Austausch dieser
beiden Güter. Die westlichen Entwicklungshelfer machen
den aus dem Osten vermeldeten Kapitalbedarf zum Hebel, um
ihre bedürftigen neuen Partner mit ein paar zusätzlichen
Bedingungen bekanntzumachen: Damit westliche Technologie
und Kapital im Osten ihre nützlichen Dienste verrichten
können, ist nicht viel weniger als die Übernahme eines
ganzen Rechtssystems
vonnöten. Kaum dass die neuen
Staaten sich überhaupt aufgestellt und Gelegenheit gehabt
haben, ihren Bedarf an rechtlichen Regelungen zu
definieren, nimmt ihnen Europa diese Mühe ab und legt
ihnen ihre neuen Aufgaben vor:
„Die Verhandlungen über den Energiecharta-Vertrag fanden zu einer Zeit statt, in der 15 an den Verhandlungen teilnehmende neue unabhängige Staaten der ehemaligen Sowjetunion noch folgende Aufgaben zu bewältigen hatten:
– Schaffung ihres Rechtssystems ausgehend von ihren Verfassungen;
– Schaffung der Vertrags- und Abkommensbestimmungen für ihren in hohem Maße integrierten Handel, der bis dahin zentralstaatlichen Regeln unterlag;
– Schaffung und Aufnahme der Infrastruktur für Vertragsrecht, Eigentumsvorschriften und Rechnungslegungsgrundsätze ...“ [3]
Die interessierten Mächte im Westen behandeln die
besondere Lage im aufgelassenen Osten wie einen bislang
gewissermaßen rechtsfreien Raum, der auszufüllen ist mit
dem Mittel des Rechtsexports, mit dem
rechtlichen Grundgerüst der Marktwirtschaft, das in
Marktwirtschaftsländern in den 80 Jahren seit der
Russischen Oktoberrevolution sehr stark weiterentwickelt
wurde.
[4]
Die Herren dieser Ordnung machen sich daran, die zum
Besseren bekehrten Staatshandelsländer und frisch
gegründeten Staatssubjekte vom Baltikum bis nach
Zentralasien mit dem nötigen staatlichen Schutz der
Freiheiten des Eigentums bis in alle Unterabteilungen
hinein bekannt zu machen, d.h. sie gleich auf einen
Gebrauch ihrer Macht im Sinne auswärtiger Benutzung
festzulegen. Sie werden, noch im Status ihrer
rudimentären Willensbildung, in dem sie die Folgen ihres
Beschlusses zum Systemwandel und den daraus
resultierenden neuen Ordnungsbedarf gerade erst
kennenlernen, auf höhere, nämlich internationale
Rechtsinstanzen verpflichtet:
„Darüber hinaus ist der Energiecharta-Vertrag:
– Das erste bindende multilaterale Übereinkommen über Investitionsschutz;
– das erste multilaterale Übereinkommen, das sich sowohl auf den Investitionsschutz, als auch auf den Handel bezieht;
– die erste Anwendung der Transitbestimmungen auf Energienetze;
– der erste multilaterale Vertrag, der generell eine bindende internationale Beilegung von Streitigkeiten vorsieht.“ [5]
Diese Würdigung der Pionierleistung der Charta, die explizit darauf verweist, dass die staatlichen Souveräne des freien Westens hier ihren neuen „Partnern“ einen Akt der nationalen Selbstbeschränkung wärmstens empfohlen haben, zu dem sie selbst untereinander bis dahin nie bereit waren, kennzeichnet den etwas asymmetrischen Status der vertragschließenden Parteien, bei dem der einen Seite zur Bedienung ihres Interesses an der Einwanderung von Kapital die Unterwerfung unter ein Regelwerk und eine darüber wachende auswärtige Rechtshoheit abverlangt wird.
So liefert das Vertragswerk eine Klarstellung, was in dem
Epoche machenden Beschluss der Sowjetführer, sich das
bessere System zu eigen zu machen und endlich auch die
Potenzen des Weltmarkts zu erschließen, alles
eingeschlossen ist: Nicht allein das Umkrempeln
aller inneren Verhältnisse, die Anerkennung des Eigentums
unter der Hoheit des Staates, sondern eben auch ein
Verpflichtungsverhältnis gegenüber anderen
Staaten. Mit dem Einstieg in den globalisierten
Kapitalismus wird den neuen Staaten gleich auch die
Übernahme der ganzen Geschäftsordnung des internationalen
Kapitalismus auferlegt, d.h. die Anerkennung des
Eigentums als Recht der Staaten, mit denen man
jetzt einen produktiven Verkehr aufnehmen will. Und die
Energie-Charta als ein Stück dieser Geschäftsordnung
schreibt zudem in Gestalt der internationalen
Aufsicht über den nötigen
Investitionsschutz
die Zuständigkeit fremder
Souveräne bindend fest, was deren Recht auf Kontrolle
über die Ausformung der inneren Rechtsordnung in Russland
betrifft.
Die vorausdenkende Gründlichkeit des Vertrags, was die
Beilegung von Streitigkeiten betrifft, stellt
sich denn auch bald als gut begründet heraus: Die
Interessen beider Seiten sind dann doch gar nicht bloß
komplementär und zum Aufbau einer harmonischen Ergänzung
der Wirtschaftsstandorte geeignet, sondern reichlich
gegensätzlich, was sich prompt auch bei der Behandlung
des Energiesektors geltend macht und in einen
langanhaltenden Streit um die Gültigkeit der Charta
einmündet.[6]
Der entzündet sich dann im besonderen an der Behandlung
des Yukos-Chefs Chodorkowski durch die russische
Staatsmacht – wobei die mit einer weiteren Implikation
ihrer hoffnungsvoll eingegangenen Beziehungen zu den
westlichen Mächten bekannt gemacht wird: Der Westen, der
ihre Entscheidung zum Übergang zur Marktwirtschaft
umgehend als Übergang zur Internationalisierung
der russischen Marktwirtschaft in die Hand genommen hat,
beschränkt sich dabei keineswegs auf die Sphäre der
ökonomischen Einrichtungen und Verkehrsregeln. Gerade da,
wo die Einführung dieses unschlagbaren Systems
stattfindet und die Staaten unter dem euphemistischen
Titel „Reformen“ fundamental aufgemischt werden, bringt
er auch gleich seine höheren Pflichten in Anschlag, den
Umgang der politischen Instanzen mit den Pionieren des
Privateigentums zu kontrollieren sowie das Staatspersonal
auf seine Reformtreue und politische Zuverlässigkeit zu
mustern. Rücksichtslos gegen alle inneren Belange der
zügig zugrunde reformierten postsozialistischen
Staatsgebilde beharren die Hüter der internationalen
Geschäftsordnung des Kapitals auf der
Unumkehrbarkeit
der Reformen und ihrer
Zuständigkeit, das politische Personal daraufhin zu
überwachen. Das hat einem Glücksritter der Umwälzung in
Russland die Würdigung als Freiheitsheld und der
Putin-Herrschaft die nachtragende Verfolgung durch
internationale Rechtsinstanzen verschafft.
Der Fall Yukos: Kapitalbildung per Zerschlagung der Sowjetwirtschaft
Die Rechtsnachfolger der Sowjetunion in Moskau haben sich mit ihrem Beschluss zur Übernahme des kapitalistischen Systems Bestandsfragen der härteren Art eingehandelt, die Umstellung zeitigt nämlich einen schlagenden Erfolg: Die Volkswirtschaft, wie sie bisher funktioniert hatte, geht vor die Hunde, während sich einige wenige handgezählte Gewinner in kürzester Zeit von Schwarzhändlern zu Finanzkapitalisten hochkatapultieren, d.h. genauer: sich an der Zerschlagung und beim Ausschlachten der Sowjetökonomie dermaßen bereichern, dass sie sich als veritable Macht gegenüber dem staatlichen Auftraggeber des Systemwechsels in Position bringen.
In geradezu bilderbuchmäßigen Etappen betreibt der spätere Yukos-Chef Chodorkowski diesen Typus von Karriere, in der er sich die Qualifikation zum ‚Oligarchen‘ erwirbt. Als Vorkämpfer des privaten Gelderwerbs leisten diese Figuren einen maßgeblichen Beitrag zur Zersetzung des alten Systems mit seiner geplanten arbeitsteiligen Versorgung, indem sie sich der verschiedensten Bedürfnisse bedienen, um die Bedarfsdeckung zur abhängigen Variable des erfolgreichen Geldverdienens umzufunktionieren. Aus der Zerstörung der vorgefundenen Produktionsverhältnisse schlagen sie ihren kapitalistischen Gründergewinn heraus und installieren sich damit als Sachwalter des Geldkapitals und Entscheidungsinstanz über das gesellschaftliche Produzieren.
