Opposition in Italien
Demokratie-idealistische Antipolitik konkurriert mit rechtsnationaler Eurofeindschaft
Dass die ewige Krise des Landes daran liegt, dass es ewig schlecht regiert wird, dieser Befund des malgoverno ist fast so alt wie die Italienische Republik selbst. Allein die dazu gehörigen Schlagwörter der letzten 25 Jahre – tangentopoli, partitocrazia, die zwei Jahrzehnte währende Ära der brutta figura Berlusconi oder das unverblümt als porcellum (Schweinerei) bezeichnete Wahlrecht – legen ein beredtes Zeugnis ab von den Affären und der abgrundtief schlechten Meinung, die das politische Führungspersonal von sich wechselseitig und die Nation insgesamt über es hat.
Aus der Zeitschrift
Teilen
Siehe auch
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Opposition in Italien
Demokratie-idealistische Antipolitik
konkurriert mit rechtsnationaler Eurofeindschaft
Dass die ewige Krise des Landes daran liegt, dass es ewig schlecht regiert wird, dieser Befund des malgoverno ist fast so alt wie die Italienische Republik selbst. Allein die dazu gehörigen Schlagwörter der letzten 25 Jahre – tangentopoli, partitocrazia, die zwei Jahrzehnte währende Ära der brutta figura Berlusconi oder das unverblümt als porcellum (Schweinerei) bezeichnete Wahlrecht – legen ein beredtes Zeugnis ab von den Affären und der abgrundtief schlechten Meinung, die das politische Führungspersonal von sich wechselseitig und die Nation insgesamt über es hat.
Inzwischen ist es schon Tradition, dass die Politiker
selbst daraus den Auftrag an sich ableiten, auch
mit der Aversion gegen die Politik Politik zu machen.
Neuerdings verdienen sich die Hoffnungsträger der
italienischen Politik als Verschrotter
(rottamatore )[1] einen Namen, schauen nach
acht Jahren Eurokrise auf ihre Nation und beschönigen
nichts: Gerade so, als hätte ein Krieg ihr Land
verwüstet, entdecken sie nichts als Schutt und Schrott
(macerie / rottame), was sie ihren
konkurrierenden oder früheren Kollegen zur Last legen, um
sie samt ihrer politischen Hinterlassenschaft respekt-
und gnadenlos zu entsorgen. Der PD-Vorsitzende Matteo
Renzi hat sich so als junger Aufräumer in der eigenen
Partei profiliert, bis ins Regierungsamt manövriert und
‚verschrottet‘ dort als Ausweis seiner politischen
Kompetenz außer einigen tausend Dienstwagen das geltende
Wahlrecht oder Verfassungseinrichtungen wie den Senat;
alles, um mit dieser Senkung der Kosten der
Politik
den Staat effizienter und – dies vor allem –
europatauglich zu machen.
In der Opposition buhlen die Führer der Lega
Nord und des MoVimento 5 Stelle um diesen sonderbaren
Ehrentitel: Während Matteo Salvini von der Lega eine
überzeugende Probe seines politischen Talents abgegeben
hat, indem er in zehn Monaten fast die komplette alte
Garde der Partei verschrottet
[2], also Bossi entmachtet hat,
um ein alternatives nationales Italienprojekt auf die
Beine zu stellen, versteht Beppe Grillo vom M5S die
Verschrottung nicht als Hebel der parteipolitischen
Karriere, sondern als ein antipolitisches Programm der
eigenen und ungewöhnlich radikalen Art.
Was die italienische Opposition so im Einzelnen bewegt, das interessiert das amtliche Resteuropa allerdings nicht. In Europas Hauptstädten und Öffentlichkeiten wird sowieso nur wahrgenommen, dass da zwei Parteien tatsächlich in einer Hinsicht gemeinsame Sache machen: Sie lehnen die erfolglose, aber immer noch gültige proeuropäische Räson Italiens inkl. Euro ab und tun sich im EU-Parlament mit anderen Antieuropäern wie dem französischen FN oder der britischen UKIP zu eigentümlichen Koalitionen zusammen, um Europapolitik zu obstruieren und den Euro zu destruieren. Mit M5S und Lega Nazionale ist insofern eine „populistische“ und „radikale“, letztlich undemokratische Gefahr für „unser Europa“ unterwegs. Sie machen schlechte Stimmung gegen Europa, anstatt die Unzufriedenheit in Italien in eine verantwortliche Politik umzumünzen, die für Europa und seine gemeinsame Währung spricht, egal, was die für Schäden in den Lebensverhältnissen anrichten…
Beppe Grillo und sein MoVimento 5 Stelle: Die Karriere eines staatsbürgerlichen Beschwerdewesens zur antipolitischen Wahlalternative
Eine schlechte Meinung über das Establishment wird zum politischen Kampfprogramm
Beppe Grillos „Fünf Sterne“ stehen exemplarisch für ein
besseres Italien: ein Land mit sicherer und intakter
Wasserversorgung (acqua
), sauberer Umwelt und
Energiewirtschaft (ambiente
), ordentlich
funktionierendem Verkehrswesen (trasporti
),
ausgewogener Entwicklung der Regionen (sviluppo
) –
der fünfte Stern (connettività
), Internetanschluss
für alle, fällt ein wenig aus dem Rahmen, hat aber seine
besondere Bedeutung, auf die noch zurückzukommen ist.
Erst einmal greift Grillo Missstände auf, die einem
Italiener das alltägliche Leben schwer machen. Nicht ohne
Berechnung stellt er mit den ersten vier Sternen Dinge in
den Vordergrund, die von Bürgerinitiativen skandalisiert
werden und in der Öffentlichkeit immer wieder Empörung
wecken. Der mangelhafte Zugang zu einem außerdem
überteuerten Gesundheitswesen, die allzu niedrigen
Standards für ein erträgliches Arbeitsleben und anderes
von der Art gehört aber ebenso zum Beschwerdekatalog.
