Bilanz und Fortschritte im Kampf der USA gegen „den Terror“

Die Gewaltorgien, die sich derzeit vor den Augen der Weltöffentlichkeit im Irak unter reger Beteiligung von US-Truppen abspielen, bringen es zur Anschauung: Der Irak geht in der Bestimmung auf, Kriegsschauplatz zu sein. Das ist zwar nicht das Szenario, das die Supermacht bei ihrem Überfall auf den Irak geplant hatte – es ist aber von vorn bis hinten ihr Werk. Mit dem Feldzug gegen das alte Regime hatten die USA mehr im Programm als bloß einen militärischen Sieg.

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Bilanz und Fortschritte im Kampf der USA gegen „den Terror“

I. Vier Jahre Krieg im Irak: Die Supermacht zieht Bilanz

Die Lage

Vor vier Jahren haben die USA den Irak angegriffen. Mit überlegener Militärgewalt haben sie seine Infrastruktur vernichtet, das Saddam-Regime beseitigt und sich selbst als die Macht etabliert, die ab sofort definiert, wie, von wem und zu welchem Zweck im Irak Staat gemacht wird. Seitdem führen die USA im Irak Krieg. Über diesen Krieg ist dieser Staat inzwischen nach dem Urteil offizieller Beobachter auf das Niveau eines „failed state“ hinabgesunken: eines Gemeinwesens, in dem nicht einmal die minimalen Elemente von Staatlichkeit mehr aufzufinden sind, geschweige denn, dass es seinen Insassen irgendeine Lebensgrundlage bietet. Die Gewaltorgien, die sich derzeit vor den Augen der Weltöffentlichkeit im Irak unter reger Beteiligung von US-Truppen abspielen, bringen es zur Anschauung: Der Irak geht in der Bestimmung auf, Kriegsschauplatz zu sein.

Das ist zwar nicht das Szenario, das die Supermacht bei ihrem Überfall auf den Irak geplant hatte – es ist aber von vorn bis hinten ihr Werk.[1] Mit dem Feldzug gegen das alte Regime hatten die USA mehr im Programm als bloß einen militärischen Sieg. „Shock and awe“, Erschrecken und ehrfürchtige Bewunderung wollten die USA bei Freund und Feind nicht nur ob ihrer Fähigkeit erzeugen, ein feindliches Regime vom Erdboden verschwinden zu lassen; der „asymmetrische“ Gewalteinsatz sollte zugleich von der absoluten Unwidersprechlichkeit des Programms zeugen, das die USA für den Irak vorgesehen hatten. An die Stelle des vernichteten Regimes sollte eine gänzlich von den USA bestimmte neue Ordnung, eine neue Sorte Staatswesen treten; ein Staat, dessen Räson im Dienst an einer amerikanischen Neuordnung der Region aufgeht. Die Staatlichkeit des Irak sollte sich nach dem negativen Prinzip konstituieren, dass von diesem Land keine Gefahr mehr für seine Nachbarschaft ausgehen solle; seine Ölquellen sollte er im Dienste seiner – amerikanischen – Kundschaft verwalten, statt sie als Quelle irakischen Reichtums und irakischer Macht zu missbrauchen. Für das irakische Volk war in dieser herabgestuften und zurechtgestutzten irakischen Ökonomie kein Platz vorgesehen, auf dem es sich hätte nützlich machen können. Dies alles sollte eine genuin irakische Regierung ganz eigenständig und souverän im Auftrag ihres amerikanischen Dienstherren abwickeln. Als Instrumente und willfährige Umsetzungsinstanzen ihres Projekts hatten die USA die diversen ethnischen und religiösen Gruppierungen im Irak vorgesehen. Durch Wahlen ins Recht gesetzt, zur Ausübung eines neuen Gewaltmonopols im obigen Sinne beauftragt, dabei sich wechselseitig bei der Betätigung partikularer Machtgelüste beschränkend – „Demokratie“ hieß das dann – sollten diese Vereine gemeinsam das Wunderwerk eines befriedeten, amerikafreundlichen Irak zustande bringen und so ein leuchtendes Beispiel für die Friedensperspektive bieten, die sich Staaten eröffnet, die sich in die amerikanische Weltordnung ein- und ihr unterordnen.

Mit ihrem Programm eines entmachteten, demokratisch organisierten Irak haben die USA selbst die Widersprüche installiert, die im Resultat das gewalttätige Chaos produziert haben, das der Irak inzwischen darstellt. Schon der Auftrag zum Regieren eines auf das Programm purer Dienstbarkeit an amerikanischen Interessen zurechtgestutzten Irak ist für keine irakische Regierung ein Angebot; vor allem aber fehlt es von Anfang an bei den zum vereinten Staatmachen beauftragten Gruppierungen am gemeinsamen Willen zum Aufbau eines solchen neuen Irak. Jede von ihnen sieht nach dem Wegputzen von Saddam ihre Chance für gekommen, sich des Irak zu bemächtigen, mit allen Mitteln, die ihnen für einen solchen Machtkampf zu Gebote stehen. Dieser Machtkampf wird ergänzt und angeheizt durch den gleichzeitig von den USA gnadenlos durchgezogenen Anti-Terrorkrieg, mit dem die US-Truppen jeden niedermachen, der sich ihrem Ordnungsprogramm in den Weg stellt. Darüber werden die letzten Lebensgrundlagen des Landes zerstört; in dem Maße potenzieren sich die Angriffe auf die Besatzungsmacht und ihre Helfershelfer in der Regierung. Am Ende befinden sich die USA nicht mehr nur mit alten Baathisten, sondern so ungefähr mit jeder Fraktion im Krieg. So bekommen die USA die Quittung für das von ihnen angezettelte Demokratisierungsunternehmen – sogar der mittlerweile emeritierte UN-Chef Kofi Annan kann nicht umhin, den Vorwurf zu erheben, dass die Lage im Irak schlimmer als unter Saddam sei und die USA daran mit Schuld tragen. Und die Supermacht befindet es für an der Zeit, aus dieser Lage die unvermeidlichen Konsequenzen zu ziehen.

Der Befund: eine neue Kriegs-Erklärung

Um die Jahreswende lässt sich die Bush-Regierung zu einer Art Eingeständnis herbei: Der Irak-Feldzug ist nicht so gelaufen, wie sie ihn geplant hat. In den Worten des Präsidenten:

„Das ist nicht der Kampf, den wir im Irak begonnen haben, aber es ist der Kampf, in dem wir uns jetzt befinden.“ (Bush, Rede zur Lage der Nation, Amerika Dienst (AD), 23.1.07; daraus auch die folgenden Zitate)

Das ist schon eine interessante Art, amerikanisches Scheitern zu registrieren! Der Präsident gibt überhaupt nichts zu in dem Sinne; schon gar nicht, dass am Irakfeldzug irgendetwas verkehrt gewesen wäre. Sein ganzes Eingeständnis besteht in der Mitteilung, dass das wunderbare Projekt, das die USA mit dem Angriff auf den Irak angezettelt haben, sich unter der Hand in einen ganz anderen Krieg verwandelt hat, der den USA aufgezwungen worden ist; von einem Feind, der aller amerikanischen Überlegenheit zum Trotz mit seinem amerikafeindlichen Werk nicht aufhört:

„In den vergangenen zwei Jahren sind wir im Nahen und Mittleren Osten Zeuge des Wunsches nach Freiheit geworden – und die heftige Reaktion des Feindes hat uns schockiert. Im Jahr 2005 sah die Welt, wie die Bürger des Libanon die Fahnen der Zedernrevolution hissten... Im Jahr 2005 trotzten die Afghanen den Terroristen und wählten ein demokratisches Parlament. Und im Jahr 2005 hielten die Iraker drei nationale Wahlen ab, in denen sie eine Übergangsregierung wählten, die fortschrittlichste demokratische Verfassung in der arabischen Welt ratifizierten und dann gemäß dieser Verfassung eine Regierung wählten. Trotz endloser Drohungen der Mörder in ihrer Mitte gingen nahezu 12 Millionen Iraker in die Wahllokale und stellten damit eine Hoffnung und Solidarität unter Beweis, die wir niemals vergessen sollten.
Ein mitdenkender Feind beobachtete alle diese Szenen, passte seine Taktik an und schlug im Jahr 2006 zurück. Im Libanon wurde Pierre Gemayel ermordet, eine führende Figur der Zedernrevolution. Von Syrien und Iran unterstützte Hisbollah-Terroristen schürten den Konflikt in der Region mit der Absicht, die rechtmäßig gewählte Regierung im Libanon zu schwächen. In Afghanistan versuchten Kämpfer der Taliban und der Al Kaida, wieder an die Macht zu kommen, indem sie sich neu gruppierten und die Streitkräfte Afghanistans und der NATO angriffen. Im Irak verübte die Al Kaida zusammen mit anderen sunnitischen Extremisten ein Bombenattentat auf eine der heiligsten schiitischen Stätten – die Goldene Moschee in Samarra. Diese Gräueltat gegen ein muslimisches Gotteshaus sollte Racheakte der irakischen Schiiten provozieren – und war erfolgreich. Radikale schiitische Elemente, die teilweise von Iran unterstützt werden, bildeten Todesschwadronen. Das Ergebnis war eine tragische Eskalation sektiererischer Gewalt und Vergeltungsschläge, die bis heute andauern.“

So also sieht es auf den nahöstlichen Kriegsschauplätzen aus der Warte des Chefs aller Amerikaner aus: Allenthalben sind mit amerikanischer Hilfe die Kräfte des Fortschritts unterwegs und fast am Ziel; das lässt den bösen Feind nicht ruhen und in seinem Zerstörungswerk nur noch bösartiger werden. Dass die USA mit ihrer Israel-, Palästina- und Libanonpolitik, ihrer Besetzung Afghanistans, der Zerstörung und Okkupation des Irak usw. alles andere als lauter amerikafreundliche und -dienliche Interessen freisetzen und Reaktionen ernten, geht ganz aufs Konto böser Kräfte und erlaubt keinerlei Zweifel an Amerikas gewalttätigem Reformprogramm: Das geht nach wie vor voll in Ordnung; speziell das Projekt Irak steht mitsamt seinen menschheitsbeglückenden Absichten noch ebenso strahlend da wie zu Zeiten, als der Oberste Heerführer stolz mit seinen siegreichen Soldaten posierte und das Fernsehen der Welt hauptseitig jubelndes Volk und umgestürzte Saddam-Statuen präsentierte; für sich genommen war das gesamte Unternehmen bereits von schönstem Erfolg gekrönt. Nur der Feind hat die Lektion nicht gelernt, ist nicht zu Kreuze gekrochen, hat nicht klein beigegeben, sondern ist mit verdoppelter Wut an sein terroristisches Werk gegangen und hat den USA einen neuen Krieg aufgezwungen. Dass in diesem Gemetzel im Irak vor allem religiös definierte Bürgerkriegsparteien gegeneinander und um die Macht im amerikanisch befreiten Irak kämpfen, ist dem Präsidenten nicht unbekannt. Doch die Front interessiert ihn nicht weiter – und schon gar nicht, was sein Sieg über Saddam Hussein ursächlich damit zu tun haben könnte. Von den politischen Zwecken der tödlich verfeindeten Rivalen will er nichts wissen – er kennt deren wahren Zweck und eigentliches Ziel:

„Die schiitischen und sunnitischen Extremisten sind unterschiedliche Erscheinungsbilder derselben totalitären Bedrohung. Welche Slogans sie auch im Sprechchor rufen, sie haben dieselben bösen Ziele, wenn sie Unschuldige abschlachten. Sie wollen Amerikaner töten, die Demokratie im Nahen Osten vernichten und über Waffen verfügen, mit denen sie noch schrecklicheren Schaden anrichten können.“

Dass diese Terroristen sich wechselseitig mitsamt ihrem jeweiligen Anhang umbringen, ist aus amerikanischer Sicht nicht so gemeint. Eigentlich haben sie es auf das Wahre und Gute abgesehen, für das Amerika und die Amerikaner stehen: eine von Washington etablierte und garantierte Ordnung im nahöstlichen Chaos. Mit dieser Deutung der Kriegslage lässt der oberste Kriegsherr die bisher gültige optimistische Lesart der Dinge, derzufolge der Irakfeldzug ein Hilfsmittel für das mit Hindernissen und Schwierigkeiten kämpfende, aber doch vorankommende amerikanische ‚Nation Building‘ sei, fallen und präsentiert eine neue: Im Irak ballt sich eine in der Form lange nicht dagewesene „totalitäre Bedrohung“ zusammen – das Beiwort „totalitär“ entstammt keiner politologischen Analyse, sondern will auf Amerikas „epische“ Kriege gegen und schließliche Triumphe über Faschismus und Kommunismus anspielen und eine Kontinuität zu den damaligen Weltkriegs-Szenarios herstellen –, die keineswegs auf Bagdad und Umgebung beschränkt ist und der Weltmacht ein neues, umfassendes offensives Selbstverteidigungsprogramm abverlangt:

„Wenn die amerikanischen Streitkräfte sich zurückziehen, bevor Bagdad gesichert ist, würde die irakische Regierung von allen Seiten von Extremisten überrannt. Wir müssten eine epische Schlacht zwischen von Iran unterstützten schiitischen Extremisten und sunnitischen Extremisten erwarten, die von der Al Kaida und Unterstützern des alten Regimes Hilfe erfahren. Ansteckende Gewalt könnte sich über das Land verbreiten – und im Laufe der Zeit könnte die ganze Region in den Konflikt hineingezogen werden. Für die Vereinigten Staaten ist dies ein Albtraumszenario. Für den Feind ist dies das Ziel. Chaos ist sein mächtigster Verbündeter in diesem Kampf. Aus dem Chaos würde der Irak als gestärkter Feind mit neuen Zufluchtsorten, neuen Rekruten und Ressourcen sowie einer noch größeren Entschlossenheit hervorgehen, den Vereinigten Staaten zu schaden.“

Vom innerirakischen Bürgerkrieg spannt der Präsident einen Bogen zu einem Horrorszenario, das schlimmer ist als Saddam Hussein und Bin Laden zusammen: zu der Gefahr, dass der Irak zu einem riesigen Nest von 9/11-Attentätern entarten könnte. In den Kriegsaktionen, die deswegen jetzt anstehen, kann es daher nicht mehr um demokratische Weltverbesserung in einer unfriedlichen Region gehen, um einen positiven Nutzen, den die Völkerschaften vor Ort und die Welt insgesamt von einem mustergültig befriedeten Irak hätten. Für die fällige Eskalation amerikanischer Ordnungsgewalt argumentiert der Präsident mit dem gewaltigen Schaden, den die Sicherheit der Weltmacht erleiden würde, wenn sie an der Stelle nicht dermaßen durchgreift, dass kein feindliches totalitäres Chaos mehr eine Chance hat – wie auch immer das aussehen soll. Die Herausforderung, die er an die Wand malt, ist von ähnlicher Art wie die seinerzeit durch den Angriff aufs WTC und das Pentagon: Schon damals ist die politische Schadensbilanz über viele Tote und etliche Ruinen weit hinausgegangen. Das höchste aller strategischen Güter der Nation, die Unverwundbarkeit der US-Macht, war tangiert; ein Blitzsieg über die afghanischen Herbergsväter des antiamerikanischen Terrorismus war das Mindeste, um die Welt mit der Lektion zu konfrontieren, dass die Weltmacht ihre Unanfechtbarkeit zu wahren weiß. Und weil aus amerikanischer Sicht der Diktator in Bagdad diese Lehre nicht akzeptieren wollte, mussten die USA auch im Irak die Unwiderstehlichkeit ihrer Waffen und damit die Unwidersprechlichkeit ihrer weltverbessernden Demokratie-Diktate unter Beweis stellen. Dieser Beweis ist jetzt in Gefahr: Behielte in Bagdad der sunnitisch-schiitische Terror das letzte Wort, dann wären damit Amerikas Fähigkeit und Entschlossenheit in Zweifel gezogen, die Staatenwelt zum Sieg über das von Washington definierte terroristische Böse, die große „totalitäre Bedrohung“ des 21. Jahrhunderts, zu führen; und damit wäre nichts Geringeres als Amerikas globale Führerschaft in Gefahr, die durch den nachdrücklich ausgerufenen Weltkrieg gegen „den Terror“ doch unwiderstehlich etabliert und unwidersprechlich beglaubigt werden sollte. Um diesen politischen Höchstwert gilt es jetzt also mit neuer Entschlossenheit zu kämpfen: Jetzt erst recht ist praktisch klarzustellen, dass die USA Widerstand gegen ihr Programm nicht dulden; dass sie nicht nur wild entschlossen, sondern auch dazu fähig sind, jede Bedrohung niederzukämpfen, die sich ihrem Weltordnungsprogramm in den Weg stellt, und Feindschaft im Keim zu ersticken. Mit seiner neuen Kriegs-Erklärung deklariert der Präsident den Irak-Einsatz zur Bewährungsprobe der amerikanischen Weltmacht; darum geht es dann auch tatsächlich. Ein Sieg muss her, und zwar einer von überwältigender Überzeugungskraft, so etwas wie eine bedingungslose Kapitulation des Feindes, damit die Welt weiß und sich nichts darüber vormacht, dass sie gegen die USA keine Chance hat.

