KW 16

Im japanischen Karuizawa findet ein Treffen der G 7-Außenminister statt. Gleich zu Beginn sind die Chefdiplomaten der G 7 sich eine Erinnerung an den „Angriffskrieg“ schuldig, den sie im Namen der Weltgemeinschaft als ‚unrechtmäßige Gewalt‘ definieren und zum wiederholten Male „auf das Schärfste“ verurteilen. Die Aufforderung zur bedingungslosen Kapitulation machen sie im Folgenden zum Ausgangspunkt einer neuerlichen Eskalation ihres Sanktionsregimes.

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Episoden des dementierten Russland-NATO-Kriegs
KW 16

Die G 7-Außenminister warnen vor = drohen mit einer neuen „Blockkonfrontation“

Im japanischen Karuizawa findet ein Treffen der G 7-Außenminister statt. Für die Weltöffentlichkeit halten die in ihrem Abschlusskommuniqué fest:

„Wir verurteilen Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine, der einen schwerwiegenden Verstoß gegen das Völkerrecht einschließlich der Charta der Vereinten Nationen darstellt, erneut auf das Schärfste. Russland muss alle Streitkräfte und sämtliche Ausrüstung unverzüglich und bedingungslos aus der Ukraine abziehen.“

Gleich zu Beginn sind die Chefdiplomaten der G 7 sich eine Erinnerung an den „Angriffskrieg“ schuldig, den sie im Namen der Weltgemeinschaft als ‚unrechtmäßige Gewalt‘ definieren und zum wiederholten Male „auf das Schärfste“ verurteilen. Die Aufforderung zur bedingungslosen Kapitulation machen sie im Folgenden zum Ausgangspunkt einer neuerlichen Eskalation ihres Sanktionsregimes:

„Wir sind weiterhin entschlossen, Sanktionen gegen Russland zu verstärken, diese abzustimmen und vollumfänglich durchzusetzen, unter anderem durch den Mechanismus zur Koordinierung der Durchsetzung, sowie den Versuchen Russlands und Dritter entgegenzuwirken, unsere Sanktionsmaßnahmen zu umgehen und zu unterlaufen. Wir rufen Dritte erneut dazu auf, ihre Unterstützung für Russlands Krieg einzustellen; andernfalls müssen sie mit hohen Kosten rechnen. Wir werden uns stärker abstimmen, um Waffenlieferungen an Russland durch Dritte zu unterbinden und darauf zu reagieren, und werden weiterhin Maßnahmen gegen diejenigen ergreifen, die Russlands Krieg gegen die Ukraine materiell unterstützen.“

Die G 7-Außenminister einigen sich darauf, Abweichungen nationaler Berechnungen von ihrem antirussischen Verdikt nicht nur zu ächten, auch nicht bloß zu verbieten, sondern flächendeckend zu unterbinden. Sie kündigen an, die ganze Staatenwelt dahingehend zu erpressen, den Unvereinbarkeitsbeschluss gegen Russland nicht mehr berechnend zu handhaben, sondern als unumstößliche Voraussetzung jeglicher Wirtschafts- und Handelspolitik zu respektieren. Dafür kündigen die G 7-Außenminister noch nicht näher spezifizierte Sanktionen an, mit denen sie sich weitreichende Schädigungen all der Nationen vorbehalten, die sich dem nicht fügen. Sie versichern sich und dem Rest der Welt, dass die Globalisierung ihres antirussischen Sanktionsregimes ein globales Kampfprogramm braucht und bekommt, um wirklich alle Staaten auf Linie zu bringen.

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China ist nicht nur ein seiner Wirtschaftsmacht wegen entscheidender Adressat in diesem Kampf, sondern wird selber von den G 7-Außenministern bereits als der nächste und perspektivisch noch brisantere Problemfall ihrer Weltfriedensordnung auf die Tagesordnung gesetzt:

„Wir erinnern China an die Notwendigkeit, die in der Charta der Vereinten Nationen niedergelegten Ziele und Grundsätze zu achten und von Drohungen, Zwang, Einschüchterung und der Anwendung von Gewalt abzusehen. Wir sind nach wie vor ernsthaft besorgt angesichts der Lage im Ost- und Südchinesischen Meer. Wir lehnen einseitige Versuche zur gewaltsamen oder erzwungenen Änderung des Status quo entschieden ab. Es gibt keine Rechtsgrundlage für Chinas expansive maritime Ansprüche im Südchinesischen Meer, und wir lehnen Chinas Aktivitäten zur Militarisierung in der Region ab.“

