Mehr Zinsen, mehr Schulden

Die USA bewältigen Inflation und Rezessionsgefahr und setzen damit Vorgaben für den Rest der Welt

In den USA steigen schon seit längerem auf breiter Front die Preise. Der Wertverfall des nationalen Zahlungsmittels beschädigt dessen verlässliche Dienste für Wirtschaft und Gesellschaft: Er greift die Kaufkraft von Löhnen und Gehältern an, mit denen sich Durchschnittsamerikaner ihren Lebensunterhalt finanzieren, und droht damit den Lebensstandard infrage zu stellen, auf den der hard-working American anerkanntermaßen ein Recht hat; und er unterminiert die Verlässlichkeit, mit der das Geld die Leistung erbringt, als Mittel der Kapitalvermehrung für Unternehmen und Finanzinstitute zu dienen. Beides will die amerikanische Staatsmacht nicht einfach gelten lassen; inzwischen ist die schwindende Kaufkraft des Dollar zur entscheidenden wirtschaftspolitischen Herausforderung für die nationale Politik avanciert. Der Präsident erklärt die Bekämpfung der Inflation zur obersten Zielsetzung seiner Wirtschaftspolitik; mit der gleichen Begründung entscheidet sich die amerikanische Notenbank zu einer radikalen Korrektur ihrer Geldpolitik.

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Mehr Zinsen, mehr Schulden
Die USA bewältigen Inflation und Rezessionsgefahr und setzen damit Vorgaben für den Rest der Welt

Die Inflationierung des nationalen Zahlungsmittels

In den USA steigen schon seit längerem auf breiter Front die Preise. Der Wertverfall des nationalen Zahlungsmittels beschädigt dessen verlässliche Dienste für Wirtschaft und Gesellschaft: Er greift die Kaufkraft von Löhnen und Gehältern an, mit denen sich Durchschnittsamerikaner ihren Lebensunterhalt finanzieren, und droht damit den Lebensstandard infrage zu stellen, auf den der hard-working American anerkanntermaßen ein Recht hat; und er unterminiert die Verlässlichkeit, mit der das Geld die Leistung erbringt, als Mittel der Kapitalvermehrung für Unternehmen und Finanzinstitute zu dienen. Beides will die amerikanische Staatsmacht nicht einfach gelten lassen; inzwischen ist die schwindende Kaufkraft des Dollar zur entscheidenden wirtschaftspolitischen Herausforderung für die nationale Politik avanciert. Der Präsident erklärt die Bekämpfung der Inflation zur obersten Zielsetzung seiner Wirtschaftspolitik; mit der gleichen Begründung entscheidet sich die amerikanische Notenbank zu einer radikalen Korrektur ihrer Geldpolitik.

Was die Quelle des Wertverfalls des Dollar betrifft, herrscht in Politik und Öffentlichkeit weitgehend Konsens: Die Inflation ist eine bedauerliche Nebenwirkung der für sich genommen äußerst erfolgreichen Maßnahmen der Biden-Regierung, um der schädlichen Wirkungen der Corona-Pandemie Herr zu werden. Der „American Rescue Plan“ versorgte mit Dollarmilliarden aus dem Staatshaushalt Wirtschaft und Volk ersatzweise mit Geldeinnahmen, die seuchenbedingt aus den üblichen Quellen nicht mehr zu haben waren. [1] Die staatlichen Zahlungen bewährten sich – ganz bilderbuchmäßig – in ihrer Funktion als Kaufkraft und dienten damit zugleich dem freien Unternehmertum als Bereicherungsmittel; so gut, dass die Unternehmen in Spekulation auf sich allgemein erweiterndes Geschäft die Produktion – wieder – aufnahmen und / oder ausdehnten und dafür auch zusätzliche Arbeitskräfte in Dienst nahmen. Befördert wurde diese staatlich gemanagte Wiederherstellung der Zusammenarbeit von Kapital und Arbeit in Amerika durch eine massive Ausweitung des Kredits seitens der Banken. Die verdienten am Aufschwung kräftig mit, den sie mit ihren Krediten befeuerten: Sie statteten – natürlich nicht umsonst – die Unternehmen mit dem nötigen Geld für erweiterte Investitionen aus sowie die Massen mit der nötigen Kaufkraft, um die wachsenden Gewinnansprüche der kreditierten Unternehmen zu versilbern. Nach Auskunft der Statistik sind die Amerikaner aller Einkommensklassen inzwischen in der Summe höher verschuldet als zu Beginn der Finanzkrise 2008. Die steigenden Wachstumsraten befeuerten einen Börsenboom, also die Leistung des Finanzkapitals, ganz aus sich heraus immer neue Gelegenheiten zur spekulativen Geldvermehrung zu stiften.

