Die nächste Runde Eskalation im Wirtschaftskrieg:
Der Westen macht die Russische Föderation mit ihrem ausländischen Staatsvermögen haftbar für die weitere militärische Ertüchtigung ihres ukrainischen Kriegsgegners
Der Westen tut so, als ob er den Sieg über Russland schon in der Tasche hätte: Beschlagnahmte russische Staatsgelder werden für Abschlagszahlungen auf die bei Sieg fälligen Reparationen benutzt – mit dem schönen Nebeneffekt der Ökonomisierung des Stellvertreterkrieges, der unbedingt weitergehen soll. Mit den Gepflogenheiten des internationalen Eigentumsschutzes – ansonsten der wirkliche Höchstwert aller wertebasierten und regelgeleiteten Weltordnung – ist das zwar nicht so ganz zu vereinbaren. Aber diese Ordnung ist eben nur so viel wert, wie sie ihren Garantiemächten die Ausnahmestellung sichert, die sie gegen den Versuch Russlands verteidigen, sich mit Gewalt Respekt als gleichberechtigte Großmacht erzwingen zu können.
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Systematischer Katalog
Gliederung
- 1. Die USA machen mit dem REPO-Act den Weg frei für eine Konfiszierung russischen Staatsvermögens
- Kritik am REPO-Act – und ihre Zurückweisung
- Amerika will sein neues Recht im Wirtschaftskrieg bei seinen Partnern durchsetzen
- 2. Die EU ringt um ihre Kontrolle über diese Etappe des Wirtschaftskriegs
- 3. Der G7-Gipfel in Apulien vereint die Verbündeten zu einer großen Lösung
Die nächste Runde Eskalation im Wirtschaftskrieg:
Der Westen macht die Russische Föderation mit ihrem ausländischen Staatsvermögen haftbar für die weitere militärische Ertüchtigung ihres ukrainischen Kriegsgegners
1. Die USA machen mit dem REPO-Act den Weg frei für eine Konfiszierung russischen Staatsvermögens
Im April ist das amerikanische Kriegsziel der Entmachtung Russlands dann doch noch für eine einstweilige Einigung im US-internen Machtkampf zwischen Demokraten und Republikanern über die weitere militärische Unterstützung der Ukraine gut. Damit „Putin nicht durch Europa marschiert“ (Mike Johnson, Sprecher des Repräsentantenhauses), verabschieden Repräsentantenhaus und Senat im Rahmen eines Hilfspakets für Ukraine, Israel und Taiwan allein für die Ukraine weitere Militärhilfen im Umfang von 61 Mrd. Dollar. Im Interesse dieser Kriegsfinanzierung schafft die US-Legislative zugleich ein neues Instrument: Sie ermächtigt im sogenannten „REPO-Act“ („Rebuilding Economic Prosperity and Opportunity for Ukrainians Act“) den Präsidenten dazu, in den USA angelegtes russisches Staatsvermögen für den Zweck des Wiederaufbaus und der Unterstützung der Ukraine zu enteignen. Diese Vollmacht bezieht sich vor allem auf die bereits blockierten amerikanischen Staatsanleihen in russischem Besitz im Wert von ca. 5-6 Mrd. Dollar, schließt aber alle Arten von Staatsvermögen Russlands im amerikanischen Hoheitsbereich ein. Ob der Präsident von dieser Möglichkeit Gebrauch macht und wie er eine mögliche Enteignung abwickelt, ob als direkte Konfiszierung der Papiere, Flüssigmachen der Vermögenswerte oder als Verwendung der entsprechenden Vermögenstitel als Sicherheiten für Kredite für bzw. durch die Ukraine, das überlässt dieses Gesetz im Sinne bestmöglicher amerikanischer Handlungsfreiheit ihm:
„Der Präsident kann alle im Staatsbesitz stehenden Vermögenswerte des russischen Aggressorstaates, einschließlich aller Anteile an oder Zinsen aus diesen Vermögenswerten, die der Hoheitsgewalt der Vereinigten Staaten unterliegen, ganz oder teilweise beschlagnahmen, einziehen, übertragen oder übertragen lassen, um diese Gelder an den Unterstützungsfonds für die Ukraine zu überweisen, der gemäß Unterabschnitt (d) errichtet wird.“ (Abschnitt 104 (b) REPO-Act)
Mit diesem Fortschritt im Wirtschaftskrieg [1] genehmigen sich die USA den Übergang von der Schädigung der Zahlungs- und Kreditfähigkeit Russlands durch Blockierung seines Staatsvermögens, das als Devisenreserve der Notenbank u.a. in amerikanischen Staatsanleihen in den USA angelegt ist, hin zur Enteignung dieses Vermögens und seiner Aneignung durch den amerikanischen Staat zugunsten der langfristigen Unterstützung der ukrainischen Kriegspartei. Mit einem schlichten nationalen Gesetz setzen die USA im Verhältnis zu ihrem russischen Machtrivalen die internationale Unantastbarkeit fremden Staatseigentums – „Staatenimmunität“ – außer Kraft, auf der die von ihnen der Welt aufgenötigte globale Wirtschaftsweise und die Fähigkeit der Staaten, an ihr teilzunehmen, beruhen. Mit Devisenreserven garantiert die russische Zentralbank, wie jede andere, die Austauschbarkeit ihrer Währung gegen fremde und damit die internationale Verlässlichkeit russischer Schulden und Wertpapiere. Erst durch diese Garantie ist das Land im globalen Kapitalismus geschäftsfähig. Schon die Blockierung, mehr noch der endgültige Nicht-Respekt vor seinem Staatseigentum entzieht dem Land diese für den internationalen Kredit- und Geldverkehr unentbehrliche Fähigkeit. Diese
„klare, gewaltfreie Antwort auf die russische Aggression, die Putin schwächen und die Ukraine stärken würde, ohne dass dies den amerikanischen Steuerzahler etwas kostet“ (Newt Gingrich, republikanischer Abgeordneter, bei Fox News, 20.3.24),
die ein rechter Republikaner als genialen und – ausgerechnet – gewaltfreien Schachzug feiert, ist eine Klarstellung an den Rest der Welt: Die globale Vormacht des Kapitalismus, die anderen Staaten keine Alternative zur Bewährung in der internationalen Konkurrenz um Geld und Kredit lässt und den allseitigen Respekt vor den dafür nötigen Prinzipien des Staatenverkehrs mit ihrer Gewalt sicherstellt, steht zugleich über diesen Prinzipien. Wenn es den USA um die Behauptung ihrer Macht gegen Rivalen geht, sind sie so frei zu definieren, welchem Staat der Respekt vor seinem Staatseigentum und damit der Zugang zum Weltmarkt zusteht und welchem eben nicht.
