Das hat dem Kosovo gerade noch gefehlt:
Trump bestellt Frieden auf dem Balkan

Mittlerweile dient der ehemalige US-Botschafter in Deutschland Richard Grenell seinem Präsidenten als Sonderbotschafter, der dem Balkan Frieden bringen soll. Der Streit zwischen den seit Jahr und Tag verfeindeten Ex-Kriegsgegnern Serbien und Kosovo soll nach amerikanischem Willen endlich aufhören, und Grenell hat auch sehr klare Vorstellungen, wie: Weg mit dem historischen Ballast, Schluss mit überflüssigen Konflikten, worin auch immer die bestehen mögen. Aus seiner Sicht liegen hier „Differenzen“ vor, die man im Interesse des Friedens unter den Menschen auch einmal vergessen können muss. Er jedenfalls ist fest entschlossen, „die politischen Kämpfe“ zwischen den Kontrahenten zu „ignorieren“, und ruft beide Parteien dazu auf, es ihm gleichzutun. Das kann ja so schwer nicht sein ...

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Das hat dem Kosovo gerade noch gefehlt:
Trump bestellt Frieden auf dem Balkan

Richard Grenell ist ein Diplomat ganz nach Donald Trumps Geschmack. Als sein Mann in Berlin hat er einen der besten Jobs gemacht, den ich je gesehen habe (Trump). Er hat die europäische Führungsmacht im Auftrag seines Chefs unverblümt wissen lassen, wie ihre Politik in den Streitfällen Iran, Verteidigungsausgaben, Huawei, Nord Stream 2 zu gehen hat und wie nicht; er, der kleine Trump, hat sich – wie erboste Kritiker meinen – aufgeführt, als seien die Vereinigten Staaten hier noch Besatzungsmacht (Wolfgang Kubicki, Zeit Online, 19.3.19), und – ein Novum in den deutsch-amerikanischen Beziehungen – in weiten politischen Kreisen den Wunsch geweckt, den US-Botschafter zur Persona non grata zu erklären und auszuweisen.

Mittlerweile dient der Superstar (Trump) seinem Präsidenten in diversen anderen Funktionen, unter anderem als Sonderbotschafter, der dem Balkan Frieden bringen soll. Der Streit zwischen den seit Jahr und Tag verfeindeten Ex-Kriegsgegnern Serbien und Kosovo soll nach amerikanischem Willen endlich aufhören, und Grenell hat auch sehr klare Vorstellungen, wie: Weg mit dem historischen Ballast, Schluss mit überflüssigen Konflikten, worin auch immer die bestehen mögen. Aus seiner Sicht liegen hier Differenzen vor, die man im Interesse des Friedens unter den Menschen auch einmal vergessen können muss. Er jedenfalls ist fest entschlossen, die politischen Kämpfe zwischen den Kontrahenten zu ignorieren, und ruft beide Parteien dazu auf, es ihm gleichzutun. Das kann ja so schwer nicht sein. Man braucht nur auf das Kommando der Weltmacht zu hören und sich – vorwärtsblickend – auf Wichtigeres zu besinnen, die wirtschaftliche Zukunft z.B., und sich, statt immer wieder alte Schlachten zu schlagen, auf die wirtschaftliche Entwicklung zu konzentrieren (rferl.org, 23.1.20). Eine großartige Idee, zweifellos, und ein schöner Beweis, dass die Weltmacht lernfähig ist.

I.

Denn erstens hat niemand anders als sie selbst den kosovarischen Nationalismus mit seiner Erzfeindschaft zu Serbien erst zu einer nennenswerten politischen Größe gemacht: Sie hat in den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts den ‚Zerfall‘ Jugoslawiens in weniger mächtige Kleinpartikel im Verein mit ihren europäischen Partnern betrieben und in einem letzten Schritt das Kosovo aus dem serbischen Staatsgebiet herausgebombt. Als Rechtfertigungstitel für die gewaltsame Zerlegung Restjugoslawiens war den USA das Leiden der aufsässigen kleinen Teilrepublik gerade recht, und sie haben die kosovarische Miliz UÇK so aufgerüstet, dass aus deren anfänglichen antiserbischen Terroraktionen schließlich ein veritabler Krieg gegen Miloševićs Truppen geworden ist, den die US Air Force dann als Helfer des gerechten Aufstands entschieden hat – zur Verhinderung weiterer humanitärer Katastrophen, versteht sich.

