16 Jahre Merkel: Eine alternative Bilanz (5)
‚Querdenker‘ – ‚Demokratischer Widerstand‘ – ‚Freie Sachsen‘

Rebellion aus lauter Identität mit den kapitalistischen Lebensverhältnissen

Bei seinem Kampf um die Volksgesundheit in Pandemiezeiten trifft der bundesdeutsche Staat auf eine neue Art Gegnerschaft. Der Verfassungsschutz diagnostiziert einen neuen, „den Staat delegitimierenden Extremismus“, der natürlich nicht geduldet werden kann, weil die Staatsmacht schließlich ein Recht darauf hat, von den Bürgern als legitime Herrschaft anerkannt zu werden. Die andere Seite sieht sich ebenfalls im Recht, wenn sie gegen „Freiheitsberaubung“ und „Corona-Diktatur“ aufsteht.

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16 Jahre Merkel: Eine alternative Bilanz (5)
‚Querdenker‘ – ‚Demokratischer Widerstand‘ – ‚Freie Sachsen‘
Rebellion aus lauter Identität mit den kapitalistischen Lebensverhältnissen

Bei seinem Kampf um die Volksgesundheit in Pandemiezeiten trifft der bundesdeutsche Staat auf eine neue Art Gegnerschaft. Er sieht sich konfrontiert mit Protest gegen seine seuchenpolitischen Maßnahmen, mit offensiver Missachtung der verordneten Hygieneregeln sowie mit Hassattacken auf Politiker. Der Verfassungsschutz diagnostiziert einen neuen, den Staat delegitimierenden Extremismus, der natürlich nicht geduldet werden kann, weil die Staatsmacht schließlich ein Recht darauf hat, von den Bürgern als legitime Herrschaft anerkannt zu werden. Die andere Seite sieht sich ebenfalls im Recht, wenn sie gegen Freiheitsberaubung und Corona-Diktatur aufsteht: Wo Recht zu Unrecht wird – so ihre erzdemokratische Rechtfertigung – wird Widerstand zur Pflicht!

Wenn Gastwirte, die ihr Lokal schließen müssen, Solo-Selbstständige, die ihr Einkommen verlieren und auf staatliche Hilfen angewiesen sind, Naturheilkundler, die ihr Immunsystem durch Impfungen bedroht sehen, gestresste Eltern im Homeoffice und Anhänger der Clubszene, die tanzen wollen, sich zum Querdenken entschließen, dann ärgern sie sich nur in erster Instanz über die Wirkungen der seuchenpolitischen Eingriffe des Staates. Ihre verschiedenen, von der läppischen Zumutung der Maske bis zur Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz reichenden Betroffenheiten vereinheitlichen sie und lassen sie aufgehen in dem ungeheuren Vorwurf, die verfassungsmäßige Freiheit werde abgeschafft. Sie legen sich quer gegen den für sie unfassbaren nationalen Konsens, der die Corona-politischen Verordnungen als vernünftig, weil in der gegebenen Situation nötig, akzeptiert. Die Hinnahme der Eingriffe ins hohe Gut der Freiheit erklären sie sich als Produkt einer Gleichschaltung der Meinungen, für die sie die Politiker, die zusammen mit dem medizinischen Sachverstand das Virus hochjazzen, die „Lügenpresse“, die alternative Auffassungen totschweigt, vor allem aber staatsgläubige Bürger verantwortlich machen, die sich von ein bisschen Angstmache so billig ihre Freiheit abhandeln lassen und brav gehorchen, wenn die Herrschenden befehlen. Dem Meinungsterror dieser geschlossenen Front widersetzen sie sich als die wahren Demokraten, die sich eigene Gedanken und ihre Selbstbestimmung nicht verbieten lassen: Sie bestreiten dem Konsens seine Vernunft und dem Staat jedes Recht zu seinen Eingriffen.

Verbote können kein Schutz sein!

