Der verspätete deutsche Haushalt
Vom aktuellen Imperialismus deutscher Nation – diesmal als Haushaltsfrage

Wenn ein bürgerlicher Staat seinen Haushalt macht, dann geht es immer um alles. In ihm kommt nämlich alles vor: Auf der einen Seite steht das Geld, mit dem im Kapitalismus auch die Herrschaft wirtschaftet; auf der anderen Seite steht alles, was sie mit ihrem steuerlich abgeknöpften und geliehenen Geld anfangen will: alle Vorhaben der Staatsgewalt, auf die das Geld gemäß den von der Regierung gesetzten Prioritäten verteilt wird. So bekommen die Untertanen eines bürgerlichen Rechtsstaats umfassend – von den Straßenlaternen bis zu den Panzern – vorgerechnet, womit und wozu genau ihre Herrschaft ihnen verhilft und worauf sie sie verpflichtet. Schon das macht die Erstellung eines Staatshaushalts zu einer unerfreulichen Veranstaltung. Und wenn er auch noch, wie es sich in einer funktionierenden Demokratie gehört, von einer rechenschaftspflichtigen Regierung zur Debatte gestellt wird, dann ist sie zum Abgewöhnen. So auch in diesem Jahr.

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Der verspätete deutsche Haushalt
Vom aktuellen Imperialismus deutscher Nation – diesmal als Haushaltsfrage

Wenn ein bürgerlicher Staat seinen Haushalt macht, dann geht es immer um alles. In ihm kommt nämlich alles vor: Auf der einen Seite steht das Geld, mit dem im Kapitalismus auch die Herrschaft wirtschaftet; auf der anderen Seite steht alles, was sie mit ihrem steuerlich abgeknöpften und geliehenen Geld anfangen will: alle Vorhaben der Staatsgewalt, auf die das Geld gemäß den von der Regierung gesetzten Prioritäten verteilt wird. So bekommen die Untertanen eines bürgerlichen Rechtsstaats umfassend – von den Straßenlaternen bis zu den Panzern – vorgerechnet, womit und wozu genau ihre Herrschaft ihnen verhilft und worauf sie sie verpflichtet. Schon das macht die Erstellung eines Staatshaushalts zu einer unerfreulichen Veranstaltung. Und wenn er auch noch, wie es sich in einer funktionierenden Demokratie gehört, von einer rechenschaftspflichtigen Regierung zur Debatte gestellt wird, dann ist sie zum Abgewöhnen. So auch in diesem Jahr.

Da wäre zum einen das penetrante Eigenlob, das die Ampelregierung so lange ins Land ruft, bis es angemessen zurückschallt. Sie kann nicht oft genug sagen, wie schwer sie es hat, etwa wenn ein Krieg im Osten tobt, weswegen Deutschland viel, viel mehr Waffen und Kriegsbereitschaft braucht; oder wenn eine Pandemie wütet, die den Volkskörper und all seine Funktionen für die nationale Wirtschaft dermaßen gefährdet, dass umfassende staatliche Notmaßnahmen erforderlich sind; oder wenn der Klimawandel nach einer energetischen Revolution ruft, ohne die Deutschland seinen gewohnt erfolgreichen Kapitalismus nicht fortführen kann. Und sie verdient erst recht dann Verständnis, wenn das Bundesverfassungsgericht ihr in letzter Minute einen Strich durch die Rechnung macht; das hat ihr nämlich die Übernahme von 60 Milliarden an ungenutzten Kreditermächtigungen für die Bewältigung der Corona-Pandemie in ihren Klima- und Transformationsfonds nicht durchgehen lassen, weil die Schuldenbremse mit einem solchen Umbuchungsmanöver jedenfalls nicht zu umgehen ist. Umso beeindruckender ist es aus Sicht der Regierung, mit welcher Effizienz und Geschlossenheit sie zwar verspätet, aber pflichtschuldig ihren Job erledigt hat: Sie verabschiedet einen Haushalt, der all ihre großen Prioritäten beibehält und zugleich die Schuldenbremse für das kommende Jahr – mit einer Öffnungsklausel für unvorhergesehene Mehrkosten durch den Ukraine-Krieg – einhält. [1]

Das ist für die Opposition offenbar eine schöne Steilvorlage. Das Lob des vorbildlichen Regierens in schweren Zeiten ruft nämlich ein sehr kongeniales Echo hervor: Der christliche Chef der größten Oppositionspartei kann nicht laut genug sagen, wie wichtig ihm der Sieg im Krieg und die deutsche Aufrüstung sind; aber die „Trickserei“, mit der die Regierung dabei haushaltet, kann er nicht billigen: Das deutsche Volk verdient Führer, die gerade in Sachen Krieg mit Geld umgehen können. [2] Rechts von der CDU kommt dann nicht mehr die Wand, sondern eine Kriegskritik, die hier – wie überall sonst – nur gemerkt haben will, dass diese Regierung nicht nationalistisch genug ist: Die Waffen, die sein müssen, dienen Deutschland nicht genug, sondern – wie immer – nur dem Ausland. Auf der anderen Seite steht eine Linkspartei, die die Prioritäten der Regierung verrutscht findet: Die eine Fraktion fragt, ob so viel Kriegsbereitschaft wirklich sein muss, ein bisschen Soziales nicht sogar besser wäre; die andere – inzwischen weggebrochene – sieht im großen deutschen militärischen und ökonomischen Aufbruch vor allem eines: antinationale Dummheit.

