Gründe und Besonderheiten der gegenwärtigen Weltwirtschaftskrise

Grundsätzliche Auskünfte zu Grund und Verlaufsform von Wirtschaftskrisen. Was eine Krise ist, und welche Rolle dabei die Aufblähung des Kredits in der Konkurrenz um zahlungsfähige Nachfrage spielt. Der Niederschlag auf das Bankensystem und das nationale Geld. Die Bewältigung der Krise als umfassende Kapitalentwertung und Verarmung der Massen und der Ruf nach dem Staat.

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Gliederung

Gründe und Besonderheiten der gegenwärtigen Weltwirtschaftskrise

Was ist eine Krise?

Das genuine Geschäft der freien Marktwirtschaft, die Vermehrung von Kapital, geht nicht mehr. Erfolgreich betrieben hat es zur Anhäufung von Produktionsmitteln, Waren und Geld geführt. Dieser nach allen Regeln der Ausbeutungskunst akkumulierte Reichtum – manche Rationalisierung, viele Ausländer, billige Frauenhände, Sonderschichten und Kurzarbeitsphasen, fernöstliche Tagelöhner, gesundheitliche Opfer mancher Schichten usw. haben da ihren Beitrag leisten dürfen – weist für seine Besitzer und wirtschaftskundigen Verwalter einen entscheidenden Mangel auf. Er läßt sich nicht mehr weiterverwenden, zumindest nicht nach den Maßstäben des Geschäfts. Sicher ließen sich Leute finden, die mit den Maschinenparks etwas Nützliches anzustellen wissen; die mit den Autos, welche die Halden füllen, herumfahren können; die sich von dem Geld auf den Konten, wäre es das ihre, manch schönes Genußmittel auf den Basaren der Marktwirtschaft erstehen würden. Doch dafür ist das alles nicht vorgesehen, sondern für das Wachstum. Dieses in Geld bezifferte Resultat des Investierens und Produzierens, des Kaufens und Sparens, des Exportierens und Importierens läßt sich nach verläßlicher Auskunft „der Wirtschaft“ nicht mehr erzielen.

Dabei unterscheiden die maßgeblichen Leute ihre Geschäftslage sehr wohl von einem gelegentlichen Mißerfolg, der zur Konkurrenz im Kapitalismus dazugehört. Daß sich eine Firma einmal verkalkuliert – was ihren Managern hinterher, nach vollzogenem Vergleich ihrer Produkte auf dem Markt mit denen der anderen, immer als Fehler und Versäumnis, als „Mißmanagement“ angerechnet wird – und vielleicht sogar in Konkurs geht, bedeutet keineswegs „Krise“. Eine Pleite, durch die ein Konkurrent ausscheidet, kann für die, die sich seines Eigentums bemächtigen, durchaus einen Aufschwung ihres Geschäfts einleiten. Unter den verminderten Kosten ist mancher Betrieb rentabel, mit dem sein ursprünglicher Eigentümer keinen Gewinn, keinen Überschuß über seine Kosten erwirtschaften konnte. Ganz abgesehen vom prinzipiellen Vorteil, daß die Dezimierung der Konkurrenten auf dem Markt für sich schon eine bessere Geschäftsgrundlage für die „gesunden“ Firmen bietet.

In der Krise dagegen werden Konkurse nicht als zum kapitalistischen Konkurrenzkampf gehörige Fehlschläge verbucht, sondern als „Zeichen“ – für einen allgemeinen Niedergang des Geschäfts. Die Leute, die „die Wirtschaft“ heißen, gewahren an den Problemen einzelner Konkurrenten, daß sie von ihrem Untergang nicht profitieren können, vielmehr selbst mit den Schwierigkeiten „des Marktes“, „einer stagnierenden Auftragslage“ usw. fertig werden müssen. Die Geschäftswelt bemerkt, daß die Produktion für den Markt, den alle als die Sphäre schätzen, in der sich ihre Produkte gewinnbringend versilbern lassen, ohne Rücksicht auf die Schranken des Marktes vorangetrieben worden ist. Weil sich die Bedingungen ihrer Produktion von denen der Realisierung ihrer Produkte getrennt haben, taugen die Mittel ihres Geschäfts – Produktionsinstrumente, Waren, Arbeitskräfte – mit einem Schlag nichts mehr.

