Trumps „America first!“ im Fall Syrien
Die Maxime „America first!“ zeigt ihre Wirkung auch in Syrien. Dort kehrt allmählich Frieden ein. Warum der keinem der staatlichen Akteure passt, die dort mit mehr oder weniger Gewalt ‚um Frieden ringen‘, beantwortet der Artikel.
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Systematischer Katalog
Trumps „America first!“ im Fall Syrien
Trump kündigt im Dezember 2018 den sofortigen Rückzug – innerhalb von 30 Tagen – der amerikanischen Truppen aus Syrien an. Interessant sind die drei einander widersprechenden Begründungen, die Trump für seine offensichtlich am außen- und sicherheitspolitischen Establishment vorbei getroffene Entscheidung vorbringt: a) Die USA haben den IS besiegt, b) Rivalen bzw. Gegner wie Russland und Iran sind nun gezwungen, den IS allein zu bekämpfen, c) Erdoğan hat ihm zugesichert, dass die Türkei die Sache mit dem IS übernehmen und erledigen wird. Im Original:
„We have defeated ISIS in Syria, my only reason for being there during the Trump Presidency.“ (19.12.18) „Does the USA want to be the Policeman of the Middle East, getting NOTHING but spending precious lives and trillions of dollars protecting others, who, in almost all cases, do not appreciate what we are doing? Do we want to be there forever? Time for others to finally fight. Russia, Iran, Syria and many others are not happy about the U.S. leaving, despite what the Fake News says, because now they have to fight ISIS and others, who they hate, without us. I am building by far the most powerful military in the world. ISIS hit us they are doomed.“ (20.12.18) „President @RT_Erdogan of Turkey has very strongly informed me that he will eradicate whatever is left of ISIS in Syria....and he is a man who can do it plus, Turkey is right ‚next door.‘ Our troops are coming home!“ (23.12.18) [1]
Diesen aufeinanderfolgenden Stellungnahmen – samt den nachfolgenden Dementis und Dementis der Dementis einschließlich der begleitenden Aktionen der Amerikaner ‚on the ground‘ – ist zu entnehmen, wie der Präsident, exemplarisch am Fall Syrien, Amerikas weltpolitische Interessenlage definiert und welchen Status im Verhältnis dazu er den anderen engagierten Mächten zuweist.
1.
Der Oberbefehlshaber der Militärmacht USA erklärt – auf Twitter-Dimension verkürzt, wie es seine Art ist, aber unmissverständlich –, dass die inneren Verhältnisse Syriens nicht das Zielobjekt des militärischen Engagements seiner Nation in dem nahöstlichen Land sind: „Nation-Building“ sowieso nicht, aber auch nicht irgendwelche „roten Linien“, deren Überschreitung durch den örtlichen Machthaber Amerika zu irgendetwas verpflichten würde. Als einzigen Grund amerikanischer Präsenz in Syrien lässt er die Liquidierung des Unternehmens einer islamistischen Quasi-Staatsgründung am Euphrat gelten. Und was die betrifft, nimmt er sich – in der Tradition der „mission accomplished“-Verkündungen seiner Vorgänger – die Freiheit, ohne kleinliche Begutachtung des aktuellen Frontverlaufs den Feind für erledigt zu erklären. Bedenken seiner Militärs spielen für diese Entscheidung keine Rolle; was in umgekehrter Richtung bedeutet: Der Chef erwartet von seiner Truppe die umstandslose Einlösung seiner Tatsachenfeststellung; dass irgendetwas dagegen sprechen könnte, liegt außerhalb seines Selbstbewusstseins als Präsident der größten Militärmacht der Weltgeschichte. Erst recht ohne jeden Belang für die Siegesmeldung ist der Umstand, dass die USA ihr Syrien-Engagement zusammen mit Verbündeten begonnen und als Exempel für die rechtlichen Erfordernisse einer freiheitlich-friedlichen Weltordnung ins Werk gesetzt haben: Mit seiner souveränen Entscheidung – „habe fertig!“ – erneuert Trump seine Absage an einen solchen allgemeinen, kollektiv zu verwirklichenden Ordnungsanspruch, mit dem immerhin seine Vorgänger seit Jahrzehnten, bis Obama einschließlich, die Ausrichtung der Staatenwelt auf Amerika als Führungsmacht betrieben haben. Die Partnerstaaten, die die USA auch und gerade in der nahöstlichen Region in ihr fortdauerndes Weltordnungsprojekt involviert und für ihre Rolle als global und für alles zuständige Macht funktionalisiert haben, sind damit konfrontiert, dass sie nicht einmal einer unverbindlichen Beratung gewürdigt werden. Trump stellt sie nicht – wie sein Vor-Vorgänger – vor die Alternative ‚Unterwerfung oder Irrelevanz‘; er weist ihnen gleich den Status der Bedeutungslosigkeit für amerikanisches Herumfuhrwerken im Gewalthaushalt der Staatenwelt zu.
Von der Funktion des „Policeman“ – dies der meist kritisch eingefärbte Ausdruck für Amerikas tatkräftig exekutierten Führungsanspruch in der Welt – spricht der Präsident seinen Staat ganz ausdrücklich los. Und das mit einer bemerkenswerten zweistufigen Begründung. Er führt den Aufwand an amerikanischem Geld und wertvollen – gemeint sind amerikanische, nicht die der engagierten Hilfssheriffs und schon gar nicht die auf der Gegenseite – Menschenleben an, dem in seiner Wahrnehmung überhaupt kein irgendwie erwähnenswerter Ertrag gegenübersteht. Was er dem amerikanischen Kostenaufwand stattdessen gegenüberstellt, ist der Nutzen anderer, die ihre eigenen Interessen – welche auch immer – in Syrien verfolgen, aus eigenen Gründen die Vernichtung der militanten Kalifat-Anhänger betreiben und dafür praktisch umsonst von den Leistungen der USA profitiert haben. Diese Leistungen, in der Sache also Amerikas Auftritt wahrhaftig nicht nur als Weltpolizist, sondern als maßgeblicher Aufseher, Ankläger, Richter und Vollstrecker in allen Gewaltaffären auf dem Globus, verwirft Trump – einmal mehr und im konkreten Fall – als Fehler, mit dem seine konkurrenzlos mächtige Nation sich zum allseits ausgenutzten nützlichen Idioten auswärtiger Mächte gemacht habe. Einen Rückzug von der Position der überall eingriffsfähigen und -bereiten militärischen Übermacht kündigt er damit nicht an, im Gegenteil: Dass er auflöst, was ihm als Verstrickung in fremde Händel erscheint, verbindet er sofort mit der Ansage, er sei dabei, „by far the most powerful military in the world“ zu schaffen. Partnern wie Gegnern wird damit auf Dauer ihre hoffnungslose militärische Unterlegenheit bescheinigt; und mit ihrer wenig schmeichelhaften Einordnung als Schmarotzer an Amerikas Ordnungsgewalt wird ihnen jede Aussicht auf irgendeine Art von Berücksichtigung bei, geschweige denn Teilhabe an den Unternehmungen und Leistungen der Supermacht genommen.
