Das Kosovo erklärt seine Unabhängigkeit
Ein US-Stützpunkt mit Volk wird Staat

Mit dem Segen Amerikas, das mit seiner Ankündigung, es werde das Kosovo notfalls einseitig anerkennen, schon länger die europäische Protektoratsverwaltung bedrängt, erklärt die kosovarische Regierung am 17.2.2008 Kosovo zum unabhängigen Staat. Dies geschieht erstens gegen die massiven Einsprüche Serbiens, das seine territoriale Integrität verletzt sieht; zweitens gegen den erklärten Willen Russlands, das in der Kosovo-Frage auf einer völkerrechtlich einwandfreien Regelung besteht, welche die legitimen Interessen Serbiens ebenso berücksichtigt wie die Russlands; sowie drittens gegen zahlreiche Bedenken unterschiedlichster Art und verschiedenster Herkunft: Mit der Aufwertung der abtrünnigen serbischen Provinz zum Staat drohe der Balkan erneut zum Pulverfass zu werden; hier werde mit unabsehbaren Folgen ein Präzedenzfall geschaffen, der alle möglichen separatistischen Bewegungen ermutigen könne; das Völkerrecht werde weiter ausgehöhlt und damit der Weltfrieden gefährdet usw.

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Das Kosovo erklärt seine Unabhängigkeit
Ein US-Stützpunkt mit Volk wird Staat

Mit dem Segen Amerikas, das mit seiner Ankündigung, es werde das Kosovo notfalls einseitig anerkennen, schon länger die europäische Protektoratsverwaltung bedrängt, erklärt die kosovarische Regierung am 17.2.2008 Kosovo zum unabhängigen Staat. Dies geschieht erstens gegen die massiven Einsprüche Serbiens, das seine territoriale Integrität verletzt sieht; zweitens gegen den erklärten Willen Russlands, das in der Kosovo-Frage auf einer völkerrechtlich einwandfreien Regelung besteht, welche die legitimen Interessen Serbiens ebenso berücksichtigt wie die Russlands; sowie drittens gegen zahlreiche Bedenken unterschiedlichster Art und verschiedenster Herkunft: Mit der Aufwertung der abtrünnigen serbischen Provinz zum Staat drohe der Balkan erneut zum Pulverfass zu werden; hier werde mit unabsehbaren Folgen ein Präzedenzfall geschaffen, der alle möglichen separatistischen Bewegungen ermutigen könne; das Völkerrecht werde weiter ausgehöhlt und damit der Weltfrieden gefährdet usw.

Für die Kosovo-Albaner aber gibt es erst einmal einen Tag zum Feiern, ein Volksfest im eigentlichsten Sinne des Wortes, mit bunten Fahnen und leichtem Geruch von Pogromstimmung. Die Welt wird mit einer Staatsgründung neuen Typs beglückt: eine Missgeburt wird ins Leben gerufen. Und dieser trostlose, von Krieg und Bürgerkrieg verwüstete Landstrich, der nun seine eigene Herrschaft bekommt, steht allen Ernstes im Brennpunkt der Weltpolitik. Kurz: Die Weltordnung kommt auf dem Balkan voran.

I. Vom Kosovokrieg zur neuen Friedensordnung auf dem Balkan

1. Die Erträge des Krieges aus amerikanischer Sicht

Mit einem 78-tägigen Flächenbombardement gegen Serbien im Jahr 1999 haben die USA mit ihren NATO-Partnern erstens dem Kriegsgegner eine vernichtende Niederlage beigebracht und seine Kapitulation erzwungen. Die Hoheit der Republik Serbien über das Kosovo ist seitdem gebrochen, das Land territorial massiv dezimiert; es ist von der Zentrale der ehemaligen südosteuropäischen Regionalmacht Jugoslawien geschrumpft auf eine Art Kleinstaat im Inneren des Balkan, umgeben von lauter Serbien abgewandten, unabhängigen Staaten, die ihren Lebenszweck in der NATO und in der EU sehen.

Mit ihrem robusten Auftreten haben die Vereinigten Staaten zweitens Russland als Schutzmacht Serbiens zum ohnmächtigen Zuschauer degradiert und es als Einflussmacht in Südosteuropa ausgemischt.

Drittens haben sich die USA mit ihrem Sieg auf dem Balkan festgesetzt und sind dort seitdem militärisch massiv präsent. Sie haben im Kosovo ihren größten neuen Militärstützpunkt nach dem 2. Weltkrieg aufgebaut. Dieser festigt ihre Kontrolle über das östliche Mittelmeer und weitet sie aus in Richtung Schwarzmeerregion bis hin zum Kaukasus, brauchbar auch als Nachschubbasis für Militäreinsätze im Mittleren Osten; er tut daneben aber auch gute Dienste als Internierungslager und Folterzentrum für Amerikas Feinde. Ein zweiter Stützpunkt ist im Bau. Der dankbare Nationalismus der vom serbischen Zentralstaat befreiten Kosovo-Albaner sorgt für ein fanatisch proamerikanisches Umfeld um Camp Bondsteel herum.[1]

Mit dem entschlossenen Einsatz ihrer überlegenen Feuerkraft hat die Führungsnation der NATO viertens schließlich ihren europäischen Bündnispartnern den Klassenunterschied demonstriert und vor Augen geführt, dass sie ihre Aufsichts- und Ordnungskompetenzen auf dem Balkan nur mit den USA und unter deren Führung entfalten können.

Aus amerikanischer Sicht war damit auch klar, was nach dem erfolgreich geführten Waffengang weiter ansteht: Es gilt, das erreichte Kriegsergebnis in eine stabile und gefestigte Nachkriegsordnung auf dem Balkan zu überführen; d.h. in einen von den Parteien vor Ort, aber auch von allen anteilnehmenden auswärtigen Mächten anerkannten Rechtszustand. Die Kriegskoalition, die sich ihr Recht auf ihren Krieg unter Berufung darauf, dass es eine humanitäre Katastrophe zu verhindern gelte, am Weltsicherheitsrat und am Völkerrecht vorbei genehmigt hatte, bringt daher noch im selben Jahr eine UN-Resolution auf den Weg, mit der die Völkerfamilie, also auch Serbien und Russland, wieder ‚ins Boot geholt‘ wird – die ganze Welt soll zustimmen und das NATO-Kriegsergebnis formvollendet ins Recht setzen.

Beschlossen wird in dieser Resolution, dass das Kosovo vorübergehend UN-Protektorat wird. Die Übergangsverwaltung der Vereinten Nationen im Kosovo (UNMIK) erhält den Auftrag, das Land erst einmal zu befrieden; sie soll für die nötige Abschreckung sorgen, Kampfhandlungen unterbinden, den Abzug aller serbischer Truppen überwachen und die Kosovo-Befreiungsarmee und andere bewaffnete kosovoalbanische Gruppen demilitarisieren. Darüber hinaus wird der Titel, unter dem sich die NATO-Mächte das Recht zum Kriegführen erteilt haben – Verhinderung einer humanitären Katastrophe – in den Auftrag verlängert, ein multiethnisches Zusammenleben im Kosovo zu garantieren. Die Mission soll dafür sorgen, dass so etwas wie eine Zivilgesellschaft entsteht; sie soll sich um die Bedingungen für ein friedliches und normales Leben für alle Einwohner des Kosovo kümmern, also das Zusammenleben der verfeindeten Volksgruppen herbeiorganisieren. Schließlich wird sie damit beauftragt, selbsttragende demokratische Institutionen zu schaffen, mit denen das kosovarische Volk letztendlich dann eine tatsächliche Selbstverwaltung innerhalb der Bundesrepublik Jugoslawien erhalten soll. Es soll in eine substantielle Autonomie entlassen werden – unter Anerkennung der Souveränität und Integrität der Bundesrepublik Jugoslawien, wie es im Resolutionstext heißt. Wörtlich genommen eine Sammlung ziemlich unvereinbarer Ziele. Die nicht zu übersehenden inneren Widersprüche der Resolution verdanken sich den Konzessionen der Kriegskoalition an die Rechtsstandpunkte des Kriegsgegners und der konkurrierenden Aufsichtsmächte, die so zur Unterschrift unter das Kriegsergebnis bewogen werden sollen.

Und um da keine Unklarheit aufkommen zu lassen, geben die USA auch gleich wieder unmissverständlich zu Protokoll, wie diese Resolution wirklich zu nehmen ist – und was aus dem Hinweis auf die Integrität Jugoslawiens, als dessen Rechtsnachfolger Serbien agiert, nicht gefolgert werden darf: Mit den sogenannten „drei Neins“ – keine Rückkehr zum Vorkriegsstatus, keine Vereinigung des Kosovo mit einem dritten Staat, keine Teilung des Kosovo – geben sie der UN-Mission ihre Richtlinien vor und stellen von Anfang an klar, dass etwas anderes sowieso nicht in Frage kommt, weil sie nichts anderes zulassen werden: Der Machtverlust für Serbien muss irreversibel werden, eine Rückgewinnung serbischer Hoheit über die Provinz oder auch nur – durch eine Teilung – über deren Nordteil, kommt nicht in Frage; der für die Zerstörung Serbiens instrumentalisierte, zur Abspaltung ermächtigte Nationalismus der Kosovoalbaner soll mit einer eigenen Staatlichkeit belohnt werden; weitergehende nationale Ambitionen sollen aber gebremst und ein Anschluss an Albanien verhindert werden, damit die neu zu schaffende Balkanordnung nicht gleich wieder aus den Fugen gerät. Erst wenn alle aus der Zerstörung des kommunistischen Jugoslawien hervorgegangenen neuen Staatswesen zuverlässig in die euroatlantischen Strukturen EU und NATO eingeordnet sind und Russland seine letzte Einflusszone in Europa unwiderruflich entzogen ist, ist aus amerikanischer Sicht die Friedensordnung in Europa vollendet. [2]

Für die USA ist die Kosovo-Frage also ersichtlich keine offene Frage in dem Sinn. Sie sind der Auffassung, dass sie mit ihrem Krieg diese Frage entschieden haben und der Rest im Prinzip reine Formsache ist. Die können die europäischen Partner erledigen; sie sollen diesen Landstrich zügig in ihrem Europa unterbringen und mit ihrer EU auf diese Weise etwas für die Stabilität dieses US-Vorpostens tun. In diesem Sinne ergeht an die Europäer der Auftrag, die Führung der UN-Mission im Kosovo zu übernehmen.