Schließlich wacht darüber eine professionelle Öffentlichkeit, die ihre demokratische Verantwortung vor allem darin sieht, der Regierung vorzurechnen, wie effektives Herrschen zu gehen hätte: erstens mit dem politischen Geschick, einen Haushalt vorzulegen, der auch den letzten Bauern im Lande wenn nicht befriedigt, so wenigstens befriedet; zweitens mit dem herrschaftlichen Durchsetzungswillen, sich einmal vorgenommene Kürzungen nicht gleich von ein bisschen Bauernaufstand abhandeln zu lassen; drittens und vor allem mit der geräuschlosen Geschlossenheit, die ein Volk von seiner Führung doch erwarten kann.

Eine Haushaltsdebatte ist also vor allem eine Bühne für die vielstimmige Forderung nach richtiger, erfolgreicher Herrschaft. So weit, so normal – demokratisch gesehen. Ansonsten ist an diesem Haushalt nichts normal. Erklärtermaßen nicht.

I. Die Eckpunkte des Haushalts: Projekt Zeitenwende

1. Wofür Deutschland jetzt unbedingt mehr Geld braucht

Die erste und letzte Auskunft der Regierung zu ihrem diesjährigen Haushalt lautet: Deutschland muss größer werden – als militärische Gewalt und als ökonomische Macht. Das ist schlicht alternativlos.

An demrussischen „Eroberungskrieg auf europäischem Boden“ ist deswegen exakt eine Auskunft relevant, nämlich dass er „auf Jahre hinaus eine vollkommen veränderte sicherheitspolitische Lage für Deutschland und für ganz Europa schafft“. Der dortige Angriff bedeutet, dass alles, was Deutschland daraus folgen lässt, eine Verteidigung der nationalen Sicherheit, also unwidersprechlich ist: sei es die finanzielle und waffenmäßige Kriegsbeteiligung in der Ukraine, seien es die Renovierungsarbeiten, die die deutsche Regierung an den eigenen Geschäftsbedingungen und Gewaltpotenzen für nötig hält – die beschleunigte Umstellung der Energieversorgung auf Quellen, von denen garantiert keine russische Erpressungsgefahr mehr ausgeht, die vielmehr umgekehrt Deutschland zu eigenen Erpressungsmanövern befreien, sowie der epochemachende Um- und Aufbau einer Bundeswehr, die einer gegen die russische Militärmacht „kriegstüchtig“ zu machenden Nation würdig ist.

Was daraus für den Haushalt folgt? Sehr viele Milliarden für den Krieg in der Ukraine und ein großer Sprung in der militärischen Schlagkraft der Nation – und laut Kanzler Scholz überhaupt kein Anlass zur Sparsamkeit an anderer Stelle: „Es wäre ein schwerer, ein unverzeihlicher Fehler, angesichts der akuten Herausforderungen die Modernisierung unseres Landes zu vernachlässigen.“ (Regierungserklärung, 28.11.23) Denn die große Defensive, die Deutschland zu seinem militärischen Aufbruch treibt, darf bloß nicht die andere epochemachende Offensive ausbremsen, die Deutschland schon vorantreibt, nämlich die „Modernisierung“ der nationalen Infrastruktur und vor allem die klimaneutrale „Transformation“ des deutschen Wirtschaftsstandorts. Der unwidersprechlich gute Sinn dieser Offensive wird im ersten Fall gerne in der kleinen Münze von maroden Schulen, Straßen, Schienen, Brücken etc. vorstellig gemacht, deren Reparatur sich nicht weiter aufschieben lässt, im zweiten Fall eher als Sachzwang eines sich wandelnden Klimas, den kein vernünftiger Mensch ignorieren kann. Es macht dabei offenbar nichts, dass die Regierung in beiden Fällen keinen Zweifel daran lässt, wodurch die infrastrukturelle und technologische Runderneuerung des deutschen Wirtschaftsstandorts ihre alternativlose Dringlichkeit wirklich erhält, woran die Regierung dabei also Maß zu nehmen hat:

„Egal wo man hinschaut, ob in die USA oder nach Frankreich, nach China oder Japan, überall sind Regierungen dabei, massiv in die Zukunft zu investieren. Weltweit investieren Länder in moderne und digitale Infrastruktur, in saubere Energieversorgung und in klimafreundliche Technologien. Wir sind mitten im Aufbruch in eine neue Ära, vergleichbar in seiner Dimension nur mit dem Aufbruch in das Industriezeitalter. Jetzt, schon in den allernächsten Jahren, entscheidet sich, wo künftig Wertschöpfung stattfindet, wo Innovation und Wohlstand zu Hause sind in einer klimaneutralen Welt.“ (Ebd.)

Die Beschwörung eines Epochenwandels steht insofern für die existenzielle Bedeutung der weltökonomischen und -politischen Konkurrenzlage. Auf dem Spiel steht nicht weniger als der gesamte nationale Wohlstand, an dem exakt eine Sache zu interessieren, aber in keiner Weise zu irritieren hat: Er ist weder teilbar noch verallgemeinerungsfähig, besteht nämlich in einem Konkurrenzvorsprung vor allen Partnern und Rivalen, lässt sich also im Unterschied zu soliden Brücken und flächendeckender 5G-Versorgung als Zweiter oder Dritter nicht genießen.