Dass Trump in seiner Ansage, wer sich an den islamistischen Terroristen in Syrien stört, habe sich ab sofort selbst und allein darum zu kümmern, „Russia, Iran, Syria and many others“ in einem Aufwasch nennt, verdeutlicht seinen differenzierten Blick auf die Staatenwelt. Der syrischen Regierung erklärt er sein grundsätzliches Desinteresse an ihrem – zunehmend erfolgreichen – Überlebenskampf. Den eigenmächtig und aus eigener Berechnung eingemischten Kriegsparteien Russland und Iran spricht er, was den Fall Syrien betrifft, damit aber durchaus exemplarisch und ziemlich grundsätzlich, den Rang ernst zu nehmender Konkurrenten Amerikas ab. Von der Feindschaft speziell gegen die Mullah-Republik nimmt er damit nichts zurück, macht im Gegenteil klar, dass er deren und Russlands Verwicklung in Syrien als Belastung für die Ressourcen seiner Gegner und insofern als vorteilhaft für Amerika ansieht und jedenfalls überhaupt nicht als Gelegenheit oder passendes Szenario für deren Bekämpfung; die findet, gar nicht indirekt und stellvertretungsweise, anders und auf anderen Schauplätzen statt. Den türkischen Präsidenten würdigt Trump immerhin als Helfershelfer mit dem richtigen Ehrgeiz und den nötigen Fähigkeiten, um Amerika von sinnlosen Lasten zu befreien; indem er gleich anschließend mit ökonomischer Zerstörung droht für den Fall, dass die Türkei sich unerlaubt am bisherigen Kanonenfutter der US-Armee, den um einen eigenen Nationalstaat kämpfenden Kurden, vergreift, stellt er außer Zweifel, dass die Anerkennung türkischer Dienstbarkeit die Nicht-Anerkennung türkischer Eigeninteressen in Syrien zur Voraussetzung hat. Die „many others“ schließlich, die, wie und warum auch immer, aber hauptsächlich im Schulterschluss mit den USA am syrischen Krieg mitgewirkt haben, dürfen den Twitter-Botschaften des Präsidenten entnehmen, dass ihre Interessen überhaupt keine Berücksichtigung, etwa in Form von Konsultationen, verdienen. Die verächtliche Einstufung ihrer Helferdienste als bequeme Selbstbedienung an Amerikas Übermacht ist eine fast schon feindselige Absage an das jahrzehntelang gepflegte und haltbar gewesene Paradox einer Kumpanei unter Imperialisten.
2.
Trumps Umgang mit Freunden und Gegnern und dem ganzen
Rest trifft, auch im Fall Syrien, auf Widerstände im
eigenen nationalen Establishment. Amerikas Kriegspolitik
hat immer auf die Einbindung möglichst vieler,
insbesondere aller wichtigen, konkurrierenden Mitspieler
gezielt, sei es per Frontbildung mit einem ultimativen
Vorgehen von der Art „shock and awe“, sei es mehr per
„leading from behind“, jedenfalls stets mit Reflexion auf
ausnutzbare und entsprechend mobilisierbare
Eigeninteressen der Partner an einer Allianz unter
US-Ägide. Die Macher dieser traditionellen
Weltordnungspolitik, die auch unter dem neuen Präsidenten
noch was zu sagen haben, dementieren nicht umsonst bei
jeder Gelegenheit, dass Trumps America first!
auf
ein ‚America alone‘ hinausläuft oder gar hinauslaufen
soll, sehen da also durchaus ein Problem. Im Fall Syrien
warnen sie speziell vor einem Verlust jeder
Glaubwürdigkeit bei „fünften Kolonnen“ amerikanischer
Weltpolitik in fremden Ländern, wenn die syrische
Kurdentruppe im Stich gelassen und praktisch der
türkischen Armee ausgeliefert wird; dass Trump die Russen
in Syrien nicht als auszuschaltende Konkurrenz, sondern
von ganz oben herab als Partei in einem nebensächlichen
Kleinkrieg behandelt, verstehen und missbilligen sie als
Freibrief für den Feind; das Engagement der NATO-Partner
ist ihnen auch nicht ganz egal; usw. Da ist also noch
einiges an innerer Führung nötig.
Dafür hat der Präsident immerhin die tiefe Unzufriedenheit mit den Ergebnissen des militärischen Einsatzes amerikanischer Macht für allseits akzeptierte zivile Verhältnisse zwischen den Staaten, insbesondere mit dem fortdauernden Chaos des „Middle East“, auf seiner Seite; eine Unzufriedenheit, die schon seine Vorgänger zu manchem Strategiewechsel bewogen hat. Und der Standpunkt, den er so nachdrücklich geltend macht, wenn er den ganzen Ansatz verwirft: dass Amerika viel zu groß und mächtig ist, um sich mit minderwertigen Mächten herumzuschlagen, sich gar in endlose Kleinkriege hineinziehen zu lassen, die keinerlei strategischen oder sonstigen Gewinn versprechen, ist seinen Kritikern schon überhaupt nicht fremd. Der ganz große Ertrag exemplarischer militärischer Machtentfaltung, der im Programm einer umfassenden amerikanischen Weltordnung immer vorgesehen war: die gesicherte Gefolgschaft beeindruckter Mächte der zweiten bis letzten Garnitur, fällt seit geraumer Zeit ja tatsächlich so uneindeutig aus, dass sich das Ergebnis durchaus mit einigem Recht als schamlos ausgenutzter Dienst der Führungsmacht an den Interessen ihrer Anhängsel interpretieren lässt.