Der „Status quo“ der Weltfriedensordnung ist exklusiver Besitzstand der G 7. Daher nehmen ihre Außenminister Chinas strategische Ambitionen als Angriff darauf ins Visier. Den gehen sie vorauseilend per Drohung an: Vor dem Hintergrund, mit welcher Unnachgiebigkeit die westlichen Führungsmächte ihre Feindschaft gegen Russland auf allen Ebenen vorantreiben und verallgemeinern, sparen sie sich gegenüber dem chinesischen Rivalen die Ankündigung konkreter Konsequenzen. Die Warnung, dass China die „Ziele und Grundsätze zu achten“ hat, die alleine sie festlegen und garantieren, soll es zur Unterordnung unter das westliche Ordnungsmonopol bewegen. Nebenbei erfährt so auch der Rest der Staatenwelt, worauf er sich in Zukunft noch wird einstellen müssen, vor allem, aber nicht einmal nur im Verkehr mit China.

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So treiben die G 7 die ganze Welt in eine „Blockkonfrontation“ gegen russische und chinesische Eigenmächtigkeiten. Schön, wie die deutsche Außenministerin diese Nötigung ausdrückt: „Niemand auf der Welt wünscht sich eine neue Blockkonfrontation“; der Westen, der sich zur „Wertepartnerschaft“ zusammenschließt und gegen seine Rivalen und Abweichler in Stellung bringt, natürlich am allerwenigsten. „Unsere Einigkeit ist keine Abgrenzung. Sie ist ein Angebot für eine faire Zusammenarbeit.“

Militärische Kooperation zwischen China und Russland

Unter dem Eindruck und zugleich unbeeindruckt von der Drohung einer „Blockkonfrontation“ seitens der G7 reist der chinesische Verteidigungsminister Li Shangfu nach Moskau, um mit der Wahl des Ziels seiner ersten Auslandsreise ein Zeichen für die „sehr starken Beziehungen“ beider Länder zu setzen, die noch weit „besser [seien] als die militärischen und politischen Allianzen aus der Zeit des Kalten Krieges“. So kontert der Minister die beanspruchte Isolation Russlands mit dem Verweis auf die „enge Partnerschaft“ beider Länder, die er nun auch innerhalb seines Ressorts stärker vorantreiben will – ganz im Sinne seiner russischen Gastgeber: „Unsere militärischen Abteilungen arbeiten aktiv zusammen, tauschen regelmäßig nützliche Informationen aus, arbeiten auf dem Gebiet der militärisch-technischen Zusammenarbeit zusammen und halten gemeinsame Übungen ab.“ Mit der Intensivierung ihrer militärischen Kooperation wollen beide Staaten ihrem gemeinsamen Streben nach einer von der Vorherrschaft der USA befreiten multipolaren Weltordnung Gewicht verleihen. „China ist bereit, mit Russland zusammenzuarbeiten, um neue Beiträge zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Stabilität in der Welt und der Region zu leisten.“ So nehmen die zweit- und die drittgrößte Militärmacht der Welt die USA als Gefährder von Sicherheit und Stabilität in den Blick, rechtfertigen den sie einenden Gewaltbedarf und sichern sich mit ihrer dauerhaften strategischen Kooperation wechselseitig einen Platz in der von ihnen angestrebten Weltfriedensordnung zu.

Trotz dieser diplomatischen Intervention gegen den kriegerischen Vollzug des amerikanischen Monopolanspruchs gegen Russland beharrt China weiterhin darauf, im laufenden Ukraine-Krieg keine Waffen an Russland zu liefern, „um nicht weiter Öl ins Feuer zu gießen“. Entsprechend selbstbewusst weisen chinesische Regierungsvertreter die wöchentlich erneuerten Drohungen westlicher Politiker zurück, dass chinesische Waffenlieferungen an Russland eine Ausweitung des Wirtschaftskrieges auf den chinesischen Unterstützer zur Folge hätten. Außerdem kontrollieren sie streng den Export von ‚Dual-use‘-Gütern, und zwar nach ihrer Gesetzeslage. Die permanente Fahndung des Westens nach Indizien für eine chinesische Beteiligung am Ukraine-Krieg – über die Überwachung potenzieller Lieferwege und die akribische Analyse zur Herkunft von Bauteilen eingeschlagener wie erbeuteter Waffen in der Ukraine – kontern sie offensiv mit dem Bestehen auf ihrer eigenen Deutungshoheit, was unter Kriegsbeteiligung und Lieferung von „tödlichen Waffen“ fällt und was nicht. So bekräftigt China seine Position als Macht, die aufgrund ihres Einflusses auf Russland und ihrer militärischen Potenzen über den Parteien steht und sich als Vermittler auszeichnet.