Als Initiator und Promotor dieser sagenhaften wirtschaftlichen Erholung lässt sich Biden gerne feiern [2] – das ist die gute Nachricht. Was ihm von Öffentlichkeit und Wahlvolk zur Last gelegt wird, ist die Schattenseite dieser Erfolgsstory, eben der mit dem Wachstum einhergehende Verfall des Geldwerts. Eingeschlossen in der unternehmerischen Tätigkeit, deren Leistungen für das nationale Wachstum gar nicht genug gelobt werden können, ist nämlich die Freiheit, die von Staat und Kreditwesen in die Welt gesetzte Zahlungsfähigkeit durch Preiserhöhungen abzugreifen, sie also dafür zu nutzen, sich auch ohne die Mühe zu bereichern, zusätzliche Waren und Dienstleistungen zu verkaufen. Das haben die Unternehmen denn auch in den letzten Monaten reichlich getan; sie haben die Preise, die sie an ihre Geschäftspartner gezahlt haben, an ihre eigene Kundschaft „weitergegeben“, ihr also höhere Preise abverlangt, wo immer ihre Marktmacht es ihnen erlaubte. Das Ergebnis war eine allgemeine Teuerung, die am Ende noch durch das Steigen der Energiepreise befeuert wurde. Einen nicht unmaßgeblichen Beitrag dazu lieferte das Kreditwesen darüber hinaus auch noch: Die finanzkapitalistische Spekulation auf Immobilien, die mit dem allgemeinen Wachstum einherging, trieb die Grundstückspreise in die Höhe und mit ihnen Hypothekenzinsen und Mieten, die ohnehin schon einen nicht geringen Teil der üblichen Lebenshaltungskosten ausmachen. Im Ergebnis stellt sich das allgemeine Steigen der Preise als Verfall der Kaufkraft des nationalen Geldes dar. Oder anders ausgedrückt: Das Wachstum der in Dollar denominierten Gelderträge allen Produzierens und Spekulierens und das mit diesen Erträgen verfügbare Quantum Zugriffsmacht auf die – produktiven wie konsumtiven – Elemente des gesellschaftlichen Reichtums treten immer weiter auseinander. Die Vermehrung des Geldes, der Zweck allen Wirtschaftens, stellt immer weniger ein wirkliches Mehr verdienten kapitalistischen Reichtums und immer mehr eine unproduktive Aufblähung des Kredits dar.

Das ist die kritische Lage, derer sich die politische Führung Amerikas unter dem Titel Inflationsbekämpfung annimmt. Durch den inneren Wertverlust des Dollar sehen Biden und Co die schönen Wachstumserfolge gefährdet, die mit dem Rescue Plan auf den Weg gebracht wurden; und der Börsenboom, anfangs noch als Ausweis des Erfolgs in Sachen Wachstum gefeiert, belegt ihnen immer weniger den verlässlichen Charakter der allseitigen Dollarvermehrung als vielmehr deren prekären Zustand. Dagegen schreiten sie ein.