Der Bombenkrieg hatte neben Serbien noch einen zweiten Adressaten: das seit den Zeiten der Sowjetunion Jugoslawien traditionell freundschaftlich verbundene Russland, das gegen die militärische ‚Einmischung‘ der NATO in die inneren Angelegenheiten Jugoslawiens Einspruch erhebt; es versteht das Eingreifen des Westens als weiteres Vordringen der NATO in seiner unmittelbaren Nachbarschaft; es prangert den völkerrechtlichen Skandal und die Massaker an der serbischen Zivilbevölkerung durch die UÇK an, fordert die USA und ihre NATO-Verbündeten zum sofortigen Abbruch der Kampfhandlungen auf – und fährt damit in den internationalen Gremien der freien Welt gegen die Wand, vom ersten bis zum letzten Tag des Krieges.

Die militanten Freunde des kosovarischen Volkes hingegen sind da weniger zimperlich: Auf dem nun vom serbischen Joch ‚befreiten Gebiet‘ lassen sich die USA militärisch nieder, errichten die 7000 Mann starke Militärbasis Bondsteel, gründen um sie herum einen Staat – unter UNO-Flagge und mit allem demokratischen und rechtsstaatlichen Pipapo – und besetzen die Führungspositionen der neuen Staatsgewalt mit ihren Kampfgenossen von der UÇK. [1] Knappe zehn Jahre ‚Entmilitarisierung‘ und so manches Gemetzel später erklärt sich das Kosovo für unabhängig – und damit ist ein in seinen Fundamenten ebenso antiserbisches wie pro-amerikanisches Staatsgebilde gegründet – herzlich unbefangen gegen alle humanitären, völker- bzw. menschenrechtlichen oder sonstigen Widerstände und Vorbehalte. [2]

Indem sich die Weltmacht einen absolut loyalen Vasallenstaat als strategischen Vorposten zur Kontrolle des Balkans schafft, befördert sie den kosovo-albanischen und den serbischen Nationalismus in den Rang einer zwischenstaatlichen Erzfeindschaft. Auf der anderen Seite der Grenze avanciert die revanchistische Forderung nach Heimholung des abtrünnigen Landesteils zum obersten unversöhnlichen Programmpunkt der Staatsgewalt: Serbien verweigert dem Kosovo bis heute die Anerkennung und die Aufnahme in internationale Institutionen, hebelt damit dessen Hoffnungen auf eine Assoziierung an die EU aus und versucht überhaupt mit Einmischungs- und Erpressungsversuchen den Nachbarstaat zu destabilisieren und zu schädigen; an Gedenktagen oder auch sonst zu jeder passenden Gelegenheit demonstriert es den Anspruch auf sein Amselfeld, seit Jahrhunderten heroischer Inbegriff des serbischen Nationalismus... Usw.

Die beiderseitige Unversöhnlichkeit ist kein Wunder: Die Staatsinteressen, denen die USA zur Existenz verholfen haben – territorialer Gebietsanspruch vs. Anspruch auf Anerkennung als Souverän –, sind fundamentale Interessen auf beiden Seiten, die sich ausschließend gegenüberstehen; sie sind der Grund für die nicht enden wollenden politischen Kämpfe. Die erklären die USA nun aber für anachronistisch, fordern die Parteien dazu auf, sie künftig zu unterlassen – zugunsten von Frieden, Jobs, Wachstum und Wohlstand. [3] Die schon seit längerem zirkulierende, heftig umstrittene Idee eines Gebietstausches zur Befriedung der verfeindeten Nationen – der ausschließlich von Serben bewohnte Mitrovica-Zipfel im Norden des Kosovo soll an Serbien gehen, das überwiegend von Albanern besiedelte Preševo-Tal im Süden Serbiens an das Kosovo – will der US-Friedensmann zwar nicht offiziell promoten. But, it’s an option (Grenell), und wenn sie den beiden Seiten hilft, ihren verhetzten Völkern die Preisgabe eiserner nationaler Positionen als Erfolg zu verkaufen – als Heimholung von Volksangehörigen in der Diaspora – und am Ende ein friedensnobelpreisverdächtiger Deal des Jahrhunderts mit serbischer und kosovarischer Unterschrift herauskommt: why not?

