§ 5
Ideeller Gesamtkapitalist – Sozialstaat
Da der Staat seine Bürger durch die Unterwerfung unter das Gesetz zwingt, sich als Privateigentümer zu erhalten, ergreift er zusätzliche Maßnahmen, die garantieren, dass sich die Individuen trotz der Gegensätze der Konkurrenz entsprechend ihren Mitteln reproduzieren. Die negativen Wirkungen der durch das Recht formell gesicherten Konkurrenz auf die Reproduktion der Bürger sind für den Staat Anlass zu kompensatorischer Tätigkeit, die der Aufrechterhaltung der Eigentumsordnung dient. Diese Tätigkeit anerkennt die gesellschaftlichen Unterschiede im Eigentum und nimmt entsprechend den eigentümlichen Voraussetzungen der Staatsbürger den Charakter des Nutzens und Schadens an. Indem die Sicherung des Eigentums die seiner Unterschiede ist, was Sonderrechte erforderlich macht, erhält der Staat die Klassengesellschaft. Der ideelle Gesamtkapitalist, der den Eigentümern der Produktionsmittel allgemeine Voraussetzungen ihrer Konkurrenz bereitstellt, sorgt als Sozialstaat auch für die Erhaltung der Klasse, die keine Mittel hat, damit sie als Mittel des Eigentums tauglich ist.
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§ 5
Ideeller Gesamtkapitalist – Sozialstaat
Da der Staat seine Bürger durch die Unterwerfung unter das Gesetz zwingt, sich als Privateigentümer zu erhalten, ergreift er zusätzliche Maßnahmen, die garantieren, dass sich die Individuen trotz der Gegensätze der Konkurrenz entsprechend ihren Mitteln reproduzieren. Die negativen Wirkungen der durch das Recht formell gesicherten Konkurrenz auf die Reproduktion der Bürger sind für den Staat Anlass zu kompensatorischer Tätigkeit, die der Aufrechterhaltung der Eigentumsordnung dient. Diese Tätigkeit anerkennt die gesellschaftlichen Unterschiede im Eigentum und nimmt entsprechend den eigentümlichen Voraussetzungen der Staatsbürger den Charakter des Nutzens und Schadens an. Indem die Sicherung des Eigentums die seiner Unterschiede ist, was Sonderrechte erforderlich macht, erhält der Staat die Klassengesellschaft. Der ideelle Gesamtkapitalist, der den Eigentümern der Produktionsmittel allgemeine Voraussetzungen ihrer Konkurrenz bereitstellt, sorgt als Sozialstaat auch für die Erhaltung der Klasse, die keine Mittel hat, damit sie als Mittel des Eigentums tauglich ist.
a)
Die Sicherung des Privateigentums ist identisch mit dem den freien Individuen auferlegten Zwang, sich in der Beschränkung auf ihre Mittel, damit in der Abhängigkeit von den Mitteln der anderen, zu bewähren. Der gesellschaftliche Zusammenhang, den der Staat am Funktionieren erhält, beruht auf der Notwendigkeit jedes einzelnen, sein Eigentum als Mittel für seine Reproduktion einzusetzen, indem er den Nutzen, den andere aus ihm ziehen können, für sich verwendet. Je nach der Natur dessen, worüber er ausschließlich verfügt, ist er imstande, sich einen Anteil am gesellschaftlichen Reichtum zu verschaffen. Der Staat sorgt dafür, dass jeder mit seinem Privateigentum an der Vermehrung des Reichtums teilnimmt und nur entsprechend dieser Teilnahme sein Auskommen hat. Er ermöglicht den quantitativen Vergleich von qualitativ unterschiedenen Formen des Reichtums durch die Garantie eines objektiven Maßes: er ist verantwortlich für die Geltung und Bereitstellung des Geldes, des Mittels für den gesellschaftlichen Austausch, und bindet damit jede Tätigkeit seiner Bürger an die Verfügung über Geld. Keine Leistung und kein Gut, die nicht mit Geld und nur mit Geld zu erhalten sind. (Dies ist nicht die Erklärung des Geldes und daher auch kein „Verstoß gegen die Werttheorie“; die Betrachtung des Geldes vom Standpunkt des Staates ist aber kenntlich als Grund für bürgerliche Geldtheorien und die Deduktion des Werts bei HEGEL. Vgl. Rechtsphilosophie § 63) Die Staatsbürger unterscheiden sich sowohl nach der Größe ihres Einkommens wie nach der Leistung, die sie als Privateigentümer für ihr Einkommen bringen. Da für die Schaffung und Verteilung des Reichtums bereits vorhandener Reichtum, welcher die Form des Privateigentums besitzt, ebenso notwendig ist wie die produktive Tätigkeit von Menschen, die die Freiheit der Person genießen, gelten in der bürgerlichen Gesellschaft so disparate Dinge wie die produktive Nutzung von Kapital/Boden und die Verrichtung von Lohnarbeit als gleichberechtigte, objektiv anerkannte Weisen, sich ein Einkommen zu verschaffen. Die kompensatorische Tätigkeit des Staates wird dem Eigentümer von Produktionsmitteln ebenso gerecht wie denen, die keine haben. Die einen unterstützt er bei der Beseitigung von Schranken, welche die Gesellschaft der Nutzung ihres Eigentums entgegenstellt; die anderen weiß er zum rechten Gebrauch ihrer persönlichen Freiheit bezüglich des Eigentums an ihrer Arbeitskraft anzuhalten. Auch sie erzielen ein Einkommen, wenn sie ihre Dienste anderen überlassen und sich den Genuss ihrer Freiheit dadurch sichern, dass sie sie aufgeben. So erhält jedermann das, was sein Eigentum leistet – und neben der „Tauschgesellschaft“ erfreut sich besonders die „Leistungsgesellschaft“ so hoher Wertschätzung, weil viele nur sich selbst und ihre Konsumtionsmittel ihr eigen nennen.
b) Die Leistungen des Staates für die Eigentümer von Produktivvermögen
1. Da die Nutzung von produktivem Eigentum auf dem Handel zwischen den Besitzern der verschiedenen Produktionselemente beruht und Geschäfte zwischen Produzenten und Konsumenten einschließt, ist die Gesellschaft auf das Vorhandensein materieller Bedingungen der Zirkulation angewiesen. Der Staat sorgt für ein funktionierendes Verkehrs- und Nachrichtenwesen, welches als allgemeine Voraussetzung für die Mehrung privaten Eigentums dasselbe beschränkt. Da diese Einrichtungen allen Privateigentümern als Kosten erscheinen, jedem nur als Mittel für seinen individuellen Reichtum ein Anliegen sind, nimmt ihre Organisation die Form an, welche den Aufwand zu minimieren gestattet. Der Staat, der das Prinzip des privaten Gewinns schätzt, kompensiert entweder die mangelnde Rentabilität von derlei Unternehmungen – wegen der Größe des vorzuschießenden Kapitals sind es Aktiengesellschaften – oder betreibt den Bau und Betrieb von Verkehrswegen etc. unmittelbar in eigener Regie. Er unterstützt das produktive Eigentum, wenn er über den Preis für die Dienste oder über sein Defizit die Kosten dieser Unternehmung auf die gesamte Gesellschaft gleichmäßig verteilt.
2. Auf Grundlage eines nicht nur formell (rechtlich), sondern auch materiell gesicherten freien Warenverkehrs hängt die Erzielung von Einkommen durch das Privateigentum an Produktionsmitteln davon ab, dass die Unternehmer, konfrontiert mit einem beschränkten zahlungsfähigen Bedürfnis (Konkurrenz) ihre Produkte mit möglichst geringen Kosten herzustellen in der Lage sind. Die Größe des Gewinns bemisst sich an der Quantität der verkauften Ware, somit am Marktanteil, den sie mit ihren Produkten erobern, daher an der Billigkeit ihres Produkts. Die Senkung der Herstellungskosten pro Stück ist ihr Anliegen bei der Gestaltung der Produktion –die Erzielung des Gewinns ist bedingt durch den technischen Fortschritt im Einsatz von Arbeit und Material. Die Rentabilität des Privateigentums beruht auf der Anwendung naturwissenschaftlicher Kenntnisse, auf Wissen, dessen Erarbeitung nicht im unmittelbaren Interesse des Unternehmers liegt, obgleich er seiner bedarf. Die Kenntnis von Naturgesetzen betrifft seine Reproduktion nur insofern, als sie ihm in Form besonderer Produktionsverfahren bzw. -instrumente seine Produktionskosten vermindern helfen. Die Organisation naturwissenschaftlicher Forschung ist ein kostspieliges Geschäft ohne die geringste Garantie dafür, dass ihre Ergebnisse auch brauchbar sind für den Zweck der Unternehmung. Und weil es niemandem auf Wissen über die Natur ankommt, jedem aber auf die private Verwendung dieses Wissens, das seiner Privatisierung widerspricht, ist die Erkenntnis von Naturgesetzen auch kein Geschäft.
Die gesellschaftliche Notwendigkeit naturwissenschaftlicher Forschung, die nur als Bedürfnis nach ihrer privaten Nutzung auftritt, zwingt den Staat zur Institutionalisierung der Naturwissenschaft getrennt vom materiellen Produktionsprozess. Mit der Freiheit der Wissenschaft, der Ablösung der Naturerkenntnis von allen besonderen Interessen, sichert der Staat ihre Objektivität und schrankenlose Entfaltung, damit ihre Nützlichkeit für eine auf Naturbeherrschung angewiesene Produktionsweise.
Da die Institutionalisierung der Naturerkenntnis ihren Zweck und Grund in der Unterordnung gesellschaftlichen Wissens unter die Interessen des Privateigentums hat, ist der Staat auch bemüht, die praktische Anwendung der Naturgesetze erforschen zu lassen: Wissenschaft der Technologie. So schafft er die Möglichkeit der privaten Nutzung der Naturwissenschaft, deren tatsächliches Stattfinden allerdings den Kriterien der Rentabilität unterliegt (MEW 23/414, MEW 25/272). Anstrengungen und Kosten, die von seiten der Privatpersonen zur Entwicklung besonderer Produktionsverfahren unternommen werden, honoriert er: Auftragsforschung und Recht auf zeitweilig ausschließlichen Gebrauch. Das Patent, ,geistiges Eigentum“, bringt den Widerspruch privater Verfügung über gesellschaftliches Wissen ebenso zum Ausdruck wie Industriespionage.
Der Staatsbürger, der die Naturwissenschaft als unverzichtbares Mittel des Fortschritts schätzt und vom Nutzen ihrer Entdeckungen in Schule und Öffentlichkeit beständig unterrichtet wird, erfährt neben den vielen praktischen Einrichtungen, die ihm zur Gewohnheit geworden sind und von der Leistungsfähigkeit von Wissenschaft und Technik zeugen, auch die Nutzlosigkeit und die Gefahren bei der Lösung der Probleme, die die bürgerliche Gesellschaft schafft. Weil die Naturwissenschaft Mittel für die ökonomischen Zwecke der Gesellschaft ist, werden ihr die positiven und negativen Wirkungen, die durch ihre Anwendung zustande kommen, gleich mit angerechnet. Weil sie dieses Mittel durch die Formulierung von Gesetzen ist, die Auskunft darüber geben, was mit natürlichen Gegenständen gemacht werden kann, wird ihr als der Voraussetzung für so manche Wirkung neben dem Lob auch Kritik zuteil, die nicht selten von Naturwissenschaftlern selbst vorgebracht wird. Schließlich ist es ihre Profession, mit ihrem Wissen der Gesellschaft und dem Gemeinwesen zu dienen, sich nützlich zu machen, so dass so manche „Wirkung“ ihrer Anstrengungen in ihnen den Staatsbürger mobilisiert,
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der sich, mit der Autorität des Wissenschaftlers gewappnet, zu politischen Fragen äußert und die Staatsmänner dafür tadelt,dass sie sich des Stands der Wissenschaft und Technik nicht ordentlich bedienen: Technokraten, die Vorschläge zur effizienteren Steuerung der Gesellschaft machen;
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der die negativen Wirkungen der kapitalistischen Anwendung der Technik auf die zwiespältige Natur zurückführt und die Zerstörung von Natur und Mensch zur unabwendbaren Begleiterscheinung des Fortschritts erklärt, also die Alternative konstruiert, so weiterzumachen und durch den Fortschritt die Wunden zu heilen, die er schlägt, oder auf alle möglichen Annehmlichkeiten zu verzichten und die nationale Wirtschaft, vor allem aber jeder sich selbst einzuschränken: Fortschrittspropaganda
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Konzepte für energiesparendes Leben, wobei je nach Konjunktur die eine oder andere Ideologie öffentlich ausgeschlachtet wird (vgl. Atomkraft-Debatte, in der Kritik am Kapital kaum hörbar!);
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der die negativen Wirkungen auf einen Mangel der Wissenschaft zurückführt und dieselbe philosophisch-erkenntnistheoretisch in Frage stellt;
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der sich als Philosoph an der moralischen Aufrüstung beteiligt, Humanität und Frieden predigt und sagt, der Mensch wäre ein Stäubchen.
All diesen Varianten falscher Kritik an Staat, Gesellschaft und Wissenschaft liegt das Interesse an der besseren Nutzung der Naturerkenntnis durch die bürgerliche Praxis zugrunde – ein Interesse, dem die Unterwerfung der Wissenschaft unter das Prinzip des Privateigentums als das Selbstverständlichste gilt.
3. Die Anwendung des naturwissenschaftlichen und technologischen Fortschritts in der Industrie bedarf seiner praktischen Beherrschung durch Lohnarbeiter, die der Eigner von Produktivvermögen beschäftigt. Der Staat ergänzt die Institutionen der Forschung um die der Lehre und richtet Ausbildungsgänge für die in den besonderen Berufen erforderlichen Fähigkeiten ein. Da die Brauchbarkeit der vom Staat ermöglichten Qualifikation ihr Kriterium in den technischen Erfordernissen hat, die die Nutzung des Eigentums gebietet, garantiert das Ausbildungswesen weder den Ausgebildeten ihren Einsatz noch dem Kapital ihre produktive Verwendung. Daher liegt die Durchführung der Ausbildung – von der Allgemeinbildung in der Volksschule über die Vermittlung von weiterreichenden Kenntnissen in den weiterführenden Schulen bis zur TH – auch nicht im unmittelbaren Interesse der Besitzer von Produktionsmitteln, so sehr sie ihre Resultate als Voraussetzung ihrer Gewinnmacherei schätzen. Ebenso wie zu Beginn der industriellen Produktion die Einübung in eine beschränkte Tätigkeit im Rahmen ihres Betriebs ist den Unternehmern heute die zusätzlich zur staatlichen Ausbildung notwendige praktische Ausbildung für Spezialtätigkeiten ein notwendiges Übel, das ihnen der Staat per Gesetz aufzwingen muss und dem sie durch Ausbeutung der Lehrlinge sowie durch Ausbildungsverträge, die den Auszubildenden über die Zeit seines Lernens hinaus an den Betrieb binden, ihren Vorteil abgewinnen. Den an den Leistungen des Ausbildungswesens interessierten Bürgern sind die notwendigen Diskrepanzen zwischen Zweck und Mittel Anlass zu ständigen Klagen über die schlechte Organisation des staatlichen Bildungswesens, die sich der Staat in seinen bildungsökonomischen Programmen auf seine Weise zu Herzen nimmt. Linke entdecken wegen ihres Ideals einer volksnützlichen Ausbildung in diesen Programmen einen vorzüglichen Beweis dafür, dass auch hier die Herrschaft der Monopole alles versaut.