Die Federal Reserve Bank kümmert sich um den Geldwert: Krise auf Ansage

Das ist insofern die leichteste Übung, als in der Frage, wer was zu tun hat, um der amerikanischen Wirtschaft die Inflation vom Hals zu schaffen, längst institutionell vorgesorgt ist: Das ist Sache der Geldpolitik, und die Notenbank die dafür zuständige Instanz. Entsprechend den Zielsetzungen „gleichgewichtiges Wachstum“ und „stabiler Geldwert“ soll sie auf die Bedingungen einwirken, zu denen die Banken ihre eigene Kundschaft mit Kredit ausstatten. Als Hebel dienen ihr der Umfang, in dem, und der Preis, zu dem sie den von den Banken vergebenen Kredit refinanziert und diese damit zu erneuter Kreditvergabe befähigt. Tätig wird sie freilich nicht erst, wenn der Schaden schon eingetreten ist. Die geldpolitische Betreuung des Gangs der nationalen Wirtschaft ist vielmehr eine Daueraufgabe. Entsprechend hat die Fed den mit dem Rescue Plan vorangetriebenen Aufschwung von Anfang an mit ihrer Geldpolitik begleitet: erst unterstützend mit einer „Niedrigzinspolitik“, die Banken und Geschäftswelt das Geben und Nehmen von immer mehr Kredit refinanziert, also die Ausweitung der gesellschaftlichen Zahlungsfähigkeit erleichtert hat; dann zunehmend kritisch in der Frage, ob im Verlauf von Wachstum und Inflation nicht schon wieder zu viel Zahlungsfähigkeit in der Gesellschaft unterwegs sei. Das will sie in den Griff bekommen, indem sie das Verleihen von Geld teurer und damit den Kredit knapper macht. In diesem Sinne ringt sie sich zu einem grundsätzlichen Kurswechsel durch, der von allen Betroffenen auch so verstanden wird: Sie leitet eine Serie von Zinserhöhungen ein, die das spekulative Übermaß an Kredit eindämmen und dem Dollar darüber Wertstabilität verleihen sollen.

Erst einmal macht das Heraufsetzen der Kosten für Refinanzierung und die Weitergabe der eigenen Kreditkosten an die Kundschaft seitens der Banken allerdings das Geldleihen nur teurer – und zwar für alle, die schon verschuldet sind. [3] Bedenken, dass die normalen Konsumenten nun beides stemmen müssen, die Steigerung der Preise und der Kreditkosten, die sie für Auto, Haus etc. pp. aufzubringen haben, lässt die Fed allerdings nicht gelten; ebenso wenig lässt sie sich durch die Warnung aufhalten, die flächendeckende Erhöhung der Kreditkosten könne zu viel Geschäft kaputtmachen, eventuell sogar eine Rezession auslösen. Dass die Erhöhung des Leitzinses die Kreditkosten im Lande allgemein anhebt, verbucht die Fed vielmehr als ersten Erfolg ihrer Maßnahme, nämlich als Beleg dafür, dass sie richtig liegt: Dem allgemeinen Zinsanstieg entnimmt sie die Bestätigung, dass es zuvor wohl zu viel zu billigen Kredit gab. Das heißt umgekehrt: Die Preise kommen nur runter, wenn Geschäft kaputtgeht. Wenn es der Geldwertstabilität guttut, will die Fed ein Stück Entwertung des in Amerika angelegten Kapitals; wenn also ihre Zinspolitik in durchaus beträchtlichem Umfang Kurse abstürzen lässt und gestern noch lohnendes Geschäft unrentabel macht, dann ist das eben so. [4]

Ebenso wenig quälen die Fed Bedenklichkeiten, sie könnte mit ihren heftigen Zinserhöhungen auch die Kreditaufnahme des amerikanischen Staats verteuern. Die Gefahr, jede „Straffung der Geldpolitik“ und jeder damit einhergehende Anstieg der Zinsen auf Staatspapiere könnten bei finanzkapitalistischen Anlegern die Frage aufwerfen, ob der staatliche Emittent eine solche höhere Belastung seines Kredits aushält, kann sie offenbar nicht erkennen. Von einem Zwiespalt zwischen „Geld- und Fiskalpolitik“, mit dem sich etwa europäische Zentralbanker derzeit herumschlagen, ist bei der Fed nichts zu bemerken. Sie geht bei ihrer Zinspolitik nicht nur davon aus, dass der amerikanische Staat derzeit lauter gute Gründe kennt, seine Kreditaufnahme auszuweiten, sondern auch davon, dass er das auch zu höheren Kosten weiterhin problemlos kann.