Daran gemessen nimmt sich das Maßnahmenbündel, das Bush auf Washingtons politische Tagesordnung setzt, geradezu bescheiden aus – aber es handelt sich ja erklärtermaßen bloß um erste Schritte, um die Nation mit dem Ernst der Lage praktisch vertraut zu machen:

„Einer der ersten Schritte, die wir zusammen unternehmen können, besteht darin, dass wir die Truppenstärke unseres Militärs erhöhen, so dass die amerikanischen Streitkräfte für alle vor ihnen liegenden Herausforderungen bereit sind. Heute Abend bitte ich den Kongress, eine Aufstockung unserer aktiven Armee- und Marineinfanteristenkorps um 92 000 in den nächsten fünf Jahren zu autorisieren. Eine zweite Aufgabe, die wir zusammen schultern können, besteht darin, ein Reservistenkorps für freiwillige Zivilisten zu entwickeln und einzurichten. Ein solches Korps würde ähnlich wie unsere militärischen Reservisteneinheiten funktionieren. Es würde die Last auf den Streitkräften verringern, indem wir Zivilisten mit wichtigen Fertigkeiten für Auslandsmissionen einstellen könnten, wenn die Vereinigten Staaten sie benötigen. Es würde Menschen überall in den Vereinigten Staaten, die keine Uniform tragen, die Gelegenheit geben, im entscheidenden Kampf unserer Zeit zu dienen.“

Der Baker-Plan: Konstruktive Vorschläge zur Bewältigung einer ernsten Problemlage der Nation

Wie ernst die Lage ist, in die die Supermacht sich im Irak hineinmanövriert hat, hat eine von der Regierung eingesetzte Kommission bereits im letzten Herbst ermittelt. Die „Baker-Kommission“ hat die Verhältnisse auf dem Kriegsschauplatz untersucht, hat Militärs, Geheimdienstler, Experten und Irakis aller Couleur befragt und ist zu einem einigermaßen vernichtenden Urteil über die Erfolgsaussichten des amerikanischen Projekts gelangt:

1. „Die Ergebnisse der Operation Together Forward II sind entmutigend … Weil keine der von amerikanischen und irakischen Militärkräften durchgeführten Operationen die Bedingungen grundsätzlich verändern, die sektiererische Gewalt befördern (so kann man es auch sagen!), scheinen die Militärkräfte der USA in einer Mission verstrickt, die kein voraussehbares Ende hat.“ (Baker-Bericht S. 11f, eigene Übersetzung)
2. „Die Fähigkeit der USA, Ergebnisse zu bestimmen, nimmt ab. Die Zeit wird knapp.“ (S.32)
3. „Wenn die Lage im Irak sich weiter verschlechtert, könnten die Folgen schwerwiegend sein, für den Irak, für die USA, die Region, und die Welt. Der Irak ist ein zentraler Test auf die militärischen, diplomatischen und finanziellen Potenzen der USA und strapaziert diese entsprechend. Die Wahrnehmung eines Scheiterns an dieser Stelle könnte die Glaubwürdigkeit und den Einfluss der USA in einer Region verringern, die das Zentrum der islamischen Welt darstellt und die für die Weltenergieversorgung von vitaler Bedeutung ist. Dieser Verlust würde den globalen Einfluss Amerikas vermindern.“ (S. 33f)
4. „Die aktuelle Politik der USA funktioniert nicht; währenddessen steigt das Niveau der Gewalt, und die Regierung befördert nicht die nationale Versöhnung. Wenn keine Veränderungen im politischen Vorgehen gemacht werden, schiebt dies nur den Tag der Abrechnung mit hohen Kosten hinaus. Nahezu 100 Amerikaner sterben jeden Monat. Die USA kostet der Krieg 2 Mrd.$ die Woche. Unsere Fähigkeit, auf andere internationale Krisen zu reagieren, wird beschränkt. Das amerikanische Volk wird über den Krieg missmutig… Die dauerhafte Erhöhung der amerikanischen Truppenstärke würde den fundamentalen Grund für die Gewalt im Irak nicht beseitigen, nämlich die Abwesenheit (!!) nationaler Versöhnung.“ (S. 38)

Die Kommission diagnostiziert eine neue amerikanische Problemlage. Der Krieg wird zu einer nicht vorgesehenen Dauerbelastung der Nation: Er verschlingt in unvorhergesehenem und ungeplantem Ausmaß Soldatenleben und Geld; schon das eigentlich untragbar für eine Macht, die es gewohnt ist, sich ihre Ressourcen bequem einzuteilen. Als viel schlimmer aber gelten der Kommission die negativen Wirkungen, die der sich hinziehende Feldzug auf das amerikanische Gesamtprojekt einer Neuordnung der Region und darüber hinaus auf Einfluss, Ansehen und Glaubwürdigkeit hat, die die Supermacht bei Konkurrenten und Feinden genießt. Ihr Befund heißt: Indem die USA sich von „sektiererischen Gewalttätern“ in nicht enden wollende Kämpfe vor Ort hineinziehen lassen, laufen sie Gefahr, Schaden zu nehmen an ihrem Status als Supermacht. Ihre Glaubwürdigkeit als übergeordnete Macht leidet; ihre Fähigkeit, dem Rest der Staatenwelt die weltpolitische Agenda vorzubuchstabieren und deren Einordnung in sie zu gewährleisten, wird angegriffen, wenn sich herausstellen sollte, dass die USA mit ihrer ganzen militärischen Überlegenheit einen Haufen dahergelaufener ethnisch-religiöser Gewalttäter nicht kleinkriegen; wenn sie es nicht einmal schaffen, eine von ihnen selbst etablierte und alimentierte Regierung dazu zu bringen, die Sorte „nationaler Versöhnung“ herbeizuregieren, die das amerikanische Projekt für den Irak vorsieht.

Einen positiven Ertrag des Irakkrieges kann die Kommission von vorn bis hinten nicht entdecken. Dass die USA angesichts des wachsenden Aufwands für diesen endlosen und erfolglosen Krieg das Kämpfen einfach sein lassen und aus dem Irak abziehen könnten, kommt für die Kommission allerdings nicht in Frage. Vom übergeordneten Gesichtspunkt der Bewährung der amerikanischen Macht aus betrachtet würde es deren Glaubwürdigkeit nämlich noch viel mehr belasten, wenn die Supermacht den Kriegsschauplatz dem Feind überließe. Um diese Bewährung geht es: Unter dem hohen Maßstab eines Tests auf die grundsätzliche Fähigkeit der USA, die Welt in ihrem Sinne zu richten, muss der Irakfeldzug zum Erfolg geführt werden. Diesen Test nicht zu bestehen, so die Regierungsberater, kann die Supermacht sich nicht leisten, wenn ihre Sonderrolle als herausgehobene, über der sonstigen Staatenkonkurrenz stehende Macht, die Gefolgschaft beanspruchen kann, nicht Schaden nehmen soll. Die Horrorszenarien amerikanischer Verstrickung, die ihr Bericht ausmalt, stehen für die Gefahr, in die sich die USA als Macht begeben, wenn sie im Irak einfach so weiter machen wie bisher. Die ausufernden Belastungen der Nation, die die Kommission beklagt, sollen deren Führung daran erinnern, dass die Opfer an Geld und Soldaten sich für die Nation endlich auszahlen sollten, statt sie zu schwächen.

Im Lichte dieser Zielsetzung unterbreitet die Kommission Vorschläge zu einem „Strategiewechsel“. Ihrer mehrheitlichen Auffassung zufolge hat die Bush-Regierung ihre Erpressungsmacht gegenüber den Anrainerstaaten zu wenig genutzt, um diese für einen „stabilen Irak“ einzuspannen. Von einer bloßen Truppenaufstockung hält die Kommission nichts; stattdessen schlägt sie eine „massive diplomatische Anstrengung“ vor, mit der alle Nachbarländer, auch und gerade die „Schurkenstaaten“, in die Herstellung amerikanisch geordneter Verhältnisse in dieser Weltecke „eingebunden“ werden sollen. Zu einer solchen Ordnung sollen Anrainer und Konkurrenten ihre je spezifischen Beiträge abliefern und so das Ziel der Befriedung des Irak befördern helfen. Mit dem Argument, dass ihnen an einem Chaos im Irak doch auch nicht gelegen sein könne, sollen sie für die Unterstützung des amerikanischen „Nation Building“ gewonnen werden. Das großzügige Angebot, mit dem die Anrainerstaaten für die amerikanische Neuordnung der Region gewonnen werden sollen, besteht darin, dass die USA sich geneigt zeigen könnten, ihre Feindschaft gegen sie um Gesprächsbereitschaft zu ergänzen. In diesem Sinne rät die Kommission, die Regierung solle alle „Friedensprozesse“ wieder in Gang bringen, die im Nahen Osten schon einmal unterwegs waren. Auf der Grundlage kann sich die Kommission eine zeitweilige Vermehrung amerikanischer Truppen dann wieder durchaus vorstellen; kombiniert mit der energischen Aufforderung an die irakische Regierung, sich nun endlich um die dringend angesagte nationale Versöhnung zu kümmern.

Den gut gemeinten Ideen der Kommission hat die Regierung Bush praktisch eine Absage erteilt: Der Militäreinsatz in Irak wird ausgeweitet, der Kurs gegen die „Schurkenstaaten“ verschärft. Gegen Diplomatie hat die Bush-Regierung selbstverständlich nichts; wie die amerikanische Außenministerin treffend bemerkt, wissen die Feinde der USA vor Ort aber längst, was sie zu tun haben und was ihnen andernfalls blüht: Sie sollen ihre Feindschaft einstellen oder müssen selbst mit Krieg rechnen. Wozu also Gespräche?

Die Kritik der Demokraten

Die kritische Bilanz des Irak-Kriegs ist für die Opposition im Land, wie könnte es in der Demokratie anders sein, ein gefundenes Fressen. Sie lässt die regierungsamtliche Ausrede nicht gelten, wonach die betrübliche Lage in dem Land keineswegs das Ergebnis einer misslungenen Kriegführung, geschweige denn einer falschen strategischen Entscheidung sei, sondern quasi ein neuer Krieg, so etwas wie ein zweites „9/11“, eine verschärfte Herausforderung, die die Weltmacht unbedingt genauso siegreich bestehen müsse wie ihre ersten Antiterror-Feldzüge. Nein: Es handelt sich von Anfang bis Ende um Bush’s Krieg; und von Beginn an war absehbar, was sich jetzt herausstellt: Statt Gottes eigenes Land unangreifbar zu machen, hat die Regierung es unbedacht und ganz überflüssigerweise feindlichen Angriffen ausgesetzt.

„Dieses Land hat vier Jahre lang einen falsch geführten Krieg geduldig ertragen. Viele … warnten schon vor Kriegsbeginn, dass er unnötig sei, unsere Kraft und Aufmerksamkeit vom größeren Krieg gegen den Terror weglenken würde; dass eine Invasion und Besetzung des Irak die USA in der gewalttätigsten und turbulentesten Region der Welt strategisch angreifbar machen würden… Der Präsident hat … Warnungen vieler Personen mit großer Integrität und langer Erfahrung in Fragen der nationalen Sicherheit missachtet. Wir sind jetzt als Nation die Geisel des vorhersehbaren und vorhergesagten Chaos, das dann folgte.“ (Sen. Jim Webb in Antwort auf die Bush-Rede, CNN.com, 26.1.)

Im Lichte des Ergebnisses lehnt die Opposition rückwirkend die Entscheidung der Bush-Regierung ab, den Irak zum Schauplatz ihres Antiterrorkriegs zu machen: Gerade die großartige Aufgabe, diesen „größeren Krieg“ glanzvoll zu gewinnen, ist mit der mutwilligen Verstrickung in die mittelöstliche Chaoten-Szene nicht vorangebracht, sondern verfehlt worden. Der Krieg, den Amerika im Irak kämpft, hat mit der wahren Mission der Weltmacht nichts zu tun, zieht sie gewissermaßen in den Dreck eines großstädtischen Bandenkriegs; und mit der Eskalation ihres Engagements verstrickt die Regierung sich und ihr Land erst recht in Kämpfe, deren Fronten und Ziele von anderen, von subalternen Machthabern und Gangsterbossen vorgegeben statt von Washington definiert und wirksam diktiert werden. Amerika verkämpft sich weit unter seinem Niveau:

„Eine massive Aufstockung der Truppenstärke hätte vielleicht 2003 oder Anfang 2004 noch geholfen. Im Jahre 2007 scheint der Plan von Präsident Bush nur eine aufgewärmte Variante von Ansätzen zu sein, die bereits ausprobiert wurden und zumeist versagt haben; die von einigen obersten Militärs ebenso abgelehnt werden wie von den Irakern, und deren wahrscheinlichstes Ergebnis darin bestehen wird, dass noch viel mehr Amerikaner in Leichensäcken oder im Rollstuhl landen … Wenn Bush zur Nation spricht, muss er erklären, wieso die Gassen von Bagdad der beste Ort sind, weiterhin eimerweise amerikanisches Blut zu vergießen.“ (N. Kristof, An escalation of American blood, IHT 10.1.)

Es opfert sich auf für Verrückte:

„Senator Norm Coleman, Republikaner aus Minnesota, äußerte Zweifel, ob die Iraker ‚damit fertig sind, sich wechselseitig umzubringen‘. Er sagte: ‚Warum soll man mehr amerikanische Leben in Gefahr bringen in der Hoffnung, dass die Iraker dieses Mal die schwere Entscheidung treffen?‘“ (NYT, 12.1.)

Was freilich alles nicht bedeuten darf, dass die Weltmacht sich um die „Gassen von Bagdad“ nicht mehr kümmern müsste. Aber wenn dort Blut vergossen wird und werden muss, damit wieder Ordnung herrscht, dann auf jeden Fall kein kostbares amerikanisches, sondern gefälligst das der Einheimischen; insoweit sind Gewalt und Terror im Irak eine innerirakische Affäre. Amerikas Verantwortung gebietet es, die Freunde in Bagdad zu erfolgreichem Blutvergießen zu verpflichten und nötigenfalls zu erpressen:

„Senatorin Hillary Rodham Clinton ... wies den Vorschlag zurück, mehr amerikanische Truppen in den Irak zu schicken. Mrs. Clinton sagte, dass mehr Druck auf die irakische Regierung ausgeübt werden müsse, damit diese endlich anfange, ihre eigene Krise zu lösen.“ (NYT, 11.1.)

Das wäre der angemessene Beweis, dass die Weltmacht die Lage im Griff hat: Amerikas Marionetten müssen es als ihre eigene „Krise“ begreifen, wenn bei ihnen keine für Amerikas Sicherheit brauchbaren Verhältnisse herrschen, und sie müssen sich willens und fähig erweisen, diese „Krise zu lösen“. Dass man die eigenen Geschöpfe in Bagdad mit dieser Anforderung einstweilen allerdings nicht allein lassen kann, ist auch den Demokraten klar. Vielleicht – denken einige – wäre ein drastischer Rückzug ja eine Art heilsamer Schock für die Region; vielleicht braucht es aber auch genau das Gegenteil:

„Manche Demokraten plädieren für einen möglichst raschen Rückzug, um die politische Dynamik im Irak und dem Nahen Osten zu verändern – und um zu vermeiden, dass die USA dort endlos im Sumpf versinken oder politisch diskreditiert werden. Andere wiederum argumentieren, dass es ein Fehler sei, auch nur über einen Zeitplan für einen Rückzug zu sprechen. Dazwischen gibt es welche, die eine anfängliche Reduktion der Truppenstärke vorschlagen, gleichzeitig aber eine größere Armee im Irak oder in der Region lassen wollen, um Stabilität zu befördern und um die Wiederholung des Afghanistan-Debakels der 1990er zu vermeiden, das zur Etablierung des Taliban-Regimes beigetragen hat.“ (WP, 5.12.06)

Doch wie dem auch sei, klar ist auf alle Fälle, dass Bush alles verkehrt macht. Wobei alle oppositionellen Offensiven gegen seinen Krieg allerdings den einen Hauptgesichtspunkt nicht aus dem Auge verlieren dürfen: Bedenken gegen den Kampfeinsatz der Nation im Irak müssen so vorgebracht werden, dass sie den Demokraten nicht als Verrat an der kämpfenden Truppe ausgelegt werden können, also immun sind gegen das beliebteste und wirksamste aller Totschlagargumente gegen jede Art von Kriegskritik, jeder Zweifel an Sinn und Zweck eigener Opfer wäre ein Vergehen an der Würde des Kanonenfutters:

„In einer nichtöffentlichen Sitzung haben die Demokraten im Senat entschieden, über die Resolution (sc. zur Verurteilung der Kriegführung im Irak) abzustimmen; zugleich hat Senator Edward Kennedy aus Massachusetts eine Gesetzesvorlage eingebracht, mit der Mr. Bush verpflichtet werden soll, die Zustimmung des Kongresses einzuholen, bevor er mehr Truppen in den Irak schickt. Mit diesen Resolutionen würde der Kongress die weitestgehende Revision seiner Zustimmung zum Krieg vollziehen, die es seit Kriegsbeginn gegeben hat; sie wären die erste große Konfrontation zwischen dem Weißen Haus und dem Kongress seit den Wahlen im November, bei denen die Demokraten die Kontrolle über Senat und Repräsentantenhaus erlangt haben. Die Entscheidung, eine Konfrontation mit dem Weißen Haus anzustreben, war ein Wendepunkt für die Demokraten, die darum gerungen haben, wie sie ihre Opposition gegen die Kriegspolitik von Bush betreiben sollen, um nicht zugleich als Partei zu erscheinen, die den Militäreinsatz untergräbt, oder als Defätisten in die Schusslinie zu kommen.“ (NYT 12.1.07)

Entscheidend wichtig ist es deshalb für die alternative Führungsriege aus dem Demokraten-Lager, dass sie mit ihren Vorwürfen an die Adresse der Oberkommandierenden der Nation beim Wähler, dem leibhaftigen Repräsentanten des wahren Vaterlands, zählbaren Anklang gefunden hat. Ihr Wahlerfolg gibt ihren Einwänden sachliches Gewicht:

„Die Mehrheit der Nation unterstützt nicht mehr die Art und Weise, in der dieser Krieg geführt wird.“ (nochmals Senator Jim Webb in seiner Antwort auf die Bush-Rede, CNN.com, 26.1.) „‚Die Antwort des Präsidenten auf die Herausforderung im Irak besteht darin, mehr Soldaten in das Kreuzfeuer eines Bürgerkrieges zu schicken‘, sagte Senator Richard J. Durbin aus Illinois, die Nr. 2 bei den Demokraten im Senat, der als Sprecher seiner Partei unmittelbar auf die Rede von Bush antwortete. ‚Die Eskalation dieses Krieges ist nicht der Strategiewechsel, nach dem das amerikanische Volk bei den letzten Wahlen verlangt hat.‘“ (NYT, 12.1.) „‚Beim Präsidenten ist einfach die Botschaft nicht angekommen, die das amerikanische Volk geschickt hat, dass wir unbedingt einen neuen Kurs benötigen‘, sagte sie.“ (sc. Senatorin Hillary Rodham Clinton, NYT, 11.1.)