Dem Rest der Staatenwelt gegenüber bestehen die USA darauf, dass sie, wenn sie sich aus nationalem Interesse über die internationalen Rechtsverhältnisse hinwegsetzen, in völligem Einklang mit dem Völkerrecht agieren. Dessen Rang und Gewicht im amerikanischen Selbstverständnis kennzeichnen sie durch folgende Reihung sehr beredt:
„Die Umwidmung russischer staatlicher Vermögenswerte liegt im nationalen Interesse der Vereinigten Staaten und steht im Einklang mit dem Recht der Vereinigten Staaten und dem Völkerrecht.“ (Entschließung des Kongresses, Abschnitt 102 (7) REPO-Act)
Der Einspruch Russlands gegen die Enteignung seines Staatsvermögens – „Diebstahl“ – ist einer Befassung nicht würdig, denn es hat überhaupt das Recht verwirkt, als respektables Mitglied der Staatengemeinschaft Ansprüche zu stellen.
„Die extrem rechtswidrigen Handlungen der Russischen Föderation, einschließlich eines Angriffs, stellen eine einzigartige Situation dar, die die Schaffung einer rechtlichen Befugnis für die Regierung der Vereinigten Staaten und anderer Länder rechtfertigt, russisches Staatsvermögen in ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet zu beschlagnahmen.“ (Feststellungen des Kongresses, Abschnitt 101 (b) REPO-Act)
Wenn amerikanische Gesetzgeber begründen, warum sie im Licht des Völkerrechts dürfen, was sie tun, präsentieren sie sich gleich als Definitionsmacht und Schöpfer des internationalen Rechts, dem sie dann gehorchen: Der russische Rechtsbruch „rechtfertigt“ die amerikanische „Schaffung einer Befugnis zur Beschlagnahmung“, für die sie bei niemandem nachfragen, in keinem internationalen Vertrag nachschlagen müssen. Den völkerrechtlichen Tatbestand, auf den sie sich für ihre autonome Rechtssetzung berufen, ermitteln sie als Ankläger und Richter Russlands ebenfalls in eigener Machtvollkommenheit: Sie sind es eben, die die Gewaltaktionen der knapp 200 Gewaltsubjekte, die über die Erdbevölkerung herrschen, in gerechtfertigte, nationale Rechte verteidigende und „illegale Angriffs-Kriege“ von „Aggressorstaaten“ scheiden. Sie sind es, die für ihre Richtersprüche die Anerkennung der übrigen Staaten einfordern und sich damit nicht blamieren. In diesem Sinn stellen sie dann auch „internationale Verpflichtungen“ Russlands fest, für Kriegsschäden der Ukraine aufzukommen, und unternehmen es durch Enteignung und Umwidmung von dessen Staatseigentum gleich selbst, „die Russische Föderation dazu zu bringen, ihnen nachzukommen“ (Abschnitt 101 (a) (7) REPO-Act). Wenn es ums Völkerrecht geht, beugen sich die USA eben vor nichts Höherem. Den Rest der Welt nehmen sie in Anspruch, ihre einseitigen Akte nicht nur zu dulden, sondern als Verwirklichung internationalen Rechts anzuerkennen und zu unterstützen.
Kritik am REPO-Act – und ihre Zurückweisung
Inneramerikanische Einwände gegen die Enteignungsermächtigung bewegen sich ebenfalls auf dem Niveau einer nur an sich selbst Maß nehmenden Machtvollkommenheit der USA.