Die Regierung bekämpft die Rezessionsgefahr, die die Fed heraufbeschwört – mit einem „Inflation Reduction Act“

Mitten hinein in Inflation und Kreditverteuerung legt die Regierung Biden ein umfangreiches Programm zur Wirtschaftsförderung auf, [5] das einiges von seinem – auch von den Demokraten selbst totgeglaubten und -gesagten – „Build Back Better“-Programm enthält. [6] Damit niemand das als Gegensatz zur gleichzeitigen Beschränkung des Kredits durch die Notenbank missversteht, wird das große staatliche Ausgabenprogramm „Inflation Reduction Act“ getauft. Der gute Wille zur Inflationsbekämpfung wird durch den Hinweis extra unterstrichen, dass darin immerhin auch ein großes Einnahmenprogramm enthalten ist, das die neuen Ausgaben garantiert „gegenfinanziert“, etwa durch Steuererhöhungen für die Reichen und konsequentere Steuereintreibung für alle; außerdem werden die größten Ausgaben auf mehrere Jahre veranschlagt und das Versprechen dokumentiert, den über die Jahre aufgehäuften Schuldenberg radikal abzubauen: Von einer inflationstreibenden Aufblähung der Staatsschuld könne da unmöglich die Rede sein, wo doch so ordentlich nach allen Regeln der Haushaltskunst gerechnet worden ist... Darüber hinaus nimmt die Regierung Preiserhöhungen ganz direkt ins Visier, insbesondere dort, wo sie den Volksmassen das Zurechtkommen besonders schwer machen: Die ausufernden Kosten für Medikamente sollen durch die Ermächtigung des Staats gesenkt werden, Preisnachlässe für verschreibungspflichtige Arzneimittel mit den Herstellern zu verhandeln; damit will sich die Regierung endlich gegen die Ansprüche von ‚Big Pharma‘ gewehrt haben, was frühere Regierungen sich angeblich nicht getraut oder nicht geschafft haben. Ein ehrgeiziges Energieprogramm zur Förderung der grünen Energiewirtschaft in Amerika und zur Sicherung globaler amerikanischer Energiedominanz soll die Energiekosten des durchschnittlichen Amerikaners erheblich senken. [7] Zur Senkung der Benzinpreise im Besonderen wird die nationale strategische Ölreserve angezapft, ergänzt um den höflichen, aber bestimmten Appell an die Ölkonzerne, mehr Öl zu produzieren und zu raffinieren. Auch ein „Housing Supply Action Plan“, mit dem nach Aussage Bidens in den nächsten fünf Jahren über eine Million neuer Wohnungen gebaut werden sollen, ist im Programm.

Wovon das große Paket in der Hauptsache zeugt, ist die Entschlossenheit der Regierung Biden, Inflationsbekämpfung auf keinen Fall bloß per Bereinigung der amerikanischen Wirtschaft um schlechten Kredit zu betreiben, vielmehr per Förderung eindeutig lohnenden Geschäfts. Aus dieser Bereinigung soll nicht nur keine Rezession, kein allgemeiner Rückgang der nationalen Geschäftstätigkeit werden, sondern genau das Gegenteil: ein neuer Aufschwung. In dem Sinne kündigt die Regierung an, Inflation und Rezession zugleich durch das einzig wirklich wirksame Mittel zu bekämpfen: einen staatlich geförderten, neuerlichen Investitionsschub, der die amerikanische Wirtschaft produktiver und insgesamt ertragreicher macht. Im Zentrum dieses Programms steht gar nicht zufällig die Energiewirtschaft: Die durch den Wirtschaftskrieg losgetretene Verschärfung der Konkurrenz der Staaten um den Zugang zu bezahlbarer Energie entdeckt der Präsident als Gelegenheit, mit der Senkung der Energiepreise einen amerikanischen Standortvorteil herbeizuregieren, der eine Attraktion von Kapital nach Amerika in die Wege leiten soll. Solche wachstumsfördernden Wirkungen rechtfertigen nicht nur die Inanspruchnahme staatlicher Haushaltsmittel, aus denen das Großprojekt finanziert werden soll, sondern eben auch das Versprechen, den Abbau des nationalen Schuldenbergs jetzt schon zu veranschlagen. Ordentlich befeuertes Wachstum in Amerika auf Kosten der Konkurrenz – das macht jede Haushaltsrechnung seriös.

