Die Ukraine in den Zeiten von Corona
Von Russland befreit, bis zum Ruin verwestlicht, von Krisen überrollt

Im Artikel über die Ukraine wird erklärt, was die Karriere dieses Landes zum gigantischen ‚failed state‘ mit den Bemühungen zu tun hat, es zum kapitalistisch wirtschaftenden antirussischen Frontstaat zu machen – und warum die Folgen der Pandemie so katastrophal ausfallen, wie der Zustand des ganzen Landes längst ist.

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Die Ukraine in den Zeiten von Corona
Von Russland befreit, bis zum Ruin verwestlicht, von Krisen überrollt

Anderthalb Jahre ist es her, dass der Schauspieler Wolodymyr Selenskyj, von seinem als Seifenoperkomik vorgetragenen Moralisieren über gute und vor allem schlechte Politik dazu gedrängt, echte Verantwortung zu übernehmen, seinen Entschluss verkündet hat, in die Politik zu gehen. Von der begeisterten und massenhaften Zustimmung der Bevölkerung, die ihn ins Präsidentenamt befördert und seiner neu gegründeten Partei Diener des Volkes die absolute Mehrheit im Parlament beschert hat, sind mittlerweile nur noch klägliche Reste verblieben.

Auch wenn er dieser Lage mit einem hysterisch schnellen Auswechseln des Regierungspersonals Herr zu werden versucht – die katastrophale Lage des Staats liegt nicht an der mangelnden politischen Erfahrung seiner ersten Regierungsgarnitur; sie liegt auch nicht am Generalübel der Korruption, der Diagnose, mit der er seinen Wahlkampf bestritten und eine groß angelegte Säuberungsaktion in der herrschenden Klasse und ihrem Beamtenapparat in Auftrag gegeben hatte.

Es ist einfach so, dass Staat, Wirtschaft und Gesellschaft in der Ukraine im Zuge der Intensivbetreuung, die ihnen die USA und die EU in Sachen Russenfeindschaft, Verwirklichung von Marktwirtschaft und Demokratie seit dem Putsch vor sechs Jahren angedeihen lassen, zugrunde gehen. Der damals in Kiew an die Macht gebrachte fanatische Antirussismus spaltet die Gesellschaft und die politische Klasse in sich unversöhnlich gegenüberstehende Lager, die gleichwohl zu einem gesitteten demokratischen Miteinander aufgerufen sind; er zerstört mit der auftragsgemäß immer konsequenteren Kündigung der Kooperation mit Russland, von der die ukrainische Wirtschaft bis heute abhängig ist, die überkommenen Lebensgrundlagen der Nation. Die rasant wachsenden Schulden, mit denen der Staat wirtschaftet, spendieren IWF, Weltbank und andere Wohltäter, verlangen der Regierung als Preis für ihre guten Dienste in allerhöchster Not aber auch ultimativ „Reformen“ ab, die den Krieg der verschiedenen Lager im Land gehörig anheizen. Neue Lebensgrundlagen stellen sich trotz der Ratschläge der besten Experten für erfolgreiche Haushaltskonsolidierung und Wachstum nicht ein. Das Volk passt sich an die neuen Lebensverhältnisse an und stirbt vor allem wegen Alkoholismus, HIV, Tuberkulose, Cholera und anderer Krankheiten durchschnittlich etliche Jahre früher; wer kann, sucht sein Glück im Ausland, sodass aus den 55 Millionen Bürgern der Ukraine zu Sowjetzeiten inzwischen offiziell 42 geworden sind.

Zu alldem kommt schließlich noch eine weitere Krisenlage: Die durch die Führer der westlichen Welt zu einem antirussischen Bollwerk hergerichtete und in ihrer ganzen staatlichen Existenz von deren Alimentierung abhängige Ukraine bekommt Trumps Desinteresse gegenüber ihrem heiligen Krieg zu spüren und kann sich angesichts der aufgemischten Weltlage auch nicht mehr sicher sein, wie viel die Protektion der europäischen Schutzmächte heute wert ist.

Kurz: Besser gerüstet für die Bewältigung der Corona-Pandemie könnte die Ukraine kaum sein.

I. Der Schuldenstaat zwischen drohendem Default und Erpressung des IWF

In der Krise schon vor der Corona-Krise

Zu Beginn des Jahres kommen Beratungen von Regierungsmitgliedern und Vertretern der Nationalbank an die Öffentlichkeit, in denen sich der Premierminister darüber auslässt, dass der Präsident null Ahnung von Wirtschaft hat, er selber aber auch nicht, was insofern nicht gut ist, weil es mit der Wirtschaft ziemlich den Bach runtergeht. Hontscharuk:

„Selenskyj hat nur ein sehr schlichtes Verständnis der Wirtschaftsprozesse. Er versteht, dass es eine Zahlungsbilanz gibt. Die Zahlungsbilanz sieht sehr schlecht aus... Und für einen Präsidenten ergibt all das die Vorstellung, dass die Lage nicht unter Kontrolle ist. Wir verstehen es nicht, wir haben keine Pläne. Und wir haben ja wirklich keine... Das Wirtschaftswachstum wird niedrig sein ... und Behauptungen wie: ‚Diese Reformen geben der Wirtschaft den Todeskuss‘ oder ‚die Sorosjata [1] sind gekommen und die Wirtschaft wächst weniger‘ werden folgen... Was den Haushalt angeht, ich weiß nicht, wie man das richtig machen soll. Es gibt keine Lösung.“ (112.ua, 15.1.20)

Diese für Führungspersönlichkeiten ungewöhnlichen Bekenntnisse zur eigenen Rat- und Hilflosigkeit beruhen darauf, dass der Haufen sogenannter „junger Reformer“, der unter dem flotten Namen Ze!Team in die Kommandohöhen der Staatsmacht eingerückt ist, eben vom Gegenteil, nämlich fest davon überzeugt war, dass sie jetzt in der Ukraine endlich einmal alles richtig machen würden, sodass es mit der Wirtschaft unweigerlich aufwärtsgehen müsste. Ihr Programm hat, ganz nach den langjährigen Forderungen der Schutzmächte, darin bestanden, mit dem Grundübel Korruption aufzuräumen, unter dem die Nation angeblich leidet. Und zweitens sollten endlich energisch Reformen umgesetzt werden, die Her- und Zurichtung des ukrainischen Staatswesens nach dem Muster der erfolgreichen Veranstalter von Marktwirtschaft & Demokratie, was bislang an Unfähigkeit oder Widerstand des Amtsvorgängers Poroschenko und seiner Vorgänger gescheitert sein soll. Und ebendiese Überzeugung, dass man doch mit bestem Willen nichts als die westlichen Erfolgsrezepte befolgt hat, stellt die Mitkämpfer Selenskyjs vor das Rätsel, warum sie lauter bestürzende Tatsachen registrieren müssen.

Kurze Zeit später setzt der Chef die Regierungsmannschaft vor die Tür und zieht höchstpersönlich eine schonungslose Bilanz:

„Nach nur zwei Monaten des neuen Jahrs beläuft sich die Verfehlung der Haushaltsziele schon auf beinahe 16 Milliarden Griwna... Davon entfallen 13 auf Ausfälle bei den Zolleinnahmen... Man hat uns was von einem entschiedenen und kompromisslosen Kampf gegen den Schmuggel erzählt. Aber jetzt sieht es so aus, als ob der Schmuggel in diesem Kampf den Zoll ausgeknockt hat... Rückgang der Industrieproduktion um 5 %... Der Ruhm der Ukraine als Industrienation gerät langsam zu einer Rückblende. Wir riskieren beim Reden über unser industrielles Potential, dass die Leute bald sagen: ‚Das ist lange her, und es war nicht wahr‘... Bei den Gas- und Stromrechnungen gab es im Januar und Februar ein einziges Chaos... Manchmal waren sie geringer, manchmal nicht. Einige Leute sollten eine Gebühr für die Gaslieferung für einige Monate im voraus zahlen. Woanders wurden welchen, die überhaupt kein Gas beziehen, Preise berechnet... Unser nächstes Leiden ist die Lage der Bergleute und der Kohleförderung... In erster Linie geht es um die Löhne der Bergleute und den Verkauf ukrainischer Kohle. ... mehr als 11 Millionen Rentner. Leider gibt es keine klaren Auskünfte über die Anhebung der Renten... Ähnlich ist die Lage im Gesundheitssektor.“ [2]

Das Haushaltsdefizit 2019 ist fünfmal größer ausgefallen als im vorhergehenden Jahr, die hoffnungsfroh deklarierten neuen Geldquellen sprudeln nicht; weder im Zoll, weil die Zollbeamten das dort eingesammelte Geld lieber nicht an den Finanzminister abführen, sondern weiterhin mit den Schmuggelbanden kooperieren, noch kommen die veranschlagten Einnahmen aus dem Privatisierungsprogramm zustande: Wie immer sind im Haushalt die erwarteten Einkünfte aus der Privatisierung von Staatseigentum ausgeblieben. (UNIAN, 27.12.19) Die Industrie bleibt den versprochenen Aufschwung hartnäckig schuldig und schrumpft dahin. Der Versuch, die Gaspreise zu senken, die das Volk nicht zahlen kann, trifft auf Energieversorgungsunternehmen, die, selbst am Rande der Pleite, intelligente Lösungen für ihr Problem drohender Mindereinnahmen brauchen und finden: Sie schröpfen einfach das Volk. Arbeiter, Rentner und das Gesundheitswesen bekommen das Geld nicht, das Selenskyj ihnen zukommen lassen will, das im Haushalt aber nicht aufzufinden ist...

Ein Erfolg der „Öffnung“ und der Assoziierung mit der EU

Das Objekt des entschiedenen Reformwillens der Regierung, die ukrainische Ökonomie, befindet sich im Zustand fortschreitender Degeneration, weil sie erst den Schock der Transformation über sich hat ergehen lassen müssen; dann hat der per Putsch durchgesetzte Lagerwechsel und der Krieg im Osten die Betriebe fast gänzlich von ihren arbeitsteiligen Beziehungen zu russischen Unternehmen abgeschnitten, und schließlich sind sie inzwischen der Konkurrenz vor allem des EU-Kapitals ausgesetzt, das dank des Assoziationsabkommens jetzt auch den ukrainischen Markt okkupiert. Die berühmte „Öffnung“, die angeblich den Anschluss an die europäische Wohlstandszone bewirken sollte, führt zu nichts anderem als zur fortschreitenden Deindustrialisierung des Landes. [3] Das ehemalige industrielle Schwergewicht der Sowjetökonomie – mit einem Potential von der Schwerindustrie bis hin zu Abteilungen der Raumfahrt-, Raketen- und Flugzeugindustrie – scheitert am Maßstab der Rentabilität. Dass der Ruhm der Industrienation Ukraine unter Es war einmal fällt, bestätigen auch die Buchhalter des IWF:

„Die Ukraine gehört zu den 18 Ländern auf der Welt, deren Wirtschaftsleistung während der Periode von 1990 bis 2017 zurückgegangen ist, sie liegt auf dem fünftletzten Platz.“ (112.ua, 10.3.20)

Das Privatisierungsprogramm, mit dem die Regierung sich nicht nur wachsende Haushaltsmittel beschaffen, sondern auch Auslandsinvestitionen attrahieren wollte, um ein Wachstum in Gang zu setzen, ist sowohl unter den Vorgängerregierungen wie unter Selenskyj gescheitert: [4] Der größte Teil der Anlagen und Ausrüstungen ist nicht nur moralisch veraltet, sondern auch physisch verschlissen. [5] Zwar wird ein großer Bestand an Betrieben in Staatsbesitz auf Kosten der Staatskasse aufrechterhalten, als notwendige Voraussetzung für das gesellschaftliche Überleben und die Geschäfte der Privaten, aber ohne dass sich dies „lohnt“, sodass unter der marktwirtschaftlichen Rechnungsweise die Verschuldung der 48 größten Staatsbetriebe nach Angaben des IWF auf fast 20 Prozent des Bruttosozialprodukts wächst. Das Interesse auswärtiger Investoren am Erwerb ukrainischer Industriebetriebe, auf das sich die gesamten Hoffnungen der Regierenden wie auf ein Allheilmittel richten, fällt dementsprechend aus: Es ist nicht vorhanden. [6]

Diese in ihrer Reproduktion elementar gefährdete Gesellschaft bekommt es nun auch noch mit der Pandemie zu tun.

Die Corona-Krise

Die Obrigkeit schickt ihr Volk zu großen Teilen in die Quarantäne, allerdings hat aufgrund der nur spärlichen marktwirtschaftlichen Benützung ungefähr die Hälfte der Ukrainer keine für die gesamte Quarantäne-Periode ausreichenden Ersparnisse (UNIAN, 4.4.20). Dazu kommt, dass die Überweisungen der zahlreichen Arbeitsemigranten und damit der Unterhalt ihrer Familien entfallen, [7] denn dank der nationalen Seuchenpolitik der europäischen Staaten werden mehr als 1,5 Millionen Arbeitsemigranten in ihre Heimat zurückgescheucht, die ihnen schon vorher keine Gelegenheit geboten hat, sich zu ernähren – deshalb sind sie ja gegangen –, und die tut das unter den heutigen Bedingungen noch viel weniger; [8] schließlich sind auch die verbliebenen heimischen Arbeitsplätze gefährdet:

„Die Hälfte der ukrainischen Unternehmen würde eine längere Quarantäne nicht überleben ... während 29 Prozent den Betrieb schon eingestellt haben (typisch für das Kleingewerbe). 51 Prozent der Unternehmen können nur einen Monat überleben, ohne bankrottzugehen.“ (UNIAN, 3.4.20)

Die Regierung setzt ein Programm zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in die Welt – Armut mit Arbeit. Wie die Regierung 500 000 Arbeitsplätze schaffen will und wie viel sie bezahlen wird (strana.ua, 23.4.20) – wobei Selenskyj wie schon großen historischen Vorbildern die Autobahnen einfallen:

„Ich schlage vor, dass die Regierung einen eigenen Mechanismus entwickelt, um Millionen zusätzlicher Jobs in der Ukraine zu schaffen... Tausende Kilometer neuer Straßen und Infrastruktur-Objekte werden den nötigen Anstoß für die wirtschaftliche Entwicklung und die Entstehung neuer Jobs geben.“ (president.gov.ua, 1.4.20)

Bei der Ankündigung bleibt es aber, weil der Haushalt die Finanzmittel für die geplanten Hungerlöhne nicht hergibt.

Der Präsident erklärt seinem Volk die neue Aufgabe zu überleben: Was jetzt ansteht, ist nicht Bequemlichkeit, sondern Überleben. Wir haben Brot, Butter, Milch, Getreide... (112.ua, 17.4.20), und er kommt nicht von ungefähr auf Brot und Butter, weil in seinem Land, das mit die fruchtbarsten und größten Landwirtschaftsgebiete weltweit besitzt, die Lebensmittelversorgung nicht mehr garantiert ist: Der Export der Agrarprodukte ist zum gewichtigsten Beschaffer von Devisen geraten – 40 Prozent der Devisenerträge werden durch Agrarexporte generiert (112.ua, 9.4.20). Obwohl die Regierung damit droht, notfalls Exportverbote zu verhängen, werden wachsende Mengen ausgeführt – hard currency-Devisenerträge sind ja in der Krise nötiger denn je; [9] und weil dann auch noch Nachbarländer Exportstopps für Lebensmittel verhängen, wird die elementare Versorgung nicht nur durch rapide steigende Preise, sondern auch durch sinkende Mengen gefährdet.

Der neue Premierminister führt Quarantänebestimmungen ein, erklärt aber gleich dazu, dass sowohl der ukrainische Staat als auch sein Volk sich das verlangte social distancing eigentlich nicht leisten können:

„Der Stillstand eines bedeutenden Teils der nationalen Wirtschaft kann nicht für länger andauern... Die Leute müssen Geld verdienen, die Wirtschaft muss loslegen. Die Ukraine ist auch kein reiches Land, das es sich leisten kann, sechs Monate lang untätig zu bleiben, zu Hause zu sitzen und Fernsehen zu schauen... Die Regierung hat die Liste der Aktivitäten verlängert, die während der Quarantäne stattfinden dürfen, unter anderem der Verkauf von Autoersatzteilen, Geflügelzucht und der Betrieb aller Arten von Finanzinstituten, einschließlich von Pfandhäusern und Genossenschaftsbanken.“ (Schmyhal, UNIAN, 4.4.20)

Elementare Freiheitsrechte wie der Gang ins Pfandhaus bleiben wegen massenhafter Armut erhalten, während sich aus demselben schlichten Grund einzelne Quarantänemaßnahmen nicht durchhalten lassen; die Sperrung der offenen Bauernmärkte schließt die Bevölkerung von deren – im Vergleich zu den Supermarktketten – billigeren Lebensmitteln aus und provoziert auch Proteste der Bauern; die Sperrung des öffentlichen Verkehrswesens wird durch einige Bürgermeister wieder aufgehoben, weil sonst das Krankenhauspersonal nicht zu seinen Arbeitsplätzen kommt.