4. Mit der Schaffung allgemeiner Voraussetzungen für die produktive Nutzung des Eigentums werden die Eigentümer nicht nur abhängig von dem Geschick und den Mitteln, durch die sie sich im Konkurrenzkampf bewähren – sie sind bei der Führung ihrer Geschäfte auch auf die Verfügung über gewisse unerlässliche Bedingungen der Produktion angewiesen, die sie auf dem Markt vorfinden müssen. Wo der Wettbewerb dazu führt, dass die entsprechenden Zweige nicht rentabel betrieben werden können, sichert der Staat ihren Fortgang durch die Sozialisierung der Lasten, die das Eigentum nicht trägt. Er übernimmt (teilweise) die Kosten, die den Gewinn verhindern; im Interesse eines funktionierenden Eigentums ist es ihm eine „soziale Verpflichtung“, in den Gang seiner Geschäfte einzugreifen: er subventioniert die Grundstoffindustrie, die Energieproduktion und die Landwirtschaft. Im äußersten Falle schreitet er zur Verstaatlichung, die freilich mit einem Angriff aufs Privateigentum nichts zu schaffen hat.
Da die Industrie aus Kostengründen auf die Zerstörung der natürlichen Ressourcen keine Rücksicht nimmt, Naturwissenschaft und Technologie nur für die Befreiung der Produktion von natürlichen Schranken des profitablen Einsatzes des jeweiligen Eigentums benutzt und im Fortschritt dieser Wissenschaften das Mittel besitzt, die Natur und das Menschenmaterial progressiv zu zerstören, zwingt der Staat die Unternehmer mit gebührender Verspätung zur Einhaltung von Umweltschutzvorschriften. Diese berücksichtigen die betriebliche Kalkulation, wimmeln deshalb von Ausnahmen und werden nur sporadisch durchgesetzt. Um die Verursacher der Schäden nicht zu schädigen, erhält der Staat durch seine eigenen Umweltschutzbemühungen mit gesellschaftlichen Mitteln dem Kapital eine brauchbare Natur und seinen Bürgern grüne Träume. Diese werfen dem Staat Versagen vor, wo er die rücksichtslose Ausbeutung der Natur plant und das Profitinteresse schützt und deswegen nicht nur bei der Atomenergie kalkulierte und nicht kalkulierte ,Risiken‘ und Katastrophen in Kauf nimmt.
Das Staatsbürgerbewusstsein entdeckt in diesen Aktionen je nach der gesellschaftlichen Stellung entweder einen Verstoß gegenüber den Prinzipien der freien Marktwirtschaft, einen ungerechten Schutz ökonomisch unfähiger Gruppen oder eine notwendige Verpflichtung, die sich der Staat durch seine Außenhandelspolitik und ihre zerstörerische Wirkung auf diese Gruppen auferlegt. Linke Menschen führen diese dem Schutz des Privateigentums gewidmeten Maßnahmen als Beweis dafür an, dass die kapitalistische Produktionsweise an ihren eigenen Agenten die Einsicht in die Überholtheit des Privateigentums erzeugt hat und verlangen vom Staat mehr Konsequenz im Vorgehen „gegen“ dasselbe. In ihren Illusionen lassen sie sich noch durch die Klagen der Betroffenen bestärken, die dem Staat sozialistische Umtriebe vorwerfen.
5. Die wechselseitige Beschränkung, die sich Privateigentümer auferlegen, welche von der Vermehrung ihres Eigentums leben und in dieser Weise der Reproduktion nicht nur vom Staat anerkannt, sondern auch mit materiellen Voraussetzungen bedacht werden, regelt der Staat durch Sondergesetze, die die Respektierung des Eigentums anderer auch unter den besonderen Verhältnissen garantieren, die sich aus den Verkehrsformen des Gewerbes ergeben. Er erweitert die allgemeinen Bestimmungen zum Eigentum durch Gesetze, die es bei den Transaktionen, welche für die Vermehrung von Eigentum durch Handel und Produktion notwendig sind, schützen. Welche dieser Sonderrechte einerseits im Zivilrecht getrennt, andererseits für sich als selbständiger Teil der Gesetzgebung erscheinen, ist für ihre Erklärung belanglos. Nationale Unterschiede!
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Der Kauf und Verkauf von Waren wird geregelt in Gesetzen, die festlegen, wer zum Handelsstand gehört und die ihm eigentümlichen Rechtsgeschäfte durchführen kann: mit dem Zweck des Eigentumswechsels kollidierende Umstände seiner praktischen Abwicklung (Kommissions-, Speditions-, Lager-, Frachtgeschäfte) sind als wechselseitige Verpflichtungen und Leistungen fixiert.
Da die Unabhängigkeit von lokalen und zeitlichen Schranken des Handels mit einem ständigen Kampf um die Verteilung der dafür zu erbringenden Kosten einhergeht, beschränkt der Staat die verschiedenen Parteien so, dass die notwendigen Kosten Mittel für den Gewinn bleiben. Dasselbe gilt für den kaufmännischen Kredit, durch den sich die Privateigentümer in der Fortführung ihres Geschäfts unabhängig von der jeweiligen Verfügung über Bargeld machen; staatlicher Zwang zur Erfüllung von Zahlungsversprechen: Handelsgesetzgebung.
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Da die Vermehrung des Vermögens abhängig ist von der zeitweiligen Verfügung über die von den Banken verwalteten Vermögen anderer Eigentümer (Bankkredit), erwächst dem Staat die Aufgabe, die Gegensätze zwischen industriellem und Bankkapital so zu ordnen, dass die Gewinne der verselbständigten Geld-/Kreditinstitute sich als Mittel für die produktive Nutzung des Kapitals bewähren. Er schreibt den Banken vor, innerhalb welcher Grenzen sie ihren Nutzen auf Kosten der Unternehmungen verfolgen können (Mindestreservesatz etc.), und verpflichtet die Unternehmen durch Bilanzierungsvorschriften auf den Nachweis ihrer Kreditfähigkeit: Bankgesetzgebung.
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Das Angewiesensein der Industrie auf das Eigentum an Grund und Boden, ihre Beschränkung durch andere Formen der Nutzung ruft auch den Staat auf den Plan: mit dem Argument, bei Grund und Boden handele es sich um ein nicht beliebig vermehrbares Gut, lässt er hier keinen freien Markt zu und reglementiert die Verteilung von Boden auf die verschiedenen Weisen seiner Nutzung. Der Kommunismusverdacht anlässlich der Bodenrechtsreformvorschläge ist auch hier unbegründet, da die Übergriffe auf das Grundeigentum um des Privateigentums willen geschehen, an diesem also ihre Grenze haben: Raumordnung etc.
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Den Gefahren, die der produktiven Nutzung des Eigentums durch die Anstrengungen der Arbeiter (Koalitionen) drohen – sie kämpfen um höhere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen, was den Gewinn des Eigentümers verringert und die freie Verfügung über das Privateigentum infragestellt –, begegnet der Staat mit Gesetzen, welche das Recht des Arbeiters auf seine persönliche Freiheit am Recht des Eigentums enden lassen. dass die Gleichberechtigung von Arbeit und Kapital die Ansprüche der Arbeiter auf ein Maß begrenzt, das ihren Nutzen fürs Kapital sichert, heißt nicht, dass den Eigentümern von Produktionsmitteln an ihr etwas liegt; sie schließen sich zusammen und widersetzen sich den Regelungen des Lohnarbeitsverhältnisses, die ihnen Pflichten auferlegen und sich als Verluste niederschlagen – was Arbeiterfreunden als Beweis dafür dient, dass der Kommunismus im Kampf um Rechte der Arbeiter besteht: Arbeitsrecht.
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Mit Gesetzen gegen Wettbewerbsbeschränkung reagiert der Staat auf das Mittel des Zusammenschlusses, durch das sich Unternehmer Vorteile im Konkurrenzkampf sichern. Dieses Mittel wenden sie an, weil sie einerseits auf dem Markt (Preismechanismus) ihren Gewinn gefährdet sehen (Preisabsprachen), andererseits dem Zwang zur Billigkeit ihrer Produkte nur durch die Vergrößerung ihrer Anlagevermögen gehorchen können: die Größe des angewandten Kapitals ist entscheidend für die Konkurrenzfähigkeit; das Kartellgesetz richtet sich gegen die Wirkung von Absprachen und Zusammenschlüssen auf die freie Konkurrenz (andere werden an der Nutzung ihres Eigentums gehindert), anerkennt aber auch die Notwendigkeit durch die zulässigen Ausnahmen. Im Aktiengesetz schließlich gewährleistet der Staat das Funktionieren verschiedener Eigentümer als ein Unternehmen, indem er sowohl die freie Verfügung über das Privateigentum sichert, das in einer Kapitalgesellschaft angelegt ist, als auch die Geschäfte der Gesellschaft vor der Willkür ihrer Teilhaber schützt: freier Handel mit Aktien, Haftungsbestimmungen usw.
6. Das Verhältnis des Staates zur herrschenden Klasse beruht darauf, dass er getrennt von ihr die Notwendigkeiten ihrer Konkurrenz berücksichtigt, welche wegen des Konkurrenzinteresses der einzelnen Kapitalisten von ihnen selbst missachtet bzw. nicht geschaffen werden. Indem der Staat die Bedingungen ihres Geschäfts verwaltet, die für die Kapitalisten kein Geschäft sind, macht er sich als politische Instanz zum Durchsetzer des Klasseninteresses. Als ideeller Gesamtkapitalist ist er Mittel der herrschenden Klasse, was einschließt, dass seine Einrichtungen und Gesetze durchaus in Widerspruch zum Geschäftsvorteil einzelner Kapitalisten geraten. Nur Wohltaten, Geschenke und Hilfsmaßnahmen erwarten die Ritter des Privateigentums von seiten der öffentlichen Gewalt, und die kleinen Einschränkungen ihrer Akkumulation, die ihr Funktionieren sichern, bemüht der demokratische Staatsmann zum Beweis dafür, dass er nie und nimmer Agent eines Klassenstaates ist. Diese Ideologie liefert die Begleitmusik zum ständigen Antichambrieren von Geschäftsleuten bei kleinen und großen Amtsträgern, zum unentwegten Streit finanzgewaltiger Bürger um besondere Rücksichten. Die dazugehörigen Korruptionsskandale fallen meist recht mäßig aus, weil das demokratische Publikum diese Geschäftsgrundlage der politischen Karriere anerkennt: die Berücksichtigung ,der Wirtschaft’ ist ja wohl das mindeste, was man von einem Staatsmann verlangen kann.
Die Schule der Superdemokraten ist da eine Ausnahme und außergewöhnlich listig auch ihre Theorie vom staatsmonopolistischen Kapitalismus. Den fertigen ideellen Gesamtkapitalisten von heute halten sie im Unterschied zum Staat von gestern für ein spätes Verfallsprodukt bürgerlicher Herrschaft. Das Gejammer über seine Hörigkeit gegenüber den Monopolen, die umgekehrt ungerechterweise die politischen Kommandohöhen erobert haben, weil sie ökonomisch aus dem letzten Loch pfeifen, bildet den Auftakt zum Programm der antimonopolistischen Demokratie – ein großartiges Konzept zum Ersatz des niedergehenden und funktionsgestörten Kapitalismus durch eine gesamtgesellschaftlich gesunde Herrschaftsform. Wie alle spätkapitalistischen Idiotien hat sich auch dieser Saubermannsgedanke pluralistisch breitdiskutiert, so dass seine Charakterisierung sicher als zu einfach zurückgewiesen wird.
Deshalb sei noch einmal wiederholt, dass die Verschiedenheit dieser theoretischen Ansätze der Gemeinsamkeit ihres Interesses entspricht. Und dieses Interesse gilt nicht der Ausbeutung und ihrer staatlichen Verwaltung, sondern ihrer mangelhaften Organisation. Ein Blick über die Mauer verrät, dass ein reeller Gesamtkapitalist zwar eine staatsmonopolistische Demokratie inszeniert, die Effizienz des ökonomischen Systems aber nur in einem zustande kommt: in der Feier der Lohnarbeiter und ihres neuen Arbeitgebers.
Die faschistische Alternative entdeckt in der Einflussnahme der Kapitalisten – und besonders ihrer ,unproduktiven’ Abteilung –ebenfalls den Ruin des Staates und den Niedergang des Volkes. Ihre Kritik an den Kapitalisten ist auch keine an der Ausbeutung, sondern am mangelnden Dienst, den die Praxis der herrschenden Klasse für die Stärke des Staates bedeutet. Entsprechend wohlwollend fiel der praktische Umgang mit den Bourgeois aus. Die staatlichen Bedingungen der Akkumulation wurden zur Verpflichtung auf eine bedingungslose Akkumulation im nationalen Interesse ausgestaltet, was sich die Geschäftsleute gern gefallen ließen, auch wenn gewisse staatliche Direktiven hinsichtlich des Gebrauchswerts dazugehörten.
c) Die Leistungen des Staates für seine lohnabhängigen Bürger
1. Die Bürger, die nicht aus der Verwendung ihres Eigentums ein Einkommen beziehen, sind auf einen für die bürgerliche Gesellschaft charakteristischen Gebrauch ihrer persönlichen Freiheit angewiesen; sie müssen nützliche Dienste für das Eigentum anderer verrichten, sei es unmittelbar in Produktion und Handel oder mittelbar in staatlichen Einrichtungen: Lohnarbeit. Ob sie damit ein Einkommen erzielen und wie groß dieses ist hängt davon ab, wieviel sie für ihren Arbeitgeber leisten (was nicht heißt, dass sie für ihre Leistung bezahlt werden). Sie konkurrieren als Anbieter ihrer Dienste um die vorhandenen Arbeitsplätze und die mit ihnen verbundenen Einkommen; sie vergleichen die Berufe an den Einschränkungen, die das Arbeitsverhältnis selbst und die Größe des Einkommens beinhalten, versuchen also in der Hierarchie der Arbeiten, die dem doppelten Maß von Anstrengung und Verdienst entspringt, einen möglichst hohen Rang einzunehmen. Da die Konkurrenz der Lohnarbeiter deren Eignung, entsprechende Kenntnisse und Fertigkeiten für die Berufe voraussetzt, die Erlernung solcher Kenntnisse jedoch keinen ökonomischen Nutzen bringt, organisiert der Staat das Ausbildungswesen neben der Konkurrenz und gestattet damit den Individuen vor dem Eintritt ins Erwerbsleben ihre Qualifizierung für dasselbe: Das Recht auf Ausbildung, in dessen Genuß Kinder und Jugendliche gelangen, ist für den Staat eine Veranstaltung, durch die er seine werdenden Bürger darauf verpflichtet, sich die allgemeinen, für alle Berufe gleichermaßen erforderten Kenntnisse anzueignen (allgemeine Schulpflicht) und anschließend ihre Fähigkeiten für einen besonderen Beruf auszubilden, sich zu spezialisieren.
Da es in den Institutionen der Ausbildung um die Zurichtung der Jugend für nützliche Funktionen in Wirtschaft und Staat geht –ihre spezielle Anwendbarkeit ist Bedingung ihres Einkommens –, besteht der Zweck der Ausbildung nicht in der Bildung der Individualität, sondern in ihrer Beschränkung. Der Staat sorgt für Gerechtigkeit bei der Verteilung der Individuen auf die Hierarchie der Berufe, indem er den Zugang zu den verschiedenen Tätigkeiten von den Leistungen abhängig macht, die im Ausbildungsprozeß erbracht werden. Er regelt die Konkurrenz der Auszubildenden durch den institutionalisierten Leistungsvergleich. Prüfungen, beständige Bewertungen des in gewissen Zeiträumen beherrschten Wissens, entscheiden darüber, ob einer frühzeitig den Weg in die unteren Ränge des Berufslebens antreten muss oder an weiterführenden Ausbildungsgängen teilnehmen kann, die einen angenehmen Beruf und gute Bezahlung versprechen. So garantiert auch dieses Feld staatlichen Wirkens dadurch, dass es alle gleichen Bedingungen unterwirft (Chancengleichheit!), die Erhaltung der Unterschiede, welche die Betroffenen aufgrund der ökonomischen Verhältnisse ihrer Familie mitbringen.