Unter Trumps Führung jedenfalls – diese Generallinie des modernen US-Imperialismus kommt in Syrien beispielhaft zur Anwendung – kann und darf es Amerika bei jedem weltpolitischen Engagement nur um das Eine gehen: einen eindeutigen Nutzen der Nation auf dem Niveau, auf dem sie mit ihrem Reichtum und ihrer Kriegsmacht allein auf weiter Flur steht, und in einem angemessenen Verhältnis dazu. Wenn Kriege schon „trillions of dollars“ und „precious lives“ kosten, dann müssen die Kosten sich lohnen, und zwar entsprechend: nachzählbar in einem umso größeren Zuwachs an nationalem Reichtum, an Wirtschaftsmacht, die, erpresserisch eingesetzt, auf zivilem Wege unwiderstehlich wirkt, und an militärischer Gewalt, gegen deren Wucht Widerstand zwecklos ist und gegnerische Abschreckungsversuche versagen müssen. Vom Standpunkt einer derart gesicherten und sich selbst vermehrenden Übermacht verdienen die Eigeninteressen anderer Staaten erstens tatsächlich keinen Respekt und zweitens eine bedingte Anerkennung nur und genau insoweit, wie sie in Deals einmünden, mit denen die USA sich Aufwand an Geld und Leben sparen, ohne der Gegenseite einen mit Amerikas Nutzen irgendwie vergleichbaren Zugewinn zu verschaffen. Trumps neues Amerika erspart der Staatenwelt Washingtons Führung; es ersetzt sie durch das Recht des Stärksten.
3.
Mit seiner neuartigen Politik konfrontiert Trump im Fall Syrien alle Mächte, die dort engagiert sind. Das nehmen diese als Herausforderung, daraus das Beste für sich zu machen.
– Die Europäer reagieren diplomatisch mit einer Mischung aus Betroffenheit und Enttäuschung darauf, dass Trumps Politik ihrer bisherigen Syrien-Politik den Boden entzieht. Die hat darin bestanden, sich zur Speerspitze einer internationalen Anti-Assad-Front und einer westlich angeführten Neuordnung Syriens und seines Umfeldes zu machen. Zu ihrer ökonomischen und politischen Zu- und Ausrichtung der Mittelmeerstaatenwelt auf ihren europäischen Block hat es schon geraume Zeit vor dem syrischen Aufstands- und Kriegsgeschehen gehört, Assad zum Problem zu erklären. Der Anti-Assad-Aufstand war für die Europäer dann die Gelegenheit, ihre Vorbehalte und Anklagen gegen das Regime in Damaskus in die Forderung nach einem Regime-Change zu überführen. Dass die operative Durchschlagskraft und die weltpolitische Bedeutung ihrer Linie von Anfang an davon gelebt haben, dass Amerika den Sturz Assads zu seiner Sache macht, hat sie dazu angestachelt, ihre große Führungsmacht eben auf diesen Kurs zu lotsen. Am Fall Syrien wollten sie das westliche Bündnis auf ein von ihnen definiertes gemeinsames Ordnungsanliegen festlegen. Vor allem Frankreich hat sich mit seinem Selbstverständnis als führende europäische Militärmacht mit Mitteln zu begrenzt autonomer Kriegführung an die Spitze der westlichen Anti-Assad-Front gesetzt und auf jedem zur Verfügung stehenden bzw. selbst geschaffenen Forum den diplomatischen Einheizer gegeben. Und dann sind ein paar Hundert Giftgas-Opfer in Syrien gerade passend gekommen: Gegenüber dem US-Präsidenten Obama und seiner nicht zuletzt in Paris als „zögerlich“ verrufenen Haltung zu einem Truppeneinsatz in Syrien hat Frankreich darauf bestanden, was „rote Linien“ sind, die Obama in Sachen „Einsatz von Massenvernichtungsmitteln gegen die eigene Bevölkerung“ gezogen hat: Gründe für überlegenes Zuschlagen. Das hat sich Frankreich dann auch nicht nehmen lassen und per Einsatz seiner Luftwaffe demonstriert, dass es sich noch immer auf die Gewaltlektionen versteht, die uneinsichtige Syrer brauchen, um zur Räson zu kommen – seine Entschlossenheit, Damaskus, wenn es sein muss, tagelang zu bombardieren, hatte Frankreich im Zuge seiner glorreichen Kolonialvergangenheit ja schon bewiesen. Deutschland hat sich, belehrt durch die imperialistisch nicht so geglückte Verweigerung beim Libyen-Bombardement von 2011, zwar der gemeinsamen westlichen Linie der Beseitigung Assads angeschlossen, auch Tornados zum Einsatz gebracht. Aber bei all dem ist es sich viele diplomatische und rechtliche Verrenkungen schuldig gewesen, um innerhalb der westlichen Einheit die gebotene Distanz zu demonstrieren, damit das Mitmachen niemand als Unterwürfigkeit versteht. Nebenbei hat es darauf hingearbeitet, der zentrale Ansprechpartner für die zivile syrische Auslandsopposition zu werden, und noch ein bisschen später hat es probiert, mit dem Verweis auf seine Vorreiterrolle bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise der gemeinsamen westlichen Definition des syrischen Unordnungsfalls seinen speziell deutschen Stempel aufzudrücken. Das alles hat sich zwar zunehmend an Russlands in Syrien neu gefasster Entschlossenheit abarbeiten müssen, und ‚on the ground‘ ist Assad sein Überlebenskampf gegen die internationale Allianz zu seiner Entmachtung immer besser gelungen; aber politisch sind die Europäer vom Kern ihrer Forderung nie abgerückt: Assad muss, früher oder später, abdanken.
Diese Vorgabe blamiert sich nun noch in ganz anderer Weise als an dem militärisch wirksamen russischen Vorgehen daran, dass Trump von einer gemeinsamen westlichen Linie unter Amerikas Führung auch in Syrien nichts mehr wissen will. Sein Rückzugsbeschluss belehrt die Europäer darüber, wie wenig irgendeine Form von Absprache sie dem amerikanischen Präsidenten auch da abringen können, wo sie immerhin in einer förmlichen Allianz mit den USA im Kriegseinsatz sind. Ihre militärischen Engagements in und um Syrien – egal, wie sehr sie dabei Eigenständigkeit probiert und inszeniert haben – blamiert er als Hilfsdienstleistungen für Amerika, auf die es keinen Wert mehr legt, die darum für die Dienstleister selbst keinen Ertrag in Aussicht stellen und überdies ohne die Grundlage einer entsprechend robusten amerikanischen Militärpräsenz selbständig gar nicht durchhaltbar sind. Das erfährt namentlich Frankreich ausgerechnet durch seinen türkischen NATO-Partner, der den französischen Truppen vor Ort unverhohlen mit militärischer Konfrontation droht, sollten diese den in Paris zwischenzeitlich ventilierten Plan umsetzen wollen, sich anstelle der abrückenden US-Truppen zu Beschützern der nordsyrischen Kurden gegen die antikurdische ‚Terrorismus-Bekämpfung‘ der Türkei aufzuschwingen.