2. Der Anspruch auf mehr weltpolitische Konkurrenzfähigkeit schafft Reformbedarf (Habeck)

Was nun daraus, d.h. aus dem großen militärischen und ökonomischen Doppelbedarf des Staates, für den Haushalt folgt? Schon wieder sehr viel Geld über einen sehr langen Zeitraum. Gerade deswegen ergibt sich daraus laut Vizekanzler Habeck ein Reformbedarf an sehr entscheidender Stelle: Der Bewältigung dieser doppelten Herausforderung steht eine Verfassungsrechtslage im Weg, die von den großen Aufgaben und ihrer außerordentlichen Dringlichkeit nichts weiß. Das bewegt Habeck – sowie einige seiner grünen und sozialdemokratischen Kollegen – zur Feststellung, dass Deutschland sich angesichts dessen, was es sich ab sofort leisten muss,seine Schuldenbremse so jedenfalls nicht länger leisten kann:

„Ich persönlich mache keinen Hehl daraus, dass ich die Art, wie die deutsche Schuldenbremse konstruiert ist, für zu wenig intelligent halte. Sie ist sehr statisch, und sie unterscheidet nicht zwischen Geldern, die wir so ausgeben im Laufe des Jahres, und Investitionen in die Zukunft, die sich erst nach 10, 20, vielleicht 50 Jahren rechnen. Das scheint mir wenig klug zu sein. Und sie wurde auch gebaut in einer anderen Zeit, als wir immer billiges Gas aus Russland hatten, als China immer unsere Werkbank war oder unser Abnahmemarkt, als die Amerikaner immer verlässliche, treue Freunde waren und uns die militärische Last abgenommen haben, weil es keinen Krieg in Europa gab. Das waren die Voraussetzungen, und die scheinen sich verändert zu haben.“ (R. Habeck im Tagesthemen-Interview, 20.11.23)

Wenn Habeck da so zurückhaltend von „Investitionen in die Zukunft“ redet, die einen längeren Atem erfordern, dann ist jedenfalls mehr gemeint als eine Reihe von Vorschüssen, die erst nach langer Zeit zurückfließen. Gemeint ist offensichtlich die nachhaltige Bedeutung des umfassenden Aufbruchs, der Deutschland jetzt sofort gelingen muss, wenn es in der nahen und fernen Zukunft überhaupt noch die Rechnungen anstellen will, die sich für eine Macht wie Deutschland gehören. Und bei dem, was der Nation laut Habeck da wegbricht, sind das sehr weltmächtige Rechnungen. Denn Deutschland hat es nicht „nur“ mit einem Krieg hie und einer neuen ökonomischen Konkurrenzlage da zu tun. Die gesamte ökonomische und strategische Grundlage seines Haushaltens ist weggebrochen: die totale Verfügbarkeit sowohl seines wichtigsten Energielieferanten als auch seines wichtigsten Markts für die Bedürfnisse deutscher ökonomischer Konkurrenzmacht; insbesondere die allseitige Unterordnung unter die amerikanische Militärgewalt. Damit geht das Geschenk geklärter Gewaltverhältnisse und Konkurrenzbedingungen verloren, die Deutschland nur noch auszunutzen brauchte. Es war so frei, sich und – was Habeck nicht erwähnt – seinen europäischen Währungspartnern sehr strenge ökonomische Erfolgsvorgaben zu machen, die Jahr für Jahr zu erfüllen waren, auf dass kein Zweifel an der Qualität des deutsch-europäischen Geldes aufkommen kann. Doch zumindest für Habeck sind die fetten Jahre der Sparsamkeit vorbei. Eine so friedliche, weil durch die amerikanische Militärmacht zuverlässig abgeschreckte, auf das friedliche marktwirtschaftliche Haifischbecken verpflichtete Staatenwelt, in der Deutschland seine Vorteile bei der rentablen Ausnutzung von Arbeit daheim und in aller Welt ausspielen konnte, gehört der Vergangenheit an. Woraus nur eines folgen kann: Deutschland muss selbst Herr über seine Lebensbedingungen werden, d.h. für die Gewalt sorgen, von der seine friedliche Weltbenutzung schon immer gelebt hat.

So bespricht die Regierung den Imperialismus ihrer Nation: als das Gebot, dass Deutschland in einer Welt von nicht mehr ganz so freundlichen bis feindlichen Weltmächten die Konkurrenz- und Gewaltverhältnisse, die es ausnutzt, selbst im Griff haben muss, und dass deswegen ein „intelligenteres“, nämlich weniger formell restriktives Haushalten vonnöten ist. Was aus diesem kleinen Einblick in die Lage der imperialistischen Konkurrenz für das mit einer Haushaltsdebatte beglückte Publikum also folgen soll, ist die Erkenntnis, dass sich eine Politik nach Kassenlage verbietet. Immerhin wird da die schlechte Nachricht, dass die Nation dafür Geld in einer Menge braucht, die sie nicht ansatzweise hat, von der guten Nachricht locker überholt: Sie kann es sich beschaffen, indem sie den Erfolg einer militärischen und ökonomischen Zeitenwende finanziell vorwegnimmt: durch die Aufnahme von Kredit in einem Ausmaß, das den außerordentlichen Konkurrenznotwendigkeiten der Nation entspricht. Mit den Erfolgsmitteln käme dann der Erfolg, der ihre Vorwegnahme rechtfertigt.