Chodorkowski & Freunde werfen sich mit mustergültiger
Privatinitiative auf die Beschaffung von Mangelware und
verfertigen aus dem Schiebergeschäft mit begehrten, teils
verbotenen Westerzeugnissen – Jeans, Computer und Fusel –
einen Hebel zur Geldvermehrung. Zu dem Zweck befreien sie
auch den Rubel aus seinem Status als Buchgeld
, der
langweiligen Verrechnungseinheit der Staatsplanung,
setzen ihn per Schwarzhandel als Beschaffungsmittel für
echtes Geld ein [7] und untergraben – am Rande
der durch die Perestrojka bereits einigermaßen zermürbten
sozialistischen Legalität – das staatliche Außenhandels-
und Devisenmonopol. Gerade deswegen besitzt dieses
Geschäft schließlich seine besonderen Reize, weil
einerseits etliche Unternehmen schon Devisenbeträge an
Land ziehen, damit aber nur wenig anstellen dürfen,
während andere auf diese Sorte Geld scharf sind. Die
umtriebigen Ex-Komsomolzen bieten sich da als Vermittler
an, unterwandern mit fingierten Kreditgeschäften das
staatliche Devisenregime und ziehen aus dem
Schwarzmarktkurs noch einen Extragewinn.[8]
Die nächsten Ideen
, dass das entscheidende Mittel
zur Geldvermehrung das Geld selbst ist und wiederum das
beste Geschäft das mit dem Geld als Ware, fallen
den Schwarzmarktkönigen dann fast automatisch ein:
„Trotz dieser Methode der ‚Business Akkumulation‘ hatten wir bald weniger Umlaufsmittel als Ideen, in die man sie hätte investieren können ... Kredite an Unternehmen wurden damals ausschließlich im Rahmen des staatlichen Kreditplans vergeben, in dem wir natürlich nicht vorkamen. Doch statt Geld gab mir die Geschäftsführerin der Bank einen wichtigen Rat. Sie habe gehört, sagte sie, dass es neuerdings erlaubt sei, Geschäftsbanken zu gründen, ‚und wenn du so eine Bank gründest – einem Bankunternehmen kann ich auch Kredit geben.‘“ [9]
Was man dann noch benötigt zur Gründung einer Bank,
berichten die Gründer in dankenswerter Offenheit: Mit
Hilfe von Beziehungen
ergaunert man sich entgegen
dem Geist der noch geltenden Gesetze eine
Lizenz
[10] und dann stellt sich ein
Startkapital schon ein:
„Eine Startfinanzierung … hatte die Menatep-Bank überhaupt nicht. Die Bank stieg durch die Geschäftsaktivitäten auf, die wir bereits betrieben, und durch die Kontakte im besagten Stadtbezirk Frunsenski, wo die Bank registriert war. Weiter entwickelte sich dann alles durch Beziehungsmanagement.“ [11]
Nämlich dadurch, dass der Staat in seinem Reformgeist seine bisherige Kontenführung an die neuen Privatbanken abtritt, ihnen also quasi ein „Startkapital“ schenkt.
„Alle hatten Konten staatlicher Unternehmen ... Der Staat ist einer der größten Kunden. Und besonders damals, Anfang der Neunziger, hatte der Staat das meiste flüssige Geld. Das bedeutete solide Passiva für die Bank. Großexporteure waren auch eine Quelle großer Passiva für die Bank.“ [12]
Unter dem ersten russischen Präsidenten blühen diese
Beziehungen erst recht auf. Jelzin zieht für sein
Reformwerk den Sachverstand der neuen Bankchefs zu Rate,
Chodorkowski reüssiert zum stellvertretenden Öl- und
Energieminister
und lässt in dieser Position seiner
Bank zahlreiche Aufträge zur Verwaltung von
Investitionsprogrammen zukommen
(Wikipedia), füttert ihr also ohne große
Umwege Staatsmittel ein. So viel zu den Ganovenqualitäten
der russischen Gründerkapitalisten.
Als politisch Arrivierter – 1992 wurde Chodorkowski
Mitglied im Beraterstab des russischen Premierministers
und im März 1993 Stellvertretender Minister für
Brennstoffe und Energie
(Wikipedia) – tritt der Bankmann dann
schon ganz anders in Erscheinung: Zusammen mit
handgezählten sechs Moskauer Kollegen verkörpert er das
Geldkapital in Russland, stellt es uneigennützig
in den Dienst des Fortschritts im Land und leistet so
einen weiteren Beitrag zum Ruin der
Sowjethinterlassenschaften. Auf der einen Seite führen
Chodorkowski & Co. gewissermaßen die Triage der ehemals
volkseigenen Betriebe durch, indem sie die Produktion dem
Maßstab der Profitabilität unterwerfen und in der Masse
bloß Geldmangel, aber nicht den Charakter einer
vielversprechenden Geldanlage entdecken. Dem
Geldbedarf, der aus der Not der in die freie
Marktwirtschaft entlassenen Bestandteile des
gesellschaftlichen Produktionsapparats entsteht – die
sind mit ihrem auf die geplante Arbeitsteilung
zugeschnittenen Inventar auf die privateigentümliche
Geldvermehrung verpflichtet, aber gleichzeitig von ihrer
bisherigen planwirtschaftlichen Versorgung abgeschnitten
–, erteilen sie gemäß der Logik ihres Geschäfts eine
Absage. So kommt es zu weitaus fundamentaleren
Versorgungsmängeln
, als die alte Planwirtschaft
sie jemals zustande gebracht hat. Auf der anderen Seite
ermitteln sie sehr schnell die wenigen
kreditwürdigen Unternehmen, diejenigen, die im
Auslandsgeschäft mit Rohstoffen Devisen verdienen. Und
vor allem werden sie gleich auf der höchsten Ebene des
Kreditgeschäfts mit der Finanzierung des Staatsbedarfs
aktiv. Sie nützen die ihnen verliehene Stellung gegenüber
der Instanz, die sie ihnen verliehen hat und versetzen
die Staatsmacht, der nach Aufgabe ihrer
planwirtschaftlichen Hoheit über den Gewinn und
angesichts des Zusammenbruchs der sowjetischen Wirtschaft
die Geldquellen für ihren Haushalt abhanden gekommen
sind, mit der bei ihnen monopolisierten Geldmacht in
kürzester Zeit in den Status des hoffnungslosen
Schuldners und gehen dazu über, für die weitere
Kreditierung „Sicherheiten“ zu verlangen: Der Staat soll
ihnen die wenigen ihm verbliebenen Geldquellen im
Rohstoffsektor als Pfand zur allfälligen Versteigerung
überlassen.[13]
Auf diesen Wegen ist der Kapitalismus in Russland eingezogen: Die politische Führung hat sich eine Mannschaft von Geiern herangezogen, die sich an den Schaltstellen der neuen Sorte Reichtum, als Sachwalter der Privatmacht des Geldes einnisten. Auftragsgemäß bereichern sie sich auf Kosten der übrigen Gesellschaft, allerdings nicht wie in zivilisierten Ländern durch geordnete Ausbeutung, sondern eher durch eine Art Leichenfledderei, durch die Musterung des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses, was von dem zum Zwecke ihrer Geldanlage taugt. Was dafür nicht taugt, kann nach ihrem Ermessen untergehen. Sie betätigen sich dann schließlich als Gläubiger der Staatsmacht und benützen das Schuldverhältnis, in das die nach den Regeln der ordentlichen Finanzierung des Haushalts aufgrund ihrer Geldnot zu ihnen getreten ist, zu deren weiteren Enteignung: Ganz nach den Regeln des Geschäfts mit Schulden verpflichten sie den staatlichen Urheber des Systemwechsels darauf, die wenigen Teile seiner Ökonomie, die sich als Geldquellen bewähren, die rohstofffördernden und -exportierenden Staatsunternehmen zum großen Teil an sie zu verpfänden.
Nach dieser geschäftstüchtigen Plünderung des russischen
Standorts sichern sie sich ihre weiterhin wohlwollende
Behandlung durch die Staatsmacht, indem sie gegen die
befürchtete Machtübernahme der KP und die mit ihr
drohende Rücknahme der schönen neuen Freiheiten Jelzins
Wahlkampf finanzieren und die erforderlichen Stimmen
zusammenkaufen. Dieses Ziel ‚Sicherung der eigenen
Macht‘ wurde erreicht, da die Gewinner der Auktionen den
Wahlkampf von Präsident Jelzin in den folgenden Monaten
maßgeblich unterstützten.
[14]
Putin zerschlägt Yukos
Nachdem die Vertreter der Staatsmacht unter Jelzin, assistiert von ihren westlichen Beratern, dieser „Entwicklung“ bis hin zum Staatsbankrott mit einer Mischung aus Fassungslosigkeit und stoischer Zuversicht beiwohnen, sieht sich die nächste Generation der russischen Politik unter Putin vor die Notwendigkeit gestellt, mit allen gebotenen Mitteln die Reste der ehemaligen Weltmacht vor der Verwandlung in eine Bananen- bzw. Ölrepublik zu retten. Schließlich sind die Figuren, die sich als Aktivisten des Privateigentums betätigen, weitaus schneller fertig mit ihrer kreditmäßigen Zerlegung des produktiven Volkseigentums und Enteignung des Staats als der selber mit dem Erlass einer Rechtsordnung.
Damit ist der Machtkampf zwischen Chodorkowski
und Putin eröffnet, zwischen der entfesselten Macht des
Privateigentums in Gestalt der Oligarchen und den
Verwaltern der Restbestände an russischer Staatsmacht,
die darum kämpfen, sich überhaupt wieder die Hoheit
anzueignen, dem privaten Erwerbssinn eine
Rechtsordnung nach eigenem Ermessen und zum Nutzen der
Nation aufzuerlegen, eben Putins Vertikale der
Macht
herzustellen.
Chodorkowski, laut Wikipedia ein politisch engagierter
Milliardär
, engagiert sich zwar vor allem im Namen
seiner Finanzen, entwickelt aber gerade deshalb seine
politischen Fähigkeiten, indem er genügend russische
Abgeordnete kauft, um ein von der Regierung vorgelegtes
Gesetz zu Fall zu bringen, mit dem die ihre
Oligarchenwirtschaft unter die Tributpflicht beugen will.
