Die Nahost-Front (II)
Israel nützt den Anti-Terror-Feldzug als Chance für seinen Krieg gegen die ‚Intifada‘
Israel macht seinen eigenen Antiterror-Krieg. So sollen die Palästinenser aus dem Westjordanland und dem Gaza-Streifen vertrieben werden. Die USA sind prinzipiell mit dem Vorgehen Israels einverstanden, wollen es aber als Vorstufe für eine Verhandlungslösung verstanden wissen.
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Die Nahost-Front (II)
Israel nützt den Anti-Terror-Feldzug
als Chance für seinen Krieg gegen die ‚Intifada‘
Israel hat nach den Attentaten von New York und Washington ein völlig anderes Problem als seine Nachbarn. Für die Regierung in Jerusalem stellt die globale Antiterror-Kampagne weder eine Bedrohung dar, noch sieht sie sich gezwungen, ihre Politik umzustellen. Im Gegenteil, sie ist sich der Unterstützung ihrer nationalen Interessen durch die USA so sicher, dass sie nur noch eine Sorge umtreibt: Sie könnte die Chancen, die sich ihr nach dem 11. September bieten, verpassen oder verspielen. Ministerpräsident Scharon geht davon aus, dass die Vereinigten Staaten sich nun noch bedingungsloser hinter den „Antiterror-Krieg“ stellen, den der Judenstaat schon seit Jahren und Jahrzehnten gegen die Palästinenser führt. Aus seiner Sicht wäre dies auch die konsequente Fortsetzung der Linie, die die Bush-Administration seit ihrem Amtsantritt gegenüber dem israelisch-palästinensischen Konflikt eingeschlagen hat.
Die Intifada als terroristische Bedrohung Israels
In Anknüpfung an das Urteil seines Amtsvorgängers Clinton erklärt Bush nach seiner Machtübernahme, dass die palästinensische Seite für das Scheitern der Friedensverhandlungen in Camp David verantwortlich sei und Arafat durch den Aufruf zur „Al-Aksa-Intifada“[1] das Hindernis für die Fortführung des Friedensprozesses geschaffen habe. Mit dem „Mitchell-Report“ und dem „Tenet-Abkommen“ hat die US-Regierung dann die Weichen für ihre Behandlung der palästinensisch-israelischen Auseinandersetzungen gestellt. Seit einem halben Jahr besteht sie auf dem darin niedergelegten Stufenplan zur Beendigung der Gewalt und der Wiederaufnahme von Verhandlungen. Israel und die palästinensiche Autonomiebehörde (PA) haben sich danach auf folgendes Verfahren festgelegt: Einer Waffenruhe von sieben Tagen folgen sechs Wochen „Abkühlungsphase“, daraufhin soll zu vertrauensbildenden Maßnahmen (wie z.B. dem totalen Stopp des Siedlungsbaus) und schließlich zur Aufnahme politischer Verhandlungen geschritten werden.
Die politische Bedeutung dieses Stufenplans liegt in drei Punkten: Erstens wird das von Scharon immer schon geforderte Prinzip „Keine Verhandlungen unter Feuer“ anerkannt. Solange die Palästinenser ihren Aufstand fortführen, das einzige Druckmittel also anwenden, das sie haben, braucht sich Israel mit deren Rechtsansprüchen und Forderungen nicht zu befassen. Die bedingungslose Kapitulation der Palästinenser steht vor jeder „politischen Verhandlung“ (über die noch ausstehenden Fragen des Osloprozesses). Sie soll die Voraussetzung und die solide Grundlage für ein Friedensdiktat durch Israel bilden. Zweitens ist die Intifada – durch die Trennung der aufständischen Gewalt vom politischen Grund – nichts als eine Verletzung der Sicherheit Israels und seiner Bürger: also Terror. Drittens ist damit die Anwendung militärischer Gewalt durch die israelische Besatzungsmacht prinzipiell gerechtfertigt. Die IDF erhält freie Hand, alles ihrer Meinung nach Nötige für den Schutz der jüdischen Bürger, d.h. zur Bekämpfung des palästinensischen Terrors zu tun.