„Mit dem REPO for Ukrainians Act erhält Präsident Biden die uneingeschränkte und beispiellose Befugnis, russische Vermögenswerte zu beschlagnahmen, was insofern bemerkenswert ist, als sich die USA weder im Krieg mit Russland befinden noch der US-Kongress (bisher) oder ein US-amerikanisches oder ausländisches Gericht Russland für schadensersatzpflichtig befunden hat. Dieses Gesetz könnte unvorhergesehene Auswirkungen auf die Weltfinanzmärkte haben, was die Validität von US-Schulden und die Befugnis der Vereinigten Staaten betrifft, das Vermögen eines anderen Landes zu beschlagnahmen. Der Akt könnte zu russischen Vergeltungsmaßnahmen gegen die USA und ihre Verbündeten führen, die das Ausmaß der Beschlagnahmung übersteigen. Maßnahmen, die auf der Grundlage dieser Befugnisse ergriffen werden, können von einem künftigen Präsidenten nur schwer oder gar nicht rückgängig gemacht werden.“ (The Heritage Foundation: The REPO for Ukrainians Act Is Unnecessary, Costly, and Risky, 15.4.24)
Dieser Thinktank aus der rechten Ecke vermisst eine korrekte Rechtsgrundlage für die Enteignungsaktion – ein Mangel, der freilich allein an amerikanischer Gesetzgebung selbst hängt: Das Land befinde sich gar nicht selbst im Krieg mit Russland, da wäre derlei selbstverständlich erlaubt; es gibt noch keine gesetzliche Feststellung und kein Gerichtsurteil zu einer russischen Reparationspflicht etc. Das Hauptgewicht des Einwands liegt aber woanders: Er drückt Zweifel an der Zweckmäßigkeit der Maßnahme aus und warnt vor schädlichen Rückwirkungen – Bedenken, die vor zwei Jahren noch aus der demokratischen Administration selbst, nämlich von Janet Yellen, der Finanzministerin Bidens, kamen. [2]
„Auf einer Pressekonferenz in Deutschland in diesem Monat schien Finanzministerin Janet Yellen die Möglichkeit der Vereinigten Staaten auszuschließen, sich an Bemühungen zur Beschlagnahmung und Umverteilung dieser Vermögenswerte zu beteiligen. Frau Yellen, eine ehemalige Zentralbankerin, die anfänglich Vorbehalte gegen die Immobilisierung der Vermögenswerte hatte, sagte, dass das Konzept zwar geprüft werde, sie aber glaube, dass die Beschlagnahmung der Fonds gegen US-Recht verstoßen würde. Zusätzlich zu den rechtlichen Hindernissen haben Frau Yellen und andere argumentiert, dass dies dazu führen könnte, dass Nationen zögerten, ihre Reserven in Dollar zu halten, weil sie befürchteten, dass die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten in zukünftigen Konflikten die Mittel beschlagnahmen würden.“ (NYT, 31.5.22)
Heute weist Frau Yellen derlei Einwände genau auf der Ebene zurück, auf der sie vorgetragen werden: Das Heranziehen russischen Staatseigentums zur Finanzierung des ukrainischen Kriegsgegners können die USA sich leisten, die gesetzlichen Grundlagen lassen sich schaffen, negative Wirkungen auf Finanzplatz und Währung der USA sind nicht zu befürchten, denn der US-Dollar ist zusammen mit den anderen großen westlichen Währungen für die Geldbesitzer und Staaten des Globus unumgänglich. Sie können auf diese Währungen, trotz aller Versuche Russlands, Chinas und anderer, alternative Zahlungssysteme und Wege der Kreditierung zu schaffen, nicht verzichten.
„Wir arbeiten alle zusammen, es gibt keine Alternativen zu Dollar, Euro und Yen.“ (Janet Yellen, zit. n. Die Welt, 1.3.24)
Auch das ist eine Klarstellung: Aus der für die Weltwirtschaft unersetzlichen Finanzmacht des Dollar und der Kooperation mit den übrigen kapitalistischen Großmächten des Westens speist sich die amerikanische Kompetenz, das internationale Recht zu definieren und zu ändern.
Amerika will sein neues Recht im Wirtschaftskrieg bei seinen Partnern durchsetzen
Dass Yellen die großen Konkurrenten der Dollarmacht, nämlich die anderen Weltgeldhüter EU und Japan, für die Konfiszierung russischen Vermögens gleich mit vereinnahmt, ist kein Zufall. Die USA brauchen die Partner, um ihre Strafaktion gegen Russland wirksam zu machen. Erstens liegt der Großteil des russischen Vermögens, auf das man zugreifen will, in Europa. Den 5-6 Mrd. Dollar, die bei US-Banken in amerikanischen Anleihen stecken, stehen zwischen 200 und 300 Mrd. gegenüber, die bei europäischen Institutionen liegen. Die sind zweitens Ergebnis des Umstands, dass der EU-Finanzmarkt von der schon älteren Sanktionspraxis der USA gegen missliebige Staaten unfreundlich profitiert hat. Russland hat sein auf Europas Energiemarkt verdientes Staatsvermögen in der genannten Größenordnung in Europa als vermeintlich sicherem Hafen angelegt. Das verschafft den EU-Staaten nun einen wuchtigen Hebel, den sie im Sinne der USA gegen Russland einsetzen sollen. Sie sollen so die Hauptlast des ökonomischen „Risikos“ eines solchen Schritts tragen und der Welt klarmachen, dass es für ihr Geldkapital und ihre Reserven keine Alternative zur enteignungsgefährdeten Anlage bei den westlichen Imperialisten gibt. [3]
Der REPO-Act verpflichtet den amerikanischen Präsidenten also darauf, sich um die Bereitschaft der westlichen Partner zu bemühen, als politische Hüter über ihren Finanzmarkt ihrerseits russisches Vermögen zu beschlagnahmen:
„alle Bemühungen der Vereinigten Staaten um die Beschlagnahmung und Umwidmung russischer Staatsgelder ... gemeinsam mit internationalen Verbündeten und Partnern im Rahmen einer koordinierten, multilateralen Anstrengung“ zu unternehmen, „einschließlich mit den G7-Ländern, der Europäischen Union, Australien und anderen Ländern, in denen sich russische Staatsgelder befinden“ (Entschließung des Kongresses, Abschnitt 102 (7) REPO-Act).
„US-Präsident Joe Biden drängt seine Verbündeten, nach Wegen zu suchen, um die russischen Reserven in Höhe von rund 260 Milliarden Euro anzuzapfen. Der G7-Gipfel in Italien im nächsten Monat gilt als Schlüsselmoment, um auf Fortschritte zu drängen. ‚Wir haben die Vermögenswerte gemeinsam immobilisiert; wir würden sie gerne auch gemeinsam mobilisieren‘, sagt Daleep Singh, stellvertretender nationaler Sicherheitsberater für internationale Wirtschaft im Weißen Haus... Die Mobilisierung der Reserven birgt Risiken, räumt er ein. Aber die Alternative sei das ‚Risiko, dass die Ukraine nicht ausreichend finanziert wird und einer der ungeheuerlichsten Verstöße gegen das Völkerrecht in der jüngeren Geschichte ungestraft bleibt‘.“ (Financial Times, 3.5.24)
Das amerikanische Drängen kann darauf setzen, dass die Verbündeten aus eigenen Machtansprüchen auf Europa die militärische Stärkung ihres ukrainischen Vorpostens und die Zerstörung russischer Macht in Europa betreiben und dabei selbst nach Wegen suchen, die Kriegskosten, die sie sich dafür leisten, zu minimieren. So, als Angebot an den Herrschaftsanspruch ihrer Union über den Kontinent, gedenken die USA die Verbündeten für ihre Eskalation im Wirtschaftskrieg zu gewinnen und amerikanisches Recht zu international geltendem Recht zu machen – und provozieren genau damit Einspruch bei den wichtigsten ihrer Partner.