Die amerikanische Regierung verweigert sich also keineswegs der Anforderung, der Staat habe sich beim Ausweiten der Staatsausgaben um die Verlässlichkeit des Kredits der Nation zu kümmern; demonstrativ reitet Biden darauf herum, wie sehr er sich dem Grundprinzip verpflichtet weiß, dem zufolge Amerika nichts macht, was sich nicht lohnt, also auch beim Schuldenmachen darauf achtet, dass das Geldverdienen in der Nation vorangebracht und nicht belastet wird. Wie sich der Präsident dieser Selbstverpflichtung annimmt, hat denn auch überhaupt nichts Defensives an sich: Er führt vor, dass die USA sich gerade jetzt, mitten in Krieg und Krise, eine ausgreifende Konkurrenzoffensive leisten können, die auch noch dem nationalen Geld die ihm zustehende Qualität als zuverlässiges Wachstumsmittel zurückgibt. So fällt für diese Nation Inflationsbekämpfung nahtlos zusammen mit dem, was die Regierung schon längst und sowieso betreibt: die Wiederherstellung der eindeutigen Suprematie Amerikas in der ökonomischen Konkurrenz der Nationen. Dass es darum geht, steht sowieso fest; das muss Biden gar nicht groß erwähnen. Er redet lieber von der leuchtenden Zukunft, die jeden Amerikaner erwartet, wenn seine Herrschaft sich ganz auf die Förderung des Wohlergehens seines Volks besinnt, den Bürger entlastet, Sonderinteressen bekämpft usw. Da darf man an ‚Big Pharma‘ ebenso denken wie an die ‚Superreichen‘, die für das Gesetz zur Kasse gebeten werden, oder an die Immobilienspekulanten, die mit einem neuen wohnungspolitischen Projekt in die Schranken gewiesen werden. Das sind die Gegner, die die amerikanische Regierung niederringen muss und will, damit es mit Amerika weiterhin aufwärtsgeht; auch in der Frage nehmen die USA nur an sich selbst Maß.

Das Antiinflationsprogramm – eine Kampfansage an den Rest der Welt

Wenn die Fed ihrer Funktion als geldpolitische Betreuungsinstanz des Kapitalwachstums in Amerika nachkommt und den Preis der Verschuldung in Dollar erhöht, ist die gesamte restliche Staatenwelt unmittelbar betroffen. Die Fed setzt damit nämlich ein entscheidendes Datum für die Verschuldungsfähigkeit aller anderen politischen Souveräne; entsprechend aufgeregt wird dort verhandelt, welche Gefahren dem eigenen Kredit und der eigenen Konkurrenzposition auf dem Weltmarkt drohen und wie die eigene Wirtschafts- und Geldpolitik auf sie reagieren soll. Das ist deshalb so, weil das amerikanische Kreditgeld, das im Innern der USA als nationales Kauf- und Zahlungsmittel fungiert und sich in der Funktion entwertet, zugleich der global maßgebliche kapitalistische Reichtum ist. Als solcher ist der Dollar nicht nur der letzte Zweck allen Wirtschaftens, sondern das dafür universell gebrauchte Mittel: für den zuverlässigen Vollzug von allen Geld- und Kredittransaktionen, die bei der Kapitalvermehrung anfallen. Der Hoheit der Fed über die Kosten der Verschuldung in Dollar steht die Angewiesenheit der großen Masse der anderen Staaten auf die Verfügung über das amerikanische Kreditgeld als Weltgeld gegenüber; also sorgt die amerikanische Notenbank in dem Maße, wie sie den Dollarzins hochtreibt, für die Verteuerung dieses für alle staatlichen wie privaten Akteure unverzichtbaren Mittels zur Teilnahme am Weltmarkt.

