Giftgas in Syrien
Die Weltführungsmacht statuiert ein Exempel ihrer Glaubwürdigkeit
Ende August werden im syrischen Bürgerkrieg Chemiewaffen eingesetzt. Die westliche Welt gibt sich entsetzt, weiß sofort, das dafür Assad verantwortlich ist und leitet daraus den dringlichen Auftrag ab, den Mann endlich seiner gerechten Strafe zuzuführen. Kein Geheimnis ist, an wen in erster Linie der Antrag auf tätiges Eingreifen adressiert ist. „Entschlossenes Handeln“ erwartet man von der westlichen Führungsmacht. Deren Präsident bleibt in Sachen moralischer Betroffenheit prompt nichts schuldig. Er handelt auch sehr entschlossen, im Endeffekt dann freilich doch nicht so, wie es sich nach der Auffassung der Öffentlichkeit gehört, nämlich mit einer eindrucksvollen Aktion überlegener militärischer Gewalt. Prompt kommt die Frage auf, wie es um die „Führungsstärke“ Amerikas bestellt ist. Mit ihrem parteilichen Fanatismus, die USA wären ihr und der Welt eine glaubwürdige „Strafaktion“ und gewaltsame Abschreckung unliebsamer Machthaber schuldig, entgeht der Öffentlichkeit völlig, wie die USA Syrien zum Beweisfall ihrer Weltführungsmacht machen.
Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Giftgas in Syrien
Die Weltführungsmacht statuiert ein
Exempel ihrer Glaubwürdigkeit
Ende August werden im syrischen Bürgerkrieg Chemiewaffen
eingesetzt, denen Berichten zufolge 1000 bis 1500
Menschen zum Opfer fallen. Die westliche Welt gibt sich
entsetzt. Der Tat eines Machthabers, der sein eigenes
Volk vergast
, will sie den ultimativen Beweis seiner
verbrecherischen Natur entnehmen und leitet daraus den
dringlichen Auftrag ab, den Mann endlich seiner gerechten
Strafe zuzuführen:
„Hat sich der Westen an die tägliche Gewalt so gewöhnt, dass Assad nun darauf bauen kann, dass westliche Politiker auch dann wegschauen, wenn sich kleine Kinder unter Muskelkrämpfen zu Tode zittern, ihnen die Tränen aus den Augen schießen und Schaum aus dem Mund?“ (Spiegel Nr. 35, 26. 8. 13)
Kein Geheimnis ist, an wen in erster Linie der Antrag auf
tätiges Eingreifen adressiert ist, der hier unter
Anrufung des Kollektivsubjektes ‚der Westen‘ ergeht:
Entschlossenes Handeln
erwartet man sich von
dessen Führungsmacht. Deren Präsident bleibt in
Sachen moralischer Betroffenheit prompt nichts schuldig.
Er handelt auch sehr entschlossen, im Endeffekt dann
freilich doch nicht so, wie es sich nach der Auffassung
von nicht wenigen gehörte, die in den Naturgesetzen von
Schuld & Sühne bewandert sind. Diesen guten Menschen
steht zur Vollstreckung der höheren Gerechtigkeit eine
der Dimension der Tat entsprechende und dementsprechend
eindrucksvolle Aktion gerechter Gewalt vor Augen, und
nicht wenige übersetzen ihre in dieser Hinsicht
enttäuschten Erwartungen in Zweifel, wie es um die
Führungsstärke
des amerikanischen Präsidenten
bestellt sein mag. In ihrem Moralismus entgeht ihnen
einfach alles an einem kleinen Kapitel der
eindrucksvollen Demonstration dessen, was sie vermissen.
I. Eigentümlichkeiten einer zurückhaltenden Strafaktion
Denn beim Herrn Friedensnobelpreisträger gehört die Moral
zum Handwerkszeug des Gewerbes, das er hauptberuflich
ausübt. Wenn der vor aller Welt seine tiefe menschliche
Betroffenheit über das Massaker in Syrien bekundet, dann
kehrt da nicht irgendeiner sein bewegtes Innerstes nach
außen: Da meldet sich der Führer der Weltmacht als
Repräsentant des Weltgewissens zu Wort, und das ist in
seinem Fall eine durchaus praktische Fiktion. Obama
versteht sich als Vertreter eines auch das Kriegführen
betreffenden Sittengesetzes, das die Staatengemeinschaft
in ihrem Verkehr untereinander für verbindlich erklärt
und dem UN-Sicherheitsrat, dem höchsten Organ ihrer
Körperschaft, zur ideellen Verantwortung übertragen hat.
Ideell insofern, als aus Verstößen gegen die
internationalen Rechtsregeln immer nur dann
überhaupt etwas folgt, wenn eine reale
Macht sich zu deren Sanktionierung aufmacht, und
regelmäßig genau das, was die an dafür
einschlägigen Maßnahmen für angebracht hält. Das ist hier
der Fall, wenn der Präsident der USA nach der Kundgabe
seines höchstpersönlichen Entsetzens als Reaktion
auf den Einsatz von Chemiewaffen beschließt, einen
begrenzten Angriff gegen das Assad-Regime (…) zur
Abschreckung vor dem Einsatz von Chemiewaffen
durchzuführen
(Obama, Rede vor
der UN-Vollversammlung, 24. 9. 13), und seinen
Entschluss in einer eigenen Ansprache an sein Volk
folgendermaßen begründet:
„Was diesen Menschen geschehen ist – diesen Kindern –, ist nicht nur ein Verstoß gegen das Völkerrecht, sondern auch eine Gefahr für unsere Sicherheit. Lassen Sie mich das erklären. Wenn wir nicht handeln, wird das Assad-Regime keinen Grund sehen, auf den Einsatz von Chemiewaffen zu verzichten. Wenn das Verbot dieser Waffen unterlaufen wird, werden andere Tyrannen keinen Grund haben zu zögern, bevor sie sich Giftgas beschaffen und einsetzen. Mit der Zeit müssten unsere Truppen wieder mit chemischer Kriegsführung auf dem Schlachtfeld rechnen. Für Terrororganisationen wäre es leichter, sich diese Waffen zu beschaffen und sie zum Angriff auf Zivilisten einzusetzen.“ (Obama, Rede vom 10. 9. 13)
Diese „Reaktion“ ist ersichtlich keine Aufwallung eines
moralischen Gemüts, das nicht aushält, was „diesen
Menschen“ geschehen ist. Das stellt der Präsident klar,
wenn er als den durch die Chemiewaffen maßgeblich
Geschädigten Amerika selbst anführt, näher: die
Freiheiten zur Kriegsführung, in denen sich
seine Nation auf den diversen Kriegsschauplätzen der Welt
demnächst beschnitten sehen könnte. Ob er dabei wirklich
die Befürchtung hegt, seine Marines oder unbescholtene
U-Bahnfahrer in Washington könnten die nächsten Opfer von
Giftgasattacken werden, ob er unterstreichen will, dass
er sich keinesfalls zu kostspieligen Abenteuern im Dienst
fremder Interessen hinreißen lässt, oder ob er nur sein
Volk bei der Wahrnehmung der Verantwortung für das
höchste Schutzgut der Nation hinter sich bringen will,
spielt dabei keine Rolle. Das nationale
Sicherheitsinteresse der USA
ist in seiner Sicht der
Lage jedenfalls betroffen, wenn Gegner seiner Nation bei
der Erledigung ihrer Angelegenheiten irgendwo auf dem
Globus zu derartigen Waffen greifen, und, zweiter Teil
der Klarstellung, dies ist für ihn dasselbe wie
den Rest der Völkergemeinschaft vor Giftgas zu schützen.