Daß die Überproduktion von Kapital – die Anhäufung von zu viel Reichtum in Bezug auf den Zweck seiner weiteren Vermehrung – ihr eigenes Werk ist, mögen sie allerdings nicht einsehen. Sie verstehen es stets, „die Konkurrenz“ für die miserable Geschäftslage verantwortlich zu erklären, und sie meinen damit nicht das Geschäftsgebaren aller in der Konkurrenz, also auch das von sich – sondern die anderen. In der Krise blüht die kundige Suche nach Schuldigen: Vom „Mißmanagement“ bis zum eigenen Staat, der doch wahrlich alles für die Geschäftsbedingungen seiner dynamischen Lieblingsbürger getan hat, ist keiner der sonst so anerkannten Macher vor dem Verdacht gefeit, er sei es gewesen; und gemeinsam gehen Wirtschaftskapitäne mit Staatsmännern daran, auswärtige Störenfriede des Geschäfts auszumachen – die Japaner verkaufen ihre Sachen zu billig, die Ölscheichs zu teuer, die Franzosen zuviel… –, ganz als würden sich die Kapitalisten dieser Erde in der hohen Kunst des Unternehmertums ausgerechnet nach Fairneß-Kriterien unterscheiden. Daß die eigenen Kosten in sittenwidriger Weise zu hoch geklettert seien, dürfen sich die Lohnempfänger in schöner Regelmäßigkeit vorrechnen lassen – so daß schließlich niemand mehr daran denken mag, wer mit seinem moralisch so integren Anliegen des Gewinns die Zahlungsfähigkeit der gesamten Gesellschaft unablässig strapaziert. Leute, die nichts normaler finden, als sich durch die Vergrößerung ihres Kapitals, durch die Erhöhung der Produktivität „größere Marktanteile“ zu sichern, die mit der Masse des Umsatzes kalkulieren, der die Senkung des Gewinns pro rata des eingesetzten Kapitals kompensieren soll; Leute, die um der Überlegenheit in der Konkurrenz willen von allem so viel wie möglich und so billig wie nötig auf den Markt werfen, sich andererseits als Käufer außerstande sehen, etwas für die Konsumtionskraft der restlichen Gesellschaft, der Lohnabhängigen schon gleich nicht, zu tun, beschweren sich in der Krise locker darüber, daß ihnen andere das Geschäft vermasselt haben und sie keine Vorzugsbehandlung durch den Staat genossen haben. Die politische Führung selbst zieht sich die heftigsten Vorwürfe zu, weil sie mit ihrem Finanzgebaren, ihrer Geld- und Währungspolitik die Bedingungen des Wachstums ruiniert hat. Die Geschäftswelt hat dabei keinerlei Hemmungen, den Maßstab, an dem Konsumtion wie Produktion in „schweren Zeiten“ scheitern, offen zu benennen: ihren Gewinn. Auf den hat sie nämlich einen Rechtsanspruch. Wenn sie mit der Klage auftritt: „Unter diesen Bedingungen lohnt sich nichts…“, erinnert sie die übrige Gesellschaft daran, daß sich alle Anstrengungen aller jetzt erst recht auf den Dienst am Wachstum ihres Vermögens zu richten haben. Die Politik weist sie in diesem Anspruchsdenken nicht etwa zurück. Sie bestätigt es mit dem Hinweis darauf, daß sämtliche Großtaten der Marktwirtschaft – der Staatshaushalt mit seinen Wohltaten eingeschlossen – von der Rentabilität des Kapitals abhängen.

