„Industrie 4.0“
Ein großer Fortschritt in der „Vernetzung“ und in der Konkurrenz um die Frage, wem er gehört
Unter dem Titel „Industrie 4.0“ wird nicht weniger als eine Zeitenwende verkündet, die zwar dem Namen nach nur die Industrie betrifft, aber der Sache nach die ganze Art und Weise verändern soll, wie in Zukunft produziert und konsumiert wird. Diese neue Welt lernt der Zeitungsleser zunächst und vor allem in Gestalt einer bunten Ansammlung von Stichworten kennen, die von „intelligenter Fabrik“ über „Internet der Dinge“ bis hin zu „Big Data“ reicht und gerne mit der „Digitalisierung aller Lebensbereiche“ zusammengefasst wird.
Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Gliederung
- I. Die „vierte industrielle Revolution“ und ihre systembedingten Widersprüche für die Konkurrenz der Kapitalisten
- 1. Die „Verschmelzung“ von Industrieproduktion mit Informations- und Kommunikationstechnologie
- 2. Die Widersprüche und Probleme, die sich kapitalistische Konkurrenten mit ihrer „Revolution“ einhandeln
- a) Der Widerspruch zwischen der Vernetzung und ihrem Zweck – und die vorwärtsweisende Lösung: Konkurrenz und Kooperation um „Standards“ und „Daten“
- b) Das Problem konkurrierender Kapitale mit der Verschmelzung von IT und Industrie – und die vorwärtsweisende Lösung: Der Kampf um die Beherrschung der gesamten industriell-digitalen „Wertschöpfungskette“
- II. Deutschlands „digitale Transformation“ – einer europäischen Führungsmacht würdig
- 1. Gesamteuropäische Rechtssicherheit unter deutscher Federführung
- 2. Europa als Standort deutscher IT-Kapitale, die denen der USA gewachsen sind
- 3. Die technische Aufrüstung des deutschen Standorts
- 4. Staatliche Moderation der Kooperation von Konkurrenten
- 5. Die Transformation einer Produktivkraftentwicklung zur Souveränitätsfrage
- III. Die Arbeitswelt 4.0
„Industrie 4.0“
Ein großer Fortschritt in der
„Vernetzung“ und in der Konkurrenz um die Frage, wem er
gehört
Unter dem Titel „Industrie 4.0“[1] wird nicht weniger als eine Zeitenwende verkündet, die zwar dem Namen nach nur die Industrie betrifft, aber der Sache nach die ganze Art und Weise verändern soll, wie in Zukunft produziert und konsumiert wird. Diese neue Welt lernt der Zeitungsleser zunächst und vor allem in Gestalt einer bunten Ansammlung von Stichworten kennen, die von „intelligenter Fabrik“ über „Internet der Dinge“ bis hin zu „Big Data“ reicht und gerne mit der „Digitalisierung aller Lebensbereiche“ zusammengefasst wird.[2]
Einerseits soll die neue digitale Ära mit lauter
Verheißungen aufwarten. Das fängt an in der Welt der
Produktion, die sich künftig in smart factories
abspielen wird, in der die physikalische und die
virtuelle Welt
zu cyber-physikalischen
Systemen
verbunden werden. Automaten werden immer
mehr Arbeiten übernehmen – gerade der körperlich
schweren oder stumpfsinnigen
Art; Maschinen werden
aus ihren Schutzkäfigen entlassen und mit ihren
menschlichen Mitarbeitern Seit‘ an Seit‘, zunehmend sogar
Hand in Hand und stets harmonisch
ihr Werk
verrichten. Dazu gesellt sich eine neue Welt von
flexiblen Arbeitszeiten
mit ungeahnten
Home-Office
-Möglichkeiten, die dem Verlangen des
modernen Menschen nach Selbstbestimmung entgegenkommen.
Auch die Konsumwelt wird mit der Digitalisierung und
Automatisierung neuer und besser: Für die Kunden werden
nicht mehr bloß Massenwaren ausgespuckt, sondern ganz auf
ihre jeweiligen Sonderbedürfnisse zugeschnittene Produkte
angefertigt. Außerdem werden die homes
, in denen
die Menschen zunehmend ihre offices
unterbringen,
smart
: Kühlschrank, Herd, Heizung, Jalousie und
Fernseher werden miteinander vernetzt, sodass auch das
Wohnen effizienter, komfortabler und sicherer wird; und
was den Häusern recht ist, ist den Autos billig. Freuen
darf sich schließlich auch die Wirtschaft: Mit
innovativer Technik in der Produktion und mit ganz neuen
Geschäftsmodellen steht eine neue Ära des Geldverdienens
vor der Tür:
„In ihren Studien jonglieren Forscher, Berater und Lobbyisten euphorisch mit einem Wachstumsschub in Milliardenhöhe.“ (SZ, 22.4.16)
Andererseits ist das alles nur die eine Seite der
brave new world
der Digitalisierung. Bei all
diesen Verheißungen handelt es sich nämlich um
Chancen
, und von denen weiß der moderne Mensch
allzu gut, dass sie stets mit besorgniserregenden
Risiken
einhergehen: Wenn Roboter in den zunehmend
menschenleeren Fabriken
immer mehr Arbeiten
übernehmen, dann stehen womöglich immer mehr Arbeiter
arbeits- und einkommenslos vor dem Arbeitsamt und fallen
große Teile der gesellschaftlichen Kaufkraft aus. Die neu
gewonnene Selbständigkeit
der Beschäftigten könnte
sich für die meisten eher als eine bloße
Scheinselbständigkeit
entpuppen – mit einer
Entgrenzung
der Arbeitsleistung und -zeit und
einer flächendeckenden Prekarisierung
der
Arbeitsverhältnisse. Mit dem Aufstieg von Daten zu einem
einträglichen Geschäftsmittel droht wiederum ein Verlust
an informationeller Selbstbestimmung
, sowohl für
Bürger als auch für Unternehmer. Soziologen und ihre
Kollegen in den Feuilletons entwerfen direkt neben ihren
Träumen von einer besseren, digitalen Welt ein
albtraumartiges Bild vom Aufstieg der Roboter
und
dem damit einhergehenden Abstieg der Menschen.
In diesem Hin und Her zwischen Traum und Albtraum, zwischen der Beschwörung einer technologischen Morgendämmerung und der Angst vor ihren Schattenseiten sorgt ein Machtwort der deutschen Kanzlerin, die die Sache damit zur Chefsache erklärt, für Klarheit. Sie erinnert ihr Publikum daran, in welcher Welt das neue, vielversprechende und zugleich unsichere Zeitalter anbricht, wie ihm also einzig zu begegnen ist:
„Wir müssen die Verschmelzung der Welt des Internets mit der Welt der industriellen Produktion schnell bewältigen, weil uns sonst diejenigen, die im digitalen Bereich führend sind, die industrielle Produktion wegnehmen werden.“ (Merkel vor dem Weltwirtschaftsforum in Davos, WISU-Magazin 4/15)
Die Verschmelzung dieser zwei Welten spielt sich also in
der Welt der grenzüberschreitenden Konkurrenz
ums Geschäft ab, und in dieser Welt – gerade in
Deutschland zählt das zu den Grundweisheiten – kommt es
bei der Technik auf den Vorsprung an. Hat man
den nicht, ist die Technik nicht nur nichts wert: Sie
wird umgekehrt zu einer existenziellen Bedrohung, die von
denen ausgeht, die uns
voraus sind. Wenn deutsche
Unternehmer an der digitalen Hauptfront nicht
entschlossen vorangehen, dann laufen nicht nur sie,
sondern auch wir alle
Gefahr, den Anschluss zu
verpassen
und bald endgültig abgehängt
zu
werden. Industrie 4.0 ist also vor allem das: eine
Herausforderung
(Merkel,
Gabriel et al.), die sich nicht umgehen lässt, bei
der vielmehr alles daran hängt, sie als Erster zu
meistern. Da weiß der moderne Mensch zwar immer noch
wenig darüber, womit er es bei dieser Revolution
zu tun hat, aber immerhin, worauf es bei ihr ankommt.
I. Die „vierte industrielle Revolution“ und ihre systembedingten Widersprüche für die Konkurrenz der Kapitalisten
1. Die „Verschmelzung“ von Industrieproduktion mit Informations- und Kommunikationstechnologie
Der Terminus „Industrie 4.0“ wurde einer breiteren Öffentlichkeit bekannt durch die Gründung der gleichnamigen „Plattform Industrie 4.0“ durch die Branchenverbände ZVEI (Elektronikindustrie), VDMA (Maschinen- und Anlagenbau) und Bitkom (IT) – einer Kooperation zwischen Kapitalisten, die ganz genau wissen, was sie aneinander haben: Die IT-Kapitale wollen die industrielle Produktion mit ihrer Hard- und Software noch weiter, nämlich in „revolutionärer“ Weise als Geschäftsfeld für sich erschließen; und bei der Industrie, die sie so ins Auge fassen, treffen sie damit ins Schwarze. Denn auch sie verspricht sich durch die Aufrüstung zur „digitalen Industrie“ einen großen Sprung nach vorne für ihre eigenen Geschäftspotenzen.
Das fängt an mit der umfassenden Automatisierung und Digitalisierung ihrer Produktionsprozesse: Mit der Vernetzung sämtlicher Produktionselemente, die – mit Sensoren ausgestattet und per Software gesteuert – miteinander in der Produktion „kommunizieren“, kann der Produktionsprozess weitgehend autonom und automatisch abgewickelt werden.[3] Das verspricht einen großen Fortschritt bei der Verringerung der notwendigen Arbeit in der Produktion. Der besteht allerdings nicht darin, dass dann für Arbeiter immer weniger Arbeitsaufwand anfällt, sondern darin, dass für Unternehmer der Geldaufwand für Arbeit verringert wird. So sparen sie sich die Lohnkosten für den Lebensunterhalt der Arbeiter, die nicht mehr gebraucht werden – in der Tat ein großer Fortschritt für Produzenten, die zwar alle möglichen nützlichen Produkte, aber das alles nur als Träger für ihr eigentliches Produkt herstellen lassen: den per Verkauf erzielten Überschuss an Geld über ihren Vorschuss. Ganz gemäß der Vernunft, die die Marktwirtschaft regiert, heißt diese Sorte Effektivierung der Arbeit „Rationalisierung“ – und sie verschafft den Unternehmen das entscheidende Mittel, ihre Preise zu senken und sich so in der Konkurrenz um Marktanteile zu bewähren. Dabei macht das Stichwort „menschenleere Fabrik“ deutlich, wie weit die Unternehmer diese Ratio voranzutreiben gedenken: Nicht nur sollen die unterschiedlichsten Arbeitsverrichtungen fast gänzlich von Robotern ausgeführt werden, auch Entscheidungen und Kontrollfunktionen bezüglich des Produktionsverlaufs können zunehmend von – entsprechend programmierten – Automaten und ihren Algorithmen übernommen werden.[4] Neben der Einsparung an bezahltem Personal sorgt das weitgehende Herauskürzen des menschlichen Faktors aus der Produktion auch für eine erhebliche Verkürzung der Produktionszeit.[5] Auch das ist ein Fortschritt für die Veranstalter der Produktion, für die bekanntlich Zeit nicht bloß Zeit, sondern auch Geld ist, für die deswegen jede Minute, die während der Produktion verstreicht, eine Minute zu viel ist. Solange bleibt nämlich ihr investiertes Kapital gebunden, statt wieder für die Fortsetzung und Erweiterung des Geschäfts zur Verfügung zu stehen – ein eindeutiger Widerspruch zum Zweck, für den die ganze Produktion überhaupt unternommen wird. Was dieses Gebot der Beschleunigung für die Arbeiter bedeutet, die noch gebraucht werden, liegt auf der Hand: Sie müssen mit-, also das neue Tempo aushalten.[6]
Diesem Fortschritt der marktwirtschaftlichen Vernunft soll vor allem durch die zweite, als eigentlich revolutionär geltende Leistung der Industrie 4.0 zum Durchbruch verholfen werden: Durch das „Internet der Dinge“ werden Maschinen, Werkstücke, Produkte etc. über die Grenzen der jeweiligen Unternehmen hinweg vernetzt. Zwischen Zulieferern, Händlern und Kunden werden darüber nicht nur allerhand Daten ausgetauscht, sondern auch Prozesse, wie z. B. Bestellung und Bezahlung von Material, Einsatz und Abrechnung von Servicekräften o.ä. automatisch angestoßen So werden auch die der eigentlichen Produktion vor- bzw. nachgelagerten Zirkulationsakte, die auch Zeit kosten, effektiviert: das Einkaufen der benötigten Rohstoffe, Arbeitsmittel, Vorprodukte etc. und der über den Erfolg des ganzen produktiven Aufwands entscheidende erfolgreiche Verkauf der fertigen Waren. Dank der Automatisierung muss nicht länger auf die Entscheidungen der einschlägigen Figuren im Betrieb gewartet werden, sodass auch hier nicht nur Zeit, sondern Geld gespart wird – diesmal nicht für den Lebensunterhalt der benötigten Arbeiter in der Fabrik, sondern für das Personal, das lauter Herrschaftsfunktionen über die Produktion ausübt. Da ist dann die Rede von „flacheren Hierarchien“, die man durch die Beseitigung einiger Zwischenebenen der Verwaltung erreichen kann.[7]
Die Digitalisierung und Automatisierung sowohl der Produktion als auch der Zirkulation sorgt zudem für ein ganz neues Maß an Flexibilität in der Produktion: Erstens wird die Umrüstungszeit der Produktionslinien aufgrund der Beschaffenheit der neuen Produktionsmaschinen, vor allem aber wegen ihrer Software-Steuerung, radikal verkürzt. Zweitens und auf der Basis können unmittelbar – „in Echtzeit“, wie allgemein geschwärmt wird – einkaufsrelevante Informationen aus dem Zulieferungsbereich (z.B. Preisentwicklung bei den Energieträgern) sowie verkaufsrelevante Informationen aus den Absatzmärkten (z.B. Entwicklung der Verkaufszahlen und Kundenwünsche) in den Produktionsprozess einfließen und ihn automatisch an die Marktlage anpassen. Auftragslage, Bestellungen etc. können hinsichtlich ihrer Quantität und Qualität mit dem Auslastungsgrad, den aktuellen Produktionsabläufen, dem Vorratsbestand etc. abgeglichen, die Produktion tendenziell ohne Zeitverzögerung umprogrammiert und benötigte Materialien automatisch geordert werden [8] – womit sich schon wieder Einsparpotenzial auftut, nämlich beim Geldaufwand für die Lagerhaltung. Dieser Zusammenschluss der Produktions- und Zirkulationsprozesse verschafft den Unternehmen außerdem neue Waffen in ihrem Kampf um die zahlungsfähige Nachfrage. Dazu gehört an prominenter Stelle die zeitnahe Realisierung von Kundenwünschen – einmal online losgeschickt, kann die Kundenbestellung unmittelbar in der Produktion umgesetzt werden – sowie die vielzitierte „Losgröße Eins“: eine Kombination der Vorzüge der Massenfertigung und der Maßanfertigung. Die Produktion geringster Stückzahlen wird rentabel, also auch gemacht.
