Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Bundestagswahl 2005
Die Linkspartei
Die Partei der Schlechtergestellten auf dem Weg ins Parlament: Armut wird wieder lebenswert in Deutschland!
Aber: Es gibt sie anscheinend doch noch, die tapferen Minderheiten. Sie stemmen sich der Allparteienkoalition entgegen, die neue Pegelstände der Volksverarmung markieren und damit Deutschland wieder „nach vorne bringen“ will. Diese Außenseiter liegen, demoskopisch gesehen, zunächst bei ca. 2,5 und 4,5 Prozent, nennen sich WASG und PDS, und haben sogar ganz Linke in ihren Reihen, die sich nicht scheuen, das soziale Arbeit-Schaffen im Kapitalismus überhaupt anzweifeln
Aus der Zeitschrift
Teilen
Bundestagswahl 2005
Die Linkspartei
Die Partei der Schlechtergestellten
auf dem Weg ins Parlament: Armut wird wieder lebenswert
in Deutschland!
Der politische Mainstream ist unwiderstehlich und der
anlaufende Wahlkampf bestätigt es: Die Nation kann nur
gerettet werden durch Hartz IV, durch Vorfahrt für Arbeit
und die Neudefinition des Sozialen
, das diesen
alten Ehrentitel heute nur mehr verdienen soll, wenn es,
egal zu welchen Konditionen, Arbeit schafft
. Aber:
Es gibt sie anscheinend doch noch, die tapferen
Minderheiten. Sie stemmen sich der Allparteienkoalition
entgegen, die neue Pegelstände der Volksverarmung
markieren und damit Deutschland wieder nach vorne
bringen
will. Diese Außenseiter liegen, demoskopisch
gesehen, zunächst bei ca. 2,5 und 4,5 Prozent, nennen
sich WASG und PDS, und haben sogar ganz Linke in ihren
Reihen, die sich nicht scheuen, das soziale
Arbeit-Schaffen im Kapitalismus überhaupt anzweifeln: Sie
erlauben sich, und das gleich in ihren
programmatischen Grundlagen
, den lebensnahen
Hinweis, dass
„die Zahl der Armen zunimmt und die Anstrengungen der Menschen bei ihrer Arbeit, ihre Bemühungen um bessere Produktionstechnik und Organisation, sinnlos werden: Denn was die Arbeit erleichtern kann, vergrößert den Stress, was die Produktivität der Arbeit erhöht, die Arbeitszeit ergiebiger macht, vermehrt die Arbeitslosigkeit“ (WASG, Vorschläge für programmatische Grundlagen, 27.6.2004)
Noch bevor sich aber ein von den Zumutungen der
Geschäftswelt und ihrer Politiker genervtes Gemüt, in
Erwartung eines herzhaften „Hau weg den Scheiß“,
sympathisierend bei solcher Programmatik unterhaken kann,
stolpert es unvermeidlich über ein nicht zu überhörendes
Bekenntnis zu … Marktwirtschaft, zu freiem
Unternehmertum und zu Gewinnen
(Lafontaine, SZ, 16.6.05) aus den
Führungsetagen dieser Programmschreiber und muss sich wie
folgt belehren lassen:
„Die bisherige Politik hat nichts gebracht. Es sind keine Arbeitsplätze entstanden.“ (Gysi bei Christiansen, 5.6.)
Das, was die bisherige Politik
gebracht
hat, ihr Erfolg und der des Kapitals in Sachen
Produktivitätssteigerung, die mehr Armut, Anstrengung und
Arbeitslosigkeit schafft, soll, kaum programmatisch
kritisiert, bei Sabine im Fernsehen schon wieder
nichts
sein? Und dieser Erfolg soll als
Misserfolg der bisherigen Politik
vorgeworfen werden, die keine Arbeitsplätze
zum
Entstehen
gebracht hat? Ist das schade, wenn es
auf denen so zugeht, wie oben beschrieben?
Derlei Vorwürfe und das Bedauern über das Ausbleiben von
Ausbeutung mittels möglichst vieler kapitalistischer
Arbeitsplätze lassen erkennen, dass die linken
Alternativen sich einerseits – programmatisch
eben
– eine durchaus schlechte Meinung über das
kapitalistische Wirtschaften halten, andererseits aber
weder ihm und schon gleich nicht der zuständigen
Staatsgewalt eine prinzipielle Absage erteilen wollen: So
wird jeder Beweis für die Unvereinbarkeit dieser
Produktionsweise mit dem proletarischen Lebensunterhalt
ein Grund mehr, auf der Vereinbarkeit von
rentabler Arbeit und gutem Leben zu bestehen,
weil sie vereinbar sein sollen und
müssen. Weil eben Wirtschaft – wenn man
sie so, wie sie derzeit stattfindet, nicht abschaffen
will – zwar nicht anders geht, wohl aber mehr
Rücksicht auf die sozial Schwächeren
nehmen könnte.
