Ein geradliniger Weg, die Welt zu retten
Mit europäischen Bonds raus aus der Corona-Krise – hin zur Schaffung eines europäischen Weltkreditmarkts für den Euro als Weltgeld

Wenn eine Pandemie in Europa Hunderttausende tötet und Millionen krank macht, und wenn die staatlichen Gegenmaßnahmen ungezählte ökonomische Existenzen ruinieren – ist das dann nur schlecht? Nein! Vor allem wenn sie zu einer Zeit grassiert, in der die andere Großkatastrophe „Klimakrise“ schon längst ausgerufen ist. Die Wirtschaftsmächte der EU führen vor, wie im besten aller Systeme sogar eine solche globale Doppelkrise ihren höheren Sinn erhält: Sie machen die Pandemiebekämpfung zum Auftakt dafür, mit der Waffe europäischen Kredits unter dem Titel „Grüne Wende“ eine neue Runde Konkurrenz um Weltmarkt und Weltgeld einzuleiten.

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Ein geradliniger Weg, die Welt zu retten
Mit europäischen Bonds raus aus der Corona-Krise – hin zur Schaffung eines europäischen Weltkreditmarkts für den Euro als Weltgeld

1. Die Bewältigung einer schweren Wirtschaftskrise durch die Schöpfung supranationalen Kredits [1]

Zur Bekämpfung der Corona-Pandemie haben alle EU-Staaten ihrer Gesellschaft mal mehr, mal weniger gravierende „Lockdowns“ verordnet. Das Resultat: eine von den Staaten selbst herbeigeführte kapitalistische Krise, laut der Ex-Kanzlerin des wirtschaftsstärksten Landes der EU der schwerste Wirtschaftseinbruch seit dem Zweiten Weltkrieg, der die Wirtschaft aller Mitgliedstaaten, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaße, nachhaltig schädigt. Für alle europäischen Staaten steht damit fest, dass sie ihre Ökonomien mit so viel staatlich geschöpftem Geld stützen und fördern müssen, dass die flächendeckende Schädigung von Geschäftsbilanzen begrenzt wird und langfristig auf ihren Standorten wieder kapitalistisches Wachstum stattfinden kann. Angesichts dieser Lage geben die EU-Kommission, Frankreich, vor allem aber Deutschland und letztlich auch die sogenannten „Sparsamen Vier“ den Klagen vor allem ihrer hoch verschuldeten europäischen Partner im Süden Recht, dass die nationale Bewältigung ihrer Notlage von ihnen nicht zu leisten sei.

In einem ersten Schritt ermächtigen sie diese zur Schuldenaufnahme über die bisher im Euroraum verpflichtend gemachten Grenzen des „Stabilitätspakts“ hinaus und setzen die Maastricht-Kriterien außer Kraft. Weil der Zusammenbruch der Wirtschaft in großen Teilen Europas nicht nur laufende Geschäfte mit ihnen durchkreuzt, sondern auf Dauer das kapitalistische Wachstum auf dem Binnenmarkt als ökonomische Basis ihrer Gemeinschaftswährung zu zerstören droht, geben sie die bisherige Bindung der Kreditschöpfung durch die Mitgliedstaaten an deren sehr unterschiedliche, teils prekäre Wirtschaftskraft als der „soliden“ Garantie für Wert und Gültigkeit des europäischen Nationalkredits auf. Für die Werthaltigkeit dieser Kredite, die in erster Instanz zerstörtes Geschäft und Minuswachstum auf den nationalen Standorten ersetzen müssen, steht die EZB auf ihre Weise ein. Sie eskaliert ihre seit der Finanzkrise praktizierte Ankaufspolitik (whatever it takes), zieht ihre eigenen Vorbehalte gegenüber dem Ankauf von Ramschpapieren gewisser Staaten aus dem Verkehr und kauft alle Staatsanleihen in der EU vorerst unbegrenzt auf. [2] Mit diesem Billionenprogramm reagiert sie vorbeugend auf die Spekulationen der Finanzkapitalisten – die preisen die unterschiedliche Betroffenheit der Mitgliedstaaten durch die Corona-Krise als ihr Ausfallrisiko ein und lassen sich das von den Staaten mit entsprechend höherer Verzinsung ihrer Kredite bezahlen [3] –, um so die Verschuldungsfähigkeit der Euro-Staaten zu erhalten.

Diese Krisenbewältigung halten weder die EZB noch die Macher der EU auf Dauer für ausreichend. Trotz der Liquiditätsschöpfung der EZB sehen sie angesichts der Folgen der „Corona-Krise“ für die Wirtschaft Europas die Gefahr eines weiteren Auseinanderdriftens der Verschuldungsfähigkeit. Eine solche drohende, immer weiter zunehmende Fragmentierung im Euroraum zwischen Gläubiger- und Schuldnerstaaten mit unabsehbaren Folgen für die Solidität des Euros und den politischen Zusammenhalt der EU wollen die Macher der EU verhindern. [4] Um der Wirtschaftskrise im vereinten Europa Herr zu werden und eine erneute Schuldenkrise abzuwenden, entschließen sie sich in einem zweiten Schritt – als außerordentliche und vorerst befristete Notstandsmaßnahme [5] – erstmalig zu einer gemeinschaftlichen Schuldenaufnahme. Dies ist ein bemerkenswerter Standpunktwechsel, zu dem sich zu guter Letzt auch die ökonomische Führungsnation der Union genötigt sieht, die den Einstieg in die Schuldenunion bis dahin mit aller Macht verhindert hat: Mit Beschluss des Ministerrats wird die EU-Kommission zum ökonomischen Subjekt der Kreditbeschaffung der EU befördert und dazu ermächtigt, auf den Finanzmärkten Corona-Bonds zu begeben und Schulden in der beträchtlichen Höhe von 800 Mrd. Euro aufzunehmen, um sie in Form von Krediten und Zuschüssen in unterschiedlicher Höhe, je nach wirtschaftlicher Bedeutung und Bedürftigkeit [6] der Mitgliedstaaten, an sie weiterzureichen. [7] Kreiert wird damit ein Kredit, der den gemeinschaftlichen Willen der EU repräsentiert, kraft ihres politischen Machtworts ihre Mitgliedstaaten aus ihrer Notlage herauszukaufen und sich dafür so viel Schulden zu leisten, wie sie zur Bewältigung der schwersten Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg für nötig befindet.