Eine Staatsmacht ohne Einkünfte steht schließlich auch
ziemlich schlecht da.
Des weiteren kämpft der Yukos-Mann um die Festlegung der
nationalen Energiepolitik in seinem Interesse und fordert
die „Liberalisierung“ von Ölexporten und Transport,
beansprucht also nicht weniger als die politische
Verfügung über das einzig griffige Instrument im
russischen Außenhandel, ganz nebenbei auch noch den
freien Zugriff auf die übrigen noch in Staatshand
verbliebenen Einkommensquellen. Seine ökonomische Macht
nutzt der Milliardär dann zur weitergehenden
Eroberung der politischen Macht und kauft sich
many allies in the Duma
mit dem erklärten Ziel,
seinen Widersacher Putin als Präsident abzulösen.[15]
Für seinen Machtkampf gegen die von Putin kommandierte Staatsmacht verschafft sich Yukos internationalen Rückhalt: Chodorkowski bestückt seinen Laden mit amerikanischen Managern, lässt sich seine „Finanz- und Steuerkonzepte“ von einer internationalen Beratungsgesellschaft erstellen, bilanziert sein Geschäft nach amerikanischem Recht [16] und plant, sein Eigentum durch die Fusion mit einem amerikanischen Energie-Multi generell aus der Zuständigkeit der russischen Regierung herauszumanövrieren.
Mit seinem Programm, das staatliche Monopol beim Bau und Betrieb von Pipelines aufzubrechen, betätigt sich Chodorkowski schließlich ganz im Sinne der USA, stellt sich im Irak-Krieg auf deren Seite und gewinnt die Weltmacht als Patron:
„Zu Beginn dieses Jahres, als die Regierung begann, Chodorkowskis Bestrebungen, Russlands erste private Pipeline zu bauen, zu blockieren, fing der Öl-Tycoon damit an, öffentlich den Kreml abzukanzeln, weil er seiner Behauptung zufolge die Absicht hegte, eine bürokratische Herrschaft nach ‚saudi-arabischem Stil‘ zu errichten. Dann, am 20. März, einen Tag, nachdem Amerika in den Krieg gegen den Irak zog, ergriff er öffentlich Partei für die Amerikaner, indem er sagte, die Kampagne wäre positiv für die russische Wirtschaft. Noch ärgerlicher für den Kreml aber war seine Kritik an der Gegnerschaft der Regierung gegen den Krieg, er sagte nämlich, dass es ‚nicht in unserem Interesse‘ sei, sich auf die Seite von Frankreich und Deutschland zu stellen.“ [17]
Die Bush-Administration hat ihre helle Freude an diesem
Typus Ölmann mit Drang zu Höherem: In Washington hat man
nämlich zu Beginn des 2. Irak-Kriegs für Russland eine
neue Rolle bei einem Stück amerikanischer Weltordnung
vorgesehen: Man möchte Russland zu einem alternativen
Rohöl-Lieferanten formen, einem, der frei von den
Auflagen war, die die anderen großen Anbieter in der
zunehmend instabilen arabischen Welt verhängten, um die
Preise zu kontrollieren
, also gegen den
saudi-arabischen Stil
des internationalen
Ölmarkts.[18]
Mit der Weltmacht im Rücken traut sich Chodorkowski die
Auseinandersetzung um die Ausrichtung, also um die
Eroberung der Staatsgewalt selbst zu und dehnt
den Machtkampf bis auf diese oberste Etage aus. Putin
antwortet mit seiner Vertikale der Macht
und dem
Verfahren gegen Yukos, das mit der Zerschlagung des
Firmenimperiums und der exemplarischen Bestrafung der
Führung endet [19], ein Verfahren, in dem es
nicht zuletzt um die Wiederherstellung des staatlichen
Gewaltmonopols, d.h. um die Hoheit gegenüber dem
Gebaren der Oligarchen geht.
Mit der Entscheidung, sich in diesen Kapitalismus der modernen Welt einzuklinken, hat die russische Führung ihr Land an den Rand des Ruins gebracht. Sie hat sich dabei auf ihren Rohstoff-Reichtum verlassen, sich damit nach außen dem internationalen Regime des Eigentums gefügt und sich im Inneren Gestalten herangezüchtet, die diesen Kapitalismus auch praktizieren, und zwar auf Kosten des Landes, die den Staat in die Position eines Schuldners befördern und dazu nötigen, seine Verbindlichkeiten mit der Veräußerung der entscheidenden nationalen Geldquellen zu bedienen. Diese vorbildliche marktwirtschaftliche Ruinierung der Existenzgrundlagen von Volk und Herrschaft stellt die Verwalter der Nation vor die Notwendigkeit, die Herrschaft des Eigentums, die sie schon eingerichtet haben, mit Beschränkungen zu versehen. Daher artet die Einführung des Kapitalismus von vorneherein in den Streit aus zwischen den neu ermächtigen Eigentümern und dem Staat, der sie ermächtigt hat.
Das westliche Ausland urteilt über den Fall: das marktwirtschaftlich-menschenrechtliche Verbrechen der Putin-Herrschaft
In diesem Machtkampf hat der russische Präsident dann nicht nur seine Oligarchen als Widerpart, sondern gleich auch noch die Phalanx der Führungsmächte des Weltmarkts. Hinter dem russischen Tycoon stehen schon die Führer des internationalen Kapitalismus mit der ganzen Brutalität ihres Anspruchs auf Respekt gegenüber ihrer Eigentumsordnung. Sie haben den russischen Staat gewissermaßen schon für den Internationalismus des Kapitals dienstverpflichtet, noch ehe der dazu gekommen ist, eine innere Rechtsordnung für seinen Kapitalismus zu erlassen und durchzusetzen. In grandioser Rücksichtslosigkeit gegenüber der inneren Verfassung Russlands erklären sie sich zur Schutzmacht der Oligarchenmafia, erkennen in denen als Pioniere des Privateigentums ihre Gewährsleute für das einzig richtige Wirtschaften in Russland und verfolgen umgekehrt das Bestreben der russischen Staatsmacht, sich ihren Dschungelkapitalismus gesetzlich untertan zu machen, als Angriff auf die allerhöchsten Werte der freien Marktwirtschaft.[20]
Zwar stellt der russische Staat mit all seinen Eingriffen in das Oligarchenwesen überhaupt erst seine Souveränität über seine Ökonomie und damit die erste Bedingung für einen funktionsfähigen Kapitalstandort her; zwar kommt er damit ebenso dem Anspruch des internationalen Kapitals auf Rechtssicherheit nach. Aber seine westlichen Partner, nachdem sie den Ruin des ganzen Landes bis hin zum Staatsbankrott in Kauf genommen haben, würdigen die Nutznießer als ihre Mannschaft in Russland und stellen sie unter ihren Schutz.
Das Urteil des eigenen Staats, der sich an der Sortierung von Verbrecher- und Unternehmertum zu schaffen macht, lässt die Internationale der Staatengemeinde nicht gelten. Es wird zwar einhellig konzediert, dass sich die Oligarchen ihre Reichtümer mit zweifelhaften Methoden zusammengerafft haben. Das ist aber zu entschuldigen, weil das erstens alle dort gemacht haben – was wiederum keineswegs dahin ausgelegt werden darf, dass der russische Staat dann eben auch irgendwo mit dem Bestrafen einmal anfangen musste, so wie z.B. die BRD ein paar Steuerhinterzieher exemplarisch verhaftet, um den Rest zur freiwilligen Selbstanzeige zu bewegen. Zweitens wird den Oligarchen großmütig zugestanden, dass ihre Vergehen angesichts einer undurchsichtigen Rechtslage quasi unvermeidlich waren. Was wiederum gar nicht für die Anläufe der russischen Staatsmacht spricht, das Oligarchentum zu bändigen und eine durchsichtige Rechtslage zu schaffen. Auf die Weise wird der Rechtsbruch sehr einsinnig auf der Seite der Staatsmacht lokalisiert, um die zu beschuldigen. In Gestalt der entschiedenen Parteilichkeit dieser feinfühligen Auslegung der Rechtslage wird offenkundig ein höheres Recht in Anschlag gebracht: Die politischen Schutzmächte des internationalen Kapitalismus definieren und verfolgen die Putin-Politik als Verstoß gegen ihre Rechte auf einen freien Kapitalverkehr.
Daher rührt dann auch der erstaunliche Charakterwandel
der Figur Chodorkowski: Seine Vorgeschichte als
Räuberbaron, dem man noch vor ein paar Jahren den
betrügerischem Bankrott seiner Menatep-Bank samt
Vernichtung auswärtiger Anteile übel genommen hatte, ist
ausgelöscht, stattdessen wird er jetzt als
Freiheitskämpfer und unschuldiges Opfer einer
pervertierten Justiz gehandelt. Umgekehrt verweigert die
maßgebliche westliche Staatengemeinde der russischen
Regierung die Anerkennung ihrer Rechtsakte und deklariert
mit der Verurteilung des Verfahrens als politische
Justiz
Russland selbst als Unrechtsstaat
.