Damit sind unschöne Reminiszenzen an Klassengegensätze
und ihre kämpferische Austragung, mit denen sich Linke
früher regelmäßig unbeliebt gemacht haben, getilgt. Und
nicht einmal der Begriff Sozialismus kommt in dem
Programm vor
(T-Online-Nachrichten, 18.7.), das sich
die frisch vermählten Parteien PDS und WASG für ihre
Neuschöpfung, die „Linkspartei“, gegeben haben. Die
Anforderungen an die Adressaten bewegen sich
dementsprechend ganz in den Grenzen des demokratischen
Realismus: Sie sind nicht zu irgendeiner Sorte
praktischem Widerstand aufgerufen, sondern nur, das aber
ganz nachdrücklich, zu einem entschieden linken
Kreuzchen bei der vereinigten linken
Wahlalternative
. Mit der meldet sich dann doch nur
ein weiterer Verein an – zur Teilnahme an der politischen
Verwaltung des kapitalistischen Standorts.
Die will den Durchbruch bei den nächsten Wahlen schaffen
als die Partei der Schlechtergestellten und den
Zukurzgekommenen, den Globalisierungs- und
Wendeverlierern
(Spiegel), Sitz und Stimme im Parlament
verleihen. Dem Ideal der politischen
Sozialpflege zugunsten der Armen, die es nun
einmal im Kapitalismus gibt, wollen sie wieder Geltung
verschafften. Den Grund der Armut abschaffen zu
wollen, dazu sind sie zu sozialdemokratisch; dafür
einzutreten, dass die Armut nicht größer werden
solle, wie es sich die als Kandidat wieder abgesprungene
Künstlerseele Sodann als Ergebnis seines politischen
Engagements bei den Linken gewünscht hat, dafür sind sie
allemal sozialdemokratisch genug. Und zwar mehr als die
Schröder-SPD mit ihren sozialstaatlichen Wegwerfaktionen.
Deren politisches Erbe wollen sie antreten und dafür
sorgen, dass im Lande wieder mehr mit Blick auf die
schlechter oder gar nichts Verdienenden regiert werde und
sie – ganz ohne prinzipiellen Antikapitalismus,
ganz ohne Systemalternative
– wieder ein wenig
besser gestellt würden.
Dass das geht, weil es gehen muss: Mit
diesem sozialmoralischen Optimismus tritt der neue,
wirtschafts-, staats- und menschenfreundliche Verein dem
großen Kartell der sozialen Kälte der anderen
Parteien
(Programm der
Linkspartei) entgegen; und mit dieser Gewissheit
bezweifeln sie Schröders Sachzwänge
und Merkels
ehrliche Bilanz
, die beide weitere Einschnitte
bei den Sozialleistungen
begründen sollen. Und sie
fühlen sich am stärksten, wenn sie ihre ganze Beweiskraft
darauf verwenden, erst nach- und dann dem Publikum
vorzurechnen: Verelendung muss im Kapitalismus nicht
sein! Wo alle politischen Kräfte im Lande behaupten,
die Arbeit sei zu teuer hier zu Lande und das Soziale
unerträglich aufwändig, der Wiederaufschwung des privaten
Reichtums in Deutschland brauche deswegen noch deutlich
mehr Arbeiterarmut, da hält die Linkspartei dagegen und
besteht darauf, der deutsche Kapitalismus könne auch ohne
Massenarmut florieren. So haben sie viel zu versprechen:
Den Arbeitern Lohnarbeit in Würde, nicht in Armut
(Eckpunkteprogramm); den
Arbeitslosen, Rentnern und Arbeitnehmern in
Deutschland
, dass sie ordentlich behandelt
(Lafontaine, SZ, 16.6.)
werden sollen; dem Kapital den Ausweg aus der Krise durch
mehr Massenkaufkraft; und der Demokratie einen
Neubeginn der Linken und einer sozialen
Alternative
(www.w-asg.de,
24.6.), zumindest aber eine breite, radikale
Opposition
(ebd.) und die
unverzichtbare Stimme der Ostdeutschen.