Die Ausbreitung der Seuche fällt dann auch noch aufs Glücklichste mit der Eröffnung der 2. Etappe einer Reform des Gesundheitswesens am 1. April zusammen, einer Reform, die sich der Herstellung von mehr „Effizienz“, genauer: mehr „Kostenersparnis“, verschrieben hat. Aus der Idee, die aus der realsozialistischen Vergangenheit ererbte kostenlose Gesundheitsversorgung durch eine aus Abzügen vom Lohn finanzierte Versicherung zu ersetzen, ist nie etwas geworden, weil die Einkommen der meisten Ukrainer das nicht hergeben, manche Kliniken überstanden diese Versuche nicht, das Personal verschwand in großer Zahl im Ausland. Die staatliche Zuständigkeit wurde unter dem Titel der „Dezentralisierung“ erfolgreich auf die unteren staatlichen Ebenen verschoben, sodass deren mangelhafte Finanzierung der Gesundheitseinrichtungen wiederum

„durch direkte formelle und informelle Zahlungen von Patienten und deren Familien kompensiert [wird]. Mittlerweile machen diese 43,4 Prozent der gesamten Gesundheitsausgaben in der Ukraine aus.“ (Ukraine-Analysen Nr. 106, 11.9.12)

Auswärtige Berater missverstehen diese Verschiebung einer Not auf die andere gerne als Paradefall der in der Ukraine endemischen Korruption.

Die jetzige Etappe der unter Selenskyjs Vorgänger Poroschenko beschlossenen Reform soll die Gesundheitseinrichtungen mit einer Rechenweise nach dem Prinzip Das Geld folgt den Patienten[10] finanzieren, die aktuell zu einer grandiosen Unterfinanzierung führt:

„50 000 Angestellte im Gesundheitswesen könnten aufgrund des neuen Finanzierungsmechanismus arbeitslos werden. Ebenso werden 2020 an die tausend Krankenhäuser weniger Finanzmittel erhalten als 2019, und 332 medizinischen Einrichtungen droht die Schließung. Bei Notfallmedizin, interdisziplinären Krankenhäusern, onkologischen Zentren, Krankenhäusern für Veteranen, den meisten Kinderkliniken, psychiatrischen Einrichtungen und solchen für Tuberkulose-Patienten besteht das Risiko der Unterfinanzierung.“ (President spoke about complaints that he received from health workers, 112.ua, 4.5.20)

Angesichts dieser Auswirkungen der immerhin unter ihm in Kraft gesetzten „zweiten Reformstufe“ kommen dem Präsidenten persönlich gewisse Zweifel am Nutzen dieser Reform, ebenso dem neuen Gesundheitsminister:

„Das ist keine Optimierung. Man muss die Dinge beim Namen nennen. Das ist ein Abbau. Das ist ein banaler Abbau medizinischer Mitarbeiter. Die Konsequenzen werden, wenn wir das nicht jetzt stoppen, folgende sein: Mindestens bekommen wir in zwei bis drei Jahren eine Erhöhung der Tuberkulose-Rate um 30 Prozent. Wir bekommen eine erhöhte Sterblichkeit durch Tuberkulose und einen Abbau der medizinischen Mitarbeiter, der nach Tausenden zählen wird.“ (Nowoje Wremja, 25.4.20)[11]

Das Gesundheitsministerium muss dann auch noch feststellen, dass das medizinische Personal ein Fünftel aller Covid-19-Infizierten ausmacht, wir haben eine der weltweit höchsten Infektionsraten bei medizinischem Personal (Rfe/rl, 30.4.20), weil es an der notwendigen Schutzausrüstung mangelt. Und der Präsident, der die Moral des Personals mit einer 300-prozentigen Lohnerhöhung ehren will, macht sich zur Lach- bzw. Hass-Nummer, weil das Geld – wie fast immer bei seinen Versprechungen – nicht eintrifft. [12]

Ein Haushalt ohne Geld

Das Rezept der westlichen Länder, Geld in die Gesellschaft zu pumpen, um das Überleben der ökonomischen Subjekte zu retten, ist in der Ukraine nicht zu machen, weil schon im „normalen“ Haushalt zugesagte Gelder immer wieder nicht vorhanden waren. Die jetzige Haushaltspolitik versucht sich wieder an der Aufgabe, durch die Plünderung der Regionen mit Hilfe einer enormen Verlagerung der Steuereinnahmen von den Regionen zur Zentrale sowie durch Appelle an die Betriebe Geld einzutreiben:

„Die Unternehmen werden dem Haushalt nicht 1,5 Milliarden USD, sondern 2,5 Milliarden übertragen müssen... Es gibt Zweifel, ob dieser Betrag zustande kommen kann.“ (112.ua, 15.4.20)

In beiden Fällen herrschen nämlich begründete Zweifel daran, ob die Betreffenden der Anweisung überhaupt Folge leisten; auf dem Land müssten dann alle möglichen Einrichtungen geschlossen werden. Daher werden solche Beschlüsse auch teilweise widerrufen, oder es bleibt bei folgenlosen Ankündigungen. Im Resultat wird der Haushalt laufend geändert, weil in der gesamten parlamentarischen Haushaltsberatung nichts anderes als ein Krieg ums Geld geführt wird, zwischen der Obrigkeit, den Regionen und den mächtigen Wirtschaftssubjekten. Mit der Zusage von Geldern, deren Zuteilung dann gar nicht stattfindet, einem Haushalt, der zum großen Teil fiktiv bleibt, entlarven die Regierenden selbst ihre Pose einer energischen Krisenbekämpfungspolitik als Schein: Der neue Premier Schmyhal verkündet die Einrichtung eines Stabilisierungsfonds und wofür er alles verwandt werden soll, während noch überhaupt nicht feststeht, ob dieser Fonds überhaupt zustande kommt, d.h. wer ihn überhaupt füllt. [13]

Schließlich – und das wissen irgendwie auch alle – steht und fällt der Schein eines staatlichen Haushalts, einer finanziellen Bewirtschaftung der Gesellschaft durch den Staat mit der Genehmigung neuen Kredits durch den IWF, d.h. ohne den ist der ganze Haushalt sowieso Makulatur, [14] denn es sind allein die IWF-Kredite, die seit 2014 verhindern, dass die Ukraine offiziell den Staatsbankrott erklären muss.

Die Staatsgewalt in der Schuldenfalle

In Gestalt seiner Stand-by-Abkommen stiftet der IWF seit Jahren so viel an staatlicher Zahlungsfähigkeit, dass die Ukraine die Bedienung und Tilgung der Schulden zu leisten imstande ist und sich auf die Weise als Schuldner eine gewisse Geschäftsfähigkeit erhält, sodass sie auch auf dem Finanzmarkt Kredite aufnehmen kann. Diese Rettungsaktionen verknüpft der IWF wie üblich mit einem Regime, das den Schuldner auf solides Haushalten und konsequentes Reformieren verpflichtet. Weil er dabei regelmäßig auf eine Mischung aus Unwillen und Unfähigkeit der ukrainischen Regierenden stößt, den Auflagen nachzukommen, und auch aufgrund der Tatsache, dass sich der neue Staatschef im Wahlkampf Sympathien mit Äußerungen der Art erworben hat, der IWF solle sich seine Vereinbarungen in den Arsch stecken, befinden es die Herren des internationalen Kredits für erforderlich, die nötige Einsicht in die kapitalistische Notwendigkeit auf brachialem Weg herzustellen: Sie setzen erst einmal die Auszahlung der im Rahmen des Abkommens zugesagten Kredittranche aus und neue Verhandlungen an, um die Herrschaft in Kiew spüren zu lassen, wie teuer Unbotmäßigkeit gegenüber dem IWF werden kann.

Mit vollem Erfolg: Es entwickelt sich eine kleine Schuldenkrise. Zur Bedienung bzw. Tilgung der fälligen Altkredite sieht sich die Ukraine auf den Finanzmarkt verwiesen und findet in Zeiten von Null- und Negativzinsen glatt Investoren, die sich für ihren Mut, sich auf ein „hochriskantes“ [15] Gebiet zu begeben und ukrainische Schuldtitel zu kaufen, mit einer hohen – zeitweilig der weltweit höchsten – Verzinsung belohnen lassen. Das kleine Folgeproblem: Durch die Bedienung der Altschulden wächst die Gesamtverschuldung mit neuer Geschwindigkeit:

„Wir mussten ungefähr 100 Millionen Dollar aufs Jahr mehr zahlen, um einen solchen ‚Ersatz‘ von IWF-Kredit durch teure Privatkredite zu bedienen. Aber das Problem der Bedienung öffentlicher Schulden wird sich der Ukraine im nächsten Jahr genauso akut stellen.“ (Ukraine-IMF cooperation: Myths and reality, 112.ua, 16.12.19)

und es fragt sich, wie sich der Staat jemals wieder dieser Lasten entledigen können soll:

„Am 15. Oktober hat das Finanzministerium wieder Regierungsbonds für eine Gesamtsumme von 45 Millionen USD platziert mit einem Rückzahlungsdatum vom 15. Januar und 30. September 2020 sowie vom 29. September 2021... Von Januar bis September 2019 hat das Finanzministerium schon 194.8 Milliarden UAH (7,7 Milliarden USD), 3,8 Milliarden USD und 189 Millionen Euro aufgenommen! Wer wird warum diese riesigen und sehr teuren Schulden zahlen?“ (112.ua, 18.10.20) „Die Hontscharuk-Regierung hat eine Pyramide von Staatsanleihen aufgebaut, aus der es fast unmöglich ist, wieder herauszukommen.“ (112.ua, 6.3.20)

Vervollständigt wird dieses unschöne Szenario dann durch eine durch den Einbruch von Corona ausgelöste heftige Kapitalflucht: Unter dem Eindruck der Doppelkrise von fallenden Ölpreisen und Coronavirus riet die US-Investmentbank Morgan Stanley vor einigen Tagen ihren Kunden, ‚die Ukraine zu verkaufen und Ägypten zu kaufen‘. (Junge Welt, 24.3.20) Es entfaltet sich ein Kampf aller Parteien um im Land verfügbare Dollars, die inflationserfahrenen Bürger stürmen die Banken, und die Reserven der Nationalbank schwinden. Die Nationalbank findet keine Käufer mehr für neue Obligationen und Bonds, während die Ukraine im zweiten Quartal Auslandsanleihen in Höhe von 5,5 Milliarden US-Dollar zurückzahlen muss. Aber der IWF lässt sich Zeit.

Die Kritik an der Nationalbank wächst, dass sie in der Krise mit dem Verkauf ihrer Dollars die Abwertung der Griwna zu bremsen versucht, anstatt sie zur Bekämpfung der Pandemie einzusetzen; und überhaupt wird deren Währungs- und Zinspolitik nach Maßgabe der IWF-Richtlinien als Grund des Niedergangs ausgemacht. Der Standpunkt, dass es besser sei, den Default zu erklären, um die Schulden und das IWF-Regime loszuwerden, gewinnt immer mehr Zuspruch – sodass Selenskyj seine Sprecherin schon mit höchstem Pathos unter Berufung auf die zu rettenden Menschenleben vor solchen Kalkulationen warnen lässt. [16]

II. Die Forderungen des IWF: Respekt vor den Regeln der Marktwirtschaft erzwingen!

Der IWF nimmt die Krise regelrecht als Gelegenheit wahr, die Erpressung zu verschärfen, mit der er die Selenskyj-Regierung seit ihrem Amtsantritt konfrontiert – neuen Kredit, im Hinblick auf die Corona-Krise sogar noch ein paar Milliarden Dollar mehr, gibt es nur bei der Zustimmung zu „Reformen“, eine Erpressung, die umso wirksamer ist, als die Genehmigung des IWF-Kredits auch von Seiten anderer Kreditgeber zur Bedingung für den Zugang zu ihren Krediten gemacht wird. [17]

Der Fonds knüpft seine Hilfe ultimativ an die Verabschiedung von zwei Gesetzen, in denen er Meilensteine für den Weg des Landes in eine vernünftige marktwirtschaftliche Zukunft sieht, die freilich aus gutem Grund bislang nicht zustande gekommen sind: Die Landreform zwingt die Regierung dazu, den Ausverkauf des Landes voranzutreiben und das Bankengesetz dazu, gegen einen der mächtigsten Oligarchen vorzugehen. Beides zusammen treibt die Regierung in eine Machtprobe, die sie sich wirklich nicht bestellt hat. Die Wahl, vor die der Staatschef sein Parlament stellt, hat dann auch eine gewisse Ähnlichkeit mit der Alternative „Geld oder Leben!“:

„Infolge des Coronavirus ist unser Land tatsächlich an einem Scheideweg angekommen und zwei Wege stehen ihm offen. Der erste besteht darin, zwei lebenswichtige Gesetze zu verabschieden; danach würden wir von unseren internationalen Finanzpartnern Unterstützung in Höhe von mindestens 10 Milliarden USD erhalten. Das ist notwendig, um die Ökonomie des Landes zu stabilisieren und die Krise zu überwinden. Andernfalls, nämlich bei Nichtverabschiedung dieser Gesetze – das wäre der zweite Weg – käme es zum Verfall der Ökonomie und sogar zur Gefahr eines Staatsbankrotts.“ (112.ua, 9.3.20)
„Jetzt brauchen wir sie [die Unterstützung des IWF] wie Blut für den menschlichen Körper... Wären wir in anderen Zeiten, herrschte Ruhe, könnten wir darüber reden, ob sie für uns profitabel ist oder nicht.“ (UNIAN, 18.4.20)

Die Landreform

Aus der Hoffnung, das aus planwirtschaftlichen Zeiten übrig gebliebene industrielle Inventar der Ukraine möge sich als Basis einer regen kapitalistischen Geschäftstätigkeit bewähren, ist zwar nichts geworden. Dafür aber, dass in der Ukraine nur die Schulden wachsen, ist das Land nach Ansicht des IWF eigentlich viel zu reich. Es verfügt nämlich nach Angaben der FAO über ein Drittel der Schwarzerde-Ressourcen der Welt, riesige Flächen fruchtbaren Bodens, aus denen sich ein ebenso riesiges Agrargeschäft machen ließe, wenn die ukrainische Regierung endlich den Skandal beseitigen würde, dass Grund und Boden im Land bis auf den heutigen Tag nicht frei handelbar sind. 30 Jahre nach seinem Abschied vom Kommunismus weigert sich dieser Staat immer noch, den uneingeschränkten Zugriff von Privateigentümern auf eine elementare Bedingung des kapitalistischen Geschäfts zuzulassen und rechtlich zu schützen; der Löwenanteil an Grund und Boden gehört immer noch einem staatlichen Bodenfonds als Erben der einstigen Kolchosen und Sowchosen, und ein staatliches Moratorium sorgt dafür, dass der Boden nur zu pachten, nicht aber zu kaufen ist, sodass ein gewaltiges Kapital brach liegt, eine potentielle milliardenschwere Beute für kreditstarke Spekulanten und tüchtige Agrarkonzerne.

Die Reform, die der IWF bislang vergeblich fordert und die jetzt von der Selenskyj-Regierung in Angriff genommen wird, die Verwandlung von Grund und Boden in echtes Eigentum, verlangt nicht weniger als den Umsturz der bisherigen Macht- und Einkommensverhältnisse in der ukrainischen Landwirtschaft: Wenn große Agrarkapitale Rentabilität im Weltmaßstab durchsetzen, [18] erwächst den Agraroligarchen eine existenzbedrohende Konkurrenz, von der sie bisher erfolgreich verschont worden sind; ebenso den kleinen und mittleren Bauern-Betrieben, die die lokalen Märkte zu Preisen beliefern, die das Volk sich leisten kann. Und eine nicht geringe Zahl von Landarbeitern wird einsehen müssen, dass sie im Vergleich zur sophisticated Landwirtschaft in anderen Ländern einfach zu viele sind.