2. Die EU ringt um ihre Kontrolle über diese Etappe des Wirtschaftskriegs
Die amerikanische Strafaktion gegen Russland stößt – schon im Vorfeld der Verabschiedung des REPO-Acts – bei Kommission, Ratspräsident und den europäischen G7-Staaten Frankreich, Deutschland und Italien auf erhebliche rechtliche und finanzpolitische Bedenken. [4] Die EZB-Chefin drückt sie aus:
„Die Präsidentin der Europäischen Zentralbank, Christine Lagarde, hat gewarnt, dass der Schritt vom Einfrieren der Guthaben über ihre Beschlagnahmung bis hin zu ihrer Veräußerung [das Risiko bergen könnte], die internationale Ordnung zu brechen, die man schützen will und von der man möchte, dass Russland sie respektiert. Die Zentralbank (EZB) warnte im Juni vergangenen Jahres, eine Beschlagnahme oder Nutzung der Devisenreserven könne zu einem Vertrauensverlust internationaler Investoren in die europäischen Finanzbehörden führen und folglich die weltweite Akzeptanz des Euro beeinträchtigen sowie langfristig die Stabilität des Euroraums gefährden. Wie die Financial Times damals berichtete, sehen die Zentralbanker vor allem die Gefahr, dass außereuropäische Zentralbanken, die große Reserven in Euro halten, diese teilweise abziehen, um sie vor möglichen weiteren Strafmaßnahmen abzuschirmen. ‚Die Implikationen könnten substanziell sein: Es könnte eine Diversifizierung weg von in Euro denominierten Wertpapieren einsetzen, es könnten sich die Refinanzierungskosten für europäische Staaten erhöhen und auch im Welthandel zu Diversifizierungen führen‘, zitiert die Zeitung aus einer Notiz der EU.“ (DWN, 3.2.24) [5]
Gegen den amerikanischen Partner machen die Hüter des europäischen Weltgelds ihr Interesse an der Behauptung der Finanzmacht ihres vergemeinschafteten Kapitalismus geltend, wenn sie negative Wirkungen der Strafaktion auf den Status des europäischen Finanzmarkts als politisch sichere Heimat für Emittenten und Investoren befürchten und die Stabilität des Euro gefährdet sehen, der bisher neben dem Dollar als wichtigste internationale Reservewährung gefragt ist. Zum Schutz ihres konkurrierenden Finanzmarkts und ihres Geldes vor negativen Auswirkungen des REPO-Acts berufen sie sich auf die Rechtsprinzipien der Weltordnung, die die Staaten auf den Respekt vor fremdem Staatseigentum verpflichten. [6] Im Gestus einer ihrerseits übergeordneten Hüterin dieser Prinzipien warnt die europäische Notenbankchefin die USA davor, „die internationale Ordnung zu brechen“. Der europäische Einspruch präsentiert sich prinzipiell, eben weil die Freiheit, die die USA sich mit dem REPO-Act herausnehmen, aktuell zwar Russland und seiner Entmachtung gilt, zugleich aber in ihrer Unbedingtheit der gewollte und von aller Welt auch so verstandene Präzedenzfall dafür ist, dass die USA den globalen Finanzmarkt überhaupt ihren nationalen Sicherheitsinteressen unterordnen.
Mit den vorgebrachten Befürchtungen vor schwerwiegenden ökonomischen Nachteilen, die die zweite Weltwährung Euro eben mehr zu fürchten hätte als der US-Dollar, fordern die EU-Vertreter vom mächtigen transatlantischen Partner Rücksicht auf ihre Konkurrenzposition bei der Ausgestaltung des gemeinsamen Wirtschaftskriegs. Zum befürchteten ökonomischen Schaden kommt das weit in die Zukunft vorgreifende politische Bedenken hinzu, durch die Endgültigkeit einer amerikanischen Enteignung russischen Staatsvermögens eigene Handlungsfreiheit in einer künftigen Regelung der Machtverhältnisse in Osteuropa einzubüßen und ein exklusiv europäisches Faustpfand für mögliche Friedensverhandlungen mit Russland aus der Hand zu geben:
„‚Sollte es jemals zu Friedensverhandlungen kommen und die Ukraine sich zur Teilnahme entschließen, könnte es zu einer Situation kommen, in der Russland seine eingefrorenen Vermögenswerte zurückfordert und im Gegenzug territoriale Zugeständnisse an die Ukraine macht. Das kann man nicht tun, wenn man diese Vermögenswerte bereits verpfändet hat‘, sagt ein deutscher Beamter.“ (Financial Times, 3.5.24)
