Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Der Poststreik ist zu Ende
Vom Sieg der Post und der Kapitulation der Gewerkschaft im Kampf um die Zukunft des kapitalistischen Briefwesens
Nach vier Wochen Ausstand geht der Streik der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di gegen die Deutsche Post AG – der längste und teuerste Arbeitskampf in der Geschichte der Post – zu Ende. Über den Vertrag, auf den sich die Tarifparteien Anfang Juli einigen, ist sich die professionelle Öffentlichkeit einig: Das Ergebnis sei „niederschmetternd“, eine „krachende Niederlage“ für die Gewerkschaft mit einem „äußerst mageren“, sogar „verheerenden Ergebnis“ für die Post-Arbeiter; ver.di habe in dieser harten Auseinandersetzung mit ihrem Sozialpartner offensichtlich „spektakulär verloren“, gar ihr eigenes „Waterloo“ erlitten. An der gewerkschaftlichen Basis wird die Einigung teils mit Verwunderung und Empörung registriert: Das Ergebnis sei „ein Schlag ins Gesicht all derer, die sich an diesem Streik beteiligt haben“; zwischenzeitlich ist von einem „Verrat“ der Streikenden durch das Verhandlungsteam die Rede. Nur die Gewerkschaftsspitze zeigt sich mit dem Resultat zufrieden, doch auch darüber macht sich keiner wirklich etwas vor: Eine gewerkschaftliche Verhandlungsführerin sei es sich, ihrem gewerkschaftlichen Publikum und der breiteren Öffentlichkeit einfach schuldig, auch das traurigste Ergebnis freudig als Sieg, als das „Bestmögliche“ oder wenigstens als die „Verhinderung von Schlimmerem“ zu präsentieren – angesichts der Lage, der Intransigenz der Gegenseite, etc.
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Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Gliederung
- Das „niederschmetternde“ Ergebnis eines Arbeitskampfs
- Die Zukunft der Post als Logistik-Multi – unverträglich mit den „Besitzständen“ ihrer Belegschaft
- Die Niederlage im Arbeitskampf – eine neue Herausforderung für die Gewerkschaft
- Kampf gegen „strategische Entscheidungen eines Unternehmens“ – ein klarer Fall von Realitätsverlust
Der Poststreik ist zu
Ende
Vom Sieg der Post und der Kapitulation
der Gewerkschaft im Kampf um die Zukunft des
kapitalistischen Briefwesens
Das „niederschmetternde“ Ergebnis eines Arbeitskampfs
Nach vier Wochen Ausstand geht der Streik der
Dienstleistungsgewerkschaft ver.di gegen die Deutsche
Post AG – der längste und teuerste Arbeitskampf in der
Geschichte der Post – zu Ende.[1] Über den Vertrag, auf den
sich die Tarifparteien Anfang Juli einigen, ist sich die
professionelle Öffentlichkeit einig: Das Ergebnis sei
niederschmetternd
(Spiegel
Online), eine krachende Niederlage
für die
Gewerkschaft mit einem äußerst mageren
, sogar
verheerenden Ergebnis
für die Post-Arbeiter (FAZ);
ver.di habe in dieser harten Auseinandersetzung mit ihrem
Sozialpartner offensichtlich spektakulär verloren
(SZ), gar ihr eigenes
Waterloo
erlitten. An der gewerkschaftlichen Basis
wird die Einigung teils mit Verwunderung und Empörung
registriert: Das Ergebnis sei ein Schlag ins Gesicht
all derer, die sich an diesem Streik beteiligt haben
;
zwischenzeitlich ist von einem Verrat
der
Streikenden durch das Verhandlungsteam die Rede. Nur die
Gewerkschaftsspitze zeigt sich mit dem Resultat
zufrieden, doch auch darüber macht sich keiner wirklich
etwas vor: Eine gewerkschaftliche Verhandlungsführerin
sei es sich, ihrem gewerkschaftlichen Publikum und der
breiteren Öffentlichkeit einfach schuldig, auch das
traurigste Ergebnis freudig als Sieg, als das
„Bestmögliche“ oder wenigstens als die „Verhinderung von
Schlimmerem“ zu präsentieren – angesichts der Lage, der
Intransigenz der Gegenseite, etc.