*

Bemerkenswert ist das neue amerikanische Friedenswerk zweitens auch deswegen, weil die wirtschaftliche Entwicklung, die jetzt so hoch gehängt wird, die USA bei der Etablierung und Betreuung ihrer imperialistischen Gebilde auf dem Balkan bislang weder in dem Landstrich um ihr Camp Bondsteel herum noch im Land der Serben auch nur im Geringsten interessiert hat.

Und das tut sie erkennbar auch heute nicht.

II.

Albin Kurti, der frisch ins Ministerpräsidentenamt gewählte Chef einer Partei namens „Selbstbestimmung“, der die Zukunft des Kosovo in einem mächtigen Großalbanien sieht und – weil das von den Ordnungsmächten seit Beginn der Zerlegung Jugoslawiens kategorisch verboten wurde und wird – Amerika als Kolonialmacht beschimpft, schlägt auch im Verhältnis zu Serbien andere Töne an: Er erweitert die wechselseitigen Schikanen und Repressalien im Handel mit Serbien um das Prinzip der Reziprozität, [4] mit der Serbien zu einem vernünftigen Umgang mit Pristina gezwungen werden soll: nämlich zur Anerkennung der kosovarischen Souveränität. Den Gebietstausch, den Präsident Thaçi propagiert, lehnt er kategorisch ab:

„Die Grenzen des Kosovo können nicht geändert werden. Das Kosovo war ein Bestandteil der Jugoslawischen Föderation. Ungefähr 110 Staaten haben uns in diesen Grenzen anerkannt, einschließlich der USA und Deutschlands, und wir haben kein Territorium, das wir Serbien geben könnten.“ (DW, 18.12.19)

So viel Eigensinn will Amerika der Regierung im Kosovo nicht genehmigen:

„Richard Grenell ... sagte, dass das Kosovo seine 100-%-Zölle auf serbische Waren und Dienstleistungen umgehend abschaffen müsse.“ (rferl.org, 23.1.20) Denn: „Handelshemmnisse und Strafzölle, so Grenell, seien mit einer modernen Wirtschaftspolitik unvereinbar.“ (FAZ, 8.6.20) (Es darf gelacht werden.)

Der Rebell in Pristina soll das Programm, das ihm seinen Wahlerfolg verschafft hat, gleich wieder einpacken und seine nationalen Ambitionen hinter die Bedürfnisse des kosovarischen Volks zurückstellen, die niemand besser kennt als Trump und sein Superstar: Höchste Priorität im Armenhaus um Bondsteel herum muss die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Belebung der Wirtschaft haben, dahinter würden dann die politischen ‚Differenzen‘ quasi automatisch zurücktreten – eine geniale Idee, die nur darunter leidet, dass es besagte Wirtschaft gar nicht gibt. [5] Aber was nicht ist, kann ja noch werden, wenn man die beiden Seiten nur etwas nachdrücklich pusht:

„‚Wir werden die beiden Regierungen und die Führer im Kosovo und in Serbien pushen und sagen: Schaut auf die Leute und fangt an, Jobs zu schaffen‘, sagte Grenell.“ (rferl.org, 23.1.20)

In Bezug auf Serbien heißt das:

„Belgrad hat die Antianerkennungskampagne gegen seine ehemalige Provinz, die 2008 ihre Unabhängigkeit erklärt hat, zurückzufahren.“ (Ebd.)

Dessen Führer sollen gefälligst einsehen, dass man den Verlust eines Landesteils und die nationale Ehre nicht so hoch hängen sollte, schon gleich nicht, wenn die Anerkennung dieses Verlusts großartige Perspektiven eröffnet, nämlich die auf ein grenzüberschreitendes, aufblühendes Geschäftsleben zwischen zwei Armenhäusern.