Von der Betroffenheit und Abhängigkeit der anderen Staaten von ihren Entscheidungen geht die Fed als verlässlicher Geschäftsgrundlage ihrer Geldpolitik einfach aus – wie die Dinge stehen, mit vollem Recht. Genau der ubiquitäre Bedarf nach und Gebrauch von amerikanischem Geld wofür auch immer versetzt die amerikanische Staatsmacht in die bequeme Lage, ihre Verschuldung so hemmungslos ausdehnen zu können; mit ihrer Kreditvermehrung verfügt sie quasi automatisch über mehr global gültigen Reichtum. Derselbe Sonderstatus des Dollar erlaubt es außerdem der amerikanischen Notenbank, sich gleichgültig gegen jede unerwünschte Wirkung auf das Austauschverhältnis des Dollar zu anderen nationalen Kreditgeldern ganz darauf zu konzentrieren, die inflationäre Wirkung der inneren Kreditvermehrung in den Griff zu bekommen. Sie nutzt einfach aus, dass die von ihr verfügte Verteuerung des Dollarkredits keine Zweifel an der Kreditwürdigkeit Amerikas weckt, diese sogar im Gegenteil stärkt. Investitionen in solch fraglos gültige, geldgleiche Dollarschulden lohnen sich nun noch mehr als zuvor – das veranlasst die weltweit aktive Spekulantenmafia zur „Umschichtung“ ihrer Anlagen und steigert infolgedessen die Nachfrage nach Dollar. Im Ergebnis kommt es mit jedem Zinsschritt der Fed den Rest der Welt teurer, sich in Dollar zu verschulden; das schlägt sich wiederum in der finanzkapitalistischen Spekulation auf und gegen die Währungen der Welt so nieder, dass der Fähigkeit der anderen Staaten, sich Dollarkredit zu besorgen, mit jeder Wertsteigerung des Dollar mehr misstraut wird. Usw.

Mit den Zinserhöhungen der Fed steigt deshalb der Wechselkurs des Dollar gegenüber den Währungen aller anderen Staaten; das wird noch befeuert durch die Nöte, die der Wirtschaftskrieg gegen Russland anderen Mächten bereitet. In dem Maße, wie der Dollar an Wert zulegt, wird der Rest der Welt ärmer; staatliche Versuche, mit eigenen Zinserhöhungen Kursverlusten entgegenzuwirken, fördern hauptsächlich zutage, dass so recht keine andere Nation sich die Zinssteigerungen leisten kann, die die Fed vorgibt. Die verfügt dagegen ganz frei, was sie für das Beste für das Kapitalwachstum in Amerika hält. Dabei ist die mächtigste Notenbank der Welt mit den globalen Wirkungen ihrer Zinspolitik selbstverständlich ebenso gut vertraut wie damit, mit welchen krisenhaften Zuständen sich die anderen Staaten sonst noch herumschlagen müssen. [8]

Deren Sorgen gehen die Fed aber nichts an, jedenfalls nicht in dem Sinne, dass sie deren Ursache wäre; einen Einfluss auf ihre Maßnahmen haben die Problemlagen anderer Nationen schon gleich nicht. Es ist umgekehrt: Minderbemittelte Mächte haben sich dem zu akkommodieren, was die geldpolitischen Manager des größten Kapitalstandorts der Welt für dessen Wachstum für notwendig erachten und deshalb auch dem Rest der Welt als unhintergehbare Bedingung für ihr wirtschaftliches Vorankommen aufnötigen. Wenn sie das nicht hinbekommen, ist das ihr Problem. [9] Im gleichen Geist bekennt sich das Biden’sche Gesetzeswerk zur Inflationsbekämpfung dazu, dass der Vorteil Amerikas auf dem Felde der Wirtschaft nur als Gegensatz zum Rest der Welt zu haben ist. Den fechten die USA durch: gegen ihre getreuesten Kriegsverbündeten – und gegen sonstige Rivalen und Widersacher sowieso.

[1] „Die Ökonomie mit Geld zu überschwemmen, bewirkte die schnellste wirtschaftliche Erholung aller G7-Nationen, zugleich verursachte die wenig zielgerichtete Natur der Ausgaben den höchsten Sprung des Preisniveaus seit 40 Jahren... Es war die größte Masse staatlicher Ausgaben zur Bekämpfung einer Notlage in der Geschichte der USA... Das Geld rettete die Ökonomie der USA vor dem Ruin, aber es rief auch in ungekanntem Umfang Betrug, Missbrauch und Opportunismus hervor.“ (Washington Post, 9.10.22)

[2] „Seit wir unser Amt angetreten haben, haben wir fast 10 Millionen Arbeitsplätze geschaffen; ein Rekord für jeden Präsidenten ... die Arbeitslosenrate ist auf dem niedrigsten Stand seit 50 Jahren ... und wir haben die Benzinpreise gesenkt ...“ (Biden, Rede zur Beschlussfassung des „Inflation Reduction Act“, 13.9.22)

[3] Auf Nachfrage geben Zentralbanker gerne zu, dass die Veränderung der Zinsen, die die Fed den Banken für ihre Geldversorgung abknöpft, ein ziemlich „grobes Mittel“ ist, um unsolides von solidem Geschäft zu scheiden. Aber was hilft’s...