Welchen „Strategiewechsel“ und „neuen Kurs“ das amerikanische Volk gerne hätte, hat es mit seiner Wahlentscheidung freilich nicht mitgeteilt. Der Wahlsieger hat daher alle Freiheit, sich nach seinem taktischen Ermessen ganz grundsätzlich als der bessere, verantwortungsvollere Anwalt der amerikanischen Weltmacht in Szene zu setzen:

„Die Demokraten werden mit den Republikanern zusammenarbeiten, um Aufsicht und Verantwortlichkeit in diesen Krieg zu bringen.“ (Der demokratische Senator Reid, IHT, 5.1.)

So mündet alle Kritik an „Bush’s Krieg“ in das demokratische Versprechen, Amerikas kriegerisches Schicksal in die Hände besserer Häuptlinge zu legen. Alle Einwände gegen Bush – gegen seine Lügen, seine untauglichen Methoden, seine falsch gewählten Kriegsschauplätze, seine mangelhaften Verbesserungspläne – lösen sich darin auf, dass dieser Krieg von nun an mit mehr Umsicht und Verantwortungsbewusstsein geführt werden muss; dass die Nation also neue Führer braucht, denen jeder Erfolg zuzutrauen ist – schon allein deswegen, weil der Wähler ihnen schon einen ersten Vertrauensvorschuss gewährt hat.

Bush hat sich keine Fehler vorzuwerfen. Und die Nation muss nun erst recht zusammenstehen. Denn der Krieg muss sein und wird dauern.

Bush hat sich nichts vorzuwerfen. Er hat schon in der Vergangenheit alles getan, damit Terroristen und Feinde der Freiheit keine Chance bekommen. Nun ist die Lage, wie sie ist; der muss sich die Nation jetzt parteiübergreifend als neuer Herausforderung annehmen:

„Der Krieg gegen den Terror, den wir heute bestreiten, ist ein generationenübergreifender Kampf, der noch lange, nachdem Sie und ich unsere Verantwortung an andere übergeben haben, andauern wird. Deshalb ist es wichtig, dass wir zusammenarbeiten, so dass unsere Nation diese großen Anstrengungen vollbringen kann. Beide Parteien und beide Kammern sollten eng zusammenarbeiten. Aus diesem Grund schlage ich vor, einen Sonderbeirat für den Krieg gegen den Terror einzuberufen, der sich aus Kongressabgeordneten aus beiden politischen Parteien zusammensetzt. Wir werden gemeinsam Ideen erörtern, wie wir die Vereinigten Staaten positionieren können, so dass sie für jede sich ihnen stellende Herausforderung gewappnet sind. Wir werden unseren Feinden im Ausland zeigen, dass wir geeint hinter unserem Ziel stehen, den Sieg zu erringen.“ (Bush, Rede zur neuen Irak-Strategie)

Der Schulterschluss aller politischen Kräfte beweist den Ernst der Lage. Und das Volk ist aufgerufen, sich hinter den nationalen Kriegskurs zu stellen – gerade weil der Krieg so schnell nicht zu gewinnen sein wird:

„Diese neue Strategie wird Selbstmordanschläge, Attentate oder Bombenanschläge nicht sofort beenden. Unsere Feinde im Irak werden alles unternehmen um sicherzustellen, dass unsere Fernsehbildschirme mit Bildern von Tod und Leiden gefüllt sind. Aber mit der Zeit können wir erwarten, dass die irakischen Truppen die Mörder stellen, dass es weniger dreiste Terrorakte gibt, und dass es ein wachsendes Vertrauen und mehr Zusammenarbeit mit den Einwohnern von Bagdad gibt. Wenn dies geschieht, wird sich das alltägliche Leben verbessern, die Iraker werden Vertrauen in ihre Führer gewinnen… Auch wenn unsere neue Strategie genauso funktioniert wie geplant, werden sich tödliche Gewaltakte fortsetzen – und wir müssen mit mehr irakischen und amerikanischen Opfern rechnen. Die Frage ist, ob unsere neue Strategie uns dem Erfolg näher bringen wird. Ich glaube, dass sie dies tun wird… Mitbürger: Das vor uns liegende Jahr wird mehr Geduld, Opfer und Entschlossenheit verlangen. Der Gedanke kann verführerisch sein, dass Amerika die Last der Freiheit ablegen kann. Aber die Zeiten der Prüfung offenbaren den Charakter einer Nation. Und in unserer ganzen Geschichte haben Amerikaner immer den Pessimisten getrotzt und haben in ihrem Glauben an die Freiheit Recht behalten. Nun wird Amerika von einem neuen Kampf in Anspruch genommen, der den Kurs für ein neues Jahrhundert setzen wird. Wir können und wir werden siegen.“ (ebd.)

Der Präsident macht die Nation damit bekannt, dass schwerere Zeiten auf sie zukommen. Das amerikanische Volk – und die Weltöffentlichkeit gleich mit – werden daran gewöhnt, dass der Krieg im Irak samt seinen Weiterungen Dauerprogramm der Nation ist. Dass mit dem Zusammenbomben feindlicher Regime schon das Wesentliche geleistet wäre, um aus der Welt „a better place“ zu machen, muss man nicht mehr glauben; genau deshalb sind die Bomben umso nötiger. Als guter Amerikaner soll man diesen Krieg nicht mehr an dem Maßstab messen, dass der Sieg leicht zu haben sei; man soll ihn vielmehr als schweren Weg und mühsamen Kampf begreifen, den die Nation nun einmal angefangen hat, also auch durchstehen muss. Das ist die neue Tonart der Kriegspropaganda: die USA – eine schwer kämpfende Macht, die Opfer zu bringen hat, sich ihrer Verantwortung für die Freiheit auf dem Globus aber nicht entzieht. So bekennt sich der Präsident zur Wahrheit des amerikanischen Kriegsprogramms: Die Sonderstellung der USA in der Staatenkonkurrenz, ihr Status als Macht, die mit ihrer überlegenen Gewalt den anderen Staatsgewalten Rechte und Pflichten zuweist, ist nur zu haben, wenn die USA immerzu und überall zuschlagen, wo sich Widerstand rührt.

Egal, ob die Nation ihre mehrheitlich schlechte Meinung über den amtierenden Präsidenten wieder aus dem Verkehr zieht; unabhängig davon, welche Mannschaft demnächst die Regierung ausübt: Dieses Kriegsprogramm steht. Mit dem Kriegsverlauf unzufrieden zu sein, ist das Recht jedes guten Amerikaners. Deshalb darf er sich demnächst auch wieder frei entscheiden, welchem Führer er am ehesten den fälligen Sieg zutraut.

II. Die Implementierung des US-Programms an den verschiedenen Kriegsfronten: How to make the world a better place

Aus der Bedrängnis in Irak und Afghanistan zieht die Bush-Regierung praktische Konsequenzen: Sie setzt ihren weltweiten Antiterror-Krieg nicht nur fort, sondern intensiviert ihn und startet neue Offensiven. In den beiden Ländern an der Hauptfront konzentrieren die Besatzungskräfte ihre Aktivitäten neu auf die militärische Vernichtung des Gegners. Nachdem der Aufbau von hoffnungsvollen Demokratien, also die Errichtung von amerikanischen Vasallenstaaten fehlgeschlagen ist, die Gewalt immer mehr eskaliert und sich die divergierenden, miteinander konkurrierenden Aufständischen weder durch die Sicherheitskräfte der per Wahl installierten Regierungen noch durch die ausländischen Besatzer unter Kontrolle bringen, einordnen und auf den neuen Staatsaufbau verpflichten lassen, sieht sich Amerika herausgefordert, wenigstens einen eindeutigen militärischen Sieg über sie zu erringen: mit der Aufstockung, besserer Organisation und Führung der Streitkräfte sollen die Widerstandsgruppen aller Couleur vernichtet und die von ihnen gesäuberten Gebiete dauerhaft gesichert werden. Ein Sieg soll an alle antiamerikanischen Gruppierungen und Staaten die klare Botschaft senden: Die Hoffnung, die sie sich angesichts der Probleme der US-Streitkräfte und ihrer Hilfstruppen in Irak und Afghanistan machen, dass nämlich auch gegen die Supermacht erfolgreicher Widerstand möglich sei, ist und bleibt eine Illusion.

Zugleich wird der Kampf ausgedehnt und die Vorstellung ad acta gelegt, der Antiterrorkrieg könne in Etappen mit wechselnden Koalitionen geführt werden. Die Bereinigung der Nebenfronten – Libanon und die Palästinensergebiete – ist ebenso dringlich wie die Durchsetzung an der Hauptfront, nicht nur, weil die terroristischen Gruppen einander an den verschiedenen Kriegsschauplätzen moralisch, personell und mit Waffenlieferungen unterstützen, sondern weil der andauernde Kampf der arabischen und muslimischen Kräfte gegen Israel der zentrale ideologische Fixpunkt des antiamerikanischen Dschihad ist und seiner Propaganda immer neuen Stoff liefert.

Erfolgreich kann der Antiterrorkrieg schließlich nur sein, wenn die letzten staatlichen Bastionen des Antiamerikanismus in der Region geschleift werden. Ein ‚regime-change‘ in Syrien und im Iran ist auf der Tagesordnung, weil deren Führungen – wie Bush ständig betont – die destruktiven Kräfte in Irak und Afghanistan, im Libanon sowie in Palästina mit Finanzmitteln und Kriegsmaterial unterstützen und damit die Friedensbemühungen der USA und Israels im Nahen Osten untergraben.

Der intensivere und extensivere Krieg soll aber nicht allein Sache der USA sein, an ihm müssen die Verbündeten in der Region mitwirken. Gefordert wird eine geschlossene Front der „gemäßigten Araber“ gegen die Feinde Amerikas. Die Scheichtümer am Golf, Ägypten und Jordanien sollen erstens ihren Einfluss auf Hamas und Hizbullah sowie deren Unterstützer in Damaskus und Teheran geltend machen, damit die ihre antiamerikanischen Umtriebe einstellen, zweitens sollen sie an der politischen und ökonomischen Isolierung dieser Ansprechpartner aktiv mitwirken und drittens bei sich daheim darauf achten, dass der Extremismus im Keim erstickt wird. Bei den von den USA für notwendig befundenen Gewaltaktionen sollen sie nicht abseits stehen, sondern Unterstützung leisten.

(Heraus-)Gefordert sind auch die konkurrierenden Weltmächte, die sich der Front gegen die Feinde Amerikas anzuschließen haben: Sie sollen alles unterlassen, was den Interessen der USA zuwider läuft, sind eingeladen, Beiträge zum Antiterrorkrieg zu leisten, nicht aber, dabei mitzubestimmen.

Die Hauptkriegsschauplätze: Irak – Afghanistan[2]

Das von den USA im Irak inszenierte Zerstörungswerk hat nicht den gewünschten Erfolg gebracht. Nirgends auch nur der Anschein einer Ordnung, statt dessen Chaos auf breitester Front. Die gigantische militärische Überlegenheit, die den Irak, einen kompletten, wenngleich durch die Vorarbeit jahrzehntelanger US-Einsätze zerrütteten Staat, ohne weiteres zerlegt hat, erweist sich als untauglich für die Mission, den US-Ordnungswillen vor Ort zu verankern, also müssen – so das Kalkül – die ‚Extremisten‘, die stärker denn je ihr Unwesen treiben, nun eben ‚effektiver‘ gejagt werden. Das US-Militärkommando konzentriert sich auf den „Kampf um Bagdad“, den ja auch seine Gegner für das Feld der Entscheidung halten. Es lässt mehr als 20 000 zusätzliche US-Soldaten einfliegen und fordert etliche weitere Bataillone der irakischen Streitkräfte an, um die vor gut einem Jahr beschlossene „Strategie für den Sieg im Irak“ – clear! hold! build! – nun endlich mit der ‚Operation Imposing Law‘ zum Erfolg zu führen: „What really matters is what happens on the ground. I can talk all day long, but what really matters to the American people is to see progress.“[3])

Säuberungsaktion für Bagdad – clear!

„Ich habe Bagdad zu obersten Priorität im Bereich Sicherheit gemacht. Anders ausgedrückt, um unser Ziel zu erreichen ist es wichtig, dass die Hauptstadt dieses großartigen Landes sicher ist.“ [4]

Das vordringliche Ziel ist die Entwaffnung der Milizen – vor allem der schiitischen und unter denen an erster Stelle die Mahdi-Armee des Maliki-Verbündeten al Sadr. Davor hat sich die irakische Regierung trotz ständiger Ermahnungen bisher hartnäckig ‚gedrückt‘. Nun wird ihr gezeigt, wie Aufstandsbekämpfung geht: Die US-Armee teilt Bagdad in Militärdistrikte auf, pflanzt sich mitten hinein und walzt Häuser mit ihren Räumpanzern nieder, um ihre stacheldrahtbefestigte Hochsicherheitstrakte und Festungsbauten hinzustellen; Stadtteile werden in ‚gated communities‘ verwandelt, d.h. abgeriegelt. Panzer, Hubschrauber und Kampfflugzeuge schwirren in Sadr City aus, um Extremisten zu erlegen und ihre ‚immer raffinierteren‘ Waffensysteme, made in Iran, einzusammeln. Und um der Regierung beizubringen, wie man mit Augenmaß und ‚Ausgewogenheit‘ den Terror zusammenhaut, wird darüber nicht vergessen, die sunnitischen und baathistischen Aufständischen ebenfalls zu erlegen. Das heimgesuchte Volk, zu dessen Besten die finale Säuberung veranstaltet wird, vermag darin weder Schutz noch Vermeidung von Kollateralschäden zu erkennen. Es sieht einen längeren Belagerungszustand auf sich zukommen, reagiert mit Flucht und Verzweiflung,[5] und Hamsterkäufen. Ansonsten hat es nichts dagegen, wenn die Sadr-Truppen vor den anmarschierenden US-Soldaten bei ihm Schutz suchen und untertauchen.

Überwachung einer zunehmend dubios erscheinenden Regierung und ihrer Sicherheitskräfte – hold!

Nach Stand der Dinge ist das einstige Konzept der Amerikaner, die schlimmsten Gefahrenherde selbst auszuräuchern, die Sicherung und Aufräumarbeiten aber den irakischen Truppen zu überlassen, unhaltbar geworden. Die irakischen Sicherheitskräfte zeigen sich der Größe der Aufgabe nicht gewachsen, desertieren, liefern sich mit der von den USA gelieferten Bewaffnung unbestellte eigene Fehden und legen die Gefolgschaft der jeweiligen Gegenseite um. Also wird die Operation „Together Forward“ vom Juli vergangenen Jahres als militärischer Irrwitz ausgemustert: Eine militärische Definition für ‚partnerschaftlich‘ gibt es nicht, sagte ein amerikanischer Militärsprecher.[6] Da Polizei und Militär des Irak nur unter strengster Aufsicht für den Kampf gegen Extremisten und ihre Hintermänner – das sind ja nicht selten sie selbst – zu gebrauchen sind, bekommen sie Ausbilder zugewiesen, die sie bei der Erledigung der Aufgaben, die die USA auf die Tagesordnung setzen, anleiten. Die übernehmen jetzt wieder das Kommando – und führen die irakischen Hilfstruppen. Wichtige Sicherheitsvorkehrungen trifft die US-Mannschaft nun selbst und Premier al Maliki wird vorsichtshalber nicht vorher informiert, wenn es gegen seine Leute geht.

Wie ein Hohn darauf, die Sprachregelung, nun sei Irak „in the lead“. Einerseits drückt sie das nach wie vor gültige, nun in die Zukunft vertagte Programm aus, die Last der Besetzung des Irak loszuwerden und nach dem Abzug kein „Vakuum“ zu hinterlassen, sondern Akteure, die im Sinn der Besatzungsmacht selbsttätig handeln. Andererseits ist für alle Fälle, nämlich die des Scheiterns, schon mal die Schuld an die irakischen Politiker weitergereicht, die die Führung, die sie ausüben, vergeigen.

Denn dass Bush die im letzten Juli beschlossene ‚make or break‘-Strategie zur Einnahme der Stadt schon nach einem Vierteljahr für gescheitert erklären und inzwischen zum dritten Mal die Eroberung Bagdads anordnen muss, liegt aus seiner Sicht vor allem am ‚Partner‘ al Maliki, der sich gar nicht zufriedenstellend entwickelt. Noch im Juli als ‚letzte Hoffnung‘ gefeiert, wird er nun mit Vorwürfen bombardiert: Er habe es zu verantworten, dass die von den US-Truppen erzielten Erfolge nicht in Stabilität umgemünzt wurden. Er habe die Befestigung der gegen die Terroristen errungenen Positionen vernachlässigt, wenn nicht hintertrieben, die Milizen nicht entwaffnet, von den USA verhaftete Iraner alsbald wieder freigelassen, Straßensperren zur Sicherung Bagdads aufgehoben und die Hinrichtung Saddams auf einen sunnitischen Feiertag gelegt und damit unnötig Religionshass geschürt – kurz, er habe den Auftrag zur Stabilisierung des Irak in einem falschen nationalen Sinn, nämlich im Sinn einer Stärkung der Schiiten gelesen.