Dieses Interesse an der Einsparung von Zeit und Kosten durch die Vernetzung von Produktion und Zirkulation führt zu einer neuen, folgenreichen Form der Kooperation zwischen kapitalistischen Konkurrenten. Zwischen Industrieunternehmen und Zulieferern bzw. Abnehmern, aber auch zwischen Betrieben, die im Prinzip das Gleiche herstellen, entstehen „Wertschöpfungsnetzwerke“: Der Bedarf des einen Unternehmens – an Zulieferung oder Übernahme eines Teils der eigenen Produktion, etwa wegen eines außerordentlich hohen Auftragsvolumens – setzt unmittelbar die Produktion in einem anderen Unternehmen in Gang, und zwar in genau der benötigten Menge und Qualität. Ihre jeweiligen Produktionsprozesse greifen also automatisch ineinander, sie überschreiten die Unternehmensgrenzen und relativieren damit die exklusive Verfügung der Betriebsherren über ihr produktives Eigentum – damit ihr Eigentum besser dem Zweck entspricht, sich zu vermehren.
Mit dem Medium für diese unternehmensübergreifende Vernetzung von Produktion und Markt, dem Internet, machen IT-Unternehmer schon länger ihr Geschäft. Netzwerkbetreiber und -dienstleister stellen mit Kabeln, Funkfrequenzen, Routern, Datenübertragungssystemen und Clouddiensten die harten und soften Bedingungen dafür her, dass Geschäfts- wie Privatleute das Netz für ihre jeweiligen Zwecke benutzen können. Mit ihren diversen „platforms“ können Betriebe ihre Produktionsprozesse vernetzen, die mit dem Anwachsen der Datenmengen erforderlichen Speicherkapazitäten in Clouds auslagern und benötigte Software von externen Großrechnern abrufen etc. Schließlich können Lieferanten, Käufer und Verkäufer, Kunden und Geschäftspartner in Echtzeit und weltweit zueinander finden. Eine besondere Bedeutung kommt dabei IT-Unternehmen wie Google, Amazon, Facebook und Co. zu, die sich inzwischen zu unumgehbaren Vermittlern zwischen den jeweiligen Ansprüchen und dem Netz gemacht und damit einen entscheidenden Beitrag zu dessen globaler Verbreitung geleistet haben: Nicht zuletzt durch ihr Wirken ist das Internet zu dem globalen Kommunikations- und Zirkulationsmedium geworden, das es heute ist. Sie bieten die Zentralisierung und Koordinierung sämtlicher Zirkulationsakte an – organisieren Internet-Plattformen, statten Kaufinteressenten mit Suchmaschinen aus, versenden Werbung mittels sozialer Netzwerke gleich an Milliarden von potentiellen Kunden etc. Die Plattform-Anbieter etablieren sich damit als eine Art virtuelles Gesamthandelskapital und stiften einen virtuellen Gesamt-Marktplatz für den Einkauf von Arbeitsmitteln, Rohstoffen, Vor- und Endprodukten, für die Erschließung weltweiter Märkte und für die Möglichkeit, Käufer an sich zu binden.
Mit den neuen, „revolutionären“ Angeboten des IT-Sektors
lässt sich schließlich aus den Unmengen an
Daten, die in der vernetzten Welt von Produktion
und Konsum anfallen, ein eigenes Geschäftsmittel
machen. Digitalisierte Informationen über die
„Kommunikation“ zwischen den „Dingen“, massenhafte
„Clicks“ und „Footprints“, die bei jeder Nutzung des
Internets hinterlassen werden, „Kenntnisse“ über das
Einkaufs-, Partnersuch- oder Urlaubsverhalten usw. –
diese Daten sind zum „Öl des 21. Jahrhunderts“, zum
„Kapital der Zukunft“ ausgerufen worden, deren
Speicherung, Auswertung und Verknüpfung mit Daten aus
anderen Datenquellen für eine ganz neue Welt an
Geschäftsmöglichkeiten mit Big Data
sorgen sollen.
Wie diese Verwandlung von digitalen Abfallprodukten in
sprudelnde Geschäftsquellen vonstattengeht, lässt sich
jetzt schon studieren: In der Industrie
fungieren die in Produktion und Zirkulation anfallenden
Datenmassen vor allem als Instrumente für die Optimierung
von Produktionsabläufen, Logistik, Lagerhaltung etc.
Damit können Fehlerquellen, die zu Stockungen,
Qualitätseinbußen und ähnlichem führen, schnell
zugeordnet und abgestellt werden; aus Verlaufsdaten
gewonnene Vorhersagemodelle erlauben es, Verschleiß und
Ausfälle von Maschinen vor ihrem Eintreten zu erkennen
und Abhilfe zu schaffen; Einkauf, Transport etc. werden
datenmäßig erfasst und für die Perfektionierung einer
„just in time“-Produktion optimiert; für zielgenaue
Kundenwerbung und -betreuung werden deren Daten gesammelt
und mit der aus allen möglichen anderen Datenquellen
prognostizierten Nachfrage nach dem jeweiligen Produkt
verknüpft. Schon länger praktiziert das
Handelskapital – die Online-Plattformen sowieso
– diese Sorte Datenerhebung und -verknüpfung, um
Kundenprofile zwecks „Microtargeting“ zu erstellen. Hier
werden Daten massenhaft und gezielt akkumuliert, damit
man sie zur Optimierung von Werbung, Kundenbindung,
Angebotsstruktur, Preispolitik etc. nutzen kann. Das
Erheben und Sammeln von Daten wird zum eigenen
Zweck,[9] aus
den digitalen Abfallprodukten ein eigenständiges Produkt
und Geschäftsmittel, das man entweder selbst nutzt oder
anderen Unternehmen, die daran zur datenbasierten
Effektivierung ihres jeweiligen Geschäfts interessiert
sind, zum Kauf anbieten kann. Die zum Verkaufsobjekt
fortentwickelten Datenmassen werden nicht nur von
industriellen oder Handelskapitalen nachgefragt, sondern
finden auch in so disparaten Feldern Anwendung wie in
medizinischen Forschungsprogrammen, die aus der
Verknüpfung von Millionen von Patientendaten Schlüsse auf
Therapiemöglichkeiten ableiten wollen, in Wetterdiensten,
an deren Daten Versicherungen oder Energieunternehmen
interessiert sein könnten, bis hin zu Wasserwerken, die
Datenmassen aus unterschiedlichsten Quellen miteinander
verbinden, um damit Rohrbrüchen und anderen Ausfällen
vorzubeugen.[10]
Das alles gibt der gesamten Geschäftswelt schwer zu denken – genauer: über neue Geschäftsmodelle nachzudenken: Neue Produkte wie das komplett vernetzte Haus, in dem nicht nur alle digitalisierbaren Funktionen im Inneren miteinander, sondern diese mit Außentemperatur, Wettervorhersage, Smartphone des Hausbesitzers, Autoschlüssel etc. zu einem „Smart Home“ vernetzt sind, könnten da ebenso die Konkurrenz um die abzuschöpfende Kaufkraft bereichern wie neuartige Dienstleistungen, durch die etwa industrielle Unternehmen ihre herkömmlichen Geldquellen um Angebote erweitern, die bislang das Geschäftsmittel von Unternehmen z.B. aus der Versicherungsbranche waren.[11] Das regt manche Vordenker des Produktionsgewerbes zu Überlegungen an, ob mit solchen Serviceleistungen künftig vielleicht mehr Geld zu verdienen ist als mit den bisherigen Produkten, die dann nur noch – wie schon heute das Handy – die dafür notwendige Hardware darstellen würden. Und das soll alles bloß der Anfang sein: Obwohl die Verkünder dieser neuen Geschäftssphäre, die alle Branchengrenzen sprengen soll, zum Teil selbst (noch) nicht wissen, womit da im Einzelnen Gewinne zu machen sind, stachelt sie das nur umso mehr an, entsprechende künftige Geschäftsideen zu suchen und zu entwickeln, um Daten irgendwie zu Geld zu machen.
*
Angesichts all dieser Leistungen und der Möglichkeiten, die sie eröffnen, ist für das industrielle Kapital einerseits klar: Die „Industrie 4.0“ stellt ein entscheidendes Mittel für seine Konkurrenz um Märkte dar; durch die Inanspruchnahme der einschlägigen Technik fällt sein Fortschritt als industrielles Kapital sogar zunehmend mit dem digitalen Fortschritt zusammen. Wer als Industrieunternehmer seinen Erfolg sichern und ausbauen will, darf den großen Sprung nach vorne nicht verpassen, der sich auf dem digitalen Feld abspielt; dort entscheidet sich letztlich die Tauglichkeit seiner Produktion als kapitalistisches Bereicherungsmittel. Andererseits: In dem Maße, wie die industriellen Kapitalisten diese Technik in Anspruch nehmen, bekommen sie es mit nicht nur in übertragenem Sinne eigentümlichen Problemen zu tun.
2. Die Widersprüche und Probleme, die sich kapitalistische Konkurrenten mit ihrer „Revolution“ einhandeln
a) Der Widerspruch zwischen der Vernetzung und ihrem Zweck – und die vorwärtsweisende Lösung: Konkurrenz und Kooperation um „Standards“ und „Daten“
Das erste Problem scheint zunächst ein bloß technisches
zu sein: Wenn Unternehmen und ihre smarten Dinge mit
ihresgleichen in der ganzen Welt kommunizieren und
automatisch Zirkulations- bzw. Produktionsakte anstoßen
sollen; wenn Maschinen-Automaten in alle Welt verkauft
werden, mit dem Produktionssystem des Käufers kompatibel
sein und überdies per Internet in Echtzeit gesteuert und
gewartet werden sollen; wenn noch jede Schraube nicht nur
ihre technischen Eigenschaften und ihren Standort
mitteilen können soll, sondern auch noch sich selbst neu
bestellen, sobald sich ihr Bestand dem Ende zuneigt, und
das auch noch möglichst beim weltweit billigsten
Lieferanten; wenn im neuen Verkaufsschlager „Smart Home“
lauter Haushaltsgeräte, womöglich von unterschiedlichen
Herstellern, miteinander vernetzt werden sollen etc.:
Dann erweist sich das Nebeneinander von tausendfach
verschiedenen, weil von den jeweiligen Unternehmen bei
sich etablierten technischen Spezifikationen als Schranke
fürs Geschäft. Deren Überwindung ist also gefordert. Die
hat aber zugleich einen bedeutenden Haken. Generell sind
solche Spezifikationen nämlich Waffen in der Konkurrenz
der Kapitalisten. Sie fungieren als Mittel, eine einmal
eroberte Marktmacht zu verstetigen, Käufer des eigenen
Produkts und Kunden der angebotenen Dienstleistung an
sich „zu binden“. Im Idealfall sichern sie die
Monopolstellung ab, die man sich mit seinem
Betriebssystem, mit seinen Airbags oder was auch immer
verschafft hat: Sie sind der etablierte State of the Art,
der „de-facto-Standard“, der im Weltgeschäft gilt und an
dem kein Wettbewerber vorbeikommt. An diese Usancen der
Konkurrenz rührt der digitalisierte Fortschritt der
Technik: Mit der Entstehung eines „Internet of
Everything“ avanciert die Standardisierung –
vereinheitlichte Datenformate, Schnittstellen,
Basissoftware etc. – zum wichtigsten Treiber der
vierten industriellen Revolution
(FAZ, 17.11.15); und es wird sofort klar,
dass es hier um viel mehr als um eine technische Frage
der Normierung geht. Das Interesse der industriellen
Kapitalisten an der Vernetzung ihrer Betriebsabläufe
stößt sie auf eine Schranke, die sie ihrer
marktwirtschaftlichen Natur nach für einander darstellen:
private Unternehmer mit ihren jeweiligen
Spezifikationen, die Resultat wie Absicht ihrer
konkurrierenden Geschäftsbemühungen sind. Genau diese
Privatheit tritt ihnen hier in Gestalt der
„Inkompatibilität“ ihrer Produkte als Hindernis für eine
Vernetzung entgegen, die sie zur Beförderung ihrer
Geschäfte ins Auge fassen. Und weil der Fortschritt, den
die Vernetzung bringen soll, ganz im Dienst ihrer
privaten Geschäftsinteressen steht, ist es nur
konsequent, wenn ihre Konkurrenz die neue Verlaufsform
findet, mittels der Herstellung von allgemeinen
Standards, durch die Datenverarbeitungs- und
Datenübermittlungs-Systeme harmonisiert werden sollen,
exklusive Gewinninteressen zu verfolgen. Da
diese Konkurrenz im Bereich der industriellen Produktion
– im Unterschied zu anderen IT-Feldern, wo meistens
US-amerikanische Monopole dominieren – noch nicht
entschieden ist, sehen entsprechend ambitionierte
Unternehmen ihre große Chance für den Sieg in der
Schlacht um die Entwicklung und Durchsetzung der
technischen Voraussetzungen des Geschäfts. Gerade
deutsche bzw. europäische Unternehmen wollen auf diesem
Feld der „Interoperabilität“ von Maschinen, Werkstücken
etc. ihre Position als „Maschinenausrüster der Welt“
dafür nutzen, sich zu maßgeblichen Subjekten der
Normierung zu entwickeln, weil eben daran ihr zukünftiger
Weltmarkterfolg hängt.[12] Dabei gibt es prinzipiell
zwei Strategien, die nebeneinander und in Abhängigkeit
von Konkurrenzstand und -aussichten, praktiziert werden.
Unternehmen können allein oder im Zusammenschluss mit
anderen Standards entwickeln und in ihre Maschinen,
Roboter-Systeme etc. implantieren, um diese dann als
allgemeine Norm zu etablieren. Hier hängt die
Verallgemeinerung des exklusiven Standards davon ab,
inwieweit sich der Standard-Entwickler mit seinen
Produkten in der Konkurrenz um den Markt durchsetzt.
Andere setzen dagegen auf „offene Standards“ mit dem
besonderen Verkaufsargument für ihre Kunden, die das
Eingehen allzu großer Abhängigkeiten von ihren
Dienstleistern scheuen und sich generell den Zugang zu
einer „second source“ offenhalten wollen, dass ihre
Maschinen oder sonstige Produkte beliebig mit anderen
Produkten oder Anwendungen verknüpft werden können. In
diesem Fall geht man gerade von der Exklusivität ab, um
eine überlegene geschäftliche Position über den Weg der
allgemeinen Zugänglichkeit zu Vernetzung und
Interoperabilität zu erringen.
Daneben schließen sie sich mit ihresgleichen, mit
Forschungsinstituten, Verbänden etc. in nationalen oder
internationalen Kooperations-Plattformen wie der
„Plattform Industrie 4.0“ oder der US-amerikanischen IIC
(Industrial Internet Consortium) zusammen, um so
etwas wie eine Lingua franca der digitalen Fabrik
(FAZ, 2.3.16) zu schaffen.
Mit dieser Kooperation zollen sie einerseits dem
universellen Charakter der Sache Tribut, die da
angegangen wird: Immerhin geht es um eine allgemeine
Vernetzung über Länder- und Unternehmensgrenzen hinweg,
an deren Existenz alle Beteiligten interessiert sind,
weil daran der geschäftliche Fortschritt hängt, der mit
dem Internet der Dinge erreicht werden soll; daher sind
alle von den ungelösten technischen Fragen der
Interoperabilität digitalisierter Systeme betroffen.