Darüber hinaus hat Bush Scharon ermächtigt, selber zu entscheiden, wann er die Stufe 1, die siebentägige Waffenruhe, als erfüllt ansieht. Für den israelischen Ministerpräsidenten ist das ein Freibrief. Er unternimmt alles, die erste Phase nicht enden zu lassen.[2] Während er Arafat beschuldigt, den Terror zu begünstigen, kann Israel Fakten schaffen und sich – unter Verweis auf ständig wachsende „Sicherheits“-Bedürfnisse – die Gebiete und Rechte, die sich die palästinensische Seite im Laufe des Oslo-Prozesses erstritten hat, zurückholen. Was die israelische Regierung im Idealfall erreichen will, sprechen die Minister der religiösen Parteien offen aus: Die Palästinenser sollen aus dem Westjordanland und dem Gaza-Streifen vertrieben werden.[3] Diesem Ziel will Scharon so nahe wie möglich kommen.
So haben die Israelis – mit dem offiziellen Segen der USA und der übrigen Weltordnungsmächte – nach dem „Mitchell-Bericht“ einen Antiterror-Krieg gegen die Palästinenser aufgezogen. Jedes Aufbegehren gegen die Besatzungsmacht wird nun als Terrorakt definiert und geahndet. Die Liste der terroristischen Gewalttaten reicht von der antiisraelischen Hetze im Rundfunk über die Steinwürfe protestierender Halbwüchsiger, die Angriffe auf israelische Militärposten in autonomen Gebieten, den Beschuss von Siedlungen mit selbstgebastelten Granaten bis zu den Selbstmordattentaten auf israelischem Territorium. Auf Terror reagiert die legitime Gewalt Israels mit der Demonstration totaler Überlegenheit. Laut Beschluss des „Sicherheitskabinetts“ hat die Armee (IDF) darauf zu achten, dass „kein Vergehen ungesühnt“ bleibt und bei der Bestrafung das Prinzip „doppelter Härte“ eingehalten wird.[4] Bei ihrer Terroristenjagd beschränken sich die israelischen Sicherheitskräfte selbstverständlich nicht auf die ihnen nach den Oslo-Vereinbarungen offiziell zugänglichen Gebiete. Sie entführen mutmaßliche Täter aus den autonomen Zonen, der Geheimdienst erledigt die Führer militanter Gruppierungen per Autobombe diesseits und jenseits der „grünen Linie“. Die Luftwaffe liquidiert „präventiv“ mutmaßliche Attentäter vom Kampfhubschrauber aus. Mit dem Schutz des jüdischen Volkes vor terroristischer Gewalt rechtfertigt die IDF auch die planmäßige Zerstörung des Eigentums und der Reproduktionsbedingungen vieler Palästinenser: An den Grenzen zwischen palästinensischem und israelischem Territorium schafft sie auf autonomem Boden freies Beobachtungs- und Schussfeld (Abriss von Wohnhäusern, Werkstätten, Olivenhainen und Plantagen) samt Todesstreifen. Bei Bedarf besetzt sie Gebäude und nutzt sie als Kontroll- und Beobachtungspunkte, errichtet Elektrozäune zum Schutz von jüdischen Siedlungen, verhängt Ausgehverbote und errichtet Straßenkontrollen. Durch die Unterbrechung von Verbindungsstraßen, die Abriegelung autonomer Städte und Dörfer durch Panzersperren werden sämtliche wirtschaftlichen und sozialen Kontakte der palästinensischen Bevölkerung wahlweise behindert oder völlig unterbunden. Jeder Palästinenser muss sich gefallen lassen, als potentieller Attentäter oder Terrorunterstützer behandelt zu werden. Dank dieser Praxis soll er endlich kapieren, dass er weder in Israel noch in Palästina irgendeine Perspektive hat.[5] Durch die Sperrung der Übergänge vom palästinensischen Territorium nach Jordanien und Ägypten – nach Israel sind sie ohnehin zu – werden die besetzten Gebiete für deren Einwohner endgültig zum Gefängnis. Mit diesem Vorgehen schafft Israel zugleich lauter Gründe für den Zulauf zu den radikalen Gruppierungen, trägt also nach Kräften dazu bei, dass seine Gleichung „Palästinenser sind Terroristen“ immer mehr wahr wird. Nach keinem Attentat darf zudem eine Regierungserklärung fehlen, in der die PA und Arafat persönlich für den Terror verantwortlich gemacht werden. Stereotyp verlautet: Hätten sie die ihnen von Israel zugestellte Liste der 108 zu verhaftenden Personen abgearbeitet,[6] wäre der Anschlag nicht passiert.