3. Die Schuldenbremse als positive Bedingung imperialistischer Handlungsfreiheit (Lindner)

Was nun daraus für den Haushalt folgt? Erst einmal gar nichts. An der Stelle hört nämlich das Verständnis eines liberalen Finanzministers auf, mag er auch noch so viel Verständnis haben für die außerordentlichen militärischen wie globalkapitalistischen Ambitionen der Nation:

„Die Schuldenbremse ist eine Erfolgsgeschichte. Sie beendete den Trend einer chronisch ansteigenden Staatsverschuldung. Zugunsten nachfolgender Generationen wirkte sie steigenden Zinslasten und der Einengung der haushaltspolitischen Spielräume der Zukunft entgegen. Die Schuldenbremse wirkte präventiv gegen Staatsschuldenkrisen, wie sie andere Länder der Eurozone in den Jahren von 2010 an erlitten haben. Sie sorgt für eine ausgezeichnete Bonität unseres Landes an den Finanzmärkten. Das ermöglichte es, in kurzer Zeit große Finanzvolumina zu vertretbaren Konditionen an den Kapitalmärkten zu beschaffen, um die wirtschaftlichen und sozialen Kosten der Energiekrise 2022 abzufedern. Vor diesem Hintergrund sollten wir die Schuldenbremse weder abschaffen noch schleifen, sondern schlicht einhalten.“ (Gastbeitrag von C. Lindner und M. Buschmann in der FAZ, 2.12.23)

Auf der Bremse steht diese Partei also nicht deswegen, weil sie von den großen Zielen der Nation, von den dazugehörigen ökonomischen und militärischen Aufgaben irgendwie Abstand nehmen oder an ihnen auch nur Abstriche machen wollte. Lindner und Co bringen das tradierte Haushaltskorsett nicht als Fessel, sondern als Garant der Attraktivität deutscher Staatsschulden für das Finanzkapital ins Spiel – als positive Bedingung der finanziellen Handlungsfreiheit, die die Nation erst recht braucht, wenn sie eine Macht auf der Höhe der Zeit, also auf Augenhöhe mit den militärischen und ökonomischen Großmächten sein will.

II. Imperialismus deutsch: Zukunftsweisende Symbiose von Gewalt und Geld

Was aus alledem folgt?

Praktisch ein ziemliches Hin und Her in der Regierung, schließlich ein Haushaltskompromiss, der allen Regierungsparteien im Wesentlichen recht gibt: Ihre großen Ziele und Aufgaben bleiben großteils intakt, die Schuldenbremse bleibt es auch. Theoretisch eine Lehre über die finanzielle Unabhängigkeit und Abhängigkeit einer kapitalistischen Staatsgewalt im Allgemeinen sowie über das besondere Verhältnis zwischen einer schwergewichtigen Macht in imperialistischer Aufbruchsstimmung und dem Finanzkapital, das es dafür zu nutzen gilt.

1. Der Normalfall marktwirtschaftlicher Staatsverschuldung …

Was die Eigenart der Staatsverschuldung im Allgemeinen betrifft: Auch wenn hierzulande die Lüge nicht aussterben will, dass eine Regierung nur so viel ausgeben kann, wie sie einnimmt, so gehört doch die Einsicht in die Notwendigkeit und den Nutzen des Kredits zur Qualifikation und Praxis eines jeden Finanzministers: Er geht selbstverständlich aus von, wirtschaftet nämlich mit der Emanzipation der finanziellen Potenz der Staatsgewalt von den Schranken, die das Steueraufkommen ihr setzt. Das gilt erst recht deswegen, weil das Sprudeln dieser Geldquelle fiskalische Zurückhaltung erfordert – insbesondere bei denen, die viel Geld haben, deren Einkünfte aber eben Kapital, insofern zur weiteren Vermehrung vorgesehen sind.

Ebenso gewiss ist der Preis, der für die so erkaufte Unabhängigkeit der Staatsgewalt kontinuierlich bezahlt werden muss: der Zins. Der muss zwar für sich kein Problem sein, stellt eben die Kost der unerlässlichen Freiheit dar; doch damit der Zugriff auf die Finanzmärkte, auf denen der Kredit zu erwerben ist, ein schlagkräftiges Instrument der Nation bleibt, statt sich zu einer Belastung für sie auszuwachsen, muss eine Bedingung kontinuierlich erfüllt werden: Als Schuldner muss die staatliche Hoheit die Autorität der finanzkapitalistischen Internationale praktisch anerkennen, d.h. dem Eigennutz einer fremden Instanz entsprechen. Sie muss sich einem kritischen Vergleich mit allen anderen – kommerziellen wie staatlichen – Nachfragern nach Kredit bzw. Anbietern von Verdienstgelegenheiten aussetzen, sich als Konkurrent um den Kredit bewähren, den die Agenten dieser Instanz in ihrer unermüdlichen Suche nach der besten Kombination aus Sicherheit und Rendite zu vergeben haben.