2. Die EU betreibt ihre Politik der Heranführung des südlichen Balkan an das Europa der Integration (Fischer) – die USA sehen ihr Kriegsergebnis verwässert

Als Nutznießer der US-Gewalt und ausgestattet mit einem UNO-Mandat übernehmen die europäischen Mächte die Aufgaben der Übergangsverwaltung im Kosovo und damit die Aufsicht über das Land und das, was aus ihm wird. In der Hauptsache, nämlich was die „Drei Neins“ anbelangt, sehen die Europäer ihren Auftrag im Prinzip genauso wie die USA. Was die Durchführung betrifft haben sie freilich ihre eigenen, euroimperialistischen Vorstellungen. Aus ihrer Sicht geht es um ein weiteres Kapitel europäischer Integration, das nach dem bewährten Drehbuch der EU-Osterweiterung über die Bühne gebracht werden soll: Man verlässt sich darauf, dass den durch Systemwechsel und Krieg beschädigten Staatswesen an der südosteuropäischen Peripherie gar keine andere Staatsperspektive offensteht, als sich dem mächtigen Wirtschaftsblock Europa anzuschließen. Diese Sorte von Anschlusswilligkeit wird ausgenutzt, um ihnen die Bedingungen zu diktieren, an denen sie sich erst einmal abarbeiten müssen, bevor ihnen der Beitritt winkt, oder auch erst einmal nur Beitrittsverhandlungen in Aussicht gestellt werden. Man will die Kosovo-Frage gewissermaßen mit einer Konsens-Politik bewältigen, so dass der Streit von Serben und Albanern das höhere Ziel der EU nicht gefährdet, die ganze Region – inklusive der Republik Serbien! – in einem halbwegs brauchbaren und befriedeten Zustand in Besitz zu nehmen. Die betroffenen Anschlussländer sollen aus eigenem Interesse das Aufsichtsrecht der EU und ihre Herrschaftsregeln anerkennen und sich EU-gerecht zurichten, so dass dem Rest der Staaten – vor allem Russland – nichts anderes übrigbleibt, als der so friedlich herbeiorganisierten europäischen Balkanordnung zuzustimmen. Erst dann werden im allseitigen Konsens auch völkerrechtlich Tatsachen geschaffen und das Kosovo erhält seine Souveränität – das ist der Sinn des Prinzips Standards vor Status.

Dementsprechend macht man sich ans Werk und macht den Parteien vor Ort erst einmal die Beilegung ihrer inneren Konflikte zur Auflage – als Grundvoraussetzung für jeden weiteren Integrationsschritt. Sie sollen ihre Probleme nicht nach Europa hineintragen, müssen deswegen von ihrem völkischen Kleinkrieg ab- und sich auf ein multiethnisches Zusammenleben einlassen. Sie haben zu begreifen, dass ihre einzige Chance darin liegt, auf die Durchsetzung der ihnen heiligsten nationalen Anliegen – den Verbleib bei Serbien bzw. ein unabhängiges Kosovo oder gleich die Zugehörigkeit zu Albanien – zu verzichten und sich auf die von der Protektoratsverwaltung vorgesehene Staatskonstruktion einzulassen.

Zweitens pflanzt die EU mit ihrer UNMIK anspruchsvolle Bedingungen in Bezug auf die institutionelle Stabilität und eine demokratische und rechtsstaatliche Ordnung mitten in ein Land, in dem sie es mit ihren Truppen gerade einmal schafft, feindselige Auseinandersetzungen größeren Maßstabs zu unterbinden. Man verlangt Serben und Kosovoalbanern bzw. deren zur Staatenbildung entschlossenen Vertretern ab, dass sie die politische Stabilität hinkriegen und vorweisen können, die die EU gerne an ihrer Südostflanke sehen will, und verpflichtet sie auf eine Herrschaft, die Menschenrechte respektiert und Minderheiten schützt.

Bemerkenswert ignorant gegen die Verhältnisse vor Ort verlangt man darüber hinaus drittens auch noch die Durchführung marktwirtschaftlicher Reformen und die Bereitschaft zur regionalen Kooperation. Dass die Provinz nach der Zerstörung der jugoslawischen Arbeitsteilung durch Sezession und Kriege ziemlich ruiniert ist und von einer Wirtschaft in dem Sinn nicht die Rede sein kann, hindert die EU-Aufseher nicht daran, auch dort stur im Prinzip genau das zu fordern, was nach ihrer Auffassung jedes EU-Mitglied in spe unbedingt braucht: Eine funktionsfähige Marktwirtschaft und die Fähigkeit, dem Wettbewerbsdruck des EU-Binnenmarktes standzuhalten. Die Kommission ist sogar der Auffassung, dass die EU hier in besonderer Weise Strenge walten lassen muss, indem sie die vollständige Erfüllung der Beitrittskriterien verlangt, (Stiftung Wissenschaft und Politik, SWP-Aktuell 60, 12/2005, S. 4) und stellt fest, dass sie im Kosovo die Latte noch höher legen muss als bei Polen, Ungarn und Tschechien, weil das Kosovo ihren Kriterien in keiner Weise gewachsen ist. Ihr Konzept der Konditionalität sieht vor, dass man dem Kosovo im Vergleich mit den ostmitteleuropäischen Ländern deutlich anspruchsvollere Bedingungen auferlegt, die sich aus dem fragilen Zustand der Volkswirtschaften, den instabilen politischen Verhältnissen und dem schwierigen Konflikterbe erklären (SWP-Studie 1, 01/2005, S. 21). Pech für die Balkanvölker: Weil die Verhältnisse bei ihnen so trostlos sind, muss auch noch bei der Finanzierung des Wiederaufbaus in ihrer Region größte Zurückhaltung walten; so bleibt ihnen ihre Kriegstrümmerökonomie erhalten.

Schließlich wäre da viertens auch noch das sogenannte ‚Acquis-Kriterium‘: Wer in die EU will – und das gilt eben auch für das Kosovo – muss sich die aus einer EU-Mitgliedschaft erwachsenden Verpflichtungen und Ziele zu eigen machen und im Zuge der Übernahme des gemeinschaftlichen Regelwerkes ungefähr 80 000 Seiten Rechtstexte bei sich in Kraft setzen. (SWP 33, 9/2004, S.12)

Mit ihrer Selbst-Stabilisierung und der Stiftung brauchbarer und eurokompatibler Verhältnisse hätten Serben und Kosovoalbaner in etwa die Voraussetzungen für eine Beteiligung an einem Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess geschaffen, der aus den genannten Gründen freilich eher langfristig angelegt sein muss. Wegen der Abwesenheit all der Verhältnisse, die man von Seiten der EU als Bedingung für einen Beitritt verlangt, kommt eine Mitgliedschaft für die Länder des Westbalkan auf Jahrzehnte nicht in Frage. Wie man so hört, ist derzeit kein präziser Plan in Sicht ... Weder ist ein Zeitrahmen vorgegeben (....) noch ist ersichtlich, wie die Westbalkanstaaten neu errichtete Erweiterungshürden ... überwinden können sollen. (SWP 23, 09/2006, S. 30) Problembewusste EU-Beamte bringen eine Junior-Mitgliedschaft ohne Rechte für diese Kandidaten ins Spiel, um ihren Beitrittswillen nicht erlahmen zu lassen.

Die EU überlässt die betreffenden Landstriche also keineswegs sich selbst. Sie nervt die Mannschaften vor Ort unermüdlich mit ihren Kriterien, denen sie sich zu unterwerfen haben und denen gemäß sie sich zurichten sollen. Sie kommt dabei aber über den ersten Programmpunkt – Befriedung – gar nicht erst hinaus.

Mit einer grotesken Kombination von Drohung und Versprechen stellt sich die UNMIK neben oder über den weiter laufenden Kleinkrieg der Ethnien, in dem die Kosovo-Albaner alles dafür tun, um dem von oben verordneten multiethnischen Zusammenleben als Bedingung künftiger Unabhängigkeit zu entgehen, während die im Kosovo ansässigen Serben derweil ihre Enklaven organisieren. Von einer funktionierenden Kontrolle der Protektoratsmacht über den alltäglichen Terror kann keine Rede sein; die KFOR bewegt sich in ihrem Schutzgebiet wie in Feindesland, igelt sich ein und rückt hauptsächlich dann aus, wenn Serben aus ihren Dörfern im albanisch besiedelten Kosovo in den Nordteil zu eskortieren sind. Wenn sie sich aus ihren Kasernen heraustraut und sich zwischen die verfeindeten Volksteile stellt, sorgt sie nicht für Frieden, sondern zieht sich den Hass beider Seiten zu: Der serbische Volksteil erfährt das Erziehungsprogramm der multiethnischen Aussöhnung als Vorbereitung auf die Unterwerfung unter das Regime der feindlichen Mehrheit; die Albaner sehen sich durch dieselben Schutzmächte, die ihr Staatsgründungsprojekt durch die faktische Abtrennung des Kosovo ins Recht gesetzt haben, an der Machtübernahme im gesamten Territorium gehindert.

Dieser Zumutung widersetzt sich die von den USA gut mit Waffen ausgestattete UCK von Anfang an. Sie entzieht sich der in der UN-Resolution 1244 vereinbarten Demilitarisierung weitgehend,[3] übernimmt unter verschiedenen Clan-Chefs das Kommando über die Landesteile und führt ihren Kleinkrieg gegen die verbliebene Serbenminderheit. Für die Protektoratsverwaltung ist einerseits von Anfang an klar, dass sie um ein Arrangement mit der UCK nicht herumkommt; aus deren Kreis rekrutiert sich schließlich das Herrschaftspersonal für die demokratische Selbstverwaltung, die unter der UNO-Verwaltung auf den Weg gebracht werden soll. Andererseits muss die Protektoratsmacht ihre Autorität behaupten und Akte der Insubordination von Seiten dieser Mannschaft unterbinden. Was die UNMIK zusammen mit 16 000 Mann von der KFOR in diesem Hin und Her zustandebringt, ist eine eigentümliche Mischung aus Erpressung und Kollaboration, mit der es ihr schlecht und recht gelingt, das landesübliche Hungern, Dealen und ethnische Säubern unter ihrer Aufsicht zu verwalten. Ein flächendeckender Albaner-Aufstand gegen die Serben mit Vertreibung, Toten und Verletzten legt 2004 offen, wie wenig die UNMIK die Lage im Griff hat.