Das erläutert er auch gerne im Mitleid heischenden
Tonfall eines Potentaten, der schier leidet unter der
Bürde, sich die Welt nach seinem Geschmack immer von
neuem zurechtmachen zu müssen: Die Last der
Führungsrolle ist oft schwer, aber die Welt ist ein
besserer Ort, weil wir diese Last auf uns genommen
haben.
(Ebd.) Auf diese
Art leitet die Weltmacht aus der Eskalation der Gewalt im
syrischen Bürgerkrieg die an sich selbst gerichtete
Verpflichtung ab, ihr Gewaltmonopol über die Staatenwelt
zu bekräftigen und im selben Zug der Welt den Frieden zu
sichern, der allen guten Menschen ein Wohlgefallen ist.
Sie statuiert an Syrien ein Exempel, das für das Prinzip
ihrer Suprematie steht und ihren obersten Zweck in den
Vordergrund rückt: Dass ihr Verdikt ‚Assad muss weg!‘ in
den Jahren des Bürgerkriegs nicht vollstreckt worden ist,
soll keiner als Scheitern der USA in Sachen ultimativer
Kontrolle der Staatenwelt missverstehen; der syrische
Machthaber ist in ihrem Urteil beim Einsatz seiner
Gewaltmittel zu weit gegangen – und das nehmen sie zum
Anlass, deutlich zu machen, dass sie die über
alle Gewaltaffären der Welt exklusiv Aufsicht führende
Gewaltinstanz sind.
Allein um diese Klarstellung geht es Obama im
vorliegenden Fall, und das drückt er in einer Liste von
Beschränkungen aus, die seine jedem Konkurrenten
hoffnungslos überlegene Nation sich bei der
Dimensionierung und Exekution der angekündigten
„Strafaktion“ selbst aufzuerlegen gedenkt. An einen
Einstieg in den Bürgerkrieg, der den zur Entscheidung
brächte, ist nicht gedacht; die Entmachtung Assads mit
anschließender Besetzung des Landes durch eigene
Bodentruppen ist schon gleich nicht im Programm; allein
um Schläge
geht es, die das Regime treffen
sollen, zeitlich wie lokal limitiert. Mit seiner
demonstrativ betonten Zurückhaltung beim Einsatz seines
Gewaltpotentials gegen Assad macht der Präsident
deutlich, dass der ganze Kriegsschauplatz in Syrien für
ihn nichts weiter ist als ein Fall, ein bloßer Anlass für
eine viel weiter reichende Offensive, zu der er sich als
Chef der imperialistischen Führungsmacht herausgefordert
sieht. Aber nicht wenige Beobachter des Weltgeschehens
entdecken ausgerechnet da eine ganz andere Art von
Selbstbeschränkung. Gemessen an ihren Vorstellungen, wie
eine überzeugende Weltmacht Unholde in den Reihen der
Völkergemeinschaft zur Räson zu rufen hätte,
nimmt sich die Zurückhaltung des Präsidenten wie ein
Dokument der Schwäche aus, die Amerika in Sachen
Leadership an den Tag legt. Da sie ihn ansonsten gut
verstanden haben, wollen sie offenbar nicht zur Kenntnis
nehmen, was er ihnen zu verstehen gibt, denn alle
politischen Berechnungen der Weltmacht, die ihr Führer
vor versammelter Weltöffentlichkeit zur Begründung seines
dosierten Vorgehens gegen das Regime in Syrien
anführt, dokumentieren nur eines: den unbedingten Willen
dieser Macht, ihrem Aufsichtsmonopol über die Staatenwelt
Geltung zu verschaffen, und ihre ziemlich unbegrenzten
Fähigkeiten, es auch praktisch wirksam auszuüben.
Für seinen Entschluss, die Giftgasattacken in Syrien als
Präzedenzfall zu werten, gegen dessen Wiederholung er mit
begrenzten Maßnahmen
Vorkehrungen zu treffen
gedenkt, führt Obama vor allem drei Gründe an. Erstens
hat er aus dem Wirken seines Vorgängers die Lehre
gezogen, dass ein mit Krieg herbeigeführter Regime Change
nebst anschließender ‚Demokratisierung‘ des Landes unter
Aufsicht amerikanischer Bodentruppen eine nicht in jedem
Fall erfolgversprechende Methode ist, für die
Durchsetzung der herrschaftlichen Prinzipien zu sorgen,
die die USA in einer stabilen Weltordnung verankert sehen
wollen:
„Wir sind zutiefst davon überzeugt, dass Freiheit und Wohlstand im Nahen Osten und Nordafrika in unserem Interesse liegen, und wir werden weiter Demokratie, Menschenrechte und offene Märkte fördern, weil wir der Meinung sind, dass diese Dinge Frieden und Wohlstand fördern. Ich glaube aber auch, dass wir diese Ziele nur selten durch unilaterale Maßnahmen und insbesondere Militäraktionen der Vereinigten Staaten erreichen können. Der Irak hat gezeigt, dass Demokratie nicht einfach mit Gewalt aufgezwungen werden kann. Vielmehr erreicht man diese Ziele am ehesten, wenn sich die internationale Gemeinschaft sowie die Länder und Menschen der Region zusammentun.“ (Rede vor der UN-Vollversammlung)
Sich unliebsamer Herrscher zu entledigen: Das bekommt man, falls es nötig ist, mit den eigenen Gewaltmitteln schon hin. Den produktiven Ertrag, die Etablierung einer Herrschaft, die für ‚Stabilität‘ des Landes und sein ordentliches Funktionieren in der eingerichteten Weltordnung der Freiheit sorgt, bleiben derartige Aktionen allerdings nicht nur schuldig. Zu den bitteren Erfahrungen der Weltmacht gehört „nach zehn Jahren Krieg im Irak und in Afghanistan“ auch, dass sie sich nach der Erledigung ihrer alten Feinde und der Besetzung des Landes mit ihren Soldaten vor Ort wie anderswo laufend neue Feinde schafft, und auch deswegen zieht Obama unter einen Demokratieexport per Krieg einen Schlussstrich: „Ich denke nicht, dass wir einen weiteren Diktator mit Waffengewalt entfernen sollten. Wir haben im Irak die Erfahrung gemacht, dass man uns für alles, was folgt, verantwortlich macht.“ (Rede an die Nation, 11. 9. 2013)
Zweitens hat sich im Verlauf des Krieges in Syrien ein
Zwischenergebnis eingestellt, das es allein für sich
betrachtet schon wenig ratsam erscheinen lässt, die
Machtfrage im Land zugunsten des gegen Assad kämpfenden
oppositionellen Lagers entscheiden zu wollen. Die in-,
halb- und ganz offizielle Unterstützung mit Geld und
Waffen, die die USA im Zuge ihres ‚leading-from-behind‘
im Verein mit ihren Verbündeten der guten Sache der