Andererseits stellt auch diese Kooperation nichts anderes
als eine Form der Konkurrenz dar: Auch die Unternehmen
und Nationen übergreifende Zusammenarbeit auf dem Gebiet
der Standardisierung verfolgt nicht den Zweck, Standards
zu entwickeln und zu verbreiten, damit es sie gibt und
jeder sie nutzen kann. Die einschlägigen Gremien,
Plattformen und Konferenzen ähneln der
zwischenstaatlichen Praxis der Diplomatie, bieten
Gelegenheiten herauszubekommen, wie weit die anderen auf
welchem Gebiet sind, sowie Chancen, sich mit seinen
Lösungen für die Probleme der anderen einzubringen, um
darüber die eigenen Standards weiter zu verankern.
Womöglich lassen sich – dies die schönste, kapitalistisch
adäquate Form der Kooperation – Koalitionen schmieden, um
sich gegen Dritte durchzusetzen. Adäquat deswegen, weil
es bei dieser Sorte Sistierung ihrer
kapitalistischen Konkurrenz [13] um nichts Geringeres als
die Voraussetzung für die Steigerung ihrer jeweiligen
Konkurrenzmacht geht – und zwar für den Kampf um einen
wahrhaft globalen Markt.[14]
*
Der Widerspruch, dass das Mittel, die eigene
Konkurrenzfähigkeit gegen die Konkurrenten zu
steigern, in der Vernetzung mit anderen
Konkurrenten besteht, macht sich in Gestalt eines
Dilemmas
geltend, das in Bezug auf das Schicksal
der eigenen Daten problematisiert wird: Das
fängt an mit dem Funktionieren der
Wertschöpfungsnetzwerke, die Unternehmer eingehen, um die
Kosten und die Dauer der Produktion und Zirkulation ihrer
Waren zu senken. Die Integration der Produktionsprozesse
erfordert zwischen den Beteiligten ein Agreement, das
eine Offenlegung und gegebenenfalls Anpassung
der jeweiligen Abläufe, Datensysteme etc. umfasst. Auch
das ist keineswegs bloß eine technische Frage, sondern
ein grundsätzliches Problem: Schließlich ist und bleibt
der „Clusterpartner“, dem man derart Einsicht in die
eigenen betriebsinternen Abläufe konzediert, ein
misstrauisch beäugter Konkurrent und daraus erwachsen den
Herren der kapitalistischen Betriebe die nächsten
„Problemfelder“[15]: Wenn, wie sie es so sehen,
die Kontrolle über und die Beherrschung der
Betriebsabläufe nicht mehr exklusiv in ihren Händen
liegt, könnten ihre Partner nicht nur Störungen
verursachen, die den Betriebsablauf unter ihrem Kommando
betreffen; sie könnten auch auf das „Know-how“ zugreifen,
das das Konkurrenzmittel der eigenen Firma ist und
bleiben soll und zu dem so gut wie alles gehört, was sich
auch nur irgendwie zu dem Sammelbegriff einer ‚Corporate
Identity‘ assoziieren lässt. Der Umgang mit diesem
Dilemma erfordert konsequent das Tätigwerden einer
höheren Gewalt: die rechtliche Regelung der
Gegensätze, die auf dem üblichen Vertragsweg
kooperationsfähig gemacht werden sollen.[16] Darüber wird
Datensicherheit zu einer Gretchenfrage
der neuen
Ära. Denn mit der allgemeinen und globalen
Zugänglichkeit, die das Internet herstellt, werden die
eigenen Daten, Algorithmen, Protokolle etc. – ein mit dem
Fortschritt der Digitalisierung zunehmend entscheidendes
Herzstück und Augapfel jedes Unternehmens – dem Risiko
ihres unbefugten Abgreifens, der Wirtschaftsspionage und
Sabotage ausgesetzt. Kaum wird ein allgemein verfügbares
Mittel für universelle Vernetzung, zum Fluss von Daten
und deren Nutzbarmachung für Produktion und Verteilung
hergestellt, erwächst den kapitalistischen Konkurrenten
genau daraus ein grundsätzliches Dilemma: Durch ihre
geschäftsdienliche Vernetzung bauen die
Unternehmen sich und ihr gesamtes Inventar an Daten,
Ressourcen und geschäftlichen Strategien in einen
allgemeinen Zusammenhang ein, der sie womöglich dem
geschäftsschädigenden Zugriff von Konkurrenten
und Feinden aussetzt. Insofern ist das, was sich ihnen
als Dilemma darstellt, der Sache nach nichts anderes als
der grundlegende Widerspruch ihres Systems: Die
gesellschaftliche Kooperation, die sie für ihr Geschäft
brauchen, steht im Widerspruch zum Ziel, für das sie sie
brauchen – die Vermehrung ihres Eigentums auf Kosten der
Konkurrenten.
Um nicht die ganze schöne Idee vom gewinnsteigernden Internet der Dinge und der Vernetzung mit anderen Unternehmen an diesem Widerspruch scheitern zu lassen, stehen die Konkurrenten vor der aparten Aufgabe, das, was sie im Interesse ihres Geschäfts unbedingt freisetzen wollen, zugleich zu begrenzen. Die Allgemeinheit des Mediums einerseits und der sich darauf richtende exklusive Nutzungsanspruch andererseits müssen miteinander vereinbar gemacht werden. An den Daten selbst ausgedrückt: Man soll die eigenen Daten weitergeben können, ohne ihr exklusives Nutzungsrecht zu verlieren. Umgekehrt gesagt: Man soll sie als Eigentum behalten, also gegen Konkurrenten, Daten-Diebe und Saboteure abschotten können, ohne sie deswegen für sich behalten und gegen einen nützlichen Zugriff von Partnern abschotten zu müssen. So wird die Fähigkeit, andere von der Kenntnis und Nutzung der eigenen Daten auszuschließen, zur entscheidenden Voraussetzung für die geschäftsdienliche Nutzung ihrer Verallgemeinerung. Inzwischen beschäftigen Unternehmen ganze Abteilungen mit der Aufgabe, per Verschlüsselung, Sicherheitssoftware, Firewall u.ä. den unerwünschten Zugriff durch feindliche Interessenten beim allseitigen Datenverkehr soweit wie möglich auszuschließen. Und es wäre nicht der Kapitalismus, wenn findige Geschäftemacher es nicht verstünden, aus diesem Widerspruch des kapitalistischen Geschäfts ein eigenes Geschäft und einen eigenen Konkurrenzgegenstand zu machen, so dass Datensicherheit zu einer stets wachsenden Geschäftssphäre wird. Damit ist der Widerspruch allerdings nicht aufgelöst: Die exklusive Verfügung über die eigenen Daten und die darin lauernden Konkurrenzmittel scheinen für viele Firmen – gerade im deutschen Mittelstand – so entscheidend zu sein, dass sie wegen des befürchteten Daten-Sicherheitsrisikos den Einstieg in die neue Vernetzungs-Technologie nach wie vor scheuen.[17]
Doch das für die Nutzung der neuen Technologie erforderliche Überschreiten der Unternehmensgrenzen wirft nicht nur gewisse Entscheidungsprobleme für den Mittelstand, sondern auch einige juristische Probleme auf, die schon wieder nichts mit der Technik, aber alles mit deren privateigentümlicher Anwendung zu tun haben. Um nur ein Beispiel zu nennen, mit dem die Rechtsanwälte und Gerichte noch ganz gut klarzukommen scheinen, wenn es darum geht, diese Verschmelzung unter die Prinzipien des Eigentums- und Vertragsrechts zu subsumieren: Wer haftet für die Funktionsfähigkeit der „hybriden Produkte“, wenn diese eine Kombination aus IT und physikalischen Elementen darstellen? Der industrielle oder der IT-Kapitalist?[18] Bei „Big Data“ stellt sich die Frage der exklusiven Verfügung in sehr grundsätzlicher Weise: Wem gehören eigentlich die digitalisierten Informationen, die bei der Nutzung des Internets anfallen?[19] Eine absurde Frage, die sich nur im Kapitalismus, dort aber sehr dringlich stellt, weil es sich dabei um den Stoff für ein großes Geschäftsfeld handelt. In diesem Fall steht die kapitalistische Eigentumsfrage allerdings in gewisser Weise Kopf: Da ist nicht wie sonst üblich das Eigentum an den Sachen der feststehende Ausgangspunkt von Produktion und Verteilung, sondern es wird wegen des Geschäftsinteresses an dieser „luftigen“ Materie zur offenen Frage. Die faktische Verfügung über die Daten und die technische und ökonomische Fähigkeit zu ihrer Auswertung ist eine Sache; die kapitalistisch entscheidende Frage ist aber, wer exklusiv über sie verfügt, wer sie unter welchen Bedingungen als Geschäftsmittel benutzen darf – und dieser Klärungsbedarf ruft die hoheitliche Gewalt auf den Plan: Die Eigentumsfrage wird zum Gegenstand juristischer Auseinandersetzungen bzw. Konstruktionen, die der Inkommensurabilität zwischen dem Eigentumsanspruch und der Sache, auf die er sich richtet, seit sie in der Welt ist und geschäftliche Begehrlichkeiten weckt, Rechnung tragen. Das alles auf gewohnte Weise den vorhandenen Paragraphen zu subsumieren, scheint nicht immer so ganz einfach zu sein – so dass auch an solchen juristischen Drangsalen der Fortschritt deutlich wird, der mit der Industrie 4.0 bzw. dem Internet der Dinge in die Welt gekommenen ist: Der als „vierte industrielle Revolution“ ausgerufene Fortschritt der Produktivkräfte besteht im Kern in der Fortentwicklung der Gesellschaftlichkeit des Produktionsprozesses – und stellt zugleich das Mittel für nichts anderes als die Konkurrenz der Privatunternehmen um die Vermehrung ihres jeweiligen Eigentums dar.
b) Das Problem konkurrierender Kapitale mit der Verschmelzung von IT und Industrie – und die vorwärtsweisende Lösung: Der Kampf um die Beherrschung der gesamten industriell-digitalen „Wertschöpfungskette“
Dass der Fortschritt der Industrie auf ihrer Verschmelzung mit IT beruht, gibt vor allem hierzulande Anlass zu einer sehr prinzipiellen Sorge: Je weit- und tiefgreifender die Leistungen der IT-Kapitale genutzt werden, desto größer wird auch die Befürchtung der Industrie-Kapitale, in eine schädliche Abhängigkeit von den Konkurrenten zu geraten, denen sie die Mittel ihres eigenen industriellen Fortschritts verdanken. Noch so eine Schönheit der Arbeitsteilung im Kapitalismus also: In dem Maße, wie eine Technologie ihre Nützlichkeit beweist, wird sie zu einem Machtmittel der Anbieter über diejenigen, die daraus ihren geschäftlichen Nutzen ziehen. Die erste Form, in der das industrielle Kapital die Macht seiner IT-Partner teils schon zu spüren bekommt, teils für die Zukunft befürchtet, besteht in dem Preis, der für die diversen Leistungen des IT-Kapitals zu entrichten ist – sei es für die Software, mit der sie ihre Produktion vernetzen, für die Erschließung eines virtuellen Gesamt-Marktplatzes, für Cloud-Dienste oder für die Technik zur Erhebung und Auswertung von Big Data. Bei alledem geht es allerdings nicht um den einmaligen Kauf eines Stücks Technik, sondern eben um die dauerhafte Verschmelzung von IT mit ihrer Produktion und ihren Produkten – sodass die Sorge aufkommt, ebenso dauerhaft der monopolartigen Marktmacht ihrer IT-Partner ausgeliefert zu sein.[20]
Der Gegensatz, der sich an die gewachsene Bedeutung des
IT-Kapitals knüpft, führt inzwischen weit über die
Preisfrage hinaus. Wenn Autos zu „Apps auf Rädern“ und so
gut wie alle industriellen Produkte „hybrid“ werden; wenn
IT-Unternehmen das Handelsgeschäft mit der ganzen Welt
vermitteln und in dieser Funktion umso attraktiver
werden, je mehr sie es schaffen, den Weltmarkt lückenlos
aufzubereiten, ihre Domäne also dermaßen umfassend zu
beherrschen, dass kein Unternehmen und kein Kunde an
ihnen vorbeikommt; wenn schließlich ihre Verfügung über
die Datenmassen und die Kapazitäten zu ihrer Aufbereitung
monopolverdächtig werden – dann kommt gerade bei
deutschen Industriekapitalisten die Sorge auf, zur
verlängerten Werkbank
der IT-Unternehmen zu
verkommen, gewissermaßen zu austauschbaren Lieferanten
des Krimskrams, den die IT-Platzhirsche für das große
Geschäft, das sie machen, auch noch brauchen. So stellen
sich deutsche Industriekapitale und Weltmarktführer ihre
industrielle Revolution nicht vor, dass das wirklich
große Geschäft mit ihren Produkten nicht sie,
sondern die Zulieferer der IT-Anteile zur Industrie 4.0
machen. Mit dem Selbstbewusstsein, das sie aus ihrem
gewohnten Erfolg beziehen, nehmen sie die Konkurrenz um
das verschmolzene Geschäft auf – und die dreht sich jetzt
um die Frage, wer über die zunehmende Verzahnung
zwischen IT, Industrie und Handel, also über den
digitalisierten Produktionsprozess überhaupt bestimmt. Um
es in der Sprache der Experten auszudrücken: Wer ist hier
Lead Firm
und wer bloßer Zulieferer? Wer kann dem
Konkurrenten den geschäftlichen Nutzen aus der
Verschmelzung von IT und Industrie wegnehmen bzw. ihn zum
Gehilfen des eigenen Geschäfts degradieren?
Diese Konkurrenz betreiben auf der einen Seite IT-Unternehmen zum Beispiel so, dass sie sich die Hardware für ihre Produkte einkaufen, wie Apple, das die physikalischen Anteile seiner Produkte im Billiglohnland China fertigen lässt, oder wie Google, das in die Auto-Produktion einsteigt und damit den etablierten Industrieunternehmen auf deren ureigenstem Feld als Konkurrent gegenübertritt. Die Grundlage für diesen machtvollen Auftritt ist neben ihrer Verfügung über die zentralen soften „Innovations-Instrumente“ und ihre Etablierung als Marke vor allem die beeindruckende Kapitalgröße, zu der sie es mittlerweile gebracht haben. IT-Monopolisten nutzen ihre „Datenhoheit“ – genauer: die Kapitalmacht, zu der sie es mit der Verwertung ihrer Daten gebracht haben und die ihnen überhaupt den Sphärenwechsel in dem gigantischen Umfang gestattet, den sie ins Auge fassen – , um in die Konkurrenz um die neuartigen „Ökosysteme“, das heißt die Verknüpfung von Produkten mit damit verbundenen Serviceangeboten, einzusteigen: Sie ergänzen ihr Imperium um Produktionsbetriebe aller Art, um derart den etablierten industriellen Unternehmen vor allem auf dem Gebiet zukunftsträchtiger Produkte jede geschäftliche Zukunftsperspektive zu nehmen.