2. Supranationale Kreditschöpfung für eine europäische Standortoffensive

Die Frage nach der Solidität dieser supranationalen Kreditschöpfung beantwortet die EU mit einem Verwendungszweck dieses Kredits, der keinen Zweifel daran lässt, dass er sich nicht auf ein bloßes Reparaturprogramm für die geschädigten europäischen Ökonomien beschränkt. Ihre oberste Exekutivbehörde vertritt vielmehr den Standpunkt, dass die größte Krise der EU auch die Gelegenheit des Jahrhunderts für Europa ist, die Rolle der Europäischen Union auf der Weltbühne zu stärken (Präsidentin der Europäischen Kommission von der Leyen). Für die Realisierung dieser machtbewussten Perspektive legt sie als supranationale Standorthüterin der EU ein entsprechendes Wiederaufbauprogramm auf: Die Bekämpfung des Notstands der europäischen Staaten verknüpft die Kommission mit einer Aufrüstung des europäischen Standorts, mit der sie sich vornimmt, von Europa aus das Weltmarktgeschäft zu dominieren.

Was die Kommission dafür in den Mitgliedstaaten wirtschaftspolitisch für geboten hält, [8] definiert sie unter dem vorwärtsweisenden Titel „NextGenerationEU (NGEU)“ so:

„Der Anwendungsbereich der Fazilität umfasst Politikbereiche von europäischer Bedeutung, die in sechs Säulen aufgegliedert sind: a) ökologischer Wandel, b) digitaler Wandel, c) intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum, darunter wirtschaftlicher Zusammenhalt, Arbeitsplätze, Produktivität, Wettbewerbsfähigkeit, Forschung, Entwicklung und Innovation sowie ein gut funktionierender Binnenmarkt mit starken KMU, d) sozialer und territorialer Zusammenhalt, e) Gesundheit und wirtschaftliche, soziale und institutionelle Resilienz, um unter anderem die Krisenvorsorge und Krisenreaktionsfähigkeit zu erhöhen, und f) Maßnahmen für die nächste Generation, Kinder und Jugendliche, wie zum Beispiel Bildung und Kompetenzen.“ [9]

Die weitaus meisten Mittel dieses Programms für die wirtschaftliche Erholung Europas plus den Mitteln aus dem auf 1,8 Billionen aufgestockten siebenjährigen europäischen Finanzhaushalt [10] sind reserviert für das gewaltige politökonomische Aufbruchprogramm, das sich die EU unter dem Stichwort eines grünen, digitalen und nachhaltigen Umbaus der gesamten europäischen Wirtschaft nicht erst seit der Corona-Krise auf die Fahnen geschrieben hat. [11] Ein Programm, das sich an der mit Nachdruck von Deutschland betriebenen und im europäischen „Green Deal“ zur zentralen EU-Zukunftsstrategie erhobenen Energiesystemwende [12] ausrichtet und durch die supranational verordnete Umstellung der europäischen Energiewirtschaft auf „grüne“ und nachhaltige Technologien – zusammen mit der ebenso ambitionierten Digitalstrategie der EU – auf nicht weniger als eine zweite industrielle Revolution zielt. Im Namen einer klimafreundlichen Wirtschaft und Gesellschaft wird mit den entsprechenden Regelungen und Auflagen für den europäischen Binnenmarkt die umfassende Erneuerung und Umwälzung der technologischen Grundlagen des gesamten industriellen Sektors der EU vorangetrieben. Mit diesem Programm werden nicht nur jede Menge komplett neuer Geschäftssphären gestiftet, deren Wettbewerbsfähigkeit und Produktivität entsprechend subventioniert und gefördert, sondern komplementär dazu zugleich die politischen Rahmenbedingungen geschaffen für den riesigen innereuropäischen Absatzmarkt für die neuen Produkte wie E-Autos, grünen Stahl etc., der die nötigen Kapitalinvestitionen in diese Wachstumssphären der Zukunft erst so richtig produktiv macht. Was die EU mit ihrem supranationalen Kredit den EU-Staaten für die Sanierung ihrer nationalen Standorte spendiert bzw. leiht, hat Mittel für dieses Aufrüstungsprogramm zu sein: für die Neuausrichtung der Energieproduktion ihrer Länder weg von den fossilen Brennstoffen hin zur Stromerzeugung durch alternative Energien, für den nötigen Umbau der Industrien, die Bereitstellung der Infrastruktur für E-Mobilität etc. – und für den Ausbau der notwendigen Voraussetzungen für die flächendeckende Digitalisierung des Geschäftsverkehrs zur Steigerung der Kapitalproduktivität. [13] Auch die sozialstaatliche Betreuung der ruinösen Folgen dieser Steigerung von Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit für die Völker Europas kommt bei diesem Wiederaufbauprogramm nicht zu kurz. Mit staatlicher Hilfe bei dem Erwerb von Bildung und Kompetenzen dürfen sie sich an die ständig erneuerten Leistungsanforderungen des in Europa ansässigen Kapitals anpassen, was zwar keine Garantie, dafür aber die unbedingte Voraussetzung dafür ist, überhaupt einen wie auch immer gearteten Arbeitsplatz in den Wirtschaftssektoren der Zukunft zu ergattern.

Auf diese Weise neu aufgestellt soll Europa zu der schlagkräftigen ökonomischen Basis für die Etablierung eines flächendeckend grün gewendeten Weltgeschäfts werden, bei dem die europäischen Kapitale mit überlegener Produktivität die Maßstäbe für die Steigerung des kapitalistischen Wachstums auf dem Weltmarkt setzen – gegen die mächtigen Konzerne aus den USA und China, die selber darum konkurrieren, den Weltmarkt mit „Green Deal“ und Digitalisierung zu beherrschen. [14] Dass die in Europa beheimateten Kapitale alles in ihrer Verfügungsmacht Liegende unternehmen, ihre Betriebe samt Belegschaft für die Durchsetzung in der globalen Konkurrenz zurechtzumachen, davon geht die EU-Kommission selbstverständlich aus. Ihnen für das Gelingen dieses ambitionierten Auftrags die dafür unabdingbaren politischen Rahmenbedingungen im Welthandel zu verschaffen, dafür setzt die EU auf ihre wirtschaftliche wie politische Macht:

„Europa hat die Instrumente, um global etwas zu bewirken. Als einer der größten Märkte und Handelsblöcke der Welt hat die EU die Möglichkeit, Regeln und Standards für importierte Waren und Dienstleistungen festzulegen. Wir haben bereits zahlreiche Handelsabkommen und strategische Partnerschaften mit Ländern und Regionen auf der ganzen Welt; und gemeinsam sind die EU und ihre Mitgliedstaaten der weltweit führende Geber von Entwicklungshilfe und humanitärer Hilfe. Schließlich verfügt die EU mit der EIB über den größten multilateralen Darlehensgeber.“ (J. Borrell, W. Hoyer, Euractiv Newsletter, 27.1.21)

Unter Einsatz der Druckmittel, über die die EU als größter globaler Binnenmarkt, mächtiger Handelsblock und bedeutender Kreditgeber verfügt, macht sich die EU im zwischenstaatlichen Verkehr mit Ländern und Regionen auf der ganzen Welt dafür stark, dass er ihr Leitziel, die Herstellung und nachhaltige Garantie der unschlagbaren Konkurrenzfähigkeit des ökologisch umgebauten europäischen Kapitalismus, voranzubringen hat. Mit Regelungen wie z.B. einem CO2-Zoll auf importierte Waren sorgt sie dafür, dass die kostenintensiven grünen Produkte auf dem europäischen Markt gegenüber den mit herkömmlicher Energie produzierten ausländischen Billigimporten wettbewerbsfähig werden, sodass die europäischen Kapitale zu der Größe heranwachsen können, mit der sie auf dem Weltmarkt die Konkurrenz ums grüne Weltgeschäft dominieren. Daneben treibt sie den Abschluss zahlreicher neuer Freihandelsabkommen voran, mit denen die Standards für den ökologischen Wandel, die sich Europa auf seinem Binnenmarkt mit seinen Klimazielen und deren Umsetzung durch Emissionshandel, CO2-Bepreisung etc. verordnet hat, auch die im internationalen Handel gültigen werden sollen, damit der ökologisch gewandelte Kapitalismus der EU auf den Standorten ihrer Handelspartner zur Blaupause des kapitalistischen Produzierens samt seiner entsprechenden staatlichen Regelung und Betreuung wird. Und mit diversen strategischen Partnerschaften ebenso wie mit der Vergabe von Entwicklungshilfe[15] und humanitärer Hilfe, also immer als wohlverstandener Dienst an den notleidenden Völkern, verfolgt die EU die anspruchsvolle Absicht, sich ebenso zuverlässige wie billige Rohstoffquellen, z.B. für die Erzeugung „grünen Wasserstoffs“, zu sichern und Absatzmärkte für europäische Technologie zu erschließen – weiß also auch noch für den letzten Erdenwinkel, welchen Beitrag zur Rentabilität der von Europa aus vorangetriebenen Energiesystemwende er leisten könnte. So treibt die EU unter Einsatz ihres vielfältigen Instrumentenkastens aktiv ihr Programm voran, als politischer Wegbereiter die lukrativen Märkte und Investitionsstandorte für die Kapitale aus Europa herbeizuhebeln, mit denen es der EU perspektivisch gelingen soll, zum industriellen Kern des globalisierten Kapitalismus aufzusteigen – und macht darüber auch das Wiederaufbauprogramm Europas als wuchtigen gemeinschaftlichen Beitrag für dieses Projekt erst so richtig scharf.

Mit wem sich die EU mit diesem Programm, den europäischen Kapitalismus zum bestimmenden Subjekt am Weltmarkt zu machen, anlegt, das drücken ihre maßgeblichen Vertreter aus, wenn sie der EU im Falle der Energiesystemwende die Rolle des globalen Vorreiters zuschreiben, der für sich nicht weniger als die weltweite Führungsrolle im Klimaschutz beansprucht. Insofern ist die Realisierung ihres ambitionierten Projekts eine einzige offene Machtfrage, bei der alles davon abhängt, inwiefern die EU in Konkurrenz zu den USA und China sowohl bei den mächtigen Rivalen selbst als auch gegenüber der restlichen Staatenwelt die Bedingungen für das klimaneutrale Wirtschaften auf dem Globus setzen kann.

3. Über einen „grünen“ Kapitalmarkt zum Weltfinanzmarkt, vom europäischen Kreditgeld zum Weltgeld

Das anspruchsvolle Projekt, die Eroberung der Weltmärkte der Zukunft aufs rechte Gleis zu setzen, ist für die EU-Kommission der Anlass, daran für den ökologischen Wandel Europas die nächste Offensive zu knüpfen:

„Der europäische Grüne Deal ist die neue Wachstumsstrategie der EU und der Fahrplan zur nachhaltigen Ausrichtung der EU-Wirtschaft... Mit dem Investitionsplan für den europäischen Grünen Deal sollen nachhaltige Investitionen angeschoben werden... Die Kommission wird eine neue Strategie für ein nachhaltiges Finanzwesen vorlegen.“ [16]

Von der Spekulation der Kommission auf eine europäische Standortoffensive zum „grünen“ Kapitalmarkt

Für ihren Fahrplan Richtung Klimarettung sieht die EU-Kommission die Notwendigkeit für eine gewaltige Investitionswelle.[17] Die stößt die Kommission selber an, indem sie den industriellen Aufbruch Europas fördert. Mit ihren Leitplanken und milliardenschweren Anschubfinanzierungen setzt sie darauf, dass Europas Unternehmen sich aus professioneller Geldgier dazu ermuntern lassen, ihr Kapitalwachstum durch die Eroberung grüner Weltmärkte voranzutreiben. Das soll jedoch bloß der Auftakt dafür sein, eine neue Lebensader zu etablieren, durch die die Erholung und das künftige Wachstum auf lange Sicht genährt werden. [18] Die EU-Kommission setzt dafür auf spezielle Errungenschaften eines europäischen Finanzmarkts, die Ausweitung der Marktfinanzierung, nämlich den vermehrten Einsatz von Beteiligungskapital und Anleihen statt der gewöhnlichen Finanzierung per Kreditvergabe. Was die Kommission hier namhaft macht, ist ein sachlicher Fortschritt im Kreditgeschäft: Die kreditierten Unternehmen werden vom Schuldner zu einem Emittenten von Wertpapieren, deren Verkauf Kapital einbringt, das wie das eigene Vermögen im Betrieb als Kapital fungiert; im Fall von Aktien unwiderruflich. Auf der anderen Seite werden aus Gläubigern Investoren, die in Gestalt von Wertpapieren einen handelbaren Vermögenstitel erwerben; ein eigenständiges Stück Geldkapital, das förmlich getrennt von der investierten Summe das Versprechen seiner Vermehrung verkörpert. Die Entwicklung des Werts solcher Waren, abhängig von der kontinuierlichen spekulativen Einschätzung der Ertragsversprechen, die im Handel durch das Verhältnis von Angebot und Nachfrage vollzogen wird, schlägt sich somit unmittelbar im Vermögen der engagierten Investoren nieder. An den sachlichen Unterschieden zwischen Kredit- und Wertpapiergeschäften schätzt die EU-Kommission deren Leistungen für alle betreffenden Parteien. Daran knüpft sie zwecks Förderung einer europäischen Lebensader praktisch an.