Dabei hat eine Staatsgewalt, die überhaupt kein eigenes Geschäft betreibt, also Geld allenfalls in übertragenem Sinne „investiert“, einem besonderen Erfolgskriterium zu genügen. Sie muss beweisen, dass sie mit der kreditmäßigen Freiheit, die sie sich für die Bewältigung ihrer hoheitlichen Aus- und Aufgaben nimmt, für ihre ökonomische Basis aufs Ganze gesehen und im Ergebnis keine unproduktive Last, sondern eine Produktivkraft ist. Wenn ein Haushalt kontinuierlich davon zeugt, dass der Staat mit all seinen Ausgaben eine wachsende kapitalistische Ökonomie regiert, die Ausbeutung der Arbeit auf und von seinem Standort aus konkurrenztüchtig ist, dann beweist er damit eben umgekehrt, dass er es vermag, eine ganze nationale Ökonomie zu einer für seine Finanzmacht produktiven Grundlage herzurichten. Dann sind die Schulden, die er macht, eine Vorwegnahme von gelingenden Geschäften im großen Stil, akkumulierendes Kapital im nationalen Maßstab. Das macht ihn – bzw. seinen Geldbedarf und die Währung, in der dieser beziffert und befriedigt wird – zu einem sehr konkurrenzfähigen Angebot, das das Finanzkapital nicht ablehnen kann. Ein Staat vom Schlage Deutschlands tritt also in diesem Sinne an seine Krediteure nicht als abhängiger Nachfrager nach Geld heran, sondern als eigenständiger Anbieter von Kapital: als Emittent von Wertpapieren, die in den Händen der Finanzakteure nicht nur selbst Vermögen sind, sondern als sichere Grundlage für die Vermehrung ihres Vermögens, die Ausweitung ihrer Kreditgeschäfte dienen. Der Ertrag, den solche Papiere „abwerfen“, gilt sogar als Richtlinie dafür, was andere zinsbringende Vermögensstücke als solche überhaupt wert sind. Hinter den emittierten Papieren selbst steht immerhin: der herrschaftliche Garant der Ordnung, unter der auch das Finanzkapital sein Geschäft macht; der Schöpfer und Garant des Stoffs, mit dem es sein Geschäft macht, nämlich des Geldes, in dem es sein Kapital beziffert und vermehrt; die unverzichtbare Quelle von „Liquidität“ in guten und erst recht in schlechten Zeiten. Die praktizierte Anerkennung der staatlichen Abhängigkeit vom Urteil des internationalen Finanzkapitals ist also kein Fall von Unterwerfung, sondern eine sehr ergiebige Methode seiner Inanspruchnahme.

Gerade deswegen steht für einen Lindner fest, dass die Einhaltung der Schuldenbremse für ein Land wie Deutschland kein Problem, sondern Mittel für alles ist, was es vom Finanzkapital braucht und nutzt: Die Schulden dieses Landes finanzieren Wachstum, eilen ihm in einer Weise voraus, die durch das Wachstum selbst ein ums andere Mal gerechtfertigt wird. Für die dafür nötige Solidität, für die Sicherung der Grundlage der finanziellen Freiheit, die der deutschen Ökonomie und der deutschen Macht gut tut, gibt es die Schuldenbremse.

2. … erfordert entschiedene Sondermaßnahmen. Für nationale „Kriegstüchtigkeit“ und kapitalistische „Leistungsfähigkeit“ im Weltmaßstab

Damit ist man beim besonderen Fall einer deutschen Regierung, die sich auf diesen erfolgreichen Normalfall verlässt, um über ihn entschieden hinauszugehen.

a)

Das betrifft vor allem den Haushaltsposten, mit dem die Regierung die große „Zeitenwende“ der Nation eingeleitet hat: ein 100 Mrd. schweres Sondervermögen für den Auf- und Umbau der Bundeswehr. Die einschlägigen Schulden, so viel ist der Regierung von vornherein klar, sind mit der Schuldenbremse nicht zu vereinbaren; damit das zu finanzierende militärische Aufbauprojekt dadurch nicht ausgebremst wird, wird sie umgangen. Mit der erforderlichen Zustimmung von mehr als zwei Dritteln des Bundestags wird dieser Posten aus dem normalen Haushaltsrahmen herausgehoben und selbst in der Verfassung verankert. Programmiert ist damit eine sprunghafte Vergrößerung der nationalen Gewaltpotenzen – und zwar nicht als einmalige Ausgabenaktion, sondern zur Etablierung eines neuen, langfristig zu haltenden Niveaus von militärischem Zerstörungspotential. Das ist die neue Normalität, auf die die Nation sich einzustellen hat:

„Die Bundeswehr muss personell und materiell jederzeit durchhaltefähig einsatzbereit sein. Die neue Qualität der Bedrohung unserer Sicherheit und die brutale Realität des Krieges in der Ukraine verdeutlichen, dass wir unsere Strukturen und Prozesse am Szenario des Kampfes gegen einen mindestens ebenbürtigen Gegner ausrichten müssen: Wir wollen diese Auseinandersetzung nicht nur gewinnen, sondern wir müssen. Dies gibt den Takt vor.“ „Die Zeitenwende verändert die Rolle Deutschlands und der Bundeswehr im Bündnis fundamental. Gerade die BRD hat im Kalten Krieg als ‚Frontstaat‘ umfassend von der Präsenz der Verbündeten der NATO auf ihrem Territorium über Jahrzehnte profitiert. Umso mehr stehen wir heute in der Verantwortung, wesentliche Beiträge für den Schutz und die Sicherheit unserer Verbündeten zu leisten... Als wirtschaftlich leistungsfähiges Land in der Mitte Europas ist Deutschland das Rückgrat für die kollektive Verteidigung in Europa.“ (Verteidigungspolitische Richtlinien 2023)

