KW 14
Deutschland will die vom Westen arrangierte Kriegskonstellation, in der die NATO keine Kriegspartei ist und daher in keine direkte Konfrontation mit Russland gerät, nach wie vor aufrechterhalten. Es liefert zugleich Waffen, die diese Trennung zunehmend ad absurdum führen.
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Episoden des dementierten Russland-NATO-Kriegs
KW 14
Stärkung der Ostfronten
a) Deutsche Panzerwerkstätten für Osteuropa
Deutschland will die vom Westen arrangierte Kriegskonstellation, in der die NATO keine Kriegspartei ist und daher in keine direkte Konfrontation mit Russland gerät, nach wie vor aufrechterhalten. Es liefert zugleich Waffen, die diese Trennung zunehmend ad absurdum führen. Denn moderne Raketenwerfer, Haubitzen, Schützen- und Kampfpanzer fordern eine permanente technische Betreuung, Wartung und Reparatur, die nur ausgebildetes, westliches Personal leisten kann. Um deren beständigen Einsatz sicherzustellen, kommen die osteuropäischen EU-Länder in den Blick, die an die Ukraine grenzen und zugleich erklärtes NATO-Schutzgebiet sind. Hier hat Deutschland Neuigkeiten zu vermelden: Es kündigt an, insgesamt drei militärische Wartungsstätten errichten zu lassen, betrieben vom deutsch-französischen KNDS und Rheinmetall. Die Länder, die schon vorher als Waffentransitländer nicht wenige Frontdienstleistungen erbracht haben, werden mit dieser Aufgabe noch mehr zum expliziten Kriegsvorfeld, und sollen zugleich weiterhin nicht Kriegspartei sein. Der Streit, wie viel die Slowakei als erster in Frage kommender Standort dabei mitverdienen darf, wie hoch also der Preis für diese nationale Kriegsdienstleistung ist, und – noch eine Ebene grundsätzlicher –, inwieweit die Ostländer sich der deutschen Statuszuweisung fügen, wurde zwar wochenlang als offene Rechts- bzw. Zollfrage geführt, im April wird man sich dann aber handelseinig. Damit ist die Vorlage für weitere Länder gegeben: In Rumänien wird ein militärisches Wartungs- und Logistikzentrum angekündigt und auch in Polen soll bis Ende Mai ein sogenanntes Instandhaltungszentrum für Leopard-Panzer betriebsbereit sein. Das Risiko, dass Russland den Krieg als Reaktion auf die NATO-Ostgebiete ausweiten könnte, nimmt der Westen dabei bewusst in Kauf – und flankiert die neuen Zentren vorsorglich mit viel Raketenabwehr.
b) „Über die Rolle des kleinen Rumänien in der großen Weltpolitik“
Die antirussische Staatsräson Rumäniens ist dem Westen ein Wohlgefallen – und für seine klare scharfmacherische Haltung und seine Beiträge zur Festigung der südöstlichen Kriegsfront Europas gegen Russland verdient sich Rumänien den ersten Besuch eines deutschen Bundeskanzlers seit 2010. Der gratuliert dem dortigen Präsidenten Klaus Johannis auch gleich für die außerordentlichen Leistungen seines Landes im Ukraine-Krieg. Und so viel ist ja dran: Rumänien ist ein wichtiges Drehkreuz für die humanitäre, vor allem aber für die diplomatische und militärische Unterstützung der Ukraine und verdankt dem Gemetzel jenseits der Grenze die Gelegenheit, außenpolitische Vorzugsprojekte voranzubringen. Es verknüpft zum Beispiel mit der Verwandlung des Nachbarstaats Moldau in einen Frontstaat das nicht ganz unwichtige nationale Anliegen, den seit Jahren sistierten moldauischen Bürgerkrieg neu aufzumischen; die Perspektive einer Wiedervereinigung mit dem rumänischsprachigen Bevölkerungsteil auf Kosten der widerwilligen anderen, wenn auch einstweilen nur im Rahmen der EU, hat durch den Krieg verheißungsvolle neue Aussichten bekommen. Bukarest macht sich zur Schutzmacht der regierenden EU-konformen Linie Moldaus, indem es das Nachbarland mit Energielieferungen, bei der Indoktrination der Bevölkerung gegen russischen Einfluss, bei der Bewältigung ukrainischer Flüchtlingsströme und bei den Beitrittsverhandlungen zur EU in Brüssel unterstützt. Lauter gute nationale Gründe, alles zu tun, um den westlichen Krieg voranzubringen. Rumänien hat viele Flüchtlinge aufgenommen, es dient als Transitland für Waffenlieferungen und neuerdings als Reparaturzentrum. Es investiert heftig in die eigenen Verteidigungsfähigkeiten und lässt sich von der NATO als Frontstaat mit einem Raketenabwehr- und Abschusssystem und amerikanischen Unterstützungsleistungen, die jüngst aufgestockt wurden, zum wehrhaften Außenposten ausbauen.