Aufständischen haben zukommen lassen, hat zum Aufwuchs
von Figuren und Fraktionen geführt, die mit Amerikas
Interessen nicht nur nichts gemein haben: In Gestalt von
Kampfgruppen, die sich den Netzwerken Al-Qaidas
zurechnen, von freischaffenden Dschihadisten
und
von bewaffneten muslimischen Extremisten
jedweder
anderen Art tummeln sich inzwischen lauter
geschworene Feinde Amerikas im Lager der
Freiheit, das gegen Assad kämpft. Vom befreiten Libyen
hat man dem Chef der Weltmacht mitgeteilt, dass
bewaffnete Gruppen, teilweise Extremisten (...) Teile
eines zersplitterten Landes regieren
(ebd.), so dass ihm gleich in der
Nachbarschaft ein abschreckendes Beispiel der sehr
wahrscheinlichen Konsequenzen vor Augen steht, die eine
von ihm betriebene gewaltsame Zerschlagung des Regimes in
Syrien unmittelbar nach sich zöge. Diese wäre im Übrigen
– dies der dritte Grund, der ihm Zurückhaltung ratsam
erscheinen lässt – auch mit den wenig absehbaren Risiken
einer offenen Konfrontation mit dem Rivalen Russland
verbunden, dessen Verbündeten und strategische
Machtposition in der Region man abräumen würde.
Eng begrenzt
also hat die Strafaktion
zu
sein – und genau darin liegt ihr imperialistischer Sinn
und Zweck. Gerade weil Obama sich von der Linie seines
Vorgängers verabschiedet hat, Amerikas Aufsichtsregime
über die Staatenwelt im Fall missliebiger bis offen
feindseliger Regimes mit deren gewaltsamer Zerschlagung
zu beantworten, soll das niemand auf dem Globus als
Abdankung der obersten Instanz zur Entscheidung von
Weltaufsichtsfragen missverstehen: Obamas Akt zur
Bestrafung des Assad-Regimes
ist die demonstrative
Klarstellung, dass die Weltmacht USA auch unter seiner
Führung die Macht ist, die andere mit Gewalt
unter ihr Diktat zwingt, und die auch weit unterhalb der
Schwelle eines Kriegseintritts über die Macht
verfügt, dies ihren Adressaten überzeugend
mitzuteilen. Auf die unbedingte Glaubwürdigkeit
der Weltführungsmacht und den ungebrochenen
Respekt vor ihr kommt es der Administration in
Washington an, auf nichts weiter als auf sich
selbst und darauf, dass die USA in ihrer
Führungsrolle in der Welt ernst genommen werden
(Außenminister Kerry), ist
ihr Militärschlag bezogen. Der soll ausdrücklich
in seiner Beschränktheit fürs Gegenteil stehen,
nämlich für die durch nichts beschränkte
Bereitschaft und Fähigkeit einer Weltführungsmacht, einem
Regime, das sich ihrem Regime widersetzt, einen
Schaden zuzufügen, der alle Verteilungsfragen in
Sachen weltpolitischer Macht und Ohnmacht abschließend
beantwortet; entsprechend hat er auszusehen:
„Eines möchte ich ganz deutlich sagen: Die Vereinigten Staaten versetzen keine Nadelstiche. Auch ein begrenzter Angriff wird Assad eine Botschaft vermitteln, die kein anderes Land vermitteln kann.“ (Ebd.)
Dieser Schlag gilt de facto dem Regime von Assad, versteht sich aber zugleich als Mitteilung an alle anderen Machthaber in der Region und über sie hinaus, die Obamas Devise ‚Kooperation statt Konfrontation‘ eventuell als Freibrief missverstanden haben oder dies möglicherweise demnächst tun könnten, sich Amerikas Suprematie zu entziehen. An deren Adresse ergeht die Erinnerung daran, dass die Selbstbeschränkung, die Amerika sich im Fall Syrien auferlegt, für die Behauptung eines Aufsichtsmonopols steht, das die Weltmacht im Bedarfsfall ohne jede Form von Selbstbeschränkung über den ganzen Nahen Osten wahrzunehmen gedenkt:
„Die Vereinigten Staaten von Amerika sind bereit, alle Instrumente ihrer Macht – einschließlich militärischer Gewalt – einzusetzen, um ihre Kerninteressen in der Region zu wahren“,
und unter diesem Stichwort des ‚Kerninteresses‘ findet gleich danach vom Öl bis zu den Waffen alles Erwähnung, was die Kontrolle dieser Region betreffend auf der politischen Agenda der Weltführungsmacht steht – in der Hinsicht steht Obama seinem Vorgänger in gar nichts nach:
„Wir werden uns Angriffen von außen auf unsere Verbündeten und Partner widersetzen, wie wir es im Golfkrieg getan haben. Wir werden den freien Energiefluss von der Region in die Welt sicherstellen (…) Wir werden Terrornetzwerke zerschlagen, die unsere Bürger bedrohen (…) Und schließlich werden wir die Herstellung von Massenvernichtungswaffen nicht dulden. Ebenso wie wir den Einsatz von Chemiewaffen in Syrien als Bedrohung unserer eigenen nationalen Sicherheit sehen, lehnen wir die Entwicklung von Atomwaffen ab, die zu einem atomaren Wettrüsten in der Region führen und das globale Nichtverbreitungsregime untergraben könnten.“ (Obama, Rede vor der UN-Vollversammlung)
Ein begrenzter Militärschlag gegen Assad, der
für Respekt vor dem Totalitarismus des
US-amerikanischen Kontrollanspruchs über die Region wie
über den Rest der Welt sorgen soll: Das ist nicht so
leicht nachzuvollziehen. Daher legt der Präsident großen
Wert darauf, zu allererst die guten Amerikaner im eigenen
Land davon zu überzeugen, dass er mit seiner
Zurückhaltung beim Zuschlagen weder sein
Vaterland verrät noch beim Zuschlagen die Fehler
seines Vorgängers zu wiederholen gedenkt. Und an den Rest
der Staatenwelt ergeht diplomatisch dieselbe Botschaft:
Sie soll sich beeindruckt zeigen durch den
Umstand, dass es den USA allein um sich und um
den Respekt vor ihrer Führungsrolle geht, wenn
sie am Fall Syrien ein Exempel ihrer Führungskompetenz
und Machtvollkommenheit statuieren. Übergangen
wird die Völkergemeinschaft also keineswegs, wenn sich
ihre Führungsmacht das Recht herausnimmt, auch ohne
Mandat in ihrem Namen für die Ordnung zu sorgen, die sich
auf der Welt gehört: Sie wird im Gegenteil dazu
aufgefordert, ihre Zustimmung zu Amerikas
Vorgehen zu erteilen, ideell und auch praktisch.