Ihre Ansprüche darauf, Syrien unter welchen speziellen Titeln auch immer als Teil ihres südöstlichen Hinterhofs zu definieren, geben die europäischen Mächte darum freilich noch lange nicht auf. Politisch und diplomatisch halten sie daran fest, dass es eine dauerhafte Lösung des ‚Syrien-Konflikts‘ nur ohne Assad geben könne. Dass Amerika sich davon verabschiedet hat, hindert sie nicht daran, es dann wenigstens ihren arabischen Partnern zu sagen, die ihrerseits inzwischen zu Teilen dazu übergehen, wieder mit Assad zu kalkulieren. Auf einem Gipfeltreffen mit der Arabischen Liga wird sich die EU laut Abschluss-Kommuniqué mit den Arabern einig, dass sie alle auf eine Lösung für den ‚Syrien-Konflikt‘ hinarbeiten wollen – und zwar gemäß den einschlägigen UN-Resolutionen und unter der Prämisse der Wahrung Syriens als territorial einheitliches Ganzes, also ausdrücklich unter Bezugnahme auf die ‚multilateralen‘ Festlegungen, von denen Trump seine Nation freispricht. Praktisch folgt daraus immerhin so viel, dass die EU-Sanktionen gegen das Assad-Regime bestehen bleiben und teilweise verschärft werden. Und Deutschland finanziert auch weiter ein paar Reste der ‚gemäßigt‘ genannten islamistischen Anti-Assad-Fraktionen vor allem im Nordwesten Syriens. Auf diese Weise melden die europäischen Mächte an, sich auch ohne die Aussicht, daraus das Anliegen ‚des Westens‘ machen zu können, den Trump gekündigt hat, um den Nahen Osten als prominenten Gegenstand ihres strategischen Interesses zu kümmern. Und ihre Führer sind sich im Klaren darüber, was es dafür letztlich braucht: Sie müssen sich wirklich und ernstlich daranmachen, sich die autonome militärische Gewalt zu verschaffen, die ihnen abgeht.
– Für die Türkei ist Trumps
Politik noch vor der Rückzugsankündigung vom Dezember in
jeder Hinsicht die Bestätigung des Standpunktes, zu dem
sie sich nicht zuletzt anhand des Syrien-Krieges schon
seit geraumer Zeit vorgearbeitet hat: Sie findet bei
ihren traditionellen westlichen Verbündeten nicht einmal
mehr für ihre als existenziell definierten
Souveränitäts-, Sicherheits- und Mitordnungsansprüche die
geforderte Anerkennung. Mit dem Versuch, für die bis an
den Rand einer kriegerischen Auseinandersetzung
eskalierte Konfrontation mit Russland [2] die NATO-Alliierten zu
ausdrücklichen und glaubwürdigen Unterstützungszusagen zu
nötigen, ist sie gescheitert; an welchen Fronten die
Stellung dieses Clubs gegenüber Russland Eskalation und
an welchen Deeskalation erfordert, was überhaupt ein
NATO-Bündnisfall ist – das entscheiden offensichtlich
andere. Die Türkei muss – so die Lektion, die sie gelernt
hat – ihre territorialen und strategischen Ansprüche
selbst verfolgen und durchsetzen; getrennt von den
Alliierten und gegebenenfalls gegen sie. Das ist die
Prämisse für den türkischen Umgang mit dem angekündigten
amerikanischen Rückzug: Wir übernehmen jetzt das
Kommando im Kampf gegen den IS
ist Erdoğans erste
offizielle Reaktion unmittelbar nach Trumps Coming
home
-Tweets. In diesem Zusammenhang dementiert die
Türkei gar nicht erst, dass das für die bisher im
amerikanisch kommandierten Kampf gegen den IS ganz gut
brauchbaren und entsprechend verheizten kurdischen
Kampfverbände in Syrien nichts Gutes verheißt; im
Gegenteil: Sie erlaubt sich, Trumps Entscheidung als
Eingeständnis zu interpretieren, dass die Türkei mit
ihrer Definition von IS und Kurden als
gleichermaßen terroristische Banden immer schon richtig
gelegen hat. Trumps Drang, Amerika von der nutzlosen Last
des Syrien-Einsatzes zu befreien, ist für die Türkei die
Gelegenheit, ihren antikurdischen Kurs in dem Umfang zu
praktizieren, den sie sich schuldig ist, ohne dabei
austesten zu müssen, wie viel Konfrontation mit dem
amerikanischen Militär sie sich in dem Zuge leisten
kann.[3] Als
feste Zusage verlässlicher amerikanischer Unterstützung
und Legitimation ihrer Anliegen nehmen die türkischen
Führer die Trump-Linie von Beginn an nicht: Die
Ankündigungen aus dem Weißen Haus begrüßen sie heftig und
skeptisch zugleich,[4] und sie führen praktisch ihre
Gewissheit vor, dass die sich für sie neu ergebende
Gelegenheit nur so viel wert ist, wie sie daraus etwas
machen. Die von Trump in aller Freundschaft und wie
üblich per Twitter unterbreitete Aussicht Will
devastate Turkey economically if they hit Kurds
bestätigt, was sie in dieser Hinsicht sowieso schon
wussten. Was die türkische Armee zumindest nicht daran
hindert, die vorgesehenen Umgruppierungen vorzunehmen und
sich auf die entscheidenden Schlachten mit den Kurden
vorzubereiten. Zumal Trump, um irgendwelche Illusionen
bei den kurdischen Helfershelfern gar nicht erst
aufkommen zu lassen, sein gegen die Türkei gerichtetes
Verwüstungs-Versprechen gleich im nächsten Tweet noch
ergänzt hat um die Warnung: Likewise, do not want the
Kurds to provoke Turkey.