Das liegt nicht zuletzt an der special relationship, welche die Kosovo-Albaner zu den US-Kommandeuren in der UNMIK unterhalten. Während der von den Europäern gestellte Chef der Mission sich auftragsgemäß an der Durchsetzung der EU-„Standards“ versucht, unterlaufen die USA, die sich den Posten des UNMIK-Vize-Chefs reserviert haben, diese Politik – mit gewissen Hilfestellungen für ihre UCK-Freunde, wenn die EU-Verwaltung einmal machtvoll durchgreifen und ihre Rechtshoheit unter Beweis stellen will, sowie durch eine klandestine Stärkung der UCK-Truppen. In Europa ärgert man sich über

„die in einigen Fällen dokumentierte Verstrickung der USA in die Fluchtaktivitäten von Kriminellen sowie die teils offene Behinderung europäischer Ermittlungsbemühungen... Auch die ernst gemeinte Beschreibung eines hochrangigen deutschen UN-Polizisten, dass es die Hauptaufgabe des stellvertretenden UNMIK-Chefs, Steve Schook, sei, ‚sich einmal die Woche mit Ramush Haradinaj‘ zu betrinken, lässt Zweifel an den amerikanischen Zielen und Methoden wachsen.
Darüber hinaus ist die eindeutig gegen die UN-Resolution 1244 verstoßende Militärausbildung des KPC seitens pentagonnaher US-Firmen als kontraproduktiv zu werten und hat ebenso eine Diskrepanz zwischen europäischen und amerikanischen Politikverständnis offenbart wie die Existenz geheimer CIA-Gefangenenlager auf dem Gelände des Camp Bondsteel.“ (Studie des Berliner Instituts für Europäische Politik (IEP), zit. RIA Novosti, 9.1.08)

Mit all dem unterhöhlen die USA die Autorität der EU im Kosovo. Sie sind zunehmend unzufrieden mit der europäischen Protektoratsverwaltung, die in ihren Augen mit ihrer Leitlinie Standards vor Status nur eine Zwischenlage verewigt und die Sache unnötig und unproduktiv in die Länge zieht. Damit schaffen die Europäer aus der Sicht der USA nur Gelegenheiten für das ja schon niedergerungene Serbien und das sich zunehmend wieder als seine Schutzmacht betätigende Russland, sich in die ‚Lösung des Kosovo-Problems‘ einzumischen. Die USA drängen daher in der Hauptsache auf Vollzug und setzen die Europäer mit Wortmeldungen des folgenden Typs unter Druck:

„Der Amerikaner Rossin, bis Ende Februar 2006 stellvertretender Chef der UNMIK, erklärte bei seiner Verabschiedung in Pristina, dass Kosovo wahrscheinlich noch in diesem Jahr unabhängig werde.“ (SWP-Aktuell 14, 03/2006, S. 1)

Die Amerikaner sorgen so dafür, dass die Position der europäischen Protektoratsmacht zunehmend unhaltbar wird. Deren Tour, die von den UCK-Leuten gewünschte Unabhängigkeit von der Erfüllung gewisser Voraussetzungen abhängig zu machen, verliert ihre Grundlage, wenn die darauf rechnen können, dass sie ihr Ziel mit der Unterstützung der USA demnächst sowieso erreichen.

Die Europäer sehen sich genötigt, dem Rechnung zu tragen. Sie geben ihren Standpunkt auf, dass erst ihre Standards erfüllt sein müssen, bevor über den Status des Kosovo verhandelt wird; der „Status-Prozess“ wird eingeleitet. Die folgenden diplomatischen Anstrengungen bis hin zum „Ahtisaari-Plan“ kombinieren das dank der US-Politik nicht mehr zu vertagende Versprechen der Unabhängigkeit an die Albaner noch einmal mit der Linie der EU, diesem Status erst allgemeine Anerkennung zu verschaffen, bevor er dann offiziell gewährt wird. Drei weitere Jahre bringt die EU mit dem Bemühen zu, Serbien und Russland diplomatisch so einzuwickeln, dass sie ihren Widerstand gegen den Verlust des Kosovo aufgeben; sie sollen den Status einer überwachten Unabhängigkeit für das Kosovo anerkennen und einem internationalen Mandat der EU als Aufsichtsmacht für das Kosovo zustimmen, sich also dem imperialistischen Anspruch der EU auf dem Balkan ganz friedlich und rechtsförmlich unterwerfen. Beide Seiten umkleiden ihren Interessengegensatz mit erklärter Verhandlungsbereitschaft, so dass sich der Verhandlungsprozess sehr in die Länge zieht und mehrere Vermittlungsmissionen verschleißt.

Die Verhandlungen drehen sich um Interpretation und die eigentliche Bedeutung der UN-Resolution 1244. Was von den USA als völkerrechtlich anerkannte Rechtsgrundlage für die Abtrennung des Kosovo gedacht ist und aus Sicht der Kosovaren und ihres amerikanischen Schutzpatrons schlussendlich den Weg in die Unabhängigkeit vorzeichnet, enthält nach serbischer Lesart das genaue Gegenteil, nämlich die Bestätigung der Zugehörigkeit der Provinz zu Serbien. Unter Berufung auf sein verbrieftes Recht reicht Serbien einen konstruktiven Vorschlag nach dem anderen zur Lösung der Status-Frage ein, die allesamt den serbischen Anspruch auf das Kosovo bekräftigen, der Provinz den unter Milosevic kassierten Autonomie-Status wieder zusprechen und das Angebot Schritt für Schritt bis an die in der Resolution verlangte größtmögliche Autonomie annähern. Russland besteht auf Einhaltung des Völkerrechts und droht, keine Lösung zu akzeptieren, der Serbien nicht zustimmt. Auch andere kleine wie große Mächte sehen sich zur Stellung- und Parteinahme herausgefordert; vor allem die Nationen, die in der Aufwertung des kosovarischen Separatismus eine unpassende bis gefährliche Ermutigung ihrer eigenen rebellischen Minderheiten daheim sehen, mischen sich ein, warten mit einer alternativen Sicht der Rechtslage und Empfehlungen zur Zurückhaltung auf und nutzen Sitz und Stimme in UNO-, NATO- und EU-Gremien aus, um ihrem Standpunkt Geltung zu verschaffen.

Den USA wird dieser Zirkus endgültig zuviel. Sie sehen durch all das ihr Kriegsergebnis verwässert und bereiten dem diplomatischen Treiben ein Ende.

3. Die USA kündigen die einseitige Anerkennung des Kosovo an

Der amerikanische Präsident verkündet das Ende des endlosen Dialogs und erläutert in der albanischen Hauptstadt seinen Beschluss:

„Wenn offensichtlich ist, dass eine Vereinbarung nicht relativ zügig zustande kommt, dann müssen wir nach meiner Einschätzung die Resolution vorantreiben. Das heißt: eine Frist setzen.“
„Was wir tun können ist, dass wir unsere Diplomaten mit den Kollegen aus Russland und der EU nach einem Kompromiss suchen lassen, einer gemeinsamen Grundlage, der alle zustimmen können. Aber wenn Sie das nicht hinkriegen, dann müssen Sie irgendwann – eher früher als später – mal sagen: genug ist genug – das Kosovo ist unabhängig.“ (Bush in Tirana, 11.6.07; Tagesschau)[4]

Bush stellt das von den Europäern praktizierte Verfahren gewissermaßen vom Kopf auf die imperialistischen Füße: Wenn es doch nichts bringt, Diplomaten jahrelang mit dem Auftrag in der Welt herumzuschicken, Mächte, die ein unabhängiges Kosovo nun einmal nicht haben wollen, zur Zustimmung zu bewegen; wenn sich so die Rechtsgrundlage für den neuen Staat, den es doch geben soll, nicht stiften lässt, dann muss man sich eben irgendwann zum umgekehrten Vorgehen entschließen, die vollendeten Tatsachen schaffen, die der Rest der Welt anerkennen soll, und dafür sorgen, dass um deren Anerkennung niemand herumkommt. Der US-Präsident beharrt darauf, dass es die überlegene Gewalt seiner Weltmacht ist, die internationales Recht stiftet, und legt sich entsprechend ins Zeug: An die Adresse von Serbien und Russland ergeht die Klarstellung, dass hinter seinem Beschluss die Bereitschaft der USA steht, jederzeit (wieder) einen größeren Konflikt in der Region zu riskieren. (Bush, Interview im albanischen Fernsehen, 31.5.07) Und die europäische Protektoratsverwaltung kriegt zu hören, dass ihr größere Schwierigkeiten ins Haus stehen, wenn sie weiterhin auf ihrem umständlichen und fruchtlosen diplomatischen Verhandlungsprozess besteht:

„Der US-Präsident warnte, wenn dem Bestreben der Kosovo-Albaner nicht Rechnung getragen werde, könne es zu Unruhen in der Provinz kommen.“ (rp-online)

4. Die EU-Hauptmächte treten die Flucht nach vorne an

Ihnen droht mit diesem Alleingang der USA nämlich ein peinlicher Offenbarungseid. Ihre Stellung vor Ort ist akut gefährdet; sie müssen befürchten, dass mit der klaren Parteinahme der USA für ihren Klientenstaat die Bereitschaft der Kosovaren entfällt, das Mandat der Protektoratsverwaltung zumindest prinzipiell anzuerkennen, und dass – wie angedroht – Verhältnisse einreißen, die sie nicht mehr kontrollieren können. Sie sehen sich vor die Alternative gestellt, mit ihren Truppen in die gewaltsamen Auseinandersetzungen um eine Staatsgründung hineingezogen zu werden, der die USA grünes Licht gegeben haben, oder das Feld zu räumen; jedenfalls steht Europas Rolle als Aufsichts- und Ordnungsmacht auf dem Balkan auf dem Spiel.

Um diese Rolle zu retten, treten die europäischen Führungsmächte, neulich noch gegen eine einseitige Anerkennung, die Flucht nach vorne an und schließen sich dem amerikanischen Beschluss an [5] – wohl wissend um die für sie in gleich mehrfacher Weise heiklen Implikationen ihres Beschlusses:

  • Die Beteiligung an einer ‚Koalition der Willigen‘, wie sie die Amerikaner wünschen, d.h. an einer Regelung des Falles unter Umgehung des Sicherheitsrats, widerspricht ihrem Bedürfnis, sich mit dessen Autorität und mit dessen völkerrechtlicher Genehmigung als Aufseher über den Balkan zu installieren. Denn auf die Mandatierung durch den Sicherheitsrat als bewährte Methode, sich die Zustimmung der Staatenwelt, insbesondere die Russlands, zu besorgen und andere darauf zu verpflichten – auf dieses imperialistische Mittel kann und will Europa durchaus nicht verzichten.
  • Die Unterstützung der einseitigen Unabhängigkeitserklärung provoziert nationale Staatsgründungsambitionen in den benachbarten ex-jugoslawischen Staatskonstrukten, in Bosnien-Herzegowina und Mazedonien, wo es mit dem multi-ethnischen Zusammenleben – höflich formuliert – auch nicht besonders gut klappt. Sie beschwört eine massive Konfrontation mit Serbien herauf – Entwicklungen, die die Beherrschbarkeit der Region schon wieder in Frage stellen. Von der Frage, was aus den nützlichen Beziehungen wird, die Staaten wie Italien beispielsweise zu Serbien unterhalten, ganz zu schweigen.
  • Die Parteinahme für den US-Kurs beeinträchtigt die nützlichen Beziehungen zu Russland, die man ja auch haben will.
  • Außerdem droht die Aufwertung des kosovarischen Separatismus zum Staat auch den Separatismus in diversen EU-Ländern zu ermutigen und gefährdet deren innere Verfassung.