Daher kommt der Bush-Mannschaft das von ihr eingerichtete Verhältnis zur irakischen Regierung wie eine Fehlkonstruktion vor. Sie hat genau diesen Politiker aus der schiitischen Mehrheit auserkoren und zur Identifikationsfigur eines freien Irak aufgebaut, sie hat ihm die Unterstützung der amerikanischen Militärverwaltung gesichert und die zur Erledigung seiner Aufgaben erforderlichen Freiheiten gelassen. Nach der amerikanischen Vernichtung der aufständischen Militärorganisationen sollte al Maliki mit den ‚Überresten‘ der Bewegung selbst fertig werden und auch sonst den USA Lasten abnehmen. Intendiert war eben eine autochthone irakische Herrschaft, die aus eigenen Stücken die Anliegen der Besatzungsmacht in die Tat umsetzt und so den Sieg der USA komplett macht. Bush sah den Aufbau der blühenden Öl-Landschaft und die Ausstrahlung einer demokratischen Musternation in die Region schon in den schönsten Farben vor sich. Wenn sich all dies als Fata Morgana herausstellt, und die in al Maliki gesetzten Hoffnungen rundum enttäuscht werden, dann – so die Lagebeurteilung im Oval Office – hat man ihm wohl zu viel Freiheiten eingeräumt und zu viel Macht übertragen. Das wird korrigiert. Der irakische Premier wird mit Notstandsmaßnahmen an die Kandare genommen und bekommt eine „letzte Chance“, sich als Vollzugsorgan der Besatzungsmacht zu bewähren und den Irak im ihrem Sinne in den Griff zu kriegen. Dem Bagdader Regierungschef „Dampf machen“, sagt man dazu in Washington.

Al Maliki soll sich endlich dem nötigen Krieg anschließen – gegen die schiitischen Milizen, im Besonderen gegen seinen Verbündeten Al Sadr. Dass er mit der Zerschlagung und Entwaffnung von dessen Mahdi-Miliz zugleich seine eigene Machtbasis untergraben soll, ist sein Problem, nicht das seiner amerikanischen Auftraggeber. Die sehen in der bewaffneten Machtstellung der Schiiten ohnehin mehr „einen Teil des Problems“ denn einen Beitrag zur Befriedung des Irak. Die mehrheitliche Volksgruppe hat viel zu viel Einfluss im Staat, schließt die Sunniten, Saddams alte Machtbasis, zu sehr von aller Mitsprache aus und wird daher als eine Ursache des fortgesetzten religiösen Volksgruppenkriegs identifiziert. US-Strategen greifen die von ihnen selbst installierte Machtverteilung als undemokratisch, als einen Verstoß gegen das Gebot der ‚Inklusivität‘ an; suchen Wege, um die Fähigkeit der schiitischen Parlamentsmehrheit, von Sunniten geforderte Verfassungsänderungen zurückzuweisen, zu beschneiden, und bestehen auf einer Amnestie für die alten Baathisten. Auch das neue Ölgesetz zielt auf den Entzug von Macht und Machtmitteln in der Hand des Maliki-Regimes: Die Verfügung über das Öl soll der Regierungsmannschaft und den mit ihr kooperierenden Provinzfürsten entzogen werden, die amerikanische Aufpasser nunmehr allesamt als korrupt erkennen. Die entscheidende Finanzquelle des Staates gehört in einem Fonds unter US-Aufsicht verwaltet, um unrechtmäßige Bereicherung wie unerlaubte Stärkung der Falschen zuverlässig auszuschließen.

Außenpolitisch darf al Maliki nicht länger die Zusammenarbeit mit Syrien und Iran suchen, um sie für die Schaffung eines stabilen und wirtschaftlich lebensfähigen Irak zu gewinnen.[7] Er hat zu verstehen, dass die Stabilität des Irak nur durch die Bekämpfung der Feinde Amerikas gewonnen werden darf; mit Hintermännern des Terrors wird nicht verhandelt, Spione sind nicht auszuliefern – und Diplomatie hat aufzuhören, wenn Kampf auf der Tagesordnung steht.

Wiederaufbau unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit – build!

Alles, was die USA im Irak betreiben, wird der Durchsetzung des Gewaltmonopols untergeordnet; so auch der Wiederaufbau. Der sollte einst – mit Wasserversorgung und Mikrokrediten – den Irakern die „Vision einer besseren Zukunft“ bescheren, was ja auch schon nicht allzu viel Nahrhaftes verhieß. Jetzt, wo „zivile und militärische Operationen nicht auseinander dividiert werden können“, gehen 80 % der Aufbaugelder in Aufstandsbekämpfungs-Programme und kommen direkt den Streitkräften zugute. Der Rest soll die Loyalität zu den extremistischen Sektenführern untergraben und dem Volk einen Anreiz bieten, sich von ihnen abzuwenden. Unter diesem Gesichtspunkt werden sogar die nach dem US-Einmarsch stillgelegten Staatsbetriebe partiell reaktiviert: als Mittel, die „angry young men“ an die Arbeit zu bringen und den Aufstand zu schwächen. Die US-Armee hat schon Uniformen für ihre irakischen Söldner geordert. Mit dem Geld dafür werden Verwahrloste des Krieges von der Straße geholt und beschäftigt, damit sie Sinn fürs Schöne und Nützliche im Leben entwickeln. Nicht ohne Zweifel, ob das mit dem verrohten Menschenmaterial überhaupt geht, probiert der Ami ein bisschen aufstandsbekämpfende Sozialarbeit.

Die Drohung der USA mit dem Entzug der Hilfe und Abzug der Ordner – threat!

Mit ihrer Misstrauenserklärung gegen die irakische Politik handeln sich die USA neuen Konfliktstoff und neuen Aufsichts-, Verbots- und Bekämpfungsbedarf ein. Je eindeutiger al Maliki als Marionette der USA agieren soll, umso mehr wächst sein Abgrenzungsbedürfnis. Er zeigt sich sperrig, weil ihm keine Perspektive geboten wird. Aber ein anderes als das ihm von Amerika aufgeladene Mandat hat er nicht. Also beschwert er sich im Sinne dieses Mandats über eine zögerliche Umsetzung der neuen Bagdad-Offensive und macht die USA für die jüngsten schweren Attentate in Sadr City verantwortlich. Die seien dem „Machtvakuum“ geschuldet, das entstanden sei, weil die Mahdi-Milizen vor anrückenden amerikanischen Truppen flohen; bis dahin hätten sie mit Straßensperren und Kontrollen für so was Ähnliches wie Ordnung in dem Riesenslum gesorgt. Al Maliki wehrt sich gegen den amerikanischen Vorwurf, durch schiitische Parteilichkeit und unterlassene Kriegsaktionen dem Terror zuzuarbeiten, und fährt die Retourkutsche. Die USA wieder umgekehrt: Die Implementierung des Bagdadplans komme nicht voran, stattdessen die allgegenwärtige „Gesetzlosigkeit“, weil die versprochenen sechs irakischen Bataillone – trotz Extrazuschlag und Gefahrenzulage für den Einsatz in der Hauptstadt – nicht bzw. nur tröpfelnd anrücken.

Mit der Konzentration des Truppeneinsatzes auf Bagdad und Umgebung sowie auf die sunnitische Provinz Anbar, wo 90 % der aufständischen Anschläge stattfinden, verschlechtert sich die Sicherheitslage im ganzen Land. Wo immer Kräfte zugunsten des Hauptkampfplatzes abgezogen werden, flammen auch in halbwegs befriedeten Gebieten Feindseligkeiten und Kämpfe wieder auf. Al Sadr samt Miliz verdrückt sich aus der Hauptstadt und will im schiitischen Süden nicht nur die Zeit bis zum Abzug der US-Truppen abwarten, sondern seinen Aktionsradius erweitern: Er dringt in das Revier anderer schiitischer Milizen ein und liefert sich mit ihnen Kämpfe um die Vorherrschaft in Basra und die Oberhoheit der schiitischen Gemeinde insgesamt. Weil in Bagdad nicht genügend Kampftruppen zur Verfügung stehen, sollen die Kurden und ihre erprobten Peschmerga dorthin verlegt werden. Damit würden sie im Staatszentrum Teil des Krieges der Sekten und Volksgruppen, den sie in ihrer ‚relativ ruhigen Enklave‘ sowieso schon längst führen, indem sie die Vorbereitungen für ihre Autonomie forcieren: Um bei der Volkszählung, die Voraussetzung eines Referendums über die Zugehörigkeit Kirkuks zur kurdischen Provinz ist, die nötige Mehrheit aufbieten zu können, vertreiben sie von Saddam im Norden angesiedelte Araber und betreiben die Umsiedlung von Kurden nach Kirkuk.

*

Diesmal werden die USA vom Scheitern ihrer Optionen nicht überrascht werden. Sie haben einen ‚Plan B‘, falls ihre „neue Strategie“ nicht zum Sieg führen sollte. Den verraten sie nicht, verkünden ihn aber ziemlich vernehmlich: sie drohen al Maliki mit Geldentzug und dem Abzug ihrer Truppen, falls er die von der Besatzungsmacht gesteckten Aufgaben nicht erfüllt und die versprochene Einhaltung der „benchmarks“ auch diesmal wieder nicht klappt. Offensichtlich gibt es noch Gefährlicheres für den amerikanischen Vasallen als die Säuberungsaktion gegen seine schiitische Machtbasis, die gerade läuft: „benign neglect“ von Seiten der Weltmacht, die ihre boys aus „harm’s way“ schafft, den irakischen Bürgerkrieg im eigenen Saft schmoren, das Land aber noch lange nicht in Ruhe lässt, wenn sie ihre vitalen Interessen an der Region von Basen in Kuwait, Katar oder sonstwo verfolgt.

Die Nebenkriegsschauplätze: Subsumtion der nationalen Gegensätze der Palästinenser und Libanesen unter die Antiterrorstrategie

Palästina

Auch die Palästinenser haben dank intensiver Betreuung durch die USA und ihrer Verbündeten in genau einem Jahr die Karriere von einer „hoffnungsvollen jungen Demokratie“ zu einem weder von ihnen selbst noch von außen beherrschbaren „Chaos“ hingekriegt. Die von Washington verordneten freien Parlamentswahlen Ende März 2006, die den Beweis liefern sollten, dass die Mehrheit der Palästinenser die Politik der militanten Gruppierungen ablehnt, schlagen fehl: Hamas, die auf der Terrorliste der USA steht, geht als klarer Sieger aus der Wahl hervor und übernimmt die Regierungsämter in der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA). Nach dem Motto: „Demokratie heißt nicht nur freie Wahlen, sondern auch Anerkennung der entsprechenden Werte“, (Rice) stellt die Bush-Regierung Ministerpräsident Hanija und die Hamas vor die Alternative: Entweder sie schwören ihren antiisraelischen und antiamerikanischen Zielsetzungen ab, erkennen wie Präsident Abbas und die Vorgängerregierung von der Fatah das Existenzrecht Israels, die Road-map und den Verzicht auf Gewalt gegen die Besatzungsmacht als „die demokratischen Werte“ an, denen sich Palästinenser unterzuordnen haben, oder sie bleiben – auch wenn sie nun regieren – Zielobjekt des Antiterrorkriegs der USA und ihrer Verbündeten.

Hanija schlägt diese Kapitulationsforderung aus und besteht darauf, dass die Hamas Israel keinesfalls vor der Etablierung eines Palästinensischen Staates in den Grenzen von 1967 anerkennen werde, dass in bilateralen Verhandlungen das Prinzip Leistung/Gegenleistung wieder gelten müsse und dass dem Ende der Intifada die Aufgabe der israelischen Besatzung vorausgehen müsse. Präsident Bush sieht sich dadurch in seinem Urteil bestätigt, es mit Terroristen zu tun zu haben. Darum verhängen die USA Sanktionen gegen die palästinensische Regierung, denen sich die gesamte Staatenwelt anzuschließen hat: Keinerlei diplomatische Kontakte, Einstellung der Unterstützungszahlungen an die PA und Unterbrechung aller Bankverbindungen, damit auch die Gelder der Gegner des Boykotts – Iran, Katar etc. – die Adressaten nicht erreichen. Der Regierung Hanija soll politisch und ökonomisch der Boden entzogen, der palästinensischen Bevölkerung vorgeführt werden, dass ihr Vertrauen in Politiker, die von den USA zur Front des Bösen gezählt werden, auf Kosten ihres eigenen Überlebens geht. Alle staatlichen Institutionen und Versorgungsunternehmen brechen in Folge der Sanktionen mehr oder weniger zusammen, die Gehaltszahlungen im Öffentlichen Dienst, der wichtigsten Einkommensquelle für Palästinenser, bleiben aus und Israel erhält die Lizenz, seine Schikanen und Militäraktionen – Schließung der Grenzen, Unterbindung des innerpalästinensischen Verkehrs, Razzien, Verhaftungen, Bombardements etc. – auf erweiterter Stufenleiter fortzuführen.

PLO-Chef und Präsident der PA, Mahmud Abbas, wird nolens volens in die Strategie der USA, die Hamas und ihre Anhängerschaft zu erledigen, eingebaut. Zu diesem Zweck werden seine seit der verlorenen Wahl unternommenen zahlreichen Versuche vereitelt, sich mit Hanija zu arrangieren, um gewaltsame Konfrontationen zwischen den rivalisierenden palästinensischen Fraktionen zu vermeiden und die Voraussetzungen für die Aufhebung des Boykotts der internationalen Gemeinschaft zu schaffen. Zwar wird der Waffenstillstand gegenüber Israel, den er mit der Hamas aushandelt und den diese auch einhält, von Amerika begrüßt, seine Bemühungen, eine Regierung zu bilden, scheitern aber immer wieder daran, dass Washington auf der förmlichen Zustimmung aller Regierungsmitglieder zu den drei Forderungen des Nahost Quartetts (USA, UN, Russland, EU) besteht: Bekenntnis zum Existenzrecht Israels, Gewaltverzicht und Anerkennung der bereits geschlossenen Vereinbarungen zwischen Israel und der PLO. Die US-Regierung entlässt ihren Mann in Ramallah nicht aus der Pflicht, sich eindeutig hinter den US-Auftrag zu stellen, den Antiamerikanismus auszumerzen. Statt mit den Terroristen zu taktieren, ist Konfrontation gefordert, und die USA und ihre Verbündeten geben ihr Bestes, die Polarisierung unter den Palästinensern voranzutreiben. Abbas werden Finanzmittel überwiesen, die Hanija prinzipiell vorenthalten werden, u.a. sämtliche Hilfs-Gelder der EU und 100 Mio. Dollar der von Israel eingesammelten und seit einem Jahr eingefrorenen palästinensischen Steuergelder. Damit soll er wieder ein Stück weit öffentliche Verwaltung in den palästinensischen Territorien organisieren und Loyalität gegenüber seiner Fatah bewirken. 86 Mio. Dollar spendiert ihm die Bush-Regierung zur Aufrüstung und Verstärkung seiner Sicherheitskräfte, zudem stellt sie ihm in Aussicht, über die in Jordanien ausgebildeten Fatah-Anhänger, die sogenannten Badr-Milizen, verfügen zu können. Ägypten wird angewiesen, die Verbände des Präsidenten mit Waffen auszustatten. Damit korrigieren die USA das militärische Kräfteverhältnis zugunsten ihres Schützlings und fordern die Gegenseite heraus, die bei der Vorbereitung ihrer eigenen Entwaffnung zuschauen soll.[8]

Nicht erst, als es gilt, die Waffenlieferung an die Kräfte der Fatah zu verhindern, bricht Gewalt zwischen den rivalisierenden Gruppen der Palästinenser aus; seit dem Finanzboykott kommt es zu Schießereien zwischen der Präsidentengarde, unterstützt von Fatah-Milizen, einerseits und Verbänden des Innenministeriums bzw. Sympathisanten der radikalen Fraktionen andererseits, die an die hundert Tote und Hunderte Verletzte fordern. Die drastische Verschärfung der Lebensbedingungen im Gazastreifen und im Westjordanland sowie die wechselseitigen Beschuldigungen der rivalisierenden Gruppen, für die Misere und das Zusammenbrechen der öffentlichen Ordnung verantwortlich zu sein, bieten hinreichend Anlässe für die Eskalation der Gewalt: Streiks samt Stürmung und Besetzung der Ministerien wegen ausbleibender Gehaltszahlungen bzw. der Einstellung der lebenswichtigen Versorgungsdienste, Patrouillen und Straßensperren zur Kontrolle der öffentlichen Ordnung durch die verfeindeten Sicherheitsdienste, Entführungen zur Freipressung der durch gegnerische Polizeikräfte Verhafteten oder, um Lösegelder zu erzielen, Racheaktionen der Clans wegen vorangegangener politisch oder privat motivierter Bluttaten etc. Diverse Waffenstillstandsabkommen und gemeinsame Aufrufe von Fatah und Hamas, den Bruderkrieg und das Chaos zu beenden, halten nur wenige Tage.[9]