Querdenker sind, wie alle Bürger, damit konfrontiert, dass die Regierung in der pandemischen Notlage anders verbietend und verpflichtend in ihren Alltag eingreift als in normalen Zeiten. Sie rückt von der üblichen gesundheitspolitischen Praxis ab, es den Individuen zu überlassen, selbst auf ihre Gesundheit zu achten oder auch nicht, sich der Angebote des Gesundheitssystems zu bedienen oder es zu lassen. Um Zahl und Geschwindigkeit der Ansteckungen mit dem Virus zu senken, erlässt die Regierung Kontakt- und Zugangsbeschränkungen, eine Masken- und – vielleicht – eine Impfpflicht: Vom Einzelnen ist verlangt, die Gefahr, die er als möglicher Überträger des Virus für andere darstellt, zu begrenzen. Unabhängig von der und auch gegen die persönliche Einschätzung dieser Gefahr wird er für die Volksgesundheit in die Pflicht genommen. Das ist der Übergriff auf die Freiheit der Bürger, für den der Corona-Protest keine gesundheitspolitische Rechtfertigung gelten lässt.

„In den Medien wird immer wieder darüber berichtet, dass wir gegen die ‚Corona-Schutzmaßnahmen‘ demonstrieren. Diese Behauptung ist irreführend und am Thema vorbei: Es sind keine Schutzmaßnahmen, sondern Verbote, die die Abwehr- und Freiheitsrechte aller Bürger und Bürgerinnen gegenüber dem Staat massiv beschneiden. Wären es tatsächlich ‚Schutzmaßnahmen‘ und wären sie insbesondere verhältnismäßig, würden nicht so viele Gerichte per Urteile diese Maßnahmen immer wieder für unverhältnismäßig und verfassungswidrig erklären.
Wären es Schutzmaßnahmen, gäbe es nicht so viele Kollateralschäden, angefangen bei der mentalen Gesundheit, bei der die Depressionen und Suizide in die Höhe schnellen, weitergehend zur Wirtschaft, die kurz vor dem Kollaps steht, bis hin zum Gesundheitswesen, welches zusammengekürzt wird, mit geschlossenen Kliniken und Abbau von Intensivbetten.“ [1]

Auf die medizinische Logik der diversen Verbote und Pflichten lassen sich Querdenker nicht ein. Schutz für sie kann nicht vorliegen, wo ihnen so viel verboten wird; umso weniger, als mit dem angeblichen Schutz noch „Kollateralschäden“ an anderer Stelle einhergehen. Was ihnen gesundheitlich und überhaupt guttut, wissen sie selbst am besten. Von niemandem lassen sie sich sagen, wie sie mit ihrem Körper umzugehen haben; am wenigsten vom Staat.

Als Beweis für die Unrechtmäßigkeit des Angriffs auf ihre verfassungsmäßigen Freiheits- und Abwehrrechte beruft sich die Querdenker-Szene auf Gerichtsurteile, die Pandemie-Maßnahmen in einigen wenigen Fällen als unverhältnismäßig weitgehende, für den Schutz der Volksgesundheit nicht unbedingt nötige Eingriffe in das Treiben der Bürger verwerfen. Das Relative und Abwägende dieser Entscheide ignoriert sie dann ebenso großzügig wie die überwiegende Zahl anderer Urteile, die solche Verordnungen bestätigen. Von der Rechtsprechung lässt sie sich Recht geben, wo sie ihr zupasskommt; wo nicht, zählen Urteile nichts. In ihrer Auffassung, dass sie das Freiheitsversprechen der Verfassung auf ihrer Seite hat und der Staat gegen alles Recht den Bürgern ihre Freiheit stiehlt, lässt sich die Szene jedenfalls nicht irritieren.

Die Querdenker und ihre Freunde machen die Bürgerfreiheit gegen ihren staatlichen Garanten geltend

Sie fordern vom Staat die Rückgabe ihrer Freiheit, die er ihnen offenbar nehmen kann. Dass er es dann aber auch ist, der ihnen ihre Freiheit in normalen Zeiten gewährt, dass er sich mit diesem Gewähren als souveräne Macht über den Bürgern präsentiert und ihnen mit der Freiheit auch deren Grenzen und Bedingungen vorsetzt, mit denen sie zurechtkommen müssen – das alles hat keinen Platz im Denken dieser Freiheitshelden. Im Gegenteil: Wo von einem Gewähren der Freiheit die Rede ist, sehen sie schon den Anfang von ihrem Ende:

„Niemand gewährt mir Freiheit. Ich bin frei!“ [2]