Die USA haben Israel dieses Vorgehen prinzipiell genehmigt. Erlaubt ist, den Aufruhr im Westjordanland und dem Gazastreifen zu bekämpfen und israelische Sicherheitsbedürfnisse umfassend zu befriedigen. Die US-Administration will jedoch nicht, dass Scharon eine militärische Lösung der Palästinenserfrage durchsetzt. Zum Leidwesen des Ministerpräsidenten protestiert das State Department immer wieder gegen bestimmte Maßnahmen der IDF, die den USA zu weit gehen. Mal ist es der Bomben-Einsatz eines F-16 Kampfjets, mal die länger anhaltende Besetzung einer Ortschaft mit Panzern, mal die Liquidierung von Hamasführern in einem Wohnhaus und schließlich die Besetzung des Orient-Hauses (der palästinensischen Repräsentanz in Jerusalem) und des PLO-Hauptquartiers in Ostjerusalem.[7] Powell verurteilt diese Aktionen als „zu aggressiv“, sie seien geeignet, „Schaden in den Beziehungen zu anderen Staaten im Nahen Osten“ anzurichten. Darum bittet er die israelische Regierung, „Rücksicht auf die Interessen der USA in der Region“ zu nehmen. Auch wenn er selber Arafat beschuldigt, keinen „hundertprozentigen Einsatz“ bei der Bekämpfung des Terrorismus zu zeigen, erlaubt der amerikanische Außenminister Israel doch nicht, die PA und Arafat selbst als Terroristen oder Terrorunterstützer abzustempeln. Der PLO-Chef hat weiterhin als der legitime Repräsentant des palästinensischen Volkes und als Partner bei zukünftigen Verträgen zu gelten. Washington hält daran fest: Die Bekämpfung des Terrors durch Israel soll nicht selbst die Lösung der Palästinenser-Problems sein, sondern nur Vorstufe zu einem Verhandlungsprozess über den Endstatus.
Nach den Anschlägen vom 11. September wähnt Scharon, endlich diese Beschränkung los zu sein. Die Amerikaner würden nun begreifen, was es bedeutet, jahrelang „Opfer von Terror“ zu sein, erklärt er, „der Terror Arafats gegen die Israelis ist wie der Terror Bin Ladins gegen die USA“. Auf einer Pressekonferenz sieht er Israel bereits – neben Großbritannien – als Hauptverbündeten in der militärischen Auseinandersetzung mit dem globalen Terrorismus.[8] Ohne Washington zu konsultieren, lässt er Panzer in die autonomen Städte Dschenin und Jericho rollen und in Stellung gehen. Die Stadt Ramallah, Amtssitz Arafats im Westjordanland, wird eingekesselt und für mehrere Stunden besetzt. Bei dem Einmarsch der IDF kommt es zu heftigen Kämpfen mit palästinensischen Widerständlern und mehreren Toten. Die israelischen Soldaten nehmen zahlreiche Verhaftungen vor, nicht nur von Anhängern der radikalen Gruppen, sondern auch von Arafats Fatah. – Die Lage eskaliert zusätzlich durch eine Serie von Attentaten, die immer härtere israelische Vergeltungsmaßnahmen nach sich ziehen. Vornehmlich palästinensische Polizei- und Regierungsgebäude werden von Bomben und Bulldozern platt gemacht. Aller Welt soll klar werden, dass ohne Entmachtung der PA Israel keine Ruhe vor dem palästinensischen Terror bekommen kann.
Die einstweilige Unterordnung des israelischen Staatsterrors unter den globalen Antiterror-Kampf
Die USA verbitten sich Israels Eigenmächtigkeit: Eine militärische Unterstützung sei nicht erwünscht. Die Eskalation der Lage in den besetzten Gebieten behindere den Versuch der USA, auch muslimische und arabische Staaten in die Antiterrorkoalition einzubinden. Aus demselben Grund verurteilt das State Department die Parallele Arafat/Bin Ladin. Der palästinensische Terrorismus von Hamas und Jihad, heißt es, trage „regionalen Charakter“ und stehe mit der Al-Kaida in keinerlei Zusammenhang. Als israelischen Beitrag zum Antiterrorkampf in seiner ersten Phase fordert Bush von Scharon eine versöhnliche Geste gegenüber der arabischen Seite in Form eines Treffens zwischen Peres und Arafat.