Kriegsdiplomatie: NATO-Generalsekretär in Kiew

Einen Tag vor dem geplanten Treffen der ‚Ukraine-Kontaktgruppe‘ in Ramstein setzt der NATO-Generalsekretär ein „von der Symbolik her kaum zu überschätzendes Zeichen“, indem er höchstpersönlich in das Kriegsland reist und erklärt, wohin, also wem die Ukraine gehört: „Die Zukunft der Ukraine ist in der euro-atlantischen Familie, die Zukunft der Ukraine ist in der NATO, alle Verbündeten sind sich da einig... [Ihr] rechtmäßiger Platz ist in der NATO.“ Der von Putin erklärte und vom Westen zurückgewiesene Kriegsgrund, dass nämlich die NATO daran gehindert werden soll, die Ukraine zu ihrem Aufmarschgebiet gegen Russland zu machen, formuliert Stoltenberg im zweiten Kriegsjahr als offizielle Absicht. So beansprucht der höchste politische Repräsentant des westlichen Kriegsbündnisses die Einigkeit unter den Seinen für den nächsten Eskalationsschritt gegenüber Russland: Die NATO hat sich durch Russlands kriegerischen Einspruch gegen ihre Ost-Ausdehnung nicht nur nicht abschrecken lassen, sie nimmt den Krieg vielmehr als Stachel, ihr Kriegsbündnis in der Ukraine direkt an Russlands Grenzen heranzuführen. Das ist die Zukunftsaussicht der Ukraine, ihr von der NATO zugestandener, rechtmäßiger Platz. Stoltenberg lädt Selenskyj zum nächsten offiziellen NATO-Treffen in Vilnius ein und setzt die Beitrittsfrage „ganz oben auf die Agenda“.

Soweit die erklärte Perspektive.

„Jetzt geht es vor allem darum, dass die Ukraine siegt. Denn wenn sich die Ukraine nicht als souveräne unabhängige Nation in Europa durchsetzt, dann ist es sinnlos, über eine Mitgliedschaft zu diskutieren.“

Was hier als Bedingung genannt wird, ist das Kriegsziel der NATO, insofern eine Ansage an Russland und ein Bescheid an die Ukraine, dass eine sofortige Aufnahme nicht in Frage kommt, weil sie die direkte Konfrontation mit Russland vermeiden und sich ihre Beistandspflicht frei einteilen will:

„Die NATO ist nicht Teil des Konflikts, sondern sie hilft der Ukraine. Dass die Ukraine Mitglied des Bündnisses wird, macht die NATO nicht zur Konfliktpartei.“

Kriegslogistik: NATO-Treffen in Ramstein

Im Vorfeld des Treffens in Ramstein wird darüber gestritten, was der Stellvertreter – akut und langfristig – für seinen Krieg gegen Russland braucht. Aus der Sicht der Ukraine bräuchte sie zum Halten der Front und für eine Gegenoffensive „das 10-fache“ (Melnyk) und Kriegsgerät von anderem Kaliber, wie etwa F-16 Kampfjets („wir müssen reden“, Selenskyj). Aus Sicht der Ausstatter stehen Lieferungen von moderneren Kampfjets aus NATO-Produktion noch nicht an; Forderungen nach deutschen Kampfjets werden vom deutschen Verteidigungsminister damit zurückgewiesen, dass die NATO die Tornados und Eurofighter für ihre atomare Abschreckungsfähigkeit selbst braucht.

In Ramstein hat man auch so genug zu koordinieren. Selbstbewusst wird verkündet, die „Logistik“ sei gerade in der derzeitigen Phase kriegsentscheidend. Und die organisiert unter Führung der USA die Ukraine-Kontaktgruppe aus 50 Ländern, vor allem aus der NATO. Die versprochenen Panzer, Luftabwehrsysteme, die entsprechende Munition usw. müssen möglichst schnell und in der richtigen Menge an den richtigen Ort, um den akuten Nachschubbedarf der Ukraine im Stellungskrieg zu bedienen. Das soll den Stellvertreter außerdem dazu befähigen, sich aus dem Stellungskrieg zu befreien und Russland eine eigene Offensive entgegenzusetzen. Sobald der Nachschub an Waffen und Munition einer Seite in diesem Krieg stockt oder vom Feind unterbunden wird, droht ein Einbruch der Front. In Ramstein tut man alles, damit dies der Ukraine nicht passiert. Das schließt an entscheidender Stelle die Munition ein – die immer schwereren und immer weitreichenderen Waffen sollen diese ja so massenhaft wie möglich auf die Russen verschießen. Das Zeug muss also her.