Das zentrale Ziel der Gewerkschaft, auch wenn sie aus
rechtlichen Gründen nicht explizit dafür streiken durfte,
wurde jedenfalls nicht erreicht, nämlich die Rücknahme
der Auslagerung von Teilen der Paketzustellung an 49 von
der Post selber gegründete Regionalgesellschaften („DHL
Delivery GmbHs“) – zu einem Lohnniveau, das gemäß dem
ver.di-Tarifvertrag für die Logistikbranche um bis zu
20 % unter dem Haustarifvertrag der Post liegt, und
entgegen der Tarifvereinbarung von 2011, welche die
Ausgliederung von Paketzustellbezirken auf 990 von 50 000
beschränkt hatte. An dieser Front hat sich die Post auch
nach 52 Tagen Streik keinen Millimeter bewegt. Auch das
zwischenzeitliche Angebot der Gewerkschaft, eine
Nullrunde für sämtliche Post-Beschäftigten im laufenden
Tarifjahr hinzunehmen, lässt den Postvorstand vollkommen
kalt. Die Verzichtsbereitschaft der Gewerkschaft wird
zwar dankend angenommen: Die Arbeitszeit wird, entgegen
der ursprünglichen, kompensatorischen
Forderung
der Gewerkschaft nach einer Reduzierung von 38,5 auf 36
Stunden pro Woche bei vollem Lohnausgleich, um keine
Minute gekürzt. Und entgegen der Forderung nach 5,5 %
mehr Lohn für die Postler gibt es im laufenden Tarifjahr
keine Lohnerhöhung, vielmehr bloß eine Einmalzahlung von
400 €; erst im Oktober 2016 folgt dann eine Tariferhöhung
um 2 %, ein Jahr später um 1,7 %. Doch die erhoffte
Gegenleistung der Post, die Reintegration der
ausgelagerten Paketzustellung in die Deutsche Post AG und
damit in den Haustarifvertrag, bleibt aus. Die neuen
Regionalgesellschaften mit ihren deutlich niedrigeren
Lohnkosten bleiben. Immerhin, so die stolze Verkündung
von ver.di, hat die Gewerkschaft für die Post-Arbeiter
Schutz und Sicherheit durchgesetzt
– an genau den
Arbeitsplätzen, die die Post bei sich einrichtet: Der
2011 vereinbarte Schutz vor betriebsbedingten und
Änderungskündigungen wird bis 2019 verlängert; und bis
2018 verspricht die Post, es bei den 49
Regionalgesellschaften zu belassen und keine weitere
Fremdvergabe bei der Brief- und Verbundzustellung zu
praktizieren – was ver.di zu der ebenso stolzen
Ankündigung bewegt: Damit ist der Aufbau der DHL
Delivery GmbHs auf den Zuwachs begrenzt.
Die Zukunft der Post als Logistik-Multi – unverträglich mit den „Besitzständen“ ihrer Belegschaft
Gleich nach dem Abschluss macht die Post AG deutlich,
dass der erreichte Abschluss keineswegs das Ende der
Auseinandersetzung mit der Gewerkschaft über die
Bedingungen des Gewinnemachens in der Postbranche ist.
Sie stellt klar, dass ver.di nicht etwa „Schlimmeres“
oder einen „Dammbruch“ verhindert, sondern der Post einen
ersten Etappensieg beschert hat: Das Ziel, die Lohnkosten
der Post durch den schrittweisen Ausstieg aus dem
Haustarif flächendeckend zu senken, und damit ihre
Konkurrenzfähigkeit ebenso flächendeckend zu erhöhen,
wird durch den Abschluss zwar vorläufig begrenzt, bleibt
aber definitiv das Zukunftsmodell der Firma:
DHL Delivery-Gesellschaften sind Plattform und
Wachstumstreiber des boomenden E-Commerce Geschäfts in
Deutschland
– ein Geschäft, das die Post heute und
übermorgen zu dominieren gedenkt.