Betroffen sehen sich auch die umliegenden arabischen Länder vom Zerfall der Ordnung in den Palästinensergebieten. Neben den Auswirkungen, die der Bruderkrieg auf ihre eigene Bevölkerung – nicht nur innerhalb der palästinensischen Flüchtlingslager – hat, befürchten sie durch die endgültige Subsumtion der Palästinenserfrage unter die Kategorie „Terror“, durch das Chaos und die freie Hand, mit der Israel und die USA es für sich ausnutzen, den Verlust ihrer angestammten Rechtsposition in der Region. Ihren Einfluss auf die Ordnungsstiftung im Nahen Osten suchen sie dadurch zu wahren, dass sie sich als Vermittler zwischen Hamas und Fatah ins Spiel bringen und um die Schaffung einer Einheitsregierung bemühen, die auch das Plazet der Bush-Regierung erhalten soll, damit der Boykott der PA beendet wird. Nach vergeblichen Interventionen Syriens, Jordaniens und Ägyptens schafft der saudische König ein Abkommen zwischen Abbas und Hamas-Führer Meschal zur Beendigung der bewaffneten Auseinandersetzungen. Der PLO-Chef beauftragt zudem Hanija mit der Bildung einer Einheitsregierung, der sich seinerseits zur „Respektierung“ – also nicht Anerkennung – früherer Verträge verpflichtet. Damit geht der Konflikt in eine neue Runde: Auf dem Dreiertreffen erklären Rice und Olmert gegenüber Abbas, dass sie von ihrer alten Forderung – der Anerkennung aller drei Forderungen des Nahost-Quartetts – nicht ablassen. Damit ist die Aufhebung des Boykotts wieder einmal verweigert und die Verlängerung des Chaos in den Gebieten programmiert. Und nicht nur das: Weil Saudi-Arabien mit der „Erklärung von Mekka“ seine führende Stellung in der arabisch/muslimischen Welt unterstreichen will und das Abkommen als Testfall für die Respektierung der arabischen Staaten durch Israel und Amerika ansieht, weil es sich zudem schon verpflichtet hat, die neue Regierung diplomatisch voll anzuerkennen und mit 1 Mrd. $ finanziell ihr Überleben sicherzustellen, werden nicht nur die saudischen Beziehungen zu Israel, sondern vor allem das Verhältnis zwischen den USA und ihrem wichtigsten Verbündeten in der Region auf eine harte Probe gestellt. Weder Zugeständnisse gegenüber „Terroristen“ noch Entgegenkommen gegenüber auf ihren Rechten bestehenden arabisch/muslimischen Nationalisten sind in Bushs Programm vorgesehen, das jede Insubordination als Terrorismus(-gefahr) registriert. Verschärft wird die Lage noch dadurch, dass die Einheitsfront der Weltaufsichtmächte gegen die Hamas weiter bröckelt. Russland, das – trotz israelischer und amerikanischer Proteste – schon vorher Gespräche mit der Hamas-Führung gesucht hat, setzt sich nun für die Aufhebung des Boykotts der Hanija-Regierung ein. Dabei wird Moskau von der französischen Regierung unterstützt. Die übrigen Europäer, die sich in der letzten Zeit von den USA im Nahen Osten immer stärker ausgemischt sehen und dies korrigieren wollen, sprechen von einem „wichtigen Schritt zur Entspannung“ der Lage, der neue Beratungen innerhalb des Nahost-Quartetts nötig mache.

Libanon

Der israelische Feldzug im Sommer 2006 [10] war aus amerikanischer Sicht ein Rückschlag: statt den Hizbullah zu entwaffnen und die antisyrischen Kräfte im Lande entscheidend zu schwächen, hat die israelische Armee genau das Gegenteil bewirkt: Scheich Nasrallah und seine Gefolgschaft können sich damit brüsten, dem militärisch haushoch überlegenen Gegner erfolgreich Widerstand geleistet zu haben, und auftrumpfen, die Waffen solange nicht niederzulegen, bis Israel auch die letzten Spuren seiner Besatzung beseitigt hat.[11] Auch die erst von Frankreich und dann von Italien kommandierte UNO-Schutztruppe Unifil, die die libanesischen Streitkräfte bei der Kontrolle des Waffenstillstands im Süden des Landes unterstützen soll, hat laut UN-Resolution 1701 kein Mandat, die Schiiten-Miliz zu entwaffnen.

Im Bewusstsein ihres Sieges fordern die schiitischen Parteien Hizbullah und Amal für sich eine stärkere Beteiligung an der Regierung und für die mit ihnen verbündete Liste des Christen Aoun, die als einzige aus der amtierenden Koalition der nationalen Einheit unter Ministerpräsident Siniora ausgeschlossen ist, überhaupt eine. Insgesamt beansprucht das Bündnis ein Drittel der Ministerämter und damit eine Sperrminorität im Kabinett. Es wirft Siniora vor, eine Marionette der USA zu sein, im Krieg gegen Israel den Hizbullah verraten und die Nation im Stich gelassen zu haben. Der Libanon dürfe nicht aus einer Abhängigkeit – ehemals von Syrien – in die nächste, nämlich die von den USA und den maßgeblichen Europäern, geraten. Die Zedern-Republik solle als souveräner Staat gute Beziehungen zu Syrien und Iran unterhalten und ihren südlichen Nachbarn solange als Feind betrachten, wie der die Integrität Libanons missachte. Siniora und die Regierungsmehrheit, die sich aus Sunniten unter Führung Saad Hariris, den Drusen Dschumblatts und mehreren Christengruppierungen zusammensetzt, lehnen diese Kritik und die daraus abgeleiteten Forderungen ab. Sie behalten sich die Mehrheit im Kabinett und damit die Fortsetzung des amerika-freundlichen Regierungskurses vor. Deswegen verlangen sie auch den Rücktritt des pro-syrischen Präsidenten Lahoud, der fortwährend sein Amt missbrauche, indem er sich wegen formalistischer Verfassungsbedenken weigert, von der Parlamentsmehrheit verabschiedete Gesetze zu unterschreiben. Die „March 14“-Politiker [12] gehen auf Konfrontationskurs, nicht weil sie sich sicher sind, die Mehrheit des libanesischen Volkes hinter sich zu haben, sondern weil die USA und Europa sie dazu ermuntern, Rückhalt gewähren und Unterstützung zusagen. Im Durchstehen der geforderten Konfrontation und im Ausbau des Libanon als antisyrischer Vorposten sehen sie nicht nur den Erfolgsweg für ihre politische Karriere, sondern auch die einzig realistische Überlebenschance, die ihrer kleinen Nation von den Großmächten gelassen wird.

Vorbei sind also die Zeiten, in denen die rivalisierenden Glaubensgemeinschaften und Clans den Bürgerkrieg von einst überwinden wollten und sich gemäß Taif-Abkommen und Verfassung auf eine gemeinsame Politik verpflichteten, die von sämtlichen politischen Lagern getragen werden konnte. Beide Seiten werfen einander den Bruch der Verfassung und Vaterlandsverrat vor, Dschumblatt & Co. bezeichnen ihre politischen Gegner nur noch als 5. Kolonne Syriens, Befehlsempfänger des Iran oder gleich als Terroristen. Weil die Regierung sich vom Rückzug der schiitischen Minister aus dem Kabinett nicht beeindrucken lässt und – auch wenn das der Verfassung widerspricht – stur ohne politische Beteiligung dieser Volksgruppe weiterregiert, ruft die Opposition zum Generalstreik und zivilem Ungehorsam auf, ihre Anhänger belagern seit Monaten das Regierungsviertel mit Dauer-Camps. Im Verlauf von Großdemonstrationen und Straßenblockaden kommt es zu Straßenschlachten und Schießereien mit Toten und Verletzten. Einig sind sich die gegnerischen Lager nur noch im Aufruf, dass Bürgerkrieg unter allen Umständen vermieden werden müsse. Abstriche von ihrer gegenseitigen Feindschaft machen sie aber nicht.

Vor allem die USA und Frankreich heizen die Konfrontation an. Während sich in Sinioras belagertem Regierungssitz die westlichen Politiker die Klinke in die Hand geben, drängen sie darauf, sämtliche Oppositionspolitiker – einschließlich des dritthöchsten Mannes im Staate, Parlamentspräsident Berri von der als gemäßigt bezeichneten Amal – diplomatisch zu ächten. Chirac organisiert in Paris eine Geberkonferenz für den Libanon, „Paris III“, auf der Siniora das Vertrauen ausgesprochen und eine Aufbauhilfe von 7,6 Mrd. Dollar zugesagt wird. Damit will die Konferenz die iranischen Solidaritäts-Gelder nach dem israelischen Überfall von 1,2 Mrd. Dollar in den Schatten stellen; den Libanesen soll klar werden, dass ihr Land nur an der Seite der USA und der EU eine ökonomische Perspektive hat.[13]

Angesichts der Schulden des Libanon in Höhe von 41 Mrd. Dollar ist die Summe der Aufbauhilfe im Übrigen lächerlich. Sie entspricht gerade mal der ungefähren Höhe der Schäden, die die israelischen Bombardements im Sommer angerichtet haben.. Ein beträchtlicher Teil der Aufbauhilfe ist freilich gar nicht der Ankurbelung der Wirtschaft gewidmet, sondern der Ausrüstung und dem Training der Sicherheitskräfte – bei den Amerikanern betrifft das ein Drittel der Zahlungen. Das ist aber durchaus sachgerecht, denn für die USA und ihre Verbündeten hat der Libanon in erster Linie die Funktion zu erfüllen, den Hizbullah und die übrigen Sympathisanten Syriens und des Iran in die Schranken zu weisen.

Eine Verhandlungs-Lösung des Streits zwischen den beiden Lagern ist nach vergeblichen Vermittlungsversuchen der Arabischen Liga, Katars, Saudi-Arabiens und Irans nicht absehbar. Inzwischen spitzt sich die Auseinandersetzung immer mehr auf ein Thema zu: die Einrichtung des Hariri-Tribunals. Die für die innenpolitischen Verhältnisse wichtigeren Themen – Mehrheitsverhältnisse im Kabinett, Neuwahlen des Parlaments und des Staatspräsidenten, ein neues Wahlgesetz etc. – treten zurück, weil für die auswärtigen Paten der Siniora-Regierung eines viel wichtiger ist: Sie wollen endlich die Zustimmung Libanons dazu erhalten, die syrische Regierung auf die Anklagebank zu setzen.[14] Darum bedrängen die March-14-Politiker den Parlamentspräsidenten Berri, jenseits aller übrigen Streitfragen doch wenigstens in dieser Angelegenheit seine Zustimmung zu geben. Siniora selbst wendet sich an den Sicherheitsrat und bittet ihn, einen neuen Beschluss zur Einrichtung des Tribunals zu fassen, nun aber nach Kapitel 7 der UN-Charta, damit die Zustimmungspflicht Beiruts entfällt. Lieber opfert er ein Stück libanesischer Souveränität, als dass seine Regierung bei den USA in Verruf kommt, deren Antiterrorkampf zu behindern.

Die Hauptfront: Syrien und Iran

Syrien

Gegen Syrien ist mit der UN-Resolution 1701 aus Sicht der USA ein wesentlicher Schritt im Richtung internationaler Ächtung des Assad-Regimes getan. Damaskus wird bezichtigt, nach wie vor Einfluss auf die Politik im Libanon zu nehmen: Nicht nur, dass es den Hizbullah weiterhin bewaffne, mit Hilfe seiner 5. Kolonne im Libanon hintertreibe es die Einrichtung des Hariri-Tribunals, das Assad als Drahtzieher der Politiker-Morde im Nachbarland überführen soll. Für Washington steht seit langem fest, dass Assad ein „Schurke“ ist, dessen Herrschaft beseitigt werden muss, weil er sich Amerikas Ordnungsansprüchen in der Region prinzipiell widersetzt, seine Feindschaft gegen Israel nicht aufgibt und sich auch noch mit dem Ober-Schurken Iran verbündet. Und durch das jüngste Treffen in Teheran sehen sich Bush & Co vollends bestätigt:

Assad und Ahmadineschad erklären gemeinsam, „dass sich die amerikanische Armee für die Schaffung von Frieden und Stabilität aus dem Irak zurückziehen und dass der Nahe Osten eine atomwaffenfreie Zone werden solle. Dazu fordern beide die nukleare Entwaffnung Israels. Jegliche Diskriminierung bei der zivilen Nutzung der Atomtechnologie wiesen sie als inakzeptabel zurück ... Assad versicherte seinem Gastgeber, beide bildeten eine geschlossene Front gegen die Vereinigten Staaten. Iran und Syrien träten allen Versuchen Washingtons, diese Front zu schwächen, entschieden entgegen.“ (FAZ, 19.2.07)

Dabei zieht Assad mit diesem Schritt nur einen Schlussstrich unter seine vergeblichen Versuche in der letzten Zeit, die US-Administration mit demonstrativem Entgegenkommen zu beeindrucken. Die Forderungen des UN-Sicherheitsrats hat er erfüllt, die syrischen Truppen vollständig aus dem Libanon zurückgezogen und mit der UN-Untersuchungskommission zum Hariri-Mord hat er „bereitwillig zusammengearbeitet“ (Brammertz). Seine Regierung hat selbst in Hinblick auf Friedensverhandlungen mit Israel größere Flexibilität signalisiert: Syrien halte nicht mehr kategorisch an der vollständigen Rückgabe des Golan als Vorbedingung für Friedensverhandlungen fest.[15] All das hat nicht gefruchtet, weil die USA diese Zugeständnisse nur als verzweifelte Versuche werten, den ‚regime-change‘ abzuwenden und den alten unbotmäßigen Kurs fortsetzen zu können.

Der Status eines Schurkenstaats entbindet Syrien aus Sicht der amerikanischen Regierung jedoch nicht davon, gewisse Pflichten im Rahmen des Antiterrorkriegs der USA ohne Gegenleistung zu erfüllen: den Hamas Führer Meschal in seinem Exil in Damaskus zu bedrängen, das Existenzrecht Israels anzuerkennen; auf die „prosyrischen Parteien“ im Libanon einzuwirken, dass sie ihren Widerstand gegen die Regierung Siniora aufgeben; schließlich Hunderttausende irakischer Flüchtlinge aufzunehmen und gleichzeitig zu verhindern, dass potenzielle Kämpfer in umgekehrte Richtung über die Grenze zum Irak gelangen.[16]

Ächtung und Sanktionierung der syrischen Regierung fordern die USA auch von der internationalen Gemeinschaft. So wünschenswert der Erfolg der Bemühung der Europäer wäre, Syrien aus dem Bündnis mit Iran herauszulösen, so wenig akzeptabel findet die Bush-Regierung Reisen europäischer Außenminister nach Damaskus, die damit die geforderte diplomatische Isolierung des Terrorregimes unterlaufen. Wenn Russland – trotz vehementer Proteste aus Israel und Amerika – an Syrien Abwehrraketen und andere Waffen liefert, muss die US-Administration dies als Verstoß gegen den Geist der Resolution 1701 werten. Putins Opposition gegen „die Politisierung des Hariri-Tribunals“ – d.h. gegen die Vorwegnahme der Ergebnisse der UN-Untersuchungskommission unter der Leitung von Brammertz, gegen das Hinwegsetzen über die Verfassung des Libanon (s.o.) und die Missachtung der Immunität von Regierungen (im Falle Assads) durch die USA – erfüllt ihrer Ansicht nach den Tatbestand der Hintertreibung bereits erzielter Übereinkünfte im Weltsicherheitsrat.

Iran

Der Iran ist für die USA bereits feindliche Kriegspartei. Er ordnet sich dem amerikanischen Kriegsprogramm in Irak und Afghanistan nicht nur nicht unter, sondern arbeitet mit seinen Ambitionen als Regionalmacht aktiv dagegen, indem er eben die Parteien fördert, die die USA bekämpfen (Schiiten im Irak, Hizbullah im Libanon, Hamas in Palästina). Das Programm für diese Nation heißt „regime-change“; eine zivile Perspektive in der internationalen Konkurrenz sehen die USA für sie nicht (mehr) vor.

Die Atompolitik ist die schon bewährte und erfolgreiche Waffe im Ringen um die Isolierung und Schwächung des Iran. Jahrelang hat Washington auf die Verschärfung der Ausforschung des iranischen Atomprogramms durch die IAEA gedrungen, mit dem vorab feststehenden Beweisziel, dessen zivilen Charakter als Täuschungsmanöver zu entlarven und ein Waffenprogramm nachzuweisen. Nach Angeboten, Drohungen und einer gezielten Eskalation ist das Thema endlich da gelandet, wo es nach amerikanischer Ansicht schon immer hingehört: im UN-Sicherheitsrat, wo dem Iran nicht nur ein Verstoß gegen den Atomwaffensperrvertrag, sondern nichts weniger als ein Bruch des Völkerrechts nach Kapitel VII der UN-Charta attestiert wird; dem Kapitel, mit dem die UN militärische Zwangsmaßnahmen legitimieren können.[17] Nach den Bestimmungen der UN-Sicherheitsratsresolution 1737 vom 23. Dezember 2006 darf Iran die Urananreicherung nicht fortsetzen, keine Schwerwasserreaktoren bauen, muss das Zusatzprotokoll der IAEA ratifizieren, das noch schärfere Kontrollen der Nuklearanlagen vorsieht, sowie „vertrauensbildende Maßnahmen“ ergreifen, die den zivilen Charakter des Atomprogramms hieb- und stichfest beweisen. Die Gefahr, dass die USA dem Iran, falls er sich fügt, unter Auflagen ein abgespecktes ziviles Atomprogramm erlauben müssen, besteht allerdings nicht. Die Kategorie „Vertrauen“ macht deutlich, dass es dem Iran nicht überlassen wird, an ihn gerichtete Ansprüche zu erfüllen. Weil jedes friedliche Atomprogramm auch militärisch genutzt werden könnte, sofern die Absicht bestünde, reicht der Glaube an die und die Plausibilität der bösen Absicht, um den Iran als Schurken zu überführen – und es ist die Bush-Mannschaft selbst, die auf dieser Plausibilität herumreitet, angesichts dessen, dass sich „der Iran durch Israel und die USA bedroht sieht“. Ein schöner Zirkel: Die amerikanische Bedrohung des Iran beweist, dass dessen Atomprogramm gar nicht zivil gemeint sein kann. Der Angriff ist also prinzipieller Natur: Dieser Staat hat, weil er die amerikanischen Kreise stört, sein Existenzrecht verwirkt; nun soll ihn die Weltgemeinschaft schwächen, indem sie ihm den Zugang zur Atomtechnologie, moderner Entwicklung überhaupt und zu Waffen aller Art verwehrt.