Entsprechend seinem Zweck gliedert sich das Ausbildungswesen:
- Die für alle verbindliche Stufe der Elementar-und Allgemeinbildung, auf der die Schüler die für niedere Tätigkeiten notwendigen Kenntnisse vermittelt bekommen und dabei dem Ausleseprozeß für weiterführende Schulen unterzogen werden. Die für die Berufsausübung erforderlichen elementaren Fähigkeiten im Rechnen, Schreiben und Lesen sowie Naturkunde werden ergänzt durch die Vermittlung der Gesinnung, die man benötigt, will man sein lebenslanges Dasein als lohnabhängiger Staatsbürger ertragen.
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An diese Stufe schließt sich entsprechend der unter Beweis gestellten Leistung entweder die fachliche Ausbildung für eine Tätigkeit in der Produktion an, über deren Durchführung der Staat beständig in Konflikt mit den Unternehmen gerät, unter deren Kontrolle die praktische Unterweisung zwangsweise stattfindet: sie widersetzen sich einer allzu gründlichen und vielseitigen Lehre ebenso wie einer extensiven theoretischen Ausbildung, da es ihnen auf die möglichst schnelle Anwendung der Lehrlinge ankommt. Das unumgängliche Minimum an Fachkunde und staatsbürgerlicher Erziehung organisiert der Staat in seinen Berufsschulen. Das Recht auf die notwendige Ausbildung ergänzt er um die Verpflichtung all derer, denen es um ihr berufliches Fortkommen zu tun ist, auf die Übernahme der damit verbundenen Lasten (Familie).
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Oder weiterführende Schulen, deren Absolventen in den Genuss gelangen, mit zusätzlichen Ergebnissen der Wissenschaft vertraut gemacht zu werden, was einerseits Bedingung für eine Reihe höherer Berufe, andererseits Voraussetzung für eine wissenschaftliche Ausbildung an Hochschulen ist. Auch in diesen Anstalten steht der gelernte Stoff nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit einem bestimmten Beruf, sondern fungiert als Material der Ausleseentscheidung und als Voraussetzung für die anschließende Spezialisierung.
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An den Hochschulen erfolgt die Ausbildung für Berufe, die spezielle wissenschaftliche Kenntnisse und ihre Anwendung verlangen: an den naturwissenschaftlichen Fakultäten geht es um die Aneignung von Kenntnissen und Fertigkeiten, die für die Naturbeherrschung benötigt werden, an den geistes- und gesellschaftswissenschaftlichen Fachbereichen um solche, die den zweckmäßigen Umgang mit den praktischen Problemen, dem Funktionieren der bürgerlichen Gesellschaft und ihres Staates gewährleisten. Dafür taugt natürlich nicht objektives Wissen, sondern die instrumentelle Betrachtungsweise, die gemäß den Problemen bürgerlicher Herrschaftstechnik einzelwissenschaftliche Stand-punkte ausgearbeitet hat. Ideologievermittlung ist also einziger Inhalt und Zweck universitärer Ausbildung in den Geisteswissenschaften. Zugleich sorgt die universitäre Ausbildung für die Befähigung, Wissenschaft selbst als Beruf zu betreiben.
Da der Staat seine Bürger darauf festlegt, sich durch die Spezialisierung auf einen bestimmten Beruf, durch die Nützlichkeit innerhalb eines festen Systems gesellschaftlicher Arbeit zu reproduzieren, und diese Festlegung durch die Konkurrenz innerhalb des Ausbildungswesens organisiert – der Ausleseprozess ist ein negativer: geringe Leistung schließt von weiterer Bildung aus –, zwingt er alle zum Erwerb von und Interesse an Wissen in dem Maße, wie es für das Bestehen der Ausbildung und für die Ausübung ihres Berufs erforderlich ist, und alles drüber Hinausgehende wird vom Standpunkt der Ausbildung wie der Auszubildenden überflüssig. So ist die bürgerliche Gesellschaft auf das Vorhandensein von Wissen angewiesen und an Wissen zugleich desinteressiert, weil es nur auf seine Nützlichkeit für die arbeitsteiligen Funktionen der Privatsubjekte ankommt. Daher schließt das Recht auf Ausbildung, das der Staat seinen werdenden Bürgern angedeihen lässt, seine Verpflichtung auf die Organisation von Wissenschaft getrennt von der Ausbildung ein – was sich bereits aus der Sicherung der produktiven Nutzung von Eigentum ergab.
Die Freiheit der Wissenschaft, ihr Schutz durch den Staat vor partikularen Interessen, die sich ihrer bemächtigen wollen, bedeutet also das Gegenteil von dem, was manche in ihr sehen möchten: einen Entzug wissenschaftlichen Tuns aus dem Bereich gesellschaftlicher Zweckbestimmungen. Sie stellt die der auf Konkurrenz beruhenden bürgerlichen Gesellschaft adäquate Organisationsform nützlicher Wissenschaft dar und garantiert die Erarbeitung des notwendigen Wissens wie seine Unterwerfung unter die Praxis.
Durch ihre Trennung von der Sphäre der materiellen Produktion ist die Wissenschaft dieser unterworfen.
Innerhalb des theoretischen Treibens macht sich dies als Neben-einander richtiger Naturwissenschaft und falscher Geistes-und Gesellschaftswissenschaft geltend. Die Naturwissenschaften genügen durch die Aufdeckung der Naturgesetze und ihrer möglichen Anwendung den Erfordernissen der kapitalistischen Produktionsweise, die Selbständigkeit gegenüber den partikularen Interessen gewährleistet die Entstehung von objektivem Wissen, das zur Beherrschung der Natur taugt. Die Geisteswissenschaften entsprechen durch ihren parteilichen Pluralismus dem staatlichen Umgang mit Bedürfnissen, Willen und Interessen der bürgerlichen Subjekte. Sie sind also durchaus kritisch, wenn sie den partikularen Interessen Beachtung schenken und falsches Wissen her-vorbringen, welches für die Unterwerfung der Privatsubjekte unter die – selbstgemachten und unbegriffenen – Gesetze des Kapitals taugt. Wobei manche sich und manche auch noch andere unterwerfen. Die Konkurrenz der Wissenschaftler um das karriereträchtige Ansehen innerhalb und außerhalb der Universität gewährleistet die Durchsetzung dieses Standpunkts, und wo vereinzelt polizeiwidrige Gedanken in Umlauf kommen, wird nicht mehr diskutiert.
Die bei der Anwendung falschen Wissens aufrechterhaltenen Kollisionen der bürgerlichen Welt nimmt sich die auf ihren Nutzen bedachte Wissenschaft so zu Herzen, dass sie auf ihre Nützlichkeit, d.h. auf sich selbst reflektiert und in ihren wissenschaftstheoretischen Diskussionen zu dem gar nicht überraschen-den Ergebnis gelangt, dass sie so sein muss, wie sie ist und ihr Pluralismus doch kein vollständiger sein darf: wirkliches Wissen kritisiert die bürgerliche Gesellschaft – und seine Anwendung schadet ihr.
Der Staat, der die Freiheit der Wissenschaft und das Ausbildungswesen verwaltet, um sie der Gesellschaft nützlich zu machen, zählt aufgrund der bei diesem Geschäft auftretenden praktischen Schwierigkeiten
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welches Wissen für welchen Beruf
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wieviel Wissen für alle/bestimmte Berufe
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Verwandlung von Wissen in Lehrstoff
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Organisation der Zurichtung, die auf Widerstand trifft, weil sie als unangenehm, zu wenig nützlich, oder gänzlich unnütz angesehen wird – Anpassung an den Arbeitsmarkt
zu den Hauptabnehmern sozialwissenschaftlicher Theorien, weswegen sein Standpunkt als übergreifender in diesen Theorien präsent ist. So liefert denn die Pädagogik nicht, wie ihr Name vermuten ließe, die Antwort auf die Frage „Was ist Erziehung?“, sondern eine Unzahl von praktischen Erwägungen über „Sinn und Zweck“, Schranken und Möglichkeiten der Erziehung, Umfang und Nützlichkeit des Wissens für die moralische Erziehung usw., die allesamt aus dem Zwangscharakter der Bildung einer verantwortlichen Persönlichkeit kein Hehl machen. Diese Wissenschaft bildet ein Konglomerat von psychologischen, motivationstheoretischen, soziologischen, anthropologischen, didaktischen und empirisch-sozialwissenschaftlichen Kalkulationen, die allesamt das Ziel verfolgen, mit den Widersprüchen der kapitalistischen Ausbildung fertig zu werden, ohne sie abzuschaffen.
Da der Staat mit der Realisierung des Rechts auf Ausbildung den Auszubildenden manche Opfer aufnötigt, vielen die bittere Erfahrung der Niederlage im Konkurrenzkampf noch vor dem Erwerbs-leben zuteil werden lässt und selbst denen, die ihr Ausbildungsziel erreichen, nicht garantiert, dass sie ihre Fertigkeiten als Mittel für ihre Existenz einsetzen können (weswegen ihnen der Staat auch den dornenreichen zweiten Bildungsweg zu einer neuen Spezialisierung anbietet), zieht er sich den Zorn seiner Bürger zu, die enttäuscht auf der Tauglichkeit der Ausbildung, der sie sich unterwerfen müssen, als Mittel für ihre Reproduktion beharren und im Ausbildungsziel Mobilität das Ideal der Vereinseitigung realisieren wollen. Daher gibt es die Klage über den Bildungsnotstand, sooft mehr Ausbildungswillige da sind als Ausbildungsplätze, wobei sich die Forderung nach mehr Förderung der Ausbildung als Sorge um die Konkurrenzfähigkeit der Nation moralisch untermauern lässt. Wenn der Zweck der Ausbildung: die Gesellschaft mit den Leuten zu versorgen, die sie braucht, den Staat Maßnahmen wie den Numerus Clausus ergreifen lässt, lässt der Gang vors BVG nicht lange auf sich warten. Mit dem Recht rebelliert man gegen Realitäten, deren Notwendigkeit in der Gewalt des Staates und deren Auftrag liegt. Den Wirkungen der Konkurrenz im Ausbildungsbereich, d.h. der Chancengleichheit, hält man ebenso ihr Ideal entgegen und vergisst sogar, dass es bei einem Leistungsvergleich noch stets Gewinner und Verlierer gibt. So gelangt man schließlich zur Verfolgung der Anliegen, die längst die des auf Ausschöpfung der Bildungsreserven bedachten Staates sind. Kritische Menschen machen sich für die Beseitigung von Sprachbarrieren, die keine sind, stark, dichten die Einführung der Gesamtschule u.ä. („Permeabilität“ heißt das auch!), also die Verschärfung der Konkurrenz in den Gewinn von Freiheits- und Entwicklungsräumen für den einzelnen um – und wundern sich nach Einführung neuer Prüfungssysteme, Leistungszüge etc. darüber, dass ihre Kinder den Schulstress nicht aushalten. Weit davon entfernt, etwas dagegen zu unternehmen, dass die Ausbildung ihren Kindern schadet, rufen kritische Eltern nach besseren Prüfungen, die um ihrer Objektivität als Leistungsvergleich willen gar nicht erst nach Wissen fragen, sondern bessere Kreuzworträtsel darstellen (multiple choice). Wenn sich schließlich das abgefragte Unwissen partout nicht mehr in irgendeinen Zusammenhang mit dem Beruf bringen lässt, für den man sein Hirn martert, ertönt wie in den ersten Tagen der Bildungsreformen (und solche gibt es wieder!) die Klage über die Praxisferne, die Obsoletheit des Schulwissens. Was dem traditionellen humanistischen „Ballast“ widerfuhr, bleibt der modernisierten Dressur nicht erspart: Auch bei ihr will man den Nutzen sehen, den sie bringt, wobei das unvermeidbare Ausbleiben der menschlichen, d.h. staatsbürgerlichen Einstellung bei der Jugend als Duckmäusertum gegeißelt wird. Linke wie rechte Kritiker der Ausbildung sind sich darin einig, dass passive Staatsbürger keine guten sind, was sich freilich in recht unterschiedlichen Lehrplänen niederschlägt: Hessische Rahmenrichtlinien contra bayrische Curricula für eine wertkonservative Persönlichkeitsbildung. Die emanzipatorische Erziehung, die in verlinksten Institutionen praktiziert wird, hat im übrigen den Vorzug, dass sie den Ausgebildeten auch den letzten Rest an Tauglichkeit für das Berufsleben erspart und stattdessen die endlose Debatte um eine kritische Einstellung zu Beruf und Staat zum Inhalt der Wissensvermittlung macht.
Auch die Wissenschaft, der es auf ihre Nützlichkeit ankommt, muss sich manchen Angriff auf ihre mangelnde Brauchbarkeit gefallen lassen. Nachdem in den Reihen der Wissenschaftler die Offensive der Methodologen und Eiferer des Pluralismus erfolgreich war, es also als ausgemacht gilt, dass Wissen etwas äußerst Relatives, von Standpunkt, Wertungen und Haltungen bestimmtes ist somit dem zwanglosen Tummeln von Interessen kein Hindernis mehr entgegensteht, sah man sich mit Interessen konfrontiert, die man (der Staat) nicht gemeint hatte. So hat sich auch das Lager der Elfenbeinturmkritiker gespalten, und wenn einige Reaktionäre darauf pochen, nicht immer gleich nach dem Nutzen ihres Gedankens befragt zu werden, meinen sie immer die Freiheit ihrer persönlichen Anschauungen und ihre partikulare Spinnerei, die ihnen der Staat nicht mehr gestatten will. An Wissenschaft, richtigem Denken liegt diesen seltenen Exemplaren ebensowenig wie den methodologisch-überprüfbar-empirisch-rationalistisch-kritisch-prasisbezogen-demokratisch eingestellten Ideologen des Pluralismus, die sich inzwischen einem neuen Gegner stellen müssen. Dieser Gegner hat den Elfenbeinturmvorwurf, die Anklage an die Wissenschaft, sie entferne sich von den Interessen der Gesellschaft, die sie aushält, dahingehend modifiziert, dass sie die Interessen der Benachteiligten, der Arbeiter insbesondere vernachlässige. Sie werfen den Sozialwissenschaften vor, dass sie den falschen Interessen dienstbar sind (was stimmt), kümmern sich weiter nicht darum, wie solches geschieht, und propagieren fröhlich eine Wissenschaft im Dienste des Volks: Bremen – Marburg. Ihre Dummheiten allerdings sind nur der einseitig gemachte Fehler des Pluralismus, also Unwahrheiten, die den Arbeitern nichts nützen. Die durch die Studentenrevolte als fällig demonstrierte Reform der universitären Ausbildung hatte somit einen Kampf zweier Linien eröffnet, dessen Ausgang durch die Gewalt des Staates eindeutig entschieden ist.Inzwischen schwindet mit dem widerwilligen staatlichen Verständnis bei dieser Veranstaltung die Anteilnahme der Jugend im selben Verhältnis, wie das stinknormale bürgerliche Gedankengut auch an Hochburgen linker Moral wächst – womit nicht gesagt sein soll, dass das eine der Grund für das andere ist.