Entscheidend dafür ist erstens, dass die Post
den Konkurrenzbedingungen in der Branche gerecht wird,
deren Beherrschung gesichert und ausgebaut werden soll.
Diese Branche heißt allgemein Logistik
und ist ein
Synonym für billige Löhne, eine genuine
Abteilung des Niedriglohnsektors. Diesem Ziel ist die
Post mit dem aktuellen Abschluss ein ganzes Stück näher
gekommen:
„Nach der Tarifeinigung ist es nun Fakt, dass die Post ihre 49 Regionalgesellschaften weiter betreiben und auch ausbauen kann. In den Gesellschaften wird der Tariflohn des Speditions- und Logistikgewerbes bezahlt, der rund 20 Prozent unter dem Lohnniveau der Deutschen Post liegt.“ (Die Welt, 6.7.)
Doch wie die Post selbst beteuert, ist dieser Abschnitt
des Niedriglohnsektors – insbesondere die Unterabteilung
namens E-Commerce
– keineswegs so etwas wie ein
Nebenschauplatz des deutschen Standorts oder bloß Teil
eines „zweiten Arbeitsmarkts“, auf dem langfristig
überflüssig gemachte „Arbeitssuchende“ einen
Wiedereinstieg in die Arbeitswelt finden oder zumindest
die Sozialkosten des Staates reduzieren. Diese Branche
ist nicht nur eine boomende Wachstumssphäre daheim,
sondern ein Sprungbrett für ein einträgliches globales
Geschäft, in dem die Deutsche Post schon jetzt zu den
Marktführern gehört.
Für die Beherrschung dieser Sphäre ist zweitens die Fähigkeit des Betriebs entscheidend, je nach Bedarfslage passgenau auf die Arbeit seiner Beschäftigten zuzugreifen und ihre Entlohnung davon abhängig zu machen, wie sich ihre Arbeit in einem Zugewinn für die Firma nachweislich niederschlägt. Da wird die Bezahlung des Lohns unmittelbar mit dem Zweck verknüpft, für den er überhaupt nur verausgabt wird:
„In Deutschland erhalten die tariflichen Mitarbeiter ein variables Entgelt zwischen 5 und 17,5 % des Jahresgrundgehaltes … das sich aus dem Jahresgrundgehalt und einem Orientierungsbonus … zusammensetzt. Ein Teil des Orientierungsbonus bemisst sich nach dem geschäftlichen Erfolg des Konzerns, die beiden anderen Teile nach dem Erfolg von individuellen Zielen.“ (DHL Webseite) „In den Delivery-Firmen kann die Post Löhne in Abhängigkeit von Leistungen und Anwesenheit variieren: Wer viele Pakete wegschafft, wenig Krankheitstage hat und auch mal abends oder am Wochenende Pakete zustellt, der wird besser bezahlt als sein Kollege, der dazu nicht bereit oder in der Lage ist.“ (Die Welt, 6.7.)
Die Botschaft an die Gewerkschaft, die im aktuellen
Abschluss unmissverständlich dokumentiert wird, ist sehr
grundsätzlicher Natur: Über die Notwendigkeiten des
Gewinnemachens gibt es letztlich nichts zu verhandeln; es
nützt nichts, durch einen noch so langen Arbeitskampf die
Post zu Zugeständnissen bewegen zu wollen, wenn die
Rechnung der Firma sie nicht schon vorsieht; und alle
Appelle an die bewährte Sozialpartnerschaft oder an die
Notwendigkeit des „Betriebsfriedens“ bei der rentablen
Erbringung einer für den Gesamtstandort so entscheidenden
Dienstleistung sind schlicht vergebens. Wenn es um den
Gewinn der Firma geht, erst recht in einem so
einträglichen wie heiß umkämpften „Wachstumsbereich“ wie
der Paketzustellung, darf auf den „Sozialpartner“ nicht
länger Rücksicht genommen werden. Die Post mag zwar eine
lange Tradition der guten Beziehungen zur Gewerkschaft
pflegen; und sie mag sich immer noch zu einem Fünftel in
der Hand des Staates befinden, doch tätig ist
sie als stinknormales, scharf rechnendes kapitalistisches
Unternehmen, dessen Besonderheit allein in seiner Größe
und in seinem Erfolg liegt. Aus der Sicht des Vorstands,
dem darin vom Staat voll recht gegeben wird – der also
offenbar genau so rechnet wie das Unternehmen
selbst –, ist vor allem die Besonderheit
des Betriebs von Belang: die im Vergleich zur Konkurrenz
besonders hohen Lohnkosten, die sofort runter
müssen, wenn Größe und Erfolg des Betriebs rauf sollen:
Ich kann nicht sagen, wann ver.di über die Hürde
klettert, aber eins kann ich Ihnen sagen, sie müssen
drüber.