II. Die eigentlichen Adressaten der Botschaft an das Regime in Damaskus
Wie gesagt: Es ist Assads Regime, das die USA mit ihrem
Militärschlag treffen, eindrucksvoll schädigen und vom
Rückgriff auf völkerrechtlich geächtete Methoden der
Kriegsführung nachhaltig abschrecken wollen. Doch wenn
eine Weltmacht gegenüber einem ihr in jeder Hinsicht
unterlegenen Gegner eine Strafaktion mit ausdrücklich
übertragener Bedeutung für angebracht hält, dann ist
ersterer eben das Objekt, das bloße Material, an
dem das Subjekt der Gewaltausübung seinen sehr
viel weiter reichenden politischen Zweck exekutiert. Die
Unbedingtheit, mit der die USA an Assad ihre
Rolle als Führungsmacht der imperialistischen Welt unter
Beweis stellen wollen, und die demonstrativ zur Schau
gestellte Überlegenheit der Mittel, die jeden
Zweifel über ihre diesbezüglichen Fähigkeiten erschlagen
soll: das sind ‚Argumente‘, die den ganzen Rest der Welt
von der Ausnahmestellung überzeugen sollen, die die
Vereinigten Staaten von anderen unterscheidet
und
uns außergewöhnlich macht
. (Obama, Rede an die
Nation) – unmittelbar auf den Fall Syrien bezogen also
die Mächte, die es vor Ort von Amerikas
Oberaufsicht über das laufende Kriegsgeschehen ins Bild
zu setzen gilt.
Das betrifft zum einen das Lager der Verbündeten
der Weltmacht. In dem spielen die europäischen
NATO-Partner Frankreich und
Großbritannien als Alliierte der Weltmacht bei
der Unterstützung und Orchestrierung der aufständischen
Parteien eine gewichtige Rolle, verfolgen dabei aber
natürlich als Konkurrenten der Führungsmacht ihre eigenen
strategischen Berechnungen. Frankreich versteht
sich als militärisch autonom handlungsfähige und daher
auch politisch in erster Linie dafür zuständige
europäische Führungsmacht, den Mittelmeerraum
einschließlich der Staaten an der südlichen Gegenküste
als europäischen Einflussbereich zu erschließen, i.e.
sich als europäische Ordnungsmacht in der Region
festzusetzen. Großbritannien sieht sich allein
schon wegen dieses Projekts eines franko-europäischen
Machtraums dazu veranlasst, eigene strategische
Ordnungskompetenzen für Europa ins Spiel zu bringen,
kämpft also gleichfalls um seinen Status einer
in der Region bestimmenden Macht. Beide Konkurrenten
Amerikas haben schon einige vergebliche Anläufe hinter
sich gebracht, die militärische Potenz ihres Partners
über die Einrichtung von Flugverbotszonen
,
gesicherten Korridoren für Flüchtlinge
und
dergleichen für die eigenen imperialistischen Ambitionen
im syrischen Krieg zu instrumentalisieren. Jetzt wittern
sie die große Chance, sich endlich der Rolle eines bloßen
Mitmachers in einem Krieg zu entledigen, in dem die USA
Regie führen: Selbst wollen sie den Verlauf des
Kriegs bestimmen, ihn aus eigener Machtvollkommenheit
eskalieren und gemäß der eigenen Interessenlage zur
Entscheidung bringen – und preschen zu dem Zweck gleich
nach dem Bekanntwerden des Massakers bei Damaskus mit
Voten für eine starke Reaktion
(Hollande) und eine zwingende
überzeugende Antwort
(Cameron) vor: Alles andere wäre, teilen
sie ihren Völkern und dem Rest der Welt mit, ihrer
jeweiligen Nation und deren weltpolitischer Bedeutung
ganz und gar unangemessen. Dabei wissen sie freilich,
dass sie die Eskalation des Krieges in Syrien, die
sie sich unbedingt schuldig sind, ohne
die tätige Mithilfe ihrer Führungsmacht gar nicht ins
Werk setzen könnten. Sie gehen offensichtlich davon aus,
dass die US-Macht sich durch den Gang der Dinge in Syrien
in gleicher Weise wie sie zum Eingreifen herausgefordert
sieht und mit ihren militärischen Mitteln die
Führungsrolle hinlänglich beglaubigen wird, die sie
für sich in Anspruch nimmt.
In Libyen hat sich dieses Rezept der Alliierten der
Weltmacht gut bewährt, im vorliegenden Fall werden ihre
Berechnungen arg enttäuscht. Mit der Ansage, dass die USA
sich eine überzeugende Strafaktion
und
niemandem sonst irgendetwas anderes schuldig sind, wird
Europas militanten Imperialisten praktisch die Auskunft
erteilt, dass sie alles vergessen können, was sie an
Beförderungen ihrer nationalen Rechte mit einer
Eskalation des Bürgerkriegs verbunden haben. Denn dem
Anspruch, sich derart selbst zur gewichtigen Ordnungs-
und Aufsichtsmacht im Nahen Osten zu ermächtigen, genügt
die von Obama angekündigte Bestrafung
des
Assad-Regimes von vorneherein nicht. Bei der wären sie
zwar schon als Mächte von Rang gefragt und dürften gerne
mitwirken, aber erstens nur in der mediokren Funktion,
von der sie sich gerade zu emanzipieren gedenken: Als zum
bloßen Mitmachen degradierte Mächte sollen sie bei einer
Demonstration amerikanischer Weltführerschaft
mittun und damit der zum Erfolg verhelfen. Und
zweitens gibt Obama deutlich zu verstehen, dass willige
Mitmacher bei seiner ‚Strafaktion‘ von ihm zwar gerne
gesehen sind, er sie im Übrigen für deren Erfolg aber
ebenso wenig braucht wie ein Mandat der geschätzten
Völkerfamilie. Beides überzeugt das aufmerksame britische
Parlament daher frühzeitig davon, dass der
Premierminister mit dem versprochenen Alleingang
nicht gut beraten ist. In seinem eigenen Lager wie in den
Reihen der Opposition werden Zweifel am Sinn
einer
solchen Operation laut, überhaupt an den militärischen
Fähigkeiten des Vereinigten Königreichs, sie auch
überzeugend durchzuführen
, und Erinnerungen an den
Irak-Krieg an der Seite des Feldherrn Bush runden den
Befund ab, dass hier schon wieder ein Militärschlag in
Aussicht steht, bei dem für Großbritannien nicht viel zu
gewinnen ist. Der Chef der Grande Nation entdeckt
gleichfalls schnell, dass Amerika sich einfach nicht für
Frankreichs regionalpolitische Ambitionen
funktionalisieren lässt, und hält sich daraufhin zurück
mit Ansagen von Machtbeweisen aus eigener Kraft, die
Frankreichs Größe
sich schulde. Er bietet aber die
Mitwirkung seiner Nation bei einem Militärschlag
weiterhin an – und wird im Gegenzug aus Washington mit
dem Kompliment beschenkt, Amerikas treuester
Verbündeter zu sein
. C’est la vie.