„Gefragt, ob es fair wäre, die Forderung nach Aufhebung der Importzölle mit der Forderung nach Beendigung der Kampagne gegen die Anerkennung Kosovos zu verknüpfen, sagte Grenell, es sei nicht an ihm, über Fairness zu entscheiden. Er fügte hinzu, dass er sich auf eine hellere Zukunft für die Völker in Serbien und im Kosovo konzentriere.“ (euractiv.com, 24.1.20)

Schöner kann man die Gleichgültigkeit der Weltmacht gegenüber den Interessen der Republiken, denen sie ihr friedensstiftendes Tauschgeschäft aufnötigen will, kaum ausdrücken. Die hellere Zukunft der zwei Balkanstaaten steht und fällt mit dem Deal, den der Trump-Mann im Angebot hat, und ob die Beteiligten den nun als fair ansehen oder nicht, darauf ist geschissen – jedenfalls ist er einer, dessen Ablehnung sich vor allem das Kosovo sehr gründlich überlegen sollte:

„‚Wenn beide Seiten beschließen, dass sie nicht mehr verhandeln wollen, dann gehe ich und mache etwas anderes‘, sagte der US-Diplomat.“ (Ebd.)
„Seit über zwei Jahrzehnten helfen US-Truppen bei der Friedenssicherung zwischen dem Kosovo und Serbien. Nun muss, eingedenk dieses historischen Prozesses, das Kosovo seinen Teil dazu beitragen und alle Serbien auferlegten Zölle abschaffen. Wenn das Kosovo sich nicht gänzlich in diesen Dienst des Friedens stellt, sollten die USA ihre Anwesenheit überdenken.“ (Grenell, balkaninsight.com, 10.3.20) – und Donald Trump Jr. ergänzt: „Es wird Zeit, unsere Truppen nach Hause zu holen.“ (euobserver.com, 12.3.20)

Weil die USA in diesem serbisch-kosovarischen Konflikt keinen Sinn und Zweck (mehr) entdecken können, stellen sie sich ignorant gegenüber den staatlichen Interessen und Kalkülen, die da kollidieren. Ihren eigenen Beitrag zur Etablierung dieser soliden Staatenfeindschaft deklarieren sie als zwanzigjährige Friedenssicherung, und im Hochgefühl dieser schönen Leistung stellen sie die Beteiligten vor ihren Beschluss, was dieser Frieden heutzutage verlangt: ihre Feindschaft jetzt endlich über Bord zu werfen. Und wo für die USA der Konflikt keinen Grund mehr hat, sehen sie auch nicht ein, warum sie sich weiter für die eine Partei starkmachen sollten, und drohen mit Entzug ihrer Zuwendung.

„Am Freitag verkündete der staatliche US-Entwicklungshilfefonds ‚Millennium Challenge Corporation‘ (MCC), dass er sein Programm im Kosovo so lange einfriere, bis eine Lösung im Zollstreit gefunden sei. Für Pristina ist dies finanziell ein harter Schlag, vor allem da die Provinz nun ebenfalls mit der Ausbreitung des Coronavirus Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie ergreifen muss, was erhebliche Kosten verursachen wird.“ (Junge Welt, 18.3.20)

Da die kosovarische Souveränität ohne die Unterstützung der USA – ohne ihre Truppen und ohne ihr Geld – nichts ist, da die ganze prekäre Existenz des Kosovo an der Zuwendung der Weltmacht hängt, [6] genügt allein schon die Drohung, ihm diese zu entziehen, um in der politischen Klasse des Kosovo für das nötige Maß an Vernunft zu sorgen. Weil Kurti mit seinem kosovarischen Selbstbestimmungsprogramm die amerikanische Friedensmission stört, hat er seine Legitimität als Souverän des kosovarischen Volkes verspielt:

„Niemand kann von den USA erwarten, eine Politik zu unterstützen, die dem Volk schadet.“ (Grenell, Gazeta Express, 27.3.20)

Für die nötige Klarstellung können sich die USA zwei erfreuliche Umstände zunutze machen: Erstens verfügen sie über haufenweise Kompromat über die alten UÇK-Kämpfer – wie z.B. Kurtis politischen Widersacher, den Kosovo-Präsidenten Thaçi –, weswegen die zu Dienstbarkeit verpflichtet sind. Und zweitens kommt die Coronavirus-Pandemie wie gerufen, wird nämlich von Thaçi zum Anlass genommen, gegen den Willen Kurtis den Ausnahmezustand über das Land zu verhängen und das ohnehin in amerikatreue und großalbanische Oberpatrioten gespaltene Parlament zum Sturz der Regierung Kurti anzustiften:

„Formal bot ein Streit um den Umgang mit dem Coronavirus den Anlass für das Misstrauensvotum. Staatspräsident Hashim Thaçi tat sich dabei als treibende Kraft hervor. Er hatte Bürger und Polizei des Landes öffentlich dazu aufgerufen, die von Kurti verordneten Maßnahmen zum Umgang mit der Krise zu ignorieren.“ (FAZ, 26.3.20)

Und siehe da, Kurtis Posten ist nach nur sieben Wochen mit einem geeigneteren Repräsentanten kosovarischer Selbstbestimmung besetzt – Hoti beschimpfte die Regierung Kurti, sie hätte ‚die USA mit den schlimmsten Beleidigungen erniedrigt, die es jemals gegeben hat‘. (exit.al, 3.6.20) – und der Inhalt der Souveränität des stolzen Kosovo durch die Weltmacht auf den aktuellen Stand gebracht.

III.

Warum die USA darauf bestehen, dass jetzt endlich Frieden zwischen den Kontrahenten einkehrt, wird gar nicht groß ausgebreitet, aber auch nicht verschwiegen. Der Weltmacht geht es – wie in dem kürzlich gelösten epischen Konflikt der Mazedonier mit Griechenland und bei dem vorhergehenden, gegen einen unwilligen Volkswillen durchgepeitschten NATO-Beitrittsbeschluss in Montenegro – um die vollständige strategische Inbesitznahme des Westbalkans. Das ‚Programm‘ lautet: die ex-jugoslawischen Republiken komplett von russischem (und chinesischem) Einfluss zu befreien – vor allem Serbien, die Macht auf dem Balkan mit den immer noch engsten Verbindungen zu Russland –, sich die unsicheren Kantonisten durch Einbau ins amerikanische Kriegsbündnis politisch und militärisch zuverlässig zuzuordnen und so auch auf der Balkanhalbinsel Lücken bei der Einkreisung des großen Rivalen in Moskau zu schließen. [7]

„Die Integration des Westbalkans in den Westen muss vollendet werden. Für uns heißt das: Mitgliedschaft in der Europäischen Union für alle und Mitgliedschaft in der NATO für die, die beitreten wollen... Diese Zukunftsvision ist zentraler Bestandteil der strategischen Interessen der USA – und, das würden wir behaupten, ebenso Bestandteil der strategischen Interessen Europas – weil das die transatlantische Partnerschaft darin stärkt, die immensen geopolitischen Herausforderungen anzugehen, denen wir alle gegenüberstehen.“ (Sonderbotschafter Matthew Palmer, Rede in Pristina, 1.11.19, xk.usembassy.gov)[8]

IV. Und die EU?

Die muss erkennen, dass die USA mit der angestrebten vollendeten Integration des Westbalkans in den Westen alles andere als Politik im und für ein Westbündnis, sondern einzig ihre eigene Politik machen, unter Nichtbeachtung der Interessenlage in Berlin, Paris oder Brüssel; neben und rücksichtslos gegenüber den von der EU geleiteten Verhandlungen zwischen dem Kosovo und Serbien, von Grenell vorgeführt als praktische Blamage dieser europäischen Bemühungen, die ja doch ewig nicht die nötige Ordnung auf dem Balkan herstellen... Amerika unter Trump kündigt die frühere Arbeitsteilung bei der Bewirtschaftung des befreiten Kosovo; Grenell tut sein Bestes, um mit seiner Sonderdiplomatie die EU-moderierten Verhandlungen zu torpedieren, und lässt auch nicht im Unklaren, dass sich die amerikanische Intervention im Besonderen gegen die deutsche Führungsrolle richtet.

„Grenells Einmischung in die Kosovo-Serbien-Politik macht das Interesse der USA deutlich, Deutschland als europäischen Hauptaufpasser aus der Balkan-Politik auszumischen.“ (aljazeera.com, 27.11.19)

Mit ihrem energisch betriebenen ‚Deal des Jahrhunderts‘ setzen sich die USA ganz nebenbei über das Prinzip hinweg, mit dem die EU ihre Nachkriegsordnung dort unten politisch bewirtschaftet, die Unverletzlichkeit der Grenzen: Jeder neu geschaffene Souverän hat die ihm zudiktierten Grundlagen seiner Souveränität als unumstößliche Rechtsordnung zu akzeptieren, auch wenn der eine den Verlust seines geschichtsträchtigen Amselfeldes, der andere den Verzicht auf den erträumten Zusammenschluss zu einem mächtigen Großalbanien und wieder ein anderer ein unmögliches gemeinsames staatliches Zusammenleben mit dem Kriegsgegner von gestern zu verdauen hat. Eine Revision des Kriegsergebnisses wird nicht gestattet. [9]

