Die Nahost-Front (I)
Die „Problemstaaten“ des Nahen Ostens bemühen sich um Schadensbegrenzung

Die arabischen Staaten und der Iran sind mit der amerikanischen Forderung nach Zuordnung zum Antiterror-Krieg konfrontiert. Sie erklären ihre prinzipielle Bereitschaft zur Beteiligung am Kampf gegen den Terrorismus und bestehen gleichzeitig, national unterschiedlich, auf einer eigenen Innen- wie Außenpolitik. Die Scheidung zwischen willfährigen Bündnispartnern der USA und Gegnern gegen deren Vormacht kommt so voran.

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Die Nahost-Front (I)
Die „Problemstaaten“ des Nahen Ostens bemühen sich um Schadensbegrenzung

Die arabischen Staaten und Iran haben nach dem Amtsantritt der Bush-Regierung feststellen müssen, dass ihre Bemühungen, durch intensivere Kooperation und ein geschlosseneres Auftreten als „Arabische Liga“ und „Organisation der Islamischen Konferenz“ (OIC) eine stärkere Berücksichtigung ihrer Interessen in der Region zu erreichen, auf entschiedenen Widerstand in Washington treffen. Die neue US-Regierung lässt eine allmähliche Reintegration des Irak in die internationale Gemeinschaft nicht zu und denkt nicht daran, Druck auf Israel auszuüben, um die Palästinenserfrage im Sinne der UN-Resolutionen 242 und 338 (Rückgabe der besetzten Gebiete) zu lösen. Bush und Powell konnten zwar im Sommer dieses Jahres eine Verabschiedung der „smart sanctions“ im UN-Sicherheitsrat nicht durchsetzen, die zunehmende Aushöhlung des Irak-Boykotts haben sie aber durch massive Drohungen gegen alle, die das „Oil for food“-Regime unterlaufen, gestoppt. Sie bestehen darauf, dass die Frontlinie in der Region wieder zwischen den Staaten verläuft, die sich der US-Aufsicht unterordnen, und denen, die sich ihr widersetzen. Die „gemäßigten Regierungen“ in der Region haben daraus die Konsequenz gezogen, das Thema „arabisch-islamische Solidarität mit der Intifada und Verurteilung der israelischen Gewalt“ wieder niedrig zu hängen. Trotz ständigen Drängens Arafats haben sie verhindert, dass sich die Arabische Liga mit der Eskalation der Lage in Palästina befasst.

Nach dem 11. September ist der amerikanische Anspruch auf Unterordnung unter die strategischen Interessen der Weltmacht Nr. 1 entschieden anspruchsvoller und für sämtliche Staaten in der Region bedrohlicher geworden. Selbst die langjährigen arabischen Verbündeten sind wie alle anderen dem Verdacht ausgesetzt, die Attentäter und Hintermänner der Anschläge von New York und Washington gedeckt, begünstigt oder wenigstens bei sich geduldet zu haben. Sie müssen sich fragen lassen, in wieweit sie selbst zum Sumpf gehören, aus dem sich die arabisch-islamistischen Feinde Amerikas rekrutieren. Mit der Ankündigung des globalen Feldzugs gegen den Terrorismus steht fest: Alle arabischen und islamischen Staaten müssen bei sich einiges ändern, für nicht wenige steht eine grundsätzliche Revision ihrer Politik an. Der Aufruf, bei der Antiterrorkoalition mitzumachen, richtet sich nämlich gegen sie selbst, gegen die bisherige Verfolgung ihrer Interessen, gegen ihre Bündnisse, den Einsatz ihrer Finanzmittel, bis hin zur Pflege ihres staatlichen Selbstverständnisses. Auf was sie sich im einzelnen im Rahmen des Feldzugs gegen den Terror einlassen sollen, wissen die US-Politiker nach eigenem Bekunden zurzeit nicht einmal