Umso heftiger warnt die
Türkei Frankreich vor irgendwelchen Ambitionen, sich als
neue Schutzmacht der syrischen Kurden aufzuspielen – das
werde jedenfalls die Türkei von nichts abhalten.[5] Ansonsten verweist
das von Trump eisern verfolgte Prinzip, dass die USA sich
auf keinen Fall mehr in eine mit Konsultationen,
Rücksichtnahmen, Zugeständnissen verbundene Position des
Führers von wem auch immer zerren lassen werden, die
Türkei darauf, dass sie sich umso mehr mit der anderen
großen Macht ins Benehmen setzen muss, die in Syrien
agiert.
– Russland begrüßt die
Entscheidung der USA zum Rückzug als richtigen Schritt
hin zur Anerkennung des von ihm seit jeher vertretenen
politischen und völkerrechtlichen Standpunkts, dass die
Anwesenheit der USA in Syrien per se kontraproduktiv und
illegal sei.[6]
Die russische Führung sieht sich also – dies die
imperialistische Prosa zur
politologisch-völkerrechtlichen Lyrik – darin bestätigt,
dass sie mit ihrer konfrontativen Linie richtig gelegen
hat und liegt: Sie hat sich den westlich orchestrierten
Plänen eines Regimewechsels in Syrien erfolgreich
entgegengestellt, erst mit diplomatischer und materieller
Unterstützung Assads, seit 2015 mit eigenen Truppen in
Syrien. Sie hat im Falle Syriens Diplomatie als
Begleitung für den eigenen Auftritt als Militärmacht
betrachtet und praktiziert, also aus dem früheren
‚Fehler‘ gelernt, im Verhältnis zum Westen und dessen
Führungsmacht diplomatisches Entgegenkommen als Ersatz
für die fällige Konfrontation zu nehmen: Seither ist auch
Russland erstmals der Schutzherr eines eigenen
auswärtigen Friedensprozesses
. In dessen Rahmen
verhandelt es mit denjenigen Gewaltsubjekten, die sich
gemäß seinen Maßstäben überhaupt dafür qualifizieren, als
den legitimen Kriegs- und daher – streng nach
imperialistischer Vernunft und Sitte – als befugten
Aufsichtsmächten einer ‚Nachkriegslösung‘. Mit seiner
materiell-militärisch unter Beweis gestellten Potenz und
Entschlossenheit hat Russland seinen
Astana
-Verhandlungen mit der Türkei und Iran
politische Geltung auch gegenüber anderen Mächten
abgerungen [7]
und in diesem Zuge ebenso die von den USA noch unter
Obama und Clinton weitgehend durchgesetzte Linie
ausgehebelt, dass die Vorbedingung einer dauerhaften
Nachkriegslösung sei, dass Assad abdanke. [8] Und sogar das infolge
seiner bislang einzigartigen Allianz mit Amerika sonst
für alle anderen Mächte so unhandliche Israel kommt nicht
umhin, sich erstens praktisch und zweitens dann auch
politisch und diplomatisch darauf einzustellen, dass mit
Russland nun neben den USA eine zweite potente
Militärmacht mit globalen Ansprüchen in Syrien das
Geschehen bestimmt.[9]
Offensichtlich ist, dass die USA unter Trump es sich nicht länger schuldig sind, diese ‚Lage‘ auf jeden Fall zu revidieren, also Russland diesen errungenen Status einer Hauptmacht des syrischen Kriegsgeschehens wieder wirksam bestreiten zu müssen. Entsprechend entsetzt waren und sind die politisch verantwortlichen und noch mehr die fürs öffentliche Meinen zuständigen Russenfresser dies- und jenseits des Atlantiks darüber, dass Trump ihrem Hauptfeind mit seinen Abzugsplänen das offeriert, was sie für ein Geschenk halten. Dabei ist das Gequatsche von der Belohnung, die Trump nun der hartnäckigen russischen, iranischen und syrischen Verletzung aller Maßstäbe humanitärer Kriegsführung und überhaupt aller Werte einer zivilen, also westlichen Weltordnung zuteilwerden lasse, noch nicht einmal die halbe Wahrheit.
Das merken die Russen selbst. Und so gesellt sich auch
bei ihnen den freudigen bis hämischen Äußerungen über den
bevorstehenden amerikanischen Truppenabzug von Beginn an
das immer wieder öffentlich breitgetretene Misstrauen
hinzu, was von solchen Äußerungen zu halten sei.[10] In Wahrheit ist
allerdings auch für Russland weniger die
‚Unzuverlässigkeit‘ amerikanischer Ansagen und Pläne das
Problem, sondern das, was sich darin sehr unzweideutig
bestätigt: An einer internationalen Ordnung irgendwie
souveräner Gewalten besteht seitens Amerikas, generell
und im syrischen Fall, kein Interesse mehr. Es erteilt
dem Anliegen eine Absage, der Ruine namens Syrien eine
irgendwie geartete einheitliche, nach außen souverän
auftretende Existenz zu sichern. Zwar konkurriert Amerika
mit Russland nun nicht mehr um die Definition eines
Nachkriegs-Syrien in den groben Grenzen von vor dem
Krieg; als Mit-Garant eines solchen Gebildes und
seines internationalen Auftritts steht es damit aber auch
nicht mehr zur Verfügung. Im Gegenteil: Russland erfährt
praktisch, dass den USA der russische Anspruch auf die
Wiederherstellung Syriens in den Vorkriegsgrenzen, also
der Hoheitsanspruch der Regierung in Damaskus über dieses
Territorium nicht nur egal ist, sondern sich vor den
amerikanischen Kalkulationen insbesondere im Hinblick auf
Iran blamiert; Verhandlungen darüber: keine.[11] Die
amerikanische Tour, sich schlicht nach eigenen
Opportunitätserwägungen auf ein Ganz-, Halb- oder
Rumpf-Syrien zu beziehen oder auch nicht – die praktische
Grundlage dafür ist ihre reduzierte, aber bleibende
Präsenz in Syrien sowie ihre Truppenpräsenz im ganzen
Umland –, gibt zugleich anderen, kleineren Mächten
Auftrieb, den von Russland verfochtenen Standpunkt der
vollständigen territorialen Integrität
da zu
unterlaufen, wo es ihnen passt und sie meinen, es sich
herausnehmen zu können. Das bekommt die russische Führung
an den Vorstößen der Türkei, Israels, auch Irans mit. Die
neue Freiheit, die Amerika dem Rest der Welt auch in
Bezug auf das syrische Gemetzel und seine Perspektiven
lässt, stellt sich für Russland also im selben Maß als
Notwendigkeit dar, seine strategischen Ansprüche
gegen alle anderen, zwar kleineren, aber
ihrerseits durch das regionalpolitische America
first!