Die EU, Deutschland allen voran, ringt um den Erhalt dieses Herrschaftsprinzips und die Aufrechterhaltung ihres Status als zuständige Macht für den Westbalkan überhaupt:

„Die EU ist der einzige international beauftragte Vermittler im Dialog zwischen Belgrad und Pristina – niemand anders kümmert sich darum.“ (euobserver.com, 12.3.20)

Sie kommt nicht umhin, zur Kenntnis zu nehmen, dass ihr Einfluss auf ihrem Westbalkan durch den US-Vorstoß Schaden nimmt; immerhin machen sich die USA die im Kosovo und Serbien weit verbreitete Enttäuschung über die unter Federführung der EU ergebnislos verlaufenden Verhandlungen und die Unabsehbarkeit der versprochenen Aufnahme in die EU zunutze und ermuntern die beiden Seiten zu leicht aufsässigem Verhalten:

„Thaçi sagte dem Sender Free Europe, er habe kein Vertrauen in die Fähigkeit der EU, ein endgültiges Übereinkommen zu ermöglichen. ‚Wir haben nun ein Angebot aus Washington und müssen vorankommen.‘“ (balkaneu.com, 3.3.20)
„Vučić erklärte vor zwei Wochen, dass Serbien seine EU-Mitgliedschaft opfern würde, wenn es für die Anerkennung des Kosovo im Gegenzug nichts anderes erhalten würde.“ (exit.al, 2.7.20)

Aber im Unterschied zu anderen Weltgegenden, wo die US-Administration den Europäern ebenso unbefangen an den Karren fährt, die dort aber der Trump-Politik wenig mehr als Deklaratorisches entgegensetzen können, verfügt die EU auf dem Balkan über Mittel: Die von ihr seit Jahren betreute Armut und seit 2020 auch noch die Pandemie setzen den halb oder gänzlich kaputten Staaten so zu, dass ein paar Hilfsgelder, eine in Aussicht gestellte Visa-Erleichterung für balkanische Gastarbeiter und ein paar Kartons Schutzmasken im Prinzip schon gute Dienste tun. Außerdem besinnt sich die EU darauf, dass sie auch noch über ein Sondertribunal für Kriegsverbrechen im Jugoslawienkrieg mit Dokumenten über Staatspräsident Thaçi verfügt, der als alter UÇK-Führer haufenweise Kriegsverbrechen am Stecken hat, und lässt ihn, justament als er sich auf den Weg nach Washington macht, durch einen Beschluss dieses Sondertribunals per Last-Minute-Call aus dem Flugzeug beordern.

Wie man sieht, haben Grenells Innovationen in der Diplomatie 2020 auch den Innovationsgeist der EU in Schwung gebracht.

[1] Bevor die USA sich entschlossen hatten, die UÇK als die ‚Guten‘ aufzurüsten, sich mit ihr zu verbünden und später den ganzen Staatsapparat samt Politikerkaste aus ihr zu bestücken, sie also als ihren Stellvertreter auf dem Balkan vor, während und nach dem Krieg – bis zum heutigen Tag – zu protegieren, galten die UÇK-Kämpfer in den USA als Terroristen. Eine der vielen hübschen Volten der amerikanischen Beurteilung von Freund und Feind rund um den Globus je nach deren Nützlichkeit.

[2] Siehe auch: Das Kosovo: Noch eine internationale Friedensstiftung – noch ein Krieg auf dem Balkan in der Ausgabe 2-98, Die USA: Führungsrolle bewiesen – alle Fronten neu eröffnet in der Ausgabe 3-99 und Das Kosovo erklärt seine Unabhängigkeit in der Ausgabe 2-08 dieser Zeitschrift.