Und weit über den materiellen Schäden steht dann schließlich der Schaden, den das ukrainische Nationalbewusstsein veranschlagt: die Auslieferung der heiligen Heimaterde an fremde Interessen. Aus allen gesellschaftlichen Abteilungen erwächst eine Ablehnungsfront und verstärkt das politische Lager, das ohnehin schon in den Reformprozeduren, die die vom Westen überall eingesetzten Berater und Funktionäre durchsetzen, nichts als eine demütigende und schädliche Fremdherrschaft entdeckt: Je länger die Ukraine die koloniale Haltung des IWF toleriert, umso schlimmer wird es. (Medwedtschuk, 112.ua, 30.4.20)[19]

Dass das Land mit der blau-gelben Nationalfahne, nach allgemeinem Dafürhalten Symbol des herrlichen ukrainischen Himmels über dem blühenden Kornfeld, jetzt auch noch den Inbegriff des nationalen Reichtums ausländischen Geschäftemachern opfern, fremden Diktaten unterstellen soll, empört Patrioten in allen Ständen und einigt Macher wie Statisten in der Nation. Bauernproteste blockieren immer wieder die Autobahnen, der Aufruhr lässt sich in keiner Weise einfangen und strapaziert auch das demokratische Prozedere, mit dem die Regierung ihre Reform durchsetzen will, aufs Äußerste: Es hagelt tausende von Änderungsanträgen, um den Abstimmungsprozess im Parlament zu obstruieren.

„Wir gehen bis zum Äußersten im Kampf unserer Bürger, damit das Land nicht einer Plünderung zum Opfer fällt, was die Regierung will und was der zynische IWF und der Soros-Fonds von der Regierung verlangen ... und viele andere, die schon lange ein Auge auf unser Land, auf unser Nationalvermögen geworfen haben und versuchen, es um jeden Preis zu rauben. Wir tun, im Rahmen des Gesetzes, alles Mögliche und alles Nötige, alles, was in unserer Macht steht, und wir werden weiterkämpfen, trotz aller Tricks, trotz aller Erpressungsmanöver, und trotz der Tatsache, dass die Autoritäten im Parlament Stimmung für dieses Gesetz machen und damit sowohl das Regulierungsgesetz als auch die Verfassung verletzen.“ (Medwedtschuk: Government presses on our party so that we surrender, but we will continue struggle, 112.ua, 31.3.20)

Damit das Gesetz überhaupt durchkommt, nimmt die Regierung Änderungen vor, die den Gegnern der Bodenreform entgegenkommen: Der Verkauf an Ausländer ist erst ab 2024 erlaubt, [20] was die Opposition aber keineswegs zufriedenstellt – die Fremden bräuchten ja nur einen ukrainischen Strohmann für die Plünderung der Nation. Selenskyjs eigene Partei zerlegt sich im Verlauf der Auseinandersetzung in Feinde und Befürworter der Reform, die sicher geglaubte parlamentarische Mehrheit ist dahin, sodass dem Präsidenten nichts übrig bleibt, als einen politischen Offenbarungseid zu leisten und die Reform ausgerechnet mit Hilfe der Partei Poroschenkos durchzudrücken – des Mannes, den er als Inbegriff der Korruption und des Vaterlandsverrats einzusperren und seine politische Karriere für immer zu beenden versprochen hatte. [21]

Die „Lex Kolomojskyj“

Seit Jahren fordern Ausland und IWF von der ukrainischen Regierung im Namen von freier Konkurrenz, Marktwirtschaft und Rechtsstaatlichkeit, gegen Korruption und sogenannte „Monopole“ vorzugehen. Zum Inbegriff der unsauberen Machenschaften, mit denen im Land aufgeräumt werden muss, ist der Fall Kolomojskyj geraten: Der Mann kommandiert ein Firmenimperium und war Inhaber der größten Bank des Landes, die vor fünf Jahren unter IWF-Ägide aus einer bedrohlichen Schieflage gerettet und mit mehreren Milliarden Dollar rekapitalisiert und saniert wurde. Unter Anwendung der goldenen Regeln der finanzkapitalistischen Vernunft nutzt der gerettete Oligarch die Gunst der Stunde und verschiebt die Sanierungsgelder aus dem zweifelhaften Geschäftsfeld Ukraine in sichere Offshore-Bankplätze. Das gilt in diesem speziellen Fall freilich nicht als kluges unternehmerisches Handeln, sondern als krimineller Missbrauch von IWF-Geldern: Die ukrainische Regierung wird wie vom Fonds verlangt aktiv, enteignet Kolomojskyj und überführt seine Bank in Nationaleigentum.

Der klagt sich seitdem für die Wiederherstellung seiner Rechte durch sämtliche nationalen und internationalen Instanzen, keineswegs ohne Aussicht auf Erfolg, was den IWF zu einer entschiedenen Demarche in Kiew veranlasst: Solange Selenskyj nicht mit einem neuen aggressiven Bankengesetz („Lex Kolomojskyj“) dafür sorgt, dass der Oligarch vor Gericht keinerlei Chance auf Restitution seines Eigentums oder Kompensation seines Schadens hat, [22] überlässt der Fonds die Ukraine ihrer Zahlungsunfähigkeit.

Der Verein aus Washington wird in dieser Affäre so prinzipiell und intransigent, weil hier erstens der Diebstahl seiner Gelder vorliegt, der zweitens auch noch Recht zu bekommen droht, womit seine Autorität über die weltweiten staatlichen Schuldner-Gläubiger-Verhältnisse offen missachtet wird. Diese Autorität muss wiederhergestellt und am Schuldigen ein Exempel statuiert werden, und nicht nur an dem, sondern auch an der zuständigen Staatsgewalt, die offensichtlich nicht dazu willens oder in der Lage ist, die IWF-Definition der Rechtslage durchzusetzen. Für dieses hohe Ziel und so lange wie nötig muss dann eben auch diese Staatsgewalt in ihre dank Corona immer dramatischere Schuldenkrise befördert werden. [23]

Die ukrainische Regierung pariert und versucht ihr Glück mit dem verlangten aggressiven Gesetz, gerät dabei aber in einen harten Konflikt: In eben dem Parlament, das die „Lex Kolomojskyj“ demokratisch absegnen soll, sitzen dutzende Abgeordnete, die im Sold des Oligarchen stehen und ihre Rechte nutzen, um das Gesetzgebungsverfahren zur Farce zu machen, unterstützt von Kollegen, die nicht unbedingt etwas für Kolomojskyj übrig haben, aber keinesfalls gewillt sind, sich als „Kolonie des IWF“ aufzuführen und die jetzigen Besitzer ukrainischer Banken unter die Kuratel der Nationalbank zu stellen. Beide gemeinsam versuchen, die Beschlussfassung mit Änderungsanträgen zu torpedieren, am 6. April sind es bereits 16 000. Selenskyj und die Seinen operieren mit der bewährten Mischung aus Erpressung und Stimmenkauf, müssen aber auch noch gewisse Rechte des Parlaments aushebeln, von wegen Beratung der eingereichten Änderungsanträge – Die 16 000 Änderungsanträge werden uns nicht schrecken und werden die wichtige Zusammenarbeit zwischen der Ukraine und dem IWF nicht aus der Bahn werfen. (112.ua, 2.5.20) – und berufen sich dabei explizit auf den Notstand: Der Fraktionsvorsitzende von Selenskyjs Partei, Arachamia, bestreitet nicht einmal die Behauptung der Gegner des Gesetzes; stellvertretend für viele Julia Timoschenko: Das ist ein Gesetz, das den Verlust der Souveränität der Ukraine bestimmt – er argumentiert mit der verloren gegangenen Souveränität. [24] Das Parlament soll sich das endlich eingestehen.

III. Eigenheiten der ukrainischen Demokratie

Dass 73 Prozent der Wählerstimmen und eine absolute Mehrheit im Parlament keineswegs garantieren, dass das Parlament als Gesetzgebungsmaschine funktioniert und robust durchregiert werden kann, sondern mit allen legalen und halblegalen Mitteln zur Zustimmung erpresst werden muss – wie im Fall der beiden vom IWF rigoros verlangten Reformgesetze –, liegt an der Staatsräson, die die westlichen Mächte dem ukrainischen Staatswesen in Gestalt der gesammelten Reformen aufoktroyiert haben. Diese Reformen rühren im Parlament wie in der Gesellschaft lauter unversöhnliche Interessen auf:

Es tobt ein Krieg der als Oligarchen beschimpften Figuren um das, was die Befolgung der Prinzipien der sogenannten Berater von EU bis IWF, Soros-NGOs und US-Botschaftern aus der realsozialistischen Industrienation gemacht hat. Die Oligarchen, d.h. die wenigen Figuren, denen es gelungen ist, sich die Abteilungen aus dem wirtschaftlichen Erbe zu sichern, die zur Aneignung von Devisengewinnen taugen, sind daher aber auch im Wesentlichen die ukrainische Wirtschaft, also das, was die Wende und die Kündigung der arbeitsteiligen Verflechtungen mit Russland von der ukrainischen Wirtschaft übrig gelassen hat.

Gegen diese Verhältnisse, d.h. die Ökonomie, von der das Land leben muss, führt die Staatsgewalt ihren Machtkampf – zur Korruptionsbekämpfung und Implementierung marktwirtschaftlicher Reformen im Auftrag der Schutzmächte – und kommt dann doch nicht an der Macht der Oligarchen vorbei, an denen das notdürftige Überleben ganzer Städte und Provinzen hängt. Sie haben sich auch außerhalb des Parlaments als Machtfaktoren etabliert, die von ihnen aufgestellte und finanzierte Privatarmeen kommandieren; [25] und im Verein mit oder gegen die politischen Amtsträger ganze Regionen beherrschen.

Und dann findet auch noch ein erbitterter Streit zwischen Zentralstaat und Regionen um die Finanzen statt, die für keinen reichen.

Auf der politischen Ebene hat die Westanbindung die Nation ebenfalls in unversöhnliche Lager gespalten: In vornehmlich im westlichen Landesteil beheimatete Anhänger der reinen Lehre von Marktwirtschaft und Demokratie und ihre Gegenspieler, vornehmlich im östlichen und südlichen Landesteil, die die Rettung der Nation vor diesen Diktaten, vor der vom Westen ausgeübten Fremdherrschaft verlangen; [26] in eingeschworene Russenfeinde, denen der Krieg gegen alles Un-Ukrainische in ihrem Vaterland – im kulturellen Leben wie im Donbass – gar nicht weit genug gehen kann, und Volksteile, die überhaupt nicht einsehen, warum sie sich den Gebrauch des Russischen als Muttersprache, den schönen russisch-orthodoxen Kirchgang und anderes mehr verbieten lassen, warum sie auf die eigenen Volksgenossen im Osten schießen und überhaupt die Russophobie zur Lebensmaxime machen sollten. Auch wenn der vorherige Präsident Poroschenko viel dafür getan hat, die Gegner seiner Linie der Entrussifizierung mit allen Mitteln von Kriminalisierung bis hin zu ein bisschen Terror aus dem Weg zu räumen oder zumindest mundtot zu machen, auch wenn die NGOs der Freiwilligenverbände mit Bombendrohungen gegen alles Pro-Russische, im Bedarfsfall auch mit Mord und Totschlag assistieren – auf der Grundlage, dass sich die Nation mit ihrem Krieg, der nicht zu gewinnen ist, und mit dem fortschreitenden Verfall der Ökonomie immer weiter ruiniert, lässt sich auch die politische Spaltung der Nation in latente Bürgerkriegsparteien nicht per Verbot und mit einigem Gewalteinsatz erledigen, zumal ja gerade Selenskyj mit seinem Frieden und Versöhnung versprechenden Wahlprogramm einerseits den Russland zugeneigten Kräften Auftrieb verschafft hat und damit andererseits deren Gegner auf die Barrikaden bringt.

Dass die westlichen Aufsichtsmächte der Ukraine zu allem Überfluss auch noch Demokratie verordnet haben, führt dazu, dass die dann sehr eigentümliche Formen annimmt: Die Inhaber der und die Aspiranten auf die Macht spalten sich sehr grundsätzlich an allen Fragen, die die „Sache der Nation“ betreffen, sodass von einem auch nur irgendwie akzeptierten Allgemeinwohl nicht die Rede sein kann; sie stehen sich als Feinde gegenüber, die sich nicht auf ein das Volk disziplinierendes Verhältnis von Regierung und Opposition einlassen, sondern sich lieber politisch – nicht selten auch physisch – vernichten wollen. Politik in der Ukraine ist ein Kampf, in dem den Kontrahenten für die Durchsetzung ihrer Interessen jedes noch so hässliche Mittel recht ist. [27] Und das gilt ebenso für deren jeweilige, ebenso verfeindete Anhänger in Volk und Öffentlichkeit, die es auch nicht bei Meinungsverschiedenheiten belassen, sondern ihre fundamentalistischen Gegensätze handfest betätigen.

Zwar nimmt in der Ukraine der an die Staatsspitze gewählte Mann die Macht über den Staat in Besitz, wie in anderen zivilisierten Staaten auch; er erfährt freilich in seinem Bemühen, das von ihm repräsentierte höhere Staatsinteresse durchzusetzen, dass der Vorsitz über diese Staatsgewalt keineswegs mit einem Kommando über die Gesellschaft zusammenfällt. Die feindlichen Interessen begründen Zustände, die auswärtige Kritiker als eine beklagenswert „schwache Staatlichkeit“ bemängeln; gemessen an einer ordentlichen Staatsgewalt sind ja auch lauter Defizite zu konstatieren: Von der Regierung für notwendig befundene Gesetze werden vom Parlament blockiert; auch im Falle ihrer Annahme und erfolgreichen Eintragung im Gesetzesblatt steht keineswegs fest, dass es auch zur Anwendung kommt; und im Falle der Anwendung wiederum bleibt offen, ob die Gerichtsbarkeit dem Geist der Gesetze oder lieber anderen Angeboten folgt, untergeordnete Staatsabteilungen machen sich selbständig...

Das Gewaltmonopol, das die Regierung in Kiew als Herrin der Exekutive formell ausübt, ist faktisch keines: Das Staatsgebilde ist ein Kampffeld partikularer Interessen, [28] die Regierungsgewalt bricht sich an der Eigenmächtigkeit politischer Formationen und der Privatherrschaft von Figuren wie dem oben erwähnten Kolomojskyj.

Dass es so und nicht anders um die Machtverhältnisse im Land steht, muss Selenskyj nolens volens eingestehen. Als Protagonist der Vorstellung, das Glück der Nation würde vereitelt von einer verdorbenen und verantwortungslosen politischen Klasse, sodass unnachsichtiger Kampf gegen die Korruption, Auswechseln und Einsperren der Bösen die Medizin gegen das Leiden der Nation wären, muss er sich von der zweifachen Staatskrise – Default und Pandemie – eines Besseren belehren lassen. Sein Staat ist – auch mit dem besten Willen zu good governance regiert – mittellos und ohnmächtig, und die Corona-Krise wirkt wie ein Brandbeschleuniger bei der Auflösung der staatlichen Kommandoverhältnisse: Angesichts der Unfähigkeit der Zentrale, Mittel zum Umgang mit der Krise zu stiften, gehen die lokalen Autoritäten zu offener Befehlsverweigerung über, rhetorisch und praktisch; Selenskyj droht den aufsässigen örtlichen Autoritäten, Bürgermeistern oder Oligarchen und kann seine Drohungen nicht wahrmachen. Und schließlich sind seine Feinde, die Oligarchen, die einzige verlässliche Macht und Geldquelle, auf die die Nation zurückgreifen kann:

„Im Kampf gegen die Ausbreitung des Virus hat der Präsident der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj, derweil die größten Oligarchen des Landes gebeten, als ‚Kuratoren‘ bestimmte Regionen in ihre Obhut zu nehmen. Für das Gebiet Luhansk hat sich der reichste Mann des Landes zuständig erklärt, Rinat Achmetow... Die finanzstarken Oligarchen mit ihrem intransparenten Einfluss auf die Politik waren in den vergangenen Jahrzehnten eines der Grundprobleme der Ukraine. Einige haben sich jedoch nach 2014 auch in der Abwehr der russischen Aggressoren hervorgetan, etwa die Bataillone der Freiwilligen ausgerüstet.“ (FAZ, 1.4.20)

Selenskyj über sein Gespräch als Bittsteller:

„Ich habe mit ihnen ganz offen gesprochen. Wir haben sehr lange geredet. Wir machen einen gesonderten Fonds für Medikamente und viele andere Mittel. Wir werden 12-13 Milliarden Griwna brauchen. Außerdem seien für die Auszahlungen an Rentner weitere 10 Milliarden Griwna erforderlich.“ (strana.ua, 16.3.20)

Die offiziell zu Kuratoren über „ihre“ Landesteile ernannten Oligarchen lassen sich nicht lange bitten, bedanken sich höflich für ihre Ermächtigung, zahlen vorsichtshalber nicht gleich in den von der Regierung gewünschten Fonds ein, sondern nutzen lieber die Gelegenheit, als Kompensation für ihre Krisenhilfen Steuererleichterungen zu verlangen, sich den Zugriff auf bis jetzt noch dem Staat gehörende Häfen, Industrieanlagen etc. zu sichern, über die von Selenskyj eingesetzten Gouverneure und den ganzen an der Zentrale hängenden Apparat herzufallen und die letzten Beschränkungen ihrer Herrschaft in den ihnen gehörenden Sprengeln zu beseitigen.