zu neuer Unversöhnlichkeit gegeneinander
befreiten Mächte durchzusetzen und zu sichern.[12] Und dies
angesichts dessen, dass sich ein Ertrag
absehbarerweise nicht mehr einstellen wird: Am
Fall Syrien den USA exemplarisch
beizubringen, dass sie Russland generell mit
mehr Respekt zu behandeln haben, verschwindet als
Perspektive, wenn die USA unter Trump ihre Gewalt eben
selbst gar nicht mehr als Mittel für eine hierarchische
Ordnung staatlicher Mächte betrachten und einsetzen,
sondern ausschließlich von Fall zu Fall entscheiden,
worin die bilaterale Botmäßigkeit bestehen soll, die sie
dann jeweils erzwingen. So treibt Trump für die russische
Macht den Preis ihrer Behauptung in und die Durchsetzung
ihrer strategischen Kalküle für Syrien in die Höhe – und
er zwingt ihr zugleich die Frage auf, die er für Amerika
von ganz oben herab schon abschlägig beschieden hat: Ist
dieser Preis der gewaltsamen Oberhoheit über den
syrischen Verhau durch ihren Ertrag eigentlich
gerechtfertigt? Durch die Freiheit, die Trumps Amerika
sich im Geiste sicherer Überlegenheit und totalen
Eigennutzes leistet, setzt es nicht zuletzt für die
nächstgrößere Militärmacht auf dem Globus neue Maßstäbe,
was die – sich – in Gewaltfragen leisten können muss.
– Auch Israel ist von Trumps Kampf um die Befreiung Amerikas von allen Selbstverpflichtungen einer Weltführungsmacht in widersprüchlicher Hinsicht betroffen. Und auch für Israel ist das der Grund für viel Eigeninitiative. Bis neulich galt der innerhalb seiner Region jahrzehntelang isolierte und angefeindete Staat als einer der unbestrittenen Hauptprofiteure der Trumpschen Politikwende: Dass ein Aussöhnungsprozess zwischen Israel und Palästinensern auf eine Zwei-Staaten-Lösung hinauslaufen müsse, hat der neue Mann an Amerikas Spitze genauso auf den Misthaufen der durch nichts gerechtfertigten Dogmen geworfen wie den Standpunkt, dass der Status Jerusalems eine ‚offene Frage‘ sei, die auf keinen Fall einseitig durch Israel, sondern nur im Rahmen einer umfassenden Friedenslösung entschieden werden darf. Über die Anerkennung der Zugehörigkeit der bis dato als völkerrechtswidrig besetzt geltenden Golanhöhen zum israelischen Kernland lässt sich mit Washingtons Vertretern inzwischen genauso vorurteilsfrei räsonieren wie über die Frage der möglichen und nötigen Methoden der endgültigen Beseitigung des iranischen Regionalmachtsanspruchs. Diesbezüglich hat es Israel denn auch als endgültige Durchsetzung seiner Feindschaftsdefinition gegenüber dem Iran in der Washingtoner Politik gefeiert, dass Trump den Atomdeal mit Iran in aller Form gekündigt hat.[13] In diesem Sinne hat es mit zunehmender Vehemenz versucht, dem syrischen Kriegsgeschehen praktisch seine Frontstellung gegen Iran und dessen Verbündete als die eigentlich entscheidende aufzudrücken.
Gerade an diesem Punkt aber muss Israel sich beibringen
lassen, dass auch für den nahöstlichen traditionellen
unique ally Amerikas gilt, dass Trump eben
wirklich kein Dogma für seine Begutachtung der
Welt außer dem amerikanischen Nutzen gelten lässt: Unter
Trump sind die Zeiten vorbei, in denen Amerika die
Unverbrüchlichkeit seiner Kriegsallianz mit Israel so
sehr als Prämisse seiner Nah- und Mittelostpolitik
behandelt hat, dass es sich von seinem Juniorpartner
dessen raumgreifende Sicherheitsansprüche unter dem Titel
„Existenzsicherung des jüdischen Staates“ als wesentliche
Vorgabe für die amerikanische Politik hat gefallen
lassen. Vor allem hat es Israel früher immer wieder
vermocht, seine Definition Irans als des auf Auslöschung
Israels versessenen, also unbedingt [14] zu bekämpfenden Gegners zum
Inhalt der gemeinsamen Feindschaft gegen das
Mullah-Regime zu machen. Streit hat das zwar nicht
verhindert, aber der hat sich ums Wie gedreht. Für Trump
ist auch Iran nicht länger ein Fall für die ‚einzigartige
Allianz‘ mit Israel, sondern für das wirklich
einzigartige Mittel, das nur den USA zu Gebote steht: die
Anwendung ihrer ökonomischen und militärischen
Ausnahmestellung durch ein Sanktionsregime, dem einfach
niemand widerstehen oder sich auch nur entziehen
kann, egal ob Alliierter oder Feind. Für ihn ist daher
sein Beschluss, Iran gemäß diesem Prinzip absoluter,
einseitiger und universeller amerikanischer Überlegenheit
fertigzumachen, notwendigerweise gleichbedeutend damit,
dass dieser Staat keine Chance mehr hat, also kurz vor
der Kapitulation steht. Auch dafür braucht er keine
nähere Lageanalyse, und auf Nachfrage äußert er sich
entsprechend: Iran ist inzwischen nicht mehr dasselbe
Land. Iran zieht seine Truppen aus Syrien ab. Offen
gesagt, könnten die Iraner dort machen, was sie wollen,
aber sie ziehen ihre Leute von dort ab. Sie ziehen ihre
Leute auch aus dem Jemen ab. Iran will inzwischen nur
noch überleben.
Damit haben sich alle Einsprüche
Israels für ihn erledigt. Dass Israel den von Trump als
nutzlos und teuer fertig definierten Stellungskrieg in
Syrien zur existenziellen Frage für sich erklärt hat,
nimmt er also – das ist für Israels Führung der
eigentliche Schlag – genauso ernst, wie alle
existenziellen Imperative anderer Mächte: gar nicht.