Damit mehr Investitionen länger an die industrielle Revolution Europas gebunden werden, setzt sie auf die Attraktion von Investoren: [19] Das Finanzgewerbe ist eingeladen, den immensen Finanzierungsbedarf der grünen Industrie Europas als Anlagegelegenheit zu nutzen; die zum „Green Deal“ festgeklopfte Spekulation, die politisch abgesegnete finanzielle Förderung einer künftigen Weltmarktdominanz grüner europäischer Unternehmen ist dabei als Faktor zusätzlicher und anhaltender Solidität der industriellen Grundlage von nachhaltigen Investments zu würdigen. [20] Obendrein baut die Kommission auf den spekulativen Zirkel, dass das von ihr subventionierte Erfolgsversprechen der grünen Industrie die Attraktivität nachhaltiger Investments für Anleger steigert und umgekehrt die Attraktion von Investoren wiederum der grünen Industrie wachsende Mittel für ihre Konkurrenz verschafft, was wiederum als ökonomische Basis die darauf bezogenen nachhaltigen Finanzgeschäfte befeuern soll, usw.

Das ist für die EU-Kommission aber lediglich der Ausgangspunkt für eine darüber hinausgehende Förderung eines nachhaltigen Finanzwesens: [21] Die schließt rechtliche Festlegungen von allerhand Handelspraktiken, [22] speziell EU-Standards für grüne Finanzprodukte ein, die greenwashing verhindern und Transparenz bei der Spekulation sicherstellen sollen. Entscheidender ist jedoch das materielle Angebot der Kommission als auf dem Markt für nachhaltige Anleihen auftretendes ökonomisches Subjekt. [23] Ihr Projekt der NextGenerationEU finanziert sie über Euro-Anleihen, die sie im Auftrag der Staaten Europas selbst am Finanzmarkt begibt. Die sind und sollen verstanden sein als ein eigenständiges Argument für die Entscheidung Anlage suchenden Kapitals. Über die spekulative Aussicht auf den von der EU und privaten Investoren finanzierten industriellen Aufbruch Europas und die Abhängigkeit von dessen Gelingen hinaus stiftet die EU-Kommission eine sichere Geschäftsgrundlage für den Handel mit grünen Anleihen – durch Massen von Anlageobjekten, deren Solidität durch die Autorität, i.e. die Finanzkraft der EU begründet wird. [24] Um von da aus die Größe des Markts für grüne Anleihen zu erhöhen, setzt die EU-Kommission auf einen spekulativen Kreisverkehr: Ihre emittierten Renditeversprechen stabilisieren den Markt für grüne Anleihen, mit denen Investoren ihr Vermögenswachstum betreiben, was mehr Emittenten dazu [anregt] ... grüne Anleihen auszugeben und Portfoliomanager befähigt, durch die zunehmende Verfügbarkeit sicherer und umfangreicher grüner Vermögenswerte ihr Portfolio an grünen Anlagen weiter diversifizieren [zu] können[25] – was also auf beiden Seiten Interesse und Fähigkeit begründen soll, die Spekulation mit und auf grüne Anlagen immer weiter auszuweiten und so selber für eine autonome, aus sich heraus wachsende Spekulation zu sorgen.

Vom „grünen“ Kapitalmarkt zum Weltfinanzmarkt

Ihr Projekt zur Förderung des europäischen Markts für nachhaltige Finanzinstrumente legt die Kommission – es geht schließlich um die Abwendung einer globalen Katastrophe – von vornherein auf die Eroberung dieser schnell wachsenden Sparte des internationalen Finanzmarkts aus. In Verbindung mit dem Aufbauplan bietet die Förderung eines nachhaltigen Finanzwesens die Gelegenheit, die Finanzmärkte der EU zu einem globalen Zentrum für ein ‚grünes Finanzwesen‘ zu machen.[26] An einem mit EU-Anleihen abgesicherten Markt für nachhaltige Finanzprodukte, der durch sein wachsendes paneuropäisches Ausmaß, [27] das Volumen umgeschlagenen Vermögens, an Attraktivität gewinnt, kommt kein international agierender Investor vorbei, der nachhaltig anlegen will, was wiederum mit dem Ausmaß dieses Marktsegments dessen Attraktivität für die Spekulation auf nachhaltige Finanzprodukte steigert.

Darauf spekuliert jedenfalls die EU-Kommission, wenn sie solch einen grünen Referenzmarkt für die Spekulantenwelt als wichtigen Baustein zu einem noch tieferen Kapitalmarkt verbucht: Größere und stärker integrierte Märkte tragen dazu bei, die EU insgesamt zu einem größeren und tieferen Kapitalmarkt zu machen. Dies kommt inländischen Investoren zugute und erhöht die Attraktivität des EU-Kapitalmarkts für ausländische Investoren.[28] Der Kommission kommt es also auf den Zirkel aus Attraktivität durch und für Größe an; überhaupt und getrennt von dem Segment nachhaltiger Finanzprodukte, aber mit dessen Wachstum als nützlichem Beitrag. Gläubiger und Investoren, Schuldner und Emittenten aus aller Welt sind eingeladen, ihrem Interesse an Krediten und Wertpapieren aller Art am europäischen Finanzmarkt nachzugehen und dadurch selber für die nötigen Erfolgsbedingungen zu sorgen. Die wachsende Nachfrage nach Anlageobjekten stiftet immerzu neue Angebote; ein wachsender Kapitalbedarf findet entsprechende Gelegenheiten vor, Geldkapital zu emittieren. Die wachsende Nachfrage der Geldkapitalisten setzt eine Kursentwicklung ins Werk, die die Spekulation auf steigende Kurse bewahrheitet und Investoren nicht nur reicher macht, sondern befähigt, ihr Engagement weiter auszudehnen. Angesichts dessen kommen Geldbesitzer und Investoren aus aller Welt im Interesse ihres Portfoliomanagements nicht umhin, sich der Waren des europäischen Finanzmarkts zu bedienen und von Europa aus die Finanzmärkte weltweit in Beschlag zu nehmen. So antizipiert es zumindest die EU-Kommission in ihrem Aktionsplan; sie rechnet mit der schieren Größe als eigenständigem Wachstumsmotor, weil nur so die nötige Tiefe ihres europäischen als eines absolut und relativ wachsenden Teils des internationalen Finanzmarkts durchzusetzen ist.