In der israelischen Regierung löst er damit eine Krise zwischen dem Ministerpräsidenten und seinem Außenminister aus. Scharon erklärt, eine solche Begegnung müsse von der übrigen Staatenwelt wie eine israelische „Unbedenklichkeitserklärung“ gegenüber Arafat und eine nachträgliche „Legitimierung seiner Taten“ verstanden werden. Der Regierungschef hält an der Linie seiner bisher erfolgreich betriebenen Politik, der Delegitimierung von PA und Arafat, fest. Peres will zwar ebenso wenig wie sein Chef Israels starke Position gegenüber den Palästinensern aufgeben. Er glaubt nur, dass hin und wieder die Bekundung von Verhandlungsbereitschaft nicht schaden kann, damit Israel nicht als prinzipieller „Verweigerer eines Friedens“ dasteht. Es sei richtig, Arafat terroristisches Verhalten nachzusagen, ihn aber nicht völlig als Verhandlungspartner zu disqualifizieren. Zum PLO-Chef gebe es nämlich auf palästinensischer Seite nur „schlimmere Alternativen“: radikale Kräfte, die versuchten, „vom Mittelmeer bis zum Irak ein einziges Land zu schaffen“. Vor allem warnt er davor, die wichtigste Grundlage der israelischen Macht, das gute Verhältnis zu den USA, zu gefährden.[9] Nach vielen Telefonaten mit Bush lässt sich Scharon schließlich auf den Kompromiss ein: Nach Einhaltung von 48 Stunden Feuerpause darf Peres Arafat in Gaza aufsuchen, wo er mit ihm aber keine „politischen Verhandlungen“ führen, sondern nur über Wege zu einem dauerhaften Waffenstillstand und über Erleichterungen für die Lebensbedingungen der Palästinenser reden darf. Ausdrücklich gibt Scharon zu Protokoll, er selber glaube nicht, dass Arafat, „der notorische Lügner“, Absprachen treffen werde, an die er sich halten wolle. Die bei dem Treffen auf dem Flughafen von Gaza erzielten Vereinbarungen sind bereits vor ihrer Veröffentlichung Makulatur. Auf kleinere gewaltsame Zwischenfälle antwortet die IDF mit großer Härte, und das Kabinett erklärt die getroffene Übereinkunft für null und nichtig.
Als die USA kurz vor Beginn der Bombardements in
Afghanistan Israel wieder zur Mäßigung anhalten und Bush
seine „Vision“ von einem palästinensischen Staat
vorträgt, sorgt Scharon für einen Eklat. Auf einer
Pressekonferenz fordert er die westlichen Demokratien
auf, „den schrecklichen Fehler von 1938 nicht zu
wiederholen“. Damals hätten sich „die aufgeklärten
Demokratien Europas“ entschieden, „die Tschechoslowakei
zugunsten einer bequemen zeitweiligen Lösung zu opfern“.
Versucht nicht die Araber auf unsere Kosten zu
beschwichtigen. Das können wir nicht hinnehmen. Israel
wird nicht die Tschechoslowakei sein. Israel wird den
Terrorismus bekämpfen,
auch wenn es auf sich allein
gestellt ist (Haaretz 5.10.).
Die USA fassen diese Rede als Herausforderung und
Beleidigung auf, die sie sich nicht bieten lassen: Israel
hat nicht das Recht, mit seiner Abkopplung von der
amerikanischen Politik zu drohen. Dazu hat es kein Recht
und schon gar keinen Grund. Die USA halten an Israel als
ihrem Vorposten im Nahen Osten fest und lassen sich durch
nichts davon abbringen.[10] Darum werden sie immer
dafür sorgen, dass es von seinen Nachbarn nicht bedroht
werden kann. Israel muss aber auch wissen, dass es ohne
die USA längst nicht über die Macht verfügt, die es jetzt
hat – „Israel hat keinen besseren Freund als die USA“
(Bush-Sprecher Fleischer).