Der Standpunkt hat über die Jahre hinweg seine verschiedenen Konjunkturen, wird von den unterschiedlichen Interessenten an Russland gemäß ihrer Interessen mal höher, mal tiefer gehängt, sucht sich auch die unterschiedlichsten Anhaltspunkte – da tun es die NGOs genauso gut wie die Schwulen, Pussy Riot, die Aneignung der Krim – oder eben das Verbrechen an Yukos. Der Fall wird, auf Betreiben der Kläger und mit Hilfe der internationalen Justiz, beharrlich am Leben erhalten. Deren Mühlen mahlen bekanntlich langsam, aber gründlich, und mit dieser Gründlichkeit kommt sie noch elf Jahre später auf die alte Energiecharta zurück und verfertigt daraus eine Handhabe, den Fall aufzuarbeiten.
Die Kläger: ein Finanzkapital der besonderen Art
Geschickterweise hatte Chodorkowski für den Fall seiner
Verurteilung schon mit seinen ganzen Westbeziehungen
vorgearbeitet, ab da treten drei Finanzgesellschaften
unter Führung der von ihm aus dem westlichen Ausland
angeheuerten Manager und Finanzexperten als Justizopfer
auf. Die Mehrheitseigner an Yukos, die gerade noch
rechtzeitig vor der Zerschlagung des Unternehmens ihre
„Pflicht“ entdeckten, ihre Interessen zu schützen und
sich in die besagten drei Gesellschaften zu verwandeln,
mit Firmensitzen in landschaftlich reizvoller Gegend –
auf Zypern und auf der Isle of Man [21] –, sichern seitdem von
dort aus ihre Rechte sowie auswärtige
Unternehmensbestandteile des Chodorkowski-Imperiums vor
dem Zugriff russischer Gerichte. Alles im Namen der
victims
der russischen Gerichtsbarkeit – zur
Unterstreichung der sozialen Seele des Unternehmens
werden immer auch die ehemaligen Yukos-Angestellten mit
aufgelistet.[22]
Ihre Rechte am längst liquidierten ehemaligen Unternehmen Yukos erstrecken sich auf eigentlich wertlose Titel, eigentlich – gäbe es da nicht einen anderen Weg der Wertschöpfung, nicht auf dem Weg irgendwelcher Ölförderaktivitäten, vielmehr mit Hilfe der Charta und des langen Arms der internationalen Gerichtsbarkeit. Die Gesellschaften haben sich der Aufgabe gewidmet, einen Geldwert der Papiere einzuklagen, gerichtlich die Entwertung des Aktienkapitals an Yukos zu einem durch den russischen Staat den Aktionären zugefügten Schaden zu erklären und sich entsprechend entschädigen zu lassen.
In Gestalt eines umfänglichen internationalen
Prozesswesens, mit Hilfe von independent (i.e.
non-russian) courts
werden die ins Ausland
verbrachten Vermögensbestandteile gegen den Zugriff der
russischen Regierung abgesichert und dazu verwandt, die
Forderungen gegen Russland am Leben zu erhalten. Darüber
hinaus beschäftigen sich die Vertreter dieser
Gesellschaften damit, bei den Schutzmächten der
internationalen Eigentumsrechte, u.a. vor dem US-Senat
und dem britischen Parlament als Zeugen für deren
Rechtsvorbehalte gegenüber der russischen Regierung
anzutreten. Schließlich verdanken die Yukos-Eigner ihre
effective protection
durch echt unabhängige
Gerichte, die sie im Unterschied zu Steuerhinterziehern
aus anderen Nationen genießen, auch einer gewissen
politischen Protektion. Jedenfalls hat es ihnen
nie an Mitteln sowie politischer und öffentlicher
Anteilnahme für ihr Prozesswesen gefehlt.
Das Urteil des Schiedsgerichts: Eigentum steht über Souveränität
Die Klage dieser Yukos-Wucherungen hat das Schiedsgericht jetzt umfassend ins Recht gesetzt: Es befindet, dass die russische Justiz zweifelsohne Steuervergehen von Yukos verfolgt hat, dass das Verfahren aber entscheidend auf das politische Ziel der Zerschlagung des Unternehmens ausgerichtet war, womit sich Russland nach Auffassung des Gerichts der politischen Justiz schuldig gemacht und die Yukos-Anteilseigner zu entschädigen hat.
Der Schiedsspruch stützt seine Entscheidung auf die Prüfung der Fragen, inwiefern erstens Ungleichbehandlung vorliegt, die russische Regierung also gegen Art. 10 der Energie-Charta, Behandlung von Investoren, und Art. 13, Enteignungen, verstoßen hat, und inwiefern zweitens die Charta als für die russische Regierung bindend angesehen werden muss.
Zu diesem Zweck macht sich das Gericht sein Bild
vom Hauen und Stechen zwischen Geldgeiern und Fiskus im
damaligen russischen Staat, indem es Rechtsverhältnisse
hineinkonstruiert, und kommt zu dem Ergebnis, dass Yukos
ein Steueroptimierungsmodell
angewendet hat, das
von zahlreichen russischen Unternehmen genutzt wurde,
insbesondere von allen großen Ölfirmen. Konzediert wird
andererseits, dass die Lage damals nicht ganz einer
vernünftigen staatlichen Zwecksetzung bei der Besteuerung
von Unternehmenstätigkeiten entsprochen haben kann.
Insgesamt wird das Augenmerk bei der Befragung der Zeugen
sowie der Sachverständigen auch auf die Frage gelegt, ob
beteiligte Personen (sowohl auf der Behördenseite, als
auch in der Geschäftsleitung des Unternehmens) das in den
damaligen Verhältnissen als illegal empfunden
haben oder ob sie von eingeräumten sanktionslosen
Spielräumen
ausgehen durften. Für beide Standpunkte
wird reichlich Material gefunden; im Ergebnis befindet
das Tribunal, dass die so definierte Rechtslage
unübersichtlich
war.
Angesichts der verworrenen und unhandlichen, weil gerade
entstehenden inner-russischen „Rechtslage“ zieht sich das
Gericht dann elegant aus der Affäre, betont mehrfach und
mit dem Pathos der Nichteinmischung, dass es nicht die
Aufgabe des Tribunals sei, gleichsam als
Super-Revisionsgerichtshof
russische Rechtsprechung
zu beurteilen, sondern dass das Augenmerk auf die
Anwendung der Vertragslogik der Energiecharta zu richten
sei, also darauf, ob ausländische
Investitionen/Investoren einer schlechteren Behandlung
ausgesetzt wurden als russische. Ausländische Investoren
in dem Sinn gab es zwar damals gar nicht, vielmehr hatten
die russischen Ölgesellschaften Offshore-Institute
gegründet, um ihre Gewinne aus Russland
herauszuschleusen. Das Gericht würdigt explizit die
komplexe, schwer durchschaubare Struktur, die von den
Klägern oder ihren Stellvertetern aufgebaut wurde, um
mithilfe einer enormen Offshore-Konstruktion Erträge aus
Russland heraus zu schleusen
. Es äußert sich auch
über den rechtlich fragwürdigen Charakter dieser
Operationen, wobei es aber bezeichnenderweise das
verletzte Recht der minority shareholders
in den
Vordergrund stellt.[23] Auf die Weise schafft es
das Gericht dennoch, den nötigen Vergleich herzustellen:
Die Behandlung von Yukos, des größten von neun
Ölunternehmen in Russland, sei deshalb diskriminierend
gewesen, weil es als einziges wegen Steuerhinterziehung
durch den russischen Staat belangt wurde. Der Einwand des
russischen Staates, die Größenordnung der
Steuerhinterziehung durch Yukos habe erheblich über
derjenigen der anderen Rechtsbrecher gelegen, überzeugt
das Schiedsgericht nicht. Den guten deutschen
Rechtsgrundsatz, dass es ‚im Unrecht keinen
Gleichbehandlungsanspruch‘ gibt, dass der Staat also in
seiner Entscheidung frei ist, gegen welchen Rechtsbrecher
er mit welcher Schärfe vorgeht, oder umgekehrt, dass kein
Rechtsbrecher sich darauf berufen kann, dass ein anderer
Rechtsbrecher weniger hart angefasst wurde, wollten die
Richter offenbar nicht anwenden.
Der Entscheid bleibt in seiner Beurteilung des Vorgehens des russischen Staates aber nicht dabei stehen, nur die diskriminierende Behandlung im Vergleich zu anderen Ölunternehmen auf russischem Boden zu belegen, da die bloße abweichende Behandlung durch Behörden als Beweisführung dann anfällig wäre, wenn man gleichzeitig feststellt, dass in Russland zum damaligen Zeitpunkt die Rechtspflege willkürlich verlief, was in den Ausführungen des Tribunals wie der Parteien ständig vorkommt, und als Konsens im Verfahren unterstellt wurde. Wasserdicht macht man die Argumentation wirklich nur durch die Herausarbeitung des politischen Vorsatzes, der die gezielte Schädigung begründet, weil die behördlichen Maßnahmen nur schwer als Überschreitung der Grenzen von Art. 21 EGV (Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft) darzustellen wären, der das eigentliche Besteuerungsverfahren in der Hoheit der Vertragsstaaten belässt. Insgesamt ein Paradefall, wie sich die internationale Rechtsordnung als Regime über die staatliche Souveränität bewährt und das Recht die nötigen Handhaben dafür bietet: Die nationale Politik hat hinter dem Recht des Eigentums zurückzustehen, wenn sie ihre – politischen – Gründe für eine Enteignung geltend macht, verletzt sie dieses höhere Recht und ist selbst zu verurteilen.