Andererseits gilt für die Macher Europas im nunmehr dritten Kriegsjahr und erst recht angesichts der auf dem Schlachtfeld prekären Lage: Russland muss geschlagen werden, die Ukraine darf nicht verlieren, wenn aus dem Europa der EU etwas werden soll. Sie muss also weiter unterstützt und die Unterstützung muss finanziert werden. Das Hin und Her zwischen den divergierenden Gesichtspunkten befeuert das Ringen der EU mit den USA darum, wie weit sie den amerikanischen Schritt mitgehen will und kann. Europas Antwort auf den amerikanischen Vorstoß fällt entsprechend aus:
Ein trickreicher Mittelweg zwischen Enteignung und Nicht-Enteignung
Die EU entschließt sich noch vor der endgültigen Verabschiedung des REPO-Acts zu alternativen rechtlichen Schritten, mit denen sie ihre Unterstützung der Ukraine auf Dauer stellen will. Sie beschließt, Zinsgewinne aus der Verwendung des von ihr blockierten russischen Staatsvermögens zu enteignen. Aber eben – um befürchtete Schäden möglichst gering zu halten – „nur“ diese Gewinne aus Wiederanlage, nicht die Vermögenswerte selbst:
„Der russische Präsident Wladimir Putin habe sich ‚verrechnet, wenn er glaubt, dass wir nicht in der Lage sind, die Ukraine so lange zu unterstützen, wie es notwendig ist‘, sagte Scholz. Dabei sei die Nutzung der abgeschöpften Zinsgewinne ‚ein kleiner, aber wichtiger Baustein‘.“ (Die Welt, 22.3.24) „Zweitens darf ich noch einmal wiederholen, dass diese Initiative eigentlich ausschließlich und ganz allein die generierten Gewinne betrifft aus diesen immobilisierten Vermögenswerten, nicht diese Vermögenswerte selbst, sondern diese Zinsen, die von den Kapitalwerten erwirtschaftet werden. Man kann sich auch andere Maßnahmen vorstellen, aber derzeit glauben wir, dass das auch juristisch wasserdicht ist.“ (Josep Borrell i Fontelles, Hoher Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik und Vize-Kommissionspräsident, Statement vor dem EP-Plenum, 23.4.24)
Man sieht, auch die EU-Macher beherrschen die Kunst, das Recht zum Instrument ihres Interesses zu machen und entsprechend auszulegen. Ihre Rechtsabteilung lässt sich einen Kniff einfallen, um die europäische Enteignung von Geldern, die Russland als dem Eigentümer seiner in der EU deponierten Notenbankreserven zustehen, „juristisch wasserdicht“ zu machen: Man trennt die einlaufenden Erträge aus Zins und Tilgung Russland gehörender Papiere von dem Kapital, auf das sie anfallen, und erklärt die von der EU verfügte Blockade des Kapitals zur eigentlichen Ursache der bei den „Zentralverwahrern“ und Clearing-Stellen eingehenden und sich ansammelnden Gelder – frei nach der Logik, dass diese Erträge ohne Blockadebeschluss ja nicht bei diesen Institutionen hängengeblieben, sondern auf russische Konten weitergeleitet worden wären. [7] Die Gewinne von bisher ca. 3,4 Mrd. Euro, die Euroclear [8] und andere durch die Wiederanlage dieser Zuflüsse kassieren, sind für diese Institutionen zufällige, „außerordentliche Erträge“, „Windfall Profits“, [9] die sie eigentlich gar nicht machen dürfen und die deshalb die Staaten, in denen sie angesiedelt sind, über eine Sondersteuer von nahezu 100 % legal abschöpfen.
Mit dieser Rechtskonstruktion ergeht eine über den Umgang mit Russland hinausweisende dialektische Botschaft an die Staatenwelt: Sie soll wissen, dass auch die EU als übergeordnete Macht sich Eingriffe in fremdes Staatseigentum herausnimmt; sie soll es andererseits Europa nicht als Bruch mit den Grundlagen des zivil-ökonomischen Staatenverkehrs übel nehmen und entsprechende Konsequenzen ziehen. Und zwar allein deswegen, weil die europäische Strafaktion Russland die Anerkennung als Eigentümer seines Staatsschatzes zwar verweigert, dessen Eigentumsrecht dabei aber nicht komplett aushebelt. Die europäische Form der Enteignung soll mit dem länderübergreifenden Schutz des Eigentums irgendwie doch kompatibel sein. Das komplizierte Verfahren zielt auf den Schutz des europäischen Finanzmarkts und seiner Institutionen als rechtssichere und zuverlässige Anlageplätze vor dem nur allzu berechtigten Misstrauen und drohenden Abzug von internationalen Geldern – und ist doch nur ein Angebot an auswärtige Investoren und Staaten, angesichts der Alternativlosigkeit der westlichen Finanzmärkte als Ort für die Aufbewahrung und Vermehrung ihres Geldes auch feine Unterschiede zu den USA zu honorieren.