Dafür wird ein neuartiges Sanktionswesen [18] installiert. Einerseits umfasst es so noch nicht da gewesene Eingriffe in den sanktionierten Staat wie z.B. das Recht anderer Staaten, die endgültige Verwendung all ihrer an Iran gelieferten Artikel vor Ort selbst zu kontrollieren. Andererseits schaffen die UN mit einem für die Durchführung der Sanktionen zuständigen Ausschuss ein Instrumentarium, das dem Bedürfnis der USA, die Mitkontrolleure zu kontrollieren, Rechnung trägt. In dem Ausschuss, in dem alle Mitglieder des UN-Sicherheitsrates vertreten sind, wird über Umfang und aktuelle Auslegung des Sanktionsregimes gestritten. Der Fortschritt für die USA liegt darin, dass es bilaterale Geschäfte mit dem Iran, die die Weltgemeinschaft, also die USA nichts angehen, nun nicht mehr gibt. Sobald ein Geschäft von einem Mitglied des Ausschusses als sicherheitsrelevant eingestuft wird, liegt es allen zur Prüfung vor. Die Frage, wer welches Geschäft mit dem Iran künftig tätigen darf, fällt in die Zuständigkeit des Sicherheitsrates und ist damit ein sehr weit reichender Kontrolltitel, der nicht als unerlaubte „Einmischung in innere Angelegenheiten“ zurückgewiesen werden darf. Die Mitkontrolleure, insbesondere Russland und China, sind genötigt, ihre Sonderbeziehungen mit Iran als erlaubte Ausnahmen von den Sanktionen durchzusetzen.[19]

Gemessen am feststehenden Urteil „Schurke“, das Feindseligkeit als einzig korrektes und für alle verbindliches Verhältnis zu Iran fordert, sind die beschlossenen Sanktionen für die USA natürlich völlig unzureichend. Nicht genug, dass sie, kaum ist Resolution 1737 beschlossen, schon eine nächste, schärfere Resolution fordern; in ihrem praktischen Vorgehen machen sie sich von vornherein unabhängig vom Konsens mit den lästigen Mitkontrolleuren im Ausschuss. Sie verhängen eigene „extraterritoriale Sanktionen“, nutzen also die Reichweite ihrer politischen und ökonomischen Macht, indem sie amerikanischen Finanzinstituten Geschäfte erstens mit einer iranischen Bank, die in Waffengeschäfte verwickelt sein soll, und zweitens mit europäischen Banken verbieten, die von ihr Dollars für Geschäfte mit dieser iranischen Bank nachfragen. Selbstverständlich verbinden die USA diesen Eingriff in die internationalen Finanzbeziehungen mit dem Antrag an die europäischen Partner, sich diesem Schritt anzuschließen und den Iran umfassend von der Teilhabe am Weltmarkt auszuschließen. Die so Angesprochenen, die die vereinbarten UN-Sanktionen respektieren, lehnen darüber hinaus gehende, einseitige Aktionen, die nur auf US-Recht fußen, empört ab. Das ändert in der Sache aber nicht viel. Die EU-Mächte müssen nämlich feststellen, dass ihre Banken sich selbsttätig dem Druck der USA beugen, weil sie lieber auf Geschäft mit dem Iran verzichten als auf amerikanisches. Das Abschneiden des Iran von internationalen Finanzquellen funktioniert so ein Stück weit auch ohne Einwilligung der politischen Hüter der europäischer Geldmacht – zumal sie einem direkten Kampf mit dem großen Partner um ihre respektive Finanzmacht doch lieber aus dem Weg gehen.[20]

Trotz aller Fortschritte kommt die allgemeine Ächtung Irans und seine verbindliche Erklärung zum Feind der zivilisierten Welt, also eine UNO-taugliche Ermächtigung zum Krieg gegen ihn, nicht so voran, wie die USA das für nötig halten. Wichtige Partnerstaaten verstehen auch ihr Mitwirken bei den Sanktionen und im Atomstreit noch immer verkehrt, nämlich so, als ob es sich dabei um begrenzte Vorwürfe handeln würde, die der Iran ausräumen könnte und nur ausräumen müsste, um zur friedlichen Kooperation wieder zugelassen zu werden. Dagegen legen die USA der Welt immer neue Todsünden des Mullah-Regimes vor und machen ihr damit klar, dass Verhandlungen und Kompromisse „nicht in die Zeit passen“: Iran leugnet den Holocaust, bestreitet das Existenzrecht Israels, beliefert – neuesten Beweisen der CIA zufolge – irakische Freischärler mit Sprengmitteln, mit denen die US-Boys umbringen. Und – die äußerste Untat – er hat al-Kaida-Mitglieder ins Gefängnis gesperrt, was ja wohl zur Genüge Bush’s alte Anschuldigung beweist, Iran würde Terroristen beherbergen; sei also ein Drahtzieher des islamistischen Terrors.[21]

Wie es sich für Vorkriegszeiten gehört, liefern Versuche des Feindes, den gezielten Schädigungen auszuweichen und Mittel der Gegenwehr aufzubringen, die schönsten Beweise für seine Aggression, mit der die Feindschaft gegen ihn begründet wird. Ökonomisch geschädigt,[22] militärisch eingekreist und strategisch angegriffen, setzt Iran seine Finanzen, technologischen, militärischen [23] und atomaren Potenzen, seinen Energiereichtum und seine Waffen ein, um Verbündete in dieser Konfrontation zu finden und sich vor der US-Feindschaft zu schützen. Hilfreich für den Iran ist, dass die Zahl der Staaten, die von den Amerikanern ins Visier genommen werden, und damit das Bedürfnis nach Gegenwehr tendenziell wächst. Die Liste der „Freunde des Iran“ entwickelt sich im Gleichschritt mit den von den USA auf die Tagesordnung gesetzten Kontrollfällen.

Wenn Russen, Chinesen und andere sich auch davon nicht zu einer geschlossenen anti-iranischen Front hinter den USA versammeln lassen, ihre Geschäfte mit Iran und sogar ihre Waffenlieferungen nicht einstellen, dann gerät der amerikanische Kampf gegen den nah-östlichen Schurkenstaat zunehmend zu einem um die Kontrolle der weltpolitischen Mitspieler. Russische und chinesische Firmen, die dem Iran Waffen und sogar Abwehrraketen liefern, die die Vernichtung der iranischen Atomanlagen aus der Luft komplizieren könnten, werden mit Sanktionen bedroht oder belegt; Investitionen in den iranischen Energiesektor werden als feindliche Akte gewertet und die Staaten, aus denen das Kapital dafür kommt, unter Druck gesetzt.

Zugleich – und das ist immer noch das stärkste Argument für Gefolgschaft in der imperialistischen Welt – treiben die USA ihre direkten Kriegsvorbereitungen voran. Sie führen vor der Küste des Iran mit einigen Bündnispartnern aus Europa und erstmals aus den arabischen Golfstaaten groß angelegte Marinemanöver durch,[24] legen Ziele für einen möglichen Luftschlag fest und machen das öffentlich, verlegen einen zweiten Flugzeugträger mit Zubehör in den Persischen Golf, intensivieren ihre Aufklärung aus der Luft durch Drohnen und auf dem Boden durch eingeschleuste Teams von Agenten und Saboteuren; daneben eskalieren sie im Irak das Vorgehen gegen Iraner, die sie zu Dutzenden unter dem Vorwurf verhaften, Aufständische zu unterstützen. Seit Herbst letzten Jahres dürfen US-Truppen iranische „Agenten“ auf irakischem Boden auch töten.

Der Druck auf die Staaten der Region zur Lagerbildung: pro oder contra Kampf gegen den neu definierten Terrorismus

Die US-Strategen erklären sich ihre bisherige Unfähigkeit, im Irak die gewünschte Ordnung zu erzwingen, damit, dass sie die nähere und weitere Nachbarschaft des besetzten Landes nicht genug im Griff haben. Dort können sich immer noch Staaten und bewaffnete Bewegungen halten, die den pro-amerikanischen Umbau des Nahen Ostens nicht begrüßen, die Unruhe stiften, Widerstand ermuntern und unterstützen und der Besatzungsmacht im Irak Schwierigkeiten bereiten. Um das Land in ihrem Sinn zu befrieden, findet es die Mannschaft um Bush unverzichtbar, Umsturz, Kriegvorbereitung und Krieg im weiteren Umfeld voranzutreiben. Und ebenso nötig wie es ist, Feinde zu vernichten, ist es für dieses Programm auch, Regimes in der Region, die Amerika im Prinzip zugewandt sind oder wenigstens realistisch mit seiner Macht kalkulieren, für den Kampf um seine gefährdete Durchsetzung in den Dienst zu nehmen. Die US-Außenministerin arbeitet daran, die sogenannten gemäßigten arabischen Staaten in eine feindliche Frontstellung gegen die Terror- und Schurkenstaaten zu manövrieren und auf Beiträge zu deren Schwächung, Isolierung und Bekämpfung festzulegen.[25] Vor einem halben Jahr gründet sie das Forum „GCC+2(+1)“, bestehend aus den sechs Scheichtümern am Persischen Golf (Golf-Kooperations-Rat), Ägypten, Jordanien und den USA, um im Rahmen fest vereinbarter, regelmäßiger Konsultationen den regionalen Verbündeten mitzuteilen, was Amerika von ihnen erwartet.

Dafür, dass die genannten Staaten ihr Beiseitestehen im Irakkrieg, den sie alle nicht gewollt haben und als Demütigung ihrer Rechte in ihrer Weltregion empfinden, aufgeben und sich direkt oder indirekt in die Front der Amerikaner gegen deren Feinde einreihen, hat Frau Rice ein Angebot und ein Argument mit auf das Forum gebracht. Das Angebot besteht darin, dass die USA versprechen, sie wollten konservativ islamische und „repressive Regimes“, die zuverlässig auf der Seite der Freiheit stehen, vorerst wenigstens, mit umstürzlerischen Forderungen nach Demokratie verschonen. Die Weltmacht hat aus den Wahlsiegen der Hamas in Palästina, aus den Erfolgen der Moslembruderschaft bei Parlamentswahlen 2005 in Ägypten und ähnlichen Fällen gelernt, dass sie nur entweder verbündete pro-amerikanische Regimes oder demokratisch gewählte antiamerikanische Volksvertretungen in der Region haben können. Wenn das auch nicht das letzte Wort sein soll, vorerst gehen die staatliche Repression gegenüber radikalen Muslim-Parteien und die in Jordanien und Ägypten zur Absicherung der Machtverhältnisse üblichen Methoden, die Opposition mundtot zu machen, wieder in Ordnung. Regime, die im Antiterrorkrieg noch gebraucht werden, können wieder darauf bauen, das die USA mehr für die Stabilität ihrer Herrschaft als für deren demokratische Form übrig haben.

Das Argument, das das Angebot unabweisbar machen soll, lautet so:

„Länder wie Saudi-Arabien, Ägypten, Jordanien und die Golfstaaten ... verstehen, dass eine amerikanische Niederlage im Irak einen neuen Zufluchtsort für Extremisten schaffen und eine strategische Bedrohung für ihr eigenes weiteres Fortbestehen darstellen würde. Diese Nationen haben ein Interesse an einem erfolgreichen Irak, der in Frieden mit seinen Nachbarn lebt, und sie müssen ihre Unterstützung für die Regierung der nationalen Einheit im Irak verstärken. Wir unterstützen die Forderung der irakischen Regierung nach Abschluss eines internationalen Pakts, der neue wirtschaftliche Hilfe im Austausch für größere Wirtschaftsreformen bringen würde.“ (Bush, Neue Strategie für den Irak, AD, 10.1.07)

So geht Erpressungslogik: Die von den USA angerichteten Wirren können den Anrainern wegen negativer Auswirkungen auf sie selbst nicht gleichgültig sein, folglich müssen sie nach Kräften das US-Programm unterstützen, von dem sie betroffen sind. Folgende Leistungen wollen die USA von ihren Kooperationspartnern sehen:

  • Die an den Irak angrenzenden Nationen sollen verhindern, dass über ihr Territorium Waffen oder Kämpfer ins Kriegsgebiet gelangen. Jordanien – durch die Beherbergung Hunderttausender Palästinenser einschlägig geschult – hat die 750 000 Flüchtlinge aus dem Zweistromland so zu verstauen, dass die eigene Nation nicht durcheinander gebracht wird, zugleich aber auch keine UN- oder eine sonstige Menschenrechtsorganisation auf den Plan gerufen wird. Ägypten, das sich konstant weigert, Soldaten in den Irak zu entsenden und sie der US-Besatzungsmacht zu unterstellen, wird mit der Ausbildung von Polizisten betraut, und Saudi-Arabien ist für die Finanzierung von „Aufbauprojekten“ vorgesehen. Alle drei Verbündeten werden dringend ermahnt, ihre Vorbehalte gegen die von den USA in Bagdad installierte Regierung zu begraben und normale diplomatische Beziehungen zum Irak aufzunehmen.
  • Wenn sie schon die Hizbullah und Hamas nicht als Terroristen ächten, müssen sie wenigstens dafür sorgen, dass die radikalen Gruppierungen von jeglicher äußeren Hilfe abgeschnitten werden. Saudi-Arabien hat das Spendenwesen seiner Prinzen restriktiver zu handhaben,[26] Ägypten soll verhindern, dass Waffen in die palästinensischen Gebiete geschmuggelt werden und Mitglieder von Hanijas Regierung Dollar-Pakete aus Iran und Katar in den Gazastreifen mitnehmen. Kontakte zu den terroristischen Gruppierungen sind dazu zu nutzen, ihnen die Forderungen Israels oder der USA zu unterbreiten und ihnen klar zu machen, dass sie für ihre Ziele von den einflussreichen arabischen Nationen keine Unterstützung zu erwarten haben.
  • Den Regierungen in Damaskus und Teheran ist unmissverständlich zu bedeuten, dass sie im Interesse der gesamten Region die Auflagen des UN-Sicherheitsrats erfüllen müssen.
  • Diese amerikanischen Ansprüche decken sich durchaus nicht mit Zielen und politischen Rechnungen, die die pro-westlichen arabischen Regierungen von sich aus verfolgen. Zwar beobachtet man auch in Riad, Amman und Kairo mit Sorge den zunehmenden Einfluss des Iran in der Region:[27] die schiitische Regierung im Irak, die Finanzierung von Hizbullah und Hamas, den Beistandspakt mit Syrien etc. Aber deswegen sieht man seine nationalen Interessen noch lange nicht im Antiterrorkrieg der USA aufgehoben.
  • Statt die Regierung des Schiiten Maliki im Irak zu fördern, unterstützen Mubarak und die beiden königlichen Hoheiten längst diskret die irakischen Sunniten und drohen noch viel offenere Parteinahme an, sollte ihre Glaubensfraktion im Kampf gegen die Mahdi-Milizen noch stärker bedrängt werden.
  • Zwar sind auch sie gegen die Einmischung des Iran in die Palästinenserfrage, geben aber den USA eine Mitschuld daran, dass es so weit gekommen ist. Washington trete die Rechte der Palästinenser mit Füßen und behandle alle, die für diese Rechte kämpfen, als Terroristen. Es müsse endlich respektieren, dass das Palästinenser-Problem von den Arabern gelöst werden, jede Einmischung in unsere Probleme von außen aufhören muss, erklärt der saudische König. (Arabic News, 18.1.)
  • Für die Vernichtung des Hizbullah und der Hamas wollen sich die arabischen Verbündeten nicht hergeben. Nicht, weil sie für die politischen Ziele dieser Gruppierungen etwas übrig hätten, sondern weil sie sich nicht zum Handlanger israelischer Interessen machen wollen. Ihre mehr oder weniger guten Beziehungen zum jüdischen Staat sind zudem schon jetzt ein gefundenes Fressen für die radikalen Muslime und Araber im eigenen Land, der Nährboden für die Ausweitung des Terrorismus.
  • Syrien ist zwar ein – inzwischen sehr geschwächter – Konkurrent im arabischen Lager, den man aber ökonomisch und politisch benutzen, also weder in die Arme des Iran getrieben noch vernichtet sehen möchte.
  • Vom Atomprogramm des Iran und dessen Raketen sehen sich die „Gemäßigten“ – auch wenn die US-Regierung es ihnen noch so sehr einreden will – nicht existenziell bedroht. Erstens, weil sie wissen, gegen wen sich Teheran rüstet – und die Vormacht Israels scheint ihnen selber viel bedrohlicher –, zweitens, weil eine iranische Atombombe noch in weiter Ferne liegt, und drittens, weil sie – insbesondere die Saudis – sich dank ihrer massiven Aufrüstungsprogramme einem iranischen Rivalen durchaus gewachsen fühlen.
  • Unter den laufenden Kriegen in der Region habe der Nahe Osten schon genug zu leiden, ein weiterer wäre für alle „eine Katastrophe“, klagen die Führer von GCC+2 gegenüber Frau Rice. Dabei denken sie nicht nur an die ökonomischen Schäden, die Zunahme des Terrorismus etc. Was sie ganz grundsätzlich stört, ist die Omni-Präsenz der Weltmacht Nr. 1 und ihrer Hilfskräfte in der Region, die ihre eigene Machtentfaltung in unerträglicher Weise einschränkt.