Von Europa muss mehr Munition ausgehen!

Um – noch einmal – daran zu erinnern: Europa ist in der Ukraine nicht Kriegspartei, darauf legt es jedenfalls nach wie vor Wert. Es hilft vielmehr bloß der Ukraine, die zwar für „uns“, also für europäische Sicherheit und noch höhere westliche Werte kämpft, aber alleinige Kriegspartei auf westlicher Seite ist. Das macht die militärische Bewährungsprobe, vor der sich Europa sieht, keineswegs klein, sondern speziell. Aus ihren eigenen Waffenarsenalen haben die EU-Länder sich immerhin schon so weit bedient, dass sie darin eine empfindliche Schwächung ihrer eigenen militärischen Schlagkraft entdecken; doch weder der Bedarf ihres ukrainischen Stellvertreters noch ihr eigener Wille zur fortgesetzten Kriegsunterstützung sind darüber kleiner oder weniger akut geworden. So erfahren sie zunächst am Zustand ihrer Waffenlager, welchen Anspruch sie mit ihrer Art der Kriegsbeteiligung an sich als Militärmacht eigentlich stellen: Sie müssen eine solche werden, die es im Kreuz hat, die Bewaffnung einer Kriegspartei zu besorgen, die sich einen Abnutzungskrieg mit nicht weniger als der russischen Weltmacht liefert und den sogar gewinnen soll. Und das wollen die Europäer als Hilfsaktion hinkriegen, die ihre eigene Militärmacht nicht akut schwächt. Was dieser Anspruch alles bedeutet, erfährt dieser ehrgeizige Staatenclub nach und nach und bewältigt dies Schritt für Schritt:

– Er verpasst seinem Anspruch erst einmal ein griffiges Maß: eine Million Artilleriegranaten innerhalb eines Jahres. Das reicht – heißt es – schon mal für etliche Monate Krieg in der Ukraine auf dem derzeitigen Niveau. Was es für derlei Mengen an Gewaltmitteln in der kapitalistischen Welt braucht, nämlich jede Menge Geld, hat Europa allemal. Und zwar gleich in der Form, die es als ökonomische Weltmacht ausweist: als die Kreditwürdigkeit einer Macht, die über eine Weltwährung von der begehrtesten Art verfügt. Wozu derlei Finanzkraft gut ist und – aus Sicht der europäischen Verantwortungsträger: endlich! – gebraucht wird, darf man demnächst an produktiven Glanzleistungen militärischer Macht besichtigen: In diesem Fall wären das zwei Milliarden Euro zusätzlich zu den schon mobilisierten 3,6 Milliarden vom Vorjahr – eine Milliarde als Kompensation für Geschosse aus den eigenen Beständen, eine Milliarde für die Bestellung von neuen.

– Schön, nämlich marktwirtschaftlich „effizient“ fände die EU-Zentrale es natürlich, wenn eine derart große Neubestellung auch noch gemeinschaftlich aufgegeben würde; dann könnte man nämlich eine Marktmacht entfalten, die nach den kapitalistischen Effizienzregeln, nach denen auch am Rüstungsmarkt und auch mitten in diesem Krieg gespielt wird, einen echten Preisvorteil verspricht. Solche Effizienzgesichtspunkte sind allerdings nicht das letzte Wort; schließlich geht es dabei um den sehr empfindlichen Kernbereich dessen, was eine Staatsgewalt überhaupt ausmacht: um die Mittel der Souveränität, von der auch eine immer weiter zusammengerückte, weil so ungleich mächtigere EU nicht abrücken will – auch und gerade die Führungsmächte nicht. Schon diese Frage nach dem Hantieren mit Geld für Gewaltmittel streift zumindest die eine Hauptfrage des Vereins: Wer definiert überhaupt, worin ein kriegsfähiges Europa und seine angemessene rüstungspolitische und -kommerzielle Ausrichtung bestehen soll?