Insgesamt will der Mann deutlich machen, dass er die
notorischen Klagen der Bevölkerung in jedem Punkt und in
jeder Hinsicht uneingeschränkt teilt. Und gemeinsam mit
dem unzufriedenen Volk zieht er den genauso gängigen,
landesweit abgenickten kritischen Schluss auf „die
Politik“ und die Kaste derer, die sie machen, als die
Schuldigen und Urheber aller Übel. Er sagt niemandem
etwas Neues, überfordert also garantiert niemandes
Urteilskraft, wenn er einen zutiefst verärgerten
Rückblick auf die in diesem Sinne negativen Highlights
der jüngeren Landesgeschichte hält und „die Herrschenden“
im weitesten Sinne beschimpft:
„Italien hatte 1992 seine Gelegenheit, sich zu ändern. Es hat sie verstreichen lassen. Gewonnen haben die Lobbys, die Verbrecherbanden, die Mafia. Die Zweite Republik[3] ist in der Wiege gestorben. Nach den Mafia-Angriffen in ganz Italien und dem Tod von Falcone und Borsellino ist alles zu Ende ... es herrscht der Frieden der Mafia, der Machenschaften, der Frieden des Industrieverbands, der Gewerkschaften ... Die Verschleuderung der Staatsgüter, der Telefongesellschaften, der Autobahnen, des Wassers. Die Annullierung der Arbeiterrechte. Vorbestrafte sind an den Spitzen der Konzerne, Vorbestrafte im Parlament. Und unsere Abgeordneten?[4] Spielen Verstecken. Versuchen nicht ertappt zu werden. Ein Gesetz fällt nach dem anderen, wie die Kirschen, damit sie nicht verurteilt oder abgehört werden, damit sie einen Straferlass erwirken ... keine Politik, Räuber-und-Gendarm ist das.“ (Blog vom 8.9.2007)
Grillo äußert eine Allerweltskritik – aber er sagt, was
so ziemlich jeder denkt, so zugespitzt, so dramatisch, so
radikal, dass seine besondere Botschaft schon deutlich
wird: Er jedenfalls will sich mit solchen Zuständen,
solch himmelschreienden moralischen Missständen nicht
abfinden; und er will erreichen, dass seine Adressaten,
Italiens Wahlbürger, das auch nicht mehr tun. Ganz in
diesem Sinn schiebt er wesentliche Befunde seiner tiefer
schürfenden Ursachenforschung nach. Dass Geld die guten
Sitten verdirbt, insbesondere bei den Machthabern, diese
tiefe Erkenntnis überrascht sein Publikum sicher auch
nicht; so etwas gehört zum eisernen Bestand jedes
Staatsbürgerverstands, der seinen Idealismus einer mit
Menschenfreundlichkeit beauftragten Herrschaft in Form
der Beschwerde über deren Ausbleiben pflegt und so gegen
die täglich erlebten Enttäuschungen immunisiert. Bei
Grillo gewinnt die Diagnose Lauter Korrupte!
aber
enorm an rhetorischer Offensivkraft. Für ihn ist der
schnöde Mammon
„die mächtigste vom Menschen geschaffene Heimsuchung. Ansteckender als die Pest, korrodierender als Salzsäure und zerstörerischer als Syphilis. Geld existiert nicht mehr in Maßen ... Das Geld in der Politik ist das Gegenteil von Politik ... die Politik wird zu Geld, die Gemeinden werden durch Aktien Gesellschaften, die Parteien Geschäftsausschüsse ... Geld korrumpiert das soziale Leben, es eliminiert die Möglichkeit der Repräsentanz. Geld ist ein infernalischer Mechanismus für diejenigen, die Wahlen durch ihr Vermögen gewinnen … der reichste Bürger des Landes ist Ministerpräsident, eine der reichsten Frauen Bürgermeisterin von Mailand ... Die Parlamentarier sind nicht gewählt, sondern nominiert. Um nominiert zu werden, reicht es zu zahlen. Eine Million Euro für einen Abgeordneten, drei für einen Senator ... Die Linke und die Rechte gibt es nicht. Es existiert eine Gruppe von Geschäftsleuten. Italien ist ihr business.“ (Aus den Comunicati politici Nr. 1, 10, 32, www.beppegrillo.it)
Mit solchen Tiraden will der Führer des M5S nicht über bislang Unbekanntes aufklären; er will auch nicht wie die verachteten Heuchler aus der „Klasse“ der Herrschenden Besserung geloben oder gleich eine Alternative versprechen, sondern aufrütteln. Er ist es leid, dass die Masse seiner Mitbürger, deren Meinung er teilt, nur abwinken, am Ende doch wieder wählen gehen und sich das ganze verdorbene System weiter gefallen lassen. Mit den Argumenten dieser zählebigen politmoralischen Enttäuschung will er gegen die praktische Konsequenz, die die Massen daraus ziehen, mobil machen. Also verlässt der Komiker sein TV-Studio und betritt die Bühne der nationalen Politik, um das Wahlvolk zu ermuntern, ja zu drängen, dass es mit seiner schlechten Meinung ernst macht und sich zu einer Absage an die etablierte Politik insgesamt aufrafft, ein Stoppsignal setzt gegen die Machenschaften der korrupten Macher. Mit seinem Auftritt ergreift er, nach seinem Selbstverständnis als Tribun des Volkes, die längst überfällige Initiative zur Sabotage am Betrieb:
„Es liegt ein Hauch von 8. September in der Luft. Die Politik spürt den Geruch des Tornados, der sich nähert ... Der Tornado dreht sich ... er riecht nach verfaultem Holz. Italien – ein Topf unter Druck. Wenn er dieses Mal explodiert, fegt er alle weg. Eine Vorahnung sagt mir, dass noch andere Erkenntnisse vor der Tür stehen, der Sommer wird heiß werden, dann wird der September kommen und der Vaffanculo-Day, oder V wie Vendetta [5])), auf den Plätzen Italiens, um daran zu erinnern, dass sich seit 1943 nichts geändert hat. Gestern der König auf der Flucht, die Nation in Auflösung, heute die Politiker verschanzt in den Palästen, eingetaucht in ‚kulturelle‘ Probleme. Der V-Day wird ein Tag der Information und Partizipation des Volkes.“ (Blog vom 8.9.2007)