Mehr vom „Ganzen“ her, die Pflicht zur Sorge um das Gelingen der Marktwirtschaft betonend, behandeln auch die gelehrten Volkswirtschaftler die Überproduktion von Kapital. Daß für die Bedürfnisse des auf Vermehrung erpichten Eigentums zu wenig gekauft wird, übersetzen sie halb auf lateinisch: „Unterkonsumtion“. Daß an der einen Stelle zu viel, an der anderen zu wenig vorhanden ist, verwandeln sie ohne Rücksicht auf die Frage, wofür zu viel/zu wenig, in die Theorie der „Disproportion“. „Psychische Kernprozesse“, „Innovationen“, periodisch gehäuft, der „Zeitfaktor“ überhaupt, der erntewirksame Einfluß der Sonnenflecken tun bei der Krisentheorie ebenso gute Dienste wie die Behauptung, „die“ Wirtschaft sei eben ein „System von Schwingungen“, für das sich manch feines mathematisches Modell aufstellen lasse. Immerhin ist mit den Theorien der letzteren Art wenigstens die Erinnerung daran getilgt, was eigentlich womit in Widerspruch gerät, wenn das Geschäft im Kapitalismus einmal nicht geht; eine Erinnerung, die in der Verwandlung von Krisenphänomenen in ihre eigene Erklärung sich irgendwie aufdrängt.

Der Pluralismus der akademischen Nationalökonomie hindert ihre Vertreter aber nicht daran, ganz einhellig die bloße Bestimmung der Krise als Überproduktion abzulehnen. Als wäre die daraus fällige Erklärung eine alternative Suche nach „Schuldigen“ und deren Ermittlung in den Kreisen der Kapitalisten die Absicht, plädieren sie für eine Theorie der (mildernden) Umstände. Der Einwand, dem sich auch die geläuterte Linke anschließt, lautet schlicht, die Sache mit der Überproduktion sei „zu einfach“, das wirkliche Krisengeschehen heute nicht so banal zu fassen, wie der „alte“ Marxismus das zu seiner Zeit vielleicht durfte, vielmehr „komplex“. Einmal abgesehen davon, daß „komplex“ keine Eigenschaft von nichts ist und schon gleich nicht eine Erklärung von etwas – dafür aber die Selbstbespiegelung moderner Wissenschaftler, die ihre Bemühungen für etwas Hohes ansehen (weil Erklärung ihres Gegenstandes „nicht einfach“, er deswegen das Kompliment, „komplex“ zu sein, verpaßt kriegt!) –, leugnet dieser besserwisserische, auf Wissen aber gar nicht erpichte Standpunkt schlicht, daß die vielen „Ursachen“ und „Faktoren“ für die Krise ihre störende Wirkung eben gegen den Maßstab des Kapitals und sonst nichts ausüben.

Konkurrenz und Kredit

„… die reale Krisis kann nur aus der realen Bewegung der kapitalistischen Produktion, Konkurrenz und Kredit, dargestellt werden.“ (Karl Marx, Theorien über den Mehrwert, MEW 26.2, S. 513)

Ideologen der Schuldfrage wie multifaktorielle Modellbildner eines stetigen Wachstums brauchen sich in ihrer Leugnung des Begriffs der Krise auch nicht die vom theoretischen Standpunkt fällige Frage zu stellen, welche sich aus der Überproduktion ergibt: Wie bringt es eine Klasse, die um des lieben Gewinns willen nur für den Markt produzieren läßt, fertig, „ohne Rücksicht auf die vorhandenen Schranken des Marktes oder der zahlungsfähigen Bedürfnisse“ zu produzieren? Die Krise legt nämlich immerhin davon Zeugnis ab, daß dieselben Geschäftsleute, die mit jedem Pfennig Arbeitslohn so minutiös kalkulieren, die immer wissen, wieviel „die Wirtschaft“ verträgt, in einer Hinsicht sehr prinzipiell „über ihre Verhältnisse“ leben. Sie behandeln den Markt, das zahlungsfähige Bedürfnis der Gesellschaft, als ihre Voraussetzung und gesichertes Mittel, das sie durch die stetige Steigerung der unmittelbaren Exploitation benützen können. „Nur“ die Konkurrenten scheinen ihnen zum Problem zu werden, wenn es um die Vermehrung ihres Reichtums geht – ganz als ob die Beschränkung des Wachstums an anderer Stelle – und überall: der lohnabhängigen Klasse – nicht die Bedingungen der Realisation reduzieren würde!