Deswegen lassen sich die USA auch nicht von ihrem
Verbündeten vorschreiben, wie sie mit den anderen
Nationen umzugehen haben, und dabei auch noch
Opportunismus nachsagen – „Die USA tun nichts, um die
Araber auf Kosten Israels zu beschwichtigen“ (ders.). In der gehörigen diplomatischen
Form verlangen die Vereinigten Staaten von Scharon eine
Entschuldigung.[11] Danach ist für sie die
Sache erledigt. Sie „beschwichtigen“ weiter die
arabischen Führer, indem Bush nun ein Treffen mit Arafat
„nicht mehr ausschließt“. Er müsse jedoch zuvor davon
überzeugt sein, „dass eine Zusammenkunft mit einer
bestimmten Partei (gemeint: Arafat) den Prozess fördert“
(FAZ 13.10.). Israel lässt
der Präsident weiterhin nicht im Stich: Die von Israel
seit Anfang der Kampagne geforderte Aufnahme des
Hizbullah und der palästinensischen Gruppierungen der
„Ablehnungsfront“ auf die Liste der meistgesuchten
Terroristen wird in Aussicht gestellt.
Die Eingliederung Israels in die Antiterror-Front
Das Attentat auf Tourismusminister Zeevi vom 17. Oktober, mit dem sich die Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) für die Liquidierung ihres Führers Ali Mustafa rächt, kommt für die israelische Regierung wie gerufen. Gerade erst von Bush und Powell zur Mäßigung aufgefordert, kann Israel einen Betroffenheits-Zirkus abziehen, der sich gewaschen hat und eindeutig Maß nimmt an den Reaktionen der USA auf den Einbruch ihrer beiden Türme. Scharon erklärt: „Die volle Verantwortung fällt direkt auf Arafat, der den Terror kontrolliert… Gott möge Zeevis Ermordung rächen… Der Mord verändert alles, schafft eine neue Ära, und nichts mehr wird so sein wie bisher.“ (FAZ 19.10.) Das Sicherheitskabinett kündigt einen „Kampf gegen den Terror bis zum bitteren Ende“ an und fordert Arafat ultimativ auf, die Terror-Organisationen PFLP, Hamas und Islamischer Jihad aufzulösen und zu entwaffnen. Die PFLP-Leute, die für den Tod Zeevis verantwortlich sind, müssen an Israel ausgeliefert werden. Wenn die PA sich weigert, die Forderungen zu erfüllen, wird Israel „die PA als ein Gebilde ansehen, das den Terror unterstützt und Terroristen Unterschlupf gewährt. Wir werden mit ihr nach den Regeln verfahren, die heutzutage gegen Staaten, die Terroristen beherbergen, angewandt werden.“ (Jerusalem Post 19.10.)
Scharon wartet aber gar nicht erst den Ablauf seines Ultimatums ab, sondern beginnt mit der Besetzung fast aller großen Städte des Westjordanlandes. Um sich gegen Kritik aus dem Ausland abzusichern, erklärt Verteidigungsminister Ben Eliezer: Die IDF-Aktion ziele auf die Verhinderung palästinensischer Attacken, nicht auf die Zerstörung der PA.[12] Unter dem Deckmantel der Notwehr leistet die israelische Armee ganze Arbeit. In nächtelangen Razzien durchkämmt sie „Terroristenhochburgen“, und bereits nach drei Wochen veröffentlicht sie die stolze Bilanz: Festnahme von 85 militanten Palästinensern, davon 35, die beschuldigt werden, an Terrorakten beteiligt gewesen zu sein. Im Dorf Rima veranstaltet die IDF ein Massaker, allein dabei werden 10 mutmaßliche Terroristen liquidiert. Die Zahl der „gezielten Tötungen“ per Hubschrauber oder Autobombe ist inzwischen auf über 30 gestiegen. Die Gebäude der palästinensischen Sicherheitskräfte sind drastisch dezimiert. Beim Zählen der Toten und Verletzten auf palästinensischer Seite kommt Arafat kaum noch nach.[13] Scharon erklärt, ein Rückzug seiner Soldaten aus den Städten komme nur dann in Frage, wenn die palästinensischen Sicherheitskräfte vor Ort für mindestens dieselbe Ruhe sorgen, die die IDF durch ihre Präsenz herstellt. Nach und nach findet der Rückzug der Panzer aus den Städten (mit Ausnahme von Dschenin) statt. Die örtlichen Polizeikommandanten – die PA wird von Israel als zuständige Stelle ignoriert – geben zuvor der Armee die geforderten Sicherheitsgarantien. Damit wollen sie der Bevölkerung ermöglichen, die Straße betreten zu können, ohne Gefahr zu laufen, erschossen zu werden. Der Abzug der Armee bedeutet aber lediglich den Rückzug der Panzer auf einen engen Belagerungsring um die Städte herum, von dem aus bei Bedarf sofort wieder Vorstöße unternommen werden. Das gesamte autonome Territorium betrachtet die IDF inzwischen als ihr Kontrollgebiet, wo sie jederzeit auftauchen kann, um Vergeltungsaktionen und Fahndungen nach mutmaßlichen Tätern durchzuführen.