(Programm der Linkspartei)
*
So hätte man also mitten im Konkurrenzgetümmel der
Parteien ein, historisch gesehen ziemlich abgestandenes,
nach aktuellen Maßstäben taufrisch aufgewärmtes
sozialdemokratisches Angebot, das sich gegenüber dem
Reformfundamentalismus aller anderen richtig alternativ
ausnimmt: Diese neuen deutschen Linken wollen wieder
einmal die Gesellschaft mittels Sozialhilfe und
Armenpflege versöhnen statt spalten, auch wenn sich der
Rest der politischen Klasse
und die nationale
Kapitalistenmannschaft, mitten im Klassenkampf von oben,
überhaupt keine Versöhnung bestellt haben. Die neue
Partei könnte also getrost, befeuert von immer besseren
Umfragewerten, zum Wahlkämpfen und Wählenlassen
schreiten.
Allerdings haben die beiden Teilvereine gewisse Schwierigkeiten miteinander:
Die einen fürchten, in einer bundesweiten Linkspartei,
zusammen mit ahnungslosen Besserwessis
ein wenig
unterzugehen und auf dem Wählermarkt an Anziehungskraft
zu verlieren, wenn sie nicht mehr als Sammelbecken
Respekt heischender Ostbiographien
erkennbar wären
und auf ihren spezifisch ostdeutschen
Erfahrungshintergrund
pochen könnten. Die Westler von
der WASG, überwiegend hart gesottene Antikommunisten aus
sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Kreisen,
halten die PDS nach wie vor für eine Art Tarnorganisation
der SED, ein Überbleibsel des überwundenen falschen
Systems, einen Verein also, in dem auf allen möglichen
Plattformen noch der Stalinismus nistet: Bei
uns haben noch viele vor Euch Angst
(WASG-Chef Ernst an die Adresse der PDS).
Die wechselseitigen Vorbehalte der demokratisierten
Ost-Volkspartei, die um ein Stück alternativer
deutsch-patriotischer Parteiengeschichte fürchtet, wenn
sie zu sehr verwestlicht, wie die der freiheitlichen
Sozis gegen den angeblichen Stalinismus der SED-Enkel und
ihren Ossi-Mief
(Spiegel), speisen sich erkenntlich
weniger aus programmatischen Differenzen, schon eher aus
solchen in Fragen der jeweiligen politischen
Kultur
: Deswegen bekommen sie ruckzuck ein
gemeinsames Wahlprogramm zustande und stellen fest, dass
sie zum Erfolg verurteilt
(Gysi) sind und sich gegenseitig
brauchen, wenn sie in Ost und West gewählt werden
wollen. Was zählt da schon, dass man sich nicht recht
ausstehen kann?
*
Da trifft es sich glänzend, dass sich für den in Aussicht
genommenen gemeinsamen Wahlverein eine
Kandidaten-Doppelspitze gefunden hat, die man nur als
Glücksfall für das Vereinigungsprojekt betrachten kann:
Zwei erfahrene Polithaudegen, die eine gewisse
Flexibilität sowohl in Sachen Programmatik als auch
politischer Kultur vorweisen können, und die, gnadenlos
erfolgsorientiert wie sie sind, als Personen die
gelungene Einheit der Differenzen repräsentieren, die dem
Zusammenschluss noch entgegenstehen könnten: Gysi, mit
makelloser Ossi-Abstammung und halbwegs abgewehrtem
Stasi-Verdacht, aber ein sozialliberaler Windbeutel, dem
auch kaum ein misstrauischer Wessi heute noch wirklich
dunkle stalinistische Machenschaften zutraut; und
Lafontaine, alter West-SPDler mit Regierungserfahrung,
der so glaubwürdig das Erbe der Arme-Leute-Partei, die
die SPD nicht mehr sein will, einfordert – im Namen der
von Globalisierung
und falscher,
unsozial-neoliberaler
Wirtschaftspolitik
Geschlagenen –, dass er damit vielleicht auch als Westler
bei den Vereinigungs- und Krisenopfern der abgeschifften
neuen Länder
landen kann. Dass diese Figuren, mit
ihrem Star-Status in ihren Parteien, sich durchaus einige
Distanz zu und manchmal ein wenig Verachtung für ihre
neu-alten Genossen und die Partei heraushängen lassen,
die sie zum Vehikel auch ihres persönlichen Erfolges
machen, muss auf dem leicht ekelhaften Markt der
starken demokratischen Persönlichkeiten kein
Schaden für das Wahlergebnis sein. So bekommt auch die
neue sozialdemokratische Linke noch die
Kandidaten, die sie verdient.