Spätestens da wird deutschen Industriekapitalisten auf der anderen Seite klar: Das alles muss man selbst können. Sie müssen sich selbst die IT-Fähigkeiten verfügbar machen, die für die Beherrschung der vernetzten Produktion nötig sind – und machen sich daran, den Spieß umzudrehen, sich die benötigte IT-Kompetenz durch den Ausbau eigener IT-Abteilungen [21] bzw. den Aufkauf von Softwarefirmen zu verschaffen und sich so deren Leistungen einzuverleiben.[22] Da geht es längst nicht mehr bloß darum, einer Abhängigkeit zu entgehen – das wäre viel zu defensiv gedacht. Die Furcht, zur Werkbank degradiert zu werden, verwandeln ambitionierte deutsche Industriekapitale in den Anspruch, selbst die Kapitalisten zu sein bzw. zu werden, die den größten Anteil der „Wertschöpfungskette“ okkupieren, also den Löwenanteil des Geschäfts machen, das mit der Produktidee anfängt und mit dem Recycling des Produkts immer noch nicht aufhört, sondern mit der Verwertung der Daten weitergeht, die bei alledem so massenhaft anfallen. Sie widmen sich dem neuen Konkurrenzgegenstand „Datenhoheit“, besorgen sich die benötigten Daten und Auswertungskapazitäten und werden darüber selbst ernstzunehmende Konkurrenten im Big-Data-Geschäft. Was der Chef einer ehrgeizigen deutschen Autofirma lapidar so ausdrückt:
„‚Die Wertschöpfung verschiebt sich von der Hardware in Richtung Software und Services,‘ sagt der BMW-Chef [Harald Krüger]. Ein Satz, den man auch so übersetzen könnte: Bisher haben wir unser Geld nur mit Autos verdient. Demnächst werden wir unser Geld auch mit digitalen Diensten und anderen Dienstleistungen verdienen“ (SZ, 17.3.16),
gilt genauso für andere deutsche Großkapitale wie z.B.
Bosch, das vom intelligenten Haus (smart home) über
das autonome Auto bis zur vernetzten Fabrik Lösungen
anbietet, oder Siemens, das nicht nur die gesamte
Wertschöpfungskette
bestimmen will, sondern
zusätzlich über drei ‚Cyber Security Operation Center‘
in München, Lissabon und Milford (Ohio) den Schutz von
Industrieanlagen rund um den Globus vor Hackern
liefert (FAZ, 25.4.16).
Der Kampf wird also von beiden Kapitalfraktionen um die Beherrschung des zur Einheit von IT und Industrie verschmolzenen Geschäfts geführt – jenseits der obsolet gewordenen Branchengrenzen und der jeweiligen Startposition. Doch offenbar ist auch in dieser Konkurrenz Platz für Kooperation. Schließlich hängt der Sieg in der Konkurrenz – dieses schlichte marktwirtschaftliche Prinzip bleibt auch in der neuen digitalen Industriewelt in Kraft – von der Kapitalgröße ab, mit der man antritt. Eine schier erdrückende Marktmacht – dieses Erfolgsrezept, das über alle Branchengrenzen hinweg seine Gültigkeit behält – wird angestrebt, wenn sich etablierte Marktführer der Industrie mit solchen aus der IT-Branche zusammentun und auf diese Weise herkömmliche Branchengrenzen auflösen: Siemens und SAP, Google und Fiat/Chrysler, Apple und IBM [23] sind prominente Beispiele dieser Kooperationen, die dem „hybriden“ Charakter der zu „Ökosystemen“ gewordenen Produktionsprozesse und Produkte so Rechnung tragen, wie sich das für Konkurrenten um das kapitalistische Geschäft mit ihnen geziemt: Ihr Anspruch auf Monopolisierung des zur Einheit von IT und Industrie verschmolzenen Weltgeschäfts soll durch ihren Zusammenschluss gegen andere verfolgt und durch die zusammengeworfene ökonomische Macht unwidersprechlich werden.
*
Die Frage, wer diesen Kampf um die Industrie und das Weltgeschäft der Zukunft gewinnt, ist nicht nur für die beteiligten Firmen, sondern auch und gerade für den deutschen Staat ein wichtiges Anliegen – viel zu wichtig, um es einfach dem Lauf der Konkurrenz zu überlassen.
II. Deutschlands „digitale Transformation“ – einer europäischen Führungsmacht würdig
„Wir sind jetzt an einer entscheidenden Stelle angelangt, bei der Frage: Wie durchdringt die Digitalisierung auch die industrielle Produktion? Das ist für uns volkswirtschaftlich von allergrößter Bedeutung, denn es ist nicht entschieden, ob die klassische industrielle Produktion eines Tages der hintere Teil der verlängerten Werkbank wird oder ob wir es schaffen, eine gleichberechtigte Balance von digitaler Technologie und klassischer industrieller Fertigung zu erreichen, mit der wir dann auch weiter weltweit reüssieren können... Das ist nämlich im Kern der Kampf, der zurzeit ausgefochten wird.“ (Merkel auf dem Kongress „Wirtschaft 4.0 – Chancen für Deutschland“, 4.11.15)
Auch und gerade auf internationaler Ebene ist die
digitale Revolution also kein Fall von bequemer
Arbeitsteilung; alles Wissen über Informationstechnologie
und alle Ingenieurskunst, die in der Kombination von IT-
und Produktionstechnik steckt, haben ihren höheren Sinn
darin, das einschlägige Wissen und die angewandte Kunst
der anderen Länder in den Schatten zu stellen. Auch
Merkel sieht es so, dass es bei der Produktion auf die
Dominanz über die „Wertschöpfungskette“ ankommt; die
äußerst unwürdige Rolle einer Nation, die als „Werkbank“
bloß Zeug produziert, mit dem andere ihren Profit machen,
kommt für Deutschland nicht in Frage; die Rolle ist
selbstverständlich für andere Nationen reserviert. Die
Balance
, die Merkel im Auge hat, herrscht genau
dann, wenn es zwischen Deutschland und den anderen
Nationen gerade keine Balance
gibt, sondern die
Überlegenheit der deutschen Industrie gewahrt
wird. Die sieht der Weltmarktführer im Maschinenbau durch
ganz bestimmte Nationen angegriffen: China, aber vor
allem die USA bzw. die amerikanischen IT-Konzerne, die
mit ihrer überlegenen Informationstechnologie die hiesige
Industrie bald beherrschen könnten. Zur Verteidigung von
Deutschlands Status als führendem Industriestandort
verordnet die Regierung ihrer Nation eine umfassende
„digitale Transformation“ – allerdings nicht bloß
ihrer Nation. Weil Deutschland seine globale
industrielle Führungsrolle verteidigen will, braucht
ganz Europa eine digitale Revolution unter
deutscher Führung. Und so viel steht dabei fest: Angriff
ist die beste Verteidigung.
1. Gesamteuropäische Rechtssicherheit unter deutscher Federführung
Die Hauptkampflinie befindet sich in der Sphäre des
Rechts. Damit die neuen digitalen
Reichtumsquellen für die Ansprüche taugen, die der
deutsche Staat an sie stellt, muss dafür gesorgt werden,
dass deren einzig entscheidende Eigenschaft, nämlich
Eigentum zu sein, zuverlässig gilt. Angefangen bei der
Definition, wie überhaupt Daten als Eigentum zu fassen
sind, über die Anpassung der Rechte der Verbraucher oder
des Wettbewerbs für die Online-Handelsplattformen bis hin
zu neuen Haftungsfragen, wovon die banalste wohl die ist,
wer für die Downloads in freien WLANs haftet, lässt der
deutsche Staat seinen ganzen Katalog von rechtlichen
Regelungen daraufhin überprüfen, ob sie für die
widersprüchlichen Ansprüche und Friktionen seiner
digitalisierten Gesellschaft noch taugen. Dass ein
Großteil der rechtlichen Neuregelungen sich auf die
Geschäfte mit Daten bezieht, ist insofern kein Wunder,
als sie nicht mehr nur ein einfaches Wirtschaftsgut,
sondern Leitwährung der digitalen Ökonomie
(Gabriel auf der „Konferenz zur
digitalen Transformation“, 18.9.15) sind. Die
Rechtssicherheit, auf die es hier ankommt, wird dabei
gleich als Konkurrenzmittel ins Auge gefasst:
„Datensicherheit ist eine unabdingbare Voraussetzung für die Digitalisierung. Auch da sollten wir uns ein ehrgeiziges Ziel setzen: der sicherste Datenstandort der Welt. Das wäre mal ein schöner Wettbewerb mit den USA, denen da nicht sehr viel zugetraut wird.“ (Gabriel im Handelsblatt, 24.4.16)
Deutschland präsentiert sein neues IT-Sicherheitsgesetz
als Marke, als Sicherheit made in Germany
und
Deutschland als künftiges Verschlüsselungsland Nummer
eins
in Europa. Gerade das Big-Data-Geschäft, das der
deutsche Staat unbedingt unter seiner Hoheit versammeln
möchte, soll durch ein trusted cloud-label
besonders vertrauenswürdig und damit attraktiv für die
interessierten Geschäftemacher gemacht werden. Nur
logisch, dass Gabriel sich dabei mit den USA messen will,
denn genau darin besteht ja das Sicherheitsproblem, das
ihn stört: Die falschen, nämlich die US-amerikanischen
Konzerne haben es bislang geschafft, den Nutzen aus dem
Geschäft mit den Daten auch der deutschen Bürger und
Unternehmer mehr oder weniger mit Beschlag zu belegen.
Dabei bleiben IT-Riesen wie Google, Apple oder Facebook
weitgehend unbehelligt von deutschen
Datenschutzbestimmungen, machen Gebrauch von den
vergleichsweise „laxen“ der USA oder Irland. Das ist eine
Sorte Kapitalismus, die ein moderner deutscher
Sozialdemokrat mit Regierungsverantwortung wirklich nicht
leiden kann; daher muss nicht nur Deutschland, sondern
auch ganz Europa dem brutalen
‚Informationskapitalismus‘ die Stirn ... bieten, dessen
Infrastruktur beherrscht wird von einer Handvoll
amerikanischer Internetkonzerne, die als globale Trusts
nicht nur das Wirtschaftsleben des 21. Jahrhunderts
dominieren könnten.
(Gabriel in
der FAZ, 13.5.16). Dabei ist klar: Ein so
ehrgeiziges
Ziel verfolgt Deutschland nicht für
sich selbst allein. Es tritt vielmehr als europäische
Führungsmacht an, die dem ganzen Kontinent die „digitale
Transformation“ vorschreibt, die Deutschland für sich
anpeilt:
„Deutschland, aber auch alle anderen Partner, die sich dem Diktat der Internetmonopolisten widersetzen wollen, haben ein großes Interesse daran, dass Europa gemeinsam handelt. Denn nur so können wir verhindern, gegeneinander ausgespielt zu werden – mit immer neuen Schlupflöchern, mit Datenschutz- oder Steuerdumping. Europäische Solidarität ist hier wirklich ein Machtfaktor.“ (Ebd.)
Dass Europa sich nicht länger auseinanderdividieren
lässt, haben sich in erster Linie die anderen
Europäer hinter die Ohren zu schreiben.[24] Dass die europäischen
Nationen in dieser Frage bislang keine gemeinsame Linie
haben, kommt nicht von ungefähr. Was der
Wirtschaftsminister da Schlupflöcher
nennt, sind
für ein Land wie z.B. Irland entscheidende Hebel seiner
Standortpolitik: Seine im europäischen Vergleich
günstigen Steuer- und Datenschutzbedingungen, welche die
IT-Konzerne insbesondere aus den USA zu schätzen wissen,
sind gerade die Art und Weise, wie es sein
Geschäft in der „digitalen Ära“ macht. Doch wenn die
europäische Vormacht zum Angriff gegen die US-Übermacht
bläst, dann haben sich die europäischen Reihen zu
schließen. Da mögen sogar deutsche Geschäftsleute von der
Freizügigkeit amerikanischer oder irischer Gesetze im
Umgang mit Daten profitieren (zum Beispiel SAP), seine
Bürger ihre Privatkonkurrenz freudig weltöffentlich über
Facebook austragen oder über Amazon auf dem Globus billig
einkaufen gehen. Der Nutzen, den Deutschland in der
digitalen Ära anpeilt, besteht nicht bloß darin, dass
deutsche Bürger und Unternehmer diese Dienstleistungen in
Anspruch nehmen, sondern darin, dass Deutschland
das Geschäft mit diesen Dienstleistungen dominiert.
2. Europa als Standort deutscher IT-Kapitale, die denen der USA gewachsen sind
Deswegen ist das Stopfen der eben genannten Schlupflöcher
bloß der Anfang; die neue „Europäische
Datenschutzgrundverordnung“ mag für gleiche
Datenschutzbedingungen in Europa sorgen, doch auch wenn
sich Apple, Google, Facebook
nicht mehr den
Standort aussuchen können, an dem das Datenschutzrecht
am schwächsten ausgeprägt ist oder die Kontrolle nicht
stattfindet
(Vortrag Günther
Oettinger zur Sonderreihe „BMF im Dialog“:
„Wachstumstreiber Digitalisierung“, BMF, 6.3.15),
ist damit nur die eine Seite des Ärgernisses mit den
IT-Monopolen aus den USA beseitigt. Die richtige
Balance
zwischen den widerstreitenden Ansprüchen
von Datenschutz einerseits und einem innovativen
Big-Data-Management
(Merkel auf
der Cebit, 15.3.15) andererseits ist erst dann
gegeben, wenn wir ganz vorne auf der Welt mit
dabei
(ebd.) sind. Wenn
in dem Sinn ein Sozialdemokrat dem brutalen
Informationskapitalismus die Stirn bietet
, dann mit
dem Ziel, genau dieses Geschäft für den Erfolg
Deutschlands in Beschlag zu nehmen:
„Unsere Vorstellung von Datenschutz muss sich auch ändern. Der klassische Datenschutzbegriff fordert zur Minimierung der Daten auf. Das ist so ziemlich das Gegenteil eines Big-Data-Geschäftsmodells. Dabei geht es ja gerade darum, aus möglichst vielen Daten Erkenntnisse zu gewinnen und daraus Geschäftsmodelle zu entwickeln.“ (Gabriel im Handelsblatt, 24.4.16) Das ist es, „was wir für die Wettbewerbsfähigkeit in einem digitalen Zeitalter brauchen“ (Gabriel auf der „Konferenz zur digitalen Transformation“, 18.9.15).
Siemens, Bosch, SAP und die deutschen
Telekommunikationsfirmen sollen schließlich eigene Clouds
bauen und Big Data als ihr eigenes Geschäftsfeld erobern.