Was es dafür, dass es soweit überhaupt kommen kann, unbedingt braucht, ist neben der Überwindung national fragmentierter Kapitalmärkte durch einheitliche Rechtsvorschriften [29] vor allem eine politisch gestiftete materielle Sicherheit. Im Interesse der Eroberung des internationalen Finanzkapitalismus kommen die EU-Bonds erneut in den Blick – als Gelegenheit, deren beschränkte Funktion für das autonome Wachstum eines grünen Finanzmarkts zu verallgemeinern und auf ein neues Niveau zu heben, das sie perspektivisch zu wirklichen Safe Assets macht, wie man sie sonst nur in Gestalt der US-Treasuries kennt:

„Die hohe Nachfrage nach Bundesanleihen und die entsprechend niedrigen Renditen offenbaren ein Strukturproblem: Dem Euro-Kapitalmarkt fehlt ein ‚Safe Asset‘, ein sichereres Wertpapier, mit ausreichendem Volumen... De facto sind seitdem [seit der Finanzkrise 2008] Bundesanleihen die ‚Safe Assets‘... Es gibt also in Euro-Land gar keine den US-Staats-Bonds vergleichbaren Papiere. Die ‚Bunds‘, wie deutsche Regierungsanleihen kurz genannt werden, sind nicht mehr als unzureichender Ersatz. Auch die Bundesanleihen sind nicht durch eine eigene Notenbank abgesichert und vor allem nur in ungenügendem Volumen vorhanden.“ [30]

Was der mitdenkende Sachverstand hier als Fehlanzeige ausdrückt, sind die qualitativen sowie quantitativen Anforderungen, die ‚sichere Anlagen‘ für einen wahrlich tiefen Finanzmarkt zu erfüllen haben:

– Was deutsche ‚Bunds‘ de facto zu Safe Assets qualifiziert: Es handelt sich immerhin um Staatsanleihen; Geldkapital, hinter dem nicht bloß irgendein geschäftliches Ertragsversprechen, vielmehr die politische Gewalt über einen ganzen nationalen Kapitalismus steht. Gemessen an den US-Staats-Bonds sind die ‚Bunds‘ allerdings bloß de facto eine Alternative, also ein unzureichender Ersatz, weil sie nicht durch eine eigene Notenbank abgesichert sind. Wirklich brauchbare europäische Safe Assets müssen diesen Makel überwinden – zugunsten der Versicherung, dass sowohl die Quelle europäischer Staatsschulden als auch deren geldpolitische Garantie den Berechnungen der einzelnen Mitgliedstaaten entzogen, nämlich an EU-Kommission und EZB überantwortet sind. Der entscheidende Unterschied liegt demnach in der Doppelnatur dieser Assets: Sie sind frei handelbares Geldkapital, vergleichbar mit und praktisch in den Vergleich gestellt zu Wertpapieren aller Art, und zugleich Repräsentant jederzeit mobilisierbarer, gültiger Zahlungsfähigkeit, weil die Europäische Zentralbank ihren Umtausch in gesetzlich verbindliches Zahlungsmittel garantiert. Das schafft Sicherheit für alle Investoren, die in solchen Safe Assets über sich verwertende Vermögenstitel und eine dauerhafte, im Prinzip unerschöpfliche geldpolitische Garantie der Geldgleichheit ihrer Investments und damit über eine solide Grundlage ihrer gesamten darauf aufbauenden Spekulation auf verbriefte Renditeversprechen verfügen.

– Deswegen kommt es bei Safe Assets außerdem darauf an, dass sie in hinreichender Masse zur Verfügung gestellt werden: Auch daran mangelt es den ‚Bunds‘; sie sind nur in ungenügendem Volumen vorhanden. Der Blick auf die US-Staats-Bonds lehrt die EU-Kommission, dass es eine auf Euro lautende europäische sichere Anlage [braucht], deren Volumen so groß ist, dass sie als Benchmark der europäischen Finanzmärkte herangezogen werden kann. [31] Damit ein europäisches Safe Asset seine Doppelnatur überhaupt nutzbringend entfalten kann, muss es funktional auf das finanzkapitalistische Wachstum der europäischen Finanzmärkte bezogen sein, nämlich in Abhängigkeit vom spekulativen Bedarf nach garantiert liquidierbaren Finanzinstrumenten, d.h. für die Refinanzierung darauf aufbauender Kredit- und Wertpapiergeschäfte in Umlauf gebracht, also in einer Größenordnung geschöpft werden, die dem Gesamtumschlag des Geldkapitals, der am Finanzplatz Europa und von ihm ausgehend weltweit stattfindet, als Sicherheit seines autonomen Wachstums dient.

Dass die anspruchsvolle Perspektive europäischer Safe Assets im Widerspruch dazu steht, die Emission von Euro-Bonds im Namen nationaler Eigenverantwortung infrage zu stellen oder zeitlich und durch Projektbindungen zu beschränken, schließt die Notwendigkeit ein, dass die Mitgliedstaaten die Gelegenheit ergreifen und sich künftig von derlei Einschränkungen emanzipieren. [32] Denn die Liquidität, die einem europäischen Finanzmarkt überhaupt seine notwendige Tiefe verleihen würde, lebt davon, dass auf Rechnung der Kommission des europäischen Staatenbunds und kraft der unerschöpflichen Finanzmacht seiner Notenbank Mittel zur Finanzierung einer zirkulären Vermehrung finanzkapitalistischer Risiken in einem Umfang zur Verfügung gestellt werden, die solch einen Zirkus absichern und dadurch erst so richtig freisetzen.