Trotz all dem schlagen sich die führenden Nationen Europas auf die Seite Amerikas. Sie haben wieder einmal ihre Lektion gelernt, dass ein europäischer Imperialismus die Rückendeckung der amerikanischen Weltmacht braucht und zur Grundlage hat, dass sie selber über die Durchsetzungsmacht gar nicht eigenständig verfügen, die sie beanspruchen, wenn sie irgendwelchen Staaten auf dem Balkan selbstherrlich ihre Bedingungen diktieren. Ihre erpresserische Politik fliegt auf, sobald die USA ihr die Rückendeckung entziehen. Und eben daraus ziehen die Euro-Imperialisten ihre Konsequenz: Dann wollen sie lieber an der Seite der USA imperialistische Macht entfalten als in ihrem imperialistischen Anspruch blamiert zu werden.

Mit der Entscheidung seiner maßgeblichen Mächte, den USA in dem Beschluss zur Anerkennung eines unabhängigen Kosovo zu folgen, handelt sich Europa allerdings sogleich ein größeres Problem ein. Es spaltet sich an ihr: Das Pro-Lager besteht aus Staaten, die traditionell mit besonderer Amerika-Treue punkten wollen, anderen, die sich gezwungen sehen – weil man bekanntlich der Geschichte nicht ausweichen kann (Steinmeier) – den US-Beschluss mitzuvollziehen, um als Subunternehmer wieder auf dem Balkan mitzumischen, und einer Reihe von Mächten in der zweiten Reihe, die sich ganz ohne irgendeine überzeugende Vorteilsrechnung einfach nur in Zugzwang gebracht sehen und sich zähneknirschend ins Unvermeidliche fügen.[6] Gegen diese Linie der Anerkennung sprechen sich Spanien, Griechenland, Zypern, Rumänien und die Slowakei aus. Sie alle laborieren auf ihre Weise an einem Separatismusproblem; Spanien ist konfrontiert mit dem militanten Separatismus der Basken [7] und einem starken katalanischen Nationalismus; Zypern fürchtet den Präzedenzfall Kosovo wegen des türkisch besetzten nördlichen Landesteils, der bereits jetzt ein Staatsrecht reklamiert; Griechenland schließt sich seinen Landsleuten auf der Insel an und betrachtet den albanischen Nationalismus traditionell mit größtem Mißtrauen; Rumänien und die Slowakei haben mit Autonomieforderungen ihrer ungarischen Minderheit zu kämpfen.[8] Trotz aller Pressionen durch die USA, ihren neuen Vasallenstaat anzuerkennen, und ungeachtet des Drängens der europäischen Hauptmächte, die politische Einheit der EU nicht zu gefährden, lassen sich diese Staaten von ihrer Ablehnung einer Anerkennung des Kosovo nicht abbringen. Und damit steht Europa wieder einmal vor einem ernsten Zerwürfnis.

Um an diesem nicht die Einheit Europas bzw. seine Handlungsfähigkeit scheitern zu lassen und eine Übernahme der Zuständigkeit für die nunmehr vorgesehene ‚überwachte Unabhängigkeit‘ des Kosovo durch die EU zu ermöglichen, einigt man sich vorläufig auf das Verfahren, die Zustimmung zur neuen Aufsichtsrolle der EU im Kosovo von ihrer Voraussetzung, der Anerkennung des Kosovo, zu trennen. Mit dieser absurden Konstruktion zur Rettung der europäischen Einheit bringen es die Chef-Europäer dahin, dass einige Mitgliedsstaaten in der gemeinsam beschlossenen Rechtsstaatsmission Eulex einem Staat behilflich sind, den sie nicht als solchen anerkennen.[9]

II. Die von den USA durchgesetzte Regelung des Falls wirft Konflikte auf, die es zu beherrschen gilt

Mit ihrer Ordnungspolitik, in der der neue Staat Kosovo die Rolle eines strategischen Faktors zugewiesen bekommt, dafür eingerichtet und darauf festgelegt wird, rühren die amerikanische Weltmacht und ihre willigen Koalitionäre einiges auf – vor Ort, in der regionalen Nachbarschaft und in der Staatenwelt überhaupt. Sie rechnen damit, dass die Tatsachen, die sie schaffen, indem sie ihr Interesse in Gestalt dieses neuen Staates in die Gegend dort unten hineinpflanzen, dritte Parteien von ganz unterschiedlicher Ausrichtung und Statur auf den Plan rufen, die sich davon in ihren Interessen tangiert sehen oder in der neuen Lage ihre Chance wittern. Von diesen absehbaren Wirkungen ihrer imperialistischen Einflussnahme lassen sie sich nicht abschrecken, sie lassen sie aber auch nicht auf sich zukommen. Wahrhaft souverän fassen sie sie vorausschauend als zu beherrschende ins Auge: Sie sind Bestandteil ihrer strategischen Planung und insofern von vornherein mit drin im Programm, das sie in Angriff nehmen. Das gerät darüber freilich zu einem ziemlich umfassenden Katalog von Herrschaftsaufgaben.

1. Rundumaufsicht über den neuen Souverän

Allein schon der feierliche Akt der Unabhängigkeitserklärung stellt eine Herausforderung an die Sicherheitskräfte dar. Schon ein Jahr bevor in Pristina die Korken knallen, macht man sich in EU-Kreisen intern so seine Gedanken darüber, wie man den Übergang in die staatliche Freiheit geordnet über die Bühne bringen kann:

„Extremistische Gruppen auf beiden Seiten könnten Interesse daran haben, Zwischenfälle zu provozieren oder Bevölkerungsteile zum Verlassen des Kosovo zu bringen. Die Lage könne ‚politisch und sicherheitstechnisch hochsensibel‘ werden... Wir sehen die größte zivile Krisenmanagement-Operation voraus, die es jemals gab.“ (FTD, 29.3.07, zitiert wird ein internes Papier von EU-Erweiterungskommissar Rehn und GASP-Chef Solana)

USA und EU gehen von einer Orgie des Nationalismus aus, vor allem des Nationalismus, dem sie das Recht auf eine eigene Staatlichkeit zugesprochen haben; sie rechnen fest mit ethnisch motivierter Gewalt und der Vertreibung von Menschen, besonders in den serbisch besiedelten Gebieten, und stocken vorsorglich die KFOR-Truppen auf. Sicherheitshalber hält man Zelte für die zu erwartenden Opfer der Freiheit auf dem Amselfeld in der Hinterhand; sinnreicherweise drückt die KFOR sie der albanisch beherrschten Kosovo-Schutztruppe (KPC) in die Hand. (UNMIK Media Monitoring, 12.2.08)

Und überhaupt: Den Geburtshelfern des neuen Staates ist von Anfang an völlig klar, dass man dem neuen Staat den Gebrauch seiner Souveränität auf keinen Fall selbst überlassen darf. Der erste souveräne Akt, den das Kosovo nach seiner Unabhängigkeitserklärung zu vollziehen hat, besteht daher darin, seiner umfassenden Überwachung durch von USA und EU besetzte Aufsichtsorgane zuzustimmen – und eben darin, in einer überwachten Unabhängigkeit, soll bis auf weiteres, jedenfalls längerfristig,[10] der neue Status des Kosovo bestehen:

„Mit seiner ausdrücklichen Zustimmung wird das Kosovo für einen gewissen Zeitraum von einem International Civilian Office (ICO) ‚überwacht‘ werden. Dieses Büro wird von Europa geführt, aber mit starker Beteiligung der USA ... Wir erwarten, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten ungefähr 50 % der wichtigen Unterstützung zur Verfügung stellen, die das Kosovo in seinem ersten Jahr als neuer Staat brauchen wird.“ (Fried, Testimony Before the House Committee on Foreign Affairs 12.3.08)[11]

EU und USA – letztere haben sich nach ihren schlechten Erfahrungen mit einer europäisch dominierten Verwaltung eine starke Beteiligung gesichert – lassen ihrem Überwachungsbüro ziemlich allumfassende Kompetenzen gegenüber dem kosovarischen Herrschaftspersonal genehmigen:

„Der ICR (der Internationale Zivile Repräsentant, der gleichzeitig EU-Sonderbeauftragter ist; die Red.) hat die Vollmacht, den Ahtisaari-Plan durchzusetzen, und kann dafür auch von den Institutionen des Kosovos erlassene Gesetze aufheben, die Ernennung von Beamten ratifizieren oder sie absetzen. Zusätzlich wird der ICR bestimmte Staatsbeamte in jedem Fall direkt ernennen, so den Chef des Rechnungshofs, den Generaldirektor der Zollbehörde, den Direktor des Finanzamts, den Direktor des Finanzministeriums und den Verwaltungsdirektor der Zentralbank. Das Parlament darf die Verfassung nicht formell verabschieden, solange sie nicht vom ICR abgesegnet ist. Außerdem ist eine Nato-geführte Internationale Militärpräsenz (IMP) vorgesehen. Die gegenwärtig im Kosovo stationierten 16 000 Nato-Truppen sollen in die IMP übergehen. Die IMP hat die Vollmacht, ‚ohne weitere Genehmigung, Einmischung oder Erlaubnis jede notwendige Gewalt anzuwenden‘. Die IMP wird die serbische Minderheit und religiöse Stätten schützen, den Aufbau der KSF organisieren und die Kosovo-Schutztruppe auflösen. Letztere agierte im Wesentlichen als Feuerwehr und bestand aus ehemaligen Mitgliedern der UCK. Die IMP kann, wenn nötig, Funktionen der Luftfahrtbehörde CAA und die militärische Kontrolle über den Luftraum übernehmen.“ (wsws.org, 5.3.08)

Für den neuen Staat ist damit eine Art Doppelherrschaft installiert: Es regiert eine kosovarische Zivilregierung; die ist demokratisch gewählt, und es gibt auch ein Parlament, in dem demokratisch formvollendet Gesetze verabschiedet werden. Alles, was auf diese Weise entschieden wird – und darüber hinaus auch Status und Recht der Parlamentarier selbst – steht aber unter dem Vorbehalt, dass es durch die europäisch-amerikanische Zivilverwaltung erst noch genehmigt werden muss und bei Nichtbilligung kassiert werden kann; die Entscheidung über die Besetzung aller wichtigen Posten im Staatsapparat behält man sich gleich exklusiv vor, und natürlich ist auch die Verfassung als Gründungsurkunde des Staats genehmigungspflichtig. Auch auf militärischem Feld hat die Herrschaft diesen Doppelcharakter: Kosovarische Sicherheitskräfte sollen die Polizeiaufgaben übernehmen und NATO-Truppen sollen – nicht zuletzt vor ihnen! – die serbische Bevölkerung und deren Kirchen schützen.