(Vorstand Jürgen Gerdes,
SZ, 10.6.) Diese Kosten gelten endgültig als ein
Relikt der Vergangenheit, als ein untragbares Privileg
und ein endlich zu beseitigender Fremdkörper, soll die
Post nicht von einem „gelben Riesen“ zu einem „gelben
Dinosaurier“ verkommen, vielmehr zum führenden Konzern
des besagten boomenden E-Commerce Geschäfts
werden.
Schon während des Arbeitskampfs tut die Post alles für
die Klarstellung, dass die Konditionen für die
„Sozialpartnerschaft“, des Gebens und Nehmens zwischen
zwar gegensätzlichen, aber stets zu für beide Seiten
tragbaren Kompromissen bereiten Tarifparteien, neu
definiert werden müssen. Die Post demonstriert nicht bloß
so etwas wie eine beharrliche Abwehrhaltung gegen die
Forderungen der Gewerkschaft, sie geht vielmehr auf
breiter Front in die Offensive, um die Macht der
streikenden Gewerkschaften zu brechen: Befristet
Beschäftigten, die sich am Streik beteiligen, wird das
Auslaufen-Lassen ihrer Verträge angedroht; beamtete und
andere Streikbrecher, bzw. „freiwillige Hilfskräfte“ –
Leiharbeiter, Werkvertragler, „Wanderarbeiter“ aus dem
Osten – werden eingesetzt, mit einer Zulage an
Wochenenden und auch am Sonntag etc. Da macht sich die
Post all die rechtlichen Freiheiten zur Benutzung der
europaweit geschaffenen Reservearmee zunutze, die der
deutsche Staat ihr über die Jahre zur Verfügung gestellt
hat. Dieses Vorgehen wird zwar hier und da als ein
bedauerliches Zeichen von Profitgier
seitens des
Post-Vorstands moniert, zumal er die Lohnsenkung mit
einer nochmals erhöhten Dividende an die Aktionäre
kombiniert. Doch mehrheitlich wird verständnisvoll darauf
verwiesen, dass der Aufstieg zum Weltkonzern ohne eine
gründliche Modernisierung der veralteten „Strukturen“
nicht zu schaffen ist; da habe die Post sowohl im
nationalen als auch im internationalen Vergleich nun
einmal einiges nachzuholen. Tatsächlich ist die Post
nicht einmal darin ein Pionier oder eine Ausnahme,
wie sie ihre Lohnkosten zu senken und damit ihre
Geschäftsbedingungen zu verbessern sucht; „Outsourcing“
ist längst kein Fremdwort mehr – „Tarifflucht“,
„Werkvertrag“ oder „prekäre Beschäftigung“ erst recht
nicht. Dass über die Bedingungen von Lohn und Leistung in
der erfolgreichen deutschen Marktwirtschaft der
Konkurrenzbedarf der Firma und sonst nichts zu
entscheiden hat; dass dieses Prinzip auf mehr, flexibel
einsetzbare und vor allem billigere Arbeit hinausläuft;
und dass dieser Anspruch allemal das Unterlaufen und wenn
nötig die Bekämpfung der gewerkschaftlichen Vertretung
einschließt – das alles ist nicht nur zur Normalität,
sondern zu einem in ganz Europa offensiv verkündeten
Erfolgsrezept geworden. Und für dieses Erfolgsrezept, das
die Post derzeit so konsequent befolgt, ist es
gleichgültig, wie gut man mit diesen Lohnkosten in der
Vergangenheit gefahren sein mag – entgegen der
wiederholten und ehrlich verwunderten Beteuerung der
Gewerkschaft, die Post habe ihre jetzt schon
außerordentliche Gewinnlage und ihre dominante
Marktstellung gerade mit dem bestehenden
Tarifvertrag erreicht, den sie jetzt so radikal zu
unterlaufen sucht.