Das juristische Subsumtionsverfahren präsentiert sich in
diesem Fall in aller Schönheit: Das Gericht
abstrahiert systematisch vom Umstand, dass ein
Recht, das der russische Staat hätte verletzen
können, in Russland gar nicht vorhanden war,
appliziert vielmehr in der berufseigenen Borniertheit und
mit größter Selbstverständlichkeit einen
übergeordneten Rechtsstandpunkt, an den sich
seiner Auffassung nach die damals in Russland
herrschenden Zustände unbedingt hätten halten müssen. In
seinen Befunden über die unübersichtliche
Rechtslage
taucht die Verfasstheit des Objekts zwar
irgendwie auf, und auch die einschlägigen Redeweisen von
bandit capitalism
oder auch
Raubtierkapitalismus
samt der allseitigen Klagen
über die mangelnde Rechtssicherheit
im
Jelzin-Staat dürften noch erinnerlich sein. Auf seine
Weise belegt ja auch schon der Standpunkt der
Energie-Charta, dass man im Osten überhaupt erst einen
Rechtsstaat zu implantieren hätte, den Sachverhalt, dass
die Politikmacher dort mit einer regelrechten
Neugründung von Staaten unterwegs waren.
Die Vorstellung vom Recht als eines jenseits aller staatlichen Eigenwilligkeit objektiven und unverrückbaren Kanons allgemeiner vernünftiger Regelungen ist zwar weit verbreitet, gehört jedoch ins Reich idealistischer Fehldeutungen; beim Recht handelt es sich um Setzungen von Staatssubjekten, die ihren Bedarf gegenüber ihrer funktionell herzurichtenden nationalen Grundlage in Gesetzesform bringen und ihren Gesellschaften einpflanzen. Auch etablierte Staaten und ehrwürdige Demokratien entwickeln ja immerzu neuen Regelungsbedarf und schnitzen demgemäß an ihren Gesetzen herum. Die damaligen russischen Führer, die entgegen ihrer Vorstellung, mit der Übernahme des erfolgreicheren Systems ihre Nation auch schon aufs richtige Gleis gesetzt zu haben, damit konfrontiert wurden, was man sich mit diesem System alles an katastrophischen Wirkungen eingekauft hatte, entwickelten notwendigerweise einen entsprechend fundamentalen Regelungsbedarf. Nach dem Staatsbankrott und dem Zerbröseln des ererbten Machtapparats sah man sich vor der Notwendigkeit, überhaupt so etwas wie eine russische Staatlichkeit zu retten – auch gegen die internationalen Verpflichtungen, die man im anfänglichen guten Glauben an ihren nützlichen Sinn einmal unterschrieben hatte.
Die Rechtsfindung des Schiedsgerichtshofs in Den Haag
dreht der angeklagten Regierung aber genau daraus den
Strick und buchstabiert dem russischen Souverän gegen
seine Vorbehalte und seinen später erklärten Willen seine
verpflichtende Bindung vor. Es lehnt in seinem
weisen Befinden die ausgebliebene Ratifizierung durch den
Unterzeichnerstaat Russland kurzerhand als unbeachtliche
Tatsache ab. Es hat nämlich selber schon 2009 in einem
Interims-Entscheid aus Artikel 45, Abs. 1, nach dem die
Unterzeichnerstaaten des Abkommens dieses vorläufig
anwenden, soweit nicht nationale Regelungen des
Unterzeichnerstaates entgegenstehen
, die volle
Gültigkeit der Verpflichtungen abgeleitet, indem es sich
die Frage, ob „vorläufige Anwendung“ ein Rechtsprinzip
darstellt, das russischen nationalen Regelungen fremd
ist, vorgelegt und schlicht und einfach mit nein
beantwortet hat.
Nach Klärung dieser Frage hat das Tribunal es trotzdem noch für sinnvoll erachtet, die dann eigentlich überflüssige Frage zu beantworten, ob die Unterwerfung unter internationale Schiedsgerichtsbarkeit als Teil des Abkommens russischen nationalen Regelungen widerspricht. Auch da hat das Gericht ermittelt, dass der russische Souverän in diversen anderen Gesetzen – dass die sich auf andere Sachverhalte beziehen, tut hier nichts zur Sache – sehr wohl eine Streitbeilegung durch eine internationale Schiedsgerichtsbarkeit vorsieht. Also, so die Schlussfolgerung, hat Russland im Prinzip nichts gegen internationale Schiedsgerichtsbarkeit, also – nächste Schlussfolgerung – auch nichts gegen die internationale Schiedsgerichtsbarkeit in Angelegenheiten der Energiecharta. So lässt sich mit einiger juristischer Konstruktionskunst das Faktum, dass Russland in seiner krisenhaften Gründungsphase die berühmte Charta unterschrieben hat, allen Ernstes gegen es verwenden.
Diese gelungene Beweisführung, wie man aus einer Unterschrift eine dauerhafte Bindung herausleiert und deren Rückzug die Anerkennung als Kündigung verweigert, bildet ein lehrreiches Beispiel für die erbarmungslose Sophistik der Rechtsordnung, wenn sie einmal niedergelegt ist und einem Gericht überantwortet wird. Der Schiedsgerichtshof mit seinem festen Standpunkt zum ehernen Recht des Eigentums belehrt den russischen Staat – gegen dessen Interessen, gegen dessen Rechtsakte, sogar gegen den international aktenkundig gemachten Rücktritt – gewissermaßen über dessen eigenes besseres Wesen als ausführendes Organ dieser internationalen Rechtsordnung: Er ist im Konsens der Staaten einbegriffen, ob er will oder nicht.
Damit bewerkstelligt das Gericht einen deutlichen
Fortschritt in der seit Jahren vor sich hin schmorenden
Yukos-Geschichte: Was damals als politisches und
polit-moralisches Urteil über Russland in Umlauf gesetzt
worden ist – Unrechtsstaat
–, erhält jetzt
die Form eines juristisch beglaubigten Urteils und wird
noch elf Jahre danach zum Schlag gegen diesen Staat
verwandt. Diese Anwendung der Energie-Charta gegen
Russland beleuchtet die doppelte Leistung solcher
Bestandteile der internationalen Geschäftsordnung: Neben
der ökonomischen Bedeutung der darin
festgeschriebenen Konditionen, mit denen die staatlichen
Subjekte des Weltmarkts dem Konkurrenzkampf ihrer
erfolgreichen Firmenwelt den Weg in das neu für die
Marktwirtschaft eroberte Land eröffnen, drängen sie dem
Vertragspartner zugleich die Anerkennung der
rechtlichen Verbindlichkeit ihrer Interessen
auf. Und die enthalten lauter Implikationen, die die
russische Souveränität beschränken, auch nach
innen relativieren – dieser höhere Sinn der von
der Energiecharta angeführten Komplementarität
der
Interessen wird den Russen per Gerichtsentscheid
gewissermaßen nachgereicht.
Gegen den Verdacht, der von der russischen Seite vorgebracht wird, dass der Entscheid des Haager Schiedshofs unter dem Einfluss der Politik gefällt worden sein könnte, ist das Gericht entschieden zu verteidigen. Das Politische an seinem Urteil fällt nämlich ganz mit der Materie zusammen, mit der es sich auf seine eigene rechtsbornierte Weise befasst. Das belegt gerade auch der Streit unter den verschiedenen Gerichten, die mit dem Thema Yukos befasst waren.
Der europäische Gerichtshof für Menschenrechts bemerkt zwar
„kritisch ..., dass die Eintreibung der Steuerschulden der Jahre 2000 bis 2003 ‚unverhältnismäßig‘ gewesen sei und gegen den Schutz des Eigentums verstoßen habe, schränkt“ dann „allerdings diese Position“ auch wieder „ein: Die verschiedenen Behörden hätten alle auf legaler Grundlage gehandelt. Der EGMR lobte zugleich das Niveau der russischen Justiz: ‚Die rechtlichen Bestimmungen sind ausreichend präzise, um den Standards der Menschenrechtskonvention zu genügen.‘“ [24]
In einem anderen Verfahren aus der Prozessflut der Yukos-Erben urteilt ein Haager Tribunal wiederum über das Straßburger Gericht:
Sein Urteilsspruch gegen Yukos – Yukos habe nicht beweisen können, dass die Russische Föderation Zwangsvollstreckungen missbraucht habe, um das Unternehmen zu zerschlagen und ihre Vermögen in die eigene Verfügungsgewalt zu bekommen –
„muss verstanden werden als basierend auf erhöhten Ansprüchen an eine ‚unanfechtbare und direkte Beweisführung‘ bei dem ‚weiten Einschätzungsspielraum‘, den ein Staat unter dem Protokoll Nr. 1 zur Europäischen Menschenrechtskonvention genießt. Auf Grundlage der umfangreichen Unterlagen in diesem Verfahren kommt das Gericht zu dem Schluss, dass der Vorwurf der Steuervergehen gegen Yukos in der Tat ein Vorwand dafür war, dessen Vermögen zu beschlagnahmen und es auf Rosneft zu übertragen.“ [25]
Wie das zweite Gericht mit seiner deutlichen
Missbilligung der Kollegen von der Menschenrechtsfront zu
erkennen gibt, besteht die Tätigkeit dieser Instanzen in
der Abwägung von Rechtsgütern, und da haben die
Straßburger eindeutig viel zu viel
Einschätzungsspielraum, den ein Staat genießt
angesetzt, zu viel Anerkennung der betreffenden
Staatsgewalt als Rechtsinstanz gegenüber dem eindeutig
weitaus höher anzusiedelnden Recht auf Eigentum.