Eine ziemlich absurde Konstruktion, die der Sache, die mit ihr ins Werk gesetzt werden soll, allerdings haargenau entspricht: Schließlich soll da von der heimischen Mannschaft der Staat gemacht werden, den die euroatlantischen Aufsichtsmächte in diesem Land gemacht sehen wollen; und zwar gegen andersgeartete, gerade auch in der grundlegenden Frage des völkischen und territorialen Zuschnitts abweichende Vorstellungen, die die Mannschaft vor Ort von einem gelungenen Staat hat; und im Zweifelsfall eben auch gegen deren Willen. Die von Vertretern der albanischen Mehrheit gestellte Regierung hat Abstand zu nehmen von allen Gelüsten, aus dem Kosovo einen albanischen Staat oder gleich eine Provinz Albaniens zu machen. Sie hat sich als Führung des kosovarischen Volkes zu begreifen, dem eben auch eine serbische Minderheit angehört, und diesen Standpunkt auch gegen die eigene Basis durchzusetzen. Auf den Respekt vor den kosovarischen Serben wie überhaupt auf all das, was die Aufsichtsmächte unter ‚good governance‘ verstehen, muss das gesamte Staatspersonal verpflichtet werden. Die Clan-Führer, die in den albanisch besiedelten Regionen das Kommando haben, müssen daran gewöhnt werden, dass eine Zentralgewalt in Pristina landeseinheitlich verbindliche Regelungen vorgibt – und zwar von einem Personal, das logischerweise aus dem Umkreis dieser Clans herkommt und ebenso logischerweise das Stück Staatsmacht, das es in die Hände bekommt, zur Stärkung der Interessen des jeweiligen Clans einsetzt:

„Die politischen Parteien des Kosovo, so der Sondergesandte Eide in einem Bericht über die Lage des Kosovo, betrachteten Institutionen und öffentlichen Dienst als ihren Besitz; Politiker fühlten sich nicht der Allgemeinheit verpflichtet; Posten würden auf Grund politischer oder Clan-Zugehörigkeit besetzt.“ (Eide-Bericht, 2005)[12]

Entsprechend ihrer Diagnose über den kosovarischen Staat –

„Seine neuen Institutionen sind schwach, sie sind unfähig, Korruption, organisiertes Verbrechen und ethnisch motivierte Gewalt zu bekämpfen.“ (Burns, Statement Before the House Committee on Foreign Affairs, 17.4.07)

schicken die Aufsichtsmächte einen mehr oder minder kompletten Herrschaftsapparat mit den Abteilungen Justiz, Zoll und Polizei. Weil deren Aufgaben andererseits aber auch im wachsenden Umfang an die mit Mißsstrauen beäugten kosovarischen Kräfte übergehen sollen, handeln sich die Aufsichtsmächtigen mit dieser Doppelherrschaft die schon aus Bosnien bekannten Probleme ein:

„Sollen sich die EU-Vertreter, nach dem Vorbild ihrer Kollegen in Bosnien und Herzegowina, auf ihre weitreichenden Befugnisse berufen und kompromittierte Politiker aus dem Amt entfernen, obwohl sie demokratisch gewählt worden sind? Oder sollen sie, wie meistens bisher im Kosovo, beide Augen zudrücken, um die Nachgiebigkeit und die Folgebereitschaft ihrer lokalen Partner sicherzustellen?“ (SWP Diskussionspapier, 9.12.07)

Aber auch die Angehörigen der serbischen Minderheit müssen erst noch zu Untertanen eines kosovarischen Staatswesens gemacht werden. Sie leben seit Jahren faktisch in einem eigenen Staatswesen auf dem Amselfeld, alimentiert aus Belgrad, mit eigenen politischen Institutionen, eigener Währung (Dinar), eigenem Haushalt, eigenem Schul- und Ausbildungswesen, usw. Die EU-Mission sehen und behandeln sie als Okkupation und hindern sie gewaltsam am Zutritt auf ihr serbisches Territorium. Unbeeindruckt von Drohungen der Aufsichtsmacht kündigen sie an, sich wie in den vergangenen Jahren in ihrer Eigenschaft als Provinz Kosovo/Metochien an den gesamtserbischen Wahlen zu beteiligen. Mit all dem stellen sie die Kräfte der UNMIK, EULEX und KFOR vor die Frage, ob ihnen die Durchsetzung der kosovarischen Hoheit im Norden eine kriegerische Auseinandersetzung wert ist, mit allen Weiterungen für die prekäre Situation auf dem Westbalkan.

Damit der neue Staat dieser gesamten Auftragslage gewachsen ist, braucht er noch eine gewisse materielle Ausstattung. Die EU ist aufgerufen, maßgeblich zur Stiftung eines Staatshaushaltes beizutragen, schließlich muss der neue Staat seine Beamten bezahlen können; sie übernimmt die Hälfte dieser Unkosten, die USA steuern 100 oder 200 Millionen bei, der Rest wird sich finden, wofür hat man denn die Weltbank – so der Tonfall, der in US-Kreisen vorherrscht (Burns, The Outlook for the Independence of Kosovo, 17.4.07). Wovon der neue Staat jetzt genau lebt und wer dazu welches Scherflein beiträgt – derlei Probleme fallen aus der maßgeblichen Sicht der USA ins Kleingedruckte.

Hauptsache, die Gewaltfrage ist geklärt. Und da lässt der Ami nichts anbrennen. Vier Wochen nach der Unabhängigkeit wird der Staat Kosovo aufgerüstet:

„‚Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass die Lieferungen von Verteidigungserzeugnissen und -leistungen ins Kosovo die Sicherheit der USA festigen und zum Weltfrieden beitragen werden‘, heißt es in einem Erlass des US-Präsidenten nach Angaben des Weißen Hauses.
Der Ministerpräsident des Kosovos, Hashim Thaci, sagte am Donnerstag in der Hauptstadt Pristina, die Waffenhilfe beweise einmal mehr die ‚spezifischen und außerordentlichen‘ Beziehungen zwischen beiden Staaten. Staatspräsident Fatmir Sejdiu sagte, die Lieferungen belegten, dass ‚wir auf allen Feldern zusammenarbeiten, um ein modernes Kosovo zu schaffen‘“. (RIA Novosti, 20.3.08)

Auch England und Deutschland wollen da nicht abseits stehen und kümmern sich um das, was dem modernen Kosovo am dringendsten fehlt: Das Kosovo brauche eine ‚selbsttragende Sicherheit‘ (Verteidigungsminister Jung), wozu neben einer eigenen Polizei auch Streitkräfte gehörten. (faz.net, 21.2.08)

Und sonst? Anläufe, eine ökonomische Basis für das Staatsleben im Kosovo zu identifizieren, fallen mehr oder weniger unter die Rubrik ‚unfreiwillige Komik‘. Beispiel, UNMIK-Chef Rücker:

„‚Die Stärken liegen im Primärsektor, bei Energie und Bergbau‘, sagte Joachim Rücker, der deutsche Leiter der UN-Verwaltung im Kosovo. Das Problem ist nur: Nach fast 20 Jahren ohne Instandhaltung ist praktisch die Technik der gesamten Industrie unbenutzbar.“ (SZ, 3./4.2.07)

Acht Jahre UNMIK-Verwaltung über ein kaputtes Land mit Bürgerkrieg haben ihre Wirkung getan, das Ergebnis ist allgemein bekannt: ein Durcheinander aus elender Subsistenzwirtschaft mit Eselskarren, Prostitution und allen Einkommensquellen, die sich unter dem Schutz der Clans und dem Regime des einschlägigen Bandenwesens auftun, vom Drogen-, Zigaretten- und Waffenschmuggel bis zum Frauenhandel. Daneben ehrliches Geld für die Glücklichen, die im Umkreis von UNMIK und KFOR Dienst tun dürfen oder von ihren emigrierten Familienangehörigen in der Schweiz oder sonst wo ernährt werden.

2. Vorausgreifende Krisenbewältigung auf dem Balkan

Dass die Verwandlung einer abtrünnigen Provinz in ein respektables Mitglied der Völkerfamilie durch einseitigen Gewalt- und Rechtsakt Maßstäbe für die ‚Konfliktlösung‘ auch anderswo setzt, ist den USA bewusst. Deswegen ergeht vorsorglich eine globale Warnung:

„Das Kosovo ist kein Präzedenzfall für andere Konflikte.“ (Bush, Rice et al.)

Die Weltmacht gesteht keiner anderen Macht das Recht zu, wie sie selbst Definitionen hinsichtlich der Machtbefugnisse anderer vorzunehmen, bzw. für sich aus der US-Definition die Berechtigung zu eigenen Schritten abzuleiten. Amerika fordert kategorisch die Unterwerfung unter seine strategischen Bedürfnisse und sorgt dafür, dass die betroffene Staatenwelt die Botschaft auch versteht. Es ergeht ein Verbot an andere Separatismen auf dem Balkan, den Kosovo als Präzedenzfall zu nehmen. Den von dem Fall betroffenen Nachbarn wird mitgeteilt, dass sie nicht betroffen sind und Eigenmächtigkeiten nicht geduldet werden. Die sind nämlich zu erwarten; schließlich rührt die Belohnung des kosovarischen Nationalismus mit einer eigenen Staatsgewalt das analoge Bedürfnis aller benachbarten Nationalisten auf.