Auch was die Verwendung der auf diesem Weg konfiszierten Gelder betrifft, setzt sich die EU von den USA ab: Während diese unter ihrer Ägide einen internationalen Fonds für Unterstützung und Wiederaufbau der Ukraine auflegen wollen, an den alle Partnerstaaten ihre angeeigneten Finanzmittel abgeben sollen, [10] bestehen die Europäer darauf, die Mittel in ihrer Hand selbst zu verwenden – und zwar für die direkte Finanzierung ihrer Waffenlieferungen. [11]
3. Der G7-Gipfel in Apulien vereint die Verbündeten zu einer großen Lösung
Ein paar Wochen später lassen die USA und die Europäer beim G7-Gipfel ihre Kontroversen bezüglich der Beschlagnahmung des russischen Staatsvermögens demonstrativ hinter sich. Ihre Entschlossenheit, den Krieg gegen Russland bis zu einem befriedigenden Ende weiterzuführen und die Ukraine nicht nur überlebensfähig zu halten, sondern zu Erfolgen zu befähigen, zugleich aber die eigenen Staatshaushalte mit den Kriegskosten nicht mehr, jedenfalls nicht mehr so wie bisher zu belasten, führt sie zu einem großen Wurf zusammen:
„Wir unterstützen solidarisch den Kampf der Ukraine für Freiheit und ihren Wiederaufbau, solange dies nötig ist. In Anwesenheit von Präsident Selenskyj haben wir beschlossen, rund 50 Milliarden US-Dollar bereitzustellen, indem wir die außerordentlichen Einnahmen aus immobilisierten staatlichen russischen Vermögenswerten nutzen, womit wir ein unmissverständliches Signal an Präsident Putin senden. Wir intensivieren unsere gemeinsamen Anstrengungen, Russlands militärisch-industriellen Komplex zu entwaffnen und ihm seine finanziellen Grundlagen zu entziehen.“ (Kommuniqué des G7-Gipfels in Apulien, 15.6.24)
Die USA gehen auf den Wunsch der Europäer ein, nur die Zinsgewinne, nicht die Stammsumme des russischen Vermögens zu enteignen. Frau Yellen verweist aber darauf, dass die zu erwartenden circa 3 Mrd. Euro pro Jahr in einem absurden Missverhältnis zum Finanzbedarf des ukrainischen Militärs und Staates überhaupt stehen. Als ausgewiesene Expertin fürs Finanzkapital weiß die ehemalige Chefin der Fed jedoch Rat:
„Die Europäische Union hat sich bereit erklärt, diese unerwarteten Einnahmen zur Unterstützung der Ukraine zu verwenden, und ich begrüße diesen Plan. Dies wird jedoch nicht ausreichen, um den unmittelbaren und künftigen Bedarf der Ukraine zu decken. Daher haben die Vereinigten Staaten mit unseren Verbündeten zusammengearbeitet, um auf dem europäischen Plan aufzubauen und weiterzugehen. Wir schlagen ein Darlehen vor, das der Ukraine einen entscheidenden Betrag an Finanzmitteln verschaffen würde. Das Darlehen würde durch die Einnahmen im Laufe der Zeit zurückgezahlt werden. Mit den Mitteln, die dieses Darlehen bereitstellen würde, könnte die Ukraine mit den Ressourcen ausgestattet werden, die sie zur Verteidigung und zum Wiederaufbau benötigt – bezahlt aus den Erträgen von Herrn Putins Vermögen.“ (Yellen in der NYT, 13.6.24)
Die Europäische Union und die USA mit ihren Verbündeten fassen also den gemeinsamen politischen Beschluss, der Ukraine „einen entscheidenden Betrag“ in Höhe von 50 Mrd. Dollar kurzfristig und in Gänze zur Verfügung zu stellen. Die Ukraine – darüber besteht Einigkeit – soll diese Summe nicht geschenkt, sondern ihrerseits in Form eines Kredits bekommen, für den sie erst einmal nicht geradestehen muss, was sie auch gar nicht könnte; in letzter Instanz und irgendwann vielleicht aber doch muss. Beschafft werden sollen die ihr zugänglich gemachten Mittel auf dem internationalen Kapitalmarkt über Anleihen der G7- und EU-Staaten, also über Schulden, für deren Verzinsung und Tilgung die nach dem derzeit aktuellen Zinssatz jährlich zufließenden ca. 3 Mrd. garantieren sollen:
„Diese drei Milliarden jährlich sollen ‚gehebelt‘ werden, anders gesagt: Die Staaten der G7 und der EU nehmen Kredite von zusammen 50 Milliarden Dollar auf und decken die Kosten über viele Jahre mit den Erträgen aus dem russischen Geld. Der Kredit soll Ende des Jahres bereitstehen.“ (FAZ, 24.8.24)
Eine perfekte Verwendung der „Erträge aus Herrn Putins Vermögen“, die so für die nötige Bonität dieser konzertierten Kreditaufnahme des Westens für die Ukraine auf dem internationalen Kapitalmarkt sorgen.
Der Durchbruch, den die G7-Chefs auf ihrem Gipfel erzielt haben, ist der Auftakt dazu, die Rechts- und Finanzexperten der G7- und EU-Staaten damit zu beauftragen, bis Oktober eine „rechtlich unbedenkliche“ (Yellen) finanzpolitische Technik der Durchführung dieses Beschlusses auszuarbeiten. Dass diesen Experten für ihre kreative Tätigkeit mindestens vier Monate Zeit eingeräumt werden, ist ein Hinweis darauf, dass die entsprechenden Verhandlungsrunden zwischen den Partnern allerhand strittige Fragen zu klären haben – sowohl, was die rechtssichere Ausstattung der neuen Finanzprodukte an die Adresse der Spekulanten an den Weltfinanzmärkten angeht, als auch, was die fortbestehende Konkurrenz der westlichen Hauptnationen betrifft. Als da – auszugsweise – wären: [12] Wer geht mit wie viel Kredit in Vorleistung und erhöht so seine Schuldenquote? Wie wird garantiert, dass die Zuflüsse aus dem immobilisierten russischen Staatseigentum auch über Politik- und Regierungswechsel in den beteiligten Nationen hinaus dauerhaft fließen? Genügen die im EU-Bündnis gültigen Vorschriften für die periodische Verlängerung der Russland-Sanktionen dem Anspruch der USA auf unbedingte langfristige Verlässlichkeit der Maßnahmen zur Beschlagnahmung der Erträge aus russischem Staatsvermögen? [13] Wer bestimmt über die Verwendung des Kredits durch die Ukraine? [14] Und vor allem: Wer haftet in welchem Umfang dann doch für den Kredit, wenn die „Windfall Profits“ (etwa wegen Änderungen bei den Zinsfüßen) nicht ausreichen und/oder Russland bei einem entsprechenden Kriegsverlauf doch nicht zu umfassenden Reparationszahlungen erpresst werden kann? Stehen nicht doch irgendwann weitergehende Maßnahmen im Sinne der Konfiszierung der Hauptsumme des russischen Staatsvermögens an? Usw.