Seine nachgeschobenen Äußerungen über die Wachsamkeit
Amerikas gegenüber iranischen Expansionsbestrebungen
gegen die ‚zionistischen Erzfeinde‘ machen die Sache für
Israel nicht besser: Sie bestätigen den Politikern und
Militärs in Tel Aviv und Jerusalem nämlich, dass von
einer Entsprechung ihrer Feindschaft gegen Iran mit der
Nahoststrategie Amerikas schlicht keine Rede sein
kann.[15]
Dieser Kündigung der jahrzehntelang von beiden Seiten als
einzigartig und existenziell gefeierten Allianz entnimmt
Israel, dass es sein Credo ‚Der jüdische Staat darf
sich nur auf sich selbst verlassen. Er muss sich selbst
mit seinen eigenen Mitteln verteidigen können‘ in
imperialistisch neuer Weise ernst nehmen und praktizieren
muss. Die Abzugsperspektive nimmt es demonstrativ übel
gelaunt zur Kenntnis und betont im selben Maße
entschlossen, dass es von seinen Essentials bezogen auf
den Syrien-Krieg nicht abrücken wird: Es wird keinen
Ausbau und kein festes Einpflanzen einer iranischen
Militärpräsenz in Syrien dulden. Dafür sprengt es weiter
regelmäßig iranische und Hizbullah-Stellungen oder
Transporte auf syrischem Territorium bzw. im Libanon in
die Luft und testet mit einiger Risikofreude aus, wie
weit es dabei gegen Russland vorgehen darf. Zum
militärischen Knackpunkt werden dabei die offensichtlich
effektiven russischen Luftverteidigungssysteme: Die
verhindern zum einen praktisch, dass die israelischen
Luftangriffe noch mehr Schaden an syrischen bzw.
iranischen Stellungen anrichten. Zum anderen nötigt
Israel mit seinen Angriffen den Russen die Frage auf, wie
viel Konfrontation Russland seinerseits gegen Israel
einzugehen bereit ist: erstens für die Verteidigung
iranischer Geltungsansprüche in Syrien, mit denen auch
Russland nur sehr bedingt einverstanden ist, und zwar
zweitens unter der Bedingung der schwer kalkulierbaren
Eskalationsfähigkeit und -bereitschaft Israels sowie
drittens angesichts der noch weniger kalkulierbaren
Stellung Amerikas dazu. Auf letztere verlässt sich Israel
demonstrativ nicht mehr, ventiliert seinen Anspruch,
einen Dreifrontenkrieg neuen Ausmaßes in Syrien, im
Libanon und gegen die Palästinenser im Prinzip allein
führen zu können, und versucht sich auch in militärischen
Beschaffungsfragen von amerikanischen Vorgaben und
Drohungen nicht länger beeindrucken zu lassen. Derweil
knüpft die Netanjahu-Regierung, deren Chef gern mit dem
Alten Testament vor der UNO auftritt und der Welt die
Identität von Islamismus mit dem auf die Ausrottung der
Juden versessenen Nationalsozialismus beibringen will,
mit den islamischen Assad-feindlichen Monarchien am Golf
angesichts der Syrien-Frage neue zarte Bande. Inzwischen
gibt Israel offiziell zu, dass es islamistische Rebellen
im Süden Syriens direkt militärisch unterstützt. Auch in
Jerusalem ist also die Botschaft verstanden worden, dass
aus der auch in Israel bisweilen als unzuverlässig bis
irrational beschimpften America first!
-Politik für
eine moderne Nation nach allen Maßstäben weltpolitischer
Rationalität geradlinig und alternativlos folgt, dass die
eigenen regionalen bzw. globalen Ansprüche ganz viel an
autonomen Gewaltpotenzen und deren von jedem unpassenden
Dogmatismus befreite Anwendung brauchen.
[1] Wir haben den IS
in Syrien besiegt – mein einziger Grund, während der
Trump-Präsidentschaft dort zu sein. Wollen wir Polizist
des Nahen Ostens sein und nichts dafür bekommen,
kostbares Menschenleben und Billionen Dollar
verschwenden, um andere zu schützen, die uns das fast
nie danken? Wollen wir für immer da sein? Zeit, dass
endlich mal andere kämpfen. Russland, der Iran, Syrien
und viele andere sind nicht gerade froh darüber, dass
die USA abziehen – egal, was die Fake News sagen. Denn
jetzt müssen sie ohne uns den IS und andere bekämpfen,
die sie hassen. Ich schaffe das bei Weitem mächtigste
Militär der Welt. Ein Schlag des IS gegen uns, und er
ist tot. Präsident @RT_Erdogan hat mir nachdrücklich
mitgeteilt, dass er alle Reste vom IS in Syrien
ausrotten wird – und dem Mann ist es auch zuzutrauen.
Außerdem liegt die Türkei direkt nebenan. Unsere
Truppen kommen nach Hause.
[2] Relativ früh ist die Türkei auf die westliche Linie eingeschwenkt, dass Assad entmachtet werden muss. Dementsprechend ist sie mit dessen Hauptschutzmacht v.a. im Norden Syriens aneinandergeraten. Im November 2015 hat die türkische Armee ein russisches Militärflugzeug an der türkisch-syrischen Grenze abgeschossen, woraufhin beide Seiten sich eine Zeitlang mit weitergehenden militärischen Konsequenzen gedroht haben.
[3] Noch im November hat die Türkei angekündigt, sie werde geplante gemeinsame amerikanisch-kurdische Grenzpatrouillen, wie sie zwischenzeitlich geplant waren, auf keinen Fall dulden.
[4] Endlich haben wir
aufrichtige Worte von der Führung der Vereinigten
Staaten gehört, die Hoffnung geben. Wegen schlechter
Erfahrungen in der Vergangenheit betrachten wir diese
jedoch mit Vorsicht.
(Erdoğan,
zitiert nach Sputnik, 21.12.18)
[5] Mit einer anderen
großen Unterstützermacht der in Syrien agierenden
kurdischen YPG liegt die Türkei sowieso schon im
Dauerclinch: Saudi-Arabien wirft sie Terror-Sponsoring
vor, weil das Königreich versucht, die kurdische Truppe
für den eigenen – inzwischen vor allem im Zuge des
russischen Eingreifens stark geschrumpften – Einfluss
aufs syrische Bürgerkriegsgeschehen zu
instrumentalisieren. Unter konstruktiver Bezugnahme auf
die seinerzeit noch mit großen Perspektiven versehene
Einbeziehung der YPG in die US-Kriegsstrategie hat
Saudi-Arabien erst im August 2018 Finanzierungszusagen
in Höhe von 100 Mio. Dollar für
Stabilisierungsprojekte
in den von der YPG
kontrollierten Gebieten gemacht – und es ist
offensichtlich einstweilen nicht gewillt, die damit
verbundenen Ambitionen bloß wegen Amerikas
Rückzugsplänen abzuschreiben. Nach den saudischen
Versicherungen, auch nach einem wirklichen Rückzug der
US-Truppen die YPG nicht im Stich zu lassen, sind dann
bei den zuständigen türkischen Stellen auch prompt
„neue Details im Fall Khashoggi aufgetaucht“.