Selbstbewusst stellt sich der Wiener Demonstrant auf den Standpunkt der eingerichteten Freiheit und nimmt als sein Recht und seinen Besitzstand in Anspruch, wie er tatsächlich praktisch in der Welt steht: In seiner Privatsphäre ist er frei, kein Diener irgendwelcher Herren, nur im eigenen Interesse unterwegs. In dieser Perspektive kennt er den Staat nicht als Hoheit über sich, der er gehorcht, sondern umgekehrt als Schutzmacht und Diener an seiner Freiheit – jedenfalls so lange, wie ihm dieser nicht behindernde Vorschriften macht. Übertriebene Vorstellungen vom hohen Gut der Freiheit macht sich seinesgleichen dabei gar nicht:

„Also ich konnte meine Eigenverantwortung und meine Freiräume in meinem Leben bisher gut nutzen und ausleben. Also ich habe sonst die Erfahrung nicht gemacht, dass ich mich gefühlt habe wie ein kleines Kind, so, was von oben herab Dinge vorgeschrieben bekommt, die einfach eigentlich niemand anderen was angehen.“ [3]

Der Alltag vor Corona ist das Reich der Freiheit, die sie meinen. Dass der geschätzte „Freiraum“ – das Wort sagt es schon – Grenzen hat und unter Bedingungen steht, ist überhaupt nicht unbekannt, aber auch kein Einspruch gegen die ungetrübte Selbstbestimmung. Es sind eben Bedingungen, in denen man sich eingerichtet hat und mit denen zurechtzukommen man gewohnt ist. Sie werden positiv genommen als Mittel und Ermöglichung des eigeninteressierten Umgangs mit ihnen. Und dass sie zugleich Schranken der Freiheit sind, wird auch begrüßt, als Schutz gegen die anderen nämlich, die mit dem Überschreiten der Grenzen ihrer Freiheitsräume die eigene Freiheit bedrohen. Gerade die staatlich gezogenen Schranken der Freiheit sind zugleich willkommene Garantien für sie. Nicht nur ‚Freie Sachsen‘, alle Demokraten kennen und akzeptieren die ihnen gezogenen Grenzen unter dem gemütlichen Ausdruck: Durchsetzung äußerer Spielregeln des Zusammenlebens. Gegen die und gegen deren gewaltsame Durchsetzung hätten sie nichts einzuwenden – wenn sich der deutsche Staat denn darauf beschränken würde. Das aber tut er spätestens seit Corona nicht mehr: Freiheit, Leben, Ehre und Eigentum sind die einzigen Rechtsgüter, deren Schutz Strafnormen zu dienen haben. Was darüber hinausgeht, sind obrigkeitliche Eingriffe in die Privatautonomie und die Vertragsfreiheit, die das für ‚Freie Sachsen‘ einsehbare Minimum überschreiten. [4]

Dass der staatliche Schutz der Freiheit und des jeweiligen Eigentums ökonomische Beziehungen definiert und die Mitmacher im bunten Volk der Corona-Demonstranten auf sehr verschiedene Rollen im Gemeinschaftsleben festlegt – auch das ist diesen stolzen Freien selbstverständlich, aber eben überhaupt kein Problem, weil es ihre Rollen sind, deren Ausfüllung sie als ihre Lebensaufgabe ergriffen haben: Den alltäglichen Notwendigkeiten der marktwirtschaftlichen Konkurrenz zu gehorchen ist ihre ganze Freiheit. Dabei beschränkt, behindert, auf irgendetwas anderes als die akzeptierten Zwänge des Gelderwerbs und des Geldausgebens hingelenkt zu werden ist Knechtschaft.

„Ein zunehmend übergriffiger Staat, der immer mehr versucht, in das Privatleben seiner Bürger und Bürgerinnen einzugreifen, sowie Politiker und Politikerinnen, die sich anmaßen, die Menschen zu erziehen, und ihnen vorschreiben wollen, was sie zu denken und wie sie zu leben haben, gibt es nicht erst seit Corona. Mit Corona haben sich die bereits bestehenden Verhältnisse nur nochmal verschärft.“ [5]

Darüber, wo genau die heikle Grenze zwischen dem legitimen Durchsetzen von „Spielregeln“ und gängelnden Übergriffen auf freie Bürger zu ziehen ist, gibt es unter Querdenkern die unterschiedlichsten Vorstellungen je nach dem Grad der individuellen Freiheits-Empfindlichkeit. Einig sind sie darin, dass diese Grenze mit „Gesundheitsdiktatur“ und Impfpflicht überschritten ist, der Staat also gegen das Mandat verstößt, das ihm erteilt zu haben sie sich einbilden.