Für die Muslime, Kroaten und Serben in Bosnien-Herzegowina, denen eine UNO-Besatzungsmacht nebst ‚Hohem Repräsentanten‘ seit 13 Jahren ein ungeliebtes Zusammenleben unter einer gemeinsamen staatlichen Obrigkeit aufzwingt, ist es sehr schwer zu verstehen, warum sie zusammenwachsen sollen, während nebenan das Recht der nationalen Selbstbestimmung aufblüht. Nicht nur die bosnischen Serben, die seit eh und je auf Wiedervereinigung mit Serbien drängen, sondern mittlerweile auch wieder die bosnischen Kroaten stellen die Staatskonstruktion in Frage. Die vorläufige Antwort der Aufsichtsmächte:

„Der instabile Balkan-Staat Bosnien-Herzegowina wird auf unbestimmte Zeit unter Verwaltung des so genannten Hohen Repräsentanten bleiben ... Das Amt sollte eigentlich schon längst aufgelöst sein, aber ...“ (Deutsche Welle, Fokus Ost-Südost, 28.2.08)

Für die Albaner in Südserbien und Mazedonien ist es ebensoschwer einzusehen, dass die im Kosovo erteilten Rechte für sie nicht gelten sollen, und warum der Erfolgsweg der UCK bei ihnen verboten sein soll. Hochrangige Vertreter der Albaner in Makedonien behalten es sich vor,

„zu überprüfen, ob ihre Volksgruppe im makedonischen Staat verbleiben möchte. Die Albaner stellen etwa 25 % der Bevölkerung im Grenzgebiet zu Kosovo und Albanien. In den letzten Monaten ist es dort erneut zu Zusammenstößen gekommen, bei denen ein Dutzend Menschen getötet wurden. Angespannt ist auch die Lage in den südserbischen Gemeinden Bujanovac und Presevo, wo annähernd 60 000 Albaner leben.“ (SWP aktuell, 1/08, S. 4)

Dass der wacklige Staat Mazedonien, in dem ein paar Tausend gut bewaffnete UCK-Veteranen den nationalen Aufbruch ins Auge fassen, im Zuge dieser Auseinandersetzungen zu zerbrechen droht, ist den USA bekannt. Und was diesen Fall noch ein gutes Stück prekärer macht, werden sie auch mitbekommen haben: dass Albanien jederzeit den Übergang beherrscht, seine in den Nachbarstaaten lebenden Landsleute als Anspruchstitel auf das Territorium zu zitieren, auf dem sie siedeln:

„Der albanische Außenminister Mustafaj teilte allen, die es angeht, öffentlich mit, dass die albanische Regierung keine Garantieerklärung für die Unveränderlichkeit der Grenzen gegenüber den Nachbarländern mit albanischem Bevölkerungsanteil abgeben können, falls Kosovo als unabhängiger Staat international anerkannt werde. Provoziert fühlt sich dadurch v.a. die mazedonische Regierung.“ (ÖMZ 3/2006, S. 375)

Um derlei Weiterungen auf jeden Fall unter dem Deckel zu halten, wird Albanien kurzerhand in der NATO verstaut – offenbar geht man in den USA davon aus, dass eine Mitgliedschaft in diesem Verein einer durchgreifenden Einflussnahme auf die Staatsräson des betreffenden Landes gleichkommt. Und wenn es nach dem Willen der US-Regierung geht, soll bei nächster Gelegenheit auch noch Mazedonien in die NATO integriert werden – um es unter Kontrolle zu nehmen und unwiderruflich dem eigenen Herrschaftsbereich einzuverleiben; denn dass seine Mitgliedschaft zur Stärkung des Militärbündnisses beiträgt, kann allen Ernstes ja nicht einmal der amerikanische Präsident glauben. Diese imperialistische Methode, die die NATO im Zuge ihrer Erweiterung schon laufend zur Anwendung bringt, bringt es freilich mit sich, dass neue Gegensätze ins Bündnis hineingetragen werden. Durch den Antrag der USA auf Aufnahme Mazedoniens ins Bündnis sieht sich NATO-Partner Griechenland herausgefordert. Es widersetzt sich der Aufwertung seines nördlichen Nachbarn zum Bündnispartner, weil es mit ihm im Streit um ein Rechtsgut der höheren Sorte liegt, der letztendlich auch schon wieder die kriegsträchtige Frage territorialer Ansprüche berührt: Griechenland untersagt seinem Nachbarn, sich Mazedonien zu nennen, weil es darin einen verkappten Rechtsanspruch auf die griechische Provinz gleichen Namens sieht. Also geht die Krisenbewältigung in die nächste Runde: Griechenland muss auf Kurs gebracht werden, der US-Präsident gibt unseren griechischen Freunden öffentlich zu verstehen, dass ihr alberner Namensstreit doch kein unlösbares Problem sein kann, und hinter verschlossener Tür nimmt man sich Griechenland zur Brust: Fried: Die Vereinigten Staaten würden bezüglich des Namens auch einen starken Druck auf Griechenland ausüben.[13]

In ganz anderer Weise und viel unmittelbarer sieht sich naturgemäß Serbien herausgefordert. Es verliert durch die kosovarische Staatsgründung eine Provinz und reagiert darauf ganz staatsgemäß. Noch am Tage der Unabhängigkeitserklärung erklärt sein Ministerpräsident die Gründung dieses Marionettenstaates auf serbischem Territorium, das unter der militärischen Kontrolle der Nato steht, zu einem Akt von nie dagewesener Unrechtmäßigkeit. Sie sei das Ergebnis der zerstörerischen, grausamen und unmoralischen Gewaltpolitik der USA, welche die UNO-Charta mit Füßen getreten und die EU dazu genötigt haben, die hehren Prinzipien zu brechen, auf denen die EU beruht. Eingedenk all dessen habe Serbien mit größter Entschlossenheit und ein für alle mal alle Entscheidungen für null und nichtig erklärt, mit denen einseitig die Unabhängigkeit erklärt wird. Auf dem Territorium Serbiens werde es niemals ein unabhängiges Kosovo geben. Die Serben im Kosovo stünden weiterhin unter serbischer Hoheit und genössen als serbische Bürger weiterhin ihre vollen Rechte. Während heute die Gewaltpolitik meine, triumphieren zu können, indem sie diesen Marionettenstaat schaffe, denken Millionen von Serben schon an den Tag der Freiheit, der kommen wird... Solange das serbische Volk existiert, gehört das Kosovo zu Serbien.

Der Stellungnahme des serbischen Ministerpräsidenten fehlt eigentlich nichts zu einer klassischen Kriegserklärung – sie ist nur aus einem Grund keine: Das kleingebombte Serbien ist der Übermacht seiner Gegner nicht gewachsen. Parteiübergreifend einig ist man sich darin, dass der eigenen Nation ein Verbrechen angetan worden ist. Die herrschende Klasse spaltet sich aber an der Frage, ob es sich der amputierte Staat leisten kann, auf seiner nationalen Selbstbehauptung auf Kosten der Beziehungen zu Europa zu bestehen.

Auch da gibt es also für die euro-atlantischen Ordnungshüter einiges zu tun. Im bewährten Wechselspiel von Drohung und Protektion gilt es, die Empörung des serbischen Nationalismus wieder einzufangen und vor allem dafür zu sorgen, dass die Staatsführung in Serbien in Händen bleibt, in denen sie gut aufgehoben ist. Bei jeder anstehenden Wahl muss verhindert werden, dass die „Hardliner“ an die Macht kommen – so heißen hierzulande Politiker, die das Recht ihrer Nation im Auge haben und dieses nationale Recht über die Berechnungen stellen, die man ihnen in Brüssel oder Washington nahelegt. Ihre Verteufelung als „Ultra-Nationalisten“, verbunden mit der Drohung, dass ihre Amtsübernahme den Westen zwingen werde, Serbien noch weiter zu isolieren und die Misere im Land zu verlängern, ist das eine, wie die freie Entscheidung des serbischen Wählers gefördert wird. Auf der anderen Seite sucht man nach Wegen, um die euro-freundlichen Kräfte in einem vorteilhaften Licht erscheinen zu lassen. Die USA sorgen dafür, dass die Kosovaren die Unabhängigkeit erst nach den Präsidentschaftswahlen in Serbien ausrufen, um den „Radikalen“ nicht unnötig Auftrieb zu geben. In Europa macht man sich derweil Gedanken, wie man die europafreundlichen Kräfte protegieren könnte, ohne dass es gleich wie Bestechung aussieht, weil sonst unsere Freunde am Schluss noch als korrupte Verräter ihrer Nation dastehen:

„Es wäre sehr gut, wenn Serbien das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA) noch vor der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo unterzeichnen würde, weil es nach der Bekanntgabe sonst so wirken würde, als ob es sich um ein Geschenk der EU für den Verlust des Kosovo handelte, was die Serben allerdings nicht akzeptieren werden.“ (Drobnic-Protokoll)

Die EU kann sich auf den Abschluss des Abkommens dann zwar doch nicht mehr rechtzeitig einigen, weil Belgien und die Niederlande auf ihrer Forderung fortbestehen, zuerst müsse Belgrad seine Kriegsverbrecher an den Internationalen Strafgerichtshof ausliefern, ringt sich aber noch früh genug zu einer gewissen Milderung ihrer Isolationspolitik gegen Belgrad durch und verspricht den Serben Freiheit durch Reiseerleichterungen (Council Conclusions, 28.1.08). Gleich nach der Unabhängigkeitserklärung wird Serbien ein eindeutig zweischneidiges Angebot unterbreitet: Unter der Bedingung, dass es sich zur regionalen Kooperation und guten nachbarschaftlichen Beziehungen bereit findet, sich also in die Verhältnisse fügt, wie sie nun einmal sind, wird ihm von der EU dann doch der Abschluss eines solchen Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens in Aussicht gestellt; in diesem Rahmen soll es für die Unterstützung bei der ökonomischen Stabilisierung und Reformen sogar ein paar Millionen von den für den Westbalkan vorgesehenen 4 Mrd. € EU-Fördermitteln erhalten; der Löwenanteil soll ins Kosovo gehen. (Western Balkans: Enhancing the European perspective. Brüssel, 5.3.08) Dafür müssen Belgien und die Niederlande soweit weichgeklopft werden, dass sie mit ihrer Forderung dem Abschluss nicht mehr im Wege stehen.[14] So bekommt Westfreund Tadic, der das Rennen bei der Präsidentenwahl gemacht hat, rechtzeitig vor den anstehenden Parlamentswahlen die Gelegenheit, den erfolgreichen Abschluss des Abkommens zu verkünden. Die Wahl steht ganz im Zeichen der Auseinandersetzung um dieses Abkommen. Während der stellvertretende Ministerpräsident das Abkommen als Schlüsselelement der Stabilität für alle, die in Serbien investieren wollen,[15] preist, giftet Ministerpräsident Kostunica gegen die verlangte Unterwerfung. Er vertritt die Linie, dass es ohne Rücknahme der Anerkennung des „NATO-Staats“ im Kosovo keine Verhandlungen mit der EU gibt, hält das Abkommen für illegal und kündigt an, es im Falle eines Wahlsiegs zu annullieren.[16]

Mit jeder seiner Interventionen heizt der Westen den Machtkampf weiter an; solange eben, bis das Land einsieht, dass die USA und die EU Serbien nur als gefügige Kleinausgabe der alten Regionalmacht brauchen können auf ihrem neugeordneten Balkan; dass sein bedeutungsvoller Beitrag zur Herstellung von Stabilität – Serbien ist wichtig für die Stabilität der Region. (Western Balkans: Enhancing the European perspective) – in der klaglosen Einordnung besteht.

3. Internationale Verwicklungen der höchsten Art

Wie gesagt: In ihrem Engagement für ein unabhängiges Kosovo und eine Balkanordnung nach ihrem Bedarf machen die USA nichts abhängig von der völkerrechtlichen Billigung, die sie erfahren oder auch nicht. Richtig vollendet sind für sie die Tatsachen, die sie gegen alle möglichen völkerrechtlich begründeten Einsprüche und Bedenken schaffen, allerdings erst, wenn sie auch noch für deren internationale Anerkennung gesorgt und sie dadurch ins Recht gesetzt haben.