Es soll also nicht bloß ein Bollwerk gegen US-Monopole
errichtet, sondern es sollen die rechtlichen Bedingungen
für einen europaweit einheitlichen, also riesengroßen,
nämlich kontinentweiten gemeinsamen Markt geschaffen
werden, auf dem europäische Großfirmen gedeihen
können. Erst dann entfaltet die europäische Einheit in
Datenfragen ihre volle Wucht als Machtfaktor
. So
soll die Kapitalgröße zustande kommen, die es braucht, um
gegen die Amerikaner anzutreten. Die europäische
Kommission muss aus Sicht der deutschen Chefs noch
lernen, dass diese Größe das entscheidende Ziel
ist, dass das Störende an den amerikanischen Monopolen
darin liegt, dass es eben amerikanische Monopole
sind:
„Wir hätten Probleme, heute einen europäischen Flugzeugkonzern wie Airbus aufzubauen. Die Wettbewerbskommission würde mit der Beihilferichtlinie winken und zudem noch ins Feld führen, es dürften in Europa keine Monopolisten entstehen. Das halte ich für kleinmütig, das ist der falsche Ansatz. Wir müssen europäische Champions zulassen. Es gilt, in der Wettbewerbsordnung den relevanten Markt zu erkennen – denn der ist oft global… Unser Problem besteht doch nicht darin, dass wir zu große Player haben, sondern dass die Internet-Giganten aus den USA uns immer mehr in die Abhängigkeit zwingen.“ (Gabriel im Handelsblatt, 24.4.16)
Daher brauchen die Europäer keine Angst zu haben, wenn Deutschland auf eine Neuregelung des europäischen Telekommunikationsmarkts pocht, dabei auf Fusionen und die Verdrängung europäischer Konkurrenten durch die deutsche Telekom setzt. Gegen die kleinmütigen Standortkonkurrenten wettert Merkel:
„Wie definiere ich ‚Markt‘ innerhalb der Europäischen Union, wo wir mehr als 20 Telekommunikationsunternehmen haben und trotzdem bei jeder europäischen Fusion Angst haben müssen, dass dadurch eine beherrschende Marktmacht definiert wird?“ (Merkel auf der Deutsch-Französischen Digitalen Konferenz am 27.10.15)
Für das, was Deutschland als Führungsmacht des europäischen Clubs will, kommt es auf die Marktmacht gerade an! Also sollen sich die anderen europäischen Staaten durch die einschlägigen rechtlichen Regelungen und finanziellen Mittel für die Vernetzung und Digitalisierung herrichten, damit Europa als einheitlicher und großer Markt für das Wachstum der Kapitalgröße deutscher Firmen taugt.[25]
3. Die technische Aufrüstung des deutschen Standorts
Wenn die „Digitalisierung aller Lebensbereiche“ ein
gelungener Sprung für deutsche Geschäfte sein soll,
müssen auch die entsprechenden menschlichen und
technischen Voraussetzungen am Standort vorhanden sein.
Um Erstere in gewünschtem Maße herzustellen, nimmt der
deutsche Staat sein Bildungswesen in die Pflicht und
verordnet ihm eine Bildungsoffensive für die digitale
Wissensgesellschaft
. Insbesondere müssen die
Schulen für die zunehmende Digitalisierung gewappnet
[sein], bei der Ausstattung mit Elektronik, ebenso wie
bei der Qualität der Lehrer. Programmiersprachen müssen
ebenso selbstverständlicher Unterrichtsstoff werden, wie
es Fremdsprachen heute glücklicherweise bereits sind.
(Gabriel in der FAZ, 1.7.15)
Die zu schaffenden technischen Voraussetzungen müssen
gewährleisten, dass bis in den letzten Winkel des Landes,
bis ins letzte „home office“ der profitdienliche
Datenverkehr fließen kann. Dafür nimmt der Staat den
Geschäftssinn seiner Netzkapitalisten in Anspruch,
unterstützt die Deutsche Telekom mit finanziellen
„Anreizen“ für den schnellen Ausbau der Netzinfrastruktur
mittels „Vectoring“[26] und schließt die
Konkurrenten zu einer „Netzallianz“ zusammen, damit der
zukunftsfähige Glasfaserausbau in Kooperation und als
deren eigennütziges Geschäft vorangetrieben werden kann.
Und dabei bleibt es nicht: Wenn Kapitalisten, die in der
globalen Vernetzung ihr Mittel der
Produktivkraftsteigerung sehen, den Standort Deutschland
als ihr Geschäftsfeld schätzen lernen sollen, dann sind
besonders schnelle Netze auf dem begrenzten deutschen
Territorium einfach zu wenig. Auch bei diesem Baustein
eines europäischen digitalen Binnenmarkts, dem
europäischen Netzbau, gilt: Mut ist jetzt gefragt und
nicht Kleinmut.
(Gabriel im
Handelsblatt, 24.4.16) Weil es hier um ein Projekt
geht, das sich daran misst, inwieweit es für die
Konkurrenz mit den USA taugt, ist es nur passend, dass
Gabriel sein Vorhaben, die modernste digitale
Infrastruktur der Welt
(Gabriel
auf der Hannover Messe 2016) zu schaffen, als
Man to the Moon Projekt
(Gabriel im Handelsblatt, 24.4.16)
bezeichnet. In diesem Projekt, in der
Herstellung weltweiter europäischer Überlegenheit im
Wachstumsmarkt der Zukunft, den Deutschland dominieren
will, wären die neulich beschlossenen europäischen
Investitionsmilliarden allemal besser angelegt als fürs
Anzetteln von lauter Strohfeuern im europäischen
Süden.[27]
4. Staatliche Moderation der Kooperation von Konkurrenten
Damit alle deutschen Unternehmen ihren Teil zum Erfolgsprogramm beitragen, das Deutschland für sich und für sie vorgesehen hat, ist auch daheim einiges an Kooperation nötig, wofür eine „Plattform Industrie 4.0“ mit staatlicher Zusammenarbeit den erforderlichen Rahmen abgeben soll. Mittelständler, IT- und Telekommunikationskapitalisten sowie Industrielle sollen Technologien und Wissen rund um die smarten Fabriken und Produkte in Kooperation erarbeiten, damit diese als allgemeine Voraussetzungen für ihr Geschäft auf dem deutschen Standort zur Verfügung stehen. Forschungsgelder, Plattformen, Vorzeige-„smart factories“, „Labs“, Allianzen und IT-Gipfel sollen deren egoistisches Geschäftsinteresse für das nationale Kampfprogramm fruchtbar machen. Standards und „Architekturen“ sollen erarbeitet, best-practice-Anwendungen ausgetauscht werden. Seinen konkurrierenden Betriebsführern leuchtet der staatlich initiierte „Dialog“ dort ein, wo sie die Ergebnisse in „Investitionssicherheit“ und eigennützige Geschäfte ummünzen können, worauf es dem deutschen Staat insbesondere bei seinen Mittelständlern ankommt. Und auf die wird kräftig eingeredet, sich endlich für die digitale Revolution entsprechend aufzurüsten, für deren Beherrschung sie und ihre größeren Kollegen vorgesehen sind.
Auch auf dem Feld der Standardisierung ist ein
Zusammenschluss angezeigt, denn dass Software, Netzwerke
und Daten zueinander passen, ist nicht nur Gegenstand der
Konkurrenz der Kapitalisten untereinander, sondern für
Deutschland von strategischer Bedeutung. Wer Standards
entwickeln und durchsetzen kann, verschafft sich
Vorsprünge im internationalen Wettbewerb
(bmwi.de). Die Erreichung des Ziels, bei
der Erarbeitung der noch fehlenden Standards und 200
bis 300 neuen Normen
(FAZ,
16.4.15) federführend zu sein, wird also nicht den
Unternehmern überlassen. Deutschland will auf dem Feld
der industriellen Produktion dorthin, wo die
Internet-Giganten aus den USA bei den Kommunikations- und
Verkaufsplattformen schon sind, und für dieses
Ziel, die USA auf einem Feld zu schlagen, das die eigenen
Kapitale noch nicht besetzt haben, kooperiert man sogar
mit den USA – dann lässt sich endgültig die
ganze Welt auf die Standards verpflichten, mit
denen deutsche Produkte kompatibel sind.[28]
5. Die Transformation einer Produktivkraftentwicklung zur Souveränitätsfrage
Der derzeitigen Übermacht der IT-Kapitale aus den USA gewinnt der deutsche Staat einen ganz speziellen Gesichtspunkt ab, den er bei seiner Industriepolitik in Anschlag bringt. „Digitale Souveränität“ heißt das einschlägige Stichwort –
„Wir haben derzeit keine europäische, keine deutsche, keine eigene digitale Souveränität und zu wenig digitale Autorität. Die zu gewinnen, muss ein Ehrgeiz Europas sein, ansonsten sind wir eher in Lebensgefahr, als dass das Ganze eine Chance ist“ (Oettinger, ebd.) –
und diesem zur „Lebensgefahr“ stilisierten Mangel liegt folgendes Problem zugrunde:
„Problematisch ist hier vor allem, dass gerade in der Informations- und Kommunikationstechnik die faktische Kontrolle eines Gesamtsystems durch die technische Kontrolle bestimmter Teilbereiche ermöglicht werden kann – vergleichbar mit den Zugbrücken einer Ritterburg. Viele dieser digitalen Zugbrücken sind heute von US-amerikanischen und asiatischen Unternehmen durch Standardisierungsentscheidungen bereits besetzt.“ (BMWE: „Industrie 4.0 und Digitale Wirtschaft“, April 2015)
Um in der Bilderwelt des BMWE zu bleiben:
Problematisch
sind nicht die Zugbrücken vor der
deutschen Ritterburg, sondern die ausländischen
Konkurrenten, die auf ihnen sitzen: Das kommt in der
Sicht der Sachverständigen einem Verlust der politischen
Hoheit über den deutschen Standort gleich. [29] Unter diesem
Blickwinkel betrachtet, gelten dem Hüter des Standorts
IT-Standards, technische Beherrschung von Netzwerken und
die faktische Kontrolle eines Gesamtsystems
als so
ziemlich dasselbe, nämlich als Einfallstore für einen
potenziellen Feind, als Gefährdung seiner souveränen
Verfügungsmacht über alle wirtschaftlichen, zivilen und
militärischen Bereiche seiner Gesellschaft. Die
Behauptung der eigenen Souveränität im digitalen
Raum
ist freilich kein defensives Programm.
Deutschlands IT-Kapital soll eigene „Zugbrücken“
als Mittel gegen fremde Zugriffe schaffen; anderen
Souveränen die Kontrollmacht über die eigene Datenwelt
wirksam zu bestreiten, fällt damit zusammen, sich
selbst die Macht über die Kontrolle fremder
„digitaler Räume“ zu verschaffen. Sicherung vor fremdem
Zugriff ist im Reich der Daten nur dann zu haben, wenn
man seinen Feinden im Cyberspace stets einen Schritt
voraus ist, sich selbst also erfolgreich die
erforderlichen Einsichten in deren technologische
Potenzen und strategischen Machenschaften verschafft hat.
Ziemlich nahtlos geht so die Standortpolitik zur
Beförderung der Geschäfte der deutschen IT-Kapitale zum
Auftrag über, ihrem staatlichen Förderer auch alle
nötigen Mittel zur Absicherung seines nationalen
Besitzstandes und Gewaltbedarfs bereitzustellen. Sie
sollen den Zugriff auf eigene und fremde Daten fürs
Geschäft so bemeistern, dass sie nicht nur Angriffe von
„außen“ auf den digitalen Bestand der Nation durch
möglichst hohe technische Hürden verhindern: Sie sollen
ihrem Staat auch alles Nötige liefern, was der für die
Wahrnehmung seines Gewaltmonopols in diesem neuen
Zeitalter braucht, vom souveränen Zugriff auf die Daten
seiner Bürger über das Ausspionieren seiner Konkurrenten
bis hin zum „cyber war“.
III. Die Arbeitswelt 4.0
Kein Bericht über die neue, digitale Welt kommt aus ohne
die Thematisierung ihrer Konsequenzen für die
Arbeitswelt. Dabei ragt eine prognostizierte Wirkung
ziemlich heraus: das massenhafte Verschwinden von
Arbeitsplätzen. Obwohl man erst am Anfang des neuen
Zeitalters steht, sind sich die Prognostiker ziemlich
einig, dass in den kommenden Jahrzehnten ungefähr die
Hälfte aller existierenden Arbeitsplätze wegfallen
wird.[30] Und
weil in der Marktwirtschaft das kreuzvernünftige Prinzip
gilt, dass die Arbeit nicht einfach der nötige Aufwand
ist, bei dem man froh ist, wenn er weniger wird, sondern
die Einkommensquelle, von der der Großteil der Menschheit
abhängt, gilt die Vision von „menschenleeren Fabriken“
eben nicht nur als Verheißung, sondern auch als
Horrorvision
(Arbeitsministerin Nahles). Diesen
Wegfall von Arbeitsplätzen und die damit einreißende
Verarmung als Wirkung, als eine Art ungewolltes
Nebenprodukt oder „Schattenseite“ der anrollenden
Automatisierungswelle zu besprechen, ist eine bodenlose
Dummheit. Das ist schon der Sinn der Sache, wenn
Unternehmer die notwendige Arbeit für die Produktion und
Verkauf ihrer Waren reduzieren; sie tun es genau zu dem
Zweck, sich die Bezahlung der Arbeiter zu sparen und ihre
betriebliche Kostenrechnung von dem Geld zu entlasten,
vom dem ihre Angestellten leben. Der ganze Sinn
der Sache ist das allerdings auch nicht. Denn wie bei
jedem technischen Fortschritt und jeder Runde
„Rationalisierung“ macht das industrielle Kapital auch
bei diesem Sprung in seiner Produktionstechnik nicht nur
viel Arbeit überflüssig. Es macht im selben Zug auch in
neuer Form von seiner Macht über sie Gebrauch, und wenn
es da beruhigend heißt, dass die neue Technik auch neue
Arbeitsplätze schaffen soll, lohnt sich schon der Blick
auf das, was da geschaffen wird.
1. „Modern Times“ 2016 ff
Auch wenn der Produktionsprozess künftig idealerweise vorwiegend selbsttätig, durch Software gesteuert, ablaufen soll, muss er trotzdem überwacht und in Stand gehalten werden; bei Störfällen muss auch gelegentlich sachkundig eingegriffen werden. Man kann an der Stelle also schon einmal aufatmen – denn dafür braucht es ja echt menschliche Arbeiter, die einigermaßen verstehen, was sie auf den Bildschirmen sehen, und wissen, welche Knöpfe sie im Bedarfsfall drücken müssen.[31] Und es gibt auch andere Tätigkeiten, für die Computer entweder immer noch zu ungeschickt [32] oder einfach zu teuer[33]) sind. Roboter können wiederum die besonders unangenehmen Tätigkeiten übernehmen [34] und gleichzeitig dafür sorgen, dass ihre menschlichen Kollegen ihre Arbeit im Sinne der betrieblichen Rechnung möglichst effizient verrichten. Die Maschinen dirigieren die Handgriffe am Band, bestimmen die Laufwege in der Lagerhalle und takten den Warenfluss; sie vermessen die Leistung der Arbeiter und bringen ihnen damit praktisch bei, wie viel Arbeit wirklich in eine Stunde passt; sie halten die Menschen auf Trab und liefern zugleich der Firmenleitung eine nützliche Handreichung für die Personalentscheidungen, die noch von Menschen getroffen werden müssen, solange Roboter weder Verwarnungen aussprechen noch Entlassungen tätigen können. „Revolutionär“ ist das alles nicht. Dass ein Arbeitsplatz nichts anderes ist als ein Ensemble vergegenständlichter Leistungsanforderungen für seinen ‚Besitzer‘, wird bei dieser „industriellen Revolution“ nur besonders anschaulich, und das gilt auch für ihre weiteren Errungenschaften.