Normalbürger radikalisieren sich und entdecken bei ihrem Staat totalitäre Herrschaft

Freiheit ist das Recht der Bürger, ihre Beschränkung ein nicht zu rechtfertigendes Unrecht, für das also die allerschlechtesten Gründe vorliegen müssen. Weil die Freiheit pandemiebedingt eingeschränkt wird, muss Unterjochung wohl der eigentliche und ganze Zweck dieser Politik sein. Sie ist nicht nur ein Übergriff auf die Freiheit der Bürger, sie will es sein und die freiheitliche Gesellschaft überhaupt abschaffen.

„Die treibende Motivation der Herrschenden ist Macht. Sie sind süchtig nach Macht. Und diese Macht erreichen sie am besten durch Kontrolle der Bevölkerung.“ (Ebd.)

Denjenigen, die ihrem Wahlamt entsprechend die politische Herrschaft ausüben, soll es um Macht pur und dafür um totale Kontrolle gehen. Aus der Politik, die sie treiben, wird so ein reines Bestimmen-Wollen, das zu nichts weiter gut ist, als dass sie eben über andere bestimmen: ein maßloser, verrückter Selbstzweck.

Mit diesem Verständnisschlüssel im Kopf erschließt sich dann manchem der geheime, totalitäre Sinn, der hinter der angeblichen „Virus-Abwehrschlacht“ steckt:

„Der Angriff der Regierungen auf die Bevölkerungen zielt ... jenseits der ‚Virus-Abwehrschlacht‘ in Verbindung mit dem Impfterror auf die körperliche Unversehrtheit der Menschen. Denn es handelt sich bei dem ‚4. Bevölkerungsschutzgesetz‘ zusätzlich um ein Projekt zur Schwächung der ‚Volksgesundheit‘: durch verordneten Bewegungsmangel, soziale Distanzierung und Isolierung, Hygieneterror, Schulschließungen, psychische Unterdrückung, permanente Stresserzeugung, Verbot sozialer Kontakte, Verbot von Sportereignissen, der Unterdrückung jedweder Kultur und politischer Betätigung, kurz: aller Freuden des Lebens. Was nur eine Minderheit erkennt: Im Kern geht es auch um einen Versuch zur Abschaffung des gesamten öffentlichen Raumes!“ [6]

Die bekannten Schäden, mit denen das staatliche Pandemie-Management kalkulierend umgeht, werden mit dem Gestus der Entlarvung als himmelschreiende Skandale präsentiert, die für sich sprechen. Und damit sie das auch tun, überzeichnen die Kritiker sie ins Absurde: Maßnahmen zum Schutz der Volksgesundheit zielen in Wahrheit auf ihre Unterminierung, Kontaktverbote sollen die demokratische Öffentlichkeit abschaffen; aus den Gesichtsmasken, die alle lästig finden, wird ein Folterinstrument; aus der Impfspritze eine tödliche Waffe, im Vergleich zu der das Virus harmlos ist. Jede Erinnerung an das Wozu der Beschränkungen, die die Pandemie-Politik verordnet, durchschauen die Autoren als ein verharmlosendes Kleinreden des Staatsterrors, den sie am Werk sehen; das Verhältnis von pandemischem Anlass und darauf reagierenden Staatsmaßnahmen stellen sie auf den Kopf: Dem rundum bösen Willen der Regierenden kommt das Virus gerade recht für das Unterdrückungsregime, das sie ohnedies errichten wollen. Wahlweise ist es in geheimen Labors gezüchtet oder gleich reines Fake, um den entsprechenden Vorwand zu liefern. In diesem intellektuellen Milieu werden die wildesten Verschwörungstheorien zur verzeihlichen Marotte, weil ihr Vertreter letztlich schon das Richtige meint, wenn er etwas übertreibt:

„Danach werden sie Beruhigungsmittel ins Wasser kippen, Militär einsetzen, Anschläge verüben (Atommeiler hochjagen wie Brockdorf), Drohnen einsetzen, Lockdown ausrufen, Todesspritze verordnen, Deutschland in 5km Sektoren unterteilen, Supermärkte schließen, Lebensmittel verknappen, Menschen hungern lassen, Ausgangssperren verordnen, Konzentrationslager für Corona-Positive errichten, euch eure Kinder wegnehmen und ihr Blut abzapfen.“ (Attila Hildmann)

Gegen die Abschaffung, nicht mehr nur ihrer, sondern der Freiheit als gesellschaftliche Verkehrsform überhaupt, ziehen die Aufrechten mit der französischen Revolution nachempfundenen Parolen „Freiheit, Frieden, Menschenrechte!“ durch die Städte und prangern das Unrecht ihrer Unterdrückung an, indem sie sich die heiligsten Symbole der Nation für verfolgte Unschuld und gemordete Standhaftigkeit, Judenstern und Sophie-Scholl-Plaketten anheften.