Aus einer Diagnose, die mit nichts als dem antikritischen
Common Sense des angepassten Wahlbürgers auskommt, zieht
Grillo eine Konsequenz, die einen kompletten Umsturz der
Verhältnisse bringen soll, eine „Explosion“, mit der das
Volk sich seine Republik zurückerobert. Und er findet
Anklang: Schon an seinem „V-Day“ kann er für seine
Volksgesetzesinitiative „Sauberes Parlament“ auf einen
Schlag 350 000 Unterschriften einsammeln. Der ganze
Aufruhr, den er stiftet, erspart sich allerdings wirklich
jeden Begriff von Grund und Zweck der politischen
Herrschaft, an deren Ausübung und ausübendem Personal er
kein gutes Haar lässt. Von der real existierenden
Konkurrenz ums Geld, deren kapitalistischer Logik und der
Agenda des Gewaltmonopols, das darüber wacht und die
Konkurrenz der Nation mit anderen Kapitalstandorten
organisiert, weiß die Bewegung nichts und will sie auch
nichts wissen. Sie hat kein anderes Urteil über die Macht
und will kein anderes haben als das Verdikt über die
Machthaber, das auf Verfehlung lautet. In dieser
negativen Wendung teilt Grillo nicht nur, sondern
verabsolutiert er die Generalrechtfertigung des
demokratischen Klassenstaats, nämlich der Sache,
die er betreibt und für die er das Volk dienstbar macht,
durch das Verfahren, das organisierte freie und
gleiche Wählervotum über dem Volk vorgelegte
Machtalternativen. Er idealisiert das Verfahren zur von
allen Vorgaben, allen Sachzwängen, jeder etablierten
Staatsräson freien Selbstbestimmung des Volkes. Den
Formalismus der Wahlentscheidung, mit dem die
reale Demokratie Herrschaft in Nicht-Herrschaft umlügt –
und der deswegen auch in der Realität an den Belangen der
Herrschaft im Klassenstaat seine Grenze findet, weil er
darin seine sachliche Grundlage und seinen wirklichen
Sinn und Zweck hat – , diesen Formalismus erklärt der
empörte Politik-Kritiker zur eigentlichen, wahren
politischen Sache. Sein Universalheilmittel für
Italien ist das Selbst
in Selbstbestimmung, so als
würde sich aus dem Prinzip der uneingeschränkten
Information aller über alles schon ergeben, was auf den
mündigen Bürger zukommt; als wäre mit dem Prinzip der
Partizipation aller an allem schon alles ins Belieben des
Volkes gestellt, woran es „partizipiert“ als „Teilnehmer“
am weltweit konkurrierenden italienischen Kapitalismus;
als wäre die Freiheit der Stimmabgabe nicht nur viel
wichtiger als die Agenda, zu der das abstimmende Volk
sich äußern soll, sondern der wahre Generator der Agenda,
die alsdann die Politik abzuarbeiten hätte.
Die „marcia lunga“ des MoVimento 5 Stelle zur Rückeroberung der Republik durch und für das Volk unter Aufsicht des Chefs und seines 5. Sterns
Der Inbegriff dieses Quidproquo, vom Standpunkt des M5S-Führers die Einlösung des Formalismus der autonomen Selbstbestimmung, mit dem das Volk, das den Kapitalstandort Italien bewohnt und schlecht und recht am Laufen hält, die volle Herrschaft über sich selbst zurückgewinnt, das ist Grillos fünfter Stern. Das Internet, idealisiert zur direktesten und umfassendsten Kommunikation, die man sich nur denken und wünschen kann, ist für ihn das Medium permanenter allgemeinster Teilhabe, auf die freie Bürger ein Recht haben; mit der Politik online zu sein, ist basisdemokratische Selbstbestimmung in Aktion. Freilich kommt auch Grillo nicht darum herum, dem Volk, einstweilen in Gestalt der Follower seiner Blogs, die Fragen zu stellen, auf die es mit einem Klick auf den einen oder anderen Button seinen selbstbestimmten freien Willen verwenden soll. Und diese Fragen betreffen, der Natur der real existierenden Demokratie gemäß, im Wesentlichen die Auswahl der Kandidaten für die Ämter, die nach Recht und Gesetz periodisch zur Neubesetzung anstehen. Auch zu diesen etablierten demokratischen Verfahren stellt Grillo sich zwar so, als müssten die erst gründlich neu erfunden werden:
„Die Demokratie kann nur von unten losgehen. Die neue Renaissance wird ihren Ursprung in den Gemeinden haben. Bürgerlisten müssen für die Kommunalwahlen gegründet werden ... die politischen Wahlen zum Parlament widersprechen dagegen der Verfassung.“ (Comunicato politico 1)
Auf die oberste Direktive für italienisches Regieren aber, die Verfassung, ist immerhin Verlass, ebenso auf die niedlichen lokalen Machtverhältnisse, wenn nur das Volk dort die Chance zur Wiedergeburt der Politik aus dem Geist der Bürgerliste ergreift. Obwohl eigentlich verfassungswidrig, sind auch die Parlamentswahlen die Gelegenheit, bei der M5S antritt und glatt einen Haufen Sitze erobert. Und wenn die Neuwahl eines Staatspräsidenten ansteht, dann stellt Grillo auch dafür eine Liste mit zehn vorab ausgewählten Kandidaten, darunter ein altbewährter Kämpe wie Romano Prodi, zur Abstimmung ins Internet. Insofern steht die Bewegung dann doch recht affirmativ zu den Institutionen, in denen die Knechte des Don Denaro lauter Unheil anrichten, und zu den verabscheuungswürdigen Verfahren ihrer Besetzung. Umso mehr kommt es jedoch darauf an, dass dasselbe eben doch nicht dasselbe ist, und die Kandidaten, die M5S entsendet, aber auch wirklich gar nichts gemein haben mit den korrupten Amtsträgern von gestern: Sie müssen die Gewähr dafür bieten, dass sie zwar am real existierenden politischen Betrieb teilnehmen, aber ohne ihm zu verfallen und seine schlechten Sitten zu übernehmen.