Was letztendlich der Abwägung der Paragraphen die wirkliche Wucht verleiht, ist allerdings etwas ganz anderes als die gelungene Konstruktion des Rechtsgebäudes, nämlich die versammelte Macht, die die übrigen Vertragspartner bei der Vollstreckung gegenüber Russland mit ihren Zugriffsmitteln auf die inzwischen globalisierten russischen Geschäftstätigkeiten geltend machen können.
Die Pfändung russischen Auslandsvermögens
Die Veranschlagung der Entschädigung, zu der das Schiedsgericht den russischen Staat verurteilt hat, beläuft sich auf immerhin etwas mehr als 10 % der russischen Währungsreserven, wobei die Beteiligten schon im Vorhinein auf ihre Mittel verweisen, sich diese Summe auch gegen den Willen der russischen Regierung greifen zu können. Als Instanz der Rechtshilfe wird keine geringere aufgerufen als die versammelte Staatengemeinde, die selbstredend auch in der Frage der Pfändung von staatlichem auswärtigem Vermögen über ein entsprechendes Abkommen verfügt:
„‚Auch wenn Moskau ein Urteil des Ständigen Schiedshofes in Den Haag nicht anerkennen würde, könnte es umgesetzt werden‘, sagte der GML-Direktor. (GML ist ein in Gibraltar registriertes Investmentvehikel aus dem Imperium Chodorkowskis, Anm. d.V.). ‘Zur Anwendung kommen könnte das New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche‘, so Osborne. Das sei auch von Russland unterzeichnet und ratifiziert. Um ehemalige Yukos-Aktionäre zu entschädigen, könnten dann Vermögenswerte des russischen Staates in verschiedenen Ländern – mit Ausnahme der diplomatischen Vertretungen – beschlagnahmt und versteigert werden. Auch der Auslandsbesitz russischer Staatsunternehmen wie Gazprom, Aeroflot und Rosneft könnte betroffen sein.“ [26]
Der Optimismus der Kläger, dass sich die Staatengemeinde
schon hinter das Urteil stellen und ihnen per Pfändung zu
ihrem Recht verhelfen wird, ist sicher nicht unangebracht
– und zwar nicht deshalb, weil sich diese Gemeinde
immerzu für die Geltung irgendwelcher Urteile
irgendwelcher internationalen Gerichte oder auch der
Völkerfamilie in Gestalt der UN-Gremien starkmachen
würde. Da haben schon viele Nationen bei der Einklagung
von UNO-Resolutionen und Ähnlichem Schiffbruch erlitten.
Aber das Recht auf Eigentum besitzt offenkundig
eine ganz andere Qualität als sonstige Menschen- und
Völkerrechte: Auf Basis des Interesses derer, die sich
diese internationale Eigentumsordnung schaffen, gibt es
für das Einklagen von Investoren-Rechten – jedenfalls
dann, wenn die Investoren aus einem ehrenwerten Land mit
Privateigentum stammen –, Schiedsgerichte, die
internationale Macht entfalten, die nicht nur in der
interessierten Staatengemeinde über eine Exekutive
verfügen, sondern damit auch über ein Exekutionsmittel,
gewissermaßen ökonomische Waffen: Dank der geglückten
Integration in den Weltmarkt befinden sich mittlerweile
reichlich Vermögenswerte des russischen Staates
außerhalb der russischen Grenzen und in der Reichweite
anderer Staaten, um sie als Zwangsmittel für russische
Fügsamkeit einzusetzen.
Im übrigen verdankt die Yukos-Mannschaft die guten
Aussichten auf Vollstreckung nicht nur der Parteinahme
der modernen Staatenwelt für das Menschenrecht auf
kapitalistisches Eigentum, sondern auch noch dem
glücklichen historischen Umstand, dass dieselbe
Staatengemeinschaft zur Zeit unter Führung der USA,
assistiert von der EU, dabei ist, ein neues, der
Intention nach ultimatives Kapitel bei ihrer
Dauerbemühung aufzuschlagen, sich Russland gefügig zu
machen: Russland wird zum staatlichen Paria
erklärt und entsprechend traktiert. Und das vor allem auf
dem interessanten neuen marktwirtschaftlichen Weg der
Enteignung: Die anlässlich des Streits um die Ukraine
eingeschlagene Sanktionspolitik zielt darauf, Russland
ökonomisch zu strangulieren, indem man seine
internationale Zahlungsfähigkeit perspektivisch auf Null
zurückführt und damit als in den Weltmarkt eingebundenes
und vom Weltmarkt abhängig gemachtes Staatssubjekt so
elementar schädigt, dass der Paria nicht umhin können
soll, sich zu bessern.
Die in Den Haag beschlossene Pfändung wird aktuell zwar noch nicht in die Tat umgesetzt, tut aber im Verein mit den bereits beschlossenen Sanktionen auch jetzt schon ihren Dienst beim Angriff auf die Kreditwürdigkeit der russischen Unternehmen und des russischen Staats – ein weiterer Schlag gegen die Nation, die nach wie vor einen enormen Kapitalbedarf vermeldet. Schließlich setzt das moderne Russland, wenngleich es sich jetzt – multipolar – auch heftig um alternative Partner bemüht, weiterhin auf seinen Aufbau durch die Einbindung in den globalen kapitalistischen Geschäftsverkehr und ist weit davon entfernt, sich aus der diesbezüglichen internationalen Rechtsordnung verabschieden zu wollen. Bei seinem Aufbau zu einer kapitalistischen Macht muss es daher eine weitere imperialistische Lektion zur Kenntnis nehmen, nämlich die, wie viel politische Unterwerfung die Beteiligung am internationalen Kapitalismus einschließt.
[1] Milliarden-Quittung für Putin, Handelsblatt, 28.7.14
[2] Einleitung zur deutschen Ausgabe des Vertrags, www.encharter.org
[3] a.a.O.
[4] a.a.O.
[5] a.a.O.
[6] Eine kleine
historische Ironie ist bei dieser Angelegenheit nicht
zu übersehen: Das Anliegen der Energie-Charta,
Schaffung einer Energiegemeinschaft der Länder
beiderseits des Eisernen Vorhangs auf der Grundlage der
Komplementarität der westlichen Märkte, des Kapitals,
der Technologie und der natürlichen Ressourcen der
Oststaaten
, ist trotz aller Streitigkeiten dermaßen
perfekt verwirklicht worden, dass sich dasselbe Europa
heutzutage über seine Abhängigkeit
von
russischen Energie-Lieferungen beklagt und die als
eminentes Sicherheitsrisiko einstuft. Leider
hat sich nämlich das andere Anliegen der Charta, den
Souverän, der auf den Energie-Vorkommen hockt, zu einer
gefügigen Dienstleistungsinstanz zurechtzustutzen,
nicht so reibungslos bewerkstelligen lassen wie das
Geschäft mit Öl und Gas.
[7] Die Kooperative
war schon eine freie Unternehmensform... Wir konnten
bargeldlose Beträge so viel wir wollten auf unsere
Konten bringen, alles in Bargeld umwandeln und für das
Bargeld Waren, Programme, Arbeitsleistungen und Leute
einkaufen … Außerdem gab es die ‚Cocom-Liste‘, ein
Embargo, das die Amerikaner auf die Lieferung von
Computern in die sozialistischen Länder verhängt
hatten. Die Leute in den Unternehmen wollten aber echte
Computer, nicht die sowjetischen Hammer- und
Amboss-Modelle … ein Bereich, in dem sehr viel Geld
steckte. Buchgeld, das sich mithilfe der Computer in
Bargeld umwandeln ließ. Und das sind schon ganz andere
Zahlen … Natürlich kam es in diesem Prozess auch zu
einer
eigentlich noch verbotenen Konvertierung
von Dollar in Rubel und zurück, zu einem bestimmten
nichtstaatlichen Kurs, den hatte es ja immer gegeben.
Das eröffnete uns zusätzliche
Verdienstmöglichkeiten.
(Chodorkovskij, Michail B., Natalija P.
Gevorkjan und Steffen Beilich [Übers.]: „Mein Weg: ein
politisches Bekenntnis“, München, 2012, S. 170)
[8] Ein Unternehmen
konnte Millionen Devisen haben, die nicht in der Bilanz
erschienen, aber nichts, um die Gehälter zu bezahlen,
weil es keine Rubel hatte. Rubel brauchten sie aber.
Doch wie sollte man ihnen nicht bilanzierte Devisen
abkaufen? Also habe ich mir etwas ausgedacht: Unsere
Bank gab dem Forstwirtschaftsunternehmen für zwei
Wochen einen mit nicht bilanzierten Devisen besicherten
Kredit. Der Betrieb zahlte den Kredit nicht zurück, und
wir behielten die Sicherungsleistung. Dann brachten wir
für diese Devisen die nötige Rubel-Deckung auf und
konnten sie so in Dollar umwandeln. Dann gaben wir
einem anderen Unternehmen einen mit Rubeln besicherten
Dollar-Kredit. Der Dollar stand bei uns 1 zu 7 bis 1 zu
10. Zu einem bestimmten Zeitpunkt beliefen sich die
Kreditausfälle auf 96 % bei einer gleichzeitigen
Rentabilität der Bank von 1000 %. Wir hatten ein Konto
bei der Vneshekonombank. Die anderen hatten auch ein
Konto bei der Vneshekonombank. Dieses Verrechnungskonto
nutzten wir als Bankkonto. Und niemand durchschaute,
was wir da taten. Wir hatten keine Lizenz für
Bankgeschäfte, nichts hatten wir. Aber es gab auch
keine Gesetze, gegen die wir damit verstoßen hätten.