Die im Kriegsgeschehen auf Seiten Amerikas engagierten
Nachbarmächte – Türkei, Saudi-Arabien, Katar –
gehören gleichfalls zu den Adressaten, an die sich
Amerikas begrenzte Strafaktion
richtet. Dem
türkischen Partner wird in seinen schon des Öfteren an
die Führungsmacht des Westens adressierten Drangsalen,
endlich die Entmachtung Assads zur NATO-Angelegenheit zu
erklären, den Krieg zu entscheiden und für eine den
türkischen Interessen entsprechende Nachkriegsordnung in
den Zerfallsprodukten des syrischen Staatswesens zu
sorgen, eine definitive Absage erteilt: Auch die
heftigste Berufung auf den Mörder und
Menschheitsverbrecher Assad
bringt der Türkei in
ihren machtpolitischen Visionen nicht die Unterstützung
der USA. Die Mitteilung an die Adresse der Golfstaaten
umfasst zur einen Hälfte dieselbe Zurückweisung jeder
dort gehegten Vorstellung, Amerikas Macht ließe sich für
die eigenen Kriegszwecke instrumentalisieren: Das
Kriegsglück zugunsten der großen Sponsoren des militanten
oppositionellen Lagers zu wenden, haben die USA
keinesfalls vor. Nicht zuletzt deswegen nicht – und das
ist die zweite Hälfte der Mitteilung –, weil die
Geldgeber und Waffenlieferanten vom Golf ja schon selbst
dafür gesorgt hätten, dass es in der Hauptsache
Extremisten
, also Feinde Amerikas sind,
die in Syrien gegen Assad kämpfen und die Zerschlagung
seines Regimes zu einem Risiko machen, das die Weltmacht
keinesfalls eingehen will. So machen diese arabischen
Partner die frustrierende Erfahrung, dass unter den
ordnungspolitischen Gesichtspunkten, die die Weltmacht in
der Region verfolgt, einerseits sehr vieles willkommen
ist, was sie an Beiträgen zur Destabilisierung der
Herrschaft in Syrien leisten. Andererseits wird unter
genau denselben Gesichtspunkten ihre Leistung gar nicht
gutgeheißen – und auf dem Wege bekommen die
ambitionierten Golfstaaten die Vorbehalte der
Weltmacht gegenüber ihrem Vorhaben mitgeteilt, über die
Erledigung Assads zu arabischen Vormächten der Region zu
avancieren, und die Einsprüche gegen Teile ihres
praktischen Engagements, mit dem sie ihr Projekt zu
befördern suchen.
Unmittelbare Adressaten von Obamas Strafaktion sind die beiden Verbündeten, denen Assad sein bisheriges Überleben im Bürgerkrieg zu verdanken hat. In diesem sieht sich Russland von Anfang an zur Verteidigung seiner Interessen herausgefordert, die es an einem von Assad geführten Syrien hat. Die guten Handelsbeziehungen mit diesem Staat; ein strategisch wichtiger Stützpunkt, der Zugang zum Mittelmeerraum verschafft – der letzte zumal, den man im Nahen Osten noch hat –; der Einfluss, den man sich mit seinen Unterstützungsleistungen auf den Partner verschaffen und vermittelt über ihn in der Region wahrnehmen kann: Das sind für eine Macht wie Russland gewichtige Argumente, dem Verbündeten im von außen finanzierten und geleiteten Bürgerkrieg zur Seite zu stehen; mit Öl, Waffen und Geld einerseits, mit diplomatischen Manövern vor den UN-Gremien andererseits, mit denen man sich als eine in Weltordnungsfragen mitzuständige, zumindest nicht zu übergehende Größe zu behaupten und Assad vor einem internationalen Strafgericht zu schützen sucht. Russland ist also die ‚Schutzmacht‘ Syriens – und diese Macht erfährt mit Obamas angekündigter Strafaktion, dass sie ihren Schützling gar nicht schützen kann: nicht vor den Waffen Amerikas, mit denen die Weltmacht einen Bruch des Rechts der Völkergemeinschaft sanktioniert, und auch nicht mit der Waffe ihres Veto-Rechts im Sicherheitsrat, weil die USA ja ihre Strafaktion zwar im Namen von allen und stellvertretend für alle vollziehen, die auf dem Boden dieses Rechts stehen, sich dazu aber demonstrativ selbst ermächtigt haben. So praktiziert man Weltführerschaft gegenüber einem strategisch nicht gerade unbedeutenden Konkurrenten: Mit dem angedrohten Einsatz des konkurrenzlosen Vernichtungspotentials, über das man verfügt, setzt man sich demonstrativ rücksichtslos über dessen Interessen hinweg, schädigt seinen Verbündeten und kündigt im selben Zug jeden Respekt vor den diplomatischen Usancen, in denen bislang zwischen beiden Großmächten wenigstens formell der Anschein von Gleichrangigkeit gepflegt wurde.