Aus dem Zweck des staatlichen Bildungssystems, der Vereinseitigung individueller Entwicklung, der Spezialisierung auf reduzierte Fertigkeiten für einen Beruf, geht hervor, dass dem Staat die aufwendige Organisation des Verteilungsprozesses werdender Bürger auf die Hierarchie der Berufe, die Einrichtung eines allen zugänglichen Ausbildungswesens, innerhalb dessen sich entscheidet, wer was wird, als Belastung und überflüssiger Umweg erscheint. Sein Anliegen, die Bürger einer lebenslangen arbeitsteiligen Funktion zuzuführen, wurde durch die schlichte Vererbung des Berufsstandes beim biederen Volk und die klerikal-ständische Ausbildung der Staatsdiener ebenfalls erfüllt. Wie alle demokratischen Errungenschaften musste ihm das Recht auf Ausbildung von den industriellen Lohnarbeitern, die er selbst befreit hatte, abgerungen werden; dem Zwang, in der großen Industrie ihren Lebensunterhalt verdienen zu müssen, konnten sie ohne allgemeine Bildungselemente ebenso wenig folgen, wie ihre overlooker ihre Funktion angesichts der Maschinerie weiterhin allein mit körperlicher Züchtigung und Strafzetteln erfüllen konnten. Was die idealistischen Philosophen mit ihren vom Interesse an der Einheit der Nation geleiteten Traktaten über die Notwendigkeit staatsbürgerlicher Erziehung nicht schafften, erreichten die Arbeiter, die als Opfer der großen Industrie deren Erfordernisse dem Staat gegenüber durchsetzten, nachdem sich die Fabrikschulen ebenso wenig als tauglich erwiesen hatten, freie, d.h. wechselnden Betätigungen genügende Arbeiter hervorzubringen, wie die philanthropischen Bemühungen aufgeklärter Volksfreunde. Der Forderung nach Abschaffung des Bildungsprivilegs kam der Staat in der Weise nach, dass er die allgemeine Schulpflicht als Mittel der Auslese einrichtete und damit garantierte, dass die Kinder der Arbeiter einerseits mit dem für sie notwendigen Minimum an Kenntnissen und dem noch notwendigeren staatsbürgerlichen Tugendkodex beliefert werden, andererseits von überflüssigem Wissensballast verschont bleiben.
Dem Interesse des Staates an einer nützlichen Geistes-und Gesellschaftswissenschaft kam diese Philosophie insofern entgegen, als sie durch die Übernahme dieses Interesses als immanent-theoretischer Standpunkt den Kampf gegen den Glauben um ihre Auflösung in die instrumentell verfahrenden Einzelwissenschaften ergänzte. Die dem bürgerlichen Staat verpflichtete Universität konnte zwar der Aufgabe gerecht werden, das Material für die gelehrte Gesinnung höherer Beamter zu liefern, leistete aber schlechte Dienste für das allgemeine Ausbildungswesen, mit dem der Staat den Erfordernissen der großen Industrie entsprechen musste. Die Freiheit der Wissenschaft, d.h. die Unterwerfung des berufsmäßigen Denkens unter die Zwecke des Staates, die bereits die Philosophie kennzeichnet, gewährleistete ihre immanente Entwicklung zu einem verlässlichen Instrument des Klassenstaats, zu der parteilichen, einzelwissenschaftlichen Betrachtung aller gesellschaftlichen Phänomene, die sich vom praktischen Interesse an der Fortführung der bürgerlichen Scheiße leiten lässt. (Dies ist eine materialistische Erklärung im Unterschied zu Vorstellungen, die den Nutzen der Wissenschaft fürs Kapital ohne Staat, daher gegen ihre Freiheit beweisen wollen oder von der Abstraktion gewisser „ökonomischer Formbestimmtheiten“ und dgl. Blödsinn das Denken ableiten.)
2. Mit den erworbenen einseitigen Fertigkeiten überlässt der Staat seine nebenbei mündig gewordenen Bürger der Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt. Wieviel sie verdienen, hängt einzig von der Leistung ab, die sie für ihren Arbeitgeber zu bringen bereit sind; so versuchen sie, die ihnen offenstehende Freiheit zu nützen und sich durch den Verkauf von möglichst viel Arbeit ein gutes Leben zu sichern, wodurch sie beständig Arbeitskräfte relativ zur Nachfrage nach Arbeit überflüssig machen. Vater Staat, der auch der Nachfrageseite die Freiheit lässt zu entscheiden, wann sich für sie der Kauf von Arbeit lohnt, weiß von der Kehrseite der freien Berufswahl, der immer vorhandenen Arbeitslosigkeit, und strickt die erste Masche seines sozialen Netzes: Er verpflichtet die Lohnabhängigen, die sich durch die Ausübung ihres Berufs nicht kontinuierlich ernähren können, dazu, dies doch zu tun: Zwang zur Arbeitslosenversicherung. Er zwingt sie zur vorsorglichen Einschränkung ihrer Reproduktion (Beiträge) und regelt für den Ernstfall ein vermindertes Einkommen auf bestimmte Zeit (Arbeitslosengeld/-hilfe). Die mit den Einschränkungen wachsende Bereitschaft zum sozialen Abstieg befördert er durch Auflagen, die er je nach Konjunkturlage verschärft: Meldepflicht, Gebot zur Annahme „zumutbarer“ Arbeitsplätze und Anreize (Umschulung), wobei er den weiblichen Arbeitnehmern besondere Aufmerksamkeit darin zuteil werden lässt, dass er ihre hausfrauliche Tätigkeit ausnahmsweise als Beruf anerkennt. Diese Sparsamkeit, die sämtliche Kriterien für die Berechnung von Arbeitslosenunterstützung kennzeichnet (Länge des Arbeitsverhältnisses, Berücksichtigung des familiären Vermögens, Begrenzung auf ein Familienmitglied etc.), macht die Anstrengung verständlich, die Lohnabhängige auf sich nehmen, um Arbeitslosigkeit zu vermeiden.
Das Streben der Lohnabhängigen geht also darauf, das Stempelgeld erst gar nicht zu beanspruchen. Sie zeichnen sich durch Leistungsbereitschaft aus, gesteigerte Anstrengungen im Produktionsprozess sollen ihr Einkommen nicht nur in erträglicher Größe halten, sondern durch den Nutzen, den der Unternehmer daraus zieht, auch beweisen, dass sich der Kauf ihrer Arbeit lohnt, und so den Arbeitsplatz sichern. Mit der Verpflichtung zur Kranken-und Unfallversicherung trägt der Staat der notwendigen Rücksichtslosigkeit der Arbeiter gegen ihre Gesundheit, d.h. einer möglichst intensiven Nutzung der Arbeitszeit durch die Unternehmer Rechnung. Der Arbeiter muss das Krankwerden als selbstverständliche Begleiterscheinung seiner Arbeit akzeptieren und daher mit der Krankheit, die Arbeitsunfähigkeit bedeutet, fertig werden, also für seine Arbeitsfähigkeit Sorge tragen. Dies vermindert sein Einkommen, solange er arbeitet, um die Beiträge, die er zahlt; im Krankheitsfall erhält er nur 6 Wochen lang seinen vollen Lohn, längere Krankheiten ziehen wie dauerhafte Unfall-und Berufsschäden ein reduziertes Entgelt nach sich. Dem damit gegebenen Anreiz zur Wiederaufnahme der Arbeit wird durch vertrauensärztliche Kontrollen nachgeholfen. Da die Kranken-und Unfallversicherung also den Lohnarbeitern keine Sicherheit vor Krankheit bringt, sondern sie lediglich fähig macht, sich den Quellen ihrer Zerstörung erneut auszusetzen, hat sich der Staat einiges einfallen lassen, die unvermeidliche Arbeitsunfähigkeit in Grenzen zu halten. Er verlangt den Nutznießern der Lohnarbeit ihren maßvollen Gebrauch ab: Sicherheitsvorschriften, medizinische Betreuung, bezahlter Urlaub.
Da der Staat die Lohnabhängigen permanent den gesellschaftlichen Ursachen des Krankwerdens aussetzt und sie zugleich aufs Gesundsein verpflichtet, muss er die Einrichtungen bereitstellen, derer die Kranken bedürfen, um wieder arbeitsfähig zu werden: Gesundheitswesen. dass die Bemühungen der Medizin an den Notwendigkeiten der Lohnarbeit ihre Grenze finden, also nicht dasselbe sind wie der Kampf um Gesundheit, demonstrieren die mannigfaltigen Vorschriften zur Verhinderung von Krankheit, wenn es um natürliche Ursachen geht, denen die Hilflosigkeit der modernen Medizin gegenüber den viel belaberten sozialen Krankheitsursachen gegenübersteht: so wenig sie als Medizin für gesundes Arbeiten tun kann und der Staat ein diesbezügliches Gesetz erlassen will, so zynisch verfahren diejenigen ihrer Vertreter, welche die gesellschaftlichen Gründe für die Beschädigung des Organismus in ihren psychologischen Ausdruck verwandeln und in der psychosomatischen Medizin Rezepte entwickeln, den Geschädigten den Willen beizubringen, ihre Zerstörung unter Beibehaltung ihrer Brauchbarkeit zu ertragen.
Der Lebensweg des Arbeiters ist also ein Prozess der Zerstörung, bei dem mit zunehmenden Jahren die Anstrengungen, der vorgeschriebenen Leistung im Beruf zu genügen, wachsen. Für den gesetzlich geregelten Zeitpunkt, an dem die Lohnarbeiter den Anforderungen nicht mehr gewachsen zu sein brauchen, hält sie der Staat schon frühzeitig an, durch Abzüge von ihrem Einkommen vorzusorgen: Rentenversicherung. Er beschert ihnen für dieses Opfer ein vermindertes Auskommen in den Jahren, die sie als Frühinvaliden (valere!) oder Altersrentner in erzwungenem Müßiggang – mit lädierter Physis – zu leben (sic!) haben. Um die Nützlichkeit ihrer jüngeren Mitmenschen nicht über Gebühr durch die Last, welche die Alten darstellen, zu schmälern, versorgt sie der Staat mit Altersheimen, von denen es einerseits zu wenig gibt und die andererseits Geld verlangen. Dies befördert bei den Familienangehörigen die Überlegung, was billiger und einfacher ist: der Pflegesatz fürs trostlose Altersheim oder das lästige Mitschleifen von Oma und Opa – im Rahmen der häuslichen Idylle.
Versicherungen sind also soziale Einrichtungen, die mit der Sicherheit der Leute, die sie bezahlen, nichts zu tun haben. Zunächst einmal muss sie jeder bezahlen, weil sicher ist, dass er sie braucht, sei es als Hilfe auf dem Weg zu erneuter Brauchbarkeit oder als Gnadenbrot für die irreparable Zerstörung. Im doppelten Zwang zum Opfer, das man entweder bringt oder ist, liegt der soziale Charakter dieser Institutionen, deren Zweck, die Erhaltung der Lohnarbeit als Mittel des Eigentums, durch die Verpflichtung des Arbeitgebers auf die Zahlung eines Teils der Beiträge nicht verhüllt, sondern deutlich wird. Die den Arbeitgebern dadurch entstehenden Geschäftskosten sind ihnen zwar lästige Begleiterscheinungen bei der Vermehrung ihres Vermögens, aber nicht die Gefährdung ihrer Reproduktion – weswegen sie vom Staat auch nicht gezwungen werden, sich zu versichern. Wenn sie ihr Sicherheitsbedürfnis über die Gewissheit, ihr Eigentum verzehren zu können, hinaus befriedigen wollen, stehen ihnen freiwillige Versicherungen aller Art offen, die sich von den Zwangsversicherungen dadurch unterscheiden, dass mit ihnen, abgesehen von den Privilegien, die sie bieten, ein Geschäft zu machen ist.
Da die Versicherungen Opfer verlangen und wenig Sicherheit bieten, ist der Staat mit den Klagen seiner Bürger konfrontiert, die, wenn sie die Gefährdungen der Reproduktion durch Lohnarbeit erfahren, vom Staat Kompensation verlangen und den Aufwand für Versicherungen mit ihren Leistungen vergleichen. Einerseits kritisieren sie die Einschränkungen, die ihnen bei der Inanspruchnahme von Versicherungen auferlegt werden, als ungerecht und erinnern an ihre Nützlichkeit, für die sie Anerkennung verlangen. Andererseits lasten die Beitragszahler denjenigen, die Versicherungen in Anspruch nehmen müssen, ihre Nutzlosigkeit an, die ihre Mitbürger so teuer zu stehen komme.
Die Arbeitslosen beharren auf dem Recht auf Arbeit, als gehörte nicht zu diesem auch die Arbeitslosigkeit, fordern von der Versicherung ihr Auskommen und werden für ihre hilflosen Widerstände gegen den sozialen Abstieg mit dem Vorwurf mangelnder Leistungsbereitschaft und Drückebergerei, den sie sich selbst gezwungenermaßen zu Herzen nehmen, belohnt. Auch die Klagen über die Mängel der Krankenversicherung haben ihre andere Seite. Während man für sich selbst Abhilfe gegen das Kranksein erwartet, kann man sich den Angriff auf die anderen nicht versagen, wenn sie die Leistungen der Versicherung in Anspruch nehmen: Die anderen feiern krank und treiben die Kosten in die Höhe. Manch einem erscheint daher die Rücksichtslosigkeit gegen die eigene Gesundheit nicht nur notwendig (die Angst um den Arbeitsplatz ist begründet!), sondern auch gut.
Die gesellschaftlich nutzlosen Rentner, die einen sicheren und geruhsamen Lebensabend genießen wollen und Dank für ihre früheren Anstrengungen erwarten, trifft die Verachtung derjenigen, die sich noch die Ideologie leisten, dass Ansprüche eben auf Leistung beruhen. So stehen die Klagen über die Herzlosigkeit gegen das Alter neben dem unverfrorenen Lob der Jugend, um die es sich zu kümmern gilt, weil ihr die Zukunft gehört; und die Blödheit der Alten, die in jugendlicher Brauchbarkeit ihre eigene, nun verblasste Tugend entdecken, wetteifert mit dem Stolz der Jungen, die nicht sehen wollen, dass ihre Tatkraft das beste Mittel ist, schnell alt zu werden.
Der Staat legitimiert seine Maßnahmen gegenüber dieser doppelten Unzufriedenheit mit dem Hinweis auf die Unausweichlichkeit der Lebensrisiken, zu deren Verringerung alle solidarisch ihren Beitrag leisten müssen, und preist seine Sozialmaßnahmen als notwendige Ergänzung des Leistungsprinzips, die jedem die Chance eines menschenwürdigen Lebens eröffne. Die Klagen der Betroffenen über die Ungerechtigkeit der Arbeitslosigkeit wehrt er mit dem Hinweis auf seine Ohnmacht gegenüber der Konjunkturentwicklung und die Zuständigkeit der Unternehmer ab, deren Unterstützung er denn auch tatkräftig betreibt. Beschwerden über die Plackerei der Lohnarbeit greift er mit der Verteidigung des Leistungsprinzips an oder mit Forderungen nach „Humanisierung der Arbeitswelt“ auf, die durch Anpassung der „Sachzwänge“ an die physischen und psychischen Schranken der Arbeiter ihre Selbstzerstörung attraktiver und effektiver machen soll. Gegen die landläufigen Angriffe auf das Gesundheitswesen, die dem Staat den Willen zur Krankheitsbekämpfung unterstellen, verteidigt er sich mit Vergleichen gegenüber früher, als Seuchen und früher Tod grassierten, und agitiert für ein gesundes Privatleben seiner Bürger. Mit Klagen über das „Leistungs- und Konsumdenken“ wirft er den Leuten vor, dass sie sich kaputtmachen lassen; mit der Propaganda maßvoller Genüsse und gesunder Ernährung versucht er die Arbeiter auch dort, wo er ihnen keine Vorschriften machen kann, zur selbstzerstörerischen Rücksichtnahme auf ihren gesellschaftlichen Nutzen zu bewegen. Und da es auf Leistung ankommt, die denen, die sie bringen, wenig einbringt, verkündet er im Lobpreis der Jugend das Ideal der Brauchbarkeit und ergänzt es durch die Aufforderung, statt das Alter zu missachten, durch familiäre Fürsorge dem Staat einen Teil der Alterslast abzunehmen.