Arafat bleibt deswegen allerdings nicht der Vorwurf erspart, er unternehme nichts gegen den Terror, im Gegenteil. Es hilft ihm nichts, dass er krampfhaft versucht, das von ihm verlangte „hundertprozentige Bemühen“ vorzuweisen.[14] Außerdem stößt er mehr und mehr an die Grenzen seiner Macht. Ihm und erst recht seinen Sicherheitskräften ist die Bewegungsfreiheit zwischen den verschiedenen Gebieten, für die sie zuständig sind, genommen, eine Koordinierung der Arbeit ist daher kaum möglich. Durch die Bombardements fehlen seinem Sicherheitsapparat die primitivsten Voraussetzungen wie Büros, Polizeistationen oder Haftzellen. Aber auch da, wo Gefängnisse noch existieren, kann die PA sie nicht nutzen; es sei denn, sie will die Gefangenen zur Zielscheibe des nächsten israelischen Angriffs machen. Inzwischen laufen Arafat die eigenen Gefolgsleute davon.[15] Nachdem die US-Regierung offiziell die „Ablehnungsfront“ auf ihre Liste der globalen Terroristen gesetzt hat, erhöht die Regierung in Jerusalem den Druck auf den PLO-Chef: Nach seinem Verbot der PFLP müsse nun endlich das von Hamas und Jihad folgen und die Entwaffnung dieser Gruppierungen eingeleitet werden. Damit verlangt sie von ihm, einen Bürgerkrieg anzuzetteln, den er niemals gewinnen kann. Aber so etwas gehört „zum Berufsrisiko eines Politikers“ (Peres).
Aus ihrer letzten Konfrontation mit den USA hat die israelische Regierung den Schluss gezogen, bei aller Vehemenz, mit der sie die Zerstörung der Errungenschaften Arafats während des bisherigen Oslo-Prozesses betreibt, nicht den Schein aufzugeben, letztlich käme es ihr nur auf ein friedliches Zusammenleben mit den Palästinensern an.[16] Nachdem die USA die Formel von der „Vision“ eines „Palästina“ entdeckt haben, hält sie es zudem für unklug, sich der Diskussion über die Natur und Zukunft dieses Staates zu entziehen. Um Schlimmeres zu verhüten, übernimmt sie lieber gleich die Meinungsführerschaft. Peres und Scharon einigen sich darauf, den Außenminister vor der UN erklären zu lassen: „Auch wenn es heute noch nicht die formelle Politik der israelischen Regierung ist, gibt es Unterstützung für eine palästinensische Unabhängigkeit und einen palästinensischen Staat. Wir wollen die Palästinenser nicht dominieren.“ (Haaretz 16.11.) Als „rote Linien“ sind vereinbart, dass Israel nur einem „entmilitarisierten, ökonomisch gefestigten Palästinenserstaat“ zustimmt, der keine Verträge mit Staaten schließen darf, die Israel feindlich gegenüber stehen. Israel behält die Kontrolle über seinen Luftraum. Peres denkt als „erste Stufe“ der Etablierung dieses Staates an den Gazastreifen als dessen Territorium.[17] Für die ökonomische Festigung sollten sich die EU und andere Geberstaaten zuständig fühlen. Scharon geht das alles eigentlich schon viel zu weit. Darum hat er offiziell den USA mitgeteilt, dass er selber der Verhandlungsführer bei allen künftigen politischen Verhandlungen sein werde, Peres werde allerdings beteiligt. Scharon hat sich zu dem Schritt, über Verhandlungen zu reden, auch nur deshalb entschlossen, weil die USA ihm zusichern, dass am Fahrplan des Mitchell-Berichts nichts geändert wird und er selber nach wie vor über das Ende der ersten Phase entscheiden darf.