Mit der enormen Flexibilisierung der Produktion, die die Technik der Industrie 4.0 ermöglicht, mit der Produktion „am Puls der Kunden“ ist natürlich vom verehrten Mitarbeiter verlangt, dass er sich als Rädchen in das System einfügt und, je nach Bedarf, mehrere Arbeitsplätze ausfüllt.[35] Dabei erhält er auch Unterstützung vom Roboter an seiner Seite, der ihm per „gezielter Assistenz“ die visuellen Informationen liefert, die er benötigt, um immer das jeweils Passende zu tun. Etwaige Überlegungen des Arbeiters bezüglich seiner Aufgaben werden damit überflüssig. Dafür wird seine Arbeit abwechslungsreich, denn er kann an fast jeden beliebigen Arbeitsplatz beordert werden; er kann auch allein mehrere verschiedene Teilprozesse gleichzeitig virtuell, durch Beobachtung verschiedener Bildschirme, beaufsichtigen. An der nahtlosen Anpassung der Beschäftigen an den wechselnden Arbeitsbedarf im Betrieb entdecken das Fraunhofer Institut und andere einen großen Vorteil für die Beschäftigten:
„Flexibilität muss in Zukunft zielgerichtet und systematisch organisiert werden – ‚Pauschal-Flexibilität‘ reicht nicht mehr aus… Auch der Personaleinsatz kann adaptiv in Echtzeit erfolgen. Und das hat auch durchaus Vorteile für die Mitarbeiter, weil weniger Leerlaufzeiten anfallen. Die Leerlaufzeiten werden dann besser nutzbar. Damit weichen die festen Arbeitszeitstrukturen auf.“ (Dieter Spath, a.a.O., S. 80)
Wenn Leerlaufzeiten entfallen, es also keine Differenz mehr gibt zwischen Anwesenheitszeit und Arbeitseinsatz des Beschäftigten, dann ist nicht nur dem Betrieb gedient, sondern auch dem Arbeiter, dessen Arbeit dadurch verdichtet wird. In die Leerlaufzeiten, die trotzdem – vom betrieblichen Produktionsplan programmiert – noch anfallen, kann er ja sein Privatleben einpassen.
Die digitale Technologie, die den Kern der gesamten Produktion und Zirkulation im neuen, revolutionären Zeitalter ausmachen soll, schafft eine ganz eigene Welt neuer Jobs. Unternehmer brauchen schließlich Fachkräfte, die die für die vollautomatische Produktion passende Software entwickeln, den für den reibungslosen Betriebsablauf erforderlichen Datenfluss gewährleisten, Software und Programme pflegen, sich Innovationen ausdenken usw. Die jederzeitige Verfügung über ausreichend kompetentes Fachpersonal lassen sie sich etwas kosten, sie machen IT-Spezialisten zu Angestellten oder kaufen deren Leistungen bei einer Softwarefirma ein.[36] Auch solche Arbeitskräfte lassen sich der betrieblichen Rechnung optimal anpassen: In zunehmendem Maße nutzen Unternehmen freiberuflich tätige IT-Fachkräfte, die de jure selbst als „Unternehmer“ in eigener Sache und auf eigene Rechnung tätig sind, und schließen mit ihnen Werk-, Dienst- oder Beraterverträge ab. So befreit sich das Unternehmen von den Kosten und Schranken eines regulären Arbeitsverhältnisses: von Arbeitszeitregulierungen jeglicher Art, von kontinuierlich zu zahlenden Gehältern, von Zahlungsverpflichtungen für Kranken-, Alters- und Arbeitslosenversicherungen – und damit von Aufwendungen, die zum Erhalt einer Arbeitskraft zwar immer notwendig sind, für die die Unternehmen bei der Indienstnahme von freien Mitarbeitern aber vertragsgemäß unzuständig sind.[37]
Mit den Mitteln des Internets lässt sich für solche
Tätigkeiten sehr reell ein ganzer
Welt-Arbeitsmarkt erschließen. Auf „People
Clouds“ – global zugänglichen Internet-Plattformen, die
als transparente „Jobbörsen“ fungieren – treten die
freien Selbständigen der Welt gegeneinander an, durchaus
auch gegen angestellt beschäftigte
IT-Abteilungen.[38] Dort bewerben sie sich um
Aufträge, indem sie sich mit ihren Angeboten in Sachen
Leistung gegenseitig überbieten, in Sachen Bezahlung
unterbieten. Es wird auch einiger Aufwand darauf
verwandt, größere und komplexe IT-Projekte in kleine und
kleinste Teilaufgaben zu zerlegen, so dass die externen
Zuarbeiter nur noch einzelne „Bausteine“ produzieren. Das
läuft auf eine neue Form der Industrialisierung
geistiger Arbeit hinaus
, mit dem bezweckten Resultat,
die einschlägigen Qualifikationen für solche Tätigkeiten
zu entwerten:
„Programmierer, die auf der ganzen Welt verteilt arbeiten, könnten die Einzelaufgaben dann in kurzer Zeit erledigen. So verlieren sie nach und nach ihren Expertenstatus und werden mehr und mehr austauschbar.“ (FR, 23.4.15)
Damit wird der www.Arbeitsmarkt in noch umfassenderer
Weise für die Erledigung von IT-Aufgaben erschlossen.
Denn für die Beteiligung daran braucht es nicht viel mehr
als einen Internetzugang, etwas
informationstechnologisches Anwenderwissen und
hinreichende Englischkenntnisse. So lässt sich eine
weltweite „Crowd“ zusammentrommeln, die darum
konkurriert, von Auftraggebern „gesourced“ zu werden. Das
erlaubt es den Unternehmern, bei der Vergütung am
Lohn-Niveau asiatischer, lateinamerikanischer und
osteuropäischer Länder Maß zu nehmen, wenn sie mit
Programmierern aus Erstweltnationen verhandeln.[39] Es gibt immer
weniger Tätigkeiten, die sich nicht auf diese
Weise erledigen lassen; auch ganz kleine Dienstleistungen
– einen Werbespruch verfassen, eine Gebrauchsanweisung
übersetzen, Recherchen und Umfragen im Netz bis hin zum
professionellen Setzen von „Likes“ für ein Produkt des
Unternehmens – werden als Kleinstaufträge („Minitasks“,
„Sprints“ oder „Turks“) auf Internet-Plattformen wie
„clickworker.com“, „mylittlejob“ u.ä. vergeben. Das
gewünschte Ergebnis bekommt das Unternehmen zu jeder
Tages- und Nachtzeit geliefert, und das zu Preisen, die
sich auf Bruchteile der Gehälter hiesiger Fachkräfte oder
„Kreativer“ belaufen. Schön, dass mit den menschlichen
Robotern der Clickworker, die fast umsonst zu haben sind,
wenigstens die Plattformen ihr Geschäft machen, auf denen
die sich anbieten – das sind längst
privatwirtschaftlich organisierte Unternehmen, deren
Aufgabe darin besteht, aus einer Crowd eine ökonomisch
verwertbare Produktivkraft zu machen.
(„IBM-Studie“, a.a.O., S. 55)
Von wegen also, die Technik der Industrie 4.0 würde die Arbeit überflüssig machen – ein ganzes Sammelsurium an vielen neuen Arbeitsplätzen tut sich im Zuge der Abschaffung der alten auf! Die zeugen davon, wie sehr das Kapital mit seinem technischen Fortschritt auch seine Macht steigert, die geforderte Arbeit den Kriterien seiner Rentabilitätsrechnung anzupassen.
2. Sozialstaatliche Folgenbewirtschaftung
Doch die digitalisierte Industrie stellt ihre Ansprüche nicht nur an ihre Belegschaften, sie lässt auch den Staat wissen, was sie von ihm erwartet. Die erste Hälfte der Forderung besteht in einem entschiedenen „Finger weg!“, denn die Freiheiten, die das industrielle Kapital im Umgang mit seinen vielen Dienstkräften pflegt, haben sich bislang prächtig bewährt:
„Wichtig ist, dass die Flexibilität, die die Digitalisierung durch neue Arbeitsabläufe und neue Kommunikationsinstrumente mit sich bringt, nicht durch Regulierung behindert wird.“ (Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Positionspapier zur Digitalisierung von Wirtschaft und Arbeitswelt, Mai 2015, S. 2)
Das gilt insbesondere für Leiharbeit und Werkverträge, die in der digitalen Arbeitswelt, vor allem bei den outgesourcten IT-Tätigkeiten, so richtig zum Zuge kommen. Und die Leute wollen es ja auch so! Die Konkurrenz der Anbieter auf diesem Markt ist offenbar groß, Unternehmen können sich problemlos aus einem Pool von Leuten bedienen, die unter solchen Bedingungen jede nachgefragte Internet-Auftragsarbeit übernehmen – weltweit soll es laut ZEIT-Online auf Internet-Plattformen an die 13 Millionen freie Anbieter von Internet-Dienstleistungen geben. Es gibt das Angebot, es gibt die Nachfrage – was will man mehr? Außerdem geht es auch gar nicht, auf solche Arbeiter die üblichen Schutzregelungen anzuwenden – das widerspräche der Sozialgesetzgebung und auch der Realität:
„Arbeitsschutz ist Arbeitnehmerschutz“: „Arbeitsschutzregelungen für Arbeitnehmer können nicht auf selbstständige Erwerbsformen ausgedehnt werden. Auch wenn neue Formen der Arbeitsorganisation wie ‚crowdworking‘ auftreten, bleibt es dabei, dass Selbstständige ihre Arbeitsbedingungen und Arbeitszeiten nur selbst bestimmen können. Crowdworking und crowdsourcing sind neue Formen freier Tätigkeiten und freier Mitarbeit im Internet, die sich gesetzlich nicht fassen lassen. Es handelt sich auch nicht um Beschäftigungsformen, die irgendwie regelbar wären. Gesetzlicher oder tariflicher Handlungsbedarf erscheint nicht gegeben... Überlegungen, ein Mindestentgelt für crowdworker festzusetzen, sind abwegig. Wer aus freien Stücken eine solche Aufgabe im Internet übernehmen will, sollte und kann daran weder gesetzlich noch in anderer Weise gehindert werden.“ (BDA, Positionspapier, a.a.O., S. 5 f)
Ausgesprochen rührend, wie der Arbeitgeberverband sich da für die Freiheit ins Zeug legt. In der zweiten Hälfte des Forderungskatalogs sollte der Staat durchaus Hand anlegen, damit die Anforderungen der Kunden an die Flexibilität der Produktion nicht daran scheitern müssen, dass die Firma über ihre Dienstkräfte nicht entsprechend frei verfügen kann. Der Acht-Stunden-Tag gehört endgültig auf den Misthaufen der Geschichte geworfen und durch flexiblere Arbeitszeitkonten ersetzt.
Mit solchen und anderen Forderungen trifft das deutsche
Kapital beim Staat auf großes Verständnis, denn dass die
Industrie 4.0 ein Erfolg für die deutsche Wirtschaft sein
soll, ist offizielle Regierungslinie – geht es doch um
die Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland und
Europa, eine Neuverteilung der Märkte, um enorme
Wachstumspotenziale und den Traum eines ‚digitalen
Wirtschaftswunders‘
(Bundesministerium für Arbeit und Soziales,
Grünbuch „Arbeiten 4.0“, 2015, S. 6). Und dass
dieser „Traum“ einen entsprechenden Umgang mit der Arbeit
erfordert, gilt gleichfalls als unabdingbar, gibt aber
schon auch Anlass für Bedenken:
„ … so erscheint das Normalarbeitsverhältnis heute längst nicht mehr so normal, wie es einmal war. Die Grenzen zwischen ‚typisch‘ und ‚atypisch‘ (Teilzeit unter 20 Wochenstunden, Leiharbeit, Befristung) verschwimmen zunehmend… Es ist problematisch, wenn sich atypische Beschäftigungsformen verfestigen und keine dauerhaft existenzsichernden Einkommen ermöglichen. Dann müssen gegebenenfalls steuerfinanzierte Leistungen für die notwendige Existenzsicherung sorgen…“ (Grünbuch, S. 24)
Der Sozialministerin kommt bei Arbeitsverhältnissen also
die Scheidung von „typisch“ und „atypisch“ abhanden –
nachdem ihre Partei mit Leiharbeit, Werkverträgen,
Minijobs usw. alles dafür getan hat, dass bei
Normalarbeitsverhältnissen nichts mehr normal ist. Für
„problematisch“ befindet sie das Ergebnis, dass die
Unternehmen von den ihnen eröffneten rechtlichen
Freiheiten so regen Gebrauch machen, unter dem
Gesichtspunkt der Kosten, die dem Staat
daraus erwachsen könnten, dass er seinem arbeitsamen Volk
ja so etwas wie ein Existenzminimum garantiert: Mit der
Zunahme von Arbeitsverhältnissen im Zuge von Industrie
4.0, von denen feststeht, dass die gezahlten Löhne nicht
einmal zur bloßen Existenzsicherung reichen, könnten dem
Staat und seinen Sozialkassen Belastungen ins Haus stehen
– die und sonst nichts sind die
Herausforderung
, der sich eine deutsche
Sozialministerin entschlossen stellt:
„Die wesentliche Herausforderung wird darin bestehen zu prüfen, ob mit einem Wandel der Erwerbsformen neue Sicherungsdefizite auftreten. Kernanalyse wird sein, ob neue Tätigkeitsformen als ‚Beschäftigung‘ zu bewerten sind, der Grundbegriff, an den die Versicherungspflicht in der Sozialversicherung im Wesentlichen anknüpft. Darüber hinaus wird es auch darauf ankommen zu prüfen, ob eine Ausweitung des Schutzbereichs notwendig wird. Auf jeden Fall aber muss bei einer zukünftigen Wertschöpfung in der digitalen Welt auch die wirksame Implementation der Versicherungspflichten sowie die nachhaltige Finanzierung mit bedacht werden.“ (Grünbuch, S. 80)
Auch beim Sozialstaat ist also absolut nichts Revolutionäres in Sicht im Zuge dieser „industriellen Revolution“. Der zur Lohnarbeit gehörende Pauperismus war auch schon vor der „Wertschöpfung in der digitalen Welt“ eine öffentliche Angelegenheit und bleibt es auch in der digitalen Zukunft: Der Staat verspricht, sein Anwachsen mit wachsender Aufmerksamkeit zu begleiten und stets zu „prüfen“, was ihm alles an Fürsorgepflicht aus dem Umstand erwächst, dass der Dienst am Eigentum für zusehends mehr tätige Mitglieder der lohnabhängigen Klasse zu einem Schicksal wird, das vor diesem „Wandel der Erwerbsformen“ denen ohne jeden Erwerb vorbehalten war.
3. Gewerkschaftlicher Epilog zu Fluch & Segen des technischen Fortschritts
Die deutschen Gewerkschaften möchten unbedingt, dass die neue industrielle Revolution nicht nur für die Unternehmer gelingt, deren Erfolg genau dadurch gesichert wird, dass sie mit ihren Arbeitskräften in neuer Weise umspringen, sondern auch für die Arbeiter. Der gute Wille ist also da – nur erfordert diese Vision vom Vorteil für beide Seiten einen etwas schiefen Blick auf die Sache: „Industrie 4.0“ wäre eine Sache, von der „wir alle“ betroffen sind und die hie Chancen, da Risiken birgt. Die Gewerkschaften nehmen den neuen industriellen Fortschritt nicht als das Rationalisierungsmittel der Unternehmer, das er ist, sondern als eine Ansammlung von offenen Fragen, die ein anonymer Geist namens „Digitalisierung“ aufwirft und bei denen es darauf ankommt, dass „die Gesellschaft“ darauf die richtigen Antworten findet:
„Es geht um neue Chancen durch die Digitalisierung – genauso aber auch um Risiken. Die Digitalisierung kann zu neuem Wachstum und höherwertigen Arbeitsplätzen führen. Digitale Technik kann – auch wenn es widersprüchlich klingen mag – die Arbeitswelt humaner machen: Technische Assistenzsysteme können zum Beispiel bei schweren körperlichen Arbeiten für Entlastungen sorgen. Die Digitalisierung kann genauso zu Arbeitsplatzabbau, De-Qualifizierung und höheren, vor allem psychischen Belastungen führen.“ (DGB-Vorsitzender Reiner Hoffmann, DGB-Digitalisierungskongress, Berlin, 3.11.15)
Immerhin nimmt man beim DGB auch noch bei solchen
Eiertänzen das gegensätzliche Interesse zur Kenntnis, das
das Kapital mit der neuen Technik verfolgt, spätestens
dann, wenn dieses Interesse den Vertretern der Arbeiter
in einschlägigen Verhandlungen in Gestalt lebendiger
Vertreter der „Arbeitgeberseite“ gegenüber sitzt. Da
schließen sie praktisch Bekanntschaft mit Forderungen,
die allesamt auf Verschlechterung der Arbeitsverhältnisse
ihrer Mitglieder hinauslaufen, so dass für sie einiges
offensichtlich
ist: Dass die Digitalisierung
als Vorwand genutzt werden soll, um die
betriebsexterne Flexibilität der Arbeitgeber zum
zentralen Standortfaktor zu erklären
, zum Beispiel,
und ebenso offensichtlich
geht es der BDA
darum, dass die Regelungskompetenz grundsätzlich von
der tariflichen auf die betriebliche Ebene gehoben
wird.