Das ist insofern keine ganz leichte Aufgabe, als am Inhalt der Politik kaum deutlich werden kann, wofür ein Abgesandter der fünf Sterne im Unterschied zu seinen Kollegen steht: An der Agenda der Herrschaft als solcher, an ihrem Grund und Zweck und den dadurch definierten Aufgaben und Sachzwängen, üben die Grillini ja nur die eine Kritik, dass darin das Volk nicht gebührend zum Zuge kommt, sondern stattdessen die Politikermafia. Dass die Bewegung für die prinzipielle Umkehrung dieses Verhältnisses sorgen will, muss sie an der Art und Weise ihrer Teilnahme oder besser Nicht-Teilnahme am verkehrten System beweisen, und ad personam durch ihre Deputierten. Dafür erlässt Grillo die Direktiven. Erstens die, dass in der Bewegung und für deren Funktionäre Geld keine Rolle spielen darf. Man braucht zwar welches; aber:
„Wir haben keinen Schatzmeister, keine Parteikasse. Die freiwilligen Beiträge der Bürger werden stets an punktuelle Ziele gebunden ...“ (Comunicato 32)
Wer in ein Amt gewählt wird, liefert die Vergütung ab und begnügt sich mit einer bescheidenen Aufwandsentschädigung; bewerben darf sich nur, wer nicht vorbestraft ist; und damit erfolgreiche Kandidaten nicht mit ihrem Amt verwachsen, ist nach zwei Wahlperioden Schluss. Das erste Sonderangebot ans Volk ist also eine vorbildliche Verzichtsmoral. Zweitens verbietet Grillo seinen Leuten jede Kollaboration mit den alten Kräften; und das ist für gewählte Amtsträger auch nicht ganz einfach durchzuhalten. Deren Kollegen aus dem Reich der politischen Sittenverderbnis kümmern sich in der Praxis ja doch nicht bloß um ihre Pfründe, sondern erledigen, wie engagiert auch immer, all das viele Zeug, das in einem Klassenstaat, der funktionieren und die europäische Konkurrenz bestehen soll, in Gesetzesform zu regeln, den Unternehmern an die Hand zu geben, dem Fußvolk vorzuschreiben ist – Sachen, an denen Basisdemokraten, die nichts als ihre connettività mit den Followern ihres Chefs im Kopf haben, oft genug gar nichts auszusetzen haben. Für manche, die hier und da etwas für die ersten vier Sterne ihrer Bewegung tun wollen oder auch nur der Meinung sind, dass Italien einen Präsidenten braucht, ist manchmal nicht einzusehen, weshalb Obstruktion der einzige Königsweg zur wahren Volksrepublik sein soll und die Zustimmung zu Koalitionen nur deswegen verboten, weil die Vertreter anderer Parteien private Interessen verfolgen.
Hier vor allem sieht Beppe Grillo seine ureigene Aufgabe,
nämlich als Zuchtmeister seiner Bewegung. Als
garante der radikalen Absage an irdische Güter
und den Betrieb, an dem seine Leute sich beteiligen, hält
er sich von allen Ämtern fern und frei für die Kontrolle
über deren Betragen, die er angemessen autoritär ausübt.
Denn dass sein Kampf um die reine Opposition umso härter
wird und deswegen umso weniger Widerspruch duldet, je
erfolgreicher die Bewegung wird und je mehr Posten sie
sich erobert, das liegt in der Natur der Sache, die er
vertritt. So lebt er vor, wie wahrhaft basisdemokratische
Politik geht: Grillo kreuzt im uralten Wohnmobil durchs
Land, hält allein seine Reden vor den Bürgern auf den
Plätzen Italiens und verhängt über seinen M5S eine
politische Kontaktsperre: keine Kumpanei mit den
golpisti, den Putschisten an der Macht, damit
die Pest
aus Macht und Geld in dem eingerichteten
demokratischen Zirkus den eigenen Verein nicht ansteckt
und die Trennlinie zwischen den verderbten und den
guten demokratischen Sitten des gesamten
Wahlvereins nicht verloren geht. Daraus wiederum bezieht
die Bewegung ihre Überzeugungskraft beim Wahlvolk und
entreißt den korrupten Cliquen Wahl für Wahl mehr Ämter,
mit denen sie auf keinen Fall etwas Konstruktives
anstellen darf.
„Referendum Euro No“ – ein basisdemokratischer Beitrag zum Euroskeptizismus
Die Europäische Union steht für Grillo für
denselben Missstand, wie er im eigenen
Land vorliegt, nur sozusagen eine Etage höher und um eine
Dimension vergrößert: Das ‚undemokratische Brüssel‘, das
ist Bürgerferne als Organisationsprinzip, und dessen
Spitze ist das über ganz Europa verhängte Zwangsgeld
Euro, mit dessen Einführung Italien zur terra
di conquista
der ausländischen Konzerne geraten ist:
ein nationaler Ausverkauf! Zahllose kleine
und mittlere Unternehmen
sind in Existenznöten, das
Made in Italy
ist zerstört worden, und deshalb
„brauchen wir ein Referendum Euro No. Italien ist in einer dramatischen Situation, verschüttet von Armut, Korruption und einem üblen Ruf. Die Italiener müssen sich als erstes das Land und die Souveränität darüber wieder aneignen, angefangen bei der über das Geld. Dies (sc. der Referendumstag) wird ein historischer Tag sein und für seinen Erfolg brauchen wir deine Hilfe. Mit dem Euro sind wir verdammt zum wirtschaftlichen Misserfolg.“ (Grillo-Blog vom 12.10.2014)
So kommt Grillo also ein zweites Mal auf den Grundstoff
allen kapitalistischen Treibens zu sprechen, auf das
europäische Gemeinschaftsgeld, allerdings etwas anders
als ein paar Blogs zuvor, in denen das Geld noch die
alles infizierende Pest
war. Das ist Don
Denaro in seiner europäischen Form schon auch,
interessanterweise aber aus ganz anderen Gründen. Auch
wenn das Stichwort „Korruption“ nicht fehlen darf, dieses
Mal gilt der Furor dem Mammon nicht in seiner Eigenschaft
als Schmiermittel der Politik, dieses Mal illustriert
Grillo mit seinem dramatischen shitstorm gegen
den Euro, was der Euro als falsches, nämlich
nicht nationales Geld alles anrichtet: Er macht
die Volksferne dieses Geldes dafür verantwortlich, dass
die heimische Wirtschaft kaputtgeht, in der
internationalen Konkurrenz verliert und dass die
Italiener individuell und insgesamt nicht genug Geld
verdienen, um anständig über die Runden zu kommen. Diese
Erkenntnis gewinnt der garante nicht aus einer,
und sei es noch so verkehrten, Wirtschaftstheorie. Bei
ihm folgt sie zwingend aus dem basisdemokratischen Dogma,
dass in der großen Welt alles das, aber auch nur das in
Ordnung geht, was aus dem engsten heimatlichen Umkreis
der Volksmassen stammt. Deswegen ist er sich sicher, dass
die heimelige vertraute Lira gegen den von Frankfurt und
Brüssel fremdgemanagten Euro ihre Zustimmung bekommt,
wenn man das italienische Volk ermächtigt, per
like-Button seine Präferenz zu Protokoll zu
geben. Grillo braucht kein Argument für den kühnen
Schluss, dass Donna Lira, weil per Mausklick vom
Volk zurückerobert, ihre volksnützlichen Dienste leistet
und für Wohlstand beim einfachen Italiener wie in der
ganzen Nation sorgt. Wie viel nach dem Aneignen der
Souveränität
des Geldes bei wem hängenbleibt, wozu es
(nicht) reicht, wer was damit anstellen kann, alles das
ist für ihn unerheblich, Hauptsache, die Fremdherrschaft
über Italiens Geld wird von unten gestürzt.