Angesichts der Bekundungen des Staates, dass er nicht willens ist, aus den sozialen Rechten der Bürger etwas anderes zu machen, als sie sind: nämlich Kompensationen, die zur Fortführung des Lohnarbeiterdaseins zwingen, fällt den linken Arbeiterfreunden nichts Besseres ein, als diese Rechte mit dem Argument zu verherrlichen, dass sie von den Arbeitern erkämpft worden seien. Sie benutzen ausgerechnet die Notwendigkeit, dem Staat noch die miesesten Zugeständnisse abzuringen, dazu, ihnen die höheren Weihen von Arbeiterrechten zu verleihen, und eröffnen sich mit diesem zynischen Lob das weite Feld von verharmlosenden Angriffen gegen die „Unfähigkeit“ des Staates sowie den revisionistischen Kampf um Rechte.
Die faschistische Alternative betrachtet die sozialen Aufwendungen des Staates nicht nur wie jeder Demokrat als eine Belastung, sondern auch vom Standpunkt ihres Wirkens her als eine Sache, die dem Untergang der Nation Vorschub leistet. Gegen die Erhaltung der nur bedingt brauchbaren Arbeitskraft setzen sie den bedingungslosen Anspruch des Staates auf opferbereiten Dienst. Den kapitalistischen Zwang zur Konkurrenz mit seinen Folgen nehmen sie zum Anlass, die Individuen danach zu unterscheiden, ob sie zur Erfüllung ihrer Pflicht bereit und fähig sind: staatliche Auslese.
3. Das staatliche Bemühen um die Brauchbarkeit und Arbeitsbereitschaft der Lohnarbeiter verschafft diesen – als Lohn für ihren Nutzen – den vielgepriesenen Freiheitsraum des Privatlebens, der in der westlichen Welt geachtet wird. Dieser Raum hat allerdings Grenzen, zunächst die mit der Lohnarbeit unmittelbar gegebenen: er beginnt, wenn die Arbeit aufhört, und seine Ausgestaltung ist eine Frage des Geldes. Weil sich der Lohnarbeiter alles leisten darf, sich aber nicht alles leisten kann, kauft er sich nur das, was er sich leisten muss. Genauso verfährt er bei der Einteilung seiner Zeit. Die Einstellung zu seiner privaten Freiheit als einer Sphäre der Notwendigkeit wird ihm von der Sorge diktiert, die Quelle seines Einkommens, d.h. seine Arbeitsfähigkeit, zu erhalten. Im Versuch, seinen Wünschen Befriedigung zu verschaffen, erfährt er nicht nur, dass dazu weder Zeit noch Geld reichen, sondern auch, dass der unüberlegte Gebrauch seiner privaten Freiheit stets auf Kosten der notwendigen Genüsse geht, die zur Fortführung der Arbeit unabdingbar sind. Und selbst der Befriedigung der Bedürfnisse, die funktionell auf die Erhaltung seiner Arbeitsfähigkeit bezogen sind, stehen gesellschaftliche Bedingungen im Wege, mit denen er aufgrund seines Geldbeutels nicht fertig wird. Dies ruft den Staat auf den Plan, der seine sozialpolitische Abteilung um zusätzliche Leistungen erweitert, die darauf abzielen, die Schwierigkeiten des Privatlebens nicht zum Hindernis des Arbeitslebens werden zu lassen. Diese Maßnahmen haben daher auch keinen Geschenkcharakter, und ihre soziale Funktion besteht darin, die Lohnarbeiter dahin zu bringen, aus ihrer Freizeit trotz allem Reproduktion ihrer Arbeitskraft zu machen, was nicht ohne neuerliche Verpflichtungen und Opfer abgeht und das Reich der individuellen Freiheit den Notwendigkeiten der Ausbeutung unterwirft.
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Da der Arbeiter kein Eigentum hat, muss er eine Wohnung mieten. Diese elementare Lebensbedingung bringt ihn in Abhängigkeit vom Grundbesitzer, der seinerseits aus seinem Vermögen Einkommen erwirtschaften will. Die Kollision zwischen den Notwendigkeiten der Privatsphäre und dem Recht des Hausbesitzers auf die Erhaltung und effektive Nutzung seines Besitzes regelt der Staat im Mietrecht, das wegen der gleichmäßigen Berücksichtigung beider Seiten dem Mieter weder eine sichere Wohnstätte noch einen erschwinglichen Preis garantiert. Auf den Mangel an billigen Wohnungen – das Grundeigentum ist anerkannte Einkommensquelle! – reagiert der Staat mit Wohnungspolitik. Diese besteht zunächst darin, dass er das Streben der Betroffenen, sich von den Lasten als Mieter unabhängig zu machen, durch die Förderung zweckgebundenen Sparens unterstützt, mit der Gewährung von Bankkrediten das Eigenheim endgültig zum lebenslangen Problem macht und ihnen diese neue Form des Opfers, das mit dem Wohnen eines Arbeiters verbunden ist, mit der Ideologie der „eigenen vier Wände“ schmackhaft zu machen versucht. Da sich diejenigen, denen an einer billigen Wohnung gelegen sein muss, den Luxus nicht leisten können, neben der zu teuren Miete auch noch für ein Eigenheim sparen zu können, gibt es den sozialen Wohnungsbau. Diese Maßnahme ist darin sozial, dass sie vermögende Leute mit Steuererleichterungen, Zuschüssen etc. dazu anhält, Wohnungen zu erstellen und diese eine Zeitlang kostendeckend zu vermieten. Da der soziale Wohnungsbau zwar Wohnungen schafft, nicht aber das Wohnungsproblem armer Leute löst, mildert der Staat die Kollision zwischen dem Interesse an billigen Wohnungen und dem berechtigten Gewinn der Hausbesitzer durch die Zahlung von Wohngeld, wodurch er Steuergelder in Gewinn verwandelt, den das Grundeigentum also trotz der Armut der Mieter machen kann. Das Wohngeld als der krönende Abschluss unserer Bundesregierung beim Abbau von zwangswirtschaftlichen Eingriffen, die den Verfechtern der sozialen Marktwirtschaft unangenehm waren, beweist, dass der Staat kein Interesse daran hat, die Kollision aufzulösen, der sich die Wohnungsfrage verdankt; Preisbindung und Zwangsbewirtschaftung gelten dem Staat als außerordentliche Notmaßnahmen.
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Die Gefährdung der Reproduktion durch den Zeitaufwand, den die Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte kostet, verlangt vom Staat besondere Aufmerksamkeit beim Ausbau des Verkehrsnetzes. Zum einen muss er beim Straßenbau die Erfordernisse des dadurch wachsenden Privatverkehrs berücksichtigen, zum anderen ist wegen der Unerschwinglichkeit eines eigenen Autos und seiner Benutzung für viele Lohnarbeiter die Einrichtung von Massenverkehrsmitteln geboten. Diese Leistungen eröffnen den Massen die trostreiche Alternative, die notwendige Verlängerung der Arbeitszeit in ihre Freizeit hinzu-nehmen oder sie durch geldlichen Mehraufwand zu verkürzen.
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Das Angewiesensein der Bürger auf kontinuierliche Information über die sich wandelnden gesellschaftlichen Umstände, mit denen sie zurechtzukommen haben, das Bescheidwissenmüssen über alle möglichen Bedingungen ihrer Reproduktion – was einen weiteren Teil ihrer Freizeit okkupiert – nützt der Staat dadurch aus, dass er mit der Gewährleistung des leichten Zugangs zu allen notwendigen Informationen die staatsgerechte Zubereitung und Kommentierung derselben verbindet. Die politische Abteilung der Medien hat ihren Kernpunkt im Nachrichtenwesen, welches 24 mal täglich den jeweils gültigen Standpunkt der Nation zu internationalen Konflikten darbietet, den neuesten Stand staatlicher und wirtschaftlicher Unterdrückung unter Abwägung von Vor-und Nachteilen als unausweichlich darstellt und anhand von Meldungen über Verbrechen und Unwetter klar-macht, dass der Staat erstens sein muss und zweitens verlässlich ist. Die Eintönigkeit dieser Veranstaltung bedient sich der Methode des kommentierenden Pluralismus: jede Maßnahme, jedes Ereignis vom U-Bahn-Bau bis zur Olympiade wird eingekleidet in das Urteil mehrerer maßgeblicher Männer aus Politik und Wirtschaft. Damit sich der Bürger nicht auf die bloße Kenntnisnahme zurückzieht und sich im übrigen zu den Belangen der Nation passiv verhält, setzen Kommentare, politische Magazine und Diskussionen das Geschäft fort, des Bürgers eigene Meinung zu bilden. Der Abwehr der Bürger dagegen, sich in ihrer Freizeit die Sorgen des Staates zu machen, begegnet man mit geschickter Programmgestaltung. Damit der Bürger an der Agitation nicht vorbeikommt, wird sie im Rahmen der Sendungen dargeboten, die ihn mit allerlei praktischen Tipps und Lebenshilfen versorgen und daher seines Interesses gewiss sind. Insbesondere die Aufklärung der neugierigen Jugend über die Fährnisse des Lebens und die Befassung mit den Frusts des Frauendaseins empfehlen sich für eine gründliche moralische Aufrüstung. Die Mittel, die den Medien aus Gebühren, Steuergeldern und nicht zuletzt aus der Werbung zufließen, durch die der Staat der Wirtschaft gestattet, auf vergnügliche Weise klarzumachen, dass Waren preiswert sind, erlauben ihnen auch, dem Wunsch der Bürger nach Unterhaltung Genüge zu tun. Weil der Staat weiß, was er von seinen arbeitenden Bürgern zu halten hat, geht er hier auch ganz auf sie ein. Er erfüllt durch geistlose Unterhaltungssendungen und Rätselstunden ihr Bedürfnis nach Kompensation für den in der Arbeitswelt erlittenen Verschleiß, der weitere Anstrengungen unmöglich macht. Die vulgären Formen von Schlager, Show und Film sind für ihn das geeignete Programm seiner kompensatorischen Erziehung, nach der das Volk leider verlangt. Es zerfällt in drei Teile: erstens geht im Leben mancher Schuß daneben, und zweitens lassen wir uns das Singen nicht verbieten, weil drittens vor der Himmelstür alle gleich sind. So hat jede Kulturnation auch ihre Massenkultur.
Die bei diesem Programm gar nicht erstaunliche Unzufriedenheit der Massen eröffnet die Möglichkeit harter Kritik: In Leserbriefen an die Rundfunkzeitschriften wird gesagt, was man lieber hätte, und Medienforscher verlangen statt Manipulation ein besseres Eingehen auf die (originären) Bedürfnisse des Publikums. Die Unzufriedenheit des Staates über die immer wieder spürbare Undankbarkeit seiner Adressaten führt zu Beschwörungen seiner erzieherischen Aufgabe und der Anklage, er ließe wegen ökonomischer Interessen von ihr ab.
Der Notwendigkeit körperlichen Ausgleichs für die erzwungenen Anstrengungen der Arbeit trägt der Staat durch die Bereitstellung von Erholungs- und Sportstätten Rechnung. Weil er aber nicht an der Gesundheit der arbeitenden Bevölkerung, sondern daran interessiert ist, dass sie sich gesund erhält, knüpft er auch diese Wohltat an Bedingungen. Wer Sport treiben will und dazu Platz und Geräte braucht, muss zeigen, dass er dafür etwas übrig hat. Eintrittspreis und Zwänge des Vereinslebens machen aus der freiwilligen Betätigung des Körpers eine Frage der Opferbereitschaft. Da viele aufgrund der einseitigen Anstrengung ihrer Arbeit von Körperbewegung genug haben, wegen ihrer mangelnden Leistung auch keine Freude am Sich-Messen haben und schließlich ihr Geld und ihre Zeit für andere Genüsse verbrauchen, macht ihnen der Staat mit seiner Trimm-Dich- und Gesundheitsagitation klar, dass es ihm auf die Freuden des Sports ohnehin nicht ankommt. Er fordert seine Bürger auf, einfach jede Bewegung vom Einkaufsbummel bis zum Spaziergang als Sport zu betrachten und nicht zu rasten, damit sie nicht rosten. Und wo sich junge Leute wirklich für den Sport begeistern, geht er sogleich dazu über, seinen Nutzen daraus zu ziehen: er fördert den Leistungssport, welche Tautologie Sport als Beruf meint und an ihren Wirkungen auch als solcher kenntlich ist, und hat mit ihm ein prächtiges Mittel zur Repräsentation der Nation wie auch eine Erweiterung des Unterhaltungsangebots.
Weil sich der Großteil der Bürger schwer tut, das zu schaffen, was der kleine Teil der Bürger von ihnen erwartet: gesund und munter zu bleiben, um bei der Verrichtung ihrer Arbeit und bei der Unterstützung des Staats ihren Mann zu stehen, haben einige um das Funktionieren unserer Gesellschaft besorgte Wissenschaftler und Journalisten das Problem der „Freizeitgesellschaft“ entdeckt. In der verhinderten Reproduktion der Massen erblicken sie eine Gefahr, legen die Folgen der Lohnarbeit und der staatlichen Reglementierung der Privatsphäre den Betroffenen zur Last und tadeln sie, weil sie ihrem Standpunkt zufolge nichts (Richtiges) mit ihrer Freizeit anzufangen wissen. Sie versprechen sich viel von einer Verkürzung des lästigen freien Lebens und seiner Erfüllung mit Sinn.
4. Für alle, die den Anforderungen der Konkurrenz in Ausbildung und am Arbeitsplatz nicht gewachsen sind, also für ihren Lebensunterhalt nicht sorgen können und auch für die Zeit ihres Ausflippens keine Vorsorge getroffen haben, hält der Staat seine Fürsorgemaßnahmen bereit. Er rechnet mit dem steten Vorhandensein des Pauperismus und erklärt ihn zu einer öffentlichen Angelegenheit. Die Gewährung von Sozialhilfe soll ihren Empfänger befähigen, unabhängig von ihr zu leben; und weil man höheren Orts weiß, dass dieser Anstrengung wenig Erfolg beschieden ist, denkt man an die drohende Kriminalität, die ihr Misserfolg mit sich bringt. Zum Empfang von Sozialhilfe ist nicht berechtigt, wer sich weigert, zumutbare Arbeit zu leisten, was aber nicht heißt, dass er überhaupt nichts bekommt: ihm winkt ein Platz in einer Anstalt, ein Gefängnisaufenthalt, der keinen Rechtsbruch voraussetzt. So macht der Staat seinen Bürgern auch an den Grenzfällen individueller Not deutlich, dass er nicht für sie da ist, sondern sie für den öffentlichen Nutzen dazusein haben, indem sie für sich selbst sorgen – was wiederum nur durch die Vermehrung des Nutzens anderer geht. Weil ihm schließlich selbst die Aufwendungen für Armenhäuser, Obdachlosenasyle und die spärlichen Gelder für Arme zuviel sind, hat er sich der moralischen Gesinnung seiner Bürger erinnert und den Grundsatz des „Nachrangs“ der Sozialhilfe erfunden. Die Sozialbehörden beschränken ihre Wohltaten auf die Fälle, die nicht durch Familie oder Einrichtungen der „freien Wohlfahrtspflege“ bewältigt werden – durch jene Vereine und Stiftungen also, die an die Moral der noch mit Arbeitsfähigkeit gesegneten Leute appellieren und ihnen beim Einkaufen, Spazierengehen, an der Haustür, in der Schule etc. eine Mark nach der anderen abluchsen. Der Staat fördert diese Körperschaften, so dass die Betätigung der Moral von der zufälligen Rührung einzelner loskommt: unabhängig von der Anschauung des Elends in der näheren Umgebung sieht sich jeder mit der organisierten Darstellung von Not konfrontiert, für die er sich verantwortlich sehen soll. So entdecken letztlich auch minder Gläubige die Funktion der Kirche, ihre Solidarität mit ihren Mitbürgern und ersparen dem Staat Auslagen, was dieser freudig zur Kenntnis nimmt – und sein Geld zur Förderung des Eigentums verwendet.