– In ungleich schärferer Form stellt sich diese Frage, sobald es um den Nutzen geht, den der große finanzielle Aufwand für die feinen Waren stiftet. Es ist dabei nicht nur so, dass man es dabei mit konkurrierenden kapitalistischen Staaten zu tun hat, die die aufgewendeten Summen am liebsten in die Kassen von ihren jeweiligen Rüstungsunternehmen fließen sehen. Frankreich fasst das Geld gleich unter dem höheren Gesichtspunkt ins Auge, dass diese Einkaufstour einen großen Schritt hin zu einer Rüstungsindustrie auf europäischem Boden einleiten könnte: das würde zu der weltmächtigen Ambition passen, die Europa schließlich nicht bloß in der Ukraine und gegen Russland, sondern auch gegenüber der transatlantischen Führungsmacht im Auge hat. Gerade dieser Standpunkt ist in einem Club, der zwar zweifellos über einen sehr großen imperialistischen Ehrgeiz, dabei aber nicht über den dazugehörigen einheitlichen, in eine europäische Souveränität aufgelösten Willen verfügt, für einigen Streit gut – mit Deutschland, den Niederlanden und den osteuropäischen Russenfressern, und zwar trotz aller Einigkeit über die kriegerische Solidaritätsaktion, die Europa nun gelingen muss. Der Dissens betrifft zwar nur die konkrete Frage nach der Herkunft der Hersteller von den Waffen, die Europa unbedingt haben will; er dreht sich aber im Grunde um die viel grundsätzlichere Frage, worin genau die Hauptsache für Europa in diesem Krieg eigentlich bestehen soll: Besteht sie darin, dass Europa sich auf dem Schlachtfeld bewährt – was an dieser Stelle heißt, die Ukraine möglichst sofort und massenhaft mit den Gewaltmitteln zu versorgen, die sie für den Krieg braucht, den Europa von ihr will? Und zwar auch dann, wenn wohl erhebliche Summen bei außereuropäischen, vor allem amerikanischen Unternehmen landen würden? Das würde zwar die ukrainische Kampfstärke gewiss besser voranbringen, aber an der strategischen Abhängigkeit Europas nichts ändern. Und ist es da nicht mindestens genau so wichtig, dass Europa durch diesen Krieg seine Autonomie stärkt – was an dieser Stelle heißt, ihn dazu zu benutzen, zu der Sorte Militärmacht selbst zu werden, als die Europa die USA derzeit dummerweise braucht? Hier wird also sehr entschieden an die andere Hauptsache des europäischen Clubs gerührt: Wie viel Antiamerikanismus kann und will der EU-Imperialismus sich leisten?

– In der Bewältigung von noch so grundsätzlichen Widersprüchen wie denen zwischen Souveränität und gemeinschaftlicher Stärke, zwischen der Benutzung und der Befreiung von amerikanischer Vorherrschaft sind die Europäer Profis. Es kommt darauf an, sie in kleine, entscheidbare Einzelfragen zu überführen. So auch in diesem Fall: Es sollen nun Munition und Raketen, „die eine wichtige Phase der Herstellung in der Union oder in Norwegen, die in der Endmontage besteht, durchlaufen haben, ebenfalls als förderfähig gelten“.

– Damit sind freilich die Kapazitäten, die die europäischen Unternehmen bräuchten, um den Waffenbedarf zu befriedigen, noch gar nicht gestiftet. Geschäftstüchtige europäische Rüstungsunternehmen stellen dabei klar: Als einmalige Bestellung lohnt sich das jedenfalls nicht; wenn Europa eine Million Artilleriegranaten im kommenden Jahr braucht, dann muss es sich das erstens Jahr für Jahr leisten und zweitens gleich im Vorhinein beweisen, wie ernst es ihm damit ist: mit großen Investitionshilfen, also mit viel Geld fürs Produzieren der Gewaltmittel, für die die Unternehmen dann später wieder Geld fürs Verkaufen von ihnen bekommen sollen. Das ist sehr gierig. Aber gerade damit konfrontieren sie ihren europäischen Staatskunden mit dem Ausmaß seiner imperialistischen Ambitionen: Wenn Europa seine Bewährungsprobe in der Ukraine bestehen will („Das erste und dringendste, was ein geopolitisches Europa tun muss, ist die Bewaffnung der Ukraine.“ – Borrell auf der Münchner Sicherheitskonferenz), dann braucht es eine Rüstungsindustrie, die zur Größe des Anspruchs passt, den es dabei mit seinem Gerede von „Hilfe“ gehörig und gezielt klein redet. Die Forderung trifft beim Adressaten auf offene Ohren: Der neue Vorschlag der EU-Kommission heißt ASAP und lautet auf – noch mehr Geld. Eine Milliarde per Kofinanzierung (bis zu 60 % aus Brüssel, der Rest von den einzelnen Mitgliedsländern) zur Anregung von den entsprechenden staatlichen Investitionen, evtl. auch die Lizenz, Covid- und sonstige EU-Gelder entsprechend umzuwidmen.

– Das ist schon mal was. Aber wenn es schon darum geht, die Rüstungsindustrie auf ein Niveau zu heben, das dafür gut ist, der Ukraine einen Krieg gegen Russland zu sponsern und darüber selbst noch stärker zu werden – reicht das Geld dafür überhaupt? Die Debatte läuft...