Also ist er gegen den Euro, schwört seine Bewegung auf
das Ziel einer Volksabstimmung übers nationale
Geldzeichen ein, über dessen Ausgang er sich ganz sicher
ist, und hat überhaupt keine Scheu, im Europaparlament
eine Allianz mit den Eurogegnern von der heimischen Lega,
dem französischen FN und der britischen UKIP anzuordnen.
Einig ist man sich dort allerdings nur in der Ablehnung,
der Absage an eine volksfremde Einrichtung. Dass die
rechtsradikalen Partner mit Grillos fünf Sternen ganz
gewiss nichts am Hut haben und beim Euro nicht an ein
demokratisches Selbstbestimmungsideal, sondern an die
Souveränität der nationalen Staatsmacht denken, macht da
nichts. Im Gegenteil: Da bleiben allemal genügend rechte
Anliegen, die mit unter Grillos generelles Kumpaneiverbot
fallen, so dass er sein M5S den linkeren Teilen seiner
Basis mit dem für die überzeugendsten Argument ans Herz
legen kann: als letzten Damm gegen Rechts
.
Salvini und seine neue Lega {Nord}: Nationales Risorgimento zur Behauptung Italiens in Europa
Aus der separatistischen Lega Nord soll eine Lega Nazionale werden
Die drastische Wortwahl, mit der die neuen Anführer der Lega die Krisenlage Italiens umschreiben, erinnert an ein Nachkriegsszenario. Die Rede ist vom Wiederaufbau eines Landes, das in Trümmern liegt; eine Aufgabe, die das Volk in der gemeinsamen Not einen muss, und zwar gegen einen auswärtigen Feind. Dieser Zusammenschluss ruft förmlich nach einer politischen Führung, also nach der Lega, die sich aber, um dem eigenen Ruf zu folgen, entsprechend neu ausrichten muss:
„Man kann sich nicht auf die Wahlen im Norden beschränken, auf eine Partei, die im Gegensatz zum Rest des Landes steht. Die Lega muss sich einem nationalen politischen Projekt öffnen, das sich den Kräften von Mitte-Rechts im gesamten Land stellt. Dieses Land rettet sich entweder gemeinsam, oder es geht gemeinsam unter.“ Denn „die gesamte Halbinsel kann sich nur im Namen der Nation gegen die Auswirkungen einer Krise zu Wehr setzen, deren Ursachen in den Interessen fremder Mächte und ihrer italienischen Ableger auszumachen sind“.[6]
Vor allem eine Macht ist da gemeint: Die Räuber, die Italien plündern, haben ihren Hauptsitz nicht mehr – Roma ladrona! – in Rom, sondern in Brüssel und Berlin. In Rom finden sie allerdings willige Gehilfen. Das Feindbild ist also neu zu justieren und die Vorstellung zurechtzurücken, dass der an sich konkurrenztüchtige Norden nur vom siechen Süden und einem abkassierenden Zentralstaat um seine verdienten Erfolge in Europa gebracht würde. Angesichts dessen, dass die Krise, insbesondere die Arbeitslosigkeit, auch den Norden Italiens voll erfasst hat, wollen die neuen Lega-Führer jedenfalls das Konstrukt vom europäischen Erfolgsweg eines Padanien, das sich allein retten könnte, nicht mehr aufrecht erhalten oder wiederbeleben, sondern gegen den Befund austauschen, dass der bislang versuchte Weg Italiens, seinen Erfolg im Europa des Euro-Regimes einzufahren, grundlegend gescheitert ist und sich das ganze Land in der Abhängigkeit von fremden Machtinteressen befindet. Dagegen ist der Widerstand der Nation zu mobilisieren, eine Herausforderung, der kein norditalienischer Kleinstaat gewachsen wäre.
Diese selbstkritische Zurücknahme des padanischen Subnationalismus ist also sehr offensiv gemeint: Die Lega streicht das „Sub-“ aus dem Programm und damit stellt sie sich die große Aufgabe, die Nation zusammenzuschließen und dafür gegen Renzi und seinen Ausverkauf des Vaterlands ein Bündnis aller national gesonnenen Kräfte zu schmieden und anzuführen. Dass zu diesem für Italien schicksalsschweren Zeitpunkt die etablierten politischen Kräfte der Rechten inklusive diverser neofaschistischer Haufen mit dem Abgesang der Alleanza Nazionale und vor allem dem Schwächeln Berlusconis und seiner Forza Italia führerlos sind und somit die Führung von der Lega dringend zu beerben ist, darf als Wink der Geschichte genommen werden. Die Prädestination der Lega für diese Aufgabe steht jedenfalls fest. Denn das Konstrukt eines separaten Padanien mag zwar nicht zeitgemäß sein, enthält aber als Ur-Idee den richtigen und rettenden Standpunkt, unter dem alle aufrechten Italiener sich heute zusammentun müssen: Padanien steht – das beweisen zuvorderst seine Unternehmen – für den Hort von Schaffenskraft und Arbeitswillen, also für im Grunde erzitalienische Tugenden, die es seit je zum modello für die Welt gemacht haben, so dass sich das Volk der gesamten Halbinsel daran aufrichten sollte:
„Keiner könnte den Italienern Lektionen in kreativer Schaffenskraft und Arbeitswillen geben. Die Unternehmen Norditaliens sind immer ein Vorbild für die Welt gewesen.“
Umgekehrt besteht die Katastrophe, die die Krise über das Land bringt, im Kern darin, dass sie die Arbeit als nationale Ressource brachlegt:
„Je schneller dieser Albtraum beendet ist, desto eher können wir den Schutt wegräumen, mit dem Wiederaufbau beginnen und das tun, von dem wir stets bewiesen haben, dass wir es am besten können: arbeiten.“ [7]
Dieses Lob der Arbeit deutet die Unternehmen als Keimzelle einer Gemeinschaft, in der sich die Dienstbereitschaft dieser Arbeitshelden aufs Harmonischste paart mit der Kreativität der Unternehmerschaft, weshalb es nur gerecht ist, diese Produktivkraft der Nation von Steuern zu entlasten.[8] Von irgendeinem ökonomischen Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit keine Spur, gezeichnet wird das moralische Ideal eines Kollektivs, in dem alle ihren Beitrag zum Gelingen des Gemeinschaftswerks ableisten und in dem insbesondere die Selbstlosigkeit derer, die von der Arbeit nichts haben, denen zur Ehre gereicht, zumal als Tugend, die für jenen Wiederaufbau des Landes an erster Stelle steht. Dieser moralischen Vorstellung entspricht es umgekehrt, dass so kapitalistische Fundamente wie der Profit, in diesem System immerhin der Zweck jeder Arbeit, und die Konkurrenz, immerhin die Form, in der sie stattfindet, ebenfalls nicht der ökonomischen Sache nach gefasst werden, sondern als ein Geist der Unmoral, also des Egoismus. Dieser ist im Wesen unitalienisch, er kommt von auswärts über das Land, und so wird die nationale Arbeitsgemeinschaft von Kräften zersetzt, die ihr nicht angehören:
„Mir widerstrebt dieses Europa, das auf dem Profit und auf dem Markt basiert, und das nicht auf der Arbeit gründet.“ [9]
Nord- und Süditalien: ein Volk
Damit diese Rehabilitierung des guten, arbeitswütigen Volkes, um das es gegenwärtig so schlecht bestellt ist, zum nationalen Kampftitel wird, muss allerdings die Lega selbst einige rassistische Grobheiten aus dem Verkehr ziehen, die bis gestern zum festen Inventar padanischen Selbstbewusstseins gehörten. Nicht zufällig denkt der Leghista sofort an seine Stammheimat zwischen Alpen und Adria, wenn er die italienischen Tugenden als modello preist, aber:
„Man darf nicht alles über einen Kamm scheren. Der Süden besteht nicht nur aus Mafia und üblem Ruf – und der Norden ist nicht nur Tüchtigkeit und Anstand.“[10]
Indem man neuerdings den italienischen Wähler im Süden nicht mehr als Erdwühler (terrone) oder sonstigen Neger beschimpft, sondern als italienisches Volk anspricht, kann man ihm das wichtigste nationale Lebensmittel zusprechen, nämlich seinen „italienischen Stolz“:
„Matteo Salvini sieht sich als der einzige, der sich dafür einsetzt, den italienischen Stolz zu entfachen.“ [11]
Diese Vorzüge des Volkes, auf die es sich was einbilden darf, Fleiß, Tüchtigkeit und Anstand, nun ausgerechnet denen als Volkscharakter zuzugestehen, die bislang völlig aus dieser eigentlich ur-padanischen Wesensart geschlagen waren, wird eine gewisse Zumutung an Intellekt und Gemüt für das Fußvolk der Partei im Norden darstellen.
Dafür aber gibt es bewährte Hilfestellungen für den ab
heute national denkenden Rassismus, die ein
Lega-Sympathisant sich einleuchten lassen kann. Geboten
werden Erklärungen dafür, warum diese italienische
Wesensart in der Krise um die Früchte ihres Schaffens
gebracht oder gar an diesem selbst gehindert wird, und da
muss der Anhänger dann auch wieder nicht so viel
umdenken: Das Gemeinwesen wird nicht nur von
ausländischen Interessen angegriffen, sondern bestimmte
Ausländer mitten im eigenen Land sind einem gestandenen
Leghista immer schon als Feind vertraut. Also dürfen die
echten Neger, die immigrati und
clandestini, dafür herhalten, den Unterschied
zwischen dem eigenen, um ehrlichen Broterwerb bemühten
Volk und den Fremden zu markieren, sogar im untersten
Süden des Landes, zumal sie dort zuerst einfallen, um an
allem zu schmarotzen, was es ohnehin kaum gibt. So kennt
die Lega interessante Zusammenhänge, etwa dass
süditalienische Krankenhäuser schließen müssen, damit den
illegalen Einwanderern Tagegeld gezahlt werden kann.
Neben den fehlenden Krankenhäusern lassen sich fehlende
Arbeit, fehlende Wohnungen, fehlende Pensionen …, lässt
sich also eine endlose Reihe sozialer Missstände
auffahren, um dem nationalen Gemüt eines vor Augen zu
halten: Wenn die natürliche Reihenfolge Zuerst kommen
die Italiener
so pervertiert ist, dann muss auf
Seiten der Verantwortlichen glatt ein umgekehrter
Rassismus
[12] vorliegen, Rassismus
verkehrt sozusagen. Eine Unterstellung, die nur
einem Leghista einfallen kann, der sehr radikal vom
völkischen Privileg ausgeht und seinerseits den Rassismus
so denkt, wie er sich doch gehört, ohne sich explizit
dazu bekennen zu müssen. Im Grunde passt die nationale
Erweiterung seines Horizonts sogar besser zu den
ideologischen Besitzständen eines Lega-Anhängers, der
seinen Fundamentalismus der Ausgrenzung nicht auf die im
Norden georteten Skandale beschränken muss, sondern sich
nun mehr gesamtitalienisch-katholisch über Moscheen und
alles erregen kann, was an Überfremdung so angeschwemmt
wird.