An den zweiten Verbündeten Assads, den Iran, ergeht zum einen dieselbe Botschaft: Auch er kann seinen Schützling nicht vor der ‚Strafe‘ schützen, die die Weltmacht für ihn vorgesehen hat. Darüber hinaus und jenseits aller Machenschaften, mit denen Iran seinem Status einer nahöstlichen Regionalmacht in Syrien Geltung zu verschaffen sucht, ist der Staat der Mullahs von Amerika als ganz spezieller Ansprechpartner gemeint. Obamas Kettengleichung zwischen amerikanischen Sicherheitsinteressen und dem Weltfrieden des Völkerrechts, dem Einsatz chemischer Waffen in Syrien und der Verfügung über ‚Massenvernichtungswaffen‘ jedweder Art durch wen auch immer, zielt auf einen Adressaten, und damit der das auch keinesfalls überhört, sagt man es ihm ganz ausdrücklich:
„Wenn wir uns nicht gegen den Einsatz von Chemiewaffen stellen, würde dies das Verbot anderer Massenvernichtungswaffen schwächen und den Verbündeten Assads ermutigen: Der Iran muss entscheiden, ob er das Völkerrecht ignoriert, indem er eine Atomwaffe baut, oder ob er einen friedlicheren Weg einschlägt.“ (Obama, Rede an die Nation v. 11. 9. 13)
Mittels Androhung überlegener Gewalt sind widerspenstige Problemstaaten zu der Nachgiebigkeit zu erpressen, die Amerikas Sicherheitsinteresse dient, und das setzt als allererstes voraus, dass sie sich aller Erpressungsmittel begeben, mit denen sie bei ihrer Gegenwehr gegen die Diktate der Weltmacht auch nur irgendwie Beachtung erzwingen könnten. Das ist die politische Maxime für Amerikas Weltfrieden, die im syrischen Bürgerkrieg verschossene Giftgasgranaten mit dem Bau von Atomwaffen in Iran kommensurabel macht und am Verbündeten der Mullahs dann in unbedingt glaubwürdiger Weise pars pro toto vollstreckt wird.
III. Von der Strafaktion zur friedlichen Entwaffnung des Delinquenten
Zum programmgemäßen Vollzug der angekündigten
‚Strafaktion‘ kommt es dann doch nicht, weil der Gang der
Dinge in der Syrienkrise eine überraschende Wende
nimmt. Worauf die zurückzuführen ist, ob dem
Außenminister Kerry tatsächlich zur falschen Zeit am
verkehrten Ort ein Stichwort entfährt, das sein
russischer Kollege dann aufgreift, um Amerika in eine
diplomatische Falle
zu locken, oder ob beide sich
erst heimlich absprechen und danach ein öffentliches
Schauspiel zur Erbauung investigativer Journalisten
inszenieren, kann dahingestellt bleiben. Tatsache ist,
dass Russlands Pochen auf diplomatische Mitzuständigkeit
bei der Regelung des Falles von Obama erhört wird;
allerdings nicht, weil in Washington der russische
Vorbehalt, ein Alleingang
der USA am
UN-Sicherheitsrat vorbei sei inakzeptabel gemäß der
Charta der Vereinten Nationen
(Putin, NYT, 11. 9. 13), irgendwie
Eindruck gemacht hätte. Dort findet man vielmehr
Geschmack an einer Methode der Beilegung der
Syrienkrise auf diplomatischem Wege (...) durch die
Zusammenarbeit der Weltgemeinschaft
(Obama), die nichts Geringeres im
Programm hat als die einvernehmlich herbeigeführte und
von Organen der UN kontrollierte Vernichtung des
chemischen Waffenarsenals, über das Assad gebietet. Im
Sicherheitsrat einigt man sich auf die entsprechende
Resolution, die gemeinhin für hochkompliziert
und
schwer durchschaubar
befunden und generell als ein
bemerkenswertes Zeichen von Nachgiebigkeit Obamas
gegenüber dem russischen Konkurrenten gewertet wird.
Würdigt man den diplomatischen Deal auf höchster
Ebene
(SZ) der Sache
nach, lassen sich die Vorteils- und Nachteilsrechnungen
freilich schon gut auseinanderhalten, die die
Kontrahenten letztlich zu ihrem Kompromiss haben finden
lassen, und der bietet auch absolut keinen Anlass, an der
Führungsstärke
des Präsidenten der Weltmacht zu
zweifeln.
Was Russland betrifft, so findet es seitens der
USA Anerkennung in dem Status einer in
Weltordnungsfragen an oberster Stelle – dort eben, wo
über Krieg und Frieden verhandelt wird – mit
entscheidungsbefugten Macht. Die Gegenmacht der USA kann
sich auch den Erfolg zurechnen, ihren Verbündeten Assad
vor den Schäden bewahrt zu haben, die ihm in Amerikas
‚Strafaktion‘ zugedacht waren, und ihm wieder das
unerlässliche Maß an diplomatischem Respekt sichern, das
mit seiner Anerkennung als Verhandlungspartner der
UN-Organe verbunden ist, die für die Entsorgung seines
chemischen Waffenarsenals zuständig sind. Diesen Erfolgen
steht gegenüber, womit Russland sich die
erkauft. Zuständigkeit in Weltaufsichtsfragen vermag es
sich in einer Angelegenheit zu verschaffen, mit der die
USA ihre Weltaufsicht vorantreiben: An deren
Seite darf Russland mitwirken bei dem Projekt,
missliebige Souveräne, die über
Massenvernichtungswaffen
verfügen, zu entwaffnen
bzw. solchen, die sie möglicherweise anstreben, den
Zugang zu ihnen nachhaltig zu verwehren. Die Welt
sicherer machen
(Obama),
i.e. die Staaten, von denen sich die USA in ihrem
Sicherheitsinteresse bedroht sehen, zur Nachgiebigkeit
bis hin zur freiwilligen Selbstentwaffnung bei ihren
inkriminierten Arsenalen zu erpressen: Das ist der
Dienst, den Russland der Weltmacht zu verrichten
hat, will es von der als zur Regelung von Aufsichtsfragen
dieser Art mit befugte Macht anerkannt werden.
Was Syrien und seinen Machthaber Assad betrifft, so steht seiner vorläufigen Verschonung von Obamas ‚Strafaktion‘ und seiner Aufwertung als Ansprechpartner der internationalen Diplomatie gegenüber, dass alles, was die militärische Abschreckungsmacht dieses Staates in letzter Instanz bislang ausmachte, nicht mehr seiner souveränen Verfügungsgewalt untersteht. Was immer syrische Nationalisten sich über das Abschreckungspotential eingebildet haben, das syrische Chemiewaffen gegenüber Israel entfalten könnten, was immer israelische Experten für nationale Sicherheit sich an Bedrohungspotential zusammenphantasiert haben, das ihrem Staat aus 1000 Tonnen Chemie in syrischer Hand erwächst: Tatsache ist jedenfalls, dass in Bezug auf die Waffen, durch die Amerika sich in seinen Freiheiten der Kriegsführung beschnitten sieht, Syrien kein Bedrohungsfaktor mehr ist; und gewiss ist, was die drohenden Risiken aus dem Nachbarland betrifft, auch für die Soldaten Israels die Welt wieder ein Stück weit ein besserer Ort geworden.
Damit ist im Wesentlichen schon alles gesagt, wie sich im
Fall der USA Vorteile und Nachteile des
Einschwenkens auf den Weg der Diplomatie
verteilen. Sie haben ihre ‚Strafaktion‘ suspendiert und
der russischen Gegenmacht die Anerkennung gezollt, bei
der Beilegung der Syrienkrise
verantwortlich
mitwirken zu dürfen – und im selben Zug
definiert, welchen Inhalt diese
konzedierte Mitwirkung hat: Die Unterwerfung
Assads unter das Aufsichtsregime der
Weltführungsmacht darf Russland mit ins Werk setzen.