[4] Für die zu erwartenden Opfer der Zinspolitik gibt es einen Namen, der deren Notwendigkeit unterstreicht: Sie heißen Zombiefirmen. Womit ebendas gesagt sein soll: Sie sind schon längst unrentabel, werden nur durch untubar billigen Kredit am Leben und Wirtschaften gehalten, müssen also weg. Sehr konstruktiv gedacht; allerdings bleibt es in der Krise bekanntlich nicht dabei, dass die Spreu vom Weizen geschieden wird.

[5] Das Gesetz ist nach Auskunft seines Urhebers das Großartigste an Wirtschafts-, Sozial- und Standortpolitik, was das amerikanische Volk je gesehen hat – „die wichtigste je von diesem Kongress verabschiedete Gesetzgebung zur Inflationsbekämpfung und aus meiner Sicht eines der bedeutsamsten Gesetze in der Geschichte unserer Nation“ (Biden, Rede zur Beschlussfassung des „Inflation Reduction Act“, 13.9.22).

[6] Näheres zu diesem Programm von Joe Biden wird erläutert in dem Artikel ‚Build Back Better‘: Der Kampf um die Seele Amerikas geht weiter. Die Supermacht ringt mit sich um ihre weltweite Suprematie in GegenStandpunkt 4-21.

[7] „Dieses Gesetz senkt die Kosten für Familien, es hilft, die Inflation am Küchentisch zu reduzieren. Weil es das ist, worum es bei ihnen geht... Es bietet arbeitenden Familien Tausende von Dollar an Einsparungen für Energie, mit Steuersenkungen und Preisnachlässen, um neue Geräte zu kaufen, ihre Häuser energieeffizient zu machen... Amerikanische Autofirmen und Belegschaften wenden Milliarden von Dollars und eine große Menge harter Arbeit und Einfallsreichtum auf, um elektrische Autos und Batterien zu produzieren... Wir werden 500 000 Ladestationen an unseren Highways bekommen; und sie werden alle made in America sein.“ (Biden, a.a.O.)

[8] Einfühlsam erläutert der Vizepräsident der Fed die Schwierigkeiten, mit denen Zentralbanken es aktuell zu tun haben: „Inflationsraten sind sehr hoch in den USA und im Ausland, und das Risiko zusätzlicher inflationärer Schocks kann nicht ausgeschlossen werden... Mit hoher Inflation konfrontierte Zentralbanken straffen die Geldpolitik rasch, um die Nachfrage zu dämpfen und sie an das Angebot anzupassen, das in einer Vielzahl von Sektoren eingeschränkt ist. Der Prozess der Beseitigung von Ungleichgewichten wird einfacher, je mehr sich das Angebot auf den Märkten für Rohstoffe, Arbeitskraft und wichtige Vorleistungen verbessert; aber es gibt das Risiko, dass Versorgungsunterbrechungen verlängert oder verschärft werden könnten durch Russlands Krieg gegen die Ukraine, Corona-Lockdowns in China oder Wetterstörungen. Russlands Krieg gegen die Ukraine hat zu Preisspitzen für Energie, Lebensmittel und landwirtschaftliche Betriebsmittel geführt. Zuletzt wurde die Inflation in Europa durch Russlands Einstellung der Erdgaslieferungen durch die Pipeline Nord Stream 1 in die Höhe getrieben. Dies führt zu Schwierigkeiten für Haushalte und birgt das Risiko von Störungen für einige Branchen in den betroffenen Ländern. Chinas Corona-Sperrpolitik könnte auch zu Lieferunterbrechungen führen, wenn die Fälle wieder zunehmen. Unabhängig davon verschärfen die Wetterbedingungen in mehreren Regionen, darunter China, Europa und die USA, den Preisdruck durch Störungen in Landwirtschaft, Schifffahrt und Energie.“ (Aus einer Rede von Fed-Vizechef Brainard am 22.9.22)

[9] So bewahrheitet sich wieder einmal der alte Spruch:

„Der Dollar ist unsere Währung, aber euer Problem.“ (John Connally, US-Finanzminister, 1971)