(DGB-Kommentar zum
BDA-Positionspapier, Juni 2015) Dieses Interesse
legen die Gewerkschaften aber in seltsamer Weise
auseinander. Sie entnehmen ihm sowohl eine
unverantwortliche neoliberale Färbung
, die auf
marktradikale Hardliner
zurückgeht – also mehr
Ideologie als ein echtes Interesse ist, als auch eine
komplette Einfallslosigkeit, was die Bewältigung der
gemeinsamen Aufgaben angeht:
„Das BDA-Positionspapier ist ein Neinsager-Papier mit neoliberaler Färbung… Eigene Gestaltungsambitionen der BDA sind nicht erkennbar – sie will alles dem Markt überlassen.“ (Ebd.)
Die Gestaltungsambitionen der Gewerkschaft sind dagegen sehr gut erkennbar:
„Sicher ist, dass wir dafür eine Offensive für mehr Qualifizierung brauchen. Es geht um den Ausbau moderner Kompetenzen – IT-Verständnis, vernetztes Denken und Arbeiten, Kommunikation und neue Kollaborationsformen – und zwar lebensbegleitend… Wir brauchen eine solche Qualifizierungsoffensive auf allen Ebenen – auch und nicht zuletzt für Arbeitslose und für diejenigen, denen Arbeitslosigkeit droht. Nur so können wir eine weitere Polarisierung am Arbeitsmarkt – und damit der Gesellschaft – vermeiden. Und so schaffen wir ein Upgrade der Arbeit.“ (DGB-Vorsitzender Reiner Hoffmann, DGB-Digitalisierungskongress, 3.11.15)
Was die Gewerkschaft gestalten will, ist die fortlaufende
Anpassung der Belegschaften an den wechselnden Bedarf des
Kapitals. Wenn in der veränderten digitalen Arbeitswelt
andere und neue Kenntnisse verlangt werden, dann drückt
sie darauf, dass die nötigen Maßnahmen auch wirklich
ergriffen werden, mahnt bei der Arbeitgeberseite an,
von Anfang an
den Blick auf Fragen der
Arbeitsorganisation und Qualifikation
zu lenken und
bloß nicht zu verpassen, diese Potentiale,
Fertigkeiten und Lern-Fähigkeiten zu nutzen und zu
erweitern.
Und sie gibt den Unternehmern schließlich
zu bedenken, dass ein Gelingen der Digitalisierung ohne
gewerkschaftliche Beteiligung nicht zu haben ist:
„Für die Digitalisierung gilt grundsätzlich: Innovation funktioniert nur mit dem Wissen und Engagement der Beschäftigten und nicht gegen sie.“ (DGB-Pressemitteilung, 3.11.15)
Nur mit den Beschäftigten und nicht gegen sie „funktioniert“ all das, was mit der unter dem Titel „Innovation“ abgenickten Rationalisierungsoffensive namens Digitalisierung auf dem Programm steht, denn:
„Nur wer auf Mitbestimmung und Partizipation vertraut, kann sich sicher sein, dass erforderliche Veränderungen von den Betroffenen akzeptiert und auf Dauer getragen werden.“ (Detlef Wetzel, ehemaliger Vorsitzender der IG-Metall: „Arbeit 4.0, Was Beschäftige und Unternehmen verändern müssen“, 2/2016, S. 12)
In der Tat: Wenn „Veränderungen“ nicht nur „erforderlich“ sind, sondern seitens der von ihnen Betroffenen auch noch „akzeptiert“ wird, dass sie einfach sein müssen, kann nichts mehr schief gehen beim technischen Fortschritt.
[1] Mit Industrie 4.0
ist die – nach der Dampfmaschine, der Massenfertigung
am Fließband und der Automatisierung der Produktion –
vierte industrielle Revolution gemeint, die derzeit
stattfindet. Im Mittelpunkt steht die Digitalisierung
und die Vernetzung der industriellen Fertigung. Beides
bewirkt, dass Maschinen entlang der Wertschöpfungskette
miteinander kommunizieren und die Produktion teilweise
selbständig organisieren, was die Effizienz
beträchtlich steigert.
(WISU-Magazin 4/15)
[2] Die
Digitalisierung, das sind nicht ein paar Computer hier,
ein paar Smartphones, Netze und Sensoren dort. Das ist
ein Paradigmenwechsel. In vielen Bereichen kann man ihn
schon spüren, und die Tendenz ist klar: Dieser
Paradigmenwechsel wird weitergehen und er wird sich
beschleunigen.
(SZ,
26.4.16)
[3] Die Fabrik der
Industrie 4.0. sieht folgendermaßen aus: Intelligente
Maschinen koordinieren selbständig Fertigungsprozesse,
Service-Roboter kooperieren in der Montage auf
intelligente Weise mit Menschen, intelligente
(fahrerlose) Transportfahrzeuge erledigen eigenständig
Logistikaufträge
(Bundesministerium für Wirtschaft und Energie
(BMWE): „Industrie 4.0: Digitalisierung der
Wirtschaft“, www.bmwi.de)
[4] Welches
Waschmittel gehört in die Flasche? Wie muss der Rohling
geschliffen werden? Wohin muss das Ersatzteil gesandt
werden? Im Zeitalter der Industrie 4.0 geben die
Produkte selbst die Antwort und informieren die
Maschinen, was mit ihnen passieren soll. Kurz: Die
Objekte werden intelligent. Sie tragen Barcodes oder
RFID-Chips auf der Oberfläche, die die entsprechenden
Informationen enthalten. Scanner und Computer lesen die
Daten aus, übermitteln sie online weiter – und sorgen
dafür, dass die Maschinen richtig agieren.
(BMWE: „Plattform Industrie 4.0“,
www.plattform-i40.de). Interessant, was der
bürgerliche Verstand unter „Intelligenz“ versteht...
[5] Eine Fabrik der
Augsburger Firma Kuka in Toledo im US-Bundesstaat
Ohio... Das Werk ist ein Beispiel für die sogenannte
Industrie 4.0… Mehr als 60 000 elektronische Bauteile
wie Rechner, Server, Sensoren und Klemmen sind
vernetzt. 246 Roboter, 372 Arbeiter. ‚Früher haben wir
etwa vier Stunden gebraucht, um eine Karosserie zu
bauen, heute ungefähr 90 Minuten.‘
(SZ, 22.4.16)
[6] Diese und andere Konsequenzen der Industrie 4.0 für die Arbeitswelt werden im Teil III behandelt.
[7] Wenn die Aufträge
des Kunden künftig direkt in die Produktionssteuerung
einfließen, dort simuliert und in den Ablauf
eingespeist werden, erübrigen sich viele Arbeitsplätze
heutiger Disponenten. Unternehmen stellen aber auch
zunehmend fest, dass die bisher hierarchisch
strukturierte Organisation den neuen Anforderungen an
Flexibilität und Geschwindigkeit nicht mehr gewachsen
ist.
(FAZ, 25.4.16)
Klar ist: Die automobile Produktion muss sich
verändern – und das fordert durchaus prominente Opfer.
‚Wir haben die Werkleiterebene komplett eliminiert‘,
sagt Markus Schäfer, Bereichsvorstand
Mercedes-Benz.
(Wirtschaftswoche, 18.4.16)
[8] Waren Maschinen
früher auf ausgewählte Arbeitsschritte festgelegt, ist
künftig dank IT eine schnelle Reaktion auf sich
ändernde Anforderungen möglich. Egal, ob ein Produkt
blau oder rot lackiert werden soll – die Maschine kann
beides und entscheidet selbst, was zu tun ist.
Umständliches Umprogrammieren ist nicht nötig. Auf
diese Weise lässt sich rasch auf individuelle
kundenspezifische Wünsche reagieren. Selbst die
Produktion von Einzelstücken und Kleinstmengen kann
rentabel werden… Die resiliente Fabrik: In Zeiten der
Industrie 4.0 muss eine Produktionslinie nicht auf ein
Produkt festgelegt sein. Durch IT-Unterstützung wird es
möglich, die Bearbeitungsstationen flexibel an einen
sich verändernden Produktmix anzupassen – und
Kapazitäten optimal auszulasten.
(Dieter Spath, Produktionsarbeit der Zukunft –
Industrie 4.0, Fraunhofer-Institut für
Arbeitswirtschaft und Organisation, 2013)
[9] Jede Ampel, jedes
Smartphone, jeder Regensensor einer Autoscheibe kann
nützliche Informationen liefern, lautet die Devise… Das
permanent mit dem Internet verbundene Auto sei im
Zusammenspiel mit dem Menschen und seiner Umwelt eine
gigantische Daten-Generierungsmaschine. ‚5 000
vernetzte Autos könnten mehr Umsatz generieren als
50 000 nicht vernetzte. Es wird nicht mehr das Produkt
Auto allein sein, sondern die intelligent vernetzte
Dienstleistung, die dies ermöglichen wird‘, sagt
Pawelke (Digitalexperte bei der
Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG).
(FAZ, 8.12.15)
[10] Der
Trinkwasserlieferant einer australischen Metropolregion
hat eine Predictive-Maintenance-Lösung für sein
Kanalisationssystem aufgebaut, mit der er verlässliche
Voraussagen zu Rohrbrüchen und Ausfällen machen kann.
Zu diesem Zweck werden mehrere Datenquellen, die bisher
nicht miteinander in Verbindung gebracht werden
konnten, auf einer Smart-Data-Plattform vernetzt und
visualisiert: Das sind neue Sensoren an Anlagen und
Leitungen, Wetter- und Niederschlagsvorhersagen sowie
geographische Daten – insbesondere Baumstandorte wegen
des Laubabwurfs. Auch anonymisierte Social-Media-Daten
werden als Frühindikator für Verstopfung einbezogen,
denn Leute neigen dazu, die Geruchsentwicklung in der
Straße via Facebook oder Twitter zu kommentieren.
(FAZ, 17.11.15)
[11] Industrie 4.0
– also die Digitalisierung und Vernetzung der gesamten
Produktion im Unternehmen und über das eigene
Unternehmen hinaus – verändert vor allem
Geschäftsmodelle. Und mit der Veränderung der
Geschäftsmodelle werden auch teilweise jahrzehntealte
Branchengrenzen obsolet… Autohersteller lassen sich
inzwischen in Kaufverträgen zusichern, dass alle Daten,
die das Fahrzeug liefert, ausschließlich dem Hersteller
gehören und von ihm genutzt werden dürfen – auch um
Haftpflichtversicherungen oder andere Dienstleistungen
anzubieten, die bisher von Dritten
(Versicherungsunternehmen) kamen.
(FAZ, 30.5.15)
[12] Normen als
weltweite Sprache der Technik erleichtern den freien
Warenverkehr und fördern den Export: Europäische Normen
öffnen den Binnenmarkt, globale Normen den Weltmarkt.
Normen können Katalysator für Innovationen sein, um
technische Lösungen am Markt zu verankern. Denn Normen
definieren Schnittstellen und
Kompatibilitätsanforderungen. Wer Normen missachtet,
kann schnell im Wettbewerb zurückfallen. Wie die
Anwendung von Normen, so bringt auch die Beteiligung an
ihrer Erarbeitung Vorteile. Normung ist ein
strategisches Instrument für das Management und nicht
nur ein Thema für Spezialisten. Normung muss Chefsache
sein… Wer die Norm macht, hat den Markt.
(DIN, DIHK, ZDH, „Kleines 1x1 der
Normung – ein praxisorientierter Leitfaden für KMU“,
4/2011)
[13] Dafür müssen
wir den nackten Kapitalismus kurzzeitig außer Kraft
setzen. In diesem historischen Fenster müssen wir
kooperieren und einen digitalen
Standardisierungsprozess einleiten. Danach können wir
durch Operational Excellence wieder miteinander
konkurrieren.
(Dr. Alexander
Markowetz, Juniorprofessor für Informatik an der Uni
Bonn, im Interview mit md-automation.de)
[14] Deshalb sehen sich im Übrigen nicht nur Unternehmen und deren Verbände, sondern auch Ministerien und staatliche Institute mit ihrem jeweiligen nationalen Standpunkt zur „Kooperation“ aufgerufen. Mehr dazu im Teil II.
[15] In den neuen
Wertschöpfungsnetzwerken werden Informationen und die
Vernetzung zu einem zentralen Gut. Durch das Teilen
oder Bereitstellen von Informationen werden neue
Möglichkeiten geschaffen. Gleichzeitig ergibt sich
natürlich (!) die Frage nach dem Eigentum an diesen
Informationen und den Rollen und rechtssicheren
Verantwortlichkeiten der beteiligten Parteien. Der
Mehrwert durch die Auswertung von Informationen, die
bei Partnern und Lieferanten erfolgt, ist abzuwägen
gegen den möglichen Abfluss von Know-how.
(Umsetzungsstrategie Industrie
4.0, Ergebnisbericht der Plattform Industrie 4.0, April
2015)
[16] In deutschen
Modell-Clustern sieht das so aus: Dass niemand
heimlich abkupfert oder keine Daten geklaut werden,
wurde am Anfang geregelt. 40 Juristen haben geklärt,
wer was sehen darf, wie in den Projekten berichtet wird
– und wer welcher Schweigepflicht unterliegt.
(FAZ, 1.7.15)
[17] Die Angst der
Firmen vor der vernetzten Fabrik: Vor allem der
Mittelstand in Deutschland zögert beim großen
Zukunftsthema Industrie 4.0. Die Unternehmen fürchten
um die Sicherheit ihrer Daten – und damit ihre
Wettbewerbsvorteile.
(Die
Welt, 14.4.15) Es ist jetzt ca. 30 Jahre her,
dass die Idee des supply-chain-managements entstanden
ist. Die großartige Idee war, dass alles mit allem
vernetzt wird und jeder in der gesamten
Versorgungskette sofort weiß, wo was wann wie steht und
wann produziert wird. Und was ist davon übrig
geblieben? Fast nichts! (…) Warum hat die Idee nicht
funktioniert? Weil keiner damals und auch heute seine
Daten und Informationen freiwillig preisgeben will. Der
Grund für diese Weigerung ist die Preis- und
Produktdatentransparenz.