[3] Wir schaffen Jobs, wir schaffen Jobs für die jungen Leute, damit die Menschen, die das Kosovo und Serbien verlassen, dort bleiben und die Region pulsiert. Wir glauben daran, dass durch wirtschaftliche Entwicklung und die Schaffung von Arbeitsplätzen politische Probleme gelöst werden, dass das Hoffnung stiftet und Anreize schafft – und die Politik darüber in den Hintergrund tritt. (Grenell im Interview, Gazeta Express, 27.3.20)

[4] Zwei Jahrzehnte spielte Albin Kurti direkt oder indirekt eine Rolle in der kosovarischen Politik – als Studentenführer, politischer Häftling, Aktivist, Verfechter einer Vereinigung mit Albanien und zuletzt als bisweilen aggressiver, auch vor dem Einsatz von Tränengas im Parlament nicht zurückschreckender Oppositionsführer... Der neue kosovarische Ministerpräsident will die Gangart gegen Serbien verschärfen. Nicht nur, dass Kurti gleich in seiner Antrittsrede die Einführung einer dreimonatigen Wehrpflicht für alle Kosovaren in Aussicht stellte... Der zentrale Begriff seines regionalpolitischen Ansatzes lautet: Reziprozität. Kurti hat nämlich angekündigt, dass sich das Kosovo gegenüber Serbien künftig genau so verhalten werde wie dieses gegenüber seiner abtrünnig gewordenen ehemaligen Provinz, deren 2008 ausgerufene Eigenstaatlichkeit Belgrad bis heute nicht anerkennt. ... das Konzept der Reziprozität ... sähe dann ungefähr so aus: Das Kosovo hebt die Zölle auf und behandelt Einfuhren aus Serbien fortan so, wie Serbien mit Importen aus dem Kosovo verfährt – indem es sie komplett unterbindet. Denn Waren ‚made in Kosovo‘ dürfen nach Serbien grundsätzlich nicht eingeführt werden, weil es einen kosovarischen Staat laut offizieller serbischer Lesart schließlich nicht gibt. Das soll künftig dann eben auch umgekehrt gelten. Ein anderes Beispiel: Bisher werden in Serbien zugelassene Fahrzeuge im Kosovo akzeptiert, nicht aber umgekehrt. Wer mit einem kosovarischen Nummernschild nach Serbien fährt, muss an der Grenze (die nach Belgrader Interpretation nur das Kosovo vom Rest des Landes trennt, dessen Provinz es ist) eine serbische Übergangsregistrierung erwerben, um weiterreisen zu können. Das soll künftig auch in umgekehrter Richtung gelten. Es gibt viele weitere Beispiele für diese Art von Reziprozität. Einwände, dass es sich dabei um harsche Maßnahmen handele, werden von den Befürwortern dieser Politik in Pristina zurückgewiesen. Harsch sei nur die serbische Politik gegenüber dem Kosovo, auf die man künftig im gleichen Ton antworten werde. Komme Serbien endlich zu einem vernünftigen Umgang mit dem Kosovo, werde dadurch auch die Politik der Reziprozität automatisch harmlos... (FAZ, 27.2.20)

[5] Innerhalb Jugoslawiens war das Kosovo die ärmste Region... Das Bruttosozialprodukt pro Kopf sank so von 44 % des jugoslawischen Durchschnitts im Jahr 1952 auf 27 % im Jahr 1988... In den frühen 1990er Jahren wurde die wirtschaftliche Produktivität des Kosovo noch einmal halbiert... Durch den serbisch-albanischen Konflikt kam es 1998/99 noch einmal zu einem Rückgang von 20 % – auf einem ohnehin schon sehr niedrigen Niveau... Die Wirtschaft stützt sich zum einen auf kleinbäuerliche Familienbetriebe sowie Privatunternehmen im Handels- und Bausektor, die meist nach dem Krieg gegründet wurden und teilweise aus Fonds der EU gefördert werden, jedoch oft unterkapitalisiert sind. Die Finanztransfers aus dem Ausland gingen seit 2003 erheblich zurück... Der Außenhandel des Kosovo ist seit 1990 permanent defizitär. (Wikipedia, s.v. Kosovo)

 Das Land lebt fast ausschließlich von internationalen Geldern und Transferzahlungen von kosovarischen Arbeitsmigranten; dafür war es in der Finanzkrise klar im Vorteil:

Das ökonomische Wachstum nach 1999 ist hauptsächlich auf die internationalen Hilfeleistungen ... sowie auf Geldzahlungen von den im Ausland lebenden Kosovaren zurückzuführen, die 2018 auf 800 Mio. Euro geschätzt wurden. Weil die Integration der kosovarischen Wirtschaft in die globale Ökonomie gering ist, war das Land von Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise relativ gering betroffen... Die Wirtschaftsstruktur Kosovos ist durch die Existenz von Kleinstunternehmen, welche ca. 98 % aller Unternehmen im Kosovo ausmachen, geprägt. (liportal.de)