Die Lega sieht also nicht nur diesen oder jenen Missstand, sondern hinter diesen Zumutungen für ein anständig schaffendes Volk dessen intakte Sittlichkeit bedroht, seinen inneren Zusammenhalt gestört durch alle möglichen Elemente, die entweder nicht zu ihm passen, weil sie nicht anständig sind, oder weil sie von Haus aus nicht zu ihm gehören – oder gleich in der üblen Kombination: weil sie Ausländer und Kriminelle sind. Dieser gefährdete Zusammenhalt, die fehlende Identität im Volk ist letztlich begründet im fehlenden Zusammenhalt von Volk und politischer Führung, ein tief gestörtes Verhältnis, das in Italien zu beklagen ist. Dieses erklärt sich die nationale Opposition von der Lega damit, dass der Staat in Gestalt seiner linken Regierung eben für den Zusammenschluss nichts tut, sondern im Gegenteil der ausländischen Invasion und dem Verbrechen freien Lauf lässt.[13] Diese Schwäche des Staates, der nicht für Recht und Ordnung sorgt, offenbart sich schon an den Außengrenzen: Wenn ein Land etwa die Schiffe seiner Marine nicht, wie es sich gehört, zum Schutz der Grenzen benützt, sondern zum Herausfischen von illegalen Einwanderern, dann liegt ein Missbrauch elementarer Mittel staatlicher Souveränität vor, dann liegt die staatliche Hoheit selbst im Argen. Somit landet die Beschwörung all der völkischen Tugenden einer Nation von arbeitsamen und pflichtbewussten Insassen konsequent beim Ruf nach einem starken Staat, der diesen Tugenden zu ihrem Recht verhilft, indem er ausmistet bzw. den Mist erst gar nicht ins Land lässt, und sich umgekehrt dann auf sein treues und dienstbares Staatsvolk verlassen kann. Solange der Staat aber schwächelt und dieses Verhältnis nicht im nationalen Lot ist, wird das gerechte Volksempfinden sogar zum Ungehorsam gegen den Rechtsstaat genötigt:
„Verkehrten Gesetzen muss man den Gehorsam verweigern, bis sie geändert werden. Und in Italien gibt es viele solcher Gesetze.“ [14]
Der Ausstieg aus dem Euro: Kampf um die staatliche Geldhoheit
Seine Stärke muss der Staat aber auch durch die Wiedergewinnung seiner Souveränität nach außen, in Europa, zeigen. Denn die desolate Lage der Nation ist der Abhängigkeit Italiens von „fremden Mächten“ geschuldet, und diese Abhängigkeit ist wesentlich eine vom gemeinsamen und doch fremden Geld, dem Euro:
„Der Euro ist der Hauptgrund der Krise, denn ein Geld für verschiedene Ökonomien kann nicht funktionieren“,
da das Einheitsgeld den jeweiligen Wert nationaler Arbeit nicht gerecht ausdrückt:
„Die Wahrheit ist einfach, dass Deutschland ein unterbewertetes Geld hat und seine Produkte weniger kosten, als sie es täten, wenn sie die Mark hätten. Entsprechend kosten unsere Produkte mehr, als sie kosten würden, wenn wir unser Geld hätten.“ [15]
In dieser Diagnose steht der reale ökonomische Sachverhalt ziemlich genau auf dem Kopf: Der Wert der nationalen Gelder wird nicht als Resultat der nationalen Produktivkraft des Kapitals, das die Arbeit benützt, begriffen, sondern die Produktivkraft, die als eine der nationalen Arbeit gedacht ist, erscheint irgendwie verfälscht, verraten und verkauft durch den Einheitswert des Geldes:
„Solange es die Möglichkeit gab, mit gleichen Waffen zu konkurrieren, haben die (italienischen) Arbeiter immer jede Art von Überstunden und Sonderschichten ausgehalten und so die Konkurrenz regelrecht geschlagen.“
Was sich mit dem bisschen Schein von ökonomischer Sachkunde aufbaut, landet so recht umstandslos bei der nationalistisch-parteilichen Umdeutung, ja Umkehrung der Resultate des Produktivitätsvergleichs, wenn ökonomische Niederlagen in – vom fremden Geld verhinderte – Siege der Arbeitsmoral verwandelt werden. Auch hier setzt der Lobpreis italienischer Tüchtigkeit den Arbeitswillen (voglia di lavorare!) mit Opferbereitschaft gleich, bemisst die nationale Produktivkraft also unmittelbar an der Bereitschaft zur Entbehrung – beinahe so etwas wie die Umdrehung der vornehmlich deutschen dummen Scherze über die italienische Arbeitsmentalität, die sich vor allem durch Streiken hervortue. Die Wahrheit über die gepriesene Opferbereitschaft an der Arbeitsfront ist sowieso viel banaler: Sie wird über niedrige Löhne erzwungen und gehört zu den Konkurrenzmitteln des Kapitals. Niedriger Lohn samt Sonderschichten halfen freilich nicht, um in der Konkurrenz gegen ein deutsches Kapital zu bestehen, das mit seinen Fortschritten in der Steigerung der Produktivkraft der Arbeit im Italien der letzten 25 Jahre erhebliche Konkurrenzschäden angerichtet hat.[16]
Wenn die Wirtschaftsideologen der Lega klagen, dass die
mindestens ebenbürtige, wenn nicht an sich überlegene
Schlagkraft heimischer Arbeit durch das supranationale
Einheitsgeld um ihren Erfolg betrogen wird, indem dieses
kriminelle
Geld die italienischen Waren
überteuert, und der Lira nachtrauern, deren notorisch
sinkender Wechselkurs seinerzeit mit italienischen
Exporterfolgen Hand in Hand gegangen ist, dann kommt das
in der Sache dem Eingeständnis gleich, dass das
italienische Kapital die ganze Zeit im internationalen
Konkurrenzvergleich schlicht zu teuer produziert, also
die Arbeit nicht effektiv genug ausgebeutet hat. Bei der
Lega aber stehen die Klage und die Euro-Phobie für die
Idee, es gäbe ein naturwüchsig richtiges
Entsprechungsverhältnis zwischen einheimischer
Leistungsfähigkeit und einheimischem Geld – schon wegen
der gleichen Attribute; und die Idee steht für den
Anspruch, das Recht auf ein Geld zu haben, das die
großartige nationale Schaffenskraft adäquat bewertet.
Genau darauf jedenfalls will die ganze
Euro-Kritik hinaus: Das Geld Italiens muss wieder
italienisch werden, die Nation die Hoheit über ihr
ökonomisches Lebensmittel zurückerobern, damit sich
dieses gerechte, passende Wertverhältnis wieder einstellt
und die Nation wirklich so reich wird, wie sie
es eigentlich ist. Woran das Land also letztlich
leidet, ist die dem Staat abhanden gekommene Souveränität
in der Geldfrage:
„Ohne die Kontrolle über sein Geld kann kein Staat in der Rezession die Krise bekämpfen. Ohne Kontrolle über sein Geld hat kein Staat Autonomie und er wird zu einem Dritte-Welt-Land mit einer Marionetten-Regierung, das gezwungen ist, um das Geld zu betteln, das es braucht. Kein Staat kann sich Herr im eigenen Haus nennen, der nicht die Hoheit über das eigene Geld hat.“
Die Polemik gegen die Abhängigkeit vom fremden Geld setzt
sich fort in der Agitation gegen das Europa der
Banken
, für deren Rettung Italien zahlen darf, um
seinerseits dem Wohlwollen der Finanzmärkte und dem
Spread [17]
ausgeliefert zu sein, wenn es Kredit benötigt und
„erbetteln“ muss. Auch dieses Urteil verdankt sich eher
nicht dem ökonomischen Befund, dass die Finanzer auf
ihrer Suche nach Rendite ihr – bei entsprechender Krisen-
und Konkurrenzlage negatives – Urteil über die
Rentabilität von Kapital und Arbeit fällen. Sondern es
speist sich wieder aus der national-moralischen
Entrüstung, in dem Fall über das – vor allem ausländische
– Bankkapital, das, während es selbst ohne eigene
Anstrengung über Geld verfügt, der Nation dieses
Lebensmittel vorenthält. Indem es der Nation seinen
Dienst versagt, hindert es das Volk, seinen Dienst zu
tun; mehr noch: Finanzhaie plündern das redlich
schuftende völkische Kollektiv, indem sie der Nation hohe
Zinsen abpressen. Damit wiederum berauben sie nicht nur
das Volk seiner Schaffenskraft, sondern den Staat seiner
Souveränität. Die Abhängigkeit vom Urteil der
Finanzmärkte, dem sich die Staaten in ihrer Konkurrenz um
Kredit aussetzen und aus dem in der Tat das Mehr oder
Weniger an staatlicher Freiheit resultiert, über Kredit
zu verfügen, ist von da her als per se unerträglich
aufzukündigen. So wird ein Ergebnis der
verlorenen Konkurrenz zum eigentlichen Grund der
nationalen Krise erklärt und die im Euro
vergegenständlichte Abhängigkeit als solche zum
Übel eines Geldes, das in dem Sinne als „deutsches Geld“
(moneta tedesca) geschmäht wird.