Mit der in der Krise widerlegten Fiktion, der Markt gewähre dem tüchtigen Kapitalisten, der sich auf ordentliche Ausbeutung, Rationalisierung und fristgemäße Erweiterung seiner Produktion versteht, immer auch sicheren Gewinn, wird in der Konkurrenz tagtäglich Ernst gemacht. Und zwar in allen Angelegenheiten, in denen der Kredit als Hebel für den Gang der Geschäfte angewandt wird.

  • Schon in den einfachen Formen des Kredits, in denen mit Zahlungsversprechen operiert wird, „überspringt“ das Kapital eine Schranke des Marktes. Der Kontinuität des Rückflusses einmal ausgelegten Kapitals darf es nicht schaden, wenn zeitliche oder lokale Beschränkung der Zahlungsfähigkeit vorliegt – so daß Schulden in den Bewegungen des kommerziellen Kredits zirkulieren, als wären sie Geld. Nicht vorhandene Zahlungsfähigkeit wird da im Vertrauen auf den Geschäftserfolg des Schuldners wie der Vollzug eines erfolgreichen Verkaufs behandelt. Im Verhältnis von Gläubiger und Schuldner ergänzen die Konkurrenten ihre negative Beziehung aufeinander um die positive Abhängigkeit von Leuten, die auf den Erfolg anderer bei ihrem Geschäft angewiesen sind. Aber noch in der Weise, daß einzelne Personen oder Unternehmungen das Gelingen der eigenen Transaktionen gefährden und verbürgen.
  • Sobald Schulden nicht nur wie Geld, sondern unmittelbar wie Kapital behandelt werden – wenn also Kredit genommen wird, um ein gewinnträchtiges Unternehmen auf die Füße zu stellen oder eine Erweiterung vorzunehmen, die die (weitere) Teilnahme an der Konkurrenz gewährleistet –, sieht das „Überspringen der Marktschranken“ schon anders aus. Da wird „fehlende Liquidität“ zum positiven Geschäftsmittel: Die Banken, die die flüssigen Mittel, Guthaben wie Schulden, aller verwalten, „versorgen“ ihrerseits die Geschäftswelt mit Kredit und erlauben ihr, das Geld der gesamten Gesellschaft zu verwenden, als wäre es ihr privates Kapital. Zinsen werden erhoben unabhängig davon, ob der erwartete Gewinn der Bankschuldner sich einstellt – und so manche Geldsumme existiert zweimal, und zwar stets mit Anspruch auf ihre Vermehrung. Neben die wirkliche Reichtumsvermehrung tritt eine fiktive Akkumulation, deren Agenten sich viel darauf zugutehalten, den Konkurrenten in der realen Akkumulation zu Diensten zu sein.
  • Dieser Dienst wird von den industriellen Kapitalisten nicht nur nicht ausgeschlagen, sondern zur Konkurrenz um Kredit fortentwickelt. Die Bewährung in der Konkurrenz, im Kampf um Märkte, die die Rentabilität des eigenen Vermögens gegen andere gewährleistet, hängt von der Größe des verfügbaren Kapitals ab. Um von den Schranken loszukommen, die ihnen ihr privates Vermögen setzt, bezüglich des Umfangs ihres Produktionsprozesses, bezüglich des ihnen zugestandenen Kreditvolumens und der Leichtigkeit, in profitable Anlagesphären umzusteigen, organisieren sich Unternehmer von vorneherein auf Grundlage einer Kreditgemeinschaft. Durch Zusammenschluß zu Aktiengesellschaften verschaffen sie ihrem Vermögen seine gewinnbringende Funktion, zu der es für sich nicht mehr tauglich wäre: durch die Aufgabe ihrer Selbständigkeit, durch die Kombination mit fremdem Eigentum sichern sie ihrem Reichtum seine Vermehrung.