5. Dass es dem Staat um die Erhaltung der Lohnarbeiterklasse zu tun ist, lässt sich nicht bestreiten; noch viel weniger aber, dass die Fürsorge, die er den auf ihre Arbeit angewiesenen Bürgern zuteil werden lässt, diesen nicht gut bekommt. Alle seine Leistungen laufen darauf hinaus, den Lohnabhängigen die wenig bewundernswerte Kunst aufzuherrschen, mit den Konsequenzen ihres Diensts am Eigentum fertig zu werden; die Wirkungen des unmittelbaren Produktionsprozesses ebenso zu ertragen wie die Funktionalisierung ihres Privatlebens für ihre Tauglichkeit als Arbeitskräfte zu bewerkstelligen. So sieht er sich als Folge seines freiheitsstiftenden Wirkens mit dem Anspruch der Lohnarbeiter auf ihre Existenz konfrontiert, dem er seine Anerkennung nicht versagen kann; schließlich ist die Existenz seiner arbeitenden Bürger die Bedingung für ihren nützlichen Dienst, auf den es ihm ankommt. Deshalb schreitet er zur Festlegung von Schranken der Ausbeutung und betätigt sich als Beschützer der Arbeitskraft, wo ihre Verwendung ihre Vernichtung unmittelbar zur Folge hat. Die gesetzliche Festlegung eines Normalarbeitstages ist die Reaktion des Staates auf die Verhinderung jeglicher Reproduktion, die mit dem freien Spiel der Kräfte auf dem Arbeitsmarkt einhergeht: weil jeder Lohnarbeiter zur Verbesserung seiner Reproduktion mehr arbeitet und sich dadurch das Angebot an Arbeit stets von seiten ihrer Käufer zur Senkung des Lohnes ausnützen lässt, führt die gelobte freie Konkurrenz unweigerlich zu einem Arbeitstag, dessen Länge die Lohnarbeiter nicht aushalten und dessen Ertrag nicht für ihre Erhaltung reicht. Der Staat verhindert mit dem Normalarbeitstag, dass die Unternehmer die Konkurrenz der Lohnarbeiter in einem Maße ausnützen, das den Arbeitsprozeß zur unmittelbaren Bedrohung des Lebens werden lässt. Freilich liegt ihm damit wie mit den übrigen Konsequenzen aus § 618 BGB – „Der Dienstberechtigte hat Räume, Vorrichtungen von Gerätschaften, die er zur Verrichtung der Dienste zu beschaffen hat, so einzurichten und zu unterhalten und Dienstleistungen, die unter seiner Anordnung oder seiner Leitung vorzunehmen sind, so zu regeln, dass der Verpflichtete gegen Gefahr für Leben und Gesundheit soweit geschützt ist, als die Natur der Dienstleistung es gestattet.“ – nichts an der Abschaffung der Gründe, die für die Lage der arbeitenden Klasse verantwortlich sind. Ganz Sozialstaat, nimmt er die Notwendigkeit der Dienstleistenden, über das normale Maß hinauszuarbeiten, zum Anlaß, auch dafür bestimmte Grenzen festzulegen und die Bedingungen anzugeben, unter denen er sie gestattet.
Die vielfältigen und als Fortschritt des Kapitalismus gepriesenen Schutzmaßnahmen tragen allesamt dem Kriterium der öffentlichen Macht Rechnung, das diese befolgt, wenn sie sich zu Sonderrechten für Lohnabhängige entschließt: die Auswirkungen der Lohnarbeit müssen dort ihre Grenze haben, wo sie als eine Weise der Reproduktion unmöglich wird, ein „soziales Problem“ darstellt, ohne dass sie Nutzen bringt. Marx hat den Witz der Gesetze, die das rücksichtslose Zugrunderichten der dem Kapitalisten unterworfenen Arbeiter so reglementieren, dass die Arbeiter für das Kapital tauglich bleiben, so zusammengefaßt:
„Was könnte die kapitalistische Produktionsweise besser charakterisieren als die Notwendigkeit, ihr durch Zwangsgesetz von Staats wegen die einfachsten Reinlichkeits- und Gesundheitsvorrichtungen aufzuherrschen?“
Arbeitsschutz, der sich auch auf die „Wahrung von Sitte und Anstand“ erstreckt, Unfallverhütungsvorschriften und besondere Auflagen für die Ausbeutung Jugendlicher und schwangerer Frauen sind die trostlosen Zugeständnisse des Staates an die Menschenwürde, von der seine Agenten wissen, dass sie im Dienst am Eigentum beständig zuschanden wird. Dabei geht aus der Notwendigkeit, die Ruinierung der Arbeiter im Produktionsprozeß durch staatliche Eingriffe zu bremsen, nicht nur hervor, dass die Eigentümer von Produktionsmitteln von sich aus nicht bereit sind, die verheerenden Wirkungen ihres Gewerbes auf Körper und Geist ihrer Produktionsinstrumente einzudämmen; auch die mit ihrem Eigentum verbundene Macht, ihren Zweck gegen die konkurrierenden Arbeiter durchzusetzen, ist nicht zu übersehen.
So erweisen sich die Regelungen, die der Staat gegen die Eigentümer zum Schutz der Lohnarbeiter erlässt, als Pendant zu den Bestimmungen, durch die er die Vermehrung von Eigentum sichert, indem er den anerkannten Zweck der Gewinnemacherei in Formen zwingt, die auch anderen Eigentümern ihr Geschäft ermöglichen (b 5.). Der kleine Unterschied zu den Bestimmungen, welche die Konkurrenz unter den Arbeitern fortzuführen gestatten, liegt in der Natur dessen, was durch die Konkurrenz bedroht ist und ohne das Zutun des Staates keinen Bestand hat: während die Konkurrenz zwischen Eigentümern die produktive Nutzung des Eigentums gefährdet und der Staat Beschränkungen verordnet, welche die produktive Nutzung des Eigentums gewährleisten, führt die Konkurrenz der Lohnarbeiter zur Zerstörung ihrer Existenz, die dem Staat wegen der damit verbundenen Unbrauchbarkeit der Leute zum Problem wird. Und zwar deswegen, weil die Betroffenen – freie Anbieter ihres Arbeitsvermögens – sich ein Arbeitsverhältnis, das sie zum Zwecke ihres Lebensunterhalts eingehen, nicht mehr gefallen lassen, wenn es den Lebensunterhalt verunmöglicht. Sie setzen sich gegen die Wirkungen der Konkurrenz zur Wehr, innerhalb derer sie sich zu bewähren gezwungen sind, schließen sich zur gemeinsamen Arbeitsverweigerung zusammen, um bessere Arbeitsbedingungen zu erreichen. Die bereits erwähnten Schutzmaßnahmen sind dem Staat durch Kämpfe der Arbeiterklasse abgerungen worden und bilden, einmal durchgesetzt, für die besitzende Klasse den Ausgangspunkt für allerlei Anstrengungen, sich für die verminderte Ausbeutbarkeit ihrer Arbeiter schadlos zu halten. Jedes durch vorübergehende Arbeitsniederlegung erreichte Resultat staatlich fixierter Arbeitsbedingungen eröffnet erneut die Konkurrenz zwischen den Arbeitern und damit die Möglichkeit für die Kapitalisten, das Verhältnis von Lohn und Leistung zu ihren Gunsten zu ändern. So dass die periodische Gegenwehr der an ihrer Existenz gehinderten Arbeiter zum normalen Getriebe der bürgerlichen Gesellschaft gehört. Der Staat findet mit der Unvereinbarkeit der Interessen von Lohnarbeit und Kapital auch den Klassenkampf vor, der sein soziales Wirken für Eigentum und Lohnarbeit beständig in Frage stellt, das Funktionieren der Gesellschaft stört. Keine seiner Leistungen für das Eigentum und für die Lohnarbeit schafft den sozialen Frieden, weil jede Maßnahme dem Gegensatz, dem er seine Existenz verdankt, eine neue Verlaufsform und dem Kampf der Lohnabhängigen einen neuen Grund gibt.
So nimmt sich der demokratische Staat, der die Koalitionen der Arbeiter nicht verbieten will, weil die rücksichtslose Niederschlagung von Arbeitskämpfen die Vermehrung des Eigentums ihres Mittels beraubt und Arbeiter zu Staatsfeinden werden lässt, des sozialen Konflikts an, indem er den Arbeitskampf gesetzlich regelt: er toleriert ihn, indem er ihm Grenzen vorschreibt; bannt die von ihm ausgehende Gefahr für das Privateigentum, indem er ihn soweit zulässt, wie er das Privateigentum und seine Vermehrung als seine Schranke anerkennt. Den Arbeitern gewährt er die Koalitionsfreiheit und erlässt Gesetze über deren zulässigen Gebrauch. Aus den feindlichen Klassen werden Sozialpartner durch die Gewährung der Tarifautonomie, den Zwang, in Verhandlungen Tarifverträge abzuschließen, die der einen Seite die Möglichkeit geben, in Veränderungen des Produktionsprozesses die Konkurrenz der Arbeiter auf dem Markt und im Betrieb auszunützen, die andere Seite aber für die Laufzeit des Vertrages mit der Friedenspflicht beglücken. Damit nun nicht jeder neue Vertragsabschluss, in dem die Manteltarife – die Mindestbedingungen, unter denen die Arbeiter sich zu verkaufen berechtigt sind – festgesetzt werden, automatisch zu Arbeitsniederlegungen führt, macht der Staat aus seiner Abneigung gegen die unerwünschte Störung der Geschäfte sogleich Gesetze, die den Gewerkschaften Streikauflagen bescheren, ohne deren Erfüllung ein Streik zum Gesetzesbruch wird. Ein Streik muss sozialadäquat sein, darf nicht auf Vernichtung des Sozialpartners abstellen (will heißen: seines Eigentums), und von der Rücksichtnahme auf Dritte die stets betroffen sind, muss er auch noch getragen sein. Wobei dem Rechtsstaat auch er selbst einfällt: die Wirtschaftslage der Nation und überhaupt die FDGO setzen den Ansprüchen der Arbeiter auf die Veränderung des Verhältnisses von Lohn und Leistung Grenzen und lassen das Interesse an einem passablen Lebensunterhalt von vornherein nur bedingt gelten. Während die ideologischen Fanatiker der Tarifautonomie in dieser den idyllischen Zustand einer Nichteinmischung der öffentlichen Macht in den Tarifkonflikt erblicken, zeigt das Tarifvertragsgesetz mit jedem Paragraphen, dass die vielgepriesene Tarifautonomie die Verrechtung des gewerkschaftlichen Kampfes darstellt, also die Einmischung des Staates in den vorgefundenen Klassenkampf ist, die seine Austragung zu einer Sammlung von Pflichten für die Koalitionen der Arbeiter macht. (Ihre Nichteinhaltung hat das zur Folge, was das staatstreue bis faschistische Pack ohnehin bei jedem Arbeitskampf verlangt.) Nicht nur zur fairen Verhandlungsführung sind die Vertreter der Gewerkschaften gehalten, sie können auch bei Unzufriedenheit mit den Angeboten der Gegenseite nicht umstandslos zum Druckmittel des Streiks übergehen. Mit ihrem Gegner müssen sie in ein Schlichtungsverfahren eintreten, bei dem ein mit dem Standpunkt des öffentlichen Interesses gewappneter Neutraler vermittelnde Vorschläge macht und andeutet, was geduldet werden kann. Erst wenn bei dieser Veranstaltung keine Einigung erzielt wird, ist der Eintritt in den Arbeitskampf gestattet, ein Schritt, der in der Urabstimmung (75 %) die nächste Hürde des Gesetzgebers zu überwinden hat. Was sich vom Standpunkt der Koalition ganz harmlos ausnimmt – es gilt, sich der Kampfbereitschaft der Mitglieder zu versichern bzw. sie herzustellen –, ist für den Staat ein Mittel, die Differenzen unter den Arbeitern bezüglich ihrer Ansprüche und Opferbereitschaft zur Erschwerung des Kampfes auszunützen. Nur wenn es der Gewerkschaft gelingt, die Einheit ihrer Mitglieder herzustellen, ist deren Kampf berechtigt, duldet der Staat die ultima ratio. Die während des Kampfes geführten Verhandlungen unterliegen ebenfalls dem Schlichtungszwang, so dass die aufgeregt verkündeten Positionen von Kapital, Gewerkschaften und Schlichter die unterschiedlichen Interessen der Arbeiter schnell in verschiedene Grade von Kompromißbereitschaft verwandeln. Diesen Prozess befördert noch die wegen der Gerechtigkeit erfundene Kampfmaßnahme der Aussperrung, durch die die Unternehmer vor allem die Organisierten und Nichtorganisierten gegeneinander ausspielen.
Das alles hindert die von der Tarifautonomie begeisterten Demokraten nicht, über dem Verzicht des Staates auf Zwangsschlichtung zu vergessen, dass er sich im Schlichtungszwang eine Form des Eingreifens geschaffen hat, die aus jeder Tarifverhandlung ein Mittel zur Verhinderung des Kampfes, zur kompromißlerischen Schonung des Eigentums gemacht hat. Selbst die ganz nebenbei erfolgte Definition des wilden Streiks, des ohne staatlich überwachtes Ritual geführten Arbeitskampfes, kann sie nicht davon abhalten, nach einem wohlgeordneten Streikrecht zu verlangen. Sie bemerken auch an den Urteilen der diversen Arbeitsgerichte zu Tarifkonflikten nicht, dass jede Regelung durch den Staat eindeutig nur in dem Sinne ist, dass beschränkende Vorschriften für die Gewerkschaften zu Papier gebracht werden. dass in dem juristischen, d.h. am Recht interessierten Gejammer über die mangelhafte Kodifizierung des Arbeitskampfrechts nur die Sehnsucht nach Verboten steckt, ist ein schwieriger Gedanke für Staatsillusionisten, die in der Gewährung der Tarifautonomie die Passivität des Staates entdecken (meist mit dem Hinweis auf die Nachteile illegaler Gewerkschaften), statt in der Verrechtung des Arbeitskampfes den staatlichen Zwang zum Kompromiß, zum sparsamen Gebrauch des Mittels Kampf und zur Loyalität anzugreifen.
Bei den westdeutschen Gewerkschaften ist diese Illusion so weit gediehen, dass sie sich um die Mitwirkung bei der staatlichen Gestaltung des sozialen Friedens bemühen und mit ihren Gegnern um die gebührende Berücksichtigung der arbeitenden Staatsbürger bei diesem Geschäft streiten, ja selbst die Tarifkonflikte als Kampf um die Anerkennung der Gewerkschaft, der Tarifautonomie, der demokratischen Rechte etc. austragen – auf Kosten der Arbeiter.
Wenn der Staat den gewerkschaftlichen Kampf den Notwendigkeiten seiner Gegner entsprechend verrechtet, ihn seinem Ziel der Aufrechterhaltung des Klassengegensatzes unterwirft, dann hat er nicht nur der Kampforganisation der Arbeiter den Bruch des sozialen Friedens erschwert, sondern auch dem Eigentum die Möglichkeit eröffnet, die gewöhnlich ohne Kampfmaßnahmen zustande gekommenen Kompromisse während der Laufzeit der Tarifverträge kräftig auszunützen. Die Unterwerfung der Arbeiter unter die tarifvertragliche Friedenspflicht fordert geradezu die Modifikation der Arbeitsbedingungen durch die Unternehmer heraus, so dass die Stätte der Produktion beständig Anlässe zu kämpferischen Vorhaben der Gewerkschaften liefert. Den Übergriffen des Kapitals auf die tarifvertraglich verbrieften Rechte der Arbeiter weiß der Staat dadurch zu begegnen, dass er ein Betriebsverfassungsgesetz erlässt, in dem niedergelegt ist, dass sich die Arbeiter die stete Störung des Betriebsfriedens durch ihren Herrn gefallen lassen müssen. Es wird ihnen das Recht auf eine betriebliche Interessenvertretung erteilt, die zur Erhaltung des Betriebsfriedens verpflichtet ist. Die Einrichtung des Betriebsrats, der gehört, informiert werden muss und gegen Gesetzesbrüche – die in der Fabrik offenbar ständig vorkommen – gerichtliche Schritte unternehmen darf (er darf auch darüber wachen, dass die Arbeiter nicht saufen, rauchen oder aus ihrem Interesse heraus Unfallverhütungsvorschriften übertreten), aber keinerlei Entscheidungsbefugnis besitzt, verlangt von den Arbeitern, die Konsequenz aus ihrer im Betrieb erfahrenen Unbill nicht im gewerkschaftlichen Kampf, sondern im vorgeschriebenen Beschwerdeweg zu ziehen. Der Betriebsrat ist der institutionalisierte Verzicht auf gewerkschaftlichen Druck am Arbeitsplatz, der den Lohnabhängigen mit der Ideologie verkauft wird, es gäbe die Möglichkeit des Ausgleichs im täglichen Kleinkrieg.