*
Gemäß der Schrott-Diagnose der Lega krankt das Land an
Verlust und Schwäche staatlicher Souveränität
auf allen Ebenen: Das fängt beim Volk an, dem die harte
Hand fehlt, die Recht und Ordnung schafft, damit es dem
nachgehen darf, was es am besten kann
; das zeigt
sich in der Abhängigkeit vom Finanzkapital, in der
Abhängigkeit von der EZB und von der deutschen
Führungsmacht, der sich die Erfüllungspolitik der
Renzi-Regierung unterwirft; und das wird sinnfällig in
der die Nation erniedrigenden Tatsache, nicht mal über
ihr eigenes Geld zu verfügen. All das ruft nach dem
nationalen Befreiungsschlag, den die Lega dem Land
verheißt. Er würde wohl beim Geld beginnen:[18]
„Man muss Vorkehrungen treffen, denn die Verschrottung des Euro ist ohne Alternative: Dieses System ist unausweichlich zum Untergang verurteilt, die einzige Frage ist, wann.“
[1] Die politische Wortschöpfung bereichert das italienische Lexikon: rottamatore als Verschrotter (im Unterschied zum existierenden Wort rottamista für Schrotthändler)
[2] Der politische Kommentar spielt mit der Verwechselbarkeit der Steckbriefe der beiden Mattei:„Der junge Matteo war tüchtig: Gerade Sekretär geworden, hat er in zehn Monaten fast die komplette alte Parteigarde verschrottet... Ist von Renzi die Rede? Aber nein, wir haben uns nicht verstanden: von Matteo Salvini.“ (Panorama, 29.10.2014)
[3] Bezeichnung des ‚Neuanfangs‘ der italienischen Politik in den Jahren 1992ff nach dem Korruptionsskandal, dem die damals etablierten Parteien und Politiker zum Opfer fielen; Einstieg Berlusconis in die Politik.
[4] Grillo wählt hier absichtsvoll das Wort „dipendente“ (Angestellter) für die gewählten Politiker, um zu unterstreichen, dass diese eigentlich die von den Bürgern ‚Angestellten‘ sind.
[5] Vaffanculo!: Leckt uns am Arsch! Schert euch zum Teufel!; V wie Vendetta: Anspielung auf eine anarchistische Filmfigur, die „Rache“ nimmt am politischen System.
[6] So formuliert es
programmatisch unter der Parole Bauen wir das Land
wieder auf!
(Ricostruiamo
il paese!) Tosi, der Lega-Bürgermeister von
Verona. Schon 1995 gab es unter Bossi den Versuch, eine
Lega Italia Federale aufzubauen, der – so die heutige
Rückschau der Lega-Vorderen – scheiterte, weil wir
uns zu sehr mit dem Norden identifizierten
.
(Panorama, 29.10.2014)
[7] So steht es in der Broschüre Basta Euro!, mit der die Lega für den Euro-Austritt Italiens agitiert.
[8] Die Parole „Keine
Steuern!“ reiht sich ein in die programmatischen „Drei
Nein“ der Lega: Kein Euro, keine illegalen
Einwanderer, keine Steuern!
(I tre no: no euro, no clandestini, no
tasse!)
[9] Matteo Salvini auf der Piazza della Signoria, Florenz, am 22.5.2014
[10] Flavio Tosi auf einer Kundgebung in Kalabrien im August 2013
[11] Den Verdacht
seitens der Süditaliener, dass sie nur als Wähler
hofiert werden, versucht Salvini, der im Süden für die
Wahlplattform „Wir mit Salvini“ (Noi con
Salvini) wirbt, mit seiner Art von Humor
abzufangen: ‚Auf der Wahltour auch im Süden muss ich
über den Stolz auf Italien sprechen, ich, der ich
Autonomist bin, der ich der Schlimme und Böse bin‘,
witzelte der Führer der Lega.
[12] Prima vengono
gli italiani, altrimenti è razzismo al contrario!
(Salvini auf einer Kundgebung in
Mailand) Von Salvini ist bekannt, dass er schon
mal für Apartheid in Mailands öffentlichen
Verkehrsmitteln plädiert hat, damit sich italienische
Frauen nicht belästigt fühlen.
[13] Mit der Linken
an der Regierung wird Italien zu einem Paradies der
Verbrecher. Ich aber gebe nicht auf, die Lega wird
gegen diesen Wahnsinn Totalopposition betreiben.
(Salvini auf einer Kundgebung in
Rom)
[14] Matteo Salvini auf der Kundgebung in Rom am 28.2.2015
[15] Dieses und die weiteren Zitate zum Euro aus der Schrift Basta Euro!
[16] Verlauf und Resultat dieser innereuropäischen Konkurrenz für Italien werden ausführlich analysiert in GS 2-13: L‘Italia in crisi.
[17] Der Spread ist die Differenz der Zinsen, zu denen sich Italien im Verhältnis zu Deutschland verschulden kann. In der italienischen Presse ist lo spread beinahe so oft vertreten wie der Papst, wird quasi täglich vermerkt, gleich einem Damoklesschwert, das drohend über der nationalen Wirtschaft hängt.
[18] Dass der M5S den Austritt aus dem Euro zu einem basisdemokratischen Spektakel machen und über ein Referendum abwickeln will, verspottet ein Leghista: Für Salvini kann so eine Entscheidung nur durch eine entsprechend legitimierte Regierung erfolgen, am besten in der Allianz mit nationalistischen Regierungen, die in anderen Ländern an die Macht kommen (insbesondere Le Pen in Frankreich).