Auch auf einem anderen Gebiet, auf dem der neue Präsident die Nation in eine bessere Zukunft führen wollte, sieht es nicht besonders gut aus.

IV. Krieg und Frieden im Donbass

Die Art von Krieg im Osten gegen Teile des eigenen Volks und deren russische Unterstützung, die sich die Ukraine mit ihrem Lagerwechsel eingehandelt hat, erfüllt zwar für die westlichen Mächte die Funktion, Russland dauerhaft allerlei Kosten zu bereiten, bringt aber die Ukraine in eine zunehmend unhaltbare Lage: Ihr an der Front aufgebautes Militär, schlecht ausgerüstet und schlecht ernährt, ist zwar gemeinsam mit den fanatischen Freiwilligen-Milizen dazu in der Lage, mit ihrem Dauerbeschuss die Ostgebiete zu terrorisieren, aber irgendeine Sorte von Sieg ist nicht abzusehen, sodass sich, je länger sich die Sache hinzieht, Kriegsmüdigkeit im Volk ausbreitet. Der neue Präsident wollte den Konflikt unbedingt beenden; es ist nur so, dass Selenskyj bei dieser Materie außenpolitisch so gut wie nichts in der Hand hat – stattdessen werden seine Bemühungen mit einer Radikalisierung der inneren Fronten und einer Bloßstellung seiner relativen Machtlosigkeit beantwortet.

Selenskyjs unglückliche Friedensliebe

Die Bedingungen für die Umsetzung eines sogenannten Friedensplans sind in den Minsker Verträgen festgelegt, und über den Prozess wachen die vertragschließenden großen Mächte. Es waren schließlich Deutschland und Frankreich, die angesichts des drohenden Durchmarsches der (pro-)russischen Kräfte im Osten eine Art Rettungsanker für die damalige Führung der Ukraine (Die Zeit, 10.12.19) ausgeworfen und Russland einiges konzediert haben, um die vollständige Niederlage der Ukraine abzuwenden: Die Verträge Minsk I und II ratifizieren die Verluste der Ukraine, aufgrund derer den Ostgebieten Rechte, also von der Ukraine zu erfüllende Pflichten zugestanden werden mussten: Gewährung eines in der Verfassung verankerten Sonderstatus, freie Wahlen in den abtrünnigen Gebieten, Amnestie für die Kämpfer usw. [29]

Seit über fünf Jahren weigert sich die ukrainische Führung, auch nur einen einzigen der dreizehn Punkte des Abkommens zu erfüllen, weil die nichts anderes als die Anerkennung der verlustig gegangenen Souveränität im Osten zum Inhalt haben. Leisten kann sich die Ukraine diese Verweigerungshaltung, weil und solange sie dabei eine an den Friedensverhandlungen gar nicht beteiligte Macht hinter sich hat: Die USA hatten und haben nicht viel übrig für die europäische Konkurrenz und deren Verhandlungen mit Russland und haben der Kiewer Regierung vor vier Jahren vom damaligen Sonderbotschafter Volker ihre eigene Lesart von „Minsk“ beibringen lassen, die die vertraglichen Festlegungen schlicht und einfach negiert, nämlich in Umkehrung der vertraglich festgelegten Reihenfolge die Übergabe der Kontrolle über die Grenze zur Voraussetzung für die anderen vereinbarten Regelungen erhebt, was nicht einfach eine Frage der Reihenfolge von Schritten in einem irgendwie „gemeinsamen Friedensfahrplan“ ist, sondern der Umkehrung des diplomatisch ratifizierten Kriegsergebnisses gleichkommt. [30] Russland soll die Kontrolle über die Volksrepubliken herschenken – Die Kontrolle über die ukrainische Grenze zurückgeben!– und die militärische Niederlage der Ukraine ungeschehen machen.

Mit diesem forschen Antrag auf Revision fängt sich Selenskyj nicht nur von Russland, das nicht daran denkt, seine vertraglich gesicherte Position zu räumen, eine klare Abfuhr ein. Auch die europäischen Führungsmächte sind nicht dazu aufgelegt, sich Korrekturen ihres Abkommens diktieren zu lassen, mit dem sie sich ihren Einfluss auf das Kriegsgeschehen und die russische Seite bewahren wollen.

Zwischen der US-Leitlinie, nach der das Normandie-Format zu nichts anderem gut zu sein hat als dazu, dass Russland die Kontrolle über die Grenze zurückgibt, der Weigerung Deutschlands und Frankreichs, sich von Washington ihren Normandie-Prozess kaputtmachen zu lassen und Russland, das nicht den geringsten Grund hat, seinem zur Russlandfeindschaft konvertierten Nachbarn irgendetwas zu schenken – zwischen diesen Polen laviert der neue Präsident, sehnt sich fernsehöffentlich heftig nach Frieden, hat aber nichts zu bestellen und gerät überdies zu Hause unter heftigen Beschuss.

Die nationale Opposition sieht in den Verhandlungen nämlich nichts als Kapitulation und Verrat an der Nation, Vertreter der Freiwilligenbataillone proben den Aufstand und besetzen Abschnitte der Waffenstillstandslinie, um eine im Normandie-Format vereinbarte partielle Truppenentflechtung zu verhindern. [31] Angesichts dieser prekären Lage im Inneren kommt der Präsident schließlich nicht umhin, die Dienste seines Innenministers als Rückversicherung gegen das nationalistische Lager in Anspruch zu nehmen: Der setzt sich als eigentlicher Machthaber in Szene und verkündet, dass Selenskyj keine roten Linien überschritten, dass also er, Awakow, alles unter Kontrolle habe.

Die innere Front des Kriegs gegen den „Aggressorstaat“

Arsen Awakow, die Figur, die es immer wieder darauf anlegt, den Präsidenten auf diese Art zu blamieren, der einzige Vertreter der Vorgängerregierung, der sich in der Regierung gegen den Furor des Ze!teams behauptet hat, steht in der Ukraine tatsächlich an der Spitze einer „Vertikale der Macht“, nämlich seiner eigenen. Während die Armee formell dem Präsidenten untersteht, befehligt der Innenminister ein stattliches Arsenal an Exekutivgewalten: Er hat das Kommando über die Polizei und die 50 000 Mann starke Nationalgarde, eine getrennt von der Armee unterhaltene Kampftruppe für die Grenzsicherung und die Wahrung der inneren Sicherheit (wikipedia.de), die inzwischen als die entscheidende Kraft an der Front gilt und sich aus Teilen der Freiwilligenbataillone zusammensetzt. Darüber hinaus ist Awakow der Schutzherr der weiterhin autonom operierenden Freiwilligenverbände und ihrer politischen Ausläufer.

Was in der Ukraine unter innerer Sicherheit zu verstehen ist, beleuchtet der andauernde Verweis auf die Straße bzw. einen möglichen neuen Maidan in den politischen Debatten: Die Nationalgarde ist eine Truppe, die nicht nur im Osten kämpft, sondern auch im Inneren für gewalttätige Auseinandersetzungen bereitsteht, um gegen die elementare Spaltung der Nation, die sich eben nicht nur in einen großen und einen kleinen Teil im Osten, sondern auch hinter der Waffenstillstandslinie in verschiedene Lager zerlegt hat, die Verpflichtung auf die Westausrichtung gegen Proteste aller Art durchzukämpfen. Dass die Nationalgarde unter diesen Verhältnissen zunehmend auch „Polizeifunktionen“ ausübt, wie sich wohlwollende Kommentatoren auszudrücken pflegen, dokumentiert eher die Tatsache, wie viel Gewalt vonnöten ist, um diese Lage unter Kontrolle zu halten.

Genau wegen dieser Funktion unterhalten die USA beste Beziehungen zu Awakow: In ihrem Auftrag hat er einige Abteilungen der Milizen in die Nationalgarde eingegliedert und dient den USA in dieser Position als der Gewährsmann für die gewaltsame Kontrolle des politischen Innenlebens der Ukraine. [32] Awakow gibt mit demonstrativen Auftritten gegen den Präsidenten zu verstehen, wo die Macht im Staat angesiedelt ist, [33] und dirigiert bei Unruhen aller Art öffentlichkeitswirksame Einsätze von Polizei und Nationalgarde, damit auch das Volk registriert, wer im Land wirklich für Ordnung sorgt.

Bei Gelegenheit beklagt sich der Präsident, geradezu in einem Anfall von Ehrlichkeit, über die bedauerliche Schwäche seines Amtes:

„Ich möchte, dass mir die Möglichkeit gegeben wird, mir wurde das Mandat gegeben und ich möchte nicht auf einer Sprengfalle stehen, sondern ein normaler, starker Präsident sein, und mich mit unterschiedlichen Aktionen zu schwächen, ist unnötig, einfach unnötig.“ (ukraine-nachrichten.de, 15.12.19)

Putin lässt es sich da selbstverständlich nicht nehmen, gegen die ständigen Vorwürfe, dass er derjenige sei, an dem der Frieden scheitert, die Minsker Vertragspartner darauf hinzuweisen, dass der ukrainische Kontrahent es an elementarer Vertragstreue fehlen lässt: Wir haben eine Trennung der Konfliktparteien vereinbart, doch der amtierende Präsident kann keine Trennung der Militäreinheiten und Technik gewährleisten. Er kann das einfach nicht. (Sputnik, 11.10.19) Die Europäer sollen zur Kenntnis nehmen, dass sie eine Regierung protegieren, die sich nicht an Vertragsbestimmungen hält, sich nicht einmal im Inneren durchsetzen kann, der eigentlich die Geschäftsfähigkeit für den diplomatischen Verkehr, also überhaupt die Qualität eines Verhandlungspartners abgeht.

Außenpolitisch ist die Selenskyj-Regierung allerdings von noch einer ganz anderen und entscheidenden Seite ins Abseits gestellt worden.

Das Leiden an Trump und den europäischen Schutzmächten

Die Weltöffentlichkeit hat sich vor allem dafür interessiert, ob die Tatsache, dass Trump versucht hatte, den ukrainischen Präsidenten mit der Zurückhaltung von Militärhilfe zur Beihilfe bei der Inszenierung einer Schmutzkampagne gegen Herausforderer Biden [34] zu erpressen, ausreichen würde, um das von den Demokraten angestrengte Impeachment-Verfahren zum Erfolg zu bringen. Kaum interessiert haben sie sich für die in diesem Zusammenhang erfolgte Klarstellung, wie wenig der US-Präsident für die nationale Sache der Ukraine übrig hat.

Trump versteht wieder einmal nicht, warum sich Amerika für fremde Interessen hergeben soll, und erst recht für ein korruptes Drecksloch – Ukraine is a corrupt country. We are pissing away our money (New York Times, 29.12.19) –, das er schon immer im Verdacht hatte, Wahlhelfer für seine demokratische Konkurrenz zu beherbergen. Statt den USA zur Last zu fallen, soll doch die Ukraine ihre Probleme mit dem übermächtigen Kriegsgegner Russland gefälligst alleine lösen:

„I would like them to agree. If they got along with each other, it would be wonderful for the whole world.“ (Trump wants Ukraine and Russia to reconcile, 112.ua, 23.2.20)

was für die Ukraine ungefähr einer Aufforderung zur Kapitulation gleichkommt.

Der US-Präsident vollzieht damit eine imperialistische Volte von besonderer Schönheit, denn schließlich war ja der Lagerwechsel der Ukraine, die Herstellung ihrer sogenannten „Unabhängigkeit“, sprich: die Wende zur totalen Konfrontation mit Russland, auch und gerade das Werk Amerikas. Die Weltmacht hat die vorwiegend westukrainische, nationalistische Russland-Feindschaft ermutigt und instrumentalisiert, als Volksbewegung auf dem Maidan orchestriert bis hin zum Putsch gegen die Janukowitsch-Regierung; unter Führung von Victoria (Fuck the EU) Nuland hat man in der Ukraine eine neue Regierung installiert, das ganze Staatswesen auf eine Politik der Abspaltung von Russland ausgerichtet und damit in eine Konfrontation geführt, die diese großartige, freie Ukraine aus eigener Kraft so wenig bestehen kann, dass sie es überhaupt nur am Tropf von IWF-Krediten und Militärhilfe geschafft hat, die bisherigen sechs Jahre Krieg irgendwie auszuhalten.

Und dieses Produkt der amerikanischen Eindämmungspolitik gegenüber Russland begutachtet nun Trump und kann in der Pflege dieser Nation hinten und vorne keinen Nutzen für Amerika entdecken, wenn schon nicht einmal das bisschen Dienstleistung für seinen kommenden Wahlkampf zu haben ist. Die amerikanische Administration hat sich angesichts von Trumps „Appeasement“-Politik und der angedrohten Blockade der Waffenhilfe große Mühe gegeben, den Präsidenten vom Sinn der Militärhilfe für die Ukraine zu überzeugen; an dieser sogenannten Hilfe lässt sich im Übrigen aber auch gut unterscheiden, wie sich Amerika dort nach seinen strategischen Bedürfnissen einrichtet und was dabei für die Nation abfällt, die dafür den Standort abgeben darf. Und da hat sich unter Trump offensichtlich die Einsicht durchgesetzt, dass ein zusätzlicher besonderer Aufwand zur Betreuung dieser Nation, wie der von Biden während der Obama-Regierungszeit, nur Verschwendung von Zeit und Geld ist. Ausgerechnet die Garantiemacht Amerika dementiert jetzt in Gestalt ihres Präsidenten die bisherige Lüge, dass Amerika voll und ganz hinter der nationalen Sache der Ukraine steht. Das war zwar die Rechtfertigung für den politischen und militärischen Zugriff Amerikas auf die Ukraine, und der wird auch unter Trump überhaupt nicht infrage gestellt; aber warum soll ein US-Präsident bei der Benutzung anderer Nationen im Namen amerikanischer Größe so tun, als ob ihn das Verständnis für deren Notlage dazu motivieren würde. Unter dem Strich eine extrem ungemütliche Position für einen komplett abhängigen Frontstaat.

Erschwerend kommt die Tatsache hinzu, dass Trump die imperialistische Lage auch für die europäischen Schutzmächte aufmischt und damit vor allem Frankreich zu einer Neubewertung der strategischen Verhältnisse in und um Europa und vor allem gegenüber dem russischen Partner veranlasst. Dabei legt sich Macron explizit darauf fest, dass Frankreich Russland nicht als Feind betrachtet, benennt zwar allerhand Konflikte, bekundet aber auch seine Erwartung, dass man sich darüber mit Russland verständigen könne. Dass Macron also eine Annäherung an russische Interessen durchaus in Betracht zieht, wenn das der europäischen Emanzipation nützt, wie sie ihm vor Augen steht, stellt für die Ukraine eine regelrechte Katastrophe dar: Wenn sich die europäischen Führungsnationen womöglich um eine neue Sorte Verständigung mit Russland bemühen, ist nicht auszuschließen, dass die europäischen Schutzmächte die ukrainischen Interessen als Hindernis bewerten und zugunsten ihrer Berechnungen opfern.

Während der Verhandlungen im Normandie-Format muss die ukrainische Führung registrieren, dass ihre Forderung, „Minsk“ auf den Kopf zu stellen, auch von Frankreich und Deutschland auf eine eher kühle und undiplomatische Art abgeschmettert wird. Auf die Art und Weise zeigen die europäischen Führungsnationen – neben den pflichtgemäßen Solidaritätsbekundungen für den geschätzten Partner Ukraine – dem neuen Kollegen aus Kiew auch einmal halb-öffentlich eine gewisse Verärgerung darüber, dass es die Ukraine, die ja im Wesentlichen durch die US-Botschafter instruiert wird, mit der Vertragstreue auch am nötigen Respekt vor ihrer Vermittlungstätigkeit fehlen lässt.