So oft der Kampf um rentable Anlagesphären, um die Attraktion von Kredit ausgetragen wird – und das ist in allen wichtigen Geschäftszweigen der „Industrieländer“ der Fall –, findet eine Trennung des Kapitaleigentums von seiner ökonomischen Funktion statt. Aber nicht nur in dem Sinne, daß die berüchtigten „Leistungen“ wie Abstinenz und persönlich-dynamischer Einsatz für das Gelingen der Produktion offensichtlich für die Vermehrung von Eigentum nicht ausschlaggebend sind – lohnabhängige „Mitarbeiter“ erledigen den Kram für eine hohe Stelle in der Hierarchie der Löhne. Der Kapitalmarkt – der Handel mit Wertpapieren, die einen Preis nach Kriterien ihrer „Verzinsung“ im Vergleich mit den Erträgen von Leihkapital (u.a.) erhalten – verselbständigt sich gegen seine Grundlage, die Erwirtschaftung von Überschüssen im Geschäft der Industrie. In noch ganz anderem Maße als beim gewöhnlichen Bankkredit akkumulieren sich in der Spekulation mit Wertpapieren – die in der Börse institutionalisiert ist – nominelle Repräsentanten gar nicht vorhandenen, fiktiven Kapitals.

Diese Eigentumstitel haben für ihre Inhaber die angenehme Eigenschaft, wie alle anderen Formen des Kredits, wie Geld zu funktionieren. Banken, die sich ohnehin gerne im Erwerb solcher „Sicherheiten“ hervortun und sie zu ihren Einlagen zählen, sehen sich in der Lage, viel mehr Kredit in Umlauf zu bringen als ohne solche „Werte“, die an einigen Stellen bereits als Privatvermögen geführt werden – und die „Versorgung“ der „Gesellschaft“ mit „Liquidität“, also Zahlungsfähigkeit, nimmt ihren von keiner materiellen Grundlage getrübten Verlauf. Was da „unter dem Kreditsystem“ zirkuliert, als Umlaufsmittel dient, sind Kreditzeichen, immerzu und überall. Und der Haupt- und Lebensauftrag aller Geschäftsleute, die aus Geld mehr Geld zu machen berufen sind, läßt sich mit Fug (in Anlehnung an das Marx’sche G – G’) als Kredit – Kredit’ darstellen.

In einer Hinsicht allerdings ist die Freiheit trügerisch, die der Kreditüberbau den Geschäftsleuten in Sachen „begrenzte Zahlungsfähigkeit“ oder „Abhängigkeit vom Markt“ verschafft: Der Maßstab ihres Erfolgs bleibt derselbe – ein Überschuß muß her. Die Zahlungsfähigkeit, die durch den in die Zirkulation geworfenen Kredit erzeugt wird, der so gut wie Geld ist, will schließlich ausgenützt sein – und zwar gegen die Konkurrenten wie mit der Erfüllung der Verpflichtungen gegenüber denen, die einen selbst kreditieren. Die Methoden der Konkurrenz unter der Voraussetzung, daß Kreditzeichen das Geld ersetzen, sind ebenso bekannt wie die Folgen:

  • Die Konkurrenz über die „preiswerteste Ware“, die Steigerung des Verhältnisses Kosten/Ertrag durch entsprechende Maßnahmen im eigenen Laden, wird ergänzt um höhere Rechnungen. Daß man preiswerter als die Konkurrenz sein muß, heißt nämlich nicht, darauf zu verzichten, so viel zu verlangen, wie man kriegen kann. Also bewirkt die Geschäftswelt genau das, worauf sie sich beruft: Inflation – in des Wortes populärer Bedeutung, daß alles teurer wird.
  • Ein Erfolg läßt sich bei diesem Vorgehen jedoch nicht in Abrede stellen. Die Leute, die nicht mit der Möglichkeit gesegnet sind, für den Verkauf ihrer Ware von „wegen Inflation“ einfach mehr zu verlangen, werden ärmer. Die Rede ist von den Verkäufern von Arbeit, die den Zuwachs an Umlaufsmitteln in der Geschäftswelt solange als Mangel an „Kaufkraft“ zu spüren kriegen, wie sie nicht organisiert auf einer Teuerung ihrer Arbeitskraft bestehen. Die Herrlichkeit kreditierter Zahlungsfähigkeit erfahren sie nur als technisch verfeinerte Variante des Sich-Einteilens, als „Konsumenten-Kredit“! Und der kostet was, statt ein Mittel darzustellen, durch das man sich schadlos hält! Schulden sind eben entweder ein Geschäftsmittel, das durch Zuwachs der eigenen Gelder lohnend gestaltet wird, oder ein Jammer.
  • Bei allen schönen Errungenschaften in der Frage der Lenkung des Preises der Arbeitskraft bleibt nach wie vor die soziale Verpflichtung des Eigentums erhalten. Und die besteht im Gewinn, von dem in der Marktwirtschaft alles abhängt, vornehmlich „unsere Arbeitsplätze“. Gerade weil sich jedes Unternehmen in Abhängigkeit von Kredit befindet, der ihm zugestanden wird – und die maßgeblichen Kreditvergabeinstanzen, die Banken, sehr genau auf ihren Überschuß achten (fiktiv hin, Kreditzeichen her) –, ist die Bilanz ziemlich entscheidend. Pleite geht man nämlich unter dem Kreditsystem nicht zuerst, um dann seine Bonität zu verlieren. Genau umgekehrt ist es, so daß die Erhaltung der Kreditwürdigkeit bewiesen sein will. Und das geht nur mit schwarzen Zahlen oder mit Erfolgsstrategien, die trotz roter Zahlen einen Vorteil gegenüber der Konkurrenz versprechen. Somit hat sich durch das fiktive Kapital, das so viel zur allgemeinen Zahlungsfähigkeit beiträgt, doch nichts „geändert“.
  • Außer der Kleinigkeit, daß das Ausbleiben von Gewinn, die Nichtwiederverwendbarkeit des Erlöses, die schlechte Auftragslage, die Insolvenz etc. an einer Stelle die Geschäftsgrundlage der gesamten Mafia in Frage stellt. Die positive Abhängigkeit, in die sich Unternehmer, Aktionäre und Banken voneinander über den Kredit begeben, macht sich bemerkbar: Das Vertrauen (lat. credit) auf das Gelingen des Geschäfts hier war die Garantie für das Geschäft dort, so daß der Mißerfolg eines Konkurrenten erstens dessen Kredit ankratzt, den alle Welt wie Geld, über das er verfügt, in Rechnung gestellt hat. Zweitens sind alle, die auf die Zahlungsfähigkeit solcher Pechvögel gebaut haben, um ihr Geschäft rentabel fortzuführen, genauso betroffen. Drittens ist darüber das Kreditvolumen mancher Bank dezimiert – sie gewahrt, daß die in ihren Bilanzen verbuchten Schulden eben kein „gutes Geld“ sind. Geld – von dem in der lausigen Gestalt von Kreditzeichen zuviel unterwegs ist – wird Mangelware.