Politische Antworten auf die Frage: Woher dieser Abgrund an Freiheitsverrat?

Die empörten Bürger, die sich keinen legitimen Grund vorstellen können, warum ihr Staat ihnen ihren kapitalistischen Alltag, dessen Prinzipien er sonst schützt und verbindlich macht, verbieten sollte, bekommen von anderer Seite Gründe geboten, warum die Regierenden es dennoch tun; und zwar von politischen Kräften, die selbst ganz anderes bewegt als Ärger über die Seuchenpolitik, die aber in der Entfremdung von Teilen des anständigen Volkes von seiner Obrigkeit die Chance sehen, für ihre eigene Entfremdungsdiagnose Anhänger zu werben und den Freiheitsfanatikern klarzumachen, welchen hohen Wert bzw. welches Subjekt die Volksverräter in Wahrheit schänden.

Da sind einmal die radikalen Rechten. Ein Sprecher der „Identitären Bewegung“ wanzt sich bei den Freiheits-Verteidigern an, indem er ihrem Verfolgungswahn Realismus attestiert: eine gesunde, materiell belegbare Einschätzung über den Zustand der Welt. Sie mögen sich zwar oft in mythomanischen, personalisierenden Idiosynkrasien ergehen, tendieren aber notwendig nach rechts und ins bodenständige national-patriotische Lager. [7] Dafür, dass die Tendenz auch zum Durchbruch kommt, präsentiert er ihnen seine durch und durch nüchterne Sicht der Dinge, der zufolge viel mehr im Argen liegt als bloß der staatliche Umgang mit dem Virus: Die Republik ist globalistisch-linksliberal unterwandert. Eine volksfeindliche Clique um Merkel und ihre Nachfolger liebt ihr selbstbewusstes deutsches Volk nicht und überschwemmt das Land mit Fremden. Durch „Umvolkung“ will sie sich ein anderes Volk schaffen, das besser zum Unterdrückungswillen der Herrschenden passt. Die Schwächung der Volksgesundheit durch gefährliche immunologische Massenexperimente und wiederkehrenden Hausarrest fügt sich bestens ein in das Projekt, das ursprüngliche Volk durch eine global durchmischte, identitäts- und willenlose, leicht lenkbare Masse zu ersetzen.

Die Reichsbürger, die es auch schon länger gibt, haben mit viel alternativer Rechtskunde umgekehrt herausgefunden, dass der existente Staat nicht zum Volk passt, nicht die wahre Obrigkeit der Deutschen ist: Die Bundesrepublik ohne formellen Friedensvertrag und valides Gründungsdokument betrachten sie als einen Scheinstaat ohne Souveränität, den es eigentlich gar nicht gibt. Das Recht, das er gleichwohl flächendeckend durchsetzt, ist reine Schikane, die jetzt um obrigkeitlichen Hygieneterror ergänzt wird.

Die Freien Sachsen vermissen noch auf andere Weise das rechte Passungsverhältnis von Staat und Volk: Sie wollen entdeckt haben, dass sie einer Berliner Fremdherrschaft unterliegen, ihr unfreier Freistaat seinem freien Volk daher gar nicht entsprechen kann.