(FAZ,
9.4.15)
Damit das nicht so bleibt, bemühen sich Institute wie
das staatliche Fraunhofer-Institut bevorzugt um die
Entwicklung von Systemen zu Datensicherheit und
Datenschutz (vgl. FAZ, 24.9.15) – 40 % der über die
„Plattform Industrie 4.0“ verteilten Forschungsgelder
sollen sich um „Datensicherheit“ drehen –; und Konzerne
wie Allianz, Bayer, BASF und Volkswagen gründen ein
gemeinsames „Zentrum für Computer- und
Internetsicherheit“ und erklären zur Begründung:
Sichere Cyber-Systeme sind eine grundlegende
Voraussetzung für unternehmerischen Erfolg.
(FAZ, 19.9.15 Industrie macht
IT-Sicherheit zum Topthema
)
[18] Auch die
zunehmende Übernahme von betrieblichen Tätigkeiten
durch Automaten schafft einerseits absurd anmutende, in
der Welt des Eigentums aber sachgerechte Fragen, ob
z.B. automatisierte Bestellungen durch eine Maschine
eher einer natürlichen oder (eher) juristischen
Person zuzurechnen sind. Teilweise wird diskutiert,
hierauf das Stellvertreterrecht anzuwenden
(Beiten Burkhardt, Wirtschafts-/
Rechtsanwaltskanzlei, Industrie 4.0 – Ein Überblick
über rechtsgebietsübergreifende Herausforderungen
,
Mai 2015). Aber auch hier gibt es von höchster
Stelle Entwarnung. Bundesjustizminister Heiko Maas
sieht die Rechtsordnung zwar unter Druck durch die
Entwicklung hin zur ‚Industrie 4.0‘. Sie müsse aber
nicht auf den Kopf gestellt werden: ‚Ein Kaufvertrag
bleibt ein Kaufvertrag.‘
(FAZ,
17.2.16) Juristische Gelehrte sekundieren mit
absolut überzeugenden Überlegungen: Der
Juraprofessor Dirk Heckmann von der Universität Passau
verwarf utopische Ideen, etwa eine neue Rechtsfigur der
‚E-Person‘ – wie einst jene der juristischen Person –
einzuführen. ‚Das würde uns nicht wirklich
weiterhelfen‘, gab Heckmann zu bedenken: ‚Was nützt es
mir, wenn ich den Roboter verklagen kann, er aber kein
Vermögen hat, in das ich vollstrecken könnte.‘
(FAZ, 17.2.16)
[19] Noch ist
ungeklärt, wem die Daten zufallen, die während der
Fertigung in einer Smart Factory entstehen. Dem Nutzer?
Dem Hersteller? Dem IT-Dienstleister? Jeder dieser
Ansprüche lässt sich begründen, jede dieser
Möglichkeiten hat weitreichende Folgen für die
Ablaufsteuerung im Herstellungsprozess, für
Logistikkoordination und Wartungszyklen sowie für
Optimierungen auf dem Shopfloor.
(Die digitale Transformation der
Industrie
– Eine europäische Studie von Roland
Berger Strategy Consultants im Auftrag des BDI, Februar
2015)
[20] Bebildert wird
das u.a. mit dem sogenannten Lock-in-Effekt
sowie mit den hohen Migrationskosten
, die für
einen Wechsel zu einem anderen Anbieter anfallen würden
– und zwar sehr mitfühlend, nämlich mit einer
ordentlichen Dosis patriotischer Parteilichkeit für die
armen, ausgebeuteten deutschen Industriekapitalisten:
Schauen Sie sich den aktuellen
B2B(Business-to-Business)-Markt an: Man kauft heute
eine beliebige Software, die im Hintergrund läuft. Das
funktioniert immer über einen Lock-in. Tatsächlich
heißt das, die Firma XY verkauft Ihnen eine Software.
Aus dieser wieder herauszukommen ist aufgrund extrem
hoher Migrationskosten extrem schwierig. Die Firma XY
hat also ein De-facto-Monopol und erhöht dann munter
jedes Jahr den Preis. Das ist dann kein effizienter
Markt, man kann nicht mehr weiter wechseln, daher die
unglaublich hohe Prämie. Die meisten Firmen in diesem
Umfeld kommen aus den USA. Man kann das als eine Form
des digitalen Kolonialismus bezeichnen: der deutscher
Mittelstand darf weiter arbeiten wie bisher, nur die
Erlöse führen wir in Form von Softwarelizenzen in die
USA ab.
(Markowetz,
a.a.O)
[21] So beschäftigt
beispielsweise VW weltweit rund 10 000
IT-Spezialisten, deren Aufgabenspektrum ständig größer
wird. Im vergangenen Jahr setzte sich CIO Martin
Hofmann öffentlich dafür ein, die interne IT-Kompetenz
zu steigern und weniger Aufgaben nach außen zu
vergeben. Es müssten konzerninterne Innovationsinseln
entstehen, von ‚IT-Labors‘ war die Rede. IT werde Teil
des Produkts, die ‚Apps auf Rädern‘ seien eine
technische Herausforderung, für die das Unternehmen
Know-how vorhalten müsse.
(Horst Ellermann: „Die Rolle der IT in der
Volkswagen-Strategie“, in: CIO, www.cio.de,
13.4.15)
[22] Dürr
investiert in Digitalisierung: Anlagenbauer übernimmt
Softwarespezialisten
(Überschrift in FAZ, 5.12.15)
[23] Apple
kooperiert nach IBM auch mit dem deutschen
Software-Konzern SAP, um stärker ins Geschäft mit
Unternehmen zu kommen.
Google fährt mit
Fiat-Chrysler: Konzerne schließen Kooperation für
selbstfahrende Autos.
(FAZ,
6.5.16)
Gemeinsam mit Siemens bietet man [SAP] den
industriellen Kunden an, die mit Siemenssteuerungen
versehenen Maschinen weltweit und in Echtzeit zu
überwachen. SAP bringt die Echtzeitverarbeitung ein
sowie die Verbindung zur kaufmännischen
Verwaltungssoftware, Siemens die Maschinen,
beziehungsweise Produktionssteuerung. Künftig werden
beide Systeme miteinander verbunden. Damit können Daten
aus der Fertigung gesammelt, gespeichert und analysiert
werden. Aus den Ergebnissen ziehen Computer in riesigen
Rechenzentren Schlussfolgerungen für die weitere
Produktion, für das automatische Entgegennehmen von
Aufträgen, für die Verteilung der Arbeit auf einzelne
Maschinen und für die Wartung der Anlage.
(FAZ, 2.3.16)
[24] Solange es 28
fragmentierte, nationale Datenschutzgesetze in Europa
gibt, sucht sich der Dritte, sucht sich Apple, sucht
sich Google, sucht sich Facebook den Standort aus, an
dem das Datenschutzrecht am schwächsten ausgeprägt ist
oder die Kontrolle nicht stattfindet ... und nimmt den
Staubsauger und saugt von dort die Daten Europas ab,
sammelt sie, nimmt sie mit in die USA, speichert sie,
mixt sie und verkauft sie neu.
(Vortrag Günther Oettinger zur Sonderreihe
„BMF im Dialog“: Wachstumstreiber Digitalisierung, BMF,
6.3.15)
[25] Entsprechend wirkt Deutschland in Europa darauf hin, Änderungen und Vereinheitlichungen z.B. des Wettbewerbs-, Telekommunikationsrechts, im Urheber- und Verbraucherschutz etc. durchzusetzen, um günstige Bedingungen für die Geschäfte mit Clouds, Plattformen, Netzwerken etc. durch die Aufhebung nationaler Schranken zu schaffen.
[26] Technik zur Realisierung von 50 Mbit/s auf Basis der in Deutschland flächendeckend verlegten Kupferkabel.
[27] Wir sollten
aufhören, die Mittel aus dem Juncker-Fonds für
Kleinkram auszugeben. Wir brauchen ein ehrgeiziges
Großprojekt zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit
Europas.
(Gabriel im
Handelsblatt, 24.4.16)
[28] ‚Es geht hier
und jetzt darum, den Rahmen abzustecken‘, sagt Siemens
Vorstand Russwurm... Als international agierendes
Unternehmen helfen Siemens beispielsweise keine
deutschen Standards, auch keine europäischen, sondern
globale Normen und Regeln. Deshalb müssen wir an einem
Tisch sitzen und unsere Ziele gemeinsam voranbringen.‘
Angesichts neuer Technik und neuer Standards suchen die
Industrien über alle Grenzen hinweg den
Schulterschluss. Das in Amerika gegründete Industrial
Internet Consortium (IIC) und die deutsche Plattform
Industrie 4.0 loten derzeit eine weitreichende
Zusammenarbeit aus. Damit gehen nicht nur zwei der
größten Industrienationen aufeinander zu, damit wird
auch die Basis für die Zukunft des verarbeitenden
Gewerbes in aller Welt gelegt.
(FAZ, 14.3.16)
[29] Gabriel erhebt den Umgang mit personenbezogenen Daten europäischer Bürger in den USA in seiner Rede auf dem 9. IT-Gipfel 2015 explizit zur Frage der „digitalen Souveränität“. Die EU hat inzwischen das Geschäft mit personenbezogenen Daten (dominiert von Google, Amazon oder Facebook) europäischer Bürger sowie den staatlichen Zugriff auf solche Daten beschränkt und sich selbst innerhalb der USA das Recht auf Überprüfung und Einspruch einräumen lassen.
[30] Die sich
zunehmend beschleunigende Technologisierung bedroht
mittel- und langfristig mehr als die Hälfte aller
Arbeitsplätze in Deutschland.
(Die Welt, 24.9.15) Die
Wahrscheinlichkeit, dass etwa Büroangestellte bald
durch Computer ersetzt werden, beläuft sich laut einer
Studie auf über 90 Prozent. Taxifahrer, Kassierer und
Buchhalter wird es in 20 Jahren als Beruf nicht mehr
geben… Anders als bisher werden auch gut Qualifizierte
betroffen sein.
(NZZ am
Sonntag, 3.1.16)
[31] In einigen
Branchen, ich denke da z.B. an die chemische, die
Papier-, die Druck- oder auch die
Nahrungsmittelindustrie, ist diese Entwicklung bereits
weit fortgeschritten. Produktionsprozesse werden hier
über informationstechnische Hilfsmittel virtuell
abgebildet und aus Leitständen heraus gesteuert und
überwacht, teilweise auch fernüberwacht. Zunächst sind
hier deutlich weniger Fachkräfte notwendig.
Arbeitsaufgaben konzentrieren sich z.B. auf die
Sicherung des Produktionsanlaufs, das Testen,
Überwachen, Instandhalten von Anlagen und
Produktionsprozessen, das Verhindern, Erkennen und
schnelle Beheben von Störungen, auf die
Produktionssicherung – und Sicherheit hat dabei eine
sehr umfassende Bedeutung – , auf Logistik und
Ablauforganisation.
(Interview
mit dem BIBB-Forscher Dr. Gerd Zinke im WAP, dem
Berufsbildungsportal der IG Metall, 25.1.16)
[32] Beispielsweise
erfordert das Polieren von Oberflächen sensorische
Fähigkeiten, die keine Maschine erfüllt. Bis heute kann
nur der Mensch Glanz und Reflexion von Oberflächen
sicher beurteilen.
(Deutsche
Bank Research, 4.2.14, S. 8)
[33] Die
Beschäftigung von Geringqualifizierten habe zuletzt in
vielen Ländern sogar leicht zugenommen. Häufig lohne es
sich nicht, die oft als ‚McJobs‘ geschmähten
Arbeitsplätze durch teure Maschinen zu ersetzen.
(FAZ, 6.8.15)
[34] Kuka, Hersteller
von Assistenzrobotern, berichtet auf seiner Homepage:
Damit kann der sensitive Roboter beispielsweise als
flexibler Produktionsassistent in der Fertigung
eingesetzt werden und Mitarbeiter entlasten, indem er
bisher nicht automatisierbare, ergonomisch ungünstige
manuelle Arbeitsschritte übernimmt. Beispielsweise
durch die Übernahme von Über-Kopf-Arbeiten oder
schweren Lasten können Mitarbeiter stark entlastet
werden. Reproduzierbare Prozesse werden so qualitativ
hochwertig ausgeführt.
[35] Es gibt auch
keine Wochenplanungen mehr. Künftig können Aufträge
auch schnell dazwischengeschoben werden. Das System
plant optimal ein und erstellt eine neue Ablaufplanung
für die kommenden Stunden.
(Johann Soder, Geschäftsführer des
Elektromotorenherstellers SEW, in der FAZ,
16.11.15)
[36] Die
Digitalisierung der deutschen Wirtschaft schreitet mit
hohem Tempo voran. Dadurch steigt der Bedarf der
Wirtschaft nach Spezialisten für
Informationstechnologie (IT) dermaßen schnell, dass
laut Branchenverband Bitkom mehr als 40 000 offene
Stellen nicht besetzt werden können. Und wie das
Statistische Bundesamt berichtet, klagt fast jedes
zweite einstellungswillige Unternehmen in Deutschland
über Probleme bei der Stellenbesetzung. Für die
Computerfachleute sind das gute Nachrichten. Denn die
hohe Nachfrage treibt die Gehälter sprunghaft in die
Höhe.
(FAZ Gehaltsatlas – Was
IT-Spezialisten verdienen. Beruf und Chance,
12.12.15)
[37] Tim Ringo, IBM
Personalvorstand, bringt in einem Interview mit der
Zeitschrift Personnel Today, 4-2010, bei der
Präsentation seines Plans, 300 000 der weltweit 400 000
IBM-Mitarbeiter durch Freelancer zu ersetzen, den Zweck
der Sache entwaffnend schlicht auf den Punkt: There
would be no building costs, no pensions and no
healthcare costs, making huge savings
. Was sonst!
[38] Um diese
Konkurrenz zu optimieren, haben Unternehmen wie IBM
eigene Plattformen eingerichtet, auf denen auch
angestellte eigene Mitarbeiter, die über freie
Zeitkonten verfügen, mit Freelancern um Aufträge
konkurrieren können. Die Freelancer können sowohl
‚additiv‘ als auch ‚substitutiv‘ zu der
Stammbelegschaft in Stellung gebracht werden. Durch die
strukturelle Gleichstellung beider Arbeitskraftformen
im Informationsraum werden zwei vollkommen
unterschiedliche Rechtssysteme zueinander in Konkurrenz
gebracht. Es liegt auf der Hand, dass die Personen in
der PeopleCloud aus der Sicht der fest Beschäftigten
eine permanente aktive Bedrohung darstellen.
(Cloudworking und die Zukunft der
Arbeit („IBM-Studie“), Andreas Boes u.a., August 2014,
S. 51)
[39] Egal, von welchem
Ort der Welt solche Freiberufler dem auftraggebenden
Unternehmen zuarbeiten – die Kontrolle ihres
Arbeitseinsatzes bezüglich der Effektivität ihrer
Leistung, ihrer Zuverlässigkeit und ihres Arbeitstempos
ist auf Grundlage der Vernetzung aller Datenströme kein
Problem; bzw. ein preisgünstig zu lösendes. Denn dafür
stehen Firmen parat, wie die SAP-Tochter Success
Factor, die die web-basierte Leistungskontrolle
als Softwarelösung für das Human Capital
Management
in der digitalisierten Fabrik anbieten.
Deren Verkaufsschlager ist es, mit ihrer Software die
Leistungsunterschiede verschiedener Projektgruppen
innerhalb eines Unternehmens rund um die Uhr digital zu
analysieren und auch die Datenwolke
, die über
die Arbeitseffektivität von Externen Auskunft gibt, in
den Vergleich einbeziehen zu können.