Sein weltpolitischer Einfluss wird unter der Bedingung
respektiert, die Amerika für dessen praktische
Wahrnehmung setzt, und die sieht in dem Fall eben so aus,
dass die russische Großmacht praktisch zusehen kann, was
im Zuge der diplomatischen Verhandlungen um die
Zukunft Syriens
unter ihrer tätigen Mitwirkung aus
der letzten Machtbasis wird, auf die ihr Einfluss im
Nahen Osten ohnehin schon reduziert ist. Und das Schönste
an dieser Konzession der USA gegenüber Russland ist: In
derselben Resolution, in der als diplomatische
Alternative zum militärischen Alleingang
der
Weltmacht die vertraglichen Prozeduren zur Beseitigung
der Chemiewaffen Syriens bis ins kleinste Detail geregelt
werden, behalten es sich die USA abschließend vor, den
Strafbefehl militärisch zu vollstrecken, den ihr
Präsident für Assad ausgestellt hat. Wenn der bei seiner
Entwaffnung nicht kooperiert, wie er es soll, Russland
also daran scheitert, ihn zum Kooperieren zu bewegen, ist
er ein Fall für das einschlägige Kapitel, in dem nach den
Regularien des Völkerrechts widerspenstigen Souveränen
mit Gewalt zu der herrschaftlichen Räson zu verhelfen
ist, gegen die sie verstoßen. Der vorläufige Aufschub
des Vollzugs der begrenzten Strafaktion
gegenüber Assad: Das ist die einzige Konzession,
die die USA sich in ihrer Diplomatie mit Russland haben
abhandeln lassen, und mit der konzedieren sie
der Sache nach nichts, weil der Aufschub unter
der Bedingung gewährt wird, dass Assad gegen sich selbst
den Urteilsspruch des US-mandatierten UN-Weltgerichts
vollzieht.
So geht also Weltführerschaft unter der Ägide eines Friedensnobelpreisträgers: Man macht von den eigenen überlegenen Gewaltmitteln nicht gleich mit einem Einstieg in den Krieg gegen Syrien Gebrauch, sondern dosiert ihren Einsatz so, dass der Gegner und zusammen mit ihm auch alle anderen Mächte, die es angeht, nicht umhinkommen, von der Überlegenheit der Gewalt Notiz zu nehmen, die sie kommandiert. Iran, dem einen Verbündeten Syriens, wird auf dem Weg die Botschaft übermittelt, dass auch in seinem Fall am Willen und an der Fähigkeit der Weltmacht, die eigenen Sicherheitsinteressen störende Waffenprogramme zu verhindern, kein Zweifel besteht:
„Ich denke, dass es den Iranern klar ist, dass sie dem Umstand, dass wir Syrien nicht bestraft haben, nicht die Lehre entnehmen sollten, dass wir dann auch nicht gegen den Iran vorgehen werden.“ (Obama, lt. AFP/AN, 16. 9. 2013)
Russland, der andere Verbündete, wird dazu aufgefordert,
bei diesem Programm der Fortschreibung einer Weltordnung
nach den Vorgaben der Weltführungsmacht mitzuwirken und
dem konstruktiven Geist zur Zusammenarbeit, den es schon
an den Tag gelegt hat, auch in den Genfer
Friedensverhandlungen
freie Bahn zu verschaffen
und Assad zur Kooperation beim friedlich-demokratischen
Regime Change zu überreden. Die Zeiten des Kalten Kriegs
sind ja vorbei, und so spricht überhaupt nichts dagegen,
die rivalisierende Großmacht mit einzuspannen in das
Projekt der Komplettierung des amerikanischen
Aufsichtsregimes über die Welt:
„Meiner Meinung nach können militärische Maßnahmen – ob innerhalb Syriens oder von außen – keinen dauerhaften Frieden schaffen. Ich bin auch nicht der Meinung, dass die Vereinigten Staaten oder ein anderes Land bestimmen sollten, wer Syrien regiert; das müssen die Syrer entscheiden (…) Wir werden uns für diesen politischen Weg einsetzen. Bei der Suche nach einer Einigung sollten wir uns vor Augen führen, dass es sich hier nicht um ein Nullsummenspiel handelt. Wir befinden uns nicht mehr im Kalten Krieg. Weder gibt es ein Great Game, das gewonnen werden muss, noch haben die Vereinigten Staaten ein Interesse an Syrien, das über das Wohlergehen der syrischen Bevölkerung, die Stabilität seiner Nachbarn, die Zerstörung seiner Chemiewaffen und die Gewährleistung, dass es kein Zufluchtsort für Terroristen wird, hinausgeht.“ (Obama, Rede vor der UN-Vollversammlung)
Die übrigen ambitionierten Mächte, die sich in
Weltordnungsfragen generell und im syrischen Krieg
speziell mit zuständig erklären, können also ganz
beruhigt sein. Die USA wollen die Welt wirklich nicht
unterjochen. Sie verfolgen in Syrien garantiert keine
anderen Interessen als die, die sie dort haben, und, das
ist besonders schön, die mit den Interessen aller anderen
vernünftigen Mächte identisch sind, denen Wohlstand für
die Menschen, Frieden und Stabilität über alles geht und
die Terroristen nicht ausstehen können, so dass sie sich
von dieser nun wirklich nicht anmaßenden
Weltführungsmacht allemal gut bedient sehen können. Der
Sache nach gibt Obama in seinen netten Worten freilich zu
verstehen, dass einige dieser Mächte ihre
Interessen in und an Syrien vergessen können. Ab
sofort und solange, wie Russland mitspielt, sind sie
unter eine Diplomatie subsumiert, in der unter
Federführung der beiden Großmächte zusammen mit den
UN-Bevollmächtigten die Zukunft des Landes festgelegt
wird – und das sorgt dann doch für vernehmliche
Verstimmung im Lager der guten Sache. Saudi-Arabien will
die hohe diplomatische Bühne im UN-Sicherheitsrat gar
nicht erst betreten, die ihm turnusgemäß offeriert wird.
Dort hat die Weltmacht im Zuge ihrer politischen
Lösung der Syrienkrise
einstweilen den Frieden auf
die Tagesordnung gesetzt, wie er durch die Prozeduren der
UN-Resolution Nr. 2118 definiert wird und durch die
Genfer Verhandlungen in eine Ära nach Assad
überführt werden soll, und solange das so ist, hat man
als Kriegshetzer gegen Assad mangels Rückenwind von
höchster Stelle einiges zu tun. Unterstützt wird das
saudische Königshaus von etlichen arabischen Freunden und
der Türkei. Deren Präsident hält von Anfang an jede
Art von Begrenzung
bei einem Militärschlag gegen
Assad für einen Fehler
(Erdogan), sein Außenminister sieht im
Deal zwischen Russland und den USA das endgültige
Dokument der Unfähigkeit der internationalen
Gemeinschaft, diese Krise zu lösen
(Davutoglu, NZZ, 14.10.13).