Als die Zentralbank kam, um uns zu überprüfen, sagten
sie: ‚Ihr seid kriminell.‘ Ja, mag sein, aber sagen Sie
uns doch, gegen welches Gesetz wir verstoßen haben, wir
wissen es nicht. ‚Ihr habt das Bankensystem in seinem
Kern verletzt.‘ Und in welchem Gesetz ist der
beschrieben?
(a.a.O., S.
223)
[9] a.a.O., S.127
[10] a.a.O., S. 218.
Wie sich die Betreffenden auf dem Gebiet
Beziehungsmanagement
ihre Lizenzen beschafft
haben, erheitert sie heute noch:
„Diese erste Lizenz, das war eine lustige Geschichte.
Die Zentralbank hatte beschlossen, uns eine Lizenz zu
geben. Als nächstes musste sie also getippt werden. Der
Angestellte, ein ganz junger Kerl, sagte mir: ‚Aber
nicht jetzt! Ich kann jetzt nicht. Ich hab
Mittagspause, danach eine Besprechung … Komm morgen
vorbei!‘ Darauf ich: ‚Pass auf, geh du ruhig Mittag
essen, ich tippe das einstweilen.‘ Er nickte und lief
los. Ich sitze also da und tippe, den Telefonhörer
zwischen Schulter und Ohr geklemmt, und am anderen Ende
sind Chodorkowski und Lebedew. Ich tippe und sie sagen
mir, was ich schreiben soll … Ich schreie sie an: ‚Aber
nicht so dreist, ihr Hunde, nicht so dreist!‘ Ich
schreibe: ‚Die Bank ist nicht berechtigt, offene
Devisenpositionen zu halten …‘ Lebedew schreit: ‚Ist
berechtigt! Ist berechtigt! Lass das nicht
raus!‘ Ich widerspreche: ‚Die kriegen das mit!‘ Darauf
er: ‚Wenn sie es mitkriegen, schreiben wir es um.‘ Du
kannst dir vorstellen, was für eine geniale Lizenz wir
uns da … zusammengeschustert haben. Und sie wurde
unterschrieben!“ (a.a.O., S. 246)
[11] a.a.O., S. 218
[12] a.a.O., S. 226
[13] Auch die näheren Umstände dieser Auktionen beleuchten die Methoden, mit denen sich das russische Privateigentum, dessen ehrwürdige Rechte heutzutage in Den Haag geltend gemacht werden, etabliert hat, auf seine Art Anschauungsmaterial für den Spruch von Brecht: ‚Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank:‘
Ende 1995 wurden in Aktien-Kredit-Swaps
(Pfandauktionen) Anteile an fünf der großen
Ölgesellschaften veräußert... Das Konzept der Swaps
wurde von einem Konsortium russischer Großbanken
entwickelt. Die Banken boten der Regierung einen Kredit
von etwa 9 Mrd. Rubel (damals ca. 2 Mrd. USD) zur
Finanzierung des Haushalts an. Als Sicherheit für den
Kredit forderten sie die Verpfändung staatlicher
Aktienpakete, die bei den Banken verbleiben sollten,
falls der Staat den Kredit nicht innerhalb einer
bestimmten Frist tilgen würde. Jedes Aktienpaket sollte
im Rahmen einer Auktion an die Bank vergeben werden,
die das beste Kreditangebot unterbreitet hatte. In
einem Erlass vom 31. August 1995 ging Präsident Jelzin
auf das Angebot ein.
(Der
politische Einfluss von Wirtschaftseliten in Russland.
Die Öl- und Gasindustrie in der Ära Jelzin, Von Heiko
Pleines, Forschungsstelle Osteuropa Bremen, Nr. 41,
November, 2002,
www.forschungstelle.uni-bremen.de)
Die wichtigste Transaktion gelang der Menatep-Bank
durch ihre Tochtergesellschaft zur Aktienverwaltung
Rosprom im Jahr 1995: Unter Leitung von Platon Lebedew
sicherte sich die Rosprom in einer
Privatisierungs-Pfandauktion die Aktienmehrheit des
vertikal integrierten Ölunternehmens Jukos für 309
Millionen Dollar und damit weit unter dem Marktwert des
Unternehmens. Da die Menatep-Bank schon vorher die
Hausbank von Jukos war und auch die Auktion selbst
durchführte, hatte sie optimale Startbedingungen für
den Erwerb der Aktien bzw. Insiderwissen. Einwände
unterlegener Bieter blieben unberücksichtigt.
(Wikipedia)
„Die Regelung der Auktionen gab den Banken drei wesentliche Ansatzpunkte für Manipulationen. Erstens wurden alle Gebote jeweils von einer Bank entgegengenommen, die selber auch ein Gebot abgeben konnte. Diese Bank konnte so mit dem eigenen Gebot warten, bis sie alle Konkurrenzgebote kannte. Zusätzlich konnte sie konkurrierende höhere Gebote aus technischen Gründen disqualifizieren... Indem die Mindestgebote sehr niedrig angesetzt wurden, erhielten russische Großbanken die Möglichkeit, die verpfändeten Aktienpakete deutlich unter ihrem Marktwert zu erhalten...
Die Bank Menatep disqualifizierte einen Konkurrenten, um sich selbst zum Sieger der Yukos-Auktion zu erklären, wobei das Konkurrenzgebot fast doppelt so hoch war wie das siegreiche. Die Vertreter von Rosneft beklagten, dass ihre Reise zum Ort der Versteigerung von Surgutneftegaz verhindert worden sei. In ihrer Abwesenheit wurde der einzige verbliebene Bieter zum Gewinner erklärt. Eine Tochterorganisation der Oneksimbank erhielt den Zuschlag für 51 % von Sidanko, nachdem der konkurrierende Bieter, Rossijskij Kredit, wegen verspäteten Erscheinens bei der Auktion disqualifiziert worden war.“ (www.forschungstelle.uni-bremen.de)
[14] a.a.O.
[15] Mit Bestechung oder Korruption ist das nicht zu verwechseln, der Ausschuss des US-Senats lobt das „funding“ und den selbstlosen „financial support“, mit dem Chodorkowski für eine russische Demokratie kämpft:
Vor seiner Verhaftung und Einkerkerung war
Chodorkowski aktiver Kritiker des derzeitigen
Präsidenten Russlands und finanzierte
Oppositionsparteien, einschließlich der Union der
rechtsgerichteten Kräfte (SPS) und Yabloko. Darüber
hinaus hatte Chodorkowski viele Verbündete in der Duma,
und Gerüchten zufolge war er dafür, die Macht des
Präsidenten in Russland zu begrenzen, indem man das
Land in Richtung parlamentarische Demokratie bewegte.
Es wurde auch allgemein angenommen, dass er selbst
politische Ambitionen, einschließlich der russischen
Präsidentschaft, verfolgte. Auf Chodorkowskis Rolle für
die Oppositionspolitik wies der Menschenrechtsbericht
des US-Außenministeriums im Jahr 2003 ausdrücklich hin,
in dem erklärt wurde, dass ‚die Oppositionsparteien,
besonders jene, die von den sog. Oligarchen finanziert
werden, durch die Untersuchung und Verhaftung des
Yukos-Präsidenten Michail Chodorkowski erheblich
behindert wurden, eine Maßnahme, die, wie allgemein
angenommen, wenigstens zum Teil durch die beträchtliche
finanzielle Unterstützung, die er den
Oppositionsgruppen zukommen ließ, veranlasst
wurde‘.
(Democracy in Retreat
in Russia, Hearing before The Committee on Foreign
Relations, United States Senate, February 17, 2005,
http://www.gpo.gov)
[16] Sie (die
Yukos-Gesellschaft) wollte auf internationaler Ebene
konkurrieren und erkannte, dass sie dazu bessere
Unternehmensführung und mehr Transparenz in ihre
betrieblichen Aktionen bringen musste. Die Gesellschaft
legte einen besonderen Schwerpunkt darauf, ihre
Finanzberichterstattung an die US GAAP (United States
Generally Accepted Accounting Principles), die
allgemein anerkannten Rechnungslegungsgrundsätze der
Vereinigten Staaten anzupassen, deren zusätzliche
Anforderungen über das hinausgehen, was das russische
Recht verlangt. Sie behielt auch die namhafte
Beratungsfirma PricewaterhouseCoopers bei, die für sie
Finanz- und Steuerkonzepte erstellte. Neben diesen
Maßnahmen rekrutierte Yukos internationale
Führungskräfte, damit das Geschäft aufgrund ihres
Knowhow und ihrer Branchenkenntnisse florierte. 2001
trat der amerikanische Ölexperte Bruce Misamore dem
Unternehmen als Finanzvorstand bei. 2003 folgte ihm
Steven Theede als leitender Geschäftsführer. Die
Berufung internationaler Kräfte trug dazu bei, dem
Ethos der Professionalität und Treuhandpflicht
Nachdruck zu verleihen, das den Entscheidungen der
Geschäftsleitung bezüglich der Strategie, der Aktionäre
und der Belegschaft von Yukos zugrundeliegt.