Auf dem Treffen der GCC+2 mit Rice in Kuwait schlagen die arabischen Vertreter den USA unter Anspielung auf die Formel der Madrider Friedenskonferenz von 1991, „Land für Frieden“, einen Deal vor: „Iraq for land“. Sie erklären sich bereit, die USA im Irak zu unterstützen,[28] dafür soll sich Washington wieder stärker im zentralen Konflikt der Region zwischen Israel und den Palästinensern engagieren. Sie selber wollen ihr Bestes als Vermittler bei der Bildung einer Einheits-Regierung der Palästinenser geben, um das offizielle Hindernis für Friedensverhandlungen zwischen Olmert und Abbas aus dem Wege zu räumen. Mögen sie sich bei ihren Interventionen auch auf die diplomatischen Titel der US-Außenpolitik berufen und sich dafür als Beiträger empfehlen, die Differenz zwischen ihren Zielen und denen der USA ist unübersehbar.

  • Die Übereinkunft von Abbas und Hanija zur Bildung einer neuen Regierung, die der saudische König in Mekka zustande gebracht hat, mag einen vorläufigen Waffenstillstand zwischen Fatah und Hamas bewirken, sie weist Ägypten in die Schranken, das sich bislang ein Vermittlungsmonopol angemaßt hat, sie stärkt die Position Saudi-Arabiens, dieses „wichtigsten Verbündeten“ (Bush) im arabisch-muslimischen Lager, ein positiver Beitrag zum Antiterrorkrieg der USA ist es nicht. Statt die Isolation der Hamas aufrechtzuerhalten, wird sie wieder ein Stück salonfähig gemacht, in eine neue Regierung und damit in diplomatische Beziehungen eingebunden und sogar ein Zugang zu Geld wird in Aussicht gestellt.
  • Auch Ägyptens Vorstoß mit einem eigenen Friedensplan für den Nahen Osten ist kontraproduktiv. Mubarak fordert, die erste Stufe der Road-map – Bekämpfung der Infrastruktur des Terrors auf Seiten der Palästinenser gegen eine Einstellung der Bemühungen Israels, einseitig Fakten zu schaffen – zu überspringen und gleich in Verhandlungen über den Endstatus einzutreten. Dadurch, so die USA, werde nur der Eindruck geweckt, der Terror der Palästinenser habe irgendeine Rechtfertigung darin, dass Israel ihnen jegliche politische Perspektive verwehrt.
  • Im Fall Libanon liegt die Sache ähnlich: Die arabischen Vermittler missverstehen gezielt die amerikanischen Phrasen vom erwünschten Frieden zwischen den Volksgruppen – und arbeiten tatsächlich an der Vermeidung der Klärung der Machtfrage, auf die die USA hinarbeiten. Wenn Ägypten sich bereit erklärt, auf Assad einzuwirken, damit der die Pro-Syrer zum Einlenken gegenüber Siniora bewege, mag das den Amerikanern konstruktiv erscheinen; dass Mubarak im Gegenzug fordert, die USA sollten ihr Ziel, den Sturz der Regierung in Damaskus, aufgeben, erscheint ihnen gewiss nicht konstruktiv.
  • Völlig deplaziert sind schließlich Bemühungen Riads, Iran und Syrien als offizielle Co-Vermittler bei seinen Verhandlungen mit Siniora und Nasrallah einzubeziehen.

    Diese Sonderwege der arabischen Verbündeten, im Widerspruch zu dem, was sich die Bush-Regierung unter Frontbildung in der Region vorstellt, öffnen den weltpolitischen Konkurrenten die Türen zur Region; sie bieten den Arabern intensivere ökonomische und politische Beziehungen, ja „strategische Partnerschaften“ an, selbstverständlich ihrerseits im Dienst der hohen Aufgabe, den Frieden in der leidgeprüften Region voranzubringen.

  • Frau Merkel macht sich Mubaraks Idee eines Gesamtplans für die Region zu eigen und lobt ihn ausdrücklich für seine Bemühungen, die Differenzen zwischen Fatah und Hamas auszuräumen. Sie erntet in der arabischen Welt viel Zustimmung für ihr Plädoyer, „die Betroffenen und die regionalen Akteure müssten selbst handeln“, Vermittlungsbemühungen der Staaten vor Ort seien effektiver und hilfreicher für die Lösung der Konflikte als „Direktiven von außerhalb“. In Saudi-Arabien bietet sie als Gegengewicht zu den ökonomischen Sonderbeziehungen dieser Länder mit den USA ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und den GCC-Staaten an.
  • Putin macht auf seiner Rundreise durch die Golfstaaten und Jordanien keinen Hehl daraus, dass Russland das Aufsichtsmonopol der USA in dieser strategisch wichtigen Region durchbrechen will. Er stellt den Ausbau der „noch völlig unterwickelten Wirtschaftsbeziehungen“ in Aussicht, vereinbart mit Riad eine Kooperation saudischer und russischer Unternehmen im Bereich der Prospektierung und Förderung von Erdgas und Erdöl und unterzeichnet neben mehreren Wirtschaftsabkommen ein Memorandum über die Zusammenarbeit im Weltraum.[29] Interesse zeigt Russland auch an der Idee Katars, ein Kartell der Gasexporteure à la OPEC zu bilden und vor allem am jüngsten Projekt des Golf-Kooperationsrats zum Aufbau einer zivilen Nuklearindustrie.[30]

Mit Ägypten ist die russische Regierung schon länger handelseinig: Die vier geplanten Atomreaktoren, die Ägypten anvisiert sollen nach russischen Vorstellungen von Russland ausgerüstet werden. Ägypten rechnet mit Irritationen seitens der USA, setzt sich darüber hinweg: In dieser Frage wird eine amerikanische Einmischung nicht akzeptiert. (Middle East Times, 8.11.06)

Mit solchen Angeboten stoßen die EU und Russland auf viel Gegenliebe, weil sich Amerikas arabische Verbündete durch die militärische Präsenz der Weltmacht Nr. 1 doch ziemlich unfrei und nach wie vor als islamische Nationen nicht wirklich anerkannt fühlen.[31] Dass sie sich in der Gegend breit und dem amerikanischen Einfluss Konkurrenz machen, vergrößert umgekehrt wieder die Dringlichkeit eines klaren Sieges der Supermacht auf dem irakischen Schlachtfeld, der andere Mächte zu Zuschauern degradiert, deren Angebote an die lokalen Mächte entwertet und so die alternativlose Orientierung der nah-östlichen Nachbarschaft auf die USA stiftet, deren Fehlen den Sieg schwer macht.

Antiterrorkrieg an allen Fronten gleichzeitig – Der Fall Somalia

So eifrig die USA auch auf der ganzen Welt dem vielgestaltigen Bösen nachjagen, es stellen und seiner gerechten Strafe zuführen, nirgends ist ein Ende abzusehen. Sobald sie dem Feind an der einen Stelle den Rückzug verunmöglicht haben, taucht er in fernen Weltgegenden auf und treibt dort sein terroristisches Unwesen. Die Produktion ständig neuer Gefahrenherde verbuchen sie nicht als Resultat ihres unerbittlichen Kampfs, sondern als Inkonsequenz in Sachen Terrorausrottung: Richtig angewandt sollte das Manual für den asymmetrischen Kampf nur strategische Erfolge und keine unangenehmen Begleitwirkungen für die USA zeitigen. Also müssen sie ihrer Linie nur treu bleiben, Gefahren überall und so früh wie möglich zu identifizieren und zu beseitigen. Wir werden hinter Al Kaida her sein und den globalen Krieg gegen den Terror führen, wo immer uns das hinführt, sagte Regierungssprecher Bryan Whitman. (NYT, 25.1.07)

Nun hat diese Jagd sie wieder einmal nach Somalia geführt – und der Weltmacht die Gelegenheit zu einem geradezu idealen Antiterrorschlag eröffnet. Dort droht die Miliz der islamischen Gerichtshöfe [32] durch ihren Sieg den jahrzehntelangen Bürgerkrieg zu beenden und eine islamische Ordnung zu errichten. Für die USA dürfte weniger die Gefahr, die von der Befriedung dieses ‚failed state‘ für die Weltordnung ausgeht, als vielmehr die Gelegenheit ausschlaggebend dafür gewesen sein, einmal schnell und erfolgreich das Prinzip klarzustellen: Weder in Somalia noch anderswo dürfen Islamisten einen Staat in ihre Hand bringen, sei er auch noch so unbedeutend. Im Rückblick gilt es unter amerikanischen Fachleuten als Fehler, Somalia überhaupt je sich selbst überlassen zu haben:

„Wir befinden uns in Somalia in einer entscheidenden Phase sowohl für das Land wie für die Politik der Vereinigten Staaten ihm gegenüber; ähnlich, in der Tat, wie 1993 in den Wochen, nachdem unsere Black Hawks abstürzten. Ich war damals in Somalia und sah, wie die USA schließlich die Operation abbrachen, davonliefen und Somalia den Wölfen von Warlords überließen. Noch einmal können wir uns so etwas offensichtlich nicht leisten. Was die USA in den nächsten Wochen beschließen werden, wird, denke ich, eine gewaltige Wirkung auf die Zukunft Somalias und möglicherweise auf die US-Sicherheitsinteressen in der Region haben.“ (John Prendergast, International Crisis Group bei der Kongress-Anhörung zu Somalia, 29.6.06)

Offensichtlich fühlen die USA einen dermaßen dringenden Bedarf nach weltweit registrierten Beweisen ihrer Durchsetzungsfähigkeit, nach Sieg und gelungenem Regimewechsel, dass für sie auch im hinterletzten verwilderten nationalen Trümmerhaufen noch viel auf dem Spiel steht. Somalia verbindet der Ami eigentlich mit gar nichts außer der Erinnerung an den johlenden Mob, der nach dem Abschuss der Hubschrauber die Leichen von GIs durch die Straßen von Mogadischu schleift;[33] aber als ein Fall, um einen gloriosen Kontrapunkt gegen die blutigen Misserfolge in Afghanistan und Irak zu setzen, ist es offenbar nicht unwichtig genug.

Auch dieses Revier hat die Weltmacht nicht vergessen: Sie fördert in den letzten Jahren mit Geld und Waffen die Bildung einer Übergangsregierung aus den oben genannten wölfischen Warlords,[34] ohne allerdings das angestrebte Ziel zu erreichen. Die UIC-Miliz rückt auf die Hauptstadt vor, nimmt sie ein und sorgt ein halbes Jahr lang gründlich für die in diesem Verhau schon längst nicht mehr für möglich gehaltene Ordnung. Der Apparat der US-Außenpolitik bereitet daraufhin den Sturz dieser ‚selbsternannten‘ und illegitimen [35] Regierung vor, die ohne Anfrage bei der obersten Zulassungsbehörde ein marodes Staatswesen gekapert hat.[36] Man schaltet die UNO ein, lässt in der Sicherheitsratsresolution 1725 die Lage in Somalia zu einer „Bedrohung des Weltfriedens“ erklären und hat sich so die Ampel auf grün gestellt für die Wiederherstellung dieses Friedens: Das für Somalia gültige Waffenembargo wird für die IGAD [37] aufgehoben, die „die Sicherheitskräfte der Übergangs-Bundesinstitutionen“ ausbilden soll. Für die in derselben Resolution vermerkte Auflage, dass sich direkte Nachbarländer an der IGAD-Mission nicht beteiligen dürfen, haben die USA keine Verwendung. Äthiopien soll für sie Höheres vollbringen – nämlich die Islamischen Gerichte vertreiben. Es gibt amerikanische Bedenken gegen die Freisetzung des äthiopischen Akteurs, der ganz viel eigene Rechnungen in Somalia offen hat; aber diese Bedenken werden offenbar unerheblich gefunden angesichts der Dringlichkeit einer „Lösung“ und der Vorteile, die die Kriegführung nach dem ‚Katapult‘-Modell [38] verspricht. Die Projektion amerikanischer Macht durch die Instrumentalisierung von Allierten, die sich als Schleuder benutzen lassen, hat was. Zeit, Kraft und Geld werden gespart – und der Einsatz der eigenen Mittel kann sich aufs Wesentliche beschränken: Informationen für die Hilfstruppen, Spezialeinheiten zur Jagd der Terroristen – und als krönenden Abschluss noch ein paar Spezialbombardements auf die Rädelsführer und das Aufkreuzen eines Flugzeugträgers am Horn von Afrika samt Begleitschiffen, die den Gejagten den letzten Fluchtweg abschneiden. So billig, lässig und effektiv macht Kriegführen wieder Spaß und aller Welt einen bombigen Eindruck. Es ist jetzt das Gewohnheitsrecht des US-Militärs, punktuelle Militäraktionen in anderen Ländern zu unternehmen, wo terroristische Ziele ausfindig gemacht wurden. (WP 9.1.07)

Was diese Aktion sonst noch anrichtet, ist irrelevant, weil mit aller Zerstörung und Ruinierung der Hauptzweck eindrucksvoll vollstreckt wird. Auf die Beseitigung der islamischen Ordnung kommt’s an – sie bot der Bevölkerung ja eh nur einen ‚Anschein von Ordnung‘. Wenn jetzt die Preise explodieren, Waffen andererseits billig wie nie zu haben sind, Flüchtlinge durchs Land irren oder bei der Flucht über den Golf von Aden zu Hunderten ertrinken, Hungersnöte und Seuchen grassieren, die – von den Islamisten vertriebenen – Piraten aus ihren Schlupflöchern hervorkommen, die Warlords die Hauptstadt wieder in Besitz nehmen – kurz die guten alten vorislamischen Sitten wieder Einzug halten –, dann machen sich die USA nichts vor: „Die Lage“ ist nach Vertreibung der UIC höchstens ein paar Wochen lang stabil, unter der ‚ruhigen Oberfläche‘ lauern allerhand Gefahren – Guerillakrieg und ähnliches, man kennt das ja. Da heißt es höllisch aufpassen und allerhand regeln: von der Hilfe, die schon „in the pipeline“ ist, bis zu den Erziehungsmaßnahmen und Auflagen für die neue Regierung, die noch nicht allzu viel von ihrem Geschäft versteht. „Inklusivität“ heißt das Gebot der Stunde, nämlich das Zusammenbinden der Warlords mit den „gemäßigten Islamisten“ in einer „Einheitsregierung“. Diesem ihrem Ideal einer erfolgreichen Befriedungsaktion – wenn alle potenziellen Gegner in die Regierung eingespannt sind, können sie ihren Aufsehern keine Scherereien mehr machen – verleihen die Amerikaner dadurch Nachdruck, dass sie den politischen Kräften im Land noch ein zweites Mal mit superpräzisen Antiterrorschlägen das Signal setzen, jeden sowieso chancenlosen Widerstand gegen die US-Politik sein zu lassen. Weil die neue Regierung mit der ihrer Aufgabe hoffnungslos überfordert ist,[39] trommeln die amerikanischen nation builder afrikanische Hilfstruppen zusammen, die für sie den Laden unter Kontrolle halten sollen. Das Interesse der AU-Staaten, für die USA und ihre äthiopischen Helfer „die Kastanien aus dem Feuer zu holen“ (NZZ, 1.2.), hält sich allerdings schwer in Grenzen. Erst die Hälfte der angeforderten Soldaten konnten angeworben werden, denn weder ist die Finanzierung der Mission geregelt – d.h. die afrikanischen Staaten sollen zum großen Teil selbst die wirtschaftliche Last für die USA tragen, ohne dass ihnen eine andere Belohnung in Aussicht gestellt würde als darüber zum Lieblingsvasallen Amerikas zu avancieren –, noch ist die Mission von ihnen überhaupt zu bewältigen: Jeder, der jetzt interveniert, wird als US-Agent betrachtet und bekommt den Volkszorn zu spüren.

So übernimmt Amerika Verantwortung für einen Kontinent, auf dem manch einer sich die Realisierung des Wunsches, ‚nicht vergessen‘ zu werden, ein bisschen anders vorgestellt haben dürfte. Die Zerstörung erstreckt sich nicht nur auf die zum Feind der Freiheit erklärten islamischen Gerichte und die von ihnen kontrollierte Nation. Mit der Einsetzung der Übergangsregierung durch die USA und dem Freisetzen Äthiopiens im Interesse der Vollstreckung des US-Kriegszwecks werden die Gegensätze in der ‚hochsensiblen Region‘ neu aufgemischt, so dass man auf neue Kriege – alle Weltordnungskonkurrenten der USA sehen durch das amerikanische Eingreifen ihre vitalen Interessen am Horn von Afrika tangiert – nur warten muss. Amerika hat den Ernst der „Lage“ erkannt und für den Fall der Fälle ein neues regionales Oberkommando für Afrika – AFRICOM – eingerichtet, um für alle unguten „Entwicklungen“ gewappnet zu sein:

„Frage: Würden sie sagen, dass Terrorismusbekämpfung die erste und ursprüngliche Zielsetzung ist?“
Antwort: Aus unserer Sicht hat unsere afrikanische Agenda sicherlich eine antiterroristische Komponente, aber sie ist tatsächlich viel breiter angelegt, denn es gibt viele Sorten von Problemen, mit denen wir uns auf dem afrikanischen Kontinent zu befassen haben. Manche davon haben mit der ökonomischen und politischen Entwicklung zu tun, die ebenso entscheidend ist für die Zukunft der Region und unsere Beziehungen zu ihr.“[40]

[1] Zum Folgenden ausführlich: Vom „Schurkenstaat“ zum „failed state“, GegenStandpunkt 3-06; „Nation-building auf Amerikanisch“, GegenStandpunkt 4-03

[2] Die Frühjahrs-Offensive ist schon beschlossene Sache, die Vorbereitungen dazu laufen. Der Zwist, der darüber unter den Verbündeten ausbricht, ist in GegenStandpunkt 4-06 abgehandelt.