Wie die lang angekündigte Rede Powells zur Politik im Nahen Osten belegt, sind die USA mit ihrem Hauptverbündeten nicht unzufrieden und dulden sein Vorgehen im Westjordanland und im Gazastreifen. Zwar fehlen nicht die üblichen mahnenden Worte bezüglich des Siedlungs-stopps und die Klage über das schlimme Los der palästinensischen Bevölkerung, im Vordergrund steht aber die „dauerhafte und unverbrüchliche Verpflichtung“ gegenüber der Sicherheit Israels. Und Powell stellt im Bezug auf die Bush-Vision von Palästina klar, dass vor jeder Forderung an Israel die Anerkennung des Existenzrechts Israels durch alle arabischen Staaten steht: „Powell rief die arabischen Staaten dazu auf, deutlich ihre Bereitschaft zu zeigen, Israels Existenz zu akzeptieren – als jüdischen Staat neben einem und nicht an Stelle eines palästinensischen Staats.“ (Haaretz 20.11.) An dieser Front muss in der Anti-Terror-Kampagne weitergearbeitet werden.
[1] Nachdem sich Arafat geweigert hatte, dem Friedensdiktat Baraks zuzustimmen, hat Israel die Fortführung des Oslo-Prozesses gekündigt. Um Israel die Unhaltbarkeit seines Okkupationsregimes klarzumachen und es an den Verhandlungstisch zurückzuzwingen, hat der PLO-Chef die Palästinenser zum Aufstand gegen die Besatzungsmacht, zu einer zweiten Intifada, aufgerufen.
[2] Scharon versteift sich erstens auf die Position, es müsse „absolute Ruhe“ herrschen. Wenn zweitens wirklich einmal längere Zeit Ruhe herrscht, reicht eine israelische Militäraktion, der Abriß „illegal erbauter Häuser“ oder die Gründung einer neuen Siedlung, um den Ausbruch weiterer Gewalttätigkeiten zu provozieren. – Die israelische Friedensgruppe „Peace now“ berichtet, daß nach Scharons Amtsantritt siebzehn neue Siedlungsorte aufgemacht wurden. Zwölf allein nach dem Mitchell-Abkommen, in dem sich Israel verpflichtet hat, sich auf den Ausbau bestehender Siedlungen zu beschränken.
[3] Zeevi von der
Nationalen Union fordert den „friedlichen Transfer“ der
Araber in ein arabisches Nachbarland. Wir sollten
die Palästinenser, die nicht israelische Bürger sind,
loswerden, wie man Läuse loswird. Wir müssen den Krebs
stoppen, der um sich greift.
(FAZ 17.10.)
[4] Auf Steinewerfer wird scharf geschossen, auf Gewehrsalven mit Panzergranaten geantwortet und auf Mörsergranaten mit dem Abriß von Häusern reagiert. Nach Selbstmordattentaten ist die Bombardierung palästinensischer Einrichtungen, die Abriegelung von Städten und die Liquidierung von Anführern radikaler Palästinenserorganisationen fällig.
[5] Der
UN-Sonderbeauftragte für den Nahen Osten, Larsen,
schreibt: Die seit 11 Monaten dauernde Blockade des
Westjordanlands und des Gazastreifens hatte verheerende
Folgen für die palästinensische Ökonomie… Vor der
Intifada war die Arbeitslosigkeit in den letzten 4
Jahren von 24% auf 10% gesunken. Inzwischen liegt sie
bei 38% im März. Ende 2001 werden 50% der Bevölkerung
unter dem Existenzminimum leben. Die 4 Jahre Aufbau von
Wirtschaft und Bildung sind komplett zunichte
gemacht.
(Bericht an den
Generalsekretär, Anfang September 01)
[6] Arafat besteht seinerseits auf der Unterscheidung zwischen Leuten, die Widerstand geleistet haben, und solchen, die Verbrechen begangen haben. Zur ersten Kategorie zählt er auch diejenigen, die in den besetzten Gebieten militärische Ziele, israelische Soldaten oder auch Siedler angegriffen haben. Diese weigert er sich zu verhaften. Attentäter, die nachweislich auf israelischem Boden Anschläge verübt haben, ist er bereit festzunehmen.