(http://www.theyukoslibrary.com)
[17] Kremlin Playing Oil Game For Keeps. By Catherine Belton, Staff Writer, Eric Draper / bloomberg, Monday, Dec. 29, 2003. (www.siliconinvestor.com)
Insgesamt der Beginn einer wunderbaren Freundschaft
zwischen dem russischen Tycoon und den USA, die ihn
schon einmal zu einem global leader of the
future
befördern; die US-Vertreter können ihren
Schützling gar nicht genug loben:
Als Putin 2000 an die Macht kam, fing Chodorkowski
gerade an, sich ein gutes Erscheinungsbild zuzulegen.
Obwohl er die Interessen der Minderheitsaktionäre
rücksichtslos überging, sie aus den
Aktionärsversammlungen auszusperren versuchte und in
Windeseile die Profite der Gesellschaft in
Offshore-Zonen verstaute, ist er aufgrund einer
General-Image-Überholung sowohl seiner selbst als auch
seiner Firma für Unmengen von Dollar schnell zum
Paradebeispiel dafür geworden, wie sich US-Kapitalisten
die Entwicklung des russischen Kapitalismus wünschen.
Sein Foto zierte die Titelseiten der meisten westlichen
Wirtschaftsmagazine. Eine Sonderausgabe von Business
Week bildete ihn sogar neben der amerikanischen
Nationalen Sicherheitsberaterin Condoleeza Rice in
einem Artikel über die globalen Führer der Zukunft ab.
‚Vor allem Chodorkowski wurde als jemand angesehen, der
die Wende zum Besseren geschafft hatte‘, sagte Michael
McFaul, Experte an der Stanford Universität für
russische Politik und deren Beziehungen zu den
Vereinigten Staaten. ‚Er wurde als Pionier gesehen, der
Transparenz und westliche Werte propagierte.‘ Als er
vor dem ersten amerikanisch-russischen Energiegipfel
einen Pilot-Tanker mit russischem Rohöl nach Texas
schickte, mag das im Kreml einige Bestürzung verursacht
haben, aber in der westlichen Presse bescherte ihm das
Beifall und eine Unmenge an Kommentaren. Seine
Geschichte als Heilsbringer war so überzeugend, dass
der Geschäftsführer der United Financial Group, Charles
Ryan, sowie andere Investment-Banker die ‚Yukosierung‘
der Nation forderten. Chodorkowski wurde so populär,
und anscheinend unbesiegbar, dass er begann nach
politischer Macht zu trachten und darauf drängte, eine
parlamentarische Republik zu schaffen. In kürzester
Zeit hatte sich Chodorkowski vom Räuberbaron in einen
echten verwandelt mit Zugang zu den mächtigsten und
einflussreichsten Personen in Washington, incl. zu Mrs.
Bush, Bush’s Vater und dem Vizepräsidenten.
(a.a.O.)
[18] Diese Politik
war sicher von entscheidender Bedeutung für die
US-Kampagne, Russland zu einem alternativen
Rohöl-Lieferanten zu formen, einem, der frei von den
Auflagen war, die die anderen großen Anbieter in der
zunehmend instabilen arabischen Welt zur Preiskontrolle
verhängten. Das war jedoch eine direkte Bedrohung für
einen der wenigen verbleibenden Kontrollhebel über die
Ölmilliardäre der Nation und wurde als direkte
Bedrohung der staatlichen Souveränität angesehen. ‚Der
Bau von Pipelines in Privatbesitz war sicher ein
wichtiges Thema für die USA‘, sagte Julia Nanay,
leitende Analystin für Energiefragen bei der Petroleum
Finance Corporation in Washington. ‚Für die USA ist es
wichtig, Sicherheit bezüglich des Pipeline-Zugangs zu
haben ... Ohne private Pipelines hat die russische
Regierung die Freiheit zu entscheiden, wieviel Öl in
den Markt kommt‘, sagte sie. ‚Staatseigentum am Netz
gibt der Regierung OPEC-ähnliche Kontrolle über die
Exporte.‘
(a.a.O.)
[19] 2004
verurteilte ein russisches Gericht Yukos wegen
Steuerbetrugs zur Zahlung von 2,85 Milliarden Euro. Im
Laufe der Jahre kamen fast 20 Milliarden Euro zusammen,
die Yukos an Steuern und Zinsen sowie Strafgeldern
zahlen musste. Das 1993 nach dem Zusammenbruch der
Sowjetunion gegründete Unternehmen ging an den
Forderungen der Steuerbehörden zugrunde und wurde 2006
für zahlungsunfähig erklärt. Im November 2007 wurde
Yukos liquidiert und aus dem Handelsregister
gestrichen.
(Spiegel online,
4.3.10)
[20] Das britische Parlament, stellvertretend für die westliche Welt:
Die politisch motivierte Zerschlagung von Yukos und
die Inhaftierung seiner Führungskräfte und der
letztendlich wirtschaftlich Begünstigten war ein
Wendepunkt, sowohl was die Verpflichtung der Russischen
Föderation in Bezug auf die internationale
Energiesicherheit angeht als auch in Bezug auf die
heimischen gesetzlichen Menschen- und Eigentumsrechte.
Es ist mittlerweile klar, dass die Russische Föderation
seit dem Beginn der Yukos-Affäre zugelassen hat, dass
ihr Strafjustizsystem durch Korruption und politische
Einflüsse infiziert wurde. Ihre Gerichte ließen sich
durch äußeren Druck insofern beeinflussen, als sie die
Verfolgung politischer Staatsfeinde durch Richter
ermöglichten.
(www.publications.parliament.uk)
[21] Kläger sind
die Halter der Aktienmehrheit an der früheren
Yukos-Ölgesellschaft – Hulley Enterprises Ltd.
(Zypern), Yukos Universal Ltd. (Großbritannien – Isle
of Man) sowie die Veteran Petroleum Ltd. (Zypern), ein
Pensionsfonds, der zugunsten der früheren
Yukos-Angestellten gegründet wurde. 2004, als zunehmend
klar wurde, dass die russischen Behörden die
Yukos-Ölgesellschaft zerschlagen und ihr Vermögen
enteignen wollten und die russischen Gerichte unfähig
waren, die Lage unabhängig, frei von politischer
Einmischung zu bewerten, verpflichtete sich der
Vorstand von Yukos, die Interessen aller Opfer der
Yukos-Enteignungskampagne wahrzunehmen. Er sah es als
seine Pflicht an, die Interessen der Gesellschaft und
ihrer legitimen Anspruchshalter – Gläubiger, Aktionäre,
Angestellte – zu schützen und beschloss daher, Schritte
zu unternehmen, mit denen gesichert werden sollte, dass
die Vermögenswerte der Gesellschaft, die sich außerhalb
Russlands befanden, unter den wirksamen Schutz
unabhängiger (d.h. nicht-russischer) Gerichte gestellt
wurden... Daraufhin wurden die Yukos-Stiftungen im März
bzw. September 2005 gegründet, einstimmig vom Vorstand
der Yukos-Ölgesellschaft und mehrheitlich von den
Aktionären unterstützt. Die Zwecke der Stiftungen, wie
sie in den Artikeln der Gesellschaft festgelegt sind,
lauten: Erstens, eine Möglichkeit bereitzustellen, mit
deren Hilfe die Interessen der Gläubiger der
Yukos-Ölgesellschaft vor nationalen und internationalen
Gerichten vertreten werden können, und zwar Interessen,
die ein endgültiges oder rechtskräftiges Urteil eines
holländischen Gerichts erlangt haben oder ein
endgültiges oder rechtskräftiges Urteil, das für
vollstreckbar durch ein holländisches Gericht erklärt
wurde gegen die Yukos-Ölgesellschaft (‚die Gläubiger‘)
und die Aktionäre der Yukos-Ölgesellschaft. Im April
2005 gründete der Vorstand von Yukos eine Stichting
(eine holländische Schutzstiftung), die sogenannte
Stichting Administratiekantoor Yukos International.
Yukos Finance übertrug seinen Aktienbesitz an
verschiedenen nicht-russischen Gesellschaften an Yukos
International. Yukos Finance übertrug dann gegen die
Ausstellung einer Einlagebestätigung seine Anteile an
Yukos International an die Stichting
Administratiekantoor Yukos International.
(www.theyukoslibrary.com)
[22] Ob die nach Zypern ausgewanderte Pensionskasse des Unternehmens jemals irgendeinem Yukos-Rentner irgendeine Summe hat zukommen lassen, ist nicht bekannt geworden.
[23] Innerhalb
dieser Konstruktion war Yukos in der Lage, die Gewinne
der Handelsfirmen und Offshore-Holdings in seinen
Bilanzen zusammenzuführen, und erhielt sich zugleich
die Freiheit, diese Profite vor den Ansprüchen der
Minderheit der Anteilseigner zu bewahren, je nach den
Interessen der Mehrheit der Anteilseigner oder der
Firmenleitung.
(PCA Case No.
AA 226, in the matter of an arbitration before a
tribunal constituted in accordance with uncitral
arbitration rules - between Hulley Enterprises Limited
(Cyprus) - and - The Russian Federation. Final award,
18 July 2014, Seite 558)
[24] Financial Times Deutschland, 20.09.2011
[25] Quasar de Valores SICAV SA. V the Russian Federation: Award 20 July 2012, Tribunal comprising Charles N Brower, Toby T Landau and Jan Paulsson, independent-views-YUKOS-yukoslibrary.pdf
[26] DW.de, 28.7.14