Die Bewältigung der Krise

„In allgemeiner Krise der Überproduktion ist der Widerspruch nicht zwischen den verschiedenen Arten des produktiven Kapitals, sondern zwischen dem industriellen und loanable Kapital, zwischen dem Kapital, wie es als in den Produktionsprozeß direkt involviert und wie es als Geld selbständig (relativement) außer demselben erscheint.“ (Karl Marx, Grundrisse der politischen Ökonomie, S.316)

Durch das Kreditwesen erhält jedes Unternehmen gemäß seinen Produktionsbedürfnissen Geld zur Verfügung gestellt. Daß alles Geld – außer wenn es für die Konsumtion ausgegeben – Kapital ist, bildet den Ausgangspunkt aller Formen des Kredits. In ihnen verläßt sich die Geschäftswelt auf das Produktionsverhältnis – ganz als hätte der Erfolg von Produktion und Handel, der Überschuß, keinerlei Schranken.

So ziehen die konkurrierenden Unternehmen mit Hilfe des Kredits immer mehr gesellschaftlichen Reichtum an sich, vergrößern in einem fort den Maßstab ihrer privaten Bereicherung, das Kapital, dem „der Markt“ seinen Überschuß bezahlen soll – und mindern durch die Methoden dieses Geschäfts ständig die zahlungsfähige Nachfrage: Keine Kosten sind ihnen ihr Geld wert, wenn sie nicht der Rentabilität dienen. An diesem Kriterium halten sie fest, wenn sie „das Investieren“ für nicht lohnend befinden und der Welt mitteilen, daß „der Markt“ die Gültigkeit der Gleichung Geld = Kredit = Kapital widerlegt hat; und sie geben es auch nicht auf, wenn sie sich an der praktischen Kritik dieses Zustandes zu schaffen machen, der „Krise“ heißt. Ihre Anstrengungen gehen darauf, die vermißten Geschäftsbedingungen – im Namen des Gewinns und für den Gewinn – wiederherzustellen; gegeneinander, versteht sich, und immer auf Kosten der am Geschäft höchstens durch Arbeit beteiligten Mehrheit. Statt einer Feier des Zusammenbruchs der freien Marktwirtschaft pflegt in Krisen

  • das fiktive Kapital seiner Scheinhaftigkeit überführt zu werden; die Streichung einiger Nullen auf den Schuldzetteln gibt dem Kredit das nötige Vertrauen zurück.
  • das aus Gründen der Zahlungsunfähigkeit zum „unbedingten“ Verkauf angebotene Warenkapital sehr billig erstanden zu werden – sofern ein entwertungsgeschädigter Gläubiger genug übrig hat, um seine Verluste in Sachen Kreditreduzierung durch Aufschwungsgeschäfte zu kompensieren – oder einfach zu vergammeln.
  • die Produktionsanlagen, deren Eigentümer keine „Investitionsneigung“ zeigen und an Barem nicht genug haben für ihre Verpflichtungen, wechseln ebenfalls ihren Besitzer zu Niedrigpreisen. Auch hier ist für eine Gläubigerbank, die an Fiktivem einbüßt, ein gewisser Trost zu haben, und wenn es nur das Grundstück ist. Bisweilen kann sich auch ein „relativ“ stabil gebliebener Konkurrent durch einen Kauf für den Aufschwung rüsten; was den Besitzern von Aktien seines Unternehmens, das sich einer gekauften Konkurrenz erfreut,
  • durchaus Krisengewinne beschert. Denn auch auf die gelungene Enteignung läßt sich spekulieren wie aufs Wachstum des Kapitals sonst.