Mit „ebenbürtigem Gegner“ sind natürlich erst einmal die Russen gemeint. Es ist aber sachgerecht, dass die Formulierung des Anforderungsprofils an die Bundeswehr hier abstrakt und allgemein gehalten wird. Das macht nämlich deutlich, dass die Zeitenwende für die Bundeswehr zwar in der Feindschaft gegen Russland ihren Ausgangspunkt und ihren ersten, entscheidenden Gegenstand hat, dass sie aber auf einen Aufbruch fundamentalerer Art zielt: Deutschland wappnet sich für diese epochemachende Auseinandersetzung unter dem Gesichtspunkt, was sich für eine Macht wie Deutschland gehört; was diese Nation sich schuldig ist angesichts dessen, was sie selbst für eine Macht eigentlich schon ist, aber ab sofort wirklich zu sein hat. Maß nimmt die Regierung dabei an einer direkten kriegerischen Auseinandersetzung mit der russischen Militärmacht; das freilich nicht auf sich allein gestellt, sondern zusammen mit der mächtigsten Kriegsallianz der Weltgeschichte; das freilich nicht als irgendein Verbündeter, sondern als „Rückgrat der kollektiven Verteidigung in Europa“, als entscheidende europäische Schutzmacht in der NATO; das wiederum nicht als Ersatz für die Superführungs- und Schutzmacht USA, sondern als deren exklusiver, führender Partner in Europa, als Garant des europäischen Pfeilers des transatlantischen Bündnisses. Auf der Basis soll Deutschland die gewaltsame Potenz entfalten, die es ihm erlaubt, so viel kriegerische „Verantwortung“ zu übernehmen, wie sie die Geschäftsordnung eines globalen Friedens erfordert – erst recht von einer Macht, die diesen Frieden so ertragreich zu nutzen versteht.

Die jüngsten schlechten Nachrichten aus Washington, dass nicht nur die Fortsetzung der für den Krieg unverzichtbaren Gelder und Gewaltmittel der Supermacht für Kiew auf der Kippe steht, sondern auch und vor allem die Schutz- und Führungsmacht für Berlin wackeln könnte, sind für dieses Vorhaben ein einziger Booster: Deutschland muss nun erst recht die Wende schaffen von der zivilen ökonomischen Macht, die von geklärten Gewaltverhältnissen, damit letztlich von der obersten amerikanischen Weltgewalt profitiert und die Staaten des ihr erschlossenen Globus in nützliche Beziehungen verstrickt, zu der diese anderen im wohlverstandenen Eigeninteresse keine Alternative haben sollen, hin zu einer militärischen Macht, die auch die globalen Gewaltverhältnisse maßgeblich mitgestaltet und vor keiner kriegsträchtigen Feindschaft zurückschreckt, wenn sie sein muss.

Von sich selbst verlangt die Nation damit zunächst das, was für ca. drei Tage ein kontroverses Wort war: „Kriegstüchtigkeit“.Die politischen Führer des Landes, ihr militärischer und sonstiger Apparat müssen militaristische Entscheidungsfreude und Umsetzungsvermögen an den Tag legen; der Rüstungsindustrie wird zugemutet, sich aus dem Stand und auf lange Sicht für weitaus größere Geschäfte fit zu machen; eventuell braucht die Staatsgewalt erleichterten Zugriff auch auf ihr menschliches Kriegsmaterial, da ist die Republik nicht ganz entschieden; auf jeden Fall braucht Letzteres mehr geistig-moralische Kriegstüchtigkeit, das hat ihr inzwischen eingeleuchtet. Der Dünkel, die erfolgreichste zivile Konkurrenzmacht der Welt zu sein, ist nicht nur unzureichend, sondern auch zu naiv, weil zu friedfertig, zu russlandversteherisch.

Von den Finanzmärkten verlangt die Nation: sehr viel geldwertes, zinstragendes Vertrauen. Und zwar in sich als einen Schuldner, der das viele Geld in ein Projekt steckt, das mit der Ankurbelung eines entsprechend großdimensionierten nationalen Wirtschaftswachstums überhaupt nichts zu tun hat, und der dennoch die Stirn hat, die einschlägigen Schulden als „Vermögen“ zu behandeln. Letzteres ist jedenfalls mehr als ein Terminus technicus für einen Haufen Haushaltsmittel, die der deutsche Staat sich damit beschafft; es ist ein passender Ausdruck dafür, wie wenig der deutsche Staat mit seinem gewaltigen Finanzbedarf, der in seine normale Haushaltsordnung gar nicht reinpasst, als Bittsteller in der Not gegenüber den Märkten auftritt. Genau umgekehrt tritt die Regierung erkennbar mit dem Selbstbewusstsein an, der finanzkapitalistischen Internationale damit ein sehr großes, eigentlich unschlagbares Angebot zu machen, das nicht nur auf ein Interesse, sondern auf einen sehr großen, stetigen Bedarf der Märkte trifft. Worauf die Finanzwelt dabei setzen und spekulieren soll, ist mehr als der angesammelte gute Kredit eines traditionellen Exportweltmeisters und der europäischen ökonomischen Führungsmacht, also die Aussicht darauf, dass die deutsche Wirtschaft – durch einen entsprechenden Boom in der Rüstungsindustrie gestärkt – die großen Summen über die Zeit schon wird reinwirtschaften können. Sie soll auch und gerade auf die ökonomische Überzeugungskraft des militärischen Aufbruchsprojekts selbst spekulieren – darauf, was damit aus der deutschen Macht wird. Immerhin: Wenn von ihr mehr Gewalt ausgeht, dann stärkt sie sich gerade als das, was sie als höchste Gewalt erst recht dieser Güteklasse für das Finanzkapital ist: „Rückgrat“ einer kollektiven Ordnungsgewalt, deren europäische und globale „Friedensordnung“ den Spekulationsentscheidungen des Finanzkapitals eine ganze Welt zugänglich macht; Quelle und Garant eines der wenigen Gelder, mit denen diese Ordnung wirklich weltweit finanzkapitalistisch zu erschließen ist und in denen die entsprechenden Erträge so sicher aufzubewahren sind, dass sie jederzeit für die nächsten Geschäfte verfügbar sind.