[6] Wir sind der
Meinung, dass diese Entscheidung eine umfassende Lösung
der Situation voranbringen kann. Wir haben mehr als
einmal betont, dass die US-Okkupation eines
beträchtlichen Teils des syrischen Territoriums ein
Haupthindernis für eine solche Lösung ist.
(Außenminister Lawrow auf einer
Pressekonferenz am 26.12.18)
[7] So hat zum Beispiel eher en passant der deutsche Außenminister im September 2018 eingeräumt, dass der Astana-Prozess ein wichtiges Forum für eine syrische Friedensregelung sei; bis zu jenem Zeitpunkt war es offizielle Linie auch Deutschlands, dass der ‚einzig legitime Rahmen‘ für so eine ‚Lösung‘ die Genfer Verhandlungen unter UN-Führerschaft seien.
[8] Das gilt zum einen für die Administration von D. Trump, der ja von Haus aus – nämlich aus oben erläuterten Gründen des einzigen von ihm anerkannten Imperativs für amerikanische Politik – keine falschen Skrupel hat, auch solche guys akzeptabel bis great zu finden, die er bei anderer Gelegenheit zu Monstern erklärt. Zum anderen sind auch immer mehr Assad-Gegner im Lager der arabischen Golf-Monarchien und inzwischen sogar die Türkei bereit, sich mit einer syrischen Führung unter Assad zu arrangieren.
[9] Mit Russland hat Israel z.B. ausgehandelt, dass russische Truppen dafür sorgen sollen, dass iranische bzw. von Israel als solche definierte unmittelbar mit Iran verbündete Truppen nicht westlich einer bestimmten Linie agieren dürfen.
[10] So zum Beispiel
der stellvertretende Außenminister Rjabkow: Wir
hegen keine Illusionen bezüglich der wirklichen
Umsetzung dieser [amerikanischen] Linie. Wir gehen
davon aus, dass das ein langwieriger, eher ungewisser
und umstrittener Prozess sein wird.
(Zitiert nach TASS vom 5.1.19) Oder
noch eine Spur abwinkerischer sein Chef Lawrow zu
anderer Gelegenheit: Es gibt ein Problem mit den
amerikanischen Plänen. Erst wurde angekündigt, dass der
Abzug innerhalb von zwei Monaten stattfinden werde,
dann, dass das eher in sechs als in zwei Monaten
ablaufen werde, und später hieß es, dass der Abzug
verschoben werden müsse. Das erinnert an ein Zitat von
Mark Twain: ‚Das Rauchen aufzugeben ist leicht. Ich
habe es hunderte Male gemacht.‘ Das ist AUCH SO eine
amerikanische Tradition.
(Auf
einer Pressekonferenz in Moskau am 16.1.19)
[11] Im Südosten Syriens behalten sich die USA dauerhaft vor, die Basis von at-Tanf zu besetzen, um die Möglichkeit eines durchgehenden Korridors iranischer Infiltration vom iranischen Kernland über die schiitischen Gebiete Iraks und Syriens bis in den Libanon hinein zu unterbinden.
[12] Das führt jetzt schon dazu, dass sich Russland in der Rolle einer Puffermacht zwischen Israel und Iran wiederfindet, deren unversöhnliche Ansprüche gegeneinander es auf diese Weise freilich nicht bedient, also nicht befriedet, also nicht in eine schöne neue Welt regionaler Ordnung überführt.
[13] Siehe dazu die Anmerkungen zur Kündigung des Atomabkommens mit Iran durch D. Trump im Heft 2-18 dieser Zeitschrift.
[14] Dazu gehörte auch
die wiederholte Beteuerung, gegen Iran lägen alle
Optionen
auf dem Tisch, was jeder als Drohung mit
der Option eines Nuklearschlages verstehen konnte.
[15] So preist Trump
inzwischen Irak als Basis und Vorfeld der USA gegen
Iran an – ganz gemäß der Logik seiner
Kosten-Nutzen-Kriterien und ihrer Implikationen: Für
die Konzentration auf Irak für die Eindämmung Irans
spricht seinem Koordinatensystem nach vor allem dies:
Wir haben eine Menge Geld für diese unglaubliche
Basis ausgegeben. Wir sollten sie also auch halten.
Und den dadurch offensichtlich angeheizten
Kriegsfantasien seiner journalistischen
Interviewpartner erteilt er auf Nachfrage gleich eine
Abfuhr: ‚Einer der Gründe, aus denen ich diese Basis
halten will, ist der, dass ich ein wenig auf Iran
schauen will, weil Iran ein wirkliches Problem ist‘,
sagte er in einem Interview in der CBS-Sendung ‚Face
the Nation‘. Auf die Frage, ob das bedeute, er wolle in
der Lage sein, gegen Iran militärisch zuzuschlagen,
sagte Trump: ‚Nein, nur aus dem Grund, Iran überwachen
zu können. Wir haben eine unglaubliche und teure
Militärbasis im Irak. Die ist perfekt gelegen, um von
dort die verschiedenen Teile des unruhigen Nahen Ostens
zu beobachten, anstatt von dort aus
loszumarschieren.
(cbsnews.com) Auch und erst recht kein
noch so teurer Aufmarsch ist für Trump der
zwangsläufige Vorlauf oder Auftakt zu militärischem
Zuschlagen. Ebenso wenig wie für ihn die umfassende
Indienstnahme Iraks für die – nicht nur, aber vor allem
– antiiranischen Kontrollbedürfnisse der USA ein Grund
dafür ist, die irakische Regierung dafür auch nur
formell um Erlaubnis zu bitten oder sich um Irak, den
die USA mit einem ganzen Netz von Militärbasen
überziehen, als Staat zu kümmern, der irgendwie
funktionieren soll.