Da der Betriebsrat von den Angehörigen der Firma gewählt wird, steht für den demokratisch gesinnten Gewerkschaftler ebenso wie für den Revisionisten seine Qualität als Interessenvertretung außer Frage, weswegen sie sich heftig um diesen Posten bewerben und, statt etwas durchzusetzen – was die Institution nicht vorsieht –, für die entschiedene Unterstützung des gewerkschaftlichen bzw. revisionistischen Betriebsrats agitieren. Statt die spärlichen Mittel des Betriebsrates auszunutzen und ansonsten die Untauglichkeit solcher Organe für die Interessen der Arbeiter zu demonstrieren, verstärken sie noch die Propaganda des Gegners bezüglich der Überflüssigkeit des Kampfes, wobei sie den Beleg für ihre Bedeutung aus dem Vergleich mit korrupten, von der Unternehmensleitung vereinnahmten Betriebsräten ziehen, die ihrerseits ihr gutes Einvernehmen mit den Bossen als Grund für ihre Leistungen anpreisen. So hat der Staat mit dem Betriebsverfassungsgesetz den demokratischen Streit in die Produktion hineinzutragen verstanden, den Streit über die beste Art und Weise, ohne Arbeitskampf auszukommen, an dem sich ausgerechnet Gewerkschaftler mit Vorliebe beteiligen – ihr Traum heißt Mitbestimmung, die die Gegenseite mit dem fingierten Alptraum vom Gewerkschaftsstaat und einschlägigen Gerichtsurteilen in die Schranken weist.
d)
Mit seinen Maßnahmen zur Gewährleistung eines freien und damit beschränkten Lebens als einzelner Lohnarbeiter hat sich der Staat seiner Pflichten gegenüber den berechtigten Ansprüchen der Bürger auf Reproduktion noch nicht vollständig entledigt. Da die Freiheit, zu lieben, wen man will, die Lohnarbeiter ihren tristen Alltag vergessen lassen könnte, muss sie der Staat praktisch daran erinnern, dass ihr Wunsch nach Liebe und Kindern sich ihrer Funktion für die Gesellschaft unterzuordnen hat. Da Kinder erst noch zu gesellschafts-, d.h. konkurrenzfähigen Individuen werden müssen und dafür der Pflege, der Erziehung und des Unterhalts bedürfen, unterwirft der Staat die Liebe den Notwendigkeiten der Selbsterhaltung seiner Bürger und verpflichtet den Mann darauf, die Kosten für Kind und Mutter zu tragen, und die Frau darauf, nicht nur Pflege und Erziehung der Kinder zu übernehmen, sondern auch als Reproduktionsgehilfin des Mannes zu fungieren. Durch die rechtliche Regelung des dem bürgerlichen Nützlichkeitsprinzip widersprechenden Verhältnisses von Mann und Frau als arbeitsteiligem Reproduktionszusammenhang befreit der Staat sich und das Eigentum von der Sorge um die gesellschaftliche Last der Nichtarbeiter und sorgt für einen Nutzen der Liebe, der die Beteiligten teuer zu stehen kommt. Die Institution der Bürgerlichen Familie, die denen wenig Schranken auferlegt, die ihr den Namen gegeben haben, vollendet für das niedere Volk die Trostlosigkeit des Lohnarbeiterdaseins durch die Alternative, sich mit Verzicht auf Liebe und Kinder ein paar Genüsse mehr leisten zu können – als Junggeselle, der „keine mitbekommen“ hat – oder Zuneigung darin zu beweisen, dass man gestiegene Sorgen lebenslang teilen und Familienpflichten erfüllen muss.
Durch das Familienrecht macht der Staat die das bürgerliche Leben gefährdende Betätigung der Besonderheit zum Mittel der Reproduktion der Arbeiterklasse. Es verbindet die Freiheit der Liebe mit ihrer Regelung als dauerndes Ehe-und Familienverhältnis, das Mann, Frau und Kind gewaltsam als Privatpersonen definiert und ihnen Rechte und Pflichten auferlegt, welche das Gefühl zur Grundlage eines Systems wechselseitiger Ansprüche und Einschränkungen machen und damit zerstören, weswegen auch nicht wenige erst heiraten, wenn ein Kind unterwegs ist. Der Staat erlaubt die Beziehung zwischen Mann und Frau nur gemäß den Bestimmungen eines familienrechtlichen Vertrags, der Ehe, die Liebe und Treue in die Verpflichtung zur „ehelichen Lebensgmeinschaft“ und zum Unterhalt verwandelt, und erklärt andere Beziehungen zum vor-oder außerehelichen Geschlechtsverkehr, aus dem ebenfalls Pflichten erwachsen können. Durch die Festlegung des Mannes auf die Sorge um den Verdienst, der Frau auf die Leitung des Haushalts und durch die ihnen gemeinsam zugesprochene elterliche Gewalt über das Kind sorgt er dafür, dass die zur Familie Zusammengeschlossenen durch ihre wechselseitige liebevolle Beschränkung den Anforderungen des Arbeitslebens genügen, das auf sie wenig Rücksicht nimmt.
Das Kind, welches zu den notwendigen Unkosten der Gesellschaft zählt, wird der elterlichen Willkür unterworfen, bezahlt also seine Aufzucht und Erziehung zur Selbständigkeit in der Konkurrenz mit der jahrelangen unmittelbaren Abhängigkeit von Mitteln und Erwartungen der Eltern, denen es zur Last fällt und die daher von ihm Gehorsam und nützliches Konkurrenzstreben verlangen, um es schnell los zu werden, sowie mit der Beschneidung seines freien Willens bis zur Mündigkeit, weswegen es mit zunehmendem Alter immer weniger Grund zur erwarteten Dankbarkeit und Achtung vor den Eltern hat. Die Aufsässigkeit und der Drang nach Unabhängigkeit vom Elternhaus – nach einer „behüteten“ Kindheit – gehören ebenso zur Jugend wie die erzwungen schnelle Ernüchterung über die Freiheit des eigenständigen Lebens in der Konkurrenz, das sie sich als Befreiung von den Vorschriften im Elternhaus, als Glück, endlich auf eigenen Beinen zu stehen, ausmalt. Der Mann erkauft sich mit der Schmälerung seines Verdienstes, der nicht mehr nur für ihn allein nicht reicht, ein beengtes häusliches Dasein neben seinem Berufsleben, das ihm, statt die erwünschte Entspannung vom außerhäuslichen Arbeitsleben zu verschaffen, mit den Sorgen und Nöten von Frau und Kind konfrontiert, die von ihm mehr als nur das Haushaltsgeld fordern. So wird die Sphäre der Familie zur zusätzlichen Belastung, deren wenige Annehmlichkeiten beständig durch die wechselseitigen unerfüllbaren Ansprüche versauert werden, weswegen der Mann neben Fernsehen und Kneipe sogar der Arbeit angenehme Seiten abgewinnt. Die Frau wird durch die „Schlüsselgewalt“ im Haushalt auf ein Dasein im Dienst von Mann und Kind festgelegt und zur eintönigen Ableistung bornierter und gleichwohl mühseliger Tätigkeiten verpflichtet. Sie findet ihre gesellschaftliche Funktion und damit Anerkennung im persönlichen Opfer für das Wohlergehen der Familienmitglieder, in der Plackerei mit den unvernünftigen Kindern, in der täglichen Sorge, mit wenig Geld dem von der Arbeit kaputten Mann einen bequemen Feierabend und brave Kinder zu verschaffen, ihm die häuslichen Nöte abzunehmen und sich zum Dank dafür auch noch für sein Entspannungsbedürfnis ansehnlich und bereit zu halten.
Weil sich die Familienmitglieder nun einmal umeinander kümmern müssen, erleichtert der Staat seine strapazierten Finanzen außerdem dadurch, dass er für alle Wechselfälle des Arbeiterlebens, deren es ja festgestelltermaßen recht viele gibt, vor Inkrafttreten seiner segensreichen Sozial-und Fürsorgemaßnahmen die Familie zur Kasse bittet und dabei klarstellt, wofür die Förderung des Familiensparens nützlich ist.
Mit zusätzlichen Maßnahmen sorgt der Staat dafür, dass die mit dem Ehe-und Familienrecht für die Reproduktion der Lohnarbeiterklasse dienstbar gemachte Liebe ihren Nutzen nicht verliert. Den gestiegenen Lebenshaltungskosten bei wenig höherem Lohn wirkt er durch Steuererleichterungen entgegen, die den Unternehmern höhere Lohnkosten ersparen und dem Staat durch den Mehrkonsum der Familie wieder zufließen. Die Bereitschaft, die Lasten von Kindern auf sich zu nehmen, befördert er durch Kinderfreibeträge und Kindergeld, welche wegen der staatlichen Gewißheit, dass die Freiheit der Liebe trotz aller unangenehmen Folgen für die Beteiligten zum Nachwuchs an Staatsbürgern führt, recht mager ausfallen. So honoriert er die Leistung der Eltern für die Gesellschaft, ohne sie der Sorgen zu entheben, und ergänzt diese Prämien durch Ausbildungsförderung, wo die Abhängigkeit der Kinder von den Mitteln der Familie ihre Brauchbarmachung auf weiterführenden Schulen beeinträchtigt. Und da Arbeiter weder weitläufige Wohnungen mit Garten noch Zeit zum Ausflug ins Grüne haben, errichtet er wenige und freudlose Spielghettos, in denen die Kinder abgestellt werden können.
Da solche Unterstützungen weder den Zweck noch das Ergebnis haben, den Familien ein annehmliches Leben zu verschaffen, muss sich die Arbeiterfamilie dadurch erhalten, dass auch die Frau, soweit irgend möglich, sie vernachlässigt und mit schlechtbezahlter Arbeit das Haushaltsgeld aufbessert, so dass die Institution Familie den Unternehmern billige und willige Arbeitskräfte und den Arbeitern eine preisdrückende Konkurrenz verschafft, den Arbeiterfrauen aber die Doppelbelastung von Lohnarbeit und häuslicher Arbeit aufbürdet – wenn sie nicht aus Liebe zum Kind sich und ihrer Familie das Notwendigste versagen wollen. Die Anforderungen der Familie, um deretwillen die Frauen mitverdienen, ,verkehren’ sich dabei zum beständigen Hindernis ihrer Arbeitsfähigkeit, weswegen der Staat den Zwang zur Zerstörung der Familie durch Maßnahmen ergänzt, die die Belastung durch Kinder zugunsten der wirtschaftlichen Nützlichkeit der Frauen vermindert und durch die dafür der Familie erwachsenden zusätzlichen Kosten die erzwungene Bereitschaft der Frauen, alle Freizeit in Arbeitszeit zu verwandeln, verstärkt. Er begegnet dem Gegensatz der Anforderungen des Arbeitslebens zum unprofitablen Kinderkriegen durch Mutterschutzbestimmungen, die der Mutter ermöglichen, sich eine nicht zu lange Weile ausschließlich Kind und Mann zu widmen, ohne dadurch den Anspruch auf ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Diese Bemühung um die Verfügbarhaltung der Frauen komplettiert er durch die Anwendung der Bestimmung, dass Frauen nur dann arbeiten dürfen, wenn sie die Versorgung ihrer Kinder nach-weisen können, in solchen Zeiten, wo wegen des Überschusses an Arbeitskräften die Frauen arbeitslos und für die Familie wieder nützlich zu machen sind und zwecks Einsparung von Arbeitslosengeld das Hausfrauendasein für den Staat wieder als ehrlicher Beruf gilt. Um den Frauen in Zeiten, wo das Kapital sie brauchen kann, die Arbeit auch dann zu ermöglichen, wenn sie zu Hause unabkömmlich sind, unterhält und unterstützt der Staat Kindergärten, die gegen ein erkleckliches Entgelt die Kinder in Verwahrung nehmen und für ihre spätere Aufgabe in der Gesellschaft zurichten helfen.
Da der Staat mit der Familie neue Lasten, also die beständige Gefährdung der Gefühlsbindung, die die Belastung aushaltbar macht, institutionalisiert hat, kümmert er sich auch darum, dass die nützlichen Seiten der Familie auch ohne das Gefühl erhalten bleiben. Er ergänzt die Freiheit des Privatlebens, also die Institutionalisierung der wechselseitigen Quälerei, durch Erziehungs- und Eheberatung in Medien und staatlichen Stellen, die mit Ratschlägen zum Zurechtkommen die kirchlichen Moralveranstaltungen ergänzen bzw. ersetzen, und regelt durch Bordellauflagen die familienfördernden Ersatzvergnügungen als zwielichtiges bürgerliches Gewerbe. Damit die persönliche Bindung mit ihren Verpflichtungen auch dann fortbesteht, wenn sie keine Bindung mehr ist, machen die Scheidungsgesetze die Trennung von rechtlichen und finanziellen Kautelen abhängig, die die Minderbemittelten der Gesellschaft aneinanderketten, indem sie das Festhalten am Willen zur Aufgabe zerrütteter Verhältnisse die Familienmitglieder büßen lassen – jeden auf seine Weise. Wo der persönliche Zwang, den die Familienmitglieder sich antun, zu offener Gewalttätigkeit gegen die Kinder wird, fühlt sich der Staat im äußersten Fall zu Eingriffen in das Elternrecht bemüßigt und vollendet durch Jugendwohlfahrtsbehörden das in der Familie begonnene Verwahrlosungswerk. Auch denjenigen, die ihr Kind nicht nachträglich legalisieren und sich aneinander binden wollen, erlegt er die Verpflichtung auf, notdürftig für sie zu sorgen – Vaterschafts-und Unehelichengesetzgebung, Heime für ledige Mütter – und straft die Kinder, die keine Eltern oder mildtätigen Verwandten haben, mit der Obhut seiner Waisenhäuser.
Im übrigen ist die Familie – wie alle allgemeinen Einrichtungen des Staates – für diejenigen, die keine Reproduktionssorgen haben, auch keine Belastung, sondern ein Segen. Die Kinder, Garanten des Familieneigentums, fallen nicht der Mutter zur Last, sondern werden durch Dienstmädchen und gegebenenfalls Internat frühzeitig und bequem für die Eltern auf ihr Nachfolgerdasein vorbereitet; die Gattin dient und verhält sich als Repräsentationsobjekt in und außerhalb der Villa, die Scheidung ist eine Frage des Steuer-und Vermögensberaters und die sexuelle Entspannung selbstverständlich geduldete Begleiterscheinung der nützlichen häuslichen Idylle bzw. ein Posten auf dem Spesenkonto.