Die Niederlage im Arbeitskampf – eine neue Herausforderung für die Gewerkschaft
Doch nichts von alledem ist der Gewerkschaft, die vor den Ansprüchen und der Anspruchshaltung der Post kapituliert, irgendwie fremd. Die Niedriglöhne, die in den Delivery-Gesellschaften nach Tarif gezahlt werden, sind ja mit ver.di ausgehandelt worden. Und der Standpunkt, dass sich der unternehmerische Zugriff auf die Arbeit den besonderen Konkurrenzbedürfnissen des Betriebs anzuschmiegen hat, hat unter dem Stichwort „Verbetrieblichung der Lohnfindung“ längst Eingang in die gewerkschaftliche „Sozialpartnerschaft“ mit den Unternehmen der Republik gefunden – hier mit der etwas ironischen Besonderheit, dass diese Anpassung gerade über die Flucht aus dem Haustarif und in den Branchentarifvertrag erfolgt. Da bedient sich die Post eben der Möglichkeiten, die die Sozialpartnerschaft mit der Gewerkschaft ihr gewährt.
Auch wenn die Gewerkschaft kein Geheimnis daraus macht,
dass das zentrale Ziel ihres langen Arbeitskampfs nicht
erreicht wurde, präsentiert sie die Einigung als einen
beachtlichen Erfolg. Mit der Fortsetzung des
Kündigungsschutzes für alle Angestellten und der
Begrenzung der Ausgliederung der Paketzustellung für
dreieinhalb weitere Jahre habe sie für die Beschäftigten
Schutz und Sicherheit durchgesetzt
. Das ist schon
etwas überraschend: 52 Streiktage; der mehrmalige – mal
angedrohte, mal durchgezogene – Gang vors Arbeitsgericht
wegen des inkriminierten Verstoßes der Post gegen den
bestehenden Haustarifvertrag, wegen des Einsatzes von
Beamten als Streikbrecher, wegen der Verletzung des
Verbots von Sonntagsarbeit; dazu ein Abschluss, in dem
ihre Hauptforderung ganz und ihre übrigen Forderungen zum
größten Teil mit Ablehnung quittiert wurden – das alles
soll letztlich ein erfolgreicher Kampf um Arbeitsplätze
gewesen sein. Nun war „Beschäftigungssicherung“ ganz
bestimmt nicht das Ziel dieses gewerkschaftlichen Kampfs.
Auch wenn vom Ziel „Schutz der Beschäftigten“ immer
wieder die Rede war, ging es in diesem Streik schon um
mehr: um die Abwehr eines radikalen Lohnsenkungsmanövers,
um die Reduzierung der Arbeitszeit und um die Erhöhung
ihrer Löhne, also um die Qualität und nicht bloß
um die Existenz dieser Arbeitsplätze. Wenn die
Verhandlungsspitze die Sicherung von Arbeitsplätzen nun
rückblickend zum Ziel des Arbeitskampfs erklärt, ist das
gleichwohl mehr als nur der durchsichtige Versuch,
angesichts einer klaren Niederlage wenigstens vor ihrer
Basis und der Öffentlichkeit das Gesicht zu wahren. Der
Gesichtspunkt, unter dem ver.di das
niederschmetternde
Ergebnis unterschreibt, ist
durchaus ernst zu nehmen. In der heutigen Bundesrepublik
gilt offenbar auch für die Gewerkschaft letztlich das
Prinzip: „Sozial ist, was Arbeit schafft“ bzw. erhält.