Es gibt offenbar nicht sehr viele Varianten, sich im tiefen Glauben an eine eigentliche Harmonie von politischer Herrschaft und beherrschtem Volk über deren Abwesenheit aufzuregen. Aber eine linke Variante gibt es schon noch: Sie weiß – das ist das Linke an ihr – dass hinter der Gesundheitsdiktatur nicht einfach machtgeile Personen stecken, sondern System. Dass der Staat nicht im Sinn des Volkes, sondern gegen es agiert, erklärt diese linke Abteilung – wie könnte es anders sein – mit der Krise des Kapitalismus, dem universellen Sachzwang zum Kujonieren der Massen: Weil das bisherige Akkumulations- und das mit ihm verbundene exzessive Globalisierungsmodell der letzten etwa 50 Jahre an seine Grenzen gekommen war, haben die Herrschenden beschlossen, die Reißleine zu ziehenund so ‚ereignete‘ sich seit März 2020 das, was die Menschheit als Corona-Krise zu gewärtigen hat. [8] Was das Virus und die staatlichen Maßnahmen gegen seine Verbreitung mit einem Akkumulationsmodell und dessen Grenzen zu tun haben? Bill Gates und die Drahtzieher vom Davoser Weltwirtschaftsforum werden es schon wissen... Auch linksherum lässt sich ein geheimer Zusammenschluss der Mächtigen beschwören, in dessen Licht die Corona-Politik ihren wahren Sinn offenbart: Der finanzkapitalistisch-staatsterroristisch-militärisch-industrielle Kommunikationskomplex betreibt die Rettung eines unhaltbar gewordenen Akkumulationsmodells. [9]

Letzteres ist den normal unzufriedenen, queren Bürger*innen, die im Mit-Latschen auf Anti-Corona-Demos ihre Freiheit genießen, wahrscheinlich zu quer. Aber es langt ja fürs Mitmachen, was den Verfassungsschutz mit seinem „rechts/links/Ausländer“-Schema vor Rätsel stellt: Querdenker und -innen brauchen es gar nicht ausdrücken zu können – sie leben, jedenfalls in den beseligenden Viertelstunden ihrer Umzüge, den Schwindel vom selbstbestimmten Kollektiv Gleichgesinnter, das vor und unabhängig von seiner verhaltensauffälligen Regierung existiert und als Auftraggeber über ihr steht; also vom Volk, das in ihrer Fantasie von niemandem beherrscht wird als von sich selbst. Aus diesem Hochgefühl frisch entdeckter Selbstbestimmung heraus animieren sie den Rest der nationalen Herde, die von der „Lügenpresse“ in die Irre geführten „Schlafschafe“, zum Ausgang aus ihrer selbstverschuldeten Unmündigkeit: „Denk doch mal selber nach!!!“

Das geht ganz leicht. Mit-Spazieren reicht: für den Genuss der Zugehörigkeit zu einer Gemeinde, die sich durch das Recht auszeichnet, „die anderen“ zu verachten. Nämlich als dumme Masse, die mit ihrem Gehorsam selbst erzeugt, worunter sie sich unterwirft: Tyrants don’t create the tyranny. Your obedience does.[10]

Selbsteln macht frei; „die anderen“ doof finden verbindet. So geht Oppositionsgeist heute.

[1] Pressemitteilung zur bundesweiten Demonstration in Stuttgart am 3.4.21, presse.querdenken-711.de

[2] Demo-Parole, Wiener Corona-Protest.

[3] Aus einer Demonstranten-Befragung: Nadine Frei/Oliver Nachtwey, Quellen des „Querdenkertums“. Eine politische Soziologie der Corona-Proteste in Baden-Württemberg, Studie für die Heinrich-Böll-Stiftung Baden-Württemberg, November 2021 (online unter boell-bw.de), S. 23

[4] Freie Sachsen: Wofür wir stehen, freie-sachsen.info

[5] Matthias Klingenmeyer: Auf leisen Sohlen. Die Nacht bricht nicht plötzlich herein – der Faschismus ergreift oft ganz allmählich von einer Gesellschaft Besitz und wird nicht sofort erkannt, 26.11.21, rubikon.news

[6] Anselm Lenz/Ullrich Mies, Der Ausnahmezustand als Regel. In: Ullrich Mies (Hrsg.), Schöne neue Welt 2030. Vom Fall der Demokratie und dem Aufstieg einer totalitären Ordnung, Wien 2021, S. 29 – 38, hier: 34

[7] Martin Sellner, Der Aufstand der Verschwörungsgegner, 20.5.20, sezession.de

[8] Mies, a.a.O., Die Diktatur des „Globalen Tiefen Staates“, S. 103 – 129, hier: 105

[9] Mies, a.a.O., Einleitung, S. 21 – 26, hier: 22

[10] Amerikanische Spruchweisheit, zitiert von Peter Koenig, Dystopie – Globalisten gegen die Völkergemeinschaft. In: Mies, a.a.O., S. 141 – 153, hier: 152