Wenn der Staat aus dem Verhältnis der Geschlechter seine Keimzelle macht und den lebendigen Produktionsinstrumenten die Pflicht auferlegt, ihre menschlichen Regungen der Erhaltung der Rasse zu widmen, betreibt er vollends die Zerstörung des Materials, dessen Unterwerfung unter das Eigentum er zum Zwecke seiner Verwendung befördert. Die Institution Familie verhindert beständig die Wiederherstellung des Arbeiters für die Lohnarbeit, sie macht die Produktion und Aufzucht potentieller Lohnarbeiter von der Willkür und dem Nutzendenken der Eltern abhängig und beeinträchtigt die Dienste der Frauen fürs Eigentum durch ihre gesellschaftliche Bornierung und Festlegung auf den häuslichen Wirkungskreis, in dem sie zugleich nicht aufgehen dürfen. Die Familiensphäre ist daher Gegenstand staatlicher Propaganda, die seine bevorzugten Bürger zur Unmöglichkeit eines familien- und gesellschaftsgerechten Verhaltens bewegen soll –wobei je nach Konjunkturlage mehr das eine oder andere verlangt wird. Die trostlose Realität des Familienverhältnisses, der Unterdrückung der Kinder durch ihre Eltern und der den Frauen aufgeherrschten spezifischen Ausbeutung, eine Realität, die wegen der Gefühlsbasis die Form persönlicher Quälerei hat, findet ihre Bestätigung in den öffentlichen Lobeshymnen über den höheren Wert des Familiendaseins für die Gemeinschaft. Mit den ideologischen Veranstaltungen zur Verherrlichung der Mutterliebe, zur Beschwörung des tieferen Sinns mitmenschlicher Aufopferung, zur Anpreisung eines erfüllten Daseins im Kreise der Lieben neben der unpersönlichen, technisierten Welt bekunden Konservative ihr Interesse an der freudigen Zustimmung und gesellschaftsdienlichen freiwilligen Unterwerfung der Betroffenen unter diese Brutalitäten – weswegen auch stets die Klage darüber auf dem Fuß folgt, dass die Familie heutzutage immer mehr vor die Hunde geht und dem Materialismus zum Opfer fällt. Mit kirchlicher Unterstützung verbreiten sie sich gegen die wachsende Unsittlichkeit, die überhandnehmende Berufstätigkeit der Frauen und Mütter, die Liberalisierung der geschlechtsspezifischen Erziehung, des Scheidungsrechts und des § 218 und verlangen die Rettung der familiären Autoritätsstrukturen, auf denen der Staat beruhe, auf Kosten der Familienmitglieder. Nicht selten stellt sich hier auch noch die Überlegung ein, dass die Renten künftiger Generationen, die künftige Arbeit und die Bundeswehr auf dem Spiel stehen und keiner mehr Nachwuchs für Deutschland zeugen will. Und dass es die Frauenfrage in der bürgerlichen Gesellschaft gibt, weil der erzwungene Sonderdienst für die Konkurrenz die Frauen zu dieser in Gegensatz stellt, beweisen auch die staatlichen Propagandisten der modernen Frau und Familie, die im eigens dafür veranstalteten Jahr der Frau mit Partnerschafts-, Gleichberechtigungs- und Emanzipationsphrasen für die Doppelbelastung der Frau und für die bessere Unterordnung der Familie unter deren gesellschaftlichen Zweck agitieren. Die Agitation im Jahr des Kindes vollzieht die entsprechenden Korrekturen.
Solche Sprüche fallen nur bei denen auf fruchtbaren Boden, die –der unmittelbaren Existenzsorge enthoben – sich von der Familie wenig Lasten und viel Freuden versprechen können, als Frau die Wahl haben, das wenig anstrengende, aber langweilige Hausfrauendasein auch einmal zu verlassen, bzw. als Mann eine etwas „aufgeschlossenere“ Frau wünschen und die gemeinsam – mit partnerschaftlich geduldeten oder geförderten Seitensprüngen nebst Ehekrächen und mit ein oder zwei verhätschelten und, wenn zu anstrengend, vernachlässigten Kindern – durchs Leben gehen, falls nicht die Langeweile der faden Befriedigung mit Scheidung endet. Diese Leute, die sich diese leichten Formen des Zurechtkommens mit den Zerstörungen der Familie leisten und die zur Familie gehörende Unmoral als Familie praktizieren können, bilden auch das Rekrutierungsfeld der Frauenbewegung, die der Frauenfrage – der durch das nützlich gemachte Liebesverhältnis erzwungenen Abhängigkeit der Frau vom Mann – so begegnen, dass sie den Nutzen der Frauen als Frauen, die Ablösung der Gefühle von der Besonderheit einer anderen Person und damit die Unmoral geistiger Bedürfnisbefriedigung als Befreiung verkünden und dafür gleich die ganze Welt von Kapital und Staat zum Gegensatz von Schwanz und Loch verharmlosen und inzwischen Illustrierte machen, in denen sie für die Gleichberechtigung der Frau auf den Illustrierten-Titelseiten und in der Bundeswehr Reklame machen. Die Rückkehr zur Eigentlichkeit der Frau, zum spontaneistisch erfüllten Mutterglück, hat der Frauenbewegung die Salonfähigkeit eingebracht.
Die Revisionisten dagegen bewähren sich auch hier als solche und reihen die Frauenfrage in die endlose Zahl der Ungleichheits- und Ungerechtigkeitsskandale ein, die der Demokratisierung harren. Diesen Nichteinsatz für die Interessen der Arbeiter vervollständigen sie mit dem hohen Lob der solidarischen Arbeiterfamilie – wofür sie Engels als Vorläufer reklamieren können – und mit dem spießbürgerlich moralisierenden Lamento über die Unsittlichkeit der höheren Schichten, das auffällig den faschistischen Gedanken von Volksgesundheit und Sittenreinheit ähnelt. Dadurch unterstützen sie auf ihre Weise die familiäre Einstellung derjenigen, die eine brauchen, weil sie sonst nichts haben.
Denn da die Arbeiter zum Erhalt der Familie dadurch beitragen, dass sie sich auch außerhalb ihrer Dienste für das Eigentum dessen Anforderungen unterwerfen und sich in den eigenen vier Wänden zusätzlich kaputtmachen, und da die Gleichberechtigung der Proletenfrau im Zwang zum schlechterbezahlten Arbeitsvertrag bei zusätzlicher häuslicher Plackerei verwirklicht ist, müssen diese Menschen auch auf dem Feld der Moral einiges leisten, um solche Selbstaufgabe zu vollbringen Sie träumen nur kurz von den Beglückungen der Liebe, die den grauen Arbeitsalltag verschönern sollen, und bereiten sich schon dabei auf ein entsagungsreiches Leben mit Familie vor, bei dem jeder entsprechend seinen Aufgaben wenig zu erwarten hat. Wenn es soweit ist, leistet sich der Arbeiter in begehrlichen Blicken auf dickbusige Frauen, in derben Witzen und im Wirtshaus wenig befriedigende Ersatzbefriedigungen und verlangt von seiner Frau Fleiß, Sparsamkeit, Sauberkeit, Anspruchslosigkeit, adrettes Aussehen usw. – kurz alle Tugenden, die ihm das häusliche Dasein erträglich gestalten sollen, von seinem Kind aber, dass es sich nützlich macht und nicht auffällt, bis es selbst – möglichst bald – nützlich ist. Die Frau, zur Mutter erzogen, nimmt um der Familie willen das Los doppelter Beschäftigung auf sich, erwartet für ihren Opfersinn Anerkennung von Mann und Kind und tröstet sich in den paar freien Minuten mit Fernsehen und Illustrierte. Da aber die Tugenden Erfordernisse der Not sind und daher weder Nutzen noch Zufriedenheit verschaffen, gibt es nicht wenige Arbeiter, die ihr Geld lieber in der Kneipe oder im Bordell statt zu Hause verjubeln, nicht wenige Arbeiterfrauen, die Wohnung und Kinder verkommen lassen, nicht wenige Arbeiterkinder, die nicht nur ihren Eltern Kummer machen – und neben bestimmten Sparten in der Kriminalstatistik, neben Familien-und Jugendserien der Medien das tägliche Gedudel der Schlager, in denen die Welt voller Liebe und sonst nichts ist.
e)
Die Untersuchung der Tätigkeiten, durch die der Rechtsstaat die Freiheit seiner Bürger herstellt, die ihm alle gleich gelten, hat den Begriff des Sozialstaats geklärt. Die Banalität, dass „sozial“ nichts weiter bedeutet als „die Gesellschaft betreffend“, dass ein Sozialstaat also die Gesellschaft zum Zweck und Inhalt seines Wirkens macht, hat sich ebenso bestätigt wie der Verdacht, dass er es nicht auf das Funktionieren irgendeiner Gesellschaft abgesehen hat, sondern sich eben redlich um die Erhaltung der Gesellschaft kümmert, die den Grund für seine Existenz darstellt, deren Mitglieder ihn wollen, weil sie ihn brauchen, und ihn deshalb mit Gewalt über sich ausstatten. Während der ideelle Gesamtkapitalist die Konkurrenz der Kapitalisten stets zu deren grundsätzlicher Zufriedenheit regelt, was ihm diese damit danken, dass sie ewig jammern, sind seine sozialstaatlichen Wohltaten Befriedungsinstrumente und als solche Organisationsformen der modernen Armut. Die Zufriedenheit, mit der für diese Organisation der Armut geworben wird, gibt sich daher auch immer den Ausdruck gebändigter, relativierter Unzufriedenheit, nämlich im Vergleich mit den alten Formen des Manchesterkapitalismus. Wenn –wie in Deutschland – die Durchführung der ersten bedeutenderen sozialstaatlichen Einrichtungen eine flankierende Maßnahme der Sozialistengesetze waren und ausdrücklich der alten Sozialdemokratie das Wasser abgraben sollten, so geht daraus nicht nur hervor, was ein Sozialstaat mit Klassenkampf zu tun hat, sondern auch, dass die Zugeständnisse in diesem Bereich für den Staat eine relative Angelegenheit sind. Vom Standpunkt seines demokratischen Grundauftrags aus (vgl. § 8) ist den Politikern das Sparen beim Kompensieren immer wieder eine konjunkturbedingte Herzenssache. dass dennoch immer wieder Bürger dieses Staates mit dem Ansinnen an ihn herantreten, er möchte sich um die Herstellung einer anderen Gesellschaft verdient machen, braucht uns nach seiner Erklärung noch weniger zu verwundern: Der Staatsbürger, der auf die neben die Gesellschaft getretene öffentliche Gewalt angewiesen ist, um sich in der Konkurrenz gegen andere durchzusetzen, wäre keiner, wenn er nicht den Nutzen des Staates für seine Interessen als die eigentliche Aufgabe desselben ansähe. dass er die Beschränkungen, die der Staat ihm als Pflicht auferlegt, wenn er anderen ihr Recht zubilligt, als unsoziale Maßnahmen geißelt und seine erwünschten Vorteile zu einem Ideal des Sozialstaats formt, ist die notwendige Konsequenz seines Bezugs auf den Staat als positives Mittel seiner gesellschaftlichen Existenz, sooft ihm dieses Mittel die Dienste versagt und ihm praktisch beweist, dass es nicht sein Mittel ist. Und auch die moralische Überhöhung dieses falschen Bewusstseins, das Ideal der sozialen Gerechtigkeit, mit der entsprechenden Überzeugung, sein Nutzen sei der aller, kann bei dieser Stellung des Bürgers nicht ausbleiben.
Solchen Konfrontationen staatlichen Wirkens mit seinem Ideal bzw. seinen Idealen ist, solange sie im Gerangel der bürgerlichen Parteien stattfinden, leicht nachzuweisen, dass sie streitenden Staatsmännern, die – jeder auf seine Weise effektiver als der andere – mit dem Gegensatz von Kapital und Arbeit sowie mit den kleineren Konflikten des bürgerlichen Lebens per Gewalt „fertig werden“ wollen, gut zu Gesicht stehen. Ihr Streit darum, wer die meisten Maschen des sozialen Netzes gestrickt habe, ist allemal einer um die Frage, wer den Leuten auf die beste Weise aufs Haupt zu hauen versteht. Anders liegt die Sache bei denen, die die Frage nach der Verwirklichung des Sozialstaats für eine eminent systemsprengende Angelegenheit halten und aus ihrem Ideal ein Kampfprogramm verfertigen, das den Kapitalismus aus den Angeln heben soll. Die revisionistischen Anstrengungen, Freiheit, Gleichheit und soziale Gerechtigkeit zu verwirklichen, erhalten ihren Adressaten die Illusion, der Staat sei für sie da, leugnen seinen Charakter als Sicherung der Klassenverhältnisse und hetzen sich und ihre Anhänger in Auseinandersetzungen um soziale Rechte, die entweder mit furchtbaren Niederlagen enden oder – wo in schwachen Staaten den Revisionisten ein Erfolg beschieden ist – den Arbeiter-und Bauernstaat zur Konsequenz haben. Der Kampf um Recht stützt sich dabei auf den Hinweis, dass er geht – und aus der Anwendung der Gewalt durch die Arbeiterklasse, die dem Feind Konzessionen in Sachen Existenzabrang, wird eine Geschichte der Verwirklichung von Rechtsidealen statt eine Geschichte von Klassenkämpfen. Die besondere Gemeinheit dieser Stellung zur Lage der arbeitenden Klasse besteht darin, all das, was diese sich erkämpfen musste, zu feiern und das Prädikat ,erkämpft’ als ein dickes Plus bei all dem Zeug zu vermerken, was der bürgerliche Staat den Proleten beschert.
Die Übersetzung dieser falschen Kritik am Staat in die Sphäre des gelehrten Marxismus wirkt schon fast komisch: da gibt es „Schwierigkeiten“ bei der Ableitung des Staats als Klassenstaat, deren Grund in der Vereinseitigung von Fehlern bürgerlicher Wissenschaft liegt, und die – unüberwundene – Zweifel an der Ableitbarkeit (= Erklärbarkeit) des Klassenstaates aufkommen lassen, die inzwischen zu Ge- und Verboten von Staatstheorie gereift sind: Einer will „die marxistische Diskussion aus der einseitigen Bahn der sogenannten korrekten Ableitung ökonomischer Prozesse und politischer Entwicklungen aus der „Kapitalbewegung so weit wie möglich entgleisen lassen“; ein anderer stellt folgende sinnige Frage, bevor er sich nicht mit dem Staat befasst: „Wenn der Staat als Instrument der Klassenherrschaft begriffen wird, wie sind dann Maßnahmen zu interpretieren, die durch den oder mittels des Staates zugunsten der Arbeiterklasse durchgeführt werden?“, meint: „Auch diese unter dem Schlagwort des ,Sozialstaats’ geführte Debatte ist keineswegs abgeschlossen.“ Man sollte ihm und all den anderen, die dem Staat Funktionen andichten, die er nicht hat, und deswegen seine Funktion nicht entdecken, darüber mit Marx ins Gedränge geraten und sich politologisch voran arbeiten, einen Brief schreiben, dass die Debatte abgeschlossen ist. Die marxistische Staatsdiskussion ist trotz aller Zitate von Marx kritische Politologie und sonst nichts ist; dass sie deswegen auch in die bürgerliche Diskussion darüber gehört, ob denn der Klassenstaat des 19. Jahrhunderts noch existiere, ob denn bei der Zunahme der Staatstätigkeit in den letzten hundert Jahren nicht ein Wandel zum Sozialstaat zu vermerken sei, soll hier auch einmal gesagt werden: das Desinteresse am Gegenstand (theoretisch) und das Interesse an ihm (praktisch) vereinen sich zum reaktionärsten Mist, der seit der Heraufkunft des Revisionismus geschrieben wurde. Gipfel: die Überlegung, ob denn angesichts sozialstaatlicher Fürsorge die Arbeiter noch Grund hätten, revolutionäres Subjekt zu spielen!
Deshalb sei der Begriff des Sozialstaats, die Verwirklichung der sozialen Gerechtigkeit, noch einmal in den Worten des großen Propheten Martin Luther zusammengefasst, der wusste, was Gleichheit mit Freiheit zu tun hat:
„Was ist Gerechtigkeit anderes, als dass jeder tue in seinem Stand, was er schuldig ist.“