Vom europäischen Kreditgeld zum Weltgeld

Das muss sein, schließlich kommt es der EU-Kommission bei ihren Anstrengungen, das Gewicht auf Euro lautender Wertpapiere im weltweiten Finanzgeschäft [zu] erhöhen, letztlich und entscheidend darauf an, die internationale Rolle des Euro[33] zu stärken. Dass tiefe und liquide Kapitalmärkte der Schlüssel dazu sind, dass eine Währung einen globalen Status erlangt, das entnimmt die Chefin der EZB der Geschichte. [34] Maß nimmt die EU am Resultat der Erfolgsgeschichte des einzigartigen US-amerikanischen Finanzmarkts und dem konkurrenzlosen internationalen Status seiner Währung: Der Dollar ist die Maßeinheit und die Materie des Werts der Instrumente, mit denen die Akteure des US-Finanzmarkts die Akkumulation der Wirtschaft finanzieren, bezeichnet die Kredit- und Wertpapiergeschäfte, für die er geschöpft und in Verkehr gebracht wird, repräsentiert nicht nur das finanzierte Wachstum der Industrie und das autonome Wachstum des Finanzgewerbes in den USA, sondern darüber hinaus seinen weltweiten kapitalistischen Einsatz, weil und insoweit das amerikanische Kreditgeld als Vehikel aller Funktionen des globalen Kapitalismus fungiert. Das durch die Konstitution eines durch Safe Assets begründeten europäischen Weltfinanzmarkts für den Euro durchzusetzen, ist das erklärte Ziel: In dem Maße, wie der europäische Finanzmarkt als Umschlagplatz des Kredits und Geldkapitals der Schuldner und Gläubiger, Emittenten und Investoren aus aller Welt genutzt wird, ein selbstreferenzielles finanzkapitalistisches Wachstum des europäischen Finanzgewerbes absolut und relativ wachsende Teile des internationalen Finanzgeschäfts umschlägt, ist das einschlägige Kreditzeichen Euro Weltkreditgeld – jenseits des eigenen Hoheitsgebiets, global gültiger Maßstab kapitalistischen Reichtums, garantiertes Zugriffs- und Kreditmittel.

*

Die Kommission nimmt sich nicht nur vor, aus einer pandemischen Krise einen kapitalistischen Fortschritt des europäischen Industriestandorts zu drechseln. Wenn Europa schon einen milliardenschweren Haushalt auf den Weg bringt, gilt das gleich als Auftakt dazu, auch noch die tendenzielle Verwüstung der Welt durch die klimatischen Auswirkungen von 150 Jahren kapitalistischer Produktionsweise doppelt und dreifach produktiv zu machen. Die Eroberung der Sparten des Weltmarktgeschäfts, denen die Zukunft kapitalistischer Bereicherung vorausgesagt wird, die Internationalisierung des finanzkapitalistischen Wachstumszirkels einer tiefen Kapitalmarktunion, die Subsumtion der kapitalistischen Welt unter die Funktion europäischen Geldkapitals als Hebel zur Etablierung eines europäischen Weltkreditgelds – so ist Europas Beitrag zur Klimarettung zu haben. Dafür scheut die EU auch nicht davor zurück, daraus ein Kampffeld der Staatenkonkurrenz zu machen, intern und gegen den Rest der Staatenwelt.

[1] Vgl. dazu den grundsätzlichen Artikel Von der Kunst, die Widersprüche eines supranationalen Kreditgelds bis zum Gehtnichtmehr auszureizen und fortzuschreiben, GegenStandpunkt 3-20.

[2] Im Rahmen ihres Krisenankaufsprogramms ‚PEPP‘ will das Euro-System bis März 2022 Wertpapiere im Umfang von fast zwei Billionen Euro ankaufen. Dabei entfällt der Löwenanteil auf Staatsanleihen. Die EZB gibt den Euro-Staaten zwar keinen Direktkredit, denn das wäre verbotene monetäre Staatsfinanzierung. Aber auch die indirekte Finanzierung wirkt: Sogar hoch verschuldete Euro-Staaten können ihre immensen Staatsdefizite in diesem Jahr zu historisch niedrigen Zinsen mühelos finanzieren. (SZ, Forum, 11.1.21)

[3] Wir sehen tatsächlich, dass die verschiedenen Länder des Euroraumes sehr unterschiedlich von der Krise betroffen werden. Und das hat ja im Wesentlichen damit zu tun, dass bestimmte Sektoren stärker von der Krise getroffen werden als andere. Wir sehen eben vor allen Dingen einen Einbruch im Bereich der Dienstleistungen. Während Bereiche wie die Industrie ja weniger stark getroffen sind und jetzt auch davon profitieren, dass beispielsweise China sich sehr schnell erholt hat. Und das führt dazu, dass es eine gewisse Divergenz im Euroraum gibt. Und hinzu kommt, dass die Länder, die jetzt besonders stark betroffen wurden, weil sie beispielsweise einen sehr großen Tourismussektor haben, auch diejenigen waren, die bereits vor der Krise in einer schwächeren Ausgangssituation waren und auch geringere fiskalische Spielräume hatten. Und gerade deshalb ist es ja so wichtig, dass es eine europäische Antwort auf diese Krise gibt. (DLF, 31.1.21, Interview mit I. Schnabel, EZB-Direktorin)

[4] Davon kündet auch ihr neues Anleihekaufprogramm. Dies ist ... mit einer besonderen Flexibilität ausgestattet, die es erlauben würde, in Krisenzeiten in den Ländern mehr Anleihen zu kaufen, in denen sich besondere Verwerfungen zeigen. Und der Grund ist, dass man damit sicherstellen möchte, dass unsere gemeinsame Geldpolitik eben auch den gesamten Euroraum erreicht. Und genau eine solche Situation hatten wir im März des vergangenen Jahres, als es zu einer deutlichen Fragmentierung im Euroraum gekommen ist. Und dann wurden auch verstärkt Anleihen bestimmter Mitgliedstaaten gekauft. (Ebd.)