Und das ist auch der Gegenstand, an dem die Gewerkschaft
den Erfolg feiert, um den es ihr von Anfang an
gegangen ist: die Wiederherstellung von so etwas wie
einer Partnerschaft mit der Post, die Verteidigung ihrer
Mitarbeit an den Entscheidungen, mit denen die Post ihr
Unternehmen jetzt und in der Zukunft in Sachen
Rentabilität auf Weltmarktniveau führend machen will.
Zwar wird der Gewerkschaft während der Verhandlungen und
im Verhandlungsergebnis selbst unmissverständlich klar
gemacht, dass sie hier nichts verhindern, höchstens
zeitweise abmildern und aufschieben kann. Doch dass die
Post ihre strategischen Winkelzüge in Sachen Lohnsenkung
und Arbeitsplatzgestaltung nicht mehr so ohne weiteres an
der Gewerkschaft vorbei vollziehen können soll:
Wenigstens die Hoffnung möchte das
ver.di-Verhandlungsteam als einen, vielleicht sogar den
entscheidenden Erfolg für sich verbuchen. An der Stelle
gibt es innerhalb der Gewerkschaft einige Skepsis, ob
dieser Erfolg überhaupt das Papier wert ist, auf dem er
gedruckt ist. Deshalb lässt sich die Verhandlungsführerin
Andrea Kocsis von der ver.di-internen Presse die
richtigen Fragen stellen, um dieser Skepsis den Wind aus
den Segeln zu nehmen:
„Die Deutsche Post AG hat mit der Ausgliederung Vertragsbruch begangen. Hast du keine Sorge, dass sie dies mit den jetzt erzielten Schutzvereinbarungen wieder macht? Kocsis: Zunächst habe ich mir auch die Frage gestellt, wie kann man jemals wieder Verträge mit einem Unternehmen abschließen, das sich so verhält. Dann aber haben wir das Thema offensiv in die Betriebe, die Öffentlichkeit und die Politik getragen. Ursache der harten Auseinandersetzung bis zum unbefristeten Streik war genau dieser Punkt. Ich bin überzeugt davon, dass die Arbeitgeber daraus gelernt haben und sich ein solcher Umgang mit Verträgen nicht wiederholen wird.“
Warum die Post angesichts des Verhandlungsergebnisses ausgerechnet die Lehre aus der Auseinandersetzung ziehen wird, bleibt das Geheimnis der Verhandlungsführerin. Dafür gibt die geäußerte Überzeugung aber ziemlich erschöpfend Auskunft darüber, was die Gewerkschaft aus dem „Vertragsbruch“ gelernt hat. Der Wunsch, bei der Gestaltung der Arbeitsplätze, die die Post unüberhörbar zum Zukunftsmodell ausgerufen hat, als Vertragspartei eingebunden zu sein, ist hier offenbar Vater des Gedankens.
Kampf gegen „strategische Entscheidungen eines Unternehmens“ – ein klarer Fall von Realitätsverlust
Entgegen dieser Versicherung der ver.di-Verhandlungsspitze, sich und den eigentlichen Kern ihrer Forderungen erfolgreich geltend gemacht zu haben, kann die interessierte Öffentlichkeit im Tarifabschluss nur ein umfassendes Eingeständnis der gewerkschaftlichen Ohnmacht gegenüber dem Vorgehen der Post – gegen die Löhne der Beschäftigten sowie gegen ihre gewerkschaftliche Vertretung überhaupt – entdecken. Für die Öffentlichkeit ist klar, dass dies nicht bloß ein unglücklicher Einzelfall ist, sondern eine Lehre: Wenn sich ein Unternehmen von der Größe und der Schlagkraft der Post einmal entschieden hat, sich durchzusetzen und sich aller Rücksichten auf seinen gewerkschaftlichen Sozialpartner zu entledigen, dann hat die Gewerkschaft einfach keine Chance. In der Lage ist der Streik, also das einzige Mittel, über das sie verfügt, um Widerstand zu leisten – auch wenn er in ziemlich ungewohntem Ausmaß zur Anwendung gebracht wird –, letztlich wirkungslos. Und wenn das für die Post gilt, wo „schätzungsweise vier von fünf Beschäftigten der Organisation [ver.di, d.V.]“ (SZ, 6.7.) angehören, dann gilt das auch allgemein:
„Ganz egal, wie viele Truppen sie hat, und ganz egal, wie sehr ihre Anführer während eines Arbeitskampfs die Backen aufblasen: Strategische Entscheidungen eines Unternehmens kann sie nicht verhindern.“ (Ebd.)