Egal, der politische Wille der westlichen Führungsnationen zu der kreativen Finanzkonstruktion steht – die einschlägigen Expertenrunden signalisieren Optimismus, dass sie bis Oktober so weit sind. Im Kern beruht die Solidität dieses gefeierten neuartigen internationalen Kriegskredits [15] – sowohl vonseiten des Finanzgewerbes wie vonseiten der führenden westlichen Imperialisten – auf der Spekulation auf einen eindeutigen Sieg über Russland; alternativ auf der endlosen Dauer des Krieges, also auf der langfristigen Unerschütterlichkeit des Willens der engagierten Westmächte zu ihm.
[1] Dazu, wie die westlichen Sanktionsmächte, allen voran die USA, schon zuvor ihre politische Hoheit über den Weltfinanzmarkt und den Status ihrer Gelder als unbestrittene Zahlungsfähigkeit der Welt einsetzen, um Russland in fundamentaler Weise ökonomisch zu schädigen und auch gegenüber Drittnationen geschäftsunfähig zu machen, vgl.: „Wirtschaftskrieg: Die zweite Front, die die USA und ihre Verbündeten zur Zerstörung Russlands aufmachen“ in GegenStandpunkt, Heft 2-22.
[2] Auch nach der Verabschiedung des Gesetzes lassen prominente Republikaner von ihrer Skepsis nicht ab; z.B. Trumps neuer Vize:
„‚Wir haben schon viel Druck auf dem amerikanischen Anleihemarkt zwischen der Inflation und den Haushaltsdefiziten, die wir haben – also ja, ich bin besorgt. Wir müssen vorsichtig sein‘, sagte am Dienstag der republikanische Senator von Ohio J.D. Vance, der Chefkritiker des REPO-Gesetzes im Senat.“ (Bloomberg, 26.4.24)
[3] „Würden die USA dies ohne ähnliche Schritte anderer G7-Ökonomien tun, hätten sie das ‚seizure risk premium‘ (Risikokosten der Enteignungsaktion) alleine zu tragen. Das ist etwas, was das Weiße Haus wohl vermeiden will, und Grund zu bezweifeln, dass die USA unilateral handeln würden.“ (Gerard DiPippo, ein hochrangiger Weltwirtschafts-Analytiker bei Bloomberg Economics, 24.6.24)
[4] Unterstützt wird das amerikanische Vorgehen dagegen von den östlichen Mitgliedsländern der EU sowie von Großbritannien und Kanada. Allerdings lehnt auch Japan den Plan in dieser Form ab.
[5] Eingepreist in diese Einwände sind auch die von Russland bereits angedrohten Gegenmaßnahmen: „Nach Angaben europäischer Beamter sitzen 33 Milliarden Euro europäischer Anleger in Russlands National Settlement Depository – dem russischen Äquivalent von Euroclear – fest, die allmählich von den russischen Gerichten beschlagnahmt werden.“ (Financial Times: The clash over whether to commandeer Russia’s frozen assets, 3.5.24)
[6] Für Deutschland liest sich die internationale Rechtslage so: „Völkergewohnheitsrechtlich genießen die in Deutschland deponierten Devisenreserven einer ausländischen Zentralbank Vollstreckungsimmunität, da sie typischerweise hoheitlichen Zwecken dienen. Die Staatenimmunität schützt vor der Unterwerfung unter die Gerichtsbarkeit eines anderen Staates sowie vor Maßnahmen zur Vollstreckung von Urteilen. Sofern ausländische Währungsreserven einer Zentralbank in einem nationalen Gerichtsverfahren zur Erfüllung von Ansprüchen herangezogen werden, könnte sich eine ausländische Zentralbank auf den Grundsatz der Staatenimmunität berufen... Auf Art. 51 VN-Charta gestützte ‚Enteignungs-Sanktionen‘ wären ... zwar denkbar, würden aber völkerrechtliche Fragen der Reversibilität, des Bestrafungsaspekts und des Enteignungsschutzes aufwerfen. An der Zulässigkeit einer Enteignung ausländischen Staatsvermögens bestehen daher Zweifel.“ (Wissenschaftliche Dienste Deutscher Bundestag: Entzug von Geldvermögen ausländischer Staaten als Sanktion, 2022, S. 11)
[7] „Mit dem heutigen Beschluss wird im Einklang mit dem Standpunkt der G7 ... der rechtliche Status der Einnahmen, die die Zentralverwahrer aus der Verwahrung immobilisierter russischer Vermögenswerte erzielen, präzisiert... Der Rat hat insbesondere beschlossen, dass Zentralverwahrer, die mehr als 1 Mio. € an Vermögenswerten der russischen Zentralbank verwahren, außerordentliche Barbestände, die sich aufgrund restriktiver Maßnahmen der EU akkumulieren, gesondert verbuchen und die entsprechenden Einnahmen getrennt verwahren müssen. Darüber hinaus ist es Zentralverwahrern untersagt, über die daraus resultierenden Nettogewinne zu verfügen.“ (Rat der EU, Pressemitteilung v. 12.2.24)
[8] Euroclear ist die weltweit größte Verrechnungsstelle für private wie öffentliche Kapitalanlagen, bei der wechselseitige Forderungen und Verbindlichkeiten festgestellt und saldiert werden. Euroclear ist keine Bank und führte bis dato keine Konten ihrer Kunden. Anfallende Zinsen auf die verwalteten Papiere ebenso wie Tilgungszahlungen am Ende der Laufzeit werden von der Verrechnungsstelle am Ende jedes Tages auf die Bankkonten der Anleger transferiert.