Mit dem Angebot, das Deutschland damit den Finanzkapitalisten der Welt macht, legt es sich freilich auf den Anspruch fest, dem es gerecht werden muss, um die Kreditwürdigkeit zu genießen, die es dafür schon in Anspruch nimmt. Dieser imperialistische Sprung, der Aufwuchs Deutschlands zu einer Militärmacht, die im Bündnis und als dessen europäisches „Rückgrat“ der ökonomischen Vormacht des Landes entspricht, muss gelingen.

b)

Dafür steht also das punktuelle Umgehen der deutschen Schuldenbremse. Und dafür steht zugleich das Insistieren auf ihrer fortgesetzten Geltung. Deutschland braucht – so die Einigkeit in der Koalition wie in der christlichen Opposition – jetzt sofort Gewaltmittel in einem Maße, das mit seiner Haushaltsordnung nun einmal nicht zu vereinbaren ist. Gerade deswegen – so die Beteuerung insbesondere des regierenden Finanzministers – braucht es auf Dauer eine Ökonomie, die diese Potenz zur neuen Normalität macht. Wer europäisches „Rückgrat“ der transatlantischen Militärallianz sein will, der muss das auch im Kreuz haben, also dauerhaft „wirtschaftlich leistungsfähig“ sein.

Im Allgemeinen ist das eine Klarstellung über das letzte staatliche Wozu der zivilen Leistungen des Kapitalismus: Sie sind ein Mittel der imperialistischen Geltung der Hoheit, die mit ihrem Gewaltmonopol die Ordnung und mit ihrer Geldhoheit den Stoff stiftet, mit dem sie und alle anderen haushalten. Im Besonderen ist das ein aparter Anspruch an die ökonomische Machtbasis des deutschen Staates. Von der ist – einerseits – schlicht mehr vom selben verlangt: mehr kapitalistisches Wachstum, um die umso ausgiebigere Inanspruchnahme der staatlichen Kreditwürdigkeit Jahr für Jahr zu beglaubigen. Andererseits steht für die Koalition ohnehin längst fest, dass es beim bloßen Mehr an Wachstum nicht bleiben darf. Auch hier braucht Deutschland unbedingt einen umfassenden Um- und Aufbruch, für den die regierende „Modernisierungskoalition“ ebenfalls ein eigenes Sondervermögen namens „Klima- und Transformationsfonds“ eingerichtet hat, das als „Allzweckwaffe“ für eine generelle Standortaufmöbelung dienen soll. Das Wachstum in der Zukunft, um an die oben zitierte Beteuerung des Kanzlers zu erinnern, gibt es nur als grünes und durchdigitalisiertes; das wiederum ist nur dann ein Mittel des nationalen Wohlstands, wenn der nationale Kapitalismus bei der Entwicklung und Verwendung der dazugehörigen Technologien hinter den anderen Weltmächten nicht hinterherrennt, sei es bei E-Autos, der Entwicklung und dem Einsatz von grünen Energieträgern oder bei der Produktion von den allgegenwärtigen, für fortschrittliche Waffentechnik und sonstige Zukunftstechnologien so entscheidenden Halbleitern. Gerade bei Letzterem wird die strategische Qualität des ökonomischen Aufbruchs der Nation, wird die Relevanz des technologischen Fortschritts für die souveräne Gewalt des Staates deutlich: Angepeilt ist damit eine Standortaufrüstung, bei der die Ambition, die Beherrschung der Weltmärkte nicht den anderen zu überlassen, also selbst führend zu sein, ein Gebot nationaler Sicherheit ist. Es geht um die Eroberung von ökonomischen – energetischen, digitalen – Konkurrenzpositionen ausschließender Natur. Da will so schnell niemand mehr, schon gar nicht Bundeskanzler Scholz, die Floskeln vom allseitigen Segen des technischen Fortschritts und einer Konkurrenz um Wachstum aufwärmen, das den Kuchen für alle größer macht. Stattdessen geht es heute nach offizieller Auskunft um die „Beseitigung untragbarer Abhängigkeiten“.

Das reimt sich schon wieder auf einen sehr großen, sehr dringlichen Bedarf nach mehr Geld als in die normale deutsche Haushaltsordnung passt; auch dafür findet die Regierung mit ihrer abermaligen Sonderkonstruktion einen Weg; und auch hier tritt sie den Finanzmärkten nicht als Bittsteller, sondern als Anbieter einer erlesenen Ware gegenüber: Das Finanzkapital kann und soll auf die deutsche Entschlossenheit setzen, den Konkurrenzmaßstäben zu entsprechen, die die Weltsupermacht USA und die aufsteigende Supermacht China setzen, bzw. diese selber vorzugeben.