„Das Ergebnis ist umso verheerender, als es in Deutschland wenige Konzerne gibt, die gewerkschaftlich so gut organisiert sind wie die Post. Gerade deshalb hat der Abschluss auch eine weitreichende Signalwirkung. Wenn es der Gewerkschaft nicht einmal in der Post gelingt, die Flucht aus dem Konzerntarifvertrag zu verhindern, könnte das Beispiel schnell Schule machen.“ (FAZ)
Ob das Beispiel der Post Schule macht oder nicht vielmehr dem Muster folgt, das für die Lage der Gewerkschaft in der bundesdeutschen Marktwirtschaft überhaupt gilt; ob das überhaupt die Wahrheit über die gewerkschaftliche Macht der deutschen Gewerkschaften ist oder bloß ein Zeichen des mangelnden Kampfwillens, den die Vertreter des linken Gewerkschaftsspektrums dauernd vermissen, ist letztlich einerlei: Die Gewerkschaften können einpacken, lautet jedenfalls das mal mit leisem Bedauern, mal mit unüberhörbarer Schadenfreude ausgedrückte Urteil der Presse. Dieses Urteil ergeht ohne den geringsten Anflug von Kritik an der Post und an der Rechnungsart, die sie vorauseilend oder nachholend praktiziert. Im Gegenteil: Wenn die Gewerkschaft auch mit einem noch so großen Kampf an der Anspruchshaltung der Post scheitert, dann ist sie an dem gescheitert, was nun einmal die neue Realität der Arbeitswelt ist. Das spricht selbstverständlich nicht gegen die neue Realität, sondern gegen die Gewerkschaft, die sich deren Anerkennung verweigert:
„Diesen Abschluss hätte Verdi vermutlich auch ganz ohne Streik und Millionenkosten für alle Beteiligten haben können. Den vielleicht größten Schaden hat der Ausstand in der Gewerkschaft angerichtet: Dass sie die zur Machtprobe hochstilisierte und entsprechend kompromisslos ausgetragene Auseinandersetzung um die Paketgesellschaften so eindeutig verloren hat, beschädigt ihre Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft.“ (FAZ, 7.7.)
Wenn sie so nachweislich überzogene Forderungen stellt und für sie dann noch so entschieden kämpft, dann beschädigt ihre unvermeidliche Niederlage bloß die Funktion, welche die für die Gesundheit des Standorts und des sozialen Friedens verantwortliche Öffentlichkeit für die Arbeitervertretung noch vorsieht: nicht als Kämpfer für Ansprüche der Arbeiter, sondern als glaubwürdigerund überzeugender Transmissionsriemen für die unternehmerischen Ansprüche, zu denen es nun einmal keine Alternative gibt. Womit die FAZ die Wahrheit über die Sozialpartnerschaft, um deren endgültigen Verlust die Gewerkschaft fürchtet und um deren Wiederherstellung sie sich bemüht, gar nicht schlecht erwischt: eine Methode zur reibungslosen Durchsetzung unternehmerischer Ansprüche an ihre Arbeiterschaft, die die Unternehmerschaft deswegen auch aufkündigt, sobald sie sie dafür nicht mehr für tauglich hält. So lautet die Lektion, die die Post mit ihrem Klassenkampf von oben der Gewerkschaft sehr praktisch erteilt.
[1] Vgl. den Artikel Streiks bei der Post: Die Post AG macht die Sozialpartnerschaft kaputt – ver.di kämpft um deren Rehabilitation, GegenStandpunkt 2-15.