[7] Damit verletzt Israel die Oslo-Vereinbarung, wonach die Souveränitätsfrage in Bezug auf Jerusalem solange offen bleibt, bis in Verhandlungen eine Regelung getroffen wird.
[8] Israelische Zeitungen berichten von der Verlegung israelischer Kampfjets auf Flugbasen des Bündnispartners Türkei als Vorbereitung für einen möglichen (Gegen-)Angriff auf den Irak.
[9] Peres vor der
Knesset: 53 Jahre, seit der Gründung Israels gab es
keine Bitte unserer Seite an die USA, auf die sie nicht
eingegangen sind. Jetzt bitten die USA Israel um ein
Treffen mit den Palästinensern, damit sich die Kritik
in der arabischen und islamischen Welt beruhigt…
Nachdem die USA in Gefahr sind, müssen wir zu ihnen
stehen… Die USA erbitten von Israel weder einen
territorialen Verzicht noch einen auf das Recht zur
Selbstverteidigung… nur einen Beitrag zur Beruhigung
der Atmosphäre, bevor sie ihre Söhne in den Kampf
schicken… Sie bitten auch nicht darum, daß Israel auf
Reaktionen verzichtet, wenn es mit Raketen angegriffen
wird, wie es im Golfkrieg vor 10 Jahren war.
(Haaretz 23.9.01)
[10] Bush später beim
Besuch von Peres in Washington: Selbst wenn Sie es
wollten, könnten Sie nicht unsere Beziehungen
ruinieren.
(Haaretz
26.10.)
[11] Scharon erklärt öffentlich „seine Wertschätzung der tiefen Freundschaft und der besonderen Beziehungen zwischen Israel und den USA“ und beglückwünscht Präsident Bush „zu seinem kühnen und energischen Entschluß, den Terror zu bekämpfen – einer Position, die Israel voll unterstützt“. (Haaretz 7.10.)
[12] Wenn es
keinerlei Bemühungen der PA zur Unterbindung des
Terrors gibt, haben wir keine andere Wahl, als zu
verhindern, daß Terroristen in Israel eindringen.
(Haaretz 21.10.)
[13] Mitte November bilanziert er: Seit Beginn der al-Aksa-Intifada 1800 tote Palästinenser, 37000 Verletzte.
[14] Nach dem Mord an Zeevi sperrt er sämtliche für ihn greifbare PFLP-Mitglieder ein, palästinensische Gerichte lassen die meisten von ihnen wieder frei, weil keinerlei Beweise irgendwelcher Delikte vorgelegt werden können. – In Gaza werden 60 x-beliebige Intifada-Aktivisten verhaftet, damit Arafat beim Blair-Besuch Eindruck machen kann.
[15] Fatah-Führer
warnten Arafat, das palästinensische Volk werde seinen
Führern nicht verzeihen, wenn sich herausstellt, daß
bei der Intifada hunderte Tote, ungeheure Verluste und
Entbehrungen über ein Jahr lang hingenommen werden
mußten – und alles umsonst war. Die stärksten Führer im
Sicherheitsapparat Rajoub (Westbank) und Dahlan (Gaza)
habe große Schwierigkeiten, angesichts der Drohungen
der Repräsentanten verschiedener Fraktionen… Festnahmen
durchzusetzen. Sie teilten Arafat mit, sie könnten
nicht damit fortfahren, wenn Israel die
Liquidierungspolitik immer weiter verstärkt… Dahlan
drohte mit seinem Rücktritt. Er soll sich geweigert
haben, PFLP-Leute zu verhaften.
(Haaretz 4.11.)
[16] Mein Ziel ist
nicht die PA zu zerstören oder persönlich gegen Arafat
vorzugehen… Ich bin 73 und habe den Horror des Krieges
erlebt. Ich suche den Frieden. Aber der Frieden muß dem
israelischen Volk Sicherheit bringen.
(Scharon, Jerusalem Post 4.11.)
[17] Die PA kommentiert diesen Plan: „Schlechter als die Besatzung“. Die Palästinenser bekämen Gaza und dürften dann weitere 50 Jahre über die Westbank und Jerusalem reden.