Frühjahrsoffensiven an allen Fronten

Angesichts dieser Verunsicherung durch die unverzichtbaren Schutzmächte versucht sich die Ukraine in der Flucht nach vorn: Awakow hatte schon Ende vergangenen Jahres eine Truppenentflechtung auf breiter Front abgelehnt, weil dies für die Ukraine nachteilig sei. Der ukrainische Verteidigungsminister schließt sich dem an:

„Die vollständige Truppenentflechtung könne Jahre dauern, denn die Ukraine sei an einem ‚Einfrieren‘ des Konflikts – das heißt dem stillschweigenden Ende der direkten Feindseligkeiten – nicht interessiert. Dies nämlich erwecke international den Eindruck, dass Kiew sich mit der ‚Okkupation‘ eines Teils des Staatsgebiets abgefunden hätte. Das aber wäre, so Sahorodnjuk, fatal für das Bestreben der Ukraine, mehr politischen und militärischen Rückhalt von den USA und der EU zu erhalten. In der EU würde sofort wieder der Ruf nach einem Ende der antirussischen Sanktionen aufleben, und in den USA könnten Zweifel am Sinn der militärischen und politischen Unterstützung für Kiew aufkommen.“ (Junge Welt, 30.1.20)

Bevor sich alle mit einem eingefrorenen Konflikt abfinden, rücken ukrainische Kämpfer weiter in die entflochtenen Zonen ein, und die Scharmützel nehmen zu. Und so ist ein halbes Jahr nach Selenskyjs erstem Schritt zur Beendigung des Krieges mehr heißer Krieg fällig, und zwar aus dem offen erklärten Motiv, die eigenen Schutzmächte zu mehr Unterstützung zu erpressen. Die verlangen aber ungerührt weiter Schritte zur Umsetzung der Vereinbarungen von Paris, ein neues, direktes Gesprächsformat zwischen der Kiewer Regierung und den beiden abgespaltenen ‚Volksrepubliken‘ des Donbass (Junge Welt, 16.3.20), was wiederum Selenskyj neue Unruhen im Inneren beschert. [35]

Schon die Tatsache, dass die Regierung überhaupt verhandeln will, zeigt den militanten Nationalisten, dass sie bereit ist, aufs Schießen zu verzichten und heilige Rechte der Nation an den Feind zu verkaufen; wenn der dann auch noch Selenskyjs Konzessionsbereitschaft in Sachen neue, direkte Gesprächsformate anerkennt und begrüßt, dann steht für die Kameraden von der Partei des Krieges der Hochverrat des Präsidenten mal wieder endgültig fest, [36] und sogar in seiner eigenen Partei stößt Selenskyjs Friedensdiplomatie auf massiven Widerstand.

*

Der amerikanische Präsident ist so frei, die Ukraine vor allem unter dem Gesichtspunkt seines anstehenden Wahlkampfs zu betrachten. Was im Land sonst noch so vorgeht, interessiert ihn genau so wenig wie die Rolle, die dieser neu gewonnene Frontstaat in der Weltkriegsstrategie gegen Russland spielt. Er geht einfach davon aus, dass ihm als Chef der mächtigsten Nation auf dem Globus alle Mittel zur Verfügung stehen, dem Rest der Welt, Russland inklusive, jederzeit und überall seinen Willen aufzuzwingen. Dass der Commander in Chief davon auch ausgehen kann, dafür sorgt seine Administration. Sie sichert das Kommando über die Staatenwelt, das ihm so selbstverständlich vorkommt, mit einem Putsch hier, einer Waffenpartnerschaft oder Intervention da, in mühsamer Kleinarbeit – und sie macht ihren Job auch in einem corrupt country, das der Präsident verachtet. Sie passt z.B. auch politisch darauf auf, dass sich die Russlandfeindschaft als ukrainische Staatsraison gegen alle Hindernisse in dieser gespaltenen Nation behauptet, weil sie den Wert der Ukraine als vorgeschobene strategische Bastion des US-Militärs kennt; und so viel „Pflege“ der Ukraine braucht es ja immerhin schon auch für die strategische Inanspruchnahme des Landes.

V. „Westernization“ der ukrainischen Armee

Die amtierende ukrainische Regierung hat sich bei ihrem Bekenntnis zu dem vom Westen aufgestellten Reform-Katalog die des Militärs zum besonderen Anliegen gemacht. Selenskyj:

„‚Besonderes Augenmerk lege ich auf die Reform der Führungsstruktur innerhalb der ukrainischen Streitkräfte.‘ Selenskyj betonte, dass die Ukraine im Jahre 2020 damit beginnen werde, die Standards und Verfahrensweisen der NATO einzuführen, vor allem bei der Ausbildung der Truppen. ‚Diese Arbeit machen wir nicht nur zum Schein. Sie soll zu wirklichen Schritten bei der Reform der ukrainischen Armee führen, in Einklang mit den Standards der Nordatlantischen Allianz‘.“ (president.gov.ua, 26.6.19)

Der Präsident ist schwer dafür, endlich und ernsthaft NATO-Standards und Verfahrensweisen in seinen Streitkräften einzuführen, auf dass deren nach seinem Urteil schon jetzt hohe Schlagkraft –

„Ich habe mich noch einmal davon überzeugt, dass unsere Einheiten in jeder Situation ein hohes Niveau an Kampfbereitschaft besitzen“ –

auf Weltniveau wachse:

„Wir brauchen eine schlagkräftigere Armee... Wir brauchen eine High-level-Armee“, sagte der Präsident“ –

weil ja allgemein gilt:

„... eine schlagkräftige Armee macht die Position eines jeden Staates sicherer und stärker.“ (president.gov.ua, 9.10.19)

Den energischen politischen Willen des neuen Chefs, die ukrainische Armee auf NATO-Format zu bringen, wissen die Freunde der Ukraine in Brüssel und im Pentagon sehr zu schätzen. Dass er sich über das Programm, das er so tatkräftig voranbringen will, in so gut wie allen Hinsichten gründlich täuscht, wird man ihm schon beibringen.

Zustand der Streitkräfte

Über die Einschätzung Selenskyjs, seine Truppe weise ein hohes Niveau an Kampfbereitschaft auf, können westliche Militärplaner nur den Kopf schütteln. Sie wissen um die trostlose Verfassung der Armee in ihrem neuen Frontstaat: Einer Armee, die drei Jahrzehnte Niedergang hinter sich hat, seit der Auflösung der SU lange ohne politischen Auftrag in dem Sinn vor sich hin west – und, dem Absturz der Ukraine zum failed state entsprechend, zunehmend ohne Alimentierung; in der das Material, wo immer ein Geschäft winkt, zu Geld gemacht oder von einer der zahlreichen Privatarmeen in Besitz genommen wird; in der Teile des verbliebenen Geräts notdürftig funktionstüchtig gehalten werden und der Rest verrostet; in der das Personal von den oberen Rängen bis zum gemeinen Soldaten depraviert und politisch gespalten ist wie der Rest des Volkes, [37] und in der große Teile eine Zukunft als Oligarchensöldner oder/und Krimineller suchen und finden.

Das eigentliche Problem aber – dieser Verdacht hat sich bei den Zuständigen in den USA und in Brüssel im Zuge des Scheiterns ihrer diversen Reform-Versuche zur Gewissheit verdichtet – besteht darin, dass sie es nicht nur mit einem unzuverlässigen Haufen wie in anderen shithole countries auch zu tun haben, sondern mit einem Verein, in dem, wie so oft in der Ukraine, nach wie vor russischer Einfluss vorhanden ist. Immerhin dienen in hohen wie niederen Rängen ja auch Leute, deren Loyalität keineswegs einer Ukraine auf NATO-Kurs gilt, nicht wenige haben ihr Handwerk in Moskauer Militärakademien gelernt und leisten in ihrem ukrainischen Traditionsstolz zähen Widerstand gegen das Vorhaben, ihre Truppe – in Bezug auf Aufbau und Ausrüstung im Grunde immer noch eine Streitmacht sowjetischen Typs, mit der falschen Kommandosprache und mit Schießgerät und Munition, die mit keiner NATO-Anforderung kompatibel sind – in eine moderne Armee nach westlichem Zuschnitt zu transformieren. [38] Und es fehlt auch oftmals an der Einsicht, dass die vielfältige Kooperation mit dem großen Nachbarn, von der das ukrainische Militär samt seinem militärisch-industriellen Komplex bis heute zehrt, das entscheidende Hindernis für eine glorreiche Zukunft der Nation darstellt.

Die „Reform“ der ukrainischen Armee: Ein großes Abbruchunternehmen unter Aufsicht der NATO

Bei der Einführung von NATO-Standards und -Verfahrensweisen handelt es sich daher auch nicht, wie die „Volksdiener“ glauben, um so etwas wie Verbesserungen und Umstellungen in einer an und für sich funktionsfähigen Armee, sondern um deren konsequent vollzogene Entrussifizierung und Westernization, also letztlich um die Neugründung einer politisch verlässlichen und wirklich interoperablen Truppe. Das Comprehensive Assistance Package for Ukraine (CAP), das die NATO im Juli 2016 verabschiedet hat, lässt keinen Zweifel daran, dass beim Partner eine „Reform“ fällig ist, die keinen Stein auf dem anderen lässt:

  • In Auftrag gegeben wird erstens ganz generell eine Reform des Verteidigungs- und Sicherheitssektors und der Aufbau von Institutionen. Zu den Schlüsselbereichen gehören die demokratische und zivile Kontrolle des Sicherheits- und Verteidigungssektors sowie der Aufbau wirksamer und effizienter Verteidigungs- und Sicherheitsstrukturen. Die bisherigen Strukturen im Sicherheits- und Verteidigungssektor sollen wegen eines offenbar fundamentalen Mangels an Effektivität und Effizienz entmachtet und im Wege des institution building durch neue ersetzt werden, die den regierenden NATO-Freunden in Kiew und ihren westlichen Aufsehern eine zivile Kontrolle über das Militär verschaffen.
  • Zweitens soll unter Anleitung des NATO-Partners Norwegen ein effizientes Personalmanagementsystem etabliert werden, das dafür sorgt, dass künftig nur noch die richtigen Leute, die mit dem Willen zur Interoperabilität mit der NATO, in der ukrainischen Armee Karriere machen. [39]
  • Drittens plant die NATO unter Federführung von gleich drei ihrer Großnationen die Abschaffung des bisherigen Kommando-, Kontroll- und Kommunikationssystems der ukrainischen Armee. Mit Hilfe neuer C4-Strukturen sollen eine Streitmacht neuen Typs entstehen – und natürlich auch ganz neue Möglichkeiten für die NATO zur so wichtigen Kontrolle über den regionalen Luftraum. [40]
  • Viertens kümmern sich die Tschechische Republik, die Niederlande und Polen um Logistics and Standardization in der Armee der Ukraine, damit auch bei dieser Schlüsselkomponente der Reform Interoperabilität erzielt wird. Usw. usf.

Weil diese Reform erkennbar keine ist, sondern ein Programm zur Zerstörung der überkommenen Armee und zu ihrem Neuaufbau als verlässliche NATO-Teilstreitkraft, installiert das CAP in weiser Voraussicht nicht nur die eben erwähnten Führungsnationen, sondern jede Menge für die Abarbeitung der Programmpunkte verantwortliche gemeinsame Platforms, Joint Working Groups, Partnerships, und der NATO-Generalsekretär versichert seinen Freunden in Kiew noch einmal extra und sehr glaubwürdig, dass sein Verein sie bei der Implementierung des großen Projekts nicht allein lässt: Die Berater der NATO werden mit euch zusammenarbeiten. (Stoltenberg vor dem ukrainischen Parlament, 31.10.19)

Die neue Regierung traut sich das Aufräumen mit den alten Zuständen nach NATO-Vorgaben, das sie mit einer Runderneuerung ihrer stolzen Armee verwechselt, glatt zu, verfügt per Dekret die Einführung der neuen C4-Strukturen und gibt damit den Auftakt zu einem Machtkampf in der Militärhierarchie – es gilt ja, unter strenger Berücksichtigung der richtigen politischen Loyalität, ein neues Kommandosystem durchzusetzen. Sie gleicht die Dienstgrade ihrer Truppe an die in der NATO üblichen an, was alles andere als ein Formalismus ist, nämlich die grundsätzliche Neudefinition von Diensträngen, Aufgaben, Befugnissen und Besoldung; und sie verpflichtet sich gesetzlich auf die Umwandlung ihrer Armee in eine Berufsarmee nach westlichem Vorbild – für einen Staat ohne Geld ein kühnes Projekt.

Dass da ein größerer Gewaltakt zu bestehen ist, ist dem erwähnten Dekret selbst deutlich anzusehen. Für den Fall, dass degradierte oder entlassene Soldaten oder Truppenteile die Notwendigkeit der getroffenen Maßnahmen nicht freiwillig einsehen, richtet der Verteidigungsminister vorsorglich zusätzlich zu den Strukturreformen eine moderne Militärpolizei ein zur – natürlich! – effektiven Durchsetzung der neuen Rechtsverhältnisse.

Korruptionsbekämpfung im militärisch-industriellen Komplex: Noch ein großes Abbruchunternehmen und ein bisschen offizielle Industriespionage

Seit der Ernennung des Litauers Abromavičius, den die USA schon der Regierung Poroschenko als Wirtschaftsminister aufs Auge gedrückt hatten, zum Chef des staatlichen Rüstungskonzerns Ukroboronprom gibt es Fortschritte auch bei der „Reform“ des ukrainischen Militärisch-Industriellen Komplexes, wie oppositionelle ukrainische Patrioten empört berichten:

„Die Amerikaner führen in der Ukraine eine regelrechte Inspektion durch. Vom 11. bis zum 21. November werden Vertreter des Instituts für Verteidigungsanalyse des Pentagons eine Reihe von Betrieben des ‚Ukroboronprom‘ [der größte ukrainische Rüstungskonzern] aufsuchen. Ihnen wird im Wesentlichen die ganze innere Küche unserer Verteidigungswirtschaft gezeigt, und, von außen betrachtet, sieht das, was da passiert, wie eine Wirtschaftsprüfung aus... In der Anordnung von Aivaras Abromavičius wird darauf hingewiesen, dass alle Leiter der Unterabteilungen von ‚Ukroboronprom‘ an den Treffen mit den Vertretern des Instituts für Verteidigungsanalyse der USA teilnehmen sollen. Und die Leiter der Abteilungen für Panzertechnik, Waffen und Munition, Funkortung, Funkverbindung und speziellen Apparatebau, Schiffbau und Meerestechnik, Flugzeugbau und -reparatur, Verwaltung intellektuellen Eigentums u.a. müssen außerdem auch den Aufenthalt der Amerikaner in den Produktionsfirmen von ‚Ukroboronprom‘ organisieren. All das angeblich ‚zu dem Zweck, von der amerikanischen Seite strategische Empfehlungen und konsultative Hilfe bei der effektiven Implementierung von Reformen im militärisch-industriellen Komplex der Ukraine unter Berücksichtigung der besten internationalen Praxis‘ zu erhalten. Insgesamt neun Tage lang werden die amerikanischen Militärs praktisch alle Schlüsselbetriebe des Landes inspizieren... Die amerikanische Seite ‚wünscht‘, in den Diskussionen mit den Betriebsdirektoren solle es um die Zukunft der Betriebe gehen, um deren Konsolidierung, um Zusammenschlüsse, Änderungen der Betriebsleitung und auch um neue Produktionslinien sowie um Probleme der Lieferketten. Zu dem Zweck soll von jedem Betrieb eine Liste der fünf bis zehn anderen Betriebe geliefert werden, mit denen er zusammenarbeitet. Außerdem wurde darum gebeten, eine vollständige Aufstellung von Personal, Ausrüstung, fachfremden Aktiva und Schulden vorzubereiten.“ (strana.ua, 14.11.19)

Der Weltmacht öffnen sich endlich alle Türen in der ukrainischen Rüstungsindustrie, sodass einer Generalinventur nichts mehr im Wege steht, die

  • ermittelt, was da an schönen Erfindungen und nützlichen Technologien der westlichen Aufmerksamkeit bisher womöglich entgangen ist – immerhin waren hier zu Sowjetzeiten ca. 20 Prozent der Entwicklungs- und Produktionskapazitäten der Rüstungsindustrie der Weltmacht Nr. 2 versammelt;
  • nachrechnet, was da überhaupt wie rentabel hergestellt wird;
  • die Frage aufwirft, ob nicht mit Blick auf die beste internationale Praxis gewisse Änderungen am Platz sind, bei den Betrieben wie bei der Betriebsleitung;
  • und, nicht zuletzt: endlich Art, Umfang und Subjekte der einschlägigen Kooperation mit Russland ans Licht bringt. Die gibt es nämlich auch Jahrzehnte nach der Auflösung der SU immer noch. Die russische wie die ukrainische Rüstungsindustrie, einst als Bestandteile eines einheitlichen „militärisch-industriellen Komplexes“ aufgebaut, sind ihre wechselseitige Abhängigkeit bis heute nicht losgeworden. Zwar ist inzwischen viel an industrieller Potenz auf beiden Seiten verkommen, und der antirussische Fanatismus in Kiew – vor allem unter der Regierung Poroschenko – hat die einschlägigen Geschäftsbeziehungen erfolgreich dezimiert, aber nicht erledigt. Die finden trotz des laufenden Kriegs gegen den Aggressor im Osten – mehr oder weniger offiziell und mehr oder weniger legal – immer noch statt und tragen ihren Teil dazu bei, dass die Ukraine – trotz allem und immer noch – zu den zehn größten Rüstungsexporteuren der Welt zählt, weswegen die erbetene Liste mit fünf bis zehn Gesellschaften, mit denen der Betrieb zusammenarbeitet, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit den Verdacht auf Korruption in der Verteidigungsindustrie erhärten könnte. [41]