[5] Da das avisierte Wiederaufbauprogramm eine außergewöhnliche Reaktion auf diese vorübergehenden, aber extremen Umstände darstellt, sind die der Kommission übertragenen Befugnisse zur Mittelaufnahme hinsichtlich Höhe, Dauer und Umfang klar begrenzt. (Schlussfolgerungen des Europäischen Rates, 21.7.20, S. 3)

[6] Der vom Europäischen Rat im Juli 2020 ausgehandelte und von den Mitgliedstaaten schließlich im Frühsommer 2021 ratifizierte Kompromissplan ermächtigt die Europäische Kommission, im Namen der EU bis Ende 2026 Mittel zur Bewältigung der Folgen der COVID-19-Krise von bis zu 750 Mrd. Euro an den Kapitalmärkten aufzunehmen und den Mitgliedstaaten nach dem Grad und Umfang der jeweiligen pandemiebedingten Schädigung in Form von nicht rückzahlbaren Zuschüssen und Darlehen zuzuweisen. Die Zuweisung richtet sich nach folgenden Faktoren: Bevölkerung des Mitgliedstaats, umgekehrtes Pro-Kopf-BIP, durchschnittliche Arbeitslosenquote in den letzten 5 Jahren (2015 – 2019) im Vergleich zum EU-Durchschnitt bzw. realer BIP-Rückgang 2020 und kumulativer realer BIP-Rückgang im Zeitraum 2020 – 2021. Größte Profiteure des Fonds sind Spanien mit ca. 70 Mrd. Euro und Italien mit 69 Mrd. Euro.

[7] Etabliert wird damit ein innereuropäisches Kreditverhältnis ganz eigener Art, mit dem einerseits darauf bestanden wird, dass die Mitgliedstaaten im Prinzip über ihre Einlagen im EU-Haushalt für die Schulden der Kommission haften – das andererseits Elemente einer gesamtschuldnerischen Haftung, also einer von Deutschland bisher vehement abgelehnten Schuldenunion enthält, die von der Bedürftigkeit der Mehrheit der nationalen Haushalte in Europa ausgeht und ihr Rechnung trägt.

[8] Dem Umstand, dass die Kommission souveräne Staaten mit ihrem nationalen Wachstumsinteresse und ihren wirtschaftspolitischen Berechnungen wie Ausführungsorgane für den Erfolg Europas veranschlagt, verschafft sie dadurch Geltung, dass sie kontrolliert, was die Staaten an Konjunkturmaßnahmen zu ergreifen gedenken, und den zugesprochenen Zugriff auf die Fazilität von einer weitgehenden Konformität der selbstverantwortlich beschlossenen nationalen Aufbau- und Resilienzpläne mit den Vorgaben des gemeinsamen Aufbruchprogramms abhängig macht.

[9] Art. 3 der Verordnung (EU) 2021/241 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.2.21 zur Einrichtung der Aufbau- und Resilienzfazilität, ABl. L 57, S. 17, 31

[10] NextGenerationEU ist das Kernstück der EU für ihre Reaktion auf die Coronavirus-Krise und hat das Ziel, die wirtschaftliche Erholung zu unterstützen und die Zukunft grüner, in stärkerem Maße digitalisiert und widerstandsfähig zu gestalten. Die EU hat dieses Instrument als Teil eines Konjunkturpakets von über 2 Billionen EUR (zu jeweiligen Preisen) bzw. 1,8 Billionen EUR (zu Preisen von 2018) vereinbart, was auch den langfristigen Haushalt 2021 – 2027 umfasst. (EU-Kommissar Hahn, 14.4.21)

[11] Mindestens 37 % der ausgezahlten Hilfen müssen dem Kampf gegen den Klimawandel und 20 % der Digitalisierung gewidmet werden.

[12] Vgl. dazu „‚Klimaschutzprogramm 2030‘ – Deutschlands Energieimperialismus wird klimaneutral“, GegenStandpunkt 1-21.

[13] Vgl. dazu „Die Digitalisierung des Kapitalkreislaufs“, GegenStandpunkt 3-19.

[14] Im Falle der Digitalisierung hat dieses Programm eher den Charakter einer eingestandenen Aufholjagd europäischer Konzerne zu der marktbeherrschenden Dominanz von Google, Apple und Co – eine Dominanz, die die EU gleich auf der Ebene der politischen und strategischen Machtkonkurrenz gegen die USA und China reflektiert und angeht (vgl. GegenStandpunkt 3-19).

[15] Die energiepolitische Agenda der EU ist mittlerweile verbindliche Geschäftsgrundlage ihrer Kooperations- und Freihandelsverträge mit Drittstaaten und Bedingung ihrer Finanzhilfe für Entwicklungsländer.

[16] Europäische Kommission: „Eine Kapitalmarktunion für die Menschen und Unternehmen – neuer Aktionsplan“, Brüssel, 24.9.20, COM(2020) 590 final

[17] RND-Sommerinterview mit von der Leyen, 4.8.21

[18] Europäische Kommission: „Eine Kapitalmarktunion für die Menschen und Unternehmen – neuer Aktionsplan“, Brüssel, 24.9.20, COM(2020) 590 final

[19] Die stärkere Ausrichtung der Finanzierungsstrukturen auf Eigenkapital stellt die EU-Unternehmen auf eine strukturell solide Grundlage und verhindert eine allzu große Abhängigkeit von Fremdkapital, die später zu Finanzierungsproblemen der Unternehmen führen könnte... Insbesondere für schnell wachsende, innovative Unternehmen in frühen Entwicklungsphasen und Scale-ups, die in weltweiten Wettbewerb treten wollen, ist Eigenkapital von großer Bedeutung. Auch bei der Förderung der Umstellung auf eine nachhaltige Wirtschaft spielt Eigenkapital eine wichtige Rolle, da Vorhaben mit Nachhaltigkeitszielen über einen langen Zeitraum hinweg finanziert werden müssen. (Ebd.)