Die heftige Verärgerung über die Machenschaften der
westlichen Führungsmacht inspiriert die Diplomatie nicht
nur dieses bedeutenden NATO-Partners, der Washington
demonstrativ brüskiert
(SZ) und sich strategische
Hightech-Waffen demnächst nicht dort, sondern beim
Rivalen China zu besorgen gedenkt. Die sehr vielen
Freunde Syriens
, für die eine Entmachtung Assads
die Vorbedingung jeder Art von politischer
Friedenslösung
ist, tagen parallel zum angeleierten
UN-Friedensprozess auf ihrer Gegenveranstaltung in
London. Der Tatsache, dass die Aufwertung Assads
vom Paria zum Partner
(Brahimi, offizieller UN-Syrien-Emissär)
nun einmal die von der Weltmacht konzedierte Bedingung
ihrer Friedensstiftung ist, haben sie
zwar nichts entgegenzusetzen. Diese Tatsache als solche
auch zu respektieren haben sie allerdings auch nicht vor
und tun entsprechend ihr Bestes, den
amerikanisch-russisch angeleiteten syrischen
Friedensprozess
unter der Schirmherrschaft der UNO zu
torpedieren. Das ergibt dann drei Monate nach den
Giftgasfunden bei Damaskus insgesamt den vorläufigen
Stand der Dinge: Der Bürgerkrieg in Syrien geht ohne den
Einsatz chemischer Waffen weiter wie vorher; per Dekret
der Weltführungsmacht steht seit August freilich fest,
dass die Zukunft Syriens nicht im Krieg
entschieden
(Obama) wird.
Diese Zukunft ist Sache von Friedensverhandlungen in
Genf, bei denen Assad offiziell mitverhandeln darf,
solange die zur Beseitigung seiner verbotenen Waffen
planmäßig vorgesehenen Maßnahmen auch nach Plan laufen;
freilich finden diese Verhandlungen unter der Prämisse
statt, dass dieser Partner in Syrien dann keine Rolle
mehr
(Kerry) spielen
wird, was ihm selbst sicherlich nicht so unmittelbar
eingängig sein dürfte. Begleitet werden diese schon sehr
ambitionierten Verhandlungen dann auch noch vom
erbitterten Streit der in dieser Angelegenheit gegen
Amerika konkurrierenden Mächte darüber, wer
überhaupt an ihnen teilnehmen darf und wer
keinesfalls. Fürwahr: Die Last der
Führungsrolle ist oft schwer...
*
Was, um zum eingangs Bemerkten zurückzukommen, das
politische Klima hierzulande betrifft, verspüren einige
Genugtuung darüber, dass möglicherweise genuin
deutscher technologischer Sachverstand bei der
Entsorgung syrischer Chemikalien gefragt ist. Der
Mainstream der politischen Beurteilung wertet dies
allerdings eher nicht als deutsch-imperialistischen
Welterfolg. Die Betreffenden müssen gar nicht sagen,
welche Erfolgsperspektiven für Deutschland sie
sich ausrechnen könnten, wenn die Weltmacht das Regime in
Syrien erledigt hätte. Sie halten schlicht an ihrem
moralischen Mantra fest, das vom Giftgas unabweisbar zur
politischen Maxime: ‚Assad muss weg!‘ führt, und
konstruieren sich von da aus eine Liste des
Versagens zurecht, das der Präsident der
Weltmacht in seinem zögerlichen Zurückweichen
offenbart hätte: Ein Jahr Friedensgarantie für
Assad
– ein einziger Freibrief für den Verbrecher,
sein Volk mit seinen restlichen Waffen zu ermorden! Die
Zusammenarbeit mit Russland bei der friedlichen
Entmachtung des eigenen Verbündeten – ein absurdes
Zugeständnis an diese Macht und ihre angemaßte Rolle
in der globalen Machtpolitik
! Und Obama selbst –
einfach nur irrlichternd zwischen Krieg und
Nachgiebigkeit
(SZ)! So
äußert sich die deutsche Öffentlichkeit zu einem Dilemma
der Außenpolitik ihrer Nation. Deren imperialistische
Räson, als fest mit der Führungsmacht der westlichen
Allianz verbundener Partner um eigenen weltpolitischen
Einfluss zu ringen, gebietet einerseits, die Vorgaben der
Führungsmacht zu unterstützen. Die decken sich freilich
gar nicht immer mit den Interessen, die Deutschland bei
der Behauptung seiner weltpolitischen Rechte verfolgt, so
dass die gebotene Parteilichkeit für die transatlantische
Supermacht andererseits oft genug Unzufriedenheit mit dem
Umstand wachruft, Weltpolitik auf eigene Faust so recht
gar nicht betreiben zu können: Regelmäßig wird das
deutsche Schmarotzen an Amerikas Weltführerschaft vom
Leiden daran begleitet, dass alle eigenen
imperialistischen Erfolgsrechnungen am fortwährenden
Respekt vor den Vorgaben Washingtons hängen – und
ausgerechnet diese Klage über zu viel Führung
durch die Weltmacht kommt hierzulande als Kritik an der
Führungsschwäche ihres Präsidenten daher! Und
wie bei dem als Instanz zur höheren Rechtfertigung seiner
Politik, firmiert die Moral auch bei seinen
Kritikern als Berufungsinstanz ihrer Einwände gegen
diese:
„Der Abgang Baschar al Assads ist der einzige Weg, um die Apokalypse zu beenden (…) Das ist das eigentliche Ziel des Westens. Es ist unsere moralische Pflicht zum Wohle des syrischen Volkes – nicht nur ein Prozess, den wir für unsere eigenen Interessen betreiben.“ (Belgiens Ex-Premier Guy Verhofstadt, stellvertretend für die Stimme Europas, in: FAZ v. 11. 10. 13)
Der kleine Unterschied ist nur, dass die Moral bei Obama
das politische Interesse in höheres Recht setzt, das er
praktisch verfolgt, und bei einem EU-Politiker nur die
Mattheit des Einspruchs vor Augen führt, den man im Namen
der eigenen Interessen gegen das Interesse der Weltmacht
erhebt. So nehmen die deutschen Kommentatoren die
Degradierung ihrer eigenen Nation durch die Führungsmacht
des Westens wahr – wollen sie aber auf keinen Fall
wahrhaben und gelangen in einer grotesken Verdrehung
aller Sachverhalte dazu, derselben Politik
Machtlosigkeit zu bescheinigen, die die
Fakten schafft, die ihnen nicht schmecken: Selten
war der Westen gegenüber Assad so machtlos. Und so froh
darüber.
(SZ, 2./3. 11.
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