Es wird eine Kampagne zur Durchsetzung einer möglichst weltweiten Anerkennung des Kosovo geführt; das positive Votum der Staatenmehrheit soll die im UN-Sicherheitsrat nicht zu erreichende Zustimmung – das russische und chinesische Nein ist fest angekündigt – sozusagen ersetzen und die Vetomächte schließlich doch zum Einlenken nötigen. Um der Anerkennungsbereitschaft allseits etwas auf die Sprünge zu helfen, wird schon Monate vor der geplanten Unabhängigkeitserklärung des Kosovo ein Vertreter Sloweniens (das zu der Zeit die europäische Ratspräsidentschaft innehatte) nach Washington zitiert, um einige Aufträge an die EU zur reibungslosen Gestaltung des Anerkennungsprozesses und der Übergangsphase im Kosovo entgegenzunehmen:

„Nach der Meinung von DiCarlo wäre es sinnvoll, wenn die Tagung des Kosovo-Parlaments, auf der die Unabhängigkeitserklärung angenommen wird, auf einen Sonntag festgelegt werde, weil dadurch die Russische Föderation keine Zeit zur Einberufung der UN-Versammlung hätte. Zwischenzeitlich wären dann auch die ersten Anerkennungen erfolgt ... Fried regte die Republik Slowenien an, dass sie in der ersten Phase der Anerkennung die erste sein sollte, die den Kosovo anerkennt. Nach Einschätzung der USA würden etwa 6 EU-Mitgliedsstaaten anfänglich den Kosovo nicht anerkennen, jedoch werden es aber mindestens 15 von 27 Ländern tun, was aber schon genüge. Der slowenischen Führung in ihrer Funktion der Ratspräsidentschaft komme somit eine Schlüsselrolle zu ... Die USA strebten an, dass der Kosovo in den ersten Tagen von möglichst vielen Ländern außerhalb der EU anerkannt werde. Die Vereinigten Staaten würden eine starke Lobby-Arbeit in Japan, der Türkei sowie den arabischen Ländern betreiben ...“ (Drobnic-Protokoll, 24.12.07)

Russland soll keine Zeit für die Einleitung von Gegenmaßnahmen gelassen werden, es soll durch schnell erfolgte Anerkennung des Kosovo seitens wichtiger und möglichst vieler Staaten von Anfang an diplomatisch unter Druck geraten. Schnelle und hinreichend viele Anerkennungsakte braucht es auch deswegen, damit der UNO-Generalsekretär ein Argument in die Hand bekommt, mit dem er ein russisches Veto gegen eine Beauftragung der EU mit der Machtübernahme über das Kosovo unterlaufen kann, indem er sie gar nicht erst zum Gegenstand der Beschlussfassung im Sicherheitsrat werden lässt – die amerikanischen Experten haben sich dafür eine entsprechende Rechtskonstruktion einfallen lassen:

„Nach der Unabhängigkeitserklärung muss es sofort zu einer Anerkennung durch die Länder kommen, denn dadurch kann der UNO-Generalsekretär feststellen, dass es in diesem Gebiet zur Veränderung der Situation gekommen ist, und er könne dann die EU auffordern, die Einsatzmission von der UNO zu übernehmen ...“ (ebd.)

Außerdem wäre es wichtig, dass der mit diesem Argument geimpfte Generalsekretär sich dann auch mit entsprechenden Wortmeldungen entschossen aus dem Fenster hängt, damit auch jene Europäer, die der ganzen Entwicklung bislang noch skeptisch gegenüberstehen, einsehen, dass diese Mission auf der Basis eines völkerrechtlich einwandfrei abgesicherten Rechtsgrundes stattfindet und ihrer Beteiligung nichts entgegensteht:

„Fried wurde um Unterstützung beim Beschaffen von Aussagen des UNO-Generalsekretärs betreffs Unterstützung der Entsendung der Europäischen Mission gebeten, denn einige Mitgliedsstaaten der EU haben noch Schwierigkeiten, die Entscheidung zur Entsendung der Mission ohne Zustimmung der UNO zu akzeptieren...“ (ebd.)

Mit viel Verständnis für die Schwierigkeiten des so in Anspruch genommenen Generalsekretärs macht der Vertreter der USA den Europäern wiederum klar, dass sich der UNO-Mann umgekehrt sicher sein können muss, dass ihn die Europäer nicht im Regen stehen lassen, wenn er sich so gegen die Einsprüche Russlands für eine EU-Mission im Kosovo einsetzt:

„Fried meinte bezüglich der Unterstützung des UNO-Generalsekretärs zur Entsendung der EU-Mission in den Kosovo, dass sich Ban Ki-Moon unter dem Druck der Russischen Föderation und damit in einer schwierigen Situation befände. Die USA hätten die Zusage, dass der UNO-Generalsekretär die Entsendung nicht behindern werde; wegen seiner Unterstützung der Mission werden sie den Wunsch der EU aber erneut ... vorbringen. Die USA werden dem UNO-Generalsekretär im Falle von Schwierigkeiten seitens der Russischen Föderation helfend zur Seite stehen; die Republik Slowenien muss aber innerhalb der EU eine baldmögliche Entsendung der EU-Mission erreichen.“ (ebd.)

Die Amerikaner arbeiten also akribisch an einer möglichst geschlossenen diplomatischen Einheitsfront, gegen die sich die Vetomacht Russland stellen muss, wenn sie weiterhin der Unabhängigkeit des Kosovo seine Anerkennung versagen will. Sie lassen nichts aus, um gegen die russische Rechtsposition, die entwertet werden soll, eine eigene wuchtige Rechtsposition aufzubauen. Für dieses Anliegen nehmen sie die ganze Welt in Anspruch; sie wird mit dem Fall Kosovo befasst und zur Parteinahme im Sinne Amerikas aufgefordert, damit Russland möglichst isoliert, d.h. in eine Position gebracht wird, in der es mit seinem Veto die ganze Welt gegen sich hat und ganz auf sich zurückgeworfen ist – wenn es nicht einlenkt.

Dazu ist Russland allerdings nicht bereit. Eine militärische Revision der von den USA gegen seinen Einspruch hergestellten Fakten kommt für es zwar nicht in Frage – auch wenn diese Option zur Verdeutlichung des russischen Ärgers zwischendurch ganz diplomatisch-undiplomatisch ins Spiel gebracht wird. Aber auf allen Ebenen darunter ist einiges möglich. Russland stellt klar, dass es weder das Recht der USA auf freihändige Definition des Völkerrechts noch die von ihnen geschaffenen Fakten anerkennt, und es lässt seinerseits nichts unversucht, um diesen Standpunkt zu einem allgemeinen in der Staatenwelt zu machen:

Erstens stellt es seine Rechtsauffassung des Falls gegen die US-Willkür und pocht auf Einhaltung anerkannter Normen:

„Russland versucht, ausschließlich von der Position des Völkerrechts aus den Konflikt zwischen Belgrad und Pristina beizulegen und die territoriale Integrität Serbiens wiederherzustellen.“ (RIA Novosti, 26.2.08)

Es kommt zu einem Kräftemessen in der UNO: Russland droht – erstmals wieder nach dem Ende des Ost-West-Gegensatzes –, sein Vetorecht zu mobilisieren. Es gelingt ihm, eine ganze Reihe von Staaten hinter sich zu bringen, und vor diesem Hintergrund will sich der UNO-Generalsekretär dann doch nicht dafür hergeben, seine Machtbefugnisse wie von den USA gewünscht zur Umgehung der UNO einzusetzen und die EU ohne UN-Resolution mit der Überwachung des Kosovo zu beauftragen:

„‚Die gegen eine Verdrängung der UN-Mission aus dem Kosovo gerichtete Position konnte verteidigt werden‘, sagte der russische UN-Botschafter Vitali Tschurkin. Die USA und die EU ‚werden die UN-Präsenz im Kosovo respektieren ... Die Europäische Union kann nicht die UNO ersetzen.‘“ (Der russische Außenminister Lawrow, RIA Novosti, 22.12.07)

Es nutzt jede Gelegenheit, die Rechtsbrüche der NATO-Mächte anzuprangern, die Verweigerungsfront zu stärken und zu demonstrieren, dass es mit der Isolierung Russlands nicht so weit her ist.

„Kosovo hat laut Moskau keine Chancen auf UN-Mitgliedschaft.“ (Novosti, 27.2.08)
„Wie RIA Novosti analysiert hat, gibt es Länder, die keine Anerkennung der Unabhängigkeit ohne UN-Zustimmung beabsichtigen (5 Staaten), ferner jene, die die Unabhängigkeit niemals anerkennen werden (16), und solche, die sich nicht beeilen, einen Beschluss darüber zu fassen (17). Dreißig Länder haben die Kosovo-Unabhängigkeit bereits anerkannt beziehungsweise ihre Bereitschaft bekundet. Schon diese einfache Aufschlüsselung zeigt, dass die Anhänger der Anerkennung nicht dominieren (30:38). Und das ist ein großes Verdienst Russlands.“ (RIA Novosti, 4.3.08)

Zweitens meldet sich die herausgedrängte Schutzmacht auf dem Balkan zurück. Sie stärkt Serbien demonstrativ politisch den Rücken. Der kommende russische Präsident kreuzt extra in Belgrad auf; Serbien wird ermutigt, vor internationalen Gerichten die Abtrennung der Provinz Kosovo anzufechten, und als strategischer Partner im Brennstoff- und Energiebereich wieder ein Stück näher an Russlands Seite geholt. Der russische Konzern GazpromNeft steigt beim größten serbischen Öl- und Gaskonzerns Naftna Industrija Srbije (NIS) ein; und beide Seiten hängen die Angelegenheit ausgesprochen hoch:

„Nach Schätzungen serbischer Experten wird sich der Gesamtwert des Abkommens auf rund zwei Milliarden Euro belaufen. Das wird die seit mehreren Jahrzehnten größte ausländische Investition in die serbische Wirtschaft sein.“ (RIA Novosti, 27.2.08)

Und Putin erläutert für die russische Seite:

„Mit der Unterzeichnung dieser Abkommen wird Serbien zu einem der wichtigsten Transitknotenpunkte in dem sich im Aufbau befindlichen System für russische Energielieferungen an Südeuropa. Einem langfristigen, zuverlässigen, hocheffektiven System, welches, was überaus wichtig ist, außerdem die Energiesicherheit sowohl Serbiens als auch des gesamten europäischen Kontinents beträchtlich festigt.“ (ebd.)