Der Kanzler bestärkt Rumäniens Bemühungen bei der Verankerung Moldaus im westlichen Lager und unterstreicht den deutschen Willen, das Land zu integrieren, mit demonstrativen Sorgen um dessen noch nicht gesicherte prowestliche Ausrichtung. Der moldauischen Regierungschefin versichert er an der Seite Rumäniens weitere Unterstützung, ohne eigens auf deren Forderungen nach EU-Beitrittsverhandlungen und Waffenlieferungen einzugehen; der Kandidatenstatus, also die Perspektive auf Aufnahme irgendwann mal, muss fürs Erste reichen.
Rumänien ist dank seiner Lage und seiner Infrastruktur aus alten Ostblockzeiten aber noch für weitere kriegsdienliche Leistungen gut. Ein wichtiger Getreidekorridor aus der Ukraine zum Schwarzmeerhafen Konstanza wird eingerichtet. Den baut es seit Kriegsbeginn großzügig aus, um sich proaktiv in die viel weitergehende Frage einzumischen, wer im Schwarzen Meer für Recht und Ordnung zu sorgen hat. Und da gilt: „Das Schwarze Meer ist mehr denn je von strategischer Bedeutung“ (Johannis), soll also zunehmend unter NATO-Kontrolle gestellt werden, damit es nicht umgekehrt zur „russischen See“ wird. Scholz honoriert den geostrategischen Wert Rumäniens, anerkennt einige rechtliche Reformbemühungen sowie die Säuberung von alten sozialdemokratischen Parteiführern in diesem sonst als Korruptionsnest beschimpften europäischen Armenhaus und macht dafür ein Angebot: Rumänien soll demnächst mit einer Aufnahme in den Schengenraum noch leichter seine Bevölkerung zum Arbeiten in die europäischen Zentren schicken dürfen.
Habeck besucht die Ukraine
Mit einer Gruppe von deutschen Unternehmern reist Wirtschaftsminister Robert Habeck in die Ukraine. Aus dem Zweck seines Besuchs macht er kein Geheimnis und erklärt, „dass wir daran glauben, dass die Ukraine siegreich [sein] wird, dass es ein Interesse von Europa gibt, nicht nur in der Not zu unterstützen, sondern dass die Ukraine auch ein wirtschaftlich starker Partner in der Zukunft sein wird“. Die Ruinierung der Ukraine will Habeck nicht akzeptieren und als deutscher Wirtschaftsminister hat er die finanziellen Mittel, dieses Kriegsgebiet als Geschäftsfeld für deutsche Kapitalisten attraktiv zu machen, um deren Bereicherungsinteresse auf Reparatur- und Wiederaufbauarbeiten bzw. Lieferung von aktuell benötigten (Vor-)Produkten zu lenken und so produktiv einzuspannen. Dafür übernimmt Deutschland mit der hauseigenen Investitionsbank KfW die kostspieligen ersten ‚Investitionen‘ und sichert das Kapital deutscher Unternehmer noch mit einem Investitionsschutzabkommen ganz neuer Art ab, damit das unweigerlich existierende Risiko, in einem Kriegsgebiet durch Bombenhagel den Geldvorschuss zu verlieren, wirklich kein Hindernis für die deutsche Unternehmerschaft darstellt, an der Instandhaltung der Ukraine als Schlachtfeld für die Entmachtung Russlands etwas zu verdienen.
Die unmittelbare Unterstützung durch deutsche Unternehmer verbindet Habeck vorausschauend mit der Herrichtung der Ukraine zu einer langfristigen Geschäftssphäre für deutsches Kapital; und als deutscher Klimaschützer lässt er es sich bei der Gelegenheit nicht nehmen, in der durch den Krieg bedingten Abtrennung der Ukraine vom russischen Gas eine „Einladung zur Dekarbonisierung“ zu entdecken: „Insofern passen da zwei Sachen ganz gut zusammen: das Sicherheitsbedürfnis und ein zukunftsfähiges Energiesystem.“ Wer wäre besser geeignet, der Ukraine ein passendes neues Energiesystem zu beschaffen, als das grüne deutsche Energiekapital.
China-Reisen I: Frankreichs Präsident Macron
Anfang April reist der französische Präsident nach China mit dem Ziel, die französisch-chinesischen, dem Anspruch nach die europäisch-chinesischen Beziehungen, zu gestalten. Da passt es aus Sicht Frankreichs ganz gut, die EU-Kommissionspräsidentin mitfliegen zu lassen. In dem Sinne werden – neben für Frankreich wichtigen Verträgen über geschäftliche Beziehungen zu China – die zwei großen Themen Ukraine und Taiwan in den Mittelpunkt der Gespräche gestellt.