Was die Zukunft, in die die ukrainische Rüstungsindustrie auf Anraten der US-Spezialisten vornehmlich schauen soll, anbelangt, so zeichnen sich erste Änderungen bereits ab:

„Ukroboronprom plant laut stellvertretendem Vorsitzenden Mustafa Nayem, 36 Betriebe zu schließen.“ (Radio Svoboda, 19.1.20)

Die USA behandeln die Rüstungsindustrie der Ukraine sehr geradlinig als ihren exklusiven strategischen Besitzstand gegen ihre Rivalen: Geschäfte, die Russland nützen, bringen sie, wenn die Regierung in Kiew das mit Blick auf die absehbaren Schäden auch für ihren Laden nicht von sich aus erledigt, zum Erliegen, [42] was zwar Härten für den Partner bedeutet, ihm als Bollwerk zwischen Freiheit und Autoritarismus (Mike Pompeo) aber alle Ehre macht. Versuche Chinas, sich in die ukrainische Rüstungsindustrie einzukaufen, unterbinden die USA ohne Rücksicht darauf, ob der Deal schon legal abgewickelt ist oder nicht, und legen selbst die Hand auf die entsprechenden Betriebe, was filmreife Machenschaften einschließt. [43]

Großer Beliebtheit im amerikanischen Verteidigungsministerium erfreuen sich schon seit längerem die Fähigkeiten der Ukraine zur biologischen Kriegführung. Eine bereits seit 1993 bestehende ‚Zusammenarbeit‘, die sich anfänglich darauf konzentriert, die aus Sowjetzeiten überkommene Forschung und ihre Errungenschaften in Sachen biologische Kampfmittel in Besitz zu nehmen, ist inzwischen erheblich ausgeweitet worden: Das Pentagon finanziert und betreibt heute in eigener Regie 15 Labors in der Ukraine, stattet sie mit ausschließlich amerikanischem Personal aus, das sich, fern vom Homeland, der risikoreichen Forschung nach brauchbaren Massenvernichtungsmitteln widmen kann. Anders als China, das den USA Aufklärung für ihr mutmaßliches Corona-Verbrechen schuldet, hat die Weltmacht ihre Bio-Gift-Fabriken selbstverständlich fest im Griff.

Strategische Aufgaben und militärische Ausstattung der Ukraine

Die Aufgaben der ukrainischen Armee und die für deren Erfüllung zweckmäßige Ausstattung definieren die USA streng nach ihren strategischen Bedürfnissen. Die Erfüllung von Selenskyjs Friedensversprechen zählt durchaus nicht dazu. Ein dauerhafter Kleinkrieg, der Russland schwächt, ist den US-Strategen nämlich herzlich recht und auch einiges an modernem Schießgerät wert, weswegen die Ukraine neuerdings sogar panzerbrechende Waffen für ihren Krieg erhält, aber nur unter der Auflage, sie ein paar Hundert Kilometer vom Anwendungsort entfernt zu lagern. [44] Das potente Zeug soll ‚nur‘ dazu dienen, allein durch seine Dislozierung die abtrünnigen Republiken und ihren Schutzpatron in Moskau mit erheblichen neuen Kriegsrisiken zu konfrontieren und ihren Kriegsaufwand zu erhöhen; seine Anwendung zur Eskalation der Auseinandersetzung ist – fürs Erste – nicht vorgesehen. Aus dem gleichen Grund verhallen auch – fürs Erste – die Bitten aus Kiew um moderne Artillerie, Panzer usw. ungehört, und das ukrainische Heer darf seinen Krieg mit billig eingekauften Uralt-Tanks aus den Zeiten des Kalten Kriegs bestreiten. [45]

Selenskyjs penetranter Proamerikanismus und seine noch penetrantere Willfährigkeit sind eben mitnichten der Auftakt zu einem schönen do ut des mit der Weltmacht, und Interoperabilität bedeutet aus deren Sicht keineswegs die Aufrüstung des ukrainischen Militärs zur potenten High-tech-Armee unter ihrem eigenen Kommando. [46]

Amerika nutzt die gewendete Nation mit der größten Freiheit als seinen strategischen Besitzstand, ohne jede Rücksicht auf die Ambitionen des Ze!Teams, mit einer schlagkräftigen Armee seine Position zu stärken. Die US-Militärplanung subsumiert ihren neuen Waffenpartner vollständig unter ihre Strategie der Vorwärtspräsenz an den russischen Grenzen [47] und nimmt sich von dem, was in diesem potentiellen riesigen Kriegsraum an intakten oder halbintakten Radarstationen, Flugplätzen, Häfen und militärischem Gerät der ukrainischen Streitkräfte herumsteht, was sie brauchen kann, und baut ansonsten in eigener Regie die militärischen Kapazitäten auf, die sie für ihr Kriegsszenario für nötig hält.

Was genau am ukrainischen Militär für die Zwecke der Allianz brauchbar ist, ermittelt sie in allererster Linie in von ihr geplanten und angeführten gemeinsamen Manövern, die in allen drei Waffengattungen mehr oder minder ununterbrochen stattfinden, Mann und Gerät quasi unter Kriegsbedingungen praktisch auf ihre Funktionstüchtigkeit, Mängel bei der Interoperabilität mit NATO-Verbänden überprüfen, die nötige Auslese vornehmen, Ausbildungs- und Rüstungsprogramme initiieren, was für die Feinsteuerung des bereits erwähnten Comprehensive Assistance Package for Ukraine von großem Wert ist. Kein Wunder, dass auch diese Art der Transformation der ukrainischen Streitkräfte den patriotischen Ärger über eine „Kolonisierung“ der stolzen Nation wachruft. Null Kampfauftrag gegen den Aggressorstaat im Osten, wie ihn Poroschenko und die „Partei des Krieges“ liebend gern übernehmen wollen, stattdessen eine Betreuung der Armee und der Rüstungsindustrie, die einer Abwicklung nahekommt: Das strapaziert das nationale Gemüt doch erheblich.

*

Pompeo, Anfang des Jahres zu Besuch in Kiew:

„Der endgültige Sieg der Revolution der Würde ist zum Greifen nah. Die Vereinigten Staaten haben hart daran gearbeitet, der Ukraine bei der Entwicklung einer starken Rechtsstaatlichkeit, eines gesunden Investitionsklimas, eines reformierten Verteidigungssektors und der Energieunabhängigkeit zu helfen, und das werden wir auch weiterhin tun.“ (ua.usembassy.gov, 31.1.20)

[1] Sorosjata (= Soros-Kinder) werden die Produkte der Bildungstätigkeit des Philanthropen George Soros in der Ukraine genannt, der sich seit Jahrzehnten um die Herstellung prowestlicher Führungskräfte verdient gemacht hat. Von den USA und der EU werden sie, immer wenn sich die Gelegenheit dazu ergibt, in den osteuropäischen Ländern in Führungspositionen eingesetzt, um von dort aus für Linientreue in Sachen Marktwirtschaft & Demokratie, Kapitalfreiheit und Etablierung solider Russlandfeindschaft zu sorgen.

 Soros’ Engagement gilt ganz besonders der Ukraine, und er betreibt seine Menschenfreundlichkeit auf hohem Niveau: Im November 2014 forderte Soros ... den Sparkurs, den Bundeskanzlerin Angela Merkel der ganzen EU diktiere, zugunsten der Ukraine aufzugeben: ‚Leider scheint sie nicht zu begreifen, dass ihre Sparpolitik unangemessen ist in Kriegszeiten wie diesen‘... Seiner Meinung nach ‚verteidige die Ukraine die EU gegenüber einer russischen Aggression‘... Soros forderte im Januar 2015 in einem Interview mit der Financial Times die internationale Gemeinschaft und vor allem die Europäische Union auf, der Ukraine möglichst noch im ersten Quartal des Jahres Finanzhilfen in Höhe von 50 Milliarden Dollar zukommen zu lassen. Diese Mittel seien zum Wiederaufbau des Landes, zur Modernisierung der Wirtschaft und zur Beseitigung der Kriegsschäden in der Ost-Ukraine notwendig... (wikipedia.de). Wie der Bemerkung von Hontscharuk zu entnehmen ist, betrachtet die ukrainische Volksmeinung die Modernisierung der Wirtschaft, die sie u.a. der Wohltäterei von Soros und seinen Kindern verdankt, nicht mit allzu großer Sympathie.

[2] Speech by President of Ukraine Volodymyr Zelenskyy at an extraordinary session of the Verkhovna Rada, 4.3.20, president.gov.ua.

[3] Ukrainische Wirtschaftsexperten diagnostizieren die fortschreitende Degradierung vom Industrieland zum Rohstoffexporteur:

Der Aufsichtsratsvorsitzende der Nationalbank Bohdan Danylyschyn glaubt, dass der Grund für die heutige Lage darin besteht, dass sich die Ukraine vom Exporteur metallurgischer und chemischer Produkte weg und zum Exporteur von landwirtschaftlichen und mineralischen Rohstoffen und metallurgischem Halbfabrikat hin entwickelt... In 13 aufeinander folgenden Jahren war eine negative Handelsbilanz zu beobachten... Wir rutschen in eine Entwicklung zum Agrarstaat hinein, der a priori in Schulden versinkt und seine internationale Rolle verliert. (UNIAN, 17.1.20)

[4] Der Optimismus des Präsidenten, der die Privatisierung als eine der ‚3 Säulen‘ des künftigen wirtschaftlichen Durchbruchs der Ukraine vorstellt, ist erstaunlich, denn in den letzten Jahren hat die Privatisierung in einer Serie beständiger Fehlschläge bestanden... Der öffentliche Sektor findet wegen des Rückgangs der Finanzmittel und des Werts der Anlagen kein Interesse von Seiten der Investoren... Es ist zu erwarten, dass sich nicht einmal attraktive staatseigene Betriebe verkaufen lassen. (112.ua, 1.11.19)

[5] Bei der großen Mehrheit der staatseigenen Betriebe sind die Anlagen zu mehr als 80 % verschlissen und es gibt keine langfristigen Finanzmittel für die technische Neuausrüstung und Modernisierung. (112.international, 19.9.18)

[6] Die ukrainische Öffentlichkeit entwickelt angesichts dieser Verhältnisse eine Art Galgenhumor. Unter dem Titel Investors don’t want to bring their funds to Ukraine wird der Auftritt der ukrainischen Politiker in Davos gewürdigt:

Was konnte Premierminister Hontscharuk der Welt berichten? Davon, dass im Dezember die Industrieproduktion der Ukraine um 8,3 Prozent und im ganzen Jahr um 1,8 Prozent gefallen ist und dass sich der Verfall intensiviert hat, seitdem er an die Macht gekommen ist? Oder vom Wachstum der Lohnrückstände und der Zahl der Arbeitslosen? Oder vom Loch im Haushalt und dem Einfrieren der regionalen Infrastrukturprojekte im Dezember? (112.ua, 29.1.20)

[7] Laut Weltbank ist die Ukraine der größte Empfänger von Überweisungen von Arbeitsmigranten in Europa, d.h. ca. 4,4 Millionen Ukrainer arbeiten im Ausland, jeder vierte arbeitsfähige Ukrainer.

Jedes Jahr überweisen die Arbeitsmigranten an die 12 Milliarden USD auf offiziellem Weg in die Ukraine, eine kolossale Summe für den ukrainischen Haushalt. (EU Today, 6.4.20)

[8] Die Ukraine verwandelt sich langsam in einen Agrarstaat. Und ein Agrarstaat kann nicht allen Ukrainern Arbeit sichern. Er braucht so viel Bevölkerung nicht! Deshalb wird die Situation mit der Emigration von Jahr zu Jahr schlimmer. Die Ukraine wird eine Bevölkerung von nicht mehr als 15-20 Millionen ernähren können. D.h. jeder Zweite wird im Ausland Arbeit suchen müssen. (strana.ua, 24.4.20)

 Nachdem man im Ausland dann aber wieder entdeckt, wie wenig man auf die Saisonarbeiter verzichten kann, sieht die Regierung darin eine Gelegenheit: Sie will keine Charterflüge genehmigen, bevor die EU nicht einen mindestens dreimonatigen Aufenthalt in der EU zusichert und eine Meldepflicht einführt, um die Saisonarbeiter darauf zu verpflichten, für ihre im Ausland verdienten Löhne Steuern und Sozialabgaben in der Ukraine abzuliefern.

[9] Vorerst wird die ukrainische Regierung keine Exportbeschränkungen von Getreide, Sonnenblumenöl, Geflügel und anderen Agrarprodukten verhängen und eine der führenden Exportnationen bleiben. Schließlich wären die Folgen solcher Beschränkungen katastrophal fürs Geschäft und würden einen wichtigen Kanal für den Zufluss von harter Währung versperren. Währenddessen warnen Bäcker und Müller davor, dass die Brotpreise für Ukrainer in der nahen Zukunft wegen steigender Weltmarktpreise für Getreide um die 20 % ansteigen könnten... Die Entscheidung liegt bei den Produzenten: den heimischen Markt zu versorgen oder den profitableren Weg zu wählen und das Getreide gegen Devisen zu verkaufen. (Hunger Games: is Ukraine facing a food crisis, UNIAN, 31.3.20)

[10] Während bisher die Krankenhäuser entsprechend der Bettenzahl finanziert wurden, so werden sie ab 1. April ... die Mittel in Abhängigkeit von den erbrachten Leistungen erhalten. Die veröffentlichte Gebührenordnung für diese Leistungen hat jedoch heftige Diskussionen hervorgerufen, weil sie, umgerechnet auf die Leistungen, ... deren Finanzierung nicht ausreichend sichert. Infrage gestellt wird nicht nur die weitere Entwicklung eines Krankenhauses, die Fortbildung der Ärzte, die Erneuerung der Ausrüstung, sondern überhaupt das Überleben der betreffenden Einrichtung. (Neue Etappe der medizinischen Reform. Was haben die Ukrainer im April zu erwarten, Nowoje Wremja, 26.2.20)

[11] Bei dieser Reform handelt es sich um einen besonders schönen Fall aus dem Kapitel, wie die Schutzmächte der Ukraine gute Regierung in fremde Länder transportieren: Nach dem Maidan haben die amerikanischen Betreuer eine ukrainischstämmige Ärztin aus Detroit, Uljana Suprun, in die Ukraine verpflanzt, um das noch immer sowjetisch geprägte Gesundheitswesen einer Radikalkur zu unterziehen – eben die Grundlage für das oben geschilderte Desaster.

 Darüber hatte die Betreffende sich im Volk die Bezeichnungen „Dr. Tod“ und „die Hexe“ erworben sowie das Gerücht, sie sei in die Ukraine gekommen, um die Ukrainer auszurotten. Unter ihrer Regie konzentriert sich das Ministerium auf ihr Lieblingsthema, dass nämlich die Volksgesundheit in erster Linie eine Frage der Prophylaxe und des Abstellens übler Gewohnheiten wie Alkohol und Tabak sei: Ich möchte sehen, wie die prophylaktische Medizin floriert, damit wir immer weniger Erkrankungen an onkologischen Krankheiten haben. Warum sollen wir die alle heilen? (strana.ua, 8.11.16)

[12] Coronavirus-Krise: Ärzte kündigen massenhaft aufgrund fehlender Masken und fehlenden Geldes. (ukraine-nachrichten, 3. April 2020) „Wir haben 300 % erwartet, aber Kopeken bekommenweswegen in der ganzen Ukraine Proteste der Mediziner begonnen haben.“ (strana.ua, 30.4.20)

 Die Öffentlichkeit rätselt über die Frage: Warum in der Ukraine mehr durch Coronavirus sterben als geheilt werden, obwohl es in der übrigen Welt andersherum ist? In der Ukraine kamen auf 57 Gestorbene 45 Geheilte... Vermutete Gründe: Mangel an Tests ... schlechte – oder gar keine – medizinische Betreuung. (strana.ua, 9.4.20)

[13] Die ukrainische Fachwelt fragt sich, wie der Haushalt zu dem Geld kommen soll, das er nicht hat:

Fängt die Ukraine damit an, Geld zu drucken? Die Pläne der Regierung zur Unterstützung der Ukrainer in der Krise verlangen riesige Mengen von Geld, die aber aufgrund des Haushaltsdefizits einfach nicht vorhanden sind. In der letzten Woche sind in Expertenkreisen heftige Diskussionen darüber ausgebrochen, ob die Ukraine nicht nach dem Vorbild USA dazu übergehen sollte, mehr Geld zu drucken. (UNIAN, 11.4.20)

 Vielleicht fällt den Experten das Prinzip „Quod licet Iovi non licet bovi“ noch ein, bevor der IWF es ihnen erklären muss.