Leider beschränkt sich die Bewältigung von Krisen nicht auf die Kontraktion des Kredits und die damit verbundenen Expropriationsstreitigkeiten. Da sich die Aufwendungen für einen stattlichen Teil der Produktion nicht lohnen angesichts des kontrahierten Marktes, wird nicht nur der materielle Reichtum der abstrakten Form geopfert, in der er beziffert wird. Wo aus der Anwendung von Arbeit kein Geld zu machen ist, wird der Klasse, die vom Verkauf ihrer Arbeit lebt, das Einkommen verwehrt. Das Kapital löst seine übliche Praxis, Attraktion und Repulsion von Arbeitskräften gemäß seinen wechselnden Produktionsbedürfnissen vorzunehmen, durch die Produktion einer Überbevölkerung ab: Zu viele laufen herum, die auf die Gnade eines rentablen Arbeitsplatzes angewiesen sind, wenn das Kapital „schlechte Zeiten“ ausruft. So kommt es zu jener kapitalistischen Idylle, die sich alle paar Jahre wiederholt: Nebeneinander sind alle Elemente für die Produktion von Reichtum versammelt – ungenutzt, weil sie für den Zweck der freien Marktwirtschaft nichts mehr hergeben. Ein Heer von Arbeitslosen wird öffentlich beklagt, wenn es die Erfahrung macht, daß nur zahlungsfähiges Bedürfnis des Genusses kapitalistischer Produkte würdig ist – und darauf aufmerksam gemacht, daß alles vorhandene Geld, und das andere Zeug dazu, erst wieder im Aufschwung im Sinne der Beschäftigung von Lohnabhängigen eingesetzt werden kann. Selbstverständlich unter dem Vorbehalt, daß diese sich so maßvoll und anspruchslos aufführen, wie es einer „abhängigen Variablen“ zukommt…

Früher ertönte in solchen Zeiten, wo der Gegensatz zwischen dem ehrenwerten Geschäftsinteresse der Unternehmerzunft und dem Bedürfnis nach einem Auskommen auf seiten der Arbeiter selten klare Konturen annimmt, der Ruf nach dem Staat. Und zwar nicht nur von seiten der Kapitalisten, die sich bei der Wiederherstellung von brauchbaren Geschäftsbedingungen einiges von der öffentlichen Gewalt erwarten, sondern auch seitens derer, die im Namen der Arbeiter und ihrer tugendhaften Dienstbarkeit die Stimme erheben. Humanitär und umweltfreundlich gesonnene Menschen, fortschrittlich denkende Ökonomen und Gewerkschaftsfunktionäre fanden nichts dabei, als Anwälte der arbeitenden Klasse den Staat anzurufen. Dieses Ansinnen war gute Sitte und ein Zeugnis dafür, wie wenig das „soziale Denken“ davon wissen will, was der Verwalter der freien Marktwirtschaft mit Geld und Kredit, Lohn und Armut zu tun hat.

Heute schlagen sich die auf das Recht und die Nöte der Lohnabhängigen abonnierten Instanzen mit einem Aufruf herum, der von den Regierenden der Nation ergeht. Er lautet: „Der Staat muß sparen!“ und hat auch bei den Männern und Frauen „der Wirtschaft“ großen Anklang gefunden. Für abwegig halten selbst die Gewerkschaften und ihnen zugetane Meinungsbildner diese Losung nicht, obwohl im Konzept eines „Solidarpakts“ und mit den unmißverständlichen Aufsteigern im Häufigkeitswörterbuch – „Opfer“ und „Verzicht“ – alle Zweifel bereinigt sind. Offenbar gewitzt durch die Erfahrung, daß immerhin zehn Jahre Aufschwung die Arbeitslosen und die Armut flott vermehrt haben, halten sie die Krise nun endgültig nicht für eine Zeit, in der sie etwas zu fordern hätten für die „Betroffenen“.

Dafür stellen sie ihre nationale Ader zur Schau und akzeptieren den Befund, daß der Staat und „unsere Wirtschaft“ die Hauptbetroffenen sind. Den Aufruf zum Sparen nehmen sie nicht minder ernst, wenn sie ihre Mitwirkung unter der Zusatzklausel „aber gerecht“ zusichern.

So ist sich im wiedervereinigten Deutschland tatsächlich die ganze Nation einig – über ein Staatsprogramm, das es gar nicht gibt.