Die Demokratisierungskarriere des Irak
Vom ‚Schurken-Staat‘ zum ‚failed state‘
Von wegen „mission accomplished“ – wenn der Krieg kein Ende hat und ein Bürgerkrieg im Lande tobt. Das Urteil, im Irak herrsche „Chaos“ und die US-Mission der Demokratisierung des Landes sei gescheitert, erfreut sich in den USA zunehmender Beliebtheit; hierzulande ist die Häme nicht zu überhören. Keine Einwände vernimmt man gegen das Programm der Weltordnung und die USA als deren dazu berufene Führung – beides ist zumindest Kritikern in den USA eine Selbstverständlichkeit, weil sie den Standpunkt der Zuständigkeit – von überlegenster Warte aus – für die Lösung der Probleme in aller Welt mit den „Entscheidern“ und Chefstrategen teilen.
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Systematischer Katalog
Gliederung
- I. Mit der Grundsteinlegung zu einem neuen Irak schaffen die USA die wesentlichen Widersprüche
- II. Mitten in einem Krieg schenken die USA dem befreiten Irak die Demokratie – und entfachen damit einen Bürgerkrieg
- III. Der Irak wird fortan als failed state behandelt – dementsprechend schaut sie aus, die „junge, zerbrechliche“ Demokratie
Die Demokratisierungskarriere des
Irak
Vom ‚Schurken-Staat‘ zum ‚failed
state‘
„Die Verbreitung der Freiheit ist die Geschichte unserer Zeit. Wir sehen, wie vor unseren Augen neue Kapitel in dieser Geschichte geschrieben werden. Die mutigen Bürger des Irak haben nicht nur ein Mal oder zwei Mal, sondern drei Mal gewählt und für eine Übergangsregierung, eine demokratische Verfassung sowie eine neue Regierung gemäß dieser Verfassung gestimmt.“ (Bush, Demokratie im Irak, Amerikadienst, 29.3.2006)
Diese heroischen Worte des obersten Freiheitsverbreiters anlässlich des dritten Jahrestags des Einmarschs in den Irak halten Kritiker in Anbetracht der unschönen Ergebnisse für ziemlich unangebracht. Von wegen „mission accomplished“ – wenn der Krieg kein Ende hat und ein Bürgerkrieg im Lande tobt. Das Urteil, im Irak herrsche „Chaos“ und die US-Mission der Demokratisierung des Landes sei gescheitert, erfreut sich in den USA zunehmender Beliebtheit; hierzulande ist die Häme nicht zu überhören. Keine Einwände vernimmt man gegen das Programm der Weltordnung und die USA als deren dazu berufene Führung – beides ist zumindest Kritikern in den USA eine Selbstverständlichkeit, weil sie den Standpunkt der Zuständigkeit – von überlegenster Warte aus – für die Lösung der Probleme in aller Welt mit den „Entscheidern“ und Chefstrategen teilen. Die Kritik, die das Freiheits-Unternehmen von „Stümpern“ schlecht ausgeführt sieht, setzt an den Vorgehensweisen der Administration an – und weil es sich um Kriegszeiten handelt, scheint in vielen Fällen doch ein bisschen mehr Gewalt die empfehlenswerteste Methode zur Durchsetzung des amerikanischen Programms. Der Krieg gegen den Terror und das Unterfangen, Amerika sicherer zu machen, müssen schon sein – aber bitte, nicht so: so dilettantisch und die wirklichen Feinde nicht unter Beschuss nehmend. Statt dessen wären erst al Kaida und Afghanistan zu erledigen und dann wer auch immer; auf keinen Fall dürften dabei die amerikanischen Streitkräfte überstrapaziert werden – wer weiß, wo noch Feinde lauern – und die wirklichen Gefahren aus dem Blick verloren gehen: erfolgreiches amerikanisches Weltordnen stellt ein konstruktiver, strategisch gebildeter Kritiker sich jedenfalls anders vor. Das Resultat, dass Irak in die Steinzeit[1] zurückgebombt und Bagdad in eine Geisterstadt[2] verwandelt ist, wird, wenn es mit Schaudern zur Kenntnis genommen, als unnötiger Kollateralschaden einer verfehlten Kriegsstrategie verkauft, das vom „Pfusch“ des ganzen Unternehmens zeuge. „Fiasco“ heißt das jüngste die Bestsellerlisten anführende Machwerk eines amerikanischen Journalisten, der aus seinen Kontakten zum Pentagon einen Schmöker fabriziert, dessen Titel bereits den ganzen Inhalt verrät: ein Fehlschlag, dieser Kriegszug – und das Ausmaß der Niederlage nur mit dem „Scheitern“ der USA in Vietnam oder der Niederlage der Russen in Afghanistan vergleichbar. Kritiker verleihen heutzutage ihrer Kritik Nachdruck, indem sie Soldaten, die unter so einem Kommando die Sinnkrise kriegen, zitieren oder am besten gleich die Generäle, die wissen, wie gescheites Kriegführen geht: Rumsfeld, der strategische Banause, drängt nicht auf Entscheidung und hält den Krieg auf kleiner Flamme, anstatt von Anfang an den Aufstand mit viel mehr Gewalt „unterm Deckel zu halten“. Anspruchsvoll wie die weltmächtigen Ordnungsstifter sind auch die Privatstrategen, denen „Chaos“ als Zeichen des Versagens der eigenen Sicherheitskräfte und ihrer Führer gilt. Widersprüche, in die sie sich verwickeln, wenn sie der Führung stringentere Handlungsanweisungen skizzieren, verleihen ihrer Kritik Schärfe: Vom Standpunkt des sich abzeichnenden Misserfolgs im Irak kritisieren sie die Einsatzleitung im selben Atemzug dafür, zu wenig, nämlich gegen die Schiiten, und zu viel zugeschlagen zu haben, nämlich gegen die Baathisten, denen als Gewalt-Adlaten doch sinnvolle Aufgaben hätten zugewiesen werden können. So vom Amerika zustehenden Resultat her denkend, machen sie sich an die Konstruktion der Vermeidung von Problemen und hätten eine weitsichtigere Führung bevorzugt, die alle Eventualitäten, vor allem „die Schwierigkeiten“ in der Zeit danach, besser bedacht und lieber ein generöseres Management am Werk gesehen, das auch Baathisten im neuen Staat eine Perspektive geboten hätte. Als Anwälte einer gelungenen Demokratisierung des Mittleren Ostens wären sie auf alle Fälle anders vorgegangen – mit hohlen Phrasen und Gewalt könne man die Demokratie nicht Ländern diktieren, deren Einwohner „von innen raus“ nach ihr keinen Bedarf verspürten. So – mit dem Attest, dass Demokratie keinen Zwang verträgt – erscheinen die zarten Ansätze und wohlgemeinten Vorhaben des Demokratisierungsprogramms, das gerade munter zuschlagen lässt, in einem von allen Flecken gereinigten Glanz.
Mit der Ausmalung des Kontrasts zwischen Bushs unverdrossenen Demokratisierungs- und Fortschrittsparolen und dem zunehmenden Gewaltbedarf im Irak beschäftigt, der die Kritiker einen heillosen Rückschritt und eklatanten Widerspruch zum Demokratieprogramm beklagen und ein Scheitern des ganzen Nahostprojekts befürchten lässt, erledigt sich für sie die Frage nach den Gründen des Scheiterns ganz nebenbei. „Too little, too late“ sagt eigentlich schon alles – und wer dann noch genauer nachbohrt, wird an denselben Stellen fündig wie die gescholtene Zentrale. Da hetzen dem alten Regime ergebene Aufständische oder arge Terroristen das gute, aber verführbare, nämlich religiösen Parteien nachlaufende Volk zum Bürgerkrieg auf; da ist die „Zerrissenheit“ des irakischen Volks Resultat von Saddams jahrzehntelanger ethnischer Spaltungspolitik, dazu erfunden, der von den USA gesponserten „nationalen Einheitsregierung“ des Irak noch postum Knüppel zwischen die Beine zu werfen; ein andermal ist die Dauerrevolte das Ergebnis der Kolonialgeschichte oder der demokratischen Unreife der Iraker; insgesamt erscheint so der Bürgerkrieg als eine vorher nicht absehbare „Entwicklung der Verhältnisse“, nun aber „gegebene Lage“, auf die sich die Regie einzustellen und der sich die Strategie anzupassen habe – und die Stellung der USA zu diesem Theater dividiert sich runter auf die Kontraproduktivität ihres Bleibens, das – von den undankbaren Irakern missverstanden und nicht gewürdigt – den Bürgerkriegsparteien Stoff liefert und den Bürgerkrieg fatalerweise „anheizt“.
Die Überlegung, ob sich die Chefs im Pentagon und Weißen Haus nicht verrechnet und mit Fehlkalkulationen in Sackgassen verrannt haben, die sie sich in Kenntnis der „komplexen“ Resultate ihres Tuns hätten ersparen können, liegt ziemlich daneben. Wenn schon, dann sind die US-Macher so frei, sich immerzu zu verrechnen. In ihren Aktionen sind sie so anspruchsvoll, nur ihre Interessen zum Maßstab zu nehmen, wenn sie deren Bedrohung definieren und keine Bedrängnis dulden wollen. Bei der Abwehr von Gefahren nehmen sie keine Schranken hin und auf keinerlei Einspruch Rücksicht. Ihre Praxis folgt der Leitlinie, bereits mögliche Bedrohungspotenziale auszumerzen. Gedanklich haben sie immer schon das ihnen gebührende Ergebnis vorweggenommen. Weil nur ihr Recht zählt und ihre Gegner ausgeschaltet gehören, hat die eigene Durchsetzung, soviel Schwierigkeiten und Kosten sie auch bereiten mag, zu sein und muss gelingen – und wenn sich danach noch wer störend bemerkbar macht, wird eben gewaltmäßig nachgebessert.
So hat Rumsfeld eine geringere Truppenstärke als gewisse von Berufs wegen mit allen Eventualitäten rechnende Generäle für den Krieg befohlen und auf überlegene Hightech-Waffen, die den Feind aus der Luft fertig machen sollten, gesetzt, weil das Ziel war, die Infrastruktur des alten Staats komplett zu zerstören – und zwar auf eine Weise, die dabei Maschinerie und Soldaten der Weltmacht schonen und deren absolute Überlegenheit beweisen sollte. Die Beamten des Saddam-Staats wurden davon gejagt, weil das alte Regime mit Stumpf und Stiel auszurotten und durch eine neue, gänzlich von den Amerikanern bestimmte Ordnung ersetzt werden sollte. Bedenken bezüglich sich daraus möglicherweise ergebender Gefahren wurden als zu vernachlässigende Größen abgetan und hatten hinter der zu erledigenden Aufgabe zurückzustehen. Wenn die Kritiker sich jetzt nur noch mit den „Problemen“ beschäftigen, die sich die USA mit ihrer Einhausung im Irak eingehandelt haben, unterschlagen sie glatt, dass die Weltmacht mit ihrem Einmarsch in den Irak erreicht hat, worauf es ihr mit ihrer kriegerischen Aktion als allererstes ankam: Der Sieg über das Saddam-Regime, das vollständig beseitigt wurde, war der Beginn der Installation der USA als der Macht, die der Staatsführung im Irak fortan die Marschlinie vorgibt, so dass dem Ausbau des Landes als Stützpunkt für die amerikanische „Machtprojektion“ in die nah-, mittel- und ferner östliche Umgebung keine wesentlichen Hindernisse mehr im Weg stehen – dürfen.
I. Mit der Grundsteinlegung zu einem neuen Irak schaffen die USA die wesentlichen Widersprüche[3]
„Die Gründe für einen freien und demokratischen Irak sind heute ebenso zwingend wie sie es vor drei Jahren waren. Ein freier und stabiler Irak wird seine Nachbarn nicht angreifen, wird sich nicht mit Terroristen verschwören, wird Familien von Selbstmordattentätern keine Belohnung zahlen und wird nicht versuchen, Amerikaner zu töten.“ (Donald H. Rumsfeld, Was wir in drei Jahren im Irak erreicht haben, Amerikadienst, 19.3.)
Die USA haben sich mit ihrem Triumph das Recht erworben,
dafür zu sorgen, dass vom Irak nie mehr Gefahr für die
Weltmacht ausgeht. Sie verordnen ihm daher eine
Staatsräson, die der Nation keine positive nationale
Perspektive im eigentlichen Sinn bietet. Wenn Bush und
seine Mitstreiter sich mit dem Erfolg brüsten, Amerika
und die Welt seien nun sicherer geworden, weil vom Irak
keine Terrorismusgefahr mehr ausgehe, so geben sie die
Parole aus, was dieser Staat in Zukunft alles
lassen soll: sich ja nicht aufführen wie die
Terroristen, das Kriegführen in Zukunft aus dem Rahmen
seiner Optionen streichen und Amerika gefälligst keine
Scherereien machen! Optimistisch in die Zukunft blicken
die amerikanischen „Nation-Builder“, weil sie sich mit
der Zerschlagung des Saddam-Regimes die Möglichkeit
eröffnet haben, ein Gebilde ganz nach den eigenen
Wünschen zu gestalten. Es soll mit der Freiheit die
Amerikafreundlichkeit eingeimpft bekommen, auf dass es
gar nicht mehr anders wollen kann, als seinen Schöpfern
zu Diensten zu sein. Und die USA gehen noch einen Schritt
weiter. Aufgrund der schlechten Erfahrungen, die sie in
der Vergangenheit mit Ölstaaten wie dem Irak machen
mussten, halten sie diese Sorte Staaten inzwischen für
eine Fehlkonstruktion und sehen sich zu der
Modernisierung einer gestörten Region
(US-Botschafter Khalilzad, Spiegel, 7.6.)
berufen. Zwar soll das Öl Amerika weiter zur Verfügung
stehen, aber nicht mehr wie bisher dazu taugen, Staaten
groß und mächtig zu machen, die aufgrund ihres
Ressourcenreichtums anfällig für Korruption, Größenwahn
und Schurkenwesen sind. Zum Wiederaufbau darf der
Ölexport verwendet werden, wenn dabei die Wirtschaft
grundlegend „umgewandelt“ und „diversifiziert“ wird – zur
Vermeidung der „holländischen Krankheit“, die Staaten zu
befallen pflegt, die nur in einem Rohstoff ihr Fundament
haben, also zum Besten des umzumodelnden Irak. Die
Möglichkeiten, die den Mentoren der irakischen
Wirtschaftsplanung hier einfallen wollen,[4] erschöpfen sich im
Tourismus (zu den Heiligen Stätten, den Ruinen von
Babylon und ins wilde Kurdistan), der Landwirtschaft
(Datteln und Fischzucht in den wiederhergestellten
Sumpfgebieten) und den obligatorischen „kleineren und
mittleren Unternehmen“. Was die Aufseher da mit dem
irakischen Staat veranstalten, um die widerspruchslose
Bedienung der amerikanischen Interessen zu garantieren,
ist für das Geschöpf aus den Planungsstuben
amerikanischer Thinktanks kein Angebot. Der Irak darf
sein Öl abliefern, um damit „weg vom Öl“ zu kommen –
seinem einzigen Mittel, sich in den Besitz von Geld zu
bringen. Und er soll sich zur Festung für die
fortgesetzte „Umgestaltung“ des Mittleren Ostens ausbauen
lassen: Von hier aus wollen die USA alle Schurken der
Umgebung erledigen können, und von hier aus soll das
„Modell der Demokratisierung“ in die ganze Nachbarschaft
wegweisend ausstrahlen, denn diese Region muss endlich
anständig funktionieren – sowohl politisch als auch
wirtschaftlich
(Khalilzad).
Dieses die Nation erniedrigende, sie zurechtstutzende und ganz auf die amerikanischen Vorgaben ausrichtende Programm soll von einer irakischen Regierung erledigt werden. Sie hat dafür die Kosten zu tragen – nicht nur die finanziellen. Aller Unmut über das amerikanische Programm, mit dem die Programmierer rechnen, soll auf sie abgeladen und von ihr bewältigt werden. Damit sind gewisse Misstöne zwischen den „Partnern“ vorgezeichnet.
Für das Volk, das rumkrebst – die Kindersterblichkeit ist mittlerweile höher als im subsaharischen Afrika –, ist in diesem Entwurf keine weitere Verwendung vorgesehen. Mit der Ent-Baathifizierung sind dessen Lebensverhältnisse und Lebensgrundlagen zerstört. Ersatz ist nicht in Sicht – außer im Militärdienst oder bei anderen Sicherheitskräften; also ist es in seiner Mehrheit arbeitslos, schmuggelt – Benzin oder Menschen – oder geht anderen kriminellen Tätigkeiten nach. Mit der Privatisierung des Öls wird dessen missbräuchlicher Verwendung zur Bildung und Versorgung des Volkskörpers ein Riegel vorgeschoben. Und die Subventionen – 26,5 der 28 Millionen Iraker erhalten noch Lebensmittelrationen;[5] Öl, Strom und Wasser „weit unterhalb der Grenzkosten abgegeben“ – werden jetzt als „entgangene Einkünfte“ des Staats verbucht und haben aufgrund des Emergency Post Conflict Agreement mit dem IWF „liberalisiert“ zu werden.
II. Mitten in einem Krieg schenken die USA dem befreiten Irak die Demokratie – und entfachen damit einen Bürgerkrieg
„Die größten demokratischen Fortschritte in der Geschichte waren stets auf das Ende eines Krieges zurückzuführen. Heute ist die Situation ganz anders. Die Freiheit verbreitet sich nicht in Friedenszeiten, sondern mitten in einem Krieg, in einer Zeit, in der eine globale, äußerst brutale und ehrgeizige Bewegung mit aller hasserfüllten Gewalt, die sie aufbringen kann, gegen den Fortschritt der Freiheit kämpft.“ (Bush, Demokratie im Irak, Amerikadienst, 29.3.)
1. Der Sinn und Zweck dieser Morgengabe
Alles kurz und klein schlagen und danach für die
Redimensionierung des Irak sorgen, das erscheint den
amerikanischen Staatsplanern noch nicht genug der
notwendigen Eingriffe. Was dem neuen Staat, in dem die
„Saat des Hasses“ ein für allemal ausgemerzt werden soll,
noch fehlt, ist eine gescheite Regierung, nämlich so
eine, wie sie sich in den Ursprungsländern der Demokratie
schon seit Jahrhunderten bestens bewährt hat. Damit
hinter den USA nicht nur die von ihnen eingesetzten
Machthaber, sondern ein rundum loyales – oben und unten
bruchlos zusammengeschweißtes – irakisches Volk steht,
verordnen sie den Eroberten einen Crashkurs in Sachen
Demokratie. Sie lassen wählen, bisher dreimal – wie der
Freiheitsspender nie zu betonen vergisst. Von der
Einführung der demokratischen Verfahren der Ermächtigung
versprechen sich die amerikanischen Regisseure allerhand.
Als Heilmittel aller Geschwüre gedacht, die den Irak in
Gestalt unversöhnter Gegensätze verunzieren, sollen sie
den Irak befrieden: Democracy yields peace.
(Bush) Diesen Ertrag soll sie
für die USA abwerfen, indem sie mehrere Funktionen für
sie erfüllt. Die erste von ihr erwartete
Leistung besteht darin, dass mit der Wahl der Parteien an
die Macht endlich Ruhe einkehrt, das Volk nicht stört,
sondern hübsch manierlich auf seine Regierung hört und
tut, was die ihm verordnet. Zweitens soll die
Demokratie die irakischen Parteien, deren
Gegensätzlichkeit den US-Machern nicht unbekannt ist,
zivilisieren helfen und sie vermittels demokratischer
Regularien auf Einheit und staatsdienliches
Führungsverhalten festlegen. Das von den USA inszenierte
Parteienwesen sortiert sich entlang den im Irak hausenden
Völkerschaften und deren ethnisch-religiösen Differenzen.
In Absetzung vom alten Baath-Programm sollen alle
Volksgruppen gleichberechtigt bei der Wahl
mitmachen[4]
und in der Regierung vertreten sein dürfen. Als Grund
fürs politische Tätigwerden ist das
Schiiten-/Sunniten-/Kurden-Wesen ausdrücklich
autorisiert, um es – gebremst durch die
Verfahren der Mehrheitsbeschaffung – produktiv für die
Schaffung des neuen Staats zu machen und so in ihn
einzubinden.[5] Mit dem
Ins-Recht-Setzen der verschiedenen Ethnien, Parteien und Regionen wollen die amerikanischen Demokratiemeister drittens die Herausbildung eines für den amerikanischen Geschmack zu mächtigen Zentralstaats verhindern: mit der Demokratie soll auch die „Dezentralisierung“ vorankommen. Und viertens soll die Demokratie im Irak – man schätzt ja jetzt dieselben „Werte“ – dazu taugen, eine unverbrüchliche politische Einheit zwischen den USA und ihrem Zögling zu stiften. Die neuen Machthaber sollen dafür sorgen, dass die Besatzungsarmee getrost abziehen kann und Amerika nicht nur aller Lasten ledig, sondern für seine dem Irak gebrachten Opfer endlich durch eine Herrschaft, die ihre Macht ganz im Sinn der Weltmacht ausübt, entschädigt wird.
2. Welche Parteien werden jetzt ermächtigt? Was haben die vor? Wozu nutzen die ihre Macht?
– diese Fragen sind für die amerikanischen
Demokratiestrategen weniger spannend, weil sie einen
Auftrag für die irakischen Parteien haben, von dessen
zufriedenstellender Erledigung sie ausgehen: Erstens
wartet das irakische wie alle unerlösten Völker dieser
Welt nur darauf, die Freiheit zu kriegen – und zweitens
werden die durch den gewonnenen Krieg zurechtgerückten
und klargestellten Machtverhältnisse den Führern des Irak
gar keine Wahl lassen, als sich den amerikanischen
Vorgaben anzupassen und eine Nation im Geiste der
Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit zu kreieren. Von
Anfang an krankt dieses Projekt allerdings an dem
Schönheitsfehler, dass es einen gemeinsamen Willen der
politischen Organisationen zum Aufbau der neuen
nationalen Einheit gar nicht gibt. Der
Staatswille von gestern ist mit der Zerschlagung des
Baath-Regimes gründlich erledigt und dessen Doktrin der
einzigen ungeteilten arabischen Nation
verboten;
und die von den US-Führern gesetzte negative Prämisse für
die irakischen Politiker, einen Staat zu bauen, der nicht
zu groß werden darf und sein Interesse ganz an den
amerikanischen Anliegen ausrichtet, mag zwar dazu angetan
sein, sie zusammenzuschweißen, allerdings blöderweise als
Amerikafeinde – wenn sie nicht auch noch und vor allem
mit dem Austragen ihrer Gegensätze untereinander als
„religiös bzw. ethnisch motivierte“ politische
Vereinigungen beschäftigt wären. Mit dem
US-Regierungsprogramm wird der Gesichtspunkt: Zu
welcher Volksgruppe gehören wir? explizit ins Recht
gesetzt und dabei auf der Verhinderung der Durchsetzung
dessen bestanden, worauf es Völkerschaften mit ihrem
Recht auf Eigenleben abgesehen haben: nämlich sich – wie
ein Volk, auch wenn es nur als Volksgruppe daherkommt –
den Alleinvertretungsanspruch zu verschaffen und zum
einzigen Staatsvolk des Irak aufzuschwingen bzw. sich
gegen die anderen abzugrenzen und sie vom möglichst
großzügig zu definierenden und zu erweiternden eigenen
Besitzstand auszuschließen. Entgegen dem frommen Wunsch,
dass die Demokratie mit ihrer Regelvorgabe Kompromisse
erzwinge und Einigung schaffe, beflügelt sie die
Machtansprüche der Sektenchefs. Die Schiiten wollen die
eigene Glaubensorientierung dem neuen Staat aufdrücken
und den Sunniten zeigen, wer jetzt der Boss ist: Wir
Schiiten haben die Mehrheit, das müssen die Sunniten
endlich kapieren.
[6] Von einer
schiitischen Partei kann allerdings auch keine Rede sein.
In der Vereinigten Irakischen Allianz sind 22 politische
Gruppierungen zusammengebunden, deren Führer mit allen
Mitteln um die Ausschaltung der Konkurrenz
ringen.[7]
Diese schiitischen Machtinhaber oder -anwärter wollen
sicher alles Mögliche – Kopftücher für die Frauen und
Peitschen für die Flagellanten –, aber bestimmt nicht
das, was von ihnen erwartet wird: Feinde des Iran sind
sie alle nicht, statt dessen für die Errichtung eines
Gottesstaats nach Khomeinis Vorbild oder mehr in Marke
Eigenbau im Land der „aufgehenden Sonne“. Im Norden
genießen die Kurden seit zehn Jahren ihre relative
Autonomie, die sie nicht aufzugeben, sondern auszubauen
gedenken:[8]
Sie bereiten das Referendum für die Zugehörigkeit Kirkuks
zu ihrem Verwaltungsbezirk vor, forsten den Kurdenanteil
dort mit Landsmännern aus den Kurdenprovinzen auf und
vertreiben die von Saddam hier zwangsangesiedelten
„Araber“. Die entmachteten Sunniten aber, die sich
anfänglich weigern, beim Wahl- und Verfassungszirkus
überhaupt mitzuspielen, sind – sofern sie nicht im
Untergrund für die Restauration des alten Regimes kämpfen
– auf der politischen Bühne damit befasst, die Zerlegung
des Gesamtstaats in kurdische und schiitische Teile zu
verhindern; sie verlangen eine Verfassungsrevision und
die Kontrolle über das Komitee zu deren Vorbereitung, um
die den Provinzen in der Verfassung eingeräumten
weitreichenden Rechte zu revidieren; doch da weder die
Schiiten noch die USA ein Interesse an der Umsetzung
dieses beschlossenen Tagesordnungspunkts der politischen
Agenda haben, bleibt die Verfassung hübsch in der
Schublade. Auch die Sunniten sind untereinander in
Glaubensrichtungen und Stämme zerstritten – vor allem
aber sehen sie in den Nachfolgern des Schwiegersohns des
Propheten Ketzer, die von dessen Glaubensvorschriften
abgefallen sind.
Entzweit sind die Protagonisten der „Regierung der Nationalen Einheit“,[9] schon bevor sie sich an die Arbeit machen. Unter der verstehen sie daher im Wesentlichen, die Staatsmittel, zu denen sie nun Zugang haben, in Beschlag zu nehmen, um gegen die Ethnien und Religionsvertreter der Gegenseite die Oberhand zu gewinnen. Die verschiedenen Ministerien, allen voran das Innen- und Verteidigungsministerium, stellen ihre Anhängerschaft als Polizisten oder Soldaten ein und unterstellen sie der Regie ihrer jeweiligen Obersekte, statten die getrennt von ihnen agierenden Milizen der Religionsgemeinschaften oder deren Splittergruppen mit Mitteln – Gewehren und Geld – aus und benutzen die Ministerien und deren Einnahmequellen für die Austragung ihrer Machtkämpfe und die gewaltsame Durchsetzung gegeneinander. So agieren die Milizen nun in halbstaatlichem Auftrag hauptseitig gegen die Angehörigen der verkehrten Volksgruppen: Die Badr-Milizen und die Mehdi-Armee der schiitischen Parteien werden „integriert“, nämlich losgelassen gegen die Sunniten; diese wiederum rufen ihre Massen zum Eintritt in die irakische Armee auf, um sich dort Handhaben für den Kampf gegen die Schiiten zu beschaffen.
Alle Parteien verstehen das amerikanische Angebot der Demokratie als Ermächtigung dazu, all das, was ihnen unter Saddam verboten war, endlich nachzuholen. Alle Feinde, die unterdrückt, alle verfehdeten Ethnien, die gewaltsam an der Austragung ihrer Konflikte gehindert wurden, sehen jetzt die Gelegenheit, alte Rechnungen zu begleichen. Schiiten und Kurden rächen das ihren Volksgruppen angetane Leid – die Pogrome oder den Krieg gegen den Iran, in den sie gegen ihre Glaubensbrüder geschickt wurden – und verfolgen nun ihrerseits ebenso gnadenlos die Tikritis oder Anhänger des falschen Glaubens.
Die Parteien, die nun regieren dürfen, verständigen sich
mit ihrem Fußvolk auf Basis religiös überhöhten
Stammestums und spannen es als Hilfstruppen, Milizen oder
selbstmörderische Einzelkämpfer im Kampf um die
Vorherrschaft der eigenen Mannschaft ein. Daher wird das
Volk nach der Wahl auch nicht wieder zurückgepfiffen und
eingefangen. Spätestens seit dem Anschlag auf die Moschee
in Samarra entbrennt ein Gemetzel bisher unbekannten
Ausmaßes. Haben die sachverständigen Beobachter des
Geschehens vorher anhand der Zielscheiben – amerikanische
und irakische Soldaten, Polizisten, Politiker, Verräter …
– noch die „Handschrift der Täter“ ablesen und ihre
politischen Zwecke undeutlich erahnen können, werden die
Gegensätze nun angeblich unübersichtlich. Ließ sich
vorher die Unterscheidung zwischen bösen Terroristen und
unschuldigen Opfern wie im Schlaf abspulen, „verschwimmt“
nun der Unterschied zwischen gut und böse, weil an allen
Fronten die Opfer zugleich auch Täter sind. Die Leichen,
gefoltert und verstümmelt, sind „Zivilisten“, auch wenn
sich das zivile Leben schon seit längerer Zeit aus Bagdad
verabschiedet hat. Verbarrikadierte Häuser ebenso wie
belebte Marktplätze, Moscheen aller Konfessionen,
Fußballstadien oder Leichenhallen werden zu bevorzugten
Attentatsschauplätzen; letztere, weil man hier garantiert
die richtigen, nämlich die mit dem falschen Glauben
erwischt.[10]
Rassistisch-religiös inspiriert sind die Morde – wofür
hier gekämpft wird, ist die Auslöschung der anderen
Gruppe, ihrer Führer ebenso wie ihrer Anhängerschaft. Die
Beteiligten auf allen Seiten werden von der Gewalt der
jeweils anderen Glaubenspartei betroffen und kämpfen um
ihr Überleben. Auch Iraker, die bis gestern nicht mehr
viel mit ihrer Glaubenskonfession oder ihrem Stamm zu
schaffen hatten, schließen sich nun Gruppierungen an, die
Schutz versprechen und die Opfer rächen. Und fertig ist
sie, die Spirale der Gewalt
[11] – und der „Bürgerkrieg“
scheint unausweichlich
.[12]
Jetzt ziehen Flüchtlingsströme durchs Land, Millionen haben sich bereits ins benachbarte Ausland abgesetzt, die Bevölkerung sortiert sich in schiitische und sunnitische Gebiete auseinander, und die Teilung von Bagdad in sunnitische und schiitische Zonen westlich und östlich des Tigris ist mittlerweile ebenso im Gespräch wie die des ganzen Landes. Die Provinzregierungen verselbständigen sich zunehmend gegen die Zentrale – Basra will ein eigener Staat werden und widersetzt sich den Befehlen der Regierung, die Schiiten wollen die 9 Südprovinzen nach kurdischem Vorbild zu einem autonomen Verwaltungsbezirk zusammenfassen und ziehen die vollständige Abtrennung vom Gesamtstaat in Erwägung usw. – und die „Dezentralisierung“ schreitet munter voran.[13]
Diese hässlichen Wirkungen ihrer Demokratisierungskampagne hätten sich die amerikanischen Planer nicht träumen lassen: Die Regierung des befreiten Irak regiert nicht, das Volk gehorcht nicht, miteinander veranstalten sie einen Bürgerkrieg, und die nationale Einheit steht aufgrund der Machtkämpfe der verschiedenen Fraktionen und der Separationswünsche der Provinzen zur Disposition. Die demokratischen Verfahren taugen kein bisschen zum Staatmachen, sondern schaffen den Sumpf, in dem „der Terror“ gedeiht, und lauter neue Kampfschauplätze – offensichtlich sind sie dafür wesentlich besser zu funktionalisieren als für die Pläne der Besatzungsmacht.
3. Die Front der Gegner, mit denen es die USA zu tun bekommen,
ist die Quittung für das von ihnen angezettelte Demokratisierungsunternehmen und den gleichzeitig auf Hochtouren laufenden Antiterrorkrieg. Weil sie im Irak ihren Standpunkt gnadenlos durchexerziert, dass alles, was sich ihr in den Weg stellt, „Terror“ ist, der vernichtet gehört,[14] gerät die US-Army ins Visier aller, die sie ins Visier nimmt.
Die Armada der Kämpfer, mit denen sich die USA konfrontiert sehen, wird angeführt von den Gegnern der US-Besatzung. Das sind zum einen die Baathisten, die sich für die erlittene Schmach, die ihrem verehrten Präsidenten angetan, und das ihnen selbst zugefügte Unrecht des Berufsverbots rächen und den alten Staat wieder auferstehen lassen wollen. Zum anderen die Anhänger der von Amerika lizenzierten Parteien, die auch keine wahren US-Freunde sind und in den amerikanischen Auflagen das Hindernis für die Durchsetzung ihrer Programme – ihrer Autonomiebestrebungen oder ihrer religiösen Vorherrschaft – sehen bzw. die USA attackieren, weil sie den Gegenparteien zu viel Unterstützung angedeihen lassen. Die einen wie die andern finden ihr Gefolge in einem Volk, dem die US-Kriegs(un-)ordnung außer jeder Menge Gewalt, deren Opfer es laufend wird, nichts bringt. Bar jeder Einnahmequellen wird es zum Helfershelfer krimineller Geschäfte, die wie der Ölschmuggel mafiamäßig organisiert sind; wird zum Komplizen bei Geiselnahmen, dem derzeit profitabelsten Geschäftszweig im Irak; ist – denn es wird nicht gebraucht und der Hass auf Amerika sitzt tief – bereit zur Zusammenarbeit mit Milizen, Gangsterbanden und anderen Schurken. Wegen der Nicht-Einlösung der US-Versprechen und den ewigen Bombardements zeigt es sich nicht von seiner kooperativen, sondern mehr von der hinterhältig verschlossenen Seite. Und schließlich attrahiert das Chaos im Irak Amifeinde aus nah und fern, die immer schon mal gern einen US-Soldaten persönlich umgenietet hätten und hier die Chance entdecken, es den USA zu zeigen. Umgekehrt sind die irakischen Gegner empfänglich für die Einflüsterungen der Terroristen und gucken sich außen nach Unterstützung um. Die Kämpfer der al Kaida sehen in den unordentlichen Verhältnissen die Gelegenheit, nicht weiter aufzufallen, wenn sie den Irak aufmischen, indem sie hier mit selbstgefertigten Sprengsätzen und Selbstmordattentaten einen Guerillakrieg entfachen. Syrien bietet den Baathisten Rückzugsmöglichkeiten, und Iran hält sich und pflegt seine 5. Kolonnen im Irak, auch wenn er die noch nicht ganz von der Leine lässt, nur mit allerhand Möglichkeiten droht und sich noch mehr oder weniger bedeckt hält.
Die Strategien dieser vielfältigen Feinde zielen entweder direkt auf die Besatzungsmacht, die durch Anschläge auf ihre Truppen oder Stützpunkte vertrieben werden soll;[15] oder darauf, das „Nation-Building“-Projekt der USA scheitern zu lassen. Sei es durch Anschläge auf Aufbauprojekte (zu den beliebtesten Zielen gehören die eben reparierten Ölanlagen und -leitungen, die Stromversorgung oder die Müllabfuhr), um so die neuen Regierungen ihrer Mittel zu berauben und der Unfähigkeit zu überführen und den Unmut des Volks gegen die Besatzer zu schüren; sei es durch die „Auslösung des Bürgerkriegs“, d.h. Verstärkung der längst religiös verfeindeten Parteien.
Das Ergebnis ist Anarchie. Ein „Hexenkessel“, der von allen Beteiligten nach Kräften geschürt wird: erstens von einem selbst für die Geheimdienste nicht zu durchdringenden Mit- und/oder Gegeneinander aller US-Feinde; zweitens den Ordnungsbemühungen der miteinander konkurrierenden irakischen Sicherheitskräfte; und drittens den nicht unter einen Helm passenden Strategien der irakischen und amerikanischen Ordnungskräfte. Jetzt ist das ganze Land ziemlich flächendeckend Kampfgebiet.
III. Der Irak wird fortan als failed state behandelt – dementsprechend schaut sie aus, die „junge, zerbrechliche“ Demokratie
„Der Irak steht auf dem Index der gescheiterten Staaten, den die amerikanische Zeitschrift ‚Foreign Policy‘ und die Organisation Fund for Peace gemeinsam erstellt haben, (nach dem Sudan, Kongo und der Elfenbeinküste) an vierter Stelle. Bewertet wurden unter anderem die Flüchtlings- und Menschenrechtssituation, Spannungen zwischen ethnischen Gruppen, der Verfall staatlicher Strukturen und wirtschaftlicher Niedergang.“ (Die Welt, 5.5.)
Bei allen beschönigenden Darstellungen des von den USA im Irak angerichteten Desasters als Weg hin zu Demokratie und Freiheit fällt die von der US-Administration gezogene Bilanz ihres drei Jahre langen Demokratie-Aufbau-Programms vernichtend aus: der Irakkrieg kostet „den amerikanischen Steuerzahler“ Unsummen, mittlerweile schon mehr als der Vietnamkrieg, und dennoch ist die Befriedung des Landes gescheitert – die Terroraktionen haben nicht ab-, sondern zugenommen; die Sicherheitspläne – vor allem der Aufbau der irakischen Armee und Polizei – sind nicht so weit umgesetzt worden, dass die Strategen die Voraussetzungen für den Abzug der US-Truppen geschaffen sehen; die miserable Verfassung der irakischen Sicherheitskräfte wirft ein schlechtes Licht auf die irakischen Führer – deren Unfähigkeit legt allmählich den Schluss auf ihre Kooperationsunwilligkeit nahe; und überhaupt ist der ganze irakische Staat ein Abgrund an Korruption und der Wiederaufbau mehr oder weniger in die Wüste gesetzt.[16]
Auch wenn man das gescheiterte Objekt nicht so bezeichnen darf, weil die Präsidentenpartei keine Lust hat, sich ihre Wahlkampfchancen im November schlecht reden zu lassen: Aus Amerikas praktischem Umgang mit dem irakischen Staat lässt sich ablesen, welche Ansprüche die Vorwärtsplaner jetzt noch an ihn richten.
Die Gelder für den Wiederaufbau des Irak, mit Hilfe derer er in einen „Leuchtturm der Demokratie für den Mittleren Osten“ verwandelt werden sollte, werden drastisch gekürzt. Mit der Bekanntgabe, die Rekonstruktion sei „zu 82% abgeschlossen“,[17] werden die Zahlungen für sie auf das Allernötigste zusammengestrichen bzw. völlig eingestellt. Instandsetzungsarbeiten für die Infrastruktur sind unter Umständen, wo der Etat fürs Schießen verbraten wird und der allenfalls vorhandene Rest mehr oder weniger für Sicherheitsmaßnahmen für die Rekonstruktion draufgeht, nichts als rausgeschmissenes Geld.[18] Also hat die amerikanische Spendierfreude ein Ende. Offensichtlich lässt sich auch mit einem ruinierten Irak anstellen, wozu ihn die USA auserkoren haben.
Die Prädestination dieses Ölstaats liegt nach dem weisen Ratschluss der Administration von God’s own country schon in seinem Namen beschlossen, also soll er sich auf die Ölproduktion konzentrieren. Amerikas „vitale Interessen“ verlangen danach, Iraks Ölquellen wieder sprudeln zu sehen. Man „hilft“ hier gerne – damit endlich die Kriegskosten abgezahlt werden und die USA über eine sichere Bank in Zeiten der „Energieunsicherheit“ verfügen.
Der Hauptnutzen aber, den sich die Bush-Regierung vom
Irak jetzt noch erwartet, ist rein negativer Natur:
The extremists and terrorists are brutal
(Bush) – also muss verhindert
werden, dass das Land „dem Terror“ gehört und
anheimfällt. Dessen Ausrottung ist und bleibt und wird
mehr denn je die Hauptaufgabe. Um den Antiamerikanismus
auszumerzen, gibt’s nur eins: Die USA müssen „ihren Kurs
beibehalten“ und den Irakern zeigen, wie schön Amerika
und seine Demokratie ist, damit sie selber nichts anderes
wollen, als ihre Freunde zu bewundern und ihnen in Sachen
Freiheitskultur nachzueifern; und es muss mit aller Macht
gegen die Feinde der Freiheit vorgegangen werden, die es
auf das Scheitern der eben flügge werdenden
Demokratie
abgesehen haben. Demokratie erfordert
Ausdauer
[19] – in ebendiesem doppelten
Sinn:
1. empfiehlt sich für die Demokratisierung des renitenten Nahoststaats und deren Gelingen das sture Weiter so! Weil der Grund für das die US-Macher nicht zufriedenstellende Resultat des dem Irak verordneten Programms nicht die amerikanische Anweisung, sondern die Verfehlung der ungelehrigen Schüler sein soll, die sich nicht streng genug ans demokratische Drehbuch gehalten oder es nicht schnell genug umgesetzt haben,[20] kann die Antwort auf alle Probleme nur heißen, mehr Demokratie zu wagen und an der Verfeinerung der demokratischen Verfahren zu arbeiten, damit endlich die auf den Irak passende demokratische Lösung der Checks and Balances gefunden wird. Die einmal eingeschlagene Marschroute wird beibehalten, und so gleichen die neuen Rezepte den alten aufs Haar. Wenn die Schiiten die Polizei für ihre „sektiererischen“ Zwecke „missbrauchen“, dann war das Proporzwesen noch nicht ausgeklügelt genug, und dem Prinzip der „ethnischen Vielfalt“ ist erst noch zum Durchbruch zu verhelfen:
„Wir arbeiten zusammen mit den Irakern daran, die ethnische Vielfalt der nationalen Polizei zu erhöhen, indem wir mehr sunnitische Araber rekrutieren.“ (Bush, Amerikadienst, 13.3.)
Wenn die Minister ihr Amt als Pfründe verwenden, die sie in ihren und ihrer Parteien Taschen verschwinden lassen, dann fehlt als Kontrollinstanz ein Minister von der Gegenpartei – was der wohl will?
„Besonders während der letzten Regierung gab es unter den Kabinettsministern die Tendenz, ihre Ministerien als persönliche Lehen zu behandeln und Haushaltsmittel direkt ihren Parteien zukommen zu lassen. Diesmal versuchen wir, jedem Minister einen Vertreter der anderen Seite zuzuweisen.“ (Khalilzad, Spiegel, 7.6.)
Und selbst wenn der Notstand angesagt ist und die Ministerien eines unregierbar gewordenen Landes hauptsächlich damit beschäftigt sind, sich wechselseitig lahm zu legen, ist dem mit einer Verdopplung der Regierung in sich selbst und ein sie beaufsichtigendes Gremium der Nationalen Sicherheit abzuhelfen – wer da wohl drinsitzt?[21]
Die amerikanischen Missionare in Sachen weltweiter
Demokratie wollen einfach nicht von ihrer unverwüstlichen
Vorstellung lassen, dass es für den Erfolg des
Irakunternehmens nur darauf ankäme, alle zuständigen
Stellen unter die richtigen Verfahren zu subsumieren.
Selbst wenn sie demnächst ihre „letzte Hoffnung“ Maliki
und damit seit dem Einmarsch sechs irakische Führer
verschlissen haben werden, weil keiner ihre Ansprüche
bisher angemessen bedienen konnte[22] – selbst dann werden sie
wieder ein paar taktische Anpassungen auf dem Weg
vorwärts
[23] auf Lager haben, um der
Demokratie zu ihrem „ultimativen Sieg“ zu verhelfen.
Zweck der amerikanischen Strategie bleibt eben
nach wie vor ein freier, den USA aus eigenem Interesse zuarbeitender Irak – dafür steht die Demokratie, die das mit ihren bewährten Verfahren verbürgt:
„Wir haben unsere Taktik angepasst, doch unsere Strategie bleibt im wesentlichen dieselbe: nämlich einen freien Irak zu unterstützen, der sich selbst regieren, selbst erhalten und selbst verteidigen kann.“ (Bush beim Blair-Besuch, state.gov 25.5.)
Auch wenn die amerikanischen Aufseher, die eine eigene irakische Regierung ins Leben riefen, damit das US-Programm für das Zweistromland von der irakischen Staatsführung in eigene Regie übernommen wird, jetzt ihrem Zögling immer mehr Kontrollinstanzen und „gemeinsame Komitees“ zur Anbindung an die USA an die Seite stellen, um Iraks Regierung und Volk den eigenen Willen wieder auszutreiben, dann liegt hier kein Verstoß gegen demokratisches Regieren vor: Gerade so wird es eingeübt. Denn ob das demokratische Procedere richtig beherrscht und betätigt wird, das entscheidet sich dann eben doch nicht daran, wie oft ein Volk zur Wahl gebeten wird, sondern daran, was hinten rauskommt. Nämlich das, worauf die USA mit ihrem Sieg ein unveräußerliches Anrecht erworben haben: eine Amerika-freundliche Ruhe im Land.
Dem irakischen Staatsführer, auf den nur bedingt Verlass ist, werden die entsprechenden Anweisungen der amerikanischen Zentrale durch ausgiebiges „Briefing-up“ übermittelt. Der Vorstand der „Regierung der Nationalen Einheit“ soll der US-Regierung keine Scherereien machen, beim Terrorerledigen zur Hand gehen, weder mit Schurken liebäugeln noch islamische Sitten ins Land bringen lassen, die Interessen der schiitischen Mehrheit zügeln und so das Auseinanderfallen des Irak verhindern. Auf diesen ‚fundamentals‘ bestehen die US-Regenten gegenüber der irakischen Regierung; andere „Fortschritte“ erwarten sie von der „jungen Demokratie“ nicht. Bei den letzten Treffen der beiden Staatschefs waren die Sicherheitspläne für den Irak bzw. deren ständig scheiternde Implementierung das Hauptthema; und das ist eine klare Ansage: In der Herstellung des Gewaltmonopols und dem Einsatz der Sicherheitskräfte für die von den USA ihnen vorgegebenen Aufgaben erschöpft sich die Regierungstätigkeit des „ersten frei gewählten“ Ministerpräsidenten. Das Volk ist auf die richtigen Feinde einzuschwören – und da Maliki offensichtlich Probleme damit hat, die Loyalität der Bevölkerung zu gewinnen, wird er daran erinnert, dass er – ganz wie die korrupten Häuptlinge des afrikanischen Kontinents – vergessen hat, sich um die Versorgung seiner Untertanen zu kümmern: Die Einrichtung eines Ölfonds in Höhe von 50 Millionen Dollar könnte da ein erster Schritt in die richtige Richtung sein…[24]
2. müssen zur Verteidigung der jungen
Demokratie alle Geschütze aufgefahren werden. Der Zweifel
an unserem Willen und unserer Fähigkeit, den Kampf zu
bestehen und die Aufgabe zu Ende zu führen
,[25] ist mit Gewalt
auszuräumen. Alle Kräfte sind für die Hauptaufgabe
anzuspannen, den Kampf gegen den Terror
und alle
extremistischen Elemente
zu gewinnen, und die
Mittel dafür werden bereitgestellt: Das Militär bekommt
alles, was es braucht. Da die irakische Regierung sich
als unfähig bzw. (vor allem in der Frage der Entwaffnung
der Milizen) als unwillig erwiesen hat, die
Sicherheitsprobleme
selbst zu lösen, erfährt sie
nun verstärkt amerikanische „Unterstützung“. Die geplante
Übergabe des Ordnungsauftrags an die irakischen
Sicherheitskräfte zur Entlastung der amerikanischen
Streitkräfte wird verschoben – bis jetzt untersteht erst
eine von 18 Provinzen ihrer Kontrolle; das Misstrauen in
die unfähigen bzw. unzuverlässigen irakischen
Sicherheitsleute und Soldaten ist zu groß, als dass ihnen
Verantwortung für Ordnungsaufgaben, die jetzt im
amerikanischen Sinn entschieden werden sollen, übertragen
werden könnte.
Den Kampfauftrag, Widerstand zu verunmöglichen, verfolgen die US-Truppen nun aus Gründen des Selbstschutzes und dementsprechend rücksichtslos. US-Soldaten werden als Patrouillen von den Straßen abgezogen und fast nur noch aus der Luft versorgt. Die Einschläge rücken näher; sogar die Regierungsfestung der Grünen Zone in Bagdad ist schon unter Beschuss. Also werden jetzt gegen „die Terroristen“ ebenso wie die Milizen der schiitischen Parteien, die mittlerweile als die größere Gefahr gelten – d.h. noch brutaler behandelt werden müssen –, Großoffensiven gestartet. Mit der Übernahme der Erledigung der Milizen in amerikanischer Eigenregie[26] bzw. unter striktester Anleitung und Kontrolle irakischer Hilfstruppen wird der „Kampf um Bagdad auf Biegen und Brechen“ mit der „Operation Forward Together II“ ausgerufen. Die Gegner sollen ausgeräuchert oder plattgemacht werden, also kann auch das Volk, in dem sie sich verstecken, „leider“ nicht geschont werden, und die „Kollateralschäden“ vervierfachen sich in Jahresfrist. Wenn sektiererische Volksteile den Extremisten Rückhalt und dem Terror einen Sumpf bieten – nämlich so ziemlich überall im Irak –, müssen sie bestraft werden: Ganze Städte – Falludscha – werden dem Erdboden gleichgemacht; Stadtteile in Bagdad, vor allem die schiitischen Slums, mit Mauern und Stacheldraht abgeriegelt, mit Panzern, Kampfflugzeugen und Hubschraubern Verbrecher gejagt und die Bevölkerung terrorisiert.
*
Das alles halten die demokratieversessenen Kritiker der
USA für deren Scheitern. Die amerikanischen Macher des
Antiterrorkriegs sehen die Sache ein wenig anders. Wenn
da jemand gescheitert ist, dann ist es der Irak. Im
Verlauf von nur drei Jahren weist die Bush-Regierung –
kenntlich an ihrem Umgang mit dem besetzten Gebiet – dem
Irak denselben Status zu, der Staaten gebührt, die in
anderen Fällen als failed state bezeichnet
werden. Aus dem „befreiten“ Land, das im Bündnis mit den
USA zum „Vorbild für die Region“ in Sachen Demokratie
lanciert und gepusht werden soll, wird ein Staat, an den
etwas andere Ansprüche zu stellen sind. Ein Staat, in dem
nichts mehr klappt – außer dass Terroristen in ihm ein
Rückzugsgebiet finden –, verdient keine andere Förderung
als die Beseitigung der Gefahr, die er für die
Allgemeinheit, das heißt die Sicherheit Amerikas
darstellt. Wenn die Iraker in den amerikanischen
Säuberungsaktionen nur Terrorismus gegen eine ganze
Nation
[27] erblicken können, dann
bestärken sie nur den Verdacht, der sich – je mehr sich
die amerikanischen Kampfhandlungen ausweiten – immer mehr
zur Gewissheit verdichtet: Das Amerika eigentlich im
Freiheitswunsch zugetane gute irakische Volk wird zu
Bürgerkrieg und Aufstand angestachelt durch äußere
Feinde, die auch die Terroristen mit Nachschub versorgen.
Um für das „Nation-Building“-Programm im Irak zu sorgen,
müssen daher die ausländischen Quellen des Widerstands
zum Versiegen gebracht werden. Damit sind die Schiiten
der Region, die nun zum „Schiitenbogen“ umbenannt wird,
zur Gefahr erklärt – und Amerika steht vor der großen
Aufgabe, die Unterstützerstaaten des Terrors im Irak an
der Einmischung zu hindern, diese zu unterbinden,
abzublocken und zu vereiteln – „Spielball“ darf der Irak
nur für die Weltmacht sein. Die ihm vorrangig zugeteilte
Funktion ist daher, sich für die Projektion
amerikanischen Einflusses in das Herz einer unsicheren
Region
[28] herzugeben und als Bastion
im Kampf gegen die Nachbarschurken ausbauen zu lassen. So
ist das, was alle Welt als Scheitern der USA im Irak
beredet, für die Weltmacht der Sachzwang für ihre nächste
Offensive im Krieg gegen den Terror:
„Manche Kriege dauerten drei Jahre, manche vier Jahre, manche Kriege dauerten fünf Jahre, der Kalte Krieg dauerte mehr als vierzig Jahre – und der Kampf gegen gewalttätige Extremisten, die entschlossen sind, freie Menschen an der Ausübung ihrer Rechte als freie Menschen zu hindern, wird noch eine lange Zeit vor sich gehen und er wird hart sein.“ (Rumsfeld, zitiert von RushLimbaugh.com 3.8.).
[1] 35 Meilen
flussaufwärts von Ramadi, der Provinzhauptstadt Anbars,
liegt die alte Stadt Hit, berühmt für ihre
Teervorkommen und ihre relativ gebildete Bevölkerung.
Aber mehr als zwei Jahre Krieg haben die Stadt und ihre
40.000 Einwohner in das vorindustrielle Zeitalter
zurückbefördert. – Alle Telefonleitungen in Hit sind
zerstört. Aufgrund des Kriegs ist die Industrie
stillgelegt, so dass mindestens 50% der Leute
arbeitslos sind und ein Viertel in Armut lebt. Die Bank
der Stadt hat kein Geld. Benzin ist knapp, und den
Großteil dessen, was erhältlich ist, verkaufen die
Aufständischen zu Schwarzmarktpreisen. Die Polizei
löste sich vor über einem Jahr auf, und bis jetzt sind
noch keine Polizisten wieder bei der Arbeit, obwohl
eine neue Truppe ausgebildet wird. – Die Zustände in
der Stadt sind so schlimm, dass Hits Bürgermeister
jüngst das US-Militär gebeten hat, ihn den Sommer über
ins Gefängnis nach Abu Ghraib zu schicken: ‚Bloß den
Sommer über. Ihr habt Klimaanlagen, drei Mahlzeiten am
Tag und Fußball. Abu Ghraib ist ein feiner Ort.‘
(Washington Post, 4.8.)
[2] Bagdad ist jetzt
eine Geisterstadt. Die Läden sind geschlossen – bis auf
ein paar Stunden, in denen die Bevölkerung losstürzt,
um Lebensmittel zu kaufen. Viele Einwohner sind schon
weg, und die geblieben sind, müssen sich bis zu acht
Stunden am Tag für den Kauf von Benzin anstellen. Zwei
Autobomben, eine Sprengladung und drei Panzerminen sind
vor ein paar Tagen in Al-Karradah explodiert und haben
innerhalb einer halben Stunde 26 Zivilisten getötet und
46 verwundet. Die Einwohner dieses ehemals eleganten
Stadtteils sagen, dass die Leichen immer noch unter den
Trümmern verschüttet sind und dass, falls sie nicht
bald geborgen werden, Seuchen ausbrechen werden.
(Al Ahram, 3.8.)
[3] Vgl. hierzu auch:
‚Nation-Building‘ auf Amerikanisch
in GegenStandpunkt 4-03, S.55, und
Demokratisierung des Irak
in GegenStandpunkt 1-05, S.85.
[4] Vgl. die Nationale
Entwicklungsstrategie 2005-2007 (30. Juni 2005),
herausgegeben von der Republik Irak, dem Iraqi
Strategic Review Board und dem Ministerium für
Planungs- und Entwicklungskooperation. In dieser
Vision für den Irak
– Die Transformation des
Irak in eine friedliche vereinigte föderative
Demokratie und in ein wohlhabendes, markt-orientiertes
regionales Wirtschaftszentrum, das voll in die globale
Wirtschaft integriert ist.
(VIII) – sind
Demokratie, Dezentralisierung, Privatisierung und
Diversifizierung der Wirtschaft als Maßnahmen
vorgesehen, um Korruption und die Möglichkeit der
Übernahme des Staats durch die Falschen – beide
Gefahren werden aus dem Rohstoffreichtum des Landes
deduziert – zu verhindern.
[5] „Alle 27
Millionen Iraker bekommen monatlich einen Nahrungskorb.
Das ist effektiv, wenn (!) man die Armen
erreichen will, aber kostspielig: 150 $ pro Iraker
jährlich.“ (Nationale Entwicklungsstrategie) Man
will aber nicht, 27 Millionen nutzlosen Irakern 1/3
Euro pro Tag hinterherwerfen. Die vier Milliarden
Dollar für die Lebensmittelsubventionen sind 2006 auf
drei gekürzt worden, statt zwölf erhalten die Iraker
jetzt vier Grundnahrungsmittel – und die „Effizienz“
soll weiter erhöht werden, z.B. durch die Ausgabe einer
social security card für alle Bürger, damit nur die
verletzlichsten Teile der Gesellschaft
noch
empfangsberechtigt sind.
[6] 92% der bei den
Wahlen im Dezember 2005 abgegebenen Stimmen wurden für
Parteien religiöser oder ethnischer Gruppen abgegeben
(die englische Bezeichnung lautet
sectarian groups
, worunter man auch Sektierer
verstehen kann).
[7] So werden die
verschiedenen Parteien monatelang zusammengesperrt,
damit sie sich auf eine Verfassung einigen,
die der multi-ethnischen Nation
dann ein
demokratisches, föderales und repräsentatives
Regierungssystem bringt. Der Sinn dieser
Erziehungsmaßnahme ist die Verpflichtung aller
Gruppierungen auf die neue Staatsräson, zu der sie
mittels Anerkennung ihrer religiös-ethnischen
Ausrichtung hinbugsiert werden sollen.
[8] Maliki nach der Wahl, Die Welt, 25.4.
[9] So z.B. Muktada as-Sadr, der „selbsternannte Prediger“, der im Kampf nicht nur um die Meinungsführerschaft seine Konkurrenten erledigen oder bestürmen lässt: einem seiner Anhänger wird die Ermordung von Ayatollah Abdel-Majid Al Khoei zur Last gelegt, und der Oberste Führer der Schiiten im Irak, Ayatollah as-Sistani, wird in seinem Haus belagert.
[10] Die drei bereits zu einem Verwaltungsbezirk zusammengeschlossenen Kurdenprovinzen verfügen über ein eigenes Militär und Ölministerium, haben einen eigenen Premier und Geheimdienst.
[11] Die Regierung
repräsentiert vollständig den multi-ethnischen,
kulturellen und religiösen Charakter des Irak mit
breiter Beteiligung von allen Gruppen aus dem
politischen Spektrum.
(Nationale Entwicklungsstrategie)
[12] Am Namen ist die Zugehörigkeit zur einen oder anderen Religionsgemeinschaft ablesbar, und wenn die Angehörigen kommen, um ihre Verwandten zu identifizieren oder zu begraben, sind die von den Leichenwärtern benachrichtigten Todesschwadronen schon zur Stelle.
[13] Der demokratische
Rassismus schiebt zynisch den Grund für das von den USA
veranstaltete Schlamassel den zurückgebliebenen Arabern
zu, die Gewalt brauchen, um ihrer niederen Instinkte
Herr zu werden: Die allerursprünglichsten
Stammesleidenschaften, die im alten Mittleren Osten
immer unter der Oberfläche lauern – Sunniten gegen
Schiiten –, die gewöhnlich durch moderne Staaten oder
die Fesseln der Zivilisation in Schach gehalten werden,
kommen jetzt hier wieder hoch und explodieren.
(Der US-Nahostexperte Friedman
über die „Verrücktheit des Nahen Ostens“ in der NYT/SZ
vom 7.8.) Kaum kracht der Staat weg – wer den
wohl zerschlagen hat? –, führen sie sich auf wie die
Tiere, diese Araber!
[14] Das aparte Problem, ob er nun schon da sei oder ob wann man die irakischen Verhältnisse dort so bezeichnen dürfe, ringt mit den Anführern des Irakkriegs um die Meinungsführerschaft in Sachen Erfolgsbilanz des Kriegszugs. Bush und Rumsfeld verbitten sich nach wie vor diese Katalogisierung des Geschehens als Defätismus und üble Nachrede gegen ihre Kontrollbemühungen und die ihrer irakischen Zöglinge. Manch amerikanischer Journalist pflichtet dem bei, weil von einem Bürgerkrieg erst die Rede sein könne, wenn die Quantität der Opfer – 110 Tote pro Tag sollen es mittlerweile in Bagdad sein – das maßstabsetzende Morden im amerikanischen Civil War erreicht habe.
[15] Dieses Resultat der amerikanischen Politik: das zunehmende Auseinanderdriften der Landesteile, dient den im Irak wie in den arabischen Nachbarländern kursierenden Verschwörungstheorien zum Beleg, dass es die USA systematisch auf die Zerlegung des Iraks in seine Einzelteile abgesehen hätten. Sie hätten den Irakkrieg geführt wie einst die Briten, um das Land aufzuteilen und es sich so zur leichten Beute zu machen; Imperialisten handelten seit jeher – man kennt sie ja – unter der Devise „divide and rule“. Tatsächlich sieht das Design der US-Regierung für den auf die US-Interessen hinkonstruierten Irak auf der einen Seite den Erhalt des Gesamtirak und die Unterbindung von Teilungswünschen gewisser Mannschaften ebenso vor wie auf der anderen Seite die Schwächung der Zentrale und die Aufwertung der Regionen, die selbständig über Öl und Militär verfügen dürfen: – Den ganzen Irak wollen die USA als ihre Bastion in der Region, als Gegengewicht und Basis für den Kampf gegen die Schurkenstaaten, und als Gebiet, das ihnen und nicht den imperialistischen Konkurrenten zuarbeitet. Geteilt wäre das Land Einfallstor für imperialistische Quertreibereien; die Schiiten würden ohne Hemmungen mit dem Hauptgegner in der Region zusammenarbeiten; die Sunniten wären als nicht überlebensfähiger Rumpfstaat ohne Öl ein Nest für die Terroristen; die Kurden lägen im Dauerclinch mit der Türkei … – Auf der anderen Seite ist den USA ein mächtiger Ölstaat von vornherein verdächtig und ist in der jetzigen Sichtweise ein Synonym für Korruption. Also soll in den neuen Staat auch „Dezentralisierung“ Einzug halten. Generell ist es so, dass die imperialistischen Ordnungsansprüche Amerikas weiter reichen als bis zu Vorkehrungen, um die arabischen Völker möglichst leicht ihres Öls zu berauben. Die Region wollen die USA so umorganisieren, dass die Sicherheit ihrer Interessen gewährleistet ist; deshalb sorgen sie dafür, dass ein für allemal bestimmte Webfehler des Krisenbogens ausgemerzt werden. Wenn die USA Veränderungen der Landkarte ins Visier nehmen – so etwa wie die jüngst veröffentlichten worst case scenarios für Saudi-Arabien, in denen die ölreichen Landesteile vom Rest des Landes abgetrennt werden sollen –, dann als Reaktion auf „krisenhafte“ Entwicklungen dort bzw. als Drohung und Auftrag an die dortige Regierung, solche zu verhindern. Aber nicht prinzipiell, wie noch zu Zeiten des Kolonialismus. Sie wollen ihre Interessen überall auf der Welt bedient bekommen und schaffen sich dazu freie Souveräne, die ihnen die Last ihrer Beherrschung ab- und die Funktionen für den Imperialismus in Eigenregie übernehmen; und dies – so die heutige US-Variante – auf eine Art, die, geht alles nach dem Drehbuch der Weltordner, keine Gegnerschaft gegen die Supermacht aufkommen lässt, weil deren Staatsverfasstheit die Bedienung des US-Interesses verbürgt und deren Mittelaufkommen die Verwirklichung unabhängiger nationaler Interessen unterbindet.
[16] Die für die
Soldaten ausgegebene Parole lautet: Be polite, be
professional, have a plan to kill everyone you
meet!
(Los Angeles Times,
15.8.)
[17] Die Angriffe gegen die amerikanischen und irakischen Soldaten haben sich seit Anfang des Jahres verdoppelt; in der Mehrzahl, nämlich zu 70%, richten sich die Bombenattacken gegen die US-Truppen – so der im August veröffentlichte Bericht der US-amerikanischen Defence Intelligence Agency.
[18] Anfangs des
Jahres beschrieb eine Gruppe von im Irak stationierten
amerikanischen Diplomaten und Offizieren die Lage in
mehr als einem Drittel der irakischen Provinzen als
ernst bzw. kritisch. In ihrer ‚Studie zur Einschätzung
der Stabilität in den Provinzen‘ stellten sie außerdem
fest, dass die Milizen der religiösen Sekten immer noch
Iraks Sicherheitskräfte beherrschen und dass im ganzen
Land die ethnischen Säuberungen rasant zugenommen haben
– was insgesamt den Beginn einer de-facto-Teilung des
Landes bedeute.
(Foreign
Affairs, Juli/August 06)
[19] Die
amerikanische Regierung habe bei der Organisation des
Wiederaufbaus im Irak schwere Fehler begangen, die zu
‚weitverbreitetem Mißmanagement‘ geführt hätten,
kritisiert der Sonderbeauftragte für den Wiederaufbau
im Irak, Stuart Bowen, in seinem jüngsten Prüfbericht.
… Insgesamt hätten die Vereinigten Staaten 82 Prozent
ihrer Wiederaufbauprojekte abgeschlossen.
(FAZ, 4.8.)
[20] Die
Bush-Regierung hat beschlossen, weitere amerikanische
Hilfe zum Aufbau der Wirtschaft nach diesem Jahr
einzustellen. … Außerdem hat sie Fonds für die
Entwicklung der Demokratie im Irak
zusammengestrichen.
(Foreign
Affairs, Juli/August 06)
[21] Rice, Washington Post, 6.8.
[22] Rice sagte,
sie verstünde die Schwierigkeiten, eine neue
Regierungskoalition zu bilden – vor allem in einer Zeit
der Gewalt, wo viele der Verfahren und Verordnungen für
die Errichtung einer neuen Regierung noch nicht
etabliert seien.
(Rice Urges
Progress on Government of National Unity, usinfo,
2.4.)
[23] Der Rat, dem
der Premierminister und der Präsident angehören, ist
ein Versuch, in einer Zeit der zunehmenden religiösen
Spannungen alle Hauptfraktionen des Landes in die
Willensbildung miteinzubeziehen. … Der Rat wird
parallel zum Kabinett agieren, aber größere
Verantwortung für ein breites Spektrum politischer
Entscheidungen haben. Zum Teil war die Schaffung des
Rats durch den Wunsch motiviert, die Macht der Minister
einzudämmen, vor allem jener, die für die Sicherheit
zuständig sind.
(NYT,
20.3.)
[24] Deshalb liest
sich die Geschichte der verschiedenen irakischen
Regierungen bis hin zur „ersten freien vom Volk selbst
gewählten Regierung“ als eine Geschichte der
permanenten Einmischung der USA. Nach der Wahl wächst
sich die „Regierungsbildung“ zu einer
„Regierungskrise“ aus: Es ist längst
Bürgerkrieg, die Parteien wollen sich gegenseitig
keinerlei Macht zugestehen, und keiner der Kandidaten
kann es den Ansprüchen der US-Aufsichtsmacht recht
machen. Damit sich der dahinschleppende
Regierungsbildungsprozess nicht zu einem „politischen
Vakuum“ auswächst, von dem die Terroristen des In- und
benachbarten Auslands profitieren, wird nach vier
Monaten der Kandidat der schiitischen Mehrheit
Dschaafari von Bush mit einem Machtwort abserviert:
We don’t want, don’t support, don’t accept him!
(NYT, 29.3.) Der von Bush
ebenso demonstrativ mit einem Vertrauensvorschuss ins
Amt gehievte Maliki – Heute bin ich gekommen, um
Ministerpräsident Maliki in die Augen zu sehen und
festzustellen, ob er sich einem freien Irak ebenso
verpflichtet fühlt wie Sie, und ich glaube, das tut
er.
(Bush, Amerikadienst
13.6.) –, der so ziemlich dasselbe wie sein eben
erst demontierter Vorgänger will (auch er gehört der
islamischen Dawa-Partei an, arbeitet mit dem
Milizenchef Sadr, dessen Vertreter im Kabinett sitzen,
eng zusammen und steht dem Iran keineswegs feindlich
gegenüber), tut sich hart, das auf ihm seit Amtsantritt
lastende Misstrauen auszuräumen. Schließlich will er
„eigene Statur gewinnen“ und sich von den
amerikanischen Amtsanweisern abgrenzen. Bei aller
Kooperationsbereitschaft will er für den Irak mehr an
Souveränität rausholen, als ihm zugestanden wird: Er
fordert die Zuständigkeit irakischer Gerichte für
Prozesse gegen US-Soldaten; will in den Nationalen
Versöhnungsplan auch Gruppen einschließen, die sich
gegen die US-Truppen vergangen haben; fordert einen
Zeitplan für den Abzug der US-Truppen; wagt es
schließlich sogar, Einspruch gegen das
israelisch-amerikanische Vorgehen im Libanon zu
erheben. Und als ob sein Sündenregister damit noch
nicht stattlich genug wäre, hat er sich auch noch der
Verfehlung von Unterlassungen schuldig gemacht, ist
nämlich vor allem nicht gegen die Milizen und deren
Paten, die bei ihm im Kabinett sitzen, eingeschritten.
Daher werden „Nachsicht“ und „Geduld“, die dieser
„letzten Hoffnung“ für einen demokratischen Irak von
Seiten der US-Regierung entgegengebracht werden,
zunehmend von Ermahnungen und Warnungen an die
irakische Adresse abgelöst.
[25] Brett McGurk, state.gov, 27.7.
[26] Bush hob die
Bemühungen hervor, Loyalität für die Regierung des
neuen Premierministers, Nuri Kamal al-Maliki, zu
stiften, was seiner Ansicht nach teilweise durch die
Schaffung eines Fonds erreicht werden könne, der den
Irakern helfe, an Iraks Öleinnahmen teilzuhaben.
(NYT, 13.6.)
[27] Cheney, NYT, 13.8.
[28] Die Kritik, der Bürgerkrieg sei durch rechtzeitiges Zuschlagen gegen die Milizen zu verhindern gewesen, ist in ihrer Parteilichkeit für den Erfolg des US-Kriegszugs ziemlich vergesslich: Vor drei Jahren war das Austragen der Gewaltfrage an der Schiitenfront nicht gewollt, weil die Kampfhandlungen noch entlang anderer Fronten, Terroristen und Saddamisten waren damals die Hauptgegner, verliefen. Zudem sollten die verschiedenen Sonderinteressen im Staat nicht ausgeschaltet, sondern zur Mitarbeit am neuen Staat unter US-Führung bewogen werden; mit diesem Angebot setzte man auf deren freiwillige Aufgabe und Entwaffnung. Danach wurde der neuen Regierung die Entwaffnung der Milizen übertragen; erst als sich zunehmend deren Unvermögen bzw. Widerspenstigkeit in dieser Frage erweist, nehmen die Amerikaner das Heft in die Hand und machen sich selbst an die Verfolgung der Milizen.
[29] Seattle Times, 15.8.
[30] The Middle East, Mai 2006. Die Flughäfen sind mittlerweile so weit ausgebaut, dass die Truppen direkt – ohne den Umweg über Kuwait – von den Staaten aus mit Riesenfrachtflugzeugen versorgt werden können; die Entwicklung von vier Riesenmilitärkomplexen soll in zwei Jahren abgeschlossen sein.