[14] Denys Schmyhal, seit 4.3.20 Ministerpräsident, zum Corona-Krisenhaushalt:

Das Haushaltsdefizit von 298 Milliarden UAH wird vom IWF finanziert... Der IWF-Kredit, um den sich die Ukraine schon mehrere Monate lang bemüht hat, ist einer der Meilensteine, ohne den die beschlossenen Maßnahmen fehlschlagen müssen. (Emergency budget: how Ukraine’s main financial document has changed, UNIAN, 15.4.20)

[15] Internationale Ukraine-Anleihen werden klar im Segment der hochriskanten Emerging-Markets-Staatsanleihen gehandelt... In Bezug auf aktuelle Marktpreise sind hier eher Anleihen von konfliktbelasteten Staaten (innenpolitisch und/oder außenpolitisch) Vergleichsmaßstäbe, d.h. US-Dollar-Anleihen der Ukraine werden am Finanzmarkt ähnlich gepreist wie solche Wertpapiere aus dem Irak, Ägypten oder Pakistan. (Gunter Deuber, Raiffeisen Bank International AG, Wien, Ukraine-Analysen Nr. 212, 14.2.19)

[16] Der IWF erwägt, die Ukraine beim Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus zu unterstützen... Die Obrigkeit wird das Leben von Ukrainern nicht aufs Spiel setzen und zieht deshalb die Option eines Defaults nicht in Betracht. (112.ua, 27.3.20)

 Ökonomen schlagen Alarm wegen der Debatte über den Default:

In einigen Kreisen wird über die Möglichkeit diskutiert, aus Katastrophengründen den Zahlungsausfall zu erklären, das heißt die Zahlung von Staatsschulden zu verweigern. Wir betonen aufs Schärfste die negativen Folgen solcher öffentlicher Diskussionen und die Realisierung eines solchen Schrittes für das Image des Staates in der Welt, das Wohlergehen der ukrainischen Bürger und folglich für die Beziehung der Bürger zur Staatsmacht. (Ein Staatsbankrott wird die ukrainische Wirtschaft nicht retten, sondern ihr den Rest geben, ukraine-nachrichten.de, 23.3.20)

[17] Die Ukraine hofft auf 5,5 Milliarden USD vom Fonds, verteilt auf 3 Jahre. Ein Kredit über 500 Millionen Euro von der EU hängt daran, dass dieses Programm zustande kommt, ebenso wie ein Kredit über 1 Milliarde USD von der Weltbank. Im Unterschied zu den Ausleihungen des IWF können diese Kredite direkt dafür verwendet werden, das Haushalts-Defizit der Ukraine abzudecken. (hromadske.ua, 18.3.20)

 Selenskyj: Ich bin mit den Führern der Länder fast jeden Tag im Gespräch, mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, Aserbaidschan, Kanada, Deutschland... Bei ihnen allen dreht es sich um dieselbe Sache, sie sagen: Wenn [eine fortgesetzte Kooperation der Ukraine mit dem IWF] stattfindet, werden wir euch unterstützen. Das schließt Kredite für humanitäre Zwecke ebenso ein wie Vorzugskredite zur Unterstützung der ukrainischen Ökonomie. Das hängt alles an einem Signal. Das Signal ist eines an deren Adresse – ein Memorandum mit dem IWF. Es geht um Vertrauen in die Ukraine. (UNIAN, 18.4.20)

[18] Vergleichen wir die aktuellen Milcherträge pro Milchkuh in der Ukraine mit denen in anderen Ländern mit einer technologisch fortschrittlichen Milchwirtschaft. Die Ukraine produziert im Jahresdurchschnitt ca. 4 900 Kilo Milch pro Kuh, wohingegen die USA ca. 10 000 Kilo, die EU ca. 7 500 Kilo produzieren. Das bedeutet, dass die Produktivität in der Ukraine nach wie vor sehr niedrig ist. (Agriculture in Ukraine – what does the future hold? fao.org, 13.10.16)

[19] Wiktor Medwedtschuk ist der Vorsitzende der als russlandfreundlich geltenden „Oppositionsplattform – Partei für das Leben“, der nach der Partei des Präsidenten immerhin zweitgrößten Partei.

[20] Das beschlossene Gesetz ... unterscheidet sich von der liberalen Version, die vom Kabinett des Oleksyj Hontscharuk entwickelt wurde. In der ersten Phase wird es nur ukrainischen Bürgern gestattet sein, Land zu besitzen. Für den Landkauf wurde eine Obergrenze von 100 Hektar pro Käufer festgelegt. Die zweite Phase der Reform beginnt am 1.1.2024. Dann wird es auch Kapitalgesellschaften erlaubt sein, Land zu kaufen, bis zu einer Obergrenze von 10 000 Hektar. Das Gesetz verbietet Verkäufe an Ausländer, an Gesellschaften im Eigentum von russischen Staatsbürgern, an Gesellschaften mit ausländischen Anteilseignern sowie an solche, deren Kapitalgeber nicht identifiziert werden können oder die in Offshore-Zonen registriert sind; schließlich an Personen, die Sanktionen unterliegen. Der Verkauf von Ländereien aus kommunalem bzw. staatlichem Besitz ist ebenso verboten. Das heißt, es ist privates Land, das verkauft werden kann. (UNIAN, 4.4.20)

[21] Selenskyj im Wahlkampf zu Poroschenko: Ich bin nicht dein Konkurrent, ich bin dein Urteil!

[22] Der IWF hält seine letzten Tranchen zurück, bis er sich davon überzeugt hat, dass sich die Selenskyj-Regierung offensiv darum bemüht, die geschätzten 15 Milliarden zurückzuholen, die im Laufe des letzten Jahrzehnts aus mehr als 100 Banken, unter ihnen die PrivatBank, gestohlen wurden. (Wall Street Journal, 31.10.19)

[23] Amerika stellt sich in dieser Frage noch eigens hinter den IWF, bestellt den Chef des ukrainischen Geheimdiensts ein und gibt ihm zu verstehen, dass man gewillt ist, nach Maßgabe seines inzwischen weit ausgedehnten exterritorialen Rechts selbst gegen den Delinquenten aktiv zu werden:

Der Chef des ukrainischen Geheimdienstes, Iwan Bakanow, befindet sich derzeit in den USA, wo er sich mit Beamten des FBI berät... Eines der Hauptthemen dieses Treffens war die strafrechtliche Verfolgung und mögliche Ausweisung von Ihor Kolomojskyj. ‚Unseren Quellen zufolge hat der FBI alle nötigen Dokumente vorbereitet, und derzeit wird die Möglichkeit einer Überstellung von Ihor Kolomojskyj an die USA zwecks strafrechtlicher Verfolgung erörtert.‘ (112.ua, 19.4.20)

[24] Ich sage nur, dass das Land systematisch auf Pump gelebt hat und die Schuldenlast des Landes größer wurde. Und als ein gewisser Höhepunkt erreicht war, kamen natürlich auch noch Krisenumstände obendrauf, der Krieg begann, die Belastung wurde noch höher, und alles ist dann im Zusammenhang mit dem Coronavirus aus den Fugen geraten, und jetzt ist die Wirtschaft krank. Und der IWF ist unsere Beatmungsmaschine, unsere künstliche Beatmung, um das Land zumindest in dem Zustand zu halten, in dem es sich jetzt befindet. Man kann die Beatmung abschalten und zusehen, was dann los sein wird. Beide Lösungen sind übel. Diejenigen Anhänger des Default, mit denen ich stundenlang diskutiert habe, die überblicken nur ein ganz kleines Stück, die sagen, wir werden kein Geld hergeben und die Probleme werden sich von selbst lösen. Aber die lösen sich nicht selbst, denn wir haben eine Rohstoff-Ökonomie, der Export besteht aus Rohstoffen, die Preise fallen usw. Sagen wir einander doch die Wahrheit: Ja, das ist heute die einzig wahre Lösung, deretwegen man sich unterwerfen und für dieses Gesetz stimmen muss. (Schuster live, youtube, 29.3.20)

[25] Dass die Oligarchen in der Ukraine als Privatgewalten im wörtlichen Sinn agieren, beruht darauf, dass die Poroschenko-Regierung nach dem Umsturz 2014 nicht dazu in der Lage war, den im Zuge des Maidan ausgebrochenen Konflikt mit Hilfe der regulären Armee zu beherrschen. Figuren wie Kolomojskyj haben die Freiwilligenbataillone aufgestellt und finanziert, die die weitere Ausdehnung des Aufstands gegen das neue Regime verhindert haben. Unter diesen Umständen ist der Übergang zum Plündern, Erpressen und Enteignen, sei es im eigenen oder im Interesse des oligarchischen Finanziers, dann einerseits fließend, während die Freiwilligen andererseits aber auch als nationale Helden gelten und sich im politischen Leben der Ukraine als Bastionen des gewaltbereiten ukrainischen Nationalismus fest etabliert haben. In beiden Rollen tragen sie tatkräftig zu dem Phänomen der – in der höflichen Ausdrucksweise der auswärtigen Berater – geschwächten Rechtsstaatlichkeit der Ukraine bei.

[26] Das ökonomische Desaster gibt ja Anlass genug für die entsprechenden Ressentiments, die dann in den zahlreichen vom Westen entsandten Fachleuten für gutes Regieren, die in politischen Gremien ebenso wie in Vorständen und Aufsichtsräten reichlich vertreten sind, ihre Belege finden:

Sechs Jahre sind seit dem zweiten Maidan vergangen, und bis heute besetzen, von Ukroboronprom [der größte ukrainische Rüstungskonzern] bis Ukrzalisnytzia [die ukrainische Eisenbahngesellschaft], Litauer, Paschtunen, Türken, Georgier, Deutsche, Schweden, Polen und andere Ausländer die Führungspositionen in Staatskonzernen und vielen Ministerien; und Ukrainer wie Petro Poroschenko und Arsenij Jazenjuk wurden zu Fremden... Haben sie dafür auf dem Maidan gekämpft? Jetzt beginnt jeder zu verstehen: Darauf zu warten, dass jemand von außerhalb kommt und uns den richtigen Weg weist, ist das Schlimmste und Gefährlichste, was uns passieren kann. (112.ua, 10.3.20)

 Besonders die größte Oppositionspartei, „Oppositionsplattform – Partei für das Leben“, propagiert diese Lesart:

Wenn Herr Selenskyj und sein neues bzw. upgedatetes Team, das heute antritt, nicht radikal den wirtschaftspolitischen Kurs ändern, das Freihandelsabkommen mit der EU kündigen, das unsere Wirtschaft verwüstet und zerstört, wenn sie ihre Zustimmung zu den EU-Sanktionen gegen Russland nicht zurückziehen, wenn sie die Märkte für unsere Exportprodukte nicht wieder zugänglich machen ... dann wird sich absolut nichts ändern... Seit Selenskyj und seine Mannschaft an der Macht sind, hat sich das Land von Armut zum Pauperismus entwickelt. (112.ua, 4.3.20)

[27] Standardwitz von Selenskyj im Wahlkampf: Der Frühling kommt – wir buchten ein.

[28] Eine gewisse Ironie der Sache besteht darin, dass der Staat sich in einer ähnlich schlechten Verfassung befindet wie der russische vor ungefähr zwei Dekaden, der damals Kollege Putin den Auftrag zur Herstellung der Vertikale der Macht entnommen hatte, was ihm seitdem als schwerer Verstoß gegen die Demokratie vorgehalten wird. Im Fall der Ukraine vermissen die Schutzmächte einerseits eine solche Vertikale ebenfalls, andererseits verbieten sie aber auch mit ihrem Bestehen auf demokratischen Sitten – bislang – deren Herstellung.

[29] Siehe auch: Das Minsker Abkommen: Schon wieder so ein Friedensprozess in der Ausgabe 3-15 dieser Zeitschrift.

[30] Der ehemalige amerikanische Ukraine-Beauftragte Volker:

Trotz größerer Mängel der Minsker Vereinbarungen hat die US-Administration anerkannt, dass sie die einzigen nach dem Konflikt abgefassten Dokumente sind, in denen Russland die territoriale Integrität der Ukraine formell anerkennt. Die Administration bestand deshalb auf der vollständigen und getreuen Implementierung der Minsker Vereinbarungen durch Russland, was einschließt, dass Russland die Kontrolle der ukrainischen Seite der internationalen Grenze wieder den ukrainischen Behörden übergibt. Während Frankreich und Deutschland zögerten, Russland öffentlich unter Druck zu setzen, stattdessen ‚beide Seiten‘ dazu aufriefen, Schritte zu unternehmen, waren die Vereinigten Staaten freimütiger und direkter und haben Russland dazu aufgerufen, seine Minsk-Verpflichtungen zu erfüllen, einschließlich des Rückzugs ausländischer Streitkräfte, der Auflösung illegaler bewaffneter Gruppen und der Auflösung der sogenannten Volksrepubliken. (Foreign Policy, 28.1.20)

 Da Russland auf den vereinbarten Vertragsbedingungen besteht, dem ukrainischen Außenminister also nichts anderes übrig bleibt, als sie zu unterschreiben, damit überhaupt wieder Verhandlungen zustande kommen, sorgt der amerikanische Ukraine-Beauftragte höchstpersönlich für eine etwas ungewöhnliche Diplomatie und passt darauf auf, dass der Außenminister seine Unterschrift auch ordentlich widerruft:

Prystajko, flankiert vom amerikanischen Ukraine-Beauftragten Kurt Volker: ... Von Wahlen im Donbass nach den Regeln der dortigen Machthaber sei nicht die Rede. Volker fügte hinzu: ‚Für freie und faire Wahlen bedarf es einer freien, fairen und sicheren Situation. Da können Russland und seine Gehilfen nicht dort die Lage kontrollieren.‘ (FAZ, 20.9.19)

[31] Die Situation bei der Trennung der Truppen in Petrowske und Solote wird immer angespannter. Die Nationalisten haben einen ‚Widerstandsstab‘ eingerichtet und sagen, dass sie beabsichtigen, den Abzug der ukrainischen Truppen zu sprengen. (strana.ua, 9.10.19) Selenskyj, der an die Front reist und versucht, ihnen gut zuzureden, gerät in die peinliche Lage, vor den Fernsehkameras versichern zu müssen, dass er immerhin der Präsident und keine Flasche ist: Hör zu, ich bin der Präsident dieses Landes und ich bin 42 Jahre alt. Ich bin nicht irgendein Volltrottel. Ich bin hergekommen zu dir und habe gesagt: ‚Die Waffe weg.‘ Bring mich nicht dazu, dass ich jetzt etwas unternehme. Ich wollte in deinen Augen sehen, dass du mich verstehst. Aber ich habe einen Kerl vor mir, der für sich beschlossen hat, dass vor ihm irgendein naiver Trottel steht, dem er sagen kann, wo es langgehen soll. (112.ua, 27.10.19) Die Freiwilligenbataillone antworten mit verstärktem Beschuss der Ostgebiete.