[3] Alles entscheidet sich auf dem Schlachtfeld. Ich kann reden, so lange ich will, aber für das amerikanische Volk zählen nur erkennbare Fortschritte. Bush, Pressekonferenz zum Irak, state.gov 14.2.07

[4] Bush-Rede „Fortschritte in Afghanistan“, Teil I, Amerikadienst 15.1.07

[5] Haydar Abdul Jabbar, 28, ein Automechaniker: Ich wollte, sie würden eine Atombombe auf uns werfen und uns alle umbringen. Dann hätten wir Ruhe und jeder, der das Öl – Kern des Problems – haben will, könnte kommen und es holen. Wir können so nicht weiter leben. Wir sterben langsam, jeden Tag. (NYT 5.2.)

[6] NYT, 15.1.

[7] Als Ersatz für die ewig von den USA nicht realisierte Versorgung mit Strom und Energie bietet sich der Iran an, der ein Stromverbundnetz wie Gas- und Öllieferungen organisieren will.

[8] Israel versucht allerdings wegen seiner eigenen nationalen Ansprüche das US-Vorhaben, Abbas zu stärken und seine Fatah mit hinreichend Gewaltmitteln auszustatten, um die radikalen Palästinenser zu entwaffnen, zu bremsen. Weder kommt die Regierung Olmert Abbas mit „vertrauensbildenden Maßnahmen“ (Gefangenaustausch, Siedlungsstopp, Aufhebung der Straßensperren im Westjordanland) entgegen, noch ist sie sonderlich großzügig in der Freigabe von Geldern, noch will sie größere Waffenlieferungen zulassen. Dadurch wird die Glaubwürdigkeit von Abbas als vielversprechende Alternative im Hinblick auf die Besserung der Lebensverhältnisse bzw. die Erringung eines eigenen Palästinenser-Staates nicht gerade befördert.

[9] Inzwischen entwickelt die israelische Armee Pläne für eine Wiederbesetzung des gesamten Gazastreifens, um das Chaos, das aus ihrer Sicht Israels Sicherheit gefährdet, auf ihre Art zu beenden.

[10] Vgl. hierzu 34-Tage Krieg im Libanon, Israel verteidigt sein Existenzrecht als regionale Supermacht, GegenStandpunkt 3-06

[11] Im Jahr 2 000 hat Israel zwar die Sicherheitszone im Süden Libanons geräumt, es besetzt aber nach wie vor das vom Libanon beanspruchte Gebiet der Schebaa-Farmen und hält hunderte Libanesen gefangen. Außerdem verletzt der jüdische Staat zum „Schutze seiner Bürger“ permanent die territoriale Integrität des Libanon: Die Luftwaffe überfliegt fast täglich das Nachbarland zwecks Spionage und zur Einschüchterung der Bevölkerung; die Artillerie zerstört in Grenznähe, aber jenseits der Blauen Linie, Hizbullah-Bunker, um zu demonstrieren, dass Israel es sich trotz Unifil vorbehält, für seine Sicherheit selbst zu sorgen.

[12] So nennt sich das Regierungslager, weil am 14. März 2005 die „Zedernrevolution“ stattfand, die Großdemonstration der Anhänger des ermordeten ehemaligen Ministerpräsidenten Rafik Hariri, die zur Abdankung der damaligen pro-syrischen Regierung führte.

[13] „Paris III“ bewirkt aber das Gegenteil: Die Geberländer verbinden nämlich ihre Zahlungen mit der Auflage, dass der Libanon sich mit allen Konsequenzen an der westlichen Marktwirtschaft orientiert. Pflichtgemäß beschließt Sinioras Regierungsbündnis die stufenweise Anhebung der Mehrwertsteuer, die Privatisierung der öffentlichen Versorgungsunternehmen und die Umschichtung des Staatshaushalts zugunsten der Wirtschaftsförderung. Dieses Verarmungsprogramm der Massen treibt nicht nur die arme Landbevölkerung im Süden, sondern auch die Mehrzahl der überparteilichen Gewerkschaften in die Arme der Opposition. Diese wettert seit ihrer Offensive zum Sturz der Regierung gegen die Paris-Abkommen, sie seien ein Musterbeispiel dafür, dass der Westkurs das Land ins Verderben stürze.

[14] Der bisherige Stand dieser Affäre: Der UN-Sicherheitsrat hat ein Verfahren für die Einrichtung eines internationalen Hariri-Tribunals gemäß Kapitel VI der UN-Charta verabschiedet und, weil Maßnahmen im Rahmen des Kapitel 6 dies erfordern, den Beschluss der libanesischen Regierung zur Zustimmung vorgelegt. Siniora hat mit seiner Anhängerschaft im Kabinett den Vorschlag gebilligt und dem UN-Generalsekretär gegenüber die Zustimmung des Libanon erklärt. Da die Verfassung darüber hinaus aber sowohl eine Zustimmung des Präsidenten vorsieht, die Lahoud verweigert, als auch die Beteiligung der Vertreter aller Religionsgemeinschaften an Regierungsentscheidungen, die Schiiten aber ihre Ministerposten aufgegeben haben, ist die Erklärung Sinioras rechtsunwirksam.

[15] Pressemeldungen zufolge wurde vor dem letzten Libanonfeldzug Israels bei halboffiziellen Geheimverhandlungen zwischen Israelis und Syrern sogar weitgehende Übereinstimmung in strittigen Fragen erreicht: Rückgabe des Golan durch Israel, seine Umwandlung in eine entmilitarisierte und unbesiedelte Zone und eine Regelung der Truppenstationierung auf beiden Seiten der Grenze, Verbleib sämtlicher Wasserrechte bei Israel, Selbstverpflichtung Syriens, die Unterstützung von Hamas und Hizbullah einzustellen.

[16] Nachdem Assad auf die ständigen Vorwürfe der US-Regierung, er unterstütze massiv die sunnitischen Aufständischen im Irak, ein Gesetz über die zeitliche Begrenzung des Aufenthalts von Irakern in Syrien erlassen hat, ermächtigt Washington seinen Botschafter in Damaskus, mit der dortigen Regierung über Erleichterungen für irakische Flüchtlinge zu verhandeln. Die Behandlung anderer Themen ist explizit untersagt.

[17] Selbst dem Iran ist klar, welche Wucht diese Eskalation hat: Es habe keinen Sinn, die Resolution als illegitim zu verurteilen, auch wenn die iranische Seite das so sehe; eine Mehrheit der Nationen betrachte jetzt das iranische Atomprogramm als illegal, das sei entscheidend und damit habe man es jetzt zu tun, so ein Stratege eines iranischen Forschungszentrums (Tehran Times, 4.1.07).

[18] Die Sanktionen umfassen: ein Verbot der Lieferung von Ausrüstung, die für die Anreicherung oder Wiederaufbereitung von Kernbrennstoffen, für Schwerwasserreaktoren oder Trägersysteme für Kernwaffen verwendet werden kann; ein Verbot technischer Hilfe, Ausbildung, finanzieller Unterstützung bei kritischen Technologien; ein Verbot der Ausfuhr entsprechender Ausrüstung durch den Iran; Beobachtung und Un-Registrierung der Reisetätigkeit von Personen, die mit dem Nuklearprogramm in Verbindung stehen; das Einfrieren von Konten und Vermögenswerten, die mit dem Nuklearprogramm im Zusammenhang stehen könnten; das Verbot der Transaktion von Geld in den Iran, das für diese Zwecke benutzt werden könnte.

[19] Laut Resolutionstext sind Geschäfte, die vor der Beschlussfassung abgeschlossen wurden, von den Sanktionen ausgenommen. Das verbuchen Russland und China als Erfolg, weil sie laufende Projekte wie der Bau des Atomreaktors in Bushir oder Waffengeschäfte dadurch geschützt sehen. Außerdem setzen sie darauf, dass ihr Gewicht im Ausschuss schon ausreichen wird, um sie interessierende Geschäfte mit Iran genehmigt zu bekommen.

[20] Als Antwort auf seine finanzielle Isolierung will der Iran die Abrechnung und Bezahlung seines Öl- und Gasexports, der bisher wie in dieser Branche üblich in Dollar abgewickelt wurde, ab März 2007 auf den Euro umstellen. Aus Europa erntet er dafür beredtes Schweigen. Einen so gewichtigen Angriff auf die ökonomische Sonderstellung der unangenehmen Vormacht, will man dann doch nicht oder wenigstens nicht aktiv betrieben haben.

[21] Der Iran hat den USA einen Austausch dieser Gefangenen gegen oppositionelle iranische Volksmudschahedin angeboten. Ein derartiger Handel erscheint den USA allerdings als eine Verletzung ihres Rechts auf bedingungslose Auslieferung von Terroristen. Für sie beginnt die Unterstützung des Terrors bereits, wo andere Staaten Terroristen selbst bekämpfen, anstatt sie ihrem befugten Richter zu überstellen.

[22] Innenpolitisch bekommt der iranische Präsident Ahmadinedschad den ökonomischen Stress zu spüren. Angesichts wachsender Inflationsraten und Kapitalflucht mehren sich die Stimmen, die die harte pro-Atom-Linie in Frage stellen und vor der internationalen Konfrontation warnen.

[23] Der Iran testet ständig neue Raketen und droht unter anderem damit, im Fall eines US-Angriffes die Schifffahrtsrouten im Persischen Golf zu bombardieren, was eine empfindliche Störung der globalen Ölversorgung bewirken könnte.

[24] Im Rahmen der „Proliferation Security Initiative“ übt die US-Marine zusammen mit Einheiten aus Großbritannien, Frankreich, Italien, Australien und Bahrain das Aufbringen von Frachtern in internationalen Gewässern, die verdächtigt werden, Waffen oder nukleares Material zu ungeliebten Adressaten zu befördern. Kuwait, Katar, und die Vereinigten Arabischen Emirate sowie Südkorea nehmen als Beobachter teil. Wären nicht die großen Mächte der UNO die Initiatoren, hieße so etwas Piraterie.

[25] Wir müssen unsere regionale Strategie auf die wesentlich veränderten Realitäten des Mittleren Ostens gründen. Dies ist ein neuer Mittlerer Osten, in dem es wirklich eine neue Ausrichtung der Mächte gibt. – Auf der einen Seite Reformer und verantwortliche Führer, die ihre Interessen mit friedlichen, politischen und diplomatischen Mitteln zu befördern suchen. Auf der anderen Seite stehen die Extremisten von allerlei Sekten und Ethnien, die Gewalt anwenden, um Chaos zu verbreiten, um demokratische Regierungen zu untergraben und um ihre Agenda des Hasses und der Intoleranz anderen aufzuzwingen. Auf der einen Seite dieser Front stehen die Golf-Staaten, die Saudi Arabien und andere Länder am Golf umfassen, Ägypten, Jordanien, die jungen Demokratien des Libanons und der Palästinensergebiete, geführt von Mahmud Abbas, und des Irak. Auf der anderen Seite diese Scheidelinie sind Iran, Syrien, die Hizbullah und Hamas. Ich denke, wir müssen verstehen, dass dies eine fundamentale Scheidelinie ist. Iran und Syrien haben ihre Wahl getroffen und diese Wahl heißt Destabilisierung, nicht Stabilisierung. (C. Rice, Testimony before the Senate Foreign Relations Committee, state.gov, 10.01.07)

[26] Wenn sie spendabel sein wollen, dann für die Richtigen. Zum Beispiel könnten sie den Wiederaufbau im Libanon fördern und damit in Konkurrenz zum Iran treten und dessen bösen Einfluss schmälern.

[27] Schon seit dem Ende des Irak-Kriegs warnt der jordanische König vor dem „schiitischen Halbmond“, der sich von Iran über den Irak und Syrien bis in den Libanon erstrecke.

[28] Kuwaits Außenminister, Scheich Muhammad, sagte: Wir haben die Hoffnung geäußert, der Plan des Präsidenten, die militärische Präsenz in Bagdad zu verstärken, möge das rechte Mittel sein, Bagdad zu stabilisieren und den Irak davor zu bewahren, in einen abscheulichen Krieg – einen Bürgerkrieg – hineinzuschlittern. Zugleich fordern die Minister im Kommuniqué von Maliki, dass die irakische Regierung alle Teile des irakischen Volkes an den politischen Entscheidungsprozessen aktiv mitwirken lässt und sich in einer Weise verhält, die Inklusivität garantiert und den Weg zu einer erfolgreichen nationalen Aussöhnung ebnet. (NYT, 17.1.07)

[29] Russische Raketenträger haben bereits sechs saudische Satelliten auf Umlaufbahnen gebracht. (RIA Novosti 8.2.07)

[30] Ich bin überzeugt, dass die Golf-Staaten unter Berücksichtigung des Atomwaffensperrvertrags und unter Kontrolle durch die Internationale Atomenergie-Organisation vorgehen werden, kommentierte Außenminister Lawrow die Entscheidung des Golf-Kooperationsrats. Wir respektieren diese Entscheidung, sagte Lawrow und erinnerte an die Initiative des russischen Präsidenten Wladimir Putin, multilaterale Zentren für Urananreicherung unter der Schirmherrschaft der IAEO zu gründen. (RIA Novosti 15.2.)

[31] Bush hält ihren Nationalismus bzw. ihre auf den Islam gestützte Staatsraison unverändert für eine der Ursachen des Antiamerikanismus in der Region und droht auch arabischen Partnern, deren Stabilität er vorerst zu schätzen weiß, seinen Wandel an. Langfristig wird der realistischste Weg zum Schutz der amerikanischen Bevölkerung darin bestehen, der hasserfüllten Ideologie des Feindes eine hoffnungsvolle Alternative entgegenzusetzen, indem wir in einer krisengeschüttelten Region die Freiheit verbreiten. Es liegt im Interesse der Vereinigten Staaten, den mutigen Frauen und Männern zur Seite zu stehen, die ihr Leben riskieren, um ihre Freiheit einzufordern, und sie dabei zu unterstützen, im gesamten Nahen Osten gerechte und hoffnungsvolle Gesellschaften aufzubauen. (Bush, Neue Strategie für den Irak, 10.1.07)

[32] „UIC“: Union of islamic courts.

[33] Für die meisten Amerikaner ist Somalia das Land, wo die ‚Black Hawk‘-Abstürze stattfanden, oder das mit Bildern verhungernder afrikanischer Kinder, oder für einige das biblische Land Punt. Amerikaner verwechseln gewöhnlich afrikanische Länder, außer wenn unsere Soldaten dort sterben, und die Gewaltszenen in Sudan, Kongo oder Zimbabwe könne ja auch ununterscheidbar erscheinen. Aber die Anarchie in Somalia, das sich am strategisch wichtigen Horn von Afrika erstreckt, ist eine Klasse für sich. Experten nennen Somalia einen failed state. Das ist ein Trugschluss. Somalia war 1990 ein gescheiterter Staat unter der letzten Zentralregierung des leicht verrückten Mohamed Siad Barre. Heute könnte man Somalia einen Raum zwischen Staaten nennen. Oder einfach eine wildgewordene Nation. (Garrett Jones, ein pensionierter CIA-Experte, der im Mittleren Osten, Afrika und Europa im Einsatz war. LAT, 10.12.06)

[34] CIA-Agenten laufen mit dicken Koffern durch Mogadischu und zahlen Hunderttausende Dollars an die Warlords; das Bekanntwerden dieser Aktion verhilft den islamischen Gerichten zu weiterer Popularität.

[35] An der Staatsspitze steht ein von den USA auf die Terrorliste gesetzter Kandidat.

[36] Erschwerend hinzu kommt der Befund, dass der Erfolg der islamischen Sache in Somalia nicht nur das Werk von Terroristen ist, sondern auch aufs Konto von Terrorunterstützerstaaten wie dem Iran geht, aber auch – und dies noch viel unerfreulicher – von „Partnern“ der USA wie z.B. Saudi-Arabien und Ägypten, die alle beim Aufbau des militanten Islam geholfen haben und die islamischen Gerichte ideell und materiell nach Kräften unterstützen. Ein Bericht der Somalia Monitoring Group der UNO vom November 2005 deckt auf, dass ein Dutzend Staaten, nämlich Jemen, Dschibuti, Libyen, Ägypten, Kasachstan, Äthiopien, Iran, Syrien, Eritrea, Libanon, Saudi Arabien und Uganda,ihr Nase in den somalischen Kuchen gesteckt haben. (The Nation, Kenia, 22.1.)

[37] Der 1996 gegründeten „Intergovernmental Authority on Development“ gehören Äthiopien, Dschibuti, Eritrea, Kenia, Somalia, Sudan und Uganda an.

[38] ‚Normale Amerikaner haben genug von den auswärtigen Interventionen. Also wird das, was in Somalia passiert ist, nun zur bevorzugten Strategie werden – die Benutzung von Alliierten in der Region als ihr Katapult‘, sagte Weinstein, eine Politologieprofessor an der Purdue University in Indiana. (Jordan Times 4.1.)

[39] Die von ihr auf 1 Mrd. Dollar veranschlagten und erbetenen Mittel für den Wiederaufbau der Staatsinstanzen bekommt sie nicht: die USA denken, dass für einen failed state das noch viel billiger zu machen ginge: sie genehmigen 4 % der beantragten Summe – und was von den 40 Mio. $ in Somalia ankommt, ist wieder eine andere Rechnung …

[40] Daily Press Briefing zu Afrika, Tom Casey, Deputy Spokesman, state.gov, 08.02.07