Das heißt umgekehrt und erst recht, dass die entsprechende Herrichtung der deutschen ökonomischen Basis gelingen muss:

Von den maßgeblichen Machern des nationalen Wachstums ist verlangt, dass sie sich bei ihrer Bereicherung unter Konkurrenzbedingungen bewähren, deren Schaffung ihnen beträchtliche neue Kosten auferlegt: Sie sollen sich als die Träger einer spitzenmäßigen Industrienation ohne russisches Gas bewähren, mit Energieträgern, die Deutschland nicht von Lieferanten abhängig machen, bei denen Deutschland vielmehr andere Nationen von seinen grünen Technologien abhängig macht. Sie sollen ihre gewohnten Erfolge als weltweit führende Konzerne einer Auto-Nation schlechthin fortsetzen, freilich unter einer elektromobilen Vorgabe, die ihr bisheriges Kapital ein ganzes Stück weit entwertet. [3] Damit sie diesen Forderungen gerecht werden, erfahren sie auch einiges an Förderung – derzeit ringt die Regierung um ein neues Gesetz, das ihnen eine neue Fülle von „Wachstumschancen“ bieten soll, die sie zum Wohle der Nation für sich ausnutzen sollen.

An den absolut unmaßgeblichen, aber nicht minder gefragten Rest ergeht die Forderung, weiterhin das zu tun, was er immer tut: mit sich stets ändernden, nicht leichter werdenden Arbeits- und Lebensbedingungen zurechtzukommen. Ihre Inanspruchnahme für die Bewährung einer neuartigen imperialistischen Konkurrenz bekommen die Bürger derzeit sehr unmittelbar zu spüren: Die Kombination aus dem dringlichen Gebot der nationalen Sicherheit Deutschlands als russlandfeindliche Militärmacht und dem ebenso dringlichen Gebot der weltmarktmäßigen Überlegenheit Deutschlands als Konkurrent gegen die USA und China schlägt sich prominent in Form von gestiegenen Kosten für Energie und sehr prominent mit teuren neuen Vorgaben fürs Heizen nieder. Und auch hier wird die Forderung an die Bürger mit einer Förderung verknüpft, die dafür sorgen soll, dass die geforderte „Transformation“ auch bei ihnen geht.

c)

Für den hohen imperialistischen Sinn und Zweck des Dienstes, für den sie mit der Macht des Staatshaushalts vereinnahmt werden, sind die Betroffenen dennoch nicht zu begeistern. Was die Regierung auch gar nicht versucht. Sie wirbt für ihre Politik mit lauter Sachzwängen, denen sie gerecht werden muss, und mit der Umsicht, mit der sie denen gerecht werden will. Also für eine Sache, die zu den maßgeblichen Interessen der geförderten Wirtschaftsbosse nur teilweise passt, und auf eine Weise, die vom demokratisch gewitzten Volk mit seinen unmaßgeblichen Interessen leicht als Ausflucht durchschaut wird:

Die FDP beruft sich für ihr Programm des unanfechtbar soliden Geldes auf die feststehende rechtliche Geltung der Schuldenbremse, von der doch jeder weiß, dass ein Parlamentsbeschluss sie jederzeit ändern könnte. So disqualifiziert sich Lindners finanzwirtschaftliche Regeltreue als ideologisch begründete Sturheit aus parteitaktischen Motiven.

Die Grünen propagieren die Konkurrenz um eine weltenergiepolitische Wende und infrastrukturellen Fortschritt auf Weltniveau mit der Warnung vor zukünftigen Klimakatastrophen, die am gepflegten staatsbürgerlichen Materialismus der heillosen Abhängigkeit vom Hier und Jetzt voll vorbeigeht. So verfällt ihre vorausschauende Sorge ums Schicksal der Nation und der Welt dem Verdikt eines Luxus-Problems für Besserverdienende.

Die Kanzler-Partei rechtfertigt die Regierungspolitik der verteilten Lasten als praktizierten Respekt vor allen redlichen Anliegen, von denen sich keines wirklich bedient sieht; außerdem als besonnenen Ausgleich aller widerstreitenden politischen Positionen, von denen keine sich einen Ausgleich gefallen lässt.

So sieht sich das elementare staatsbürgerliche Bedürfnis, ohne Wenn und Aber kraftvoll regiert zu werden, um die kompromisslose Führung betrogen, an der die Regierung es tatsächlich überhaupt nicht fehlen lässt.

Und die Wirtschaftselite ist und äußert sich ganz umstandslos überwiegend unzufrieden, weil die schönsten Aussichten auf weltweites Geldverdienen für sie immer noch schöner sein könnten.

Alles nicht gerecht. Aber demokratisch so was von konsequent.

[1] „Sollte sich die Situation durch Russlands Krieg gegen die Ukraine verschärfen, etwa weil die Lage an der Front sich verschlechtert, weil andere Unterstützer ihre Ukrainehilfe zurückfahren, weil die Bedrohung für Deutschland und Europa weiter zunimmt, dann werden wir darauf reagieren müssen.“ (Scholz im Bundestag, 13.12.23)

[2] „Der Trick ist doch durchschaubar: Sie geben jetzt das Geld aus, das Sie im Klima- und Transformationsfonds haben. Sie geben das Geld aus, das Sie für die gesamten Transferleistungen in den Arbeitsmarkt aufwenden wollen, und dann werden Sie uns zur Mitte des Jahres sagen: Tja, das ist nun alles unvorhergesehen gewesen, was da in der Ukraine auf uns zukommt, und jetzt müssen wir noch einmal die Haushaltsbeschlüsse überprüfen... Diesen Trick lassen wir Ihnen nicht durchgehen...“ (F. Merz im Bundestag, 13.12.23)

[3] Vgl. ‚Klimaschutzprogramm 2030‘, Klimaschutzgesetz, nationale Wasserstoffstrategie... Deutschlands Energieimperialismus wird klimaneutral in GegenStandpunkt 1-21.