Im Ukraine-Konflikt soll China „eine größere Vermittlerrolle einnehmen“. Als europäisches Sicherheitsratsmitglied belehrt Macron den chinesischen Staatsführer bei der Pressekonferenz, dass „über Frieden und Stabilität zu sprechen bedeutet, über den Krieg zu sprechen, den Russland gegen die Ukraine führt“ und dass „dies ein Krieg ist, der uns alle betrifft, weil ein Mitglied des Sicherheitsrates beschlossen hat, die UN-Charta zu verletzen. Das können wir nicht akzeptieren.“ Für ihn kann es kein „sicheres und stabiles Europa geben“, solange der russische Angriffskrieg anhält. Zugleich bedankt sich Macron dafür, dass er sich „auf Xi verlassen kann, um Russland zur Vernunft und alle an den Verhandlungstisch zu bringen.“ Wenn China schon so auf Verhandlungen dringt, dann ist das für Macron durchaus begrüßenswert, solange das Ergebnis schon feststeht. Denn welche Seite hier zur Vernunft zu bringen ist, ist ja wohl klar. Der Krieg in der Ukraine, den Russland zu verantworten hat, soll von China im UN-Sicherheitsrat verurteilt werden.
Obwohl Macron hier in der Rolle eines führenden NATO-Mitglieds im Krieg gegen Russland zur Verteidigung der europäischen Friedensordnung auftritt, findet er nichts dabei, im nächsten Moment von dieser Stellung zu abstrahieren und mit dem chinesischen Staatsoberhaupt quasi von Weltmacht zu Weltmacht einmal ganz offen über die Weltlage zu sprechen: „Die internationale Ordnung ist heute brüchig, und China und Frankreich haben eine Verantwortung, sie zu bewahren und sie zugleich neu zu erfinden.“ Offensichtlich ist für Macron die Ordnung, die Frankreich zusammen mit der NATO in der Ukraine verteidigt, erst dann fertig, wenn es zusammen mit China diese Ordnung neu erfindet.
Die darin unterstellte antiamerikanische Stoßrichtung bringt der französische Präsident an der Taiwanfrage auf den Punkt:
„Die Frage, die sich uns Europäern stellt, lautet: Haben wir ein Interesse daran, dass sich die Dinge um Taiwan beschleunigen? Nein. Das Schlimmste wäre, zu denken, dass wir Europäer in dieser Frage blindlings folgen und uns dem Rhythmus der USA und den chinesischen Überreaktionen anpassen müssen... Es wäre paradox, wenn wir in dem Moment, in dem wir Elemente einer echten europäischen strategischen Autonomie aufbauen, plötzlich anfangen würden, der US-Politik in einer Art Panikreaktion zu folgen.“
Für einen Staatsmann, der seinen Staat als autonome Weltmacht definiert, ist es ein Paradox, sich den USA bei ihrem Systemkonflikt mit China einfach anzuschließen. Deswegen steht für Macron fest, dass das Bündnis mit den USA für Europa zwar bis auf Weiteres im Fall der Ukraine notwendig ist, diese Notwendigkeit aber gleichzeitig den permanenten Stachel darstellt, durch eine – wie auch immer geartete – Emanzipation von den USA endlich der ‚dritte Pol‘ zu werden, der seine Feindschaften selbstständig definiert und austrägt.
Streit um (un)nötige Bauernopfer
Halb Osteuropa – Polen, die Slowakei, Ungarn, Rumänien und Bulgarien – leidet unter – ausgerechnet – billigen Preisen; schuld ist wie bei den gestiegenen Energiepreisen wieder Putin. Ganz die Wahrheit ist das auch hier nicht, denn um der Ukraine trotz russischer Blockade zu ermöglichen, Getreide zu exportieren, hat Europa seit einem Jahr seine Zollschranken geöffnet und ‚Solidaritätsrouten‘ für den Weitertransport geschaffen. Blöderweise verschafft sich gleich das marktwirtschaftliche Gesetz Geltung, dass – verstärkt durch „Stockungen“ beim Weitertransport – der ukrainische Weizen für einen Überfluss auf den osteuropäischen Märkten sorgt, der prompt von den entsprechenden Unternehmern genutzt wird, um mit niedrigeren Marktpreisen die heimischen Bauern zu unterbieten. Für die ist das gleichbedeutend mit der Entwertung ihrer Erzeugnisse und damit eine Gefährdung ihres Standes. Eine beantragte ausreichende Schadensübernahme durch gemeinsame EU-Gelder samt Preisgarantie wird von der EU zurückgewiesen – zu teuer, zu ungerecht, daher zu viel innereuropäisches Konfliktpotenzial –, eine flächendeckende Ruinierung osteuropäischer Bauern soll aber auch nicht sein; schon gar nicht, wenn deren Proteste die Unterstützung für die Ukraine in diesen Ländern gefährden könnten und die Ostländer dabei sind, eigenmächtig EU-Außengrenzregelungen zu umgehen, also die Kompetenz Brüssels in Frage zu stellen. Die schädlichen Rückwirkungen der wirtschaftlichen Unterstützung der Ukraine rufen fundamentale Gegensätze innerhalb der EU hervor. Deswegen stellt die EU Ende April klar: Die unverbrüchliche Solidarität, auf der die Ukraine als ihrem Recht besteht, darf nicht zur Spaltung der Union führen, also wird dem Beharren der betroffenen Ostländer recht gegeben und die Grenzen werden für ukrainisches Getreide, sofern es nicht nur zum Transit nach Osteuropa kommt, erst einmal für einen Monat geschlossen.