Drittens schließlich geht Russland angesichts der rabiaten Gangart der Supermacht zu einer nachdrücklicheren Sicherung seines Einflusses in der unmittelbaren Nachbarschaft über. Am Fall Georgien stellt die russische Führung klar, dass auch sie willens und fähig ist, Fakten zu schaffen, an denen die „Partner“ nicht so leicht vorbei kommen. Sie konfrontiert den Anspruch des US-Vasallen in Tiflis auf seine abtrünnigen Provinzen Abchasien und Südossetien damit, dass Russland diese Provinzen fortan als de facto souveräne Staaten behandeln wird und und kündigt an, dass sie sich dort jetzt auch mal nachdrücklich um die Verbesserung der humanitären Lage kümmern wird: Im April diesen Jahres

„ordnete der russische Präsident Wladimir Putin die ‚substantielle Unterstützung‘ der Bevölkerung in Abchasien, sowie in der anderen abtrünnigen georgischen Provinz, Südossetien, an. Demnach soll Russland die Behörden in den beiden De-facto-Staaten sowie die von ihnen ausgestellten Pässe und sonstigen Dokumente anerkennen. Außerdem tritt Moskau in Konsularbeziehungen mit den beiden De-facto-Staaten.“ (RIA Novosti, 28.4.08)

Mit der Verleihung russischen Staatsbürgerrechts an die dort agierenden Separatisten hat sich Russland schon vor geraumer Zeit den passenden Rechtstitel für eine solche Politik geschaffen; und der wird nun mobilisiert: Man lässt die andere Seite wissen, dass man zur Verteidigung der eigenen Landsleute auch Gewalt einsetzen wird:

„Russland hat angekündigt, seine Bevölkerung in den abtrünnigen georgischen Regionen Abchasien und Südossetien notfalls auch mit Waffengewalt zu verteidigen. ‚Sollte ein militärischer Konflikt ausbrechen, müssen wir reagieren und werden das auch mit militärischen Mitteln tun‘, sagte Valeri Kenjaikin, ein ranghoher Vertreter des russischen Außenministeriums, am Freitag in Moskau.“ (RIA Novosti, 27.4.08)

Zur Bekräftigung seiner Ansprüche werden die russischen Friedenstruppen in Abchasien aufgestockt, und mit dem Abschuss georgischer Drohnen wirft man die Frage auf, wer die Lufthoheit über Abchasien besitzt.

***

Mit der Staatswerdung des Kosovo ist die Weltgeschichte um einen Treppenwitz reicher. Der neue Souverän erfüllt einerseits alle Merkmale, die man einem failed state zuschreibt: Er verfügt über keine ökonomische Lebensgrundlage; Clanwesen, Korruption und organisiertes Verbrechen blühen und gedeihen, verfeindete Volksteile liefern sich erbitterte Auseinandersetzungen. Nur in einer Hinsicht unterscheidet er sich davon: von bad governance, ansonsten Grundmerkmal jedes failed state, kann hier keine Rede sein. Hier regieren ja auch die Richtigen. Hinter dem neuen Souverän steht nicht weniger als die Macht der Vereinigten Staaten, denen der militärstrategische Bedarf nach einem ganzen Land als Militärstützpunkt im Vorfeld Russlands und der EU glatt eine Staatsgründung neuen Typs wert ist. Amerika und die EU haben den Laden unter Kontrolle, good governance ist damit gewissermaßen definitionsgemäß gegeben; also doch kein failed state.

[1] Wie andere Angehörige der albanischen Volksgruppe auf dem Balkan sind auch die meisten Kosovo-Albaner stolz darauf, das ‚proamerikanischste Volk in Europa‘ zu sein. (Radio Free Europe Radio Liberty, 13.2.08)

[2] Seitdem gilt: Unsere Vision für das Kosovo ist ein demokratischer, friedlicher multiethnischer Staat, der unwiderruflich auf dem Weg ist zur Mitgliedschaft in Nato und der EU. (US-Staatssekretär Burns, 17.4.07)

[3] Offiziell wurde die UCK am 20.9.1999 aufgelöst. Faktisch wurde sie in verschiedene Nachfolgeorganisationen transformiert, u.a. das Kosovoschutzkorps, das nach Vereinbarung mit der KFOR gegründete wurde: Bis zu 3.000 ehemalige UCK-Mitglieder, geführt von UCK-Offizieren. Weitere Teile der UCK befinden sich in Mazedonien (nach eigenen Angaben ca. 5000 Mann) und in Südserbien.

[4] Weil in der deutschen Übersetzung der Stil der Mitteilung nicht gut rüberkommt, hier noch der Originalton: What you do is you get your diplomats working with Russian diplomats, as well as EU diplomats, to see if there is not common ground. In other words, there has to be an effort to see if we can‘t find a way for everybody to say, well, it’s a good idea. And if you end up being in a position where you don‘t, at some point in time, sooner rather than later, you‘ve got to say enough is enough, Kosovo is independent. And that’s the position we‘ve taken.

[5] In der ideologischen Bewältigung des Einschwenkens auf die amerikanische Linie wird aus der Not die reine Tugend. Das schöne Motiv des Helfens steht im Vordergrund: Unabhängigkeit muss sein, damit das tapfere Volk der Kosovaren seinen Freiheitswillen nicht verliert. Unabhängigkeit aber auch, damit „die Menschen“ dort unten endlich blühende Landschaften bekommen, von der EU wie gewohnt spendiert, auf jeden Fall so „großzügig“ dimensioniert, dass Serben und Albaner darüber glatt Grenzen, Missgunst, Hader und Streit vergessen, wie die anderen EU-Völker auch:

„Die Wiederherstellung einer wie auch immer gearteten Herrschaft Serbiens über die Kosovo-Albaner war wegen der damit in der Vergangenheit verbundenen Diskriminierung und Unterdrückung undenkbar. Eine Fortdauer des Status quo indes hätte die zurückgebliebene politische und wirtschaftliche Entwicklung in dieser ärmsten Region des früheren Jugoslawiens weiter behindert.

So gesehen ist die von den Kosovaren in enger Abstimmung mit wichtigen westlichen Regierungen getroffene Entscheidung für die einseitige Ausrufung der Unabhängigkeit zwar nur die zweitbeste Lösung, aber auch der einzig richtige Weg. Die Forderungen Ahtisaaris werden nun ohne UN-Mandat zu Gesetzen. Auch die zivile Mission der EU zum Aufbau eines Rechtsstaats im Kosovo wäre mit einem klaren Auftrag der Vereinten Nationen besser gefahren. Doch die Union kann sich ihrer Verantwortung für diese Region mitten in Europa nicht entziehen. Nur die Aussicht auf eine EU-Mitgliedschaft bietet dem neuen Staat und auch Serbien eine Zukunftsperspektive, weil damit großzügige Hilfsversprechen verbunden sind und selbst frischgezogene Grenzen ihre Bedeutung wieder verlieren.“ (FAZ, 18.2.08)

[6] Außenminister Carl Bildt ... betonte, Schweden habe lange gezögert, die Unabhängigkeit der Region anzuerkennen, da sich diese ‚einzigartige Situation‘ im ‚Graubereich des Völkerrechts‘ befinde. (RIA Novosti, 4.3.08).

[7] Die einschlägigen Reaktionen haben auch nicht lange auf sich warten lassen: Der Sprecher der Baskischen Regierung, Miren Azkarate, erklärte heute, dass der Prozess der Unabhängigkeit des Kosovo eine ‚Lehre bedeute über die friedliche und demokratische Lösung von Identitäts- und Zugehörigkeitskonflikten‘. (Die spanische Nachrichtenagentur EFE, 17.02.2008)

[8] ‚Die Unabhängigkeit des Kosovos ist ein Präzedenzfall, dem alle EU-Staaten mit einer ethnischen Minderheit folgen sollten‘, sagte der Vorsitzende der Union Demokratischer Ungarn in Rumänien, Bela Marko, in Bukarest. Damit bestätigte Marko die schlimmsten Befürchtungen der Regierung in Bukarest. (netzeitung.de, 18.2.08)

[9] Mit diesem vertrackten Imperialismus seiner Nation kommt ein spanischer Sozialwissenschaftlerverein einfach nicht mehr zurecht: Wie kann man die Präsenz unserer Soldaten in einem Territorium rechtfertigen, das wir nicht als Staat anerkennen, und um eine Lage zu konsolidieren, die wir ablehnen? (F. Portero, „Weiß jemand, warum unsere Truppen im Kosovo bleiben?“, papeles faes, 09.04.08)

[10] Der für die Region zuständige US-Beamte hat dafür den Ausdruck multi-year mission geprägt. (Daniel Fried, Testimony Before the Senate Foreign Relations Committee, 4.3.08)

[11] Dass man auf Bitten der kosovarischen Regierung die Aufsicht übernimmt, ist ein diplomatischer Schachzug, mit dem russischen Einsprüchen gegen den Übergang der Aufsichtrechte von der von der UNO beauftragten UNMIK in die Alleinzuständigkeit der Amerikaner und Europäer die rechtliche Grundlage genommen werden soll. Russland wehrt sich gegen die Tilgung seiner in der UN-Mission immer noch formell fortexistierenden Mitzuständigkeit, indem es für den Abzug der UNMIK eine neue UN-Resolution verlangt. Daher schauen bis auf Weiteres zwei Aufsichtsmissionen im Kosovo nach dem Rechten.

[12] Dieses politisierte Clan-Leben hat mittlerweile eine rekordverdächtige Zahl von Parteien hervorgebracht: 43 Parteien kämpfen in dem Zweimillionenvolk um die entscheidende Einkommensquelle, die Teilhabe an der politischen Macht.

[13] Aus einem vertraulichen Protokoll über das Gespräch des politischen Direktors im slowenischen Außenministerium Drobnic mit den Gesprächspartnern der US-Regierung; im folgenden als „Drobnic-Protokoll“ zitiert; State Department und National Security Council, 24.12.07

[14] Die Vereinigten Staaten werden mit den Niederlanden sprechen – wenn diese Serbien zum SAA zulassen, werden sie der Region mehr helfen, als wenn sie wie bisher auf der Einhaltung der Bedingungen des Internationalen Strafgerichtshofs beharrten. Es könnte vielleicht helfen, wenn der neue Ankläger des Internationalen Strafgerichtshofs, Brammertz, sofort nach Neujahr Serbien besucht und ihnen eine positivere Benotung erteilt, als es Carla Del Ponte im letzten Bericht getan hat. (Drobnic-Protokoll)

[15] Homepage der serbischen Regierung, 30.4.08. Die aufgelisteten ersten Erfolge bestehen – neben einem Abkommen von FIAT mit dem serbischen Hersteller Zastava – in der Hauptsache in der Erhöhung von Exportquoten für Serbien in die EU (15 Tonnen Forellen, 60 Tonnen Karpfen, etc.) und im Versprechen, die serbische Initiative für die Abschaffung der Gebühr von 35 € für das Schengen-Visum zu unterstützen. (srbija.sr.gov.yu, 30.4.08). Hocherfreulich, meint der Korrespondent der SZ, und Grund genug für fast 70 % der (serbischen) Bürger, die Unterschrift unter das Abkommen (zu) begrüßen. (SZ, 2.5.08).

[16] swiss-info.ch, 29.4.08.