[20] Der ehrgeizige Aufbauplan der EU ... [wird] die Wirtschaft unterstützen, Innovationen fördern, die Investitionsmöglichkeiten erweitern und das Angebot hochwertiger auf Euro lautender Anleihen erhöhen. (EU-Kommissarin McGuinness in: Europäische Kommission – Pressemitteilung, Brüssel, 19.1.21)

[21] Europäische Kommission – Pressemitteilung, Brüssel, 19.1.21

[22] Die EU unternimmt große Anstrengungen, um ein Ökosystem für ein nachhaltiges Finanzwesen aufzubauen. Die EU-Taxonomieverordnung, die Verordnung über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten und die Verordnung über Referenzwerte bilden die Grundlage für mehr Transparenz und dienen Investoren als Instrumentarium zur Ermittlung nachhaltiger Investitionsmöglichkeiten. (Europäische Kommission: „EU-Taxonomie, Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen, Nachhaltigkeitspräferenzen und treuhänderische Pflichten: Finanzielle Mittel in Richtung des europäischen Grünen Deals lenken“, Brüssel, 21.4.21, COM(2021) 188 final)

[23] Präsenz der EU auf dem Markt für nachhaltige Anleihen. Anleihen mit der Einstufung ‚ESG‘ (Environmental, Social and Corporate Governance – Umwelt, Soziales und Unternehmensführung) sind auf den Kapitalmärkten ein schnell wachsendes Segment. Durch diese Instrumente werden Emittenten, die für offenkundig nachhaltige Tätigkeiten Finanzmittel beschaffen wollen, und Investoren, die ihr Kapital für die Unterstützung von Projekten mit nachhaltig ökologischer und sozialer Wirkkraft zur Verfügung stellen möchten, zusammengebracht. Die beiden gefragtesten Arten von Anleihen mit der Einstufung ‚ESG‘ sind Sozialanleihen und grüne Anleihen... Die Kommission trat 2020 mit ihrer SURE-Sozialanleihe in den Markt für nachhaltige Anlagen ein. Im Rahmen dieses Programms mobilisiert die Kommission bis zu 100 Mrd. EUR auf den Kapitalmärkten (75 Mrd. EUR wurden bis Mitte April 2021 bereits mobilisiert)... Zusammen mit der ausgezeichneten Bonität der EU hat dies dazu geführt, dass Investoren an der bisherigen Reihe von Emissionen anhaltend starkes Interesse gezeigt haben. Die erste EU-SURE-Anleihe im Wert von 17 Mrd. EUR brach viele Marktrekorde, darunter denjenigen für die bislang größte europäische Anleiheemission. Mithilfe von NextGenerationEU wird die Kommission außerdem das Segment für grüne Anleihen des ESG-Markts erschließen. (Europäische Kommission: „Grüne Anleihen im Rahmen von NextGenerationEU“, 14.4.21)

[24] An der wirkt auch die Europäische Zentralbank als Großspekulant mit: Die Europäische Zentralbank (EZB) hat beschlossen, einen Teil ihres Eigenmittelportfolios im Green#Bond-Investmentfonds für Zentralbanken (EUR BISIP G2) anzulegen. Er wurde von der Bank für Internationalen Zahlungsverkehr (BIZ) aufgelegt und ist in Euro denominiert. Mit dieser Anlageentscheidung leistet die EZB im Rahmen ihres Mandats einen Beitrag zu den weltweiten Bemühungen, sowohl umweltpolitische Ziele als auch die Klimaziele der EU voranzubringen und den Klimawandel zu bekämpfen. Der Green-Bond-Fonds der BIZ investiert in erneuerbare Energien, Energieeffizienz und andere umweltfreundliche Projekte. Die Anlageentscheidung zugunsten des EUR BISIP G2 ist Teil der von der EZB beschlossenen Strategie für ein nachhaltiges und verantwortliches Investment. Ziel ist eine Erhöhung des Anteils grüner Wertpapiere im Eigenportfolio der EZB. Diese Anlagen stellen eine Ergänzung zu den direkt am Sekundärmarkt erworbenen Green Bonds dar. Die EZB hält bereits grüne Anleihen im Umfang von 3,5 % ihres Eigenmittelportfolios, das einem Marktwert von insgesamt 20,8 Mrd. € entspricht. Die EZB beabsichtigt, diesen Anteil in den kommenden Jahren weiter auszubauen. (EZB, Pressemitteilung, 25.1.21)

[25] Europäische Kommission: „Grüne Anleihen im Rahmen von NextGenerationEU“, 14.4.21

[26] Europäische Kommission – Pressemitteilung, Brüssel, 19.1.21

[27] Lagarde: Towards a green capital markets union for Europe, Rede am 6.5.21

[28] Europäische Kommission: „Eine Kapitalmarktunion für die Menschen und Unternehmen – neuer Aktionsplan“, Brüssel, 24.9.20, COM(2020) 590 final

[29] Dies betrifft insbesondere die Bereiche Besteuerung, Insolvenzen von Nichtbanken und Gesellschaftsrecht. In diesen Bereichen schlägt die Kommission gezielte Maßnahmen in Bezug auf die wichtigsten Barrieren vor, die zu einer Fragmentierung der Märkte führen und grenzüberschreitende Investitionen erschweren. (Ebd.)

[30] „Der Euro-Zone fehlt ein sicheres Wertpapier“, Handelsblatt, 6.3.19

[31] Europäische Kommission: „Reflexionspapier zur Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion“, Brüssel, 31.5.17, COM(2017)

[32] Die Anleihen, mit denen der Europäische Wiederaufbaufonds finanziert wird, sind noch nicht das erhoffte Safe Asset der europäischen Währungsunion. Mit den richtigen Reformen könnten sie es aber werden. Um das Safe Asset zu werden, müsste die EU mehr Anleihen ausgeben, die EU-Kreditaufnahme dauerhaft werden und die EZB müsste supranationale EU-Anleihen besser behandeln. Die Anleihen sind kein reines Eurozonen-Instrument, aber dieser Makel wird durch bemerkenswerte fiskalische und demokratische Vorteile ausgeglichen. Wenn das Pilotprojekt NextGenerationEU – zeitlich begrenzt und speziell auf die Bekämpfung der Coronavirus-Pandemie zugeschnitten – erfolgreich ist, dann sollten die Mitgliedstaaten die Gelegenheit ergreifen und es verlängern, bevor die Schulden ab 2028 zurückgezahlt werden. (Sebastian Mack, Hertie School: „Don’t change horses in midstream“)

[33] Europäische Kommission: „Eine Kapitalmarktunion für die Menschen und Unternehmen – neuer Aktionsplan“, Brüssel, 24.9.20, COM(2020) 590 final

[34] Lagarde: Towards a green capital markets union for Europe, Rede am 6.5.21