[6] An dieser grenzenlosen Zuneigung der USA führt demnach auch kein Weg vorbei: Grenell, in einem Interview wiederholt gefragt, ob die USA denn wirklich ihr Camp Bondsteel dichtmachen, wenn Kurti nicht spurt – Viele Menschen waren geschockt, als die USA ihre Entwicklungshilfe ausgesetzt und einen Truppenabzug in Erwägung gezogen haben. Wie kurz stehen wir davor, die Unterstützung der USA grundlegend zu verlieren, Herr Grenell? –, gibt ebenso stereotyp zu verstehen, dass diese Option gar nicht in seiner Vorstellungswelt liegt – Zölle weg, und zwar dalli, und alle haben sich wieder lieb, die USA haben eben ihre Prinzipien: Das amerikanische Volk liebt das kosovarische Volk, wir stehen an seiner Seite. Aber wenn es um Politik geht, haben wir unsere Prinzipien, wir, die USA, haben Regeln, was unsere Unterstützung angeht. Wir wollen nicht in eine Rolle geraten, in der unsere Unterstützung unabhängig davon, was die andere Seite tut, garantiert ist... Aber wir lieben das kosovarische Volk, und wir wollen, dass die Zölle abgeschafft werden, damit unsere bilaterale Zusammenarbeit weitergehen kann... Wir stehen zu euch, und wir sind da. Aber nochmal ... wenn wir glauben, dass Strafzölle eurer Wirtschaft schaden, dann könnt ihr nicht von uns erwarten, dass wir weiter Projekte fördern, von denen wir überzeugt sind, dass sie nicht effizient sind – ganz einfach, weil Zölle die Wirtschaft strangulieren. Wir wollen unser Geld nicht verschwenden... Wir haben also unsere Prinzipien, und die sind eindeutig: Die Tarife müssen weg, dann können wir Partner und zudem sehr kreativ sein. (Gazeta Express, 27.3.20)

[7] Siehe auch: Nicht erst unter Trump, unter Trump aber in neuer Entschiedenheit: Die amerikanische Weltmacht treibt die Entmachtung ihres russischen Rivalen voran in der Ausgabe 3-19 dieser Zeitschrift.

[8] Und weil der Weg für die balkanischen Armenhäuser in die EU bekanntlich steinig ist, führt er vorerst schnurstracks in die NATO:

Die US-Strategie für den Westbalkan konzentriert sich nach wie vor auf die Unterstützung der Westbalkan-Länder dabei, ihr Ziel zu erreichen, den europäischen und Euro-Atlantischen Institutionen beizutreten, was für alle diese Länder letztlich bedeutet, der Europäischen Union beizutreten. Für alle außer Serbien bedeutet das ebenso, der NATO beizutreten, wobei die USA die engstmögliche Partnerschaft zwischen der NATO und Serbien unterstützen... Der EU-Assoziierungsprozess ist um einiges ambitionierter als die Erfüllung der NATO-Standards für einen Beitritt. Und das zu Recht. Er braucht mehr Zeit, er berührt mehr gesellschaftliche sowie wirtschaftliche Elemente und Aspekte. (europeanwesternbalkans.com, 9.12.18)

[9] Zwar ist schon auch in der EU selbst, genauer gesagt in der EU-Kommission und bei Frau Mogherini, der Gedanke in Umlauf gekommen, ob nicht ein Gebietsaustausch zwischen Serbien und dem Kosovo als Ultima Ratio ihrer missglückten Bemühungen taugen würde, den unendlichen Konflikt aus der Welt zu schaffen; sie hat diese Lösung dann aber nach heftigem Widerspruch unter anderem aus Berlin wieder aus dem Verkehr gezogen: Einen Präzedenzfall für neue Grenzziehungen nach ethnischen Kriterien, der dem Separatismus der Serben und Kroaten in Bosnien-Herzegowina, dem der Albaner in Nordmazedonien usw. neuen Auftrieb und einen Berufungstitel gibt, kann Deutschland wirklich nicht brauchen.