[32] Aus diesem Grund hat Amerika auch Ausbildung und Ausstattung des berüchtigten Asow-Regiments betrieben, das dann wegen starker Indizien für Rechtsextremismus ins Gerede gekommen ist: 2016 hatte der Kongress bereits eine Resolution verabschiedet, nach der das US-Militär die Neonazi-Organisation weder trainieren noch unterstützen oder mit Waffen versorgen darf. Das Pentagon erreichte allerdings, dass die Resolution aus dem Pentagon-Budget-Gesetz wieder entfernt wurde. (Telepolis, 2.11.19)

 Schließlich darf man beim Einsatz lokaler Hilfskräfte nicht kleinlich sein:

Die frühen Siege der Asow-Bewegung verliehen ihr den Ruf einer Einrichtung, in der sich ultrarechte Extremisten und bekennende Neonazis zu Hause fühlen konnten... Fünf Jahre später ist das Bataillon nun selbst ein offizieller Teil der ukrainischen Nationalgarde. Asow hat 2016 eine politische Partei, das ‚Nationalkorps‘, gegründet, die von Andrej Bilezkyj geleitet wird, der früher einmal Chef der Neonazi-Organisation ‚Patriot der Ukraine‘ war. Letztes Jahr gründete Asow die Nationale Miliz, eine paramilitärische Gruppe, die mit ihrem Hang zu Gewalttätigkeiten und Selbstjustiz manchen Menschenrechtsgruppen Sorgen bereitet. Mit einer von Asow behaupteten Zahl von 10 000 Mitgliedern dürfte sie auf absehbare Zeit eine feste Größe in der ukrainischen Politik bleiben. (There’s One Far-Right Movement That Hates the Kremlin, Foreign Policy, 17.4.19)

 Dass das Regiment ein Sammelplatz für Faschisten aus aller Herren Länder ist – auch der Christchurch-Attentäter ist da ausgebildet worden –, passt irgendwie schon auch zu der diplomatischen Floskel der US-Politik von der vibrant civil society, mit der man dort die demokratische Qualität der Ukraine zu loben pflegt.

[33] Die Tatsache, dass Selenskyj Awakow im Amt belassen hat, ist ein Anzeichen für Unsicherheit des Präsidenten und zeugt davon, dass dieser sich gefährdet fühlt. Sein Team hat Angst davor, dass das Nationalkorps, im Falle einer Absetzung des Ministers, auf die Straßen ziehen und es Probleme mit der Nationalgarde und der Polizei geben könnte, sodass niemand ihrer Herr werden kann. (Zaxid.net, 2.9.2019)

Awakow begann, seinen Einfluss zu demonstrieren. Zunächst holte er die Nationalgarde, die direkt ihm untersteht, auf die Straßen der ukrainischen Städte... Bis dahin sprachen die Unterstützer Poroschenkos immer davon, dass sich Selenskyj vor Paraden fürchte, da ihm die Streitkräfte den Kriegsgruß verweigern würden. Während der Feierlichkeiten agierten die Soldaten aber nach Plan und erwiesen dem Präsidenten den Kriegsgruß. Ganz anders die Nationalgarde: sie zeigte sich undiszipliniert und erwies den Gruß entweder gar nicht oder nicht nach Vorschrift. (a.a.O.)

 Auch nach Selenskyjs missglücktem Auftritt bei der geplanten Entflechtung an der Front, bei dem der Präsident mit der offenen Befehlsverweigerung seitens der Freiwilligenverbände konfrontiert wird, dokumentiert der Innenminister, wie weit sein Einfluss reicht:

Das Schlimmste ist, dass die Konfrontation Selenskyj-Asow aus den Kabinetten in Kiew an die Frontlinie verlegt wurde... nach der ‚Diskussion‘ des Präsidenten mit einem der Freiwilligen in Solote flog Awakow nach Mariupol, um die ‚Seinen‘ zu unterstützen und besuchte ein mobiles Zentrum von ‚Asow‘. (Zaxid.net, 30.10.19)

[34] Ein Mittel im Kampf der USA gegen die Korruption in der Ukraine bestand und besteht nun mal eben darin, dass sich Amerika in Gestalt seiner Geschäftsleute Restposten der ukrainischen Ökonomie aneignet; für diese ehrenwerte Aufgabe haben amerikanische Politiker unter anderem auch gern Söhne. Historisches Pech, dass Joe Biden, wo er doch früher als Oberkämpfer gegen die Korruption in der Ukraine aufgetreten ist, jetzt mit demselben Verdacht traktiert wird.

[35] In Kiew haben am Sonnabend einige tausend militante Nationalisten gegen Präsident Wolodymyr Selenskyj demonstriert... Ein Redner aus den Reihen des faschistischen Bataillons ‚Asow‘ erklärte, die ‚Veteranen‘ seien die ‚Herren der Straße‘. Ein Transparent verkündete stolz: ‚Wir schießen seit 2014‘. Hauptforderungen waren der Rücktritt des Präsidenten und die ‚Freilassung aller politischen Gefangenen‘. Eine zweite Demonstration am Samstagabend endete vor dem Gebäude der russischen Botschaft, das aus der Menge mit selbstgebauten Raketen und Feuerwerkskörpern beschossen wurde. Die Polizei beschränkte sich darauf, einen Sturm auf das Botschaftsgelände zu verhindern. (Junge Welt, 16.3.20)

[36] „Petro Poroschenko: ‚Die Schaffung irgendwelcher Konsultativ-Räte mit russischen Marionetten ist der Weg in eine schleichende Kapitulation. Die Gründe für eine Abkehr von einer NATO-Mitgliedschaft und eine Wiederaufnahme der Wasserversorgung der besetzten Krim werden immer deutlicher. All dies will der Kreml. Die Umsetzung solcher Initiativen ist gleichbedeutend mit Hochverrat.‘ ...

Julia Timoschenko: ‚Meine Position ist und war immer klar und eindeutig. Es gibt keinen internen Konflikt in der Ukraine. Es gibt einen Krieg Russlands gegen die Ukraine im Donbass. Es gibt eine Besetzung der Krim durch Russland. Die unterzeichneten Dokumente sprechen erneut von einem nicht existierenden Bürgerkrieg.‘“ (uacrisis.org/de, 16.3.20)

[37] Ein frustrierter US-Militärausbilder redet Klartext: Die Bemühungen meiner Soldaten konzentrieren sich darauf, das Yavoriv Combat Center und dessen Ausbilder voranzubringen, damit die Verteidigungsfähigkeit der ukrainischen Bodentruppen von Tag zu Tag stärker wird. Nach dem, was ich dort gesehen habe, muss ich aber sagen, dass unsere Trainingsmission über 2020 hinaus verlängert werden muss. Nicht wegen der Infrastruktur und -ausrüstung, hauptsächlich wegen der ukrainischen Soldaten. Erstens sprechen sie kein Englisch. Um die Wahrheit zu sagen, sie bemühen sich auch nicht, es zu lernen. Gemessen daran, wie wenig sie sich offenbar für das Englische überhaupt interessieren, bräuchten meine Ausbilder eigentlich eine zusätzliche Abteilung von Dolmetschern. Aber nicht mal das würde in jedem Fall helfen – die können sich noch nicht einmal untereinander verständigen! Das ist ein Durcheinander der verschiedensten Leute, die hier ausgebildet werden. Einige von ihnen sprechen nur Ukrainisch oder nur Russisch, während andere nur Rumänisch oder Ungarisch sprechen. Zweitens sind die ukrainischen Soldaten faule Drückeberger, die nur ungern arbeiten. Sie neigen dazu, absichtlich jeden Schritt ihrer US-Ausbilder zu sabotieren. Dazu kommt ihre Geldgier, und man muss sich im Klaren sein darüber, dass die ukrainischen Militärs dazu neigen, alles zu stehlen und weiter zu verkaufen, sobald sie glauben, einen guten Deal machen zu können. Drittens ist starker Alkoholkonsum an der Tagesordnung. Alle ukrainischen Soldaten im Yavoriv Combat Training Center trinken gefährlich große Mengen an Alkohol... Betrunkene ukrainische Soldaten, die wegen ihrer Sauferei nicht mehr aufrecht stehen konnten, wurden von der Ausbildung ausgeschlossen. Einige der Trainingsaktivitäten wurden entweder abgesagt oder verschoben. Am meisten hat mich erschüttert, dass ihre Kommandeure über dieses unangemessene Verhalten einfach hinwegsehen. Ihre mangelnde Bereitschaft, gegen Alkoholmissbrauch vorzugehen, deutet darauf hin, dass sie zusammen mit ihren Untergebenen in einer Saufkultur versackt sind. (Robert K. Tracy, Oberstleutnant der US-Streitkräfte, Leiter der gemeinsamen multinationalen Ausbildungsgruppe in der Ukraine (JMTG-U) über das ukrainische Ausbildungszentrum in seinem Blog. Zitiert nach 112.ua, 28.8.19)

[38] Obwohl die ukrainische PME [Professional Military Education] der größte Leistungsempfänger des NATO-Programms zur Verbesserung der Verteidigungs-Ausbildung (DEEP) ist, bleibt sie eine Hochburg des alten sowjetischen Denkens und von Kadern, die sich weigern, Lehrpläne, Unterrichtsansätze und die Unterrichtskultur zu ändern. (Mariya Omelicheva, Washingtons Security-Assistenz für Kiew: Verbesserung der langfristigen Erträge militärischer Investitionen in der Ukraine. in: PONARS Eurasia Policy Memo Nr. 614, September 2019, S. 4)

[39] Der von Norwegen geleitete Military Career Transition Trust Fund wird zur Entwicklung eines funktionierenden Personalmanagementsystems bei den Streitkräften der Ukraine beitragen. Im Rahmen der militärischen Zusammenarbeit werden sich die Aktivitäten auf die Entwicklung von Interoperabilität, Bildung und Ausbildung konzentrieren. (nato.mfa.gof.ua)

[40] Command, Control, Communication und Computer (C4). Die NATO wird die Ukraine bei der Reorganisation und Modernisierung ihrer C4-Strukturen und -Fähigkeiten unterstützen. (Reorganisation und Modernisierung ist ein freundlicher Euphemismus, wenn alle vier Bereiche komplett neu eingerichtet und auf NATO-Standard gebracht werden sollen), wie dies im strategischen Verteidigungsbulletin der Ukraine vorgesehen ist. Diese Aktivitäten zielen darauf ab, die Interoperabilität mit der NATO zu erleichtern, einen Beitrag zu den von der NATO durchgeführten Übungen und Operationen zu leisten und die Fähigkeiten der Ukraine zu verbessern, für ihre eigene Verteidigung und Sicherheit zu sorgen. Projekte, die unter dem von Kanada, Deutschland und dem Vereinigten Königreich geführten C4 Trust Fund entwickelt wurden, werden zur Umsetzung der festgelegten Ziele beitragen. Durch das regionale Luftraum-Sicherheitsprogramm (Regional Airspace Security Programme, RASP) wird die Fähigkeit der Ukraine zur Bewältigung von Luftsicherheitsvorfällen verbessert. Andere Projekte haben das Ziel, die Fähigkeiten der Ukraine in Bezug auf eine sichere Befehlsstruktur, Kontrolle und Lagebeurteilung ihrer Streitkräfte zu verbessern, einschließlich des Austauschs von Kenntnissen und Expertisen zwischen NATO und der Ukraine. (Comprehensive Assistance Package for Ukraine, Juli 2016)

[41] „Korruptionsbekämpfung in der Verteidigungsindustrie.

 Die Regierung hat Ukroboronprom, dem staatlichen Rüstungsgiganten, der in Korruption und Ineffizienz versunken ist, Deadlines gesetzt... Laut Abromavičius sollte die Transformation der Organisation dazu führen, dass die Waffenexporte der Ukraine um den Faktor fünf steigen, von fast 400 Millionen US-Dollar im Jahre 2018 auf 2 Milliarden US-Dollar bis 2025. Die Herstellung von Raketen und Flugzeugen wird oberste Priorität haben...“ (kyivpost.com, 6.9.19)

[42] Und nicht nur die. Die USA tun ihr Bestes, den Handel ihres Schützlings mit Gerätschaften, die state and non-state actors of concern zur Herstellung von Atomwaffen befähigen könnten, unter ihre Kontrolle zu bringen und zu unterbinden.

[43] Erik Prince, ein privater Sicherheitsdienstleister und informeller Berater von Präsident Trump, verhandelt derzeit über den Kauf eines ukrainischen Luft- und Raumfahrtherstellers, dessen Aufkauf durch China die USA verhindern wollen... Die Trump-Regierung hat sich an Herrn Prince gewandt, sagte ein US-Beamter... Motor Sitsch ist ein führender Hersteller von Hubschrauber- und Flugzeugtriebwerken. Die USA wollen dessen bevorstehenden Verkauf an eine Gruppe chinesischer Unternehmen auf jeden Fall verhindern, um Peking davon abzuhalten, Verteidigungstechnologien von strategisch entscheidender Bedeutung zu erwerben. Infolgedessen ist das Unternehmen zu einem Streitfall in der globalen Rivalität zwischen den USA und China geworden. Die Ukraine, deren Regierung schon im Fokus des Amtsenthebungsverfahrens des US-Repräsentantenhauses gegen Herrn Trump steht, ist nun auch in das Gerangel zwischen Washington und Peking um Motor Sitsch hineingeraten... Das Unternehmen, früher eine Stütze der sowjetischen Rüstungsindustrie, hat jahrelang Motoren für den Großteil der Hubschrauberflotte des russischen Militärs geliefert. Nach dem Ausbruch des Krieges zwischen Russland und der Ukraine im Jahr 2014 verbot Kiew die militärischen Exporte an seinen Nachbarn, was das Geschäft von Motor Sitsch schwer getroffen hat... Bei einem Besuch in Kiew im August versuchte John Bolton – damals Trumps Sicherheitsberater – den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zu überreden, den Kauf von Motor Sitsch durch eine Unternehmensgruppe unter der Führung von Beijing Skyrizon Aviation, die vom chinesischen Geschäftsmann Wang Jing kontrolliert wird, zu vereiteln. China ist darum bemüht, einen hochmodernen Triebwerkhersteller für Militärflugzeuge aufzubauen und hat die Luft- und Raumfahrttechnologie zu einer Regierungspriorität erklärt. Ein Abkommen, das von China abgeschlossen wird, könnte auch Russland einen erneuten Zugang zu Motor-Sitsch-Motoren ermöglichen. Im Juli erklärte China, es plane, die militärische Zusammenarbeit mit Russland auszubauen, um der angeblich wachsenden Bedrohung durch die USA entgegenzuarbeiten... Das chinesische Konsortium hat nach Angaben ukrainischer Regierungsbeamter Motor Sitsch tatsächlich gekauft, die Zahlung überwiesen und die Kontrolle über die Offshore-Unternehmen übernommen, die zusammen eine Mehrheitsbeteiligung an dem Hersteller halten. Ein Vertreter von Skyrizon lehnte eine Stellungnahme ab. Auf die Frage nach den US-Bemühungen stellte Herr Wang von Skyrizon nicht näher bezeichnete Unsicherheiten in Bezug auf den Kauf fest und sagte, er hoffe, dass es damit vorwärtsgehe. Herr Prince ist der Bruder der Bildungsministerin der Trump-Administration, Betsy DeVos. (Wall Street Journal, 5.11.19)

[44] Die Trump-Regierung hat verfügt, dass die Javelins in der westlichen Ukraine gelagert werden müssen – hunderte Meilen vom Schlachtfeld entfernt. (Foreign Policy, 3.10.19) Darauf, dass die Trump-Administration versprochenes Gerät auch liefert, kann sich die Ukraine im Übrigen nicht im Mindesten verlassen. Der Mann im Weißen Haus rühmt sich am Montag damit, Kiew im Unterschied zu Obama nicht mit Kopfkissen, sondern mit letalen Waffen zu versorgen, hält die Lieferung am Dienstag aber lieber zurück, weil das gut dazu taugt, Selenskyj zu einer kleinen Wahlkampfhilfe zu erpressen, um ihm am Mittwoch zu empfehlen, sich doch am besten mit Putin zu vertragen.

[45] Da der Krieg in der Ostukraine sich seit sechs Jahren hinzieht, kauft die Regierung in Kiew aufgemöbelte Panzermodelle aus dem kalten Krieg, um den von Russland unterstützten Rebellen Paroli bieten zu können. Die ukrainische Armee hat seit 2018 rund 150 ‚T-64 2017‘ erworben, berichtete Radio Free Europe. (112.ua, 13.1.20)

[46] Im Angebot ist noch nicht einmal die Aufwertung der Ukraine zum Vorzugspartner der NATO: Die Alliierten werden nach dem NATO-Gipfel erneut die unerschütterliche Unterstützung für Kiew bekräftigen, die Ukraine jedoch nicht zur Teilnahme am Enhanced Opportunity Programm (EOP) einladen... [Stoltenberg] sagte, die NATO verfüge über genügend Instrumente, um die Partnerschaft mit der Ukraine weiterzuentwickeln. Das NATO-Enhanced Opportunity Program (EOP) sieht ein Höchstmaß an Partnerschaft, Zusammenarbeit und Interoperabilität mit Partnern vor, die keine NATO-Mitglieder sind. Derzeit wurden fünf Länder (Australien, Finnland, Georgien, Jordanien und Schweden) zum Programm eingeladen. (ukrinform.net, 11.7.18)

[47] Näheres hierzu in GegenStandpunkt 3-19: Die amerikanische Weltmacht treibt die Entmachtung ihres russischen Rivalen voran