[9] „Seit Monaten prüfen Juristen die rechtlichen Risiken dieses Schritts. Anders als bei den Vermögen selbst handelt es sich demnach bei den Erträgen nicht um russisches Eigentum, sondern um Gelder, die allein durch die Sperrung des Vermögens angefallen sind – klassische sogenannte ‚Windfall Profits‘. Unerwartete Gewinne, die mit einer Pflichtabgabe belegt werden können. Über diese Abgabe, die bis knapp an 100 Prozent gehen könnte, sollen die Erträge abgeschöpft werden.“ (Dlf, 16.4.24)
[10] „Der Präsident ergreift die Maßnahmen, die er für angemessen hält, um sich mit der G7, der Europäischen Union, Australien und anderen Partnern und Verbündeten der Vereinigten Staaten hinsichtlich der Verfügung über immobilisierte staatliche Vermögenswerte des russischen Aggressorstaates abzustimmen, einschließlich der Bemühungen um die Einrichtung eines internationalen Mechanismus mit ausländischen Partnern, einschließlich der Ukraine, ... zum Zweck der Unterstützung der Ukraine, was die Einrichtung eines internationalen Fonds mit der Bezeichnung ‚Entschädigungsfonds für die Ukraine‘ einschließen kann, der Mittel aus dem nach Abschnitt 104(c) eingerichteten Unterstützungsfonds für die Ukraine und Beiträge von ausländischen Partnern, die ebenfalls staatliche Vermögenswerte des russischer Aggressorstaates eingefroren oder beschlagnahmt haben, zur Unterstützung der Ukraine erhalten und verwenden kann.“ (Abschnitt 105 (a) REPO-Act)
[11] „Je mehr Zerstörung wir vermeiden, umso weniger müssen wir wieder aufbauen... Aus diesem Grund habe ich dem Rat vorgeschlagen, dass 90 % dieser Erträge, dieser Profite, die da generiert werden, tatsächlich dafür eingesetzt werden, die militärische Hilfe für die Ukraine aufzustocken, um mehr Zerstörung zu vermeiden. Die [außerhalb des EU-Haushalts errichtete Friedens-]Fazilität wurde ja schon seit Kriegsbeginn genutzt, um die Ukraine militärisch zu unterstützen... Sie wissen, bis es nicht bessere Lösungen gibt, kann man ja den europäischen Haushalt nicht benutzen, um Waffen zu kaufen.“ (Borrell vor dem EP-Plenum, 23.4.24)
[12] Die FAZ vom 20.8.24 präsentiert dazu folgende Liste:
„Die Frage, inwiefern die G7-Länder sich russischer Gelder bemächtigen können, ohne Völkerrecht zu brechen und damit unter Umständen dem eigenen Ruf und Finanzsystem zu schaden, ist keine Kleinigkeit... Das von den G7-Regierungen beschlossene Konzept besteht jetzt darin, auf dieser Basis für die Ukraine einen zweistelligen Milliarden-Kredit zu schnüren. Die Zinsen des russischen Vermögens sollen als Sicherheit beziehungsweise als Zinszahlung an die Kreditgeber herhalten, von einem Instrument der Verbriefung ist die Rede. Die Vereinigten Staaten favorisieren das Modell, dass die Kreditgeber ihrerseits eine Anleihe begeben. Sie bekämen dann 50 Milliarden Dollar von den Anleihezeichnern auf den internationalen Finanzmärkten und bezahlen diese jährlich mit den Zinsen aus dem russischen Zentralbankvermögen. Doch der Teufel steckt wie immer im Detail. Sollen die Vereinigten Staaten, die EU oder alle G7-Staaten zusammen den Kredit gewähren? Mit welcher Laufzeit und Verzinsung? Wer immer das Darlehen vergibt, würde erst einmal seine eigene Verschuldung erhöhen... Doch die Amerikaner machen sich nicht zuletzt über ein mögliches Ausscheren Ungarns Sorgen, denn das europäische Sanktionsregime gegen Russland muss per Abstimmung alle sechs Monate erneuert werden... Vor allem Finanzminister Christian Lindner, der nun auf den internationalen Kredit hofft, soll skeptisch gegenüber einer gemeinsamen EU-Kreditaufnahme gewesen sein... Klar ist, dass ein langlaufender Kredit an die Ukraine, etwa über 20 Jahre, auch über diese Laufzeit Zugriff auf russisches Vermögen erfordern würde. So lange müsste das russische Zentralbankgeld eingefroren bleiben. Was aber würde ein möglicher Friedensschluss bedeuten? Auf wem bleiben die Risiken am Ende sitzen?“
[13] Davon machen die USA immerhin ihre Teilnahme an dem 50-Milliarden-Dollar-Projekt abhängig: Wenn „...klar sei, dass das Geld auf lange Sicht verlässlich flösse, müsse man in Amerika und anderswo die Parlamente nicht einbeziehen. Vor allem in Washington wiege das schwer. Mitten im Wahlkampf sei es aus der Sicht der Regierung schwierig, ‚grünes Licht vom Kongress zu bekommen‘.“ (FAZ, 24.8.24)
[14] „Am 26. Juli hat die EU der Ukraine erstmals 1,55 Milliarden Euro daraus zur Verfügung gestellt. Wenn das Geld jetzt aber zur Bedienung eines 50-Milliarden-Kredits verwendet werden soll, muss es umgewidmet werden. Hier lauern noch einige Fallstricke, Frankreich etwa fordert, dass die Ukraine mit dem Kredit auch Waffen in der EU bestellen müsse.“ (FAZ, 24.8.24)
[15] „Nie zuvor in der Geschichte hat eine multilaterale Koalition die souveränen Vermögenswerte eines angreifenden Landes blockiert und dann einen Weg gefunden, den Wert dieser Vermögenswerte zugunsten der geschädigten Partei freizusetzen, die für ihre Freiheit kämpft. Genau das ist bei diesem G7-Gipfel geschehen.“ (Ein hochrangiger Vertreter der Biden-Administration in: A New Era of Financial Warfare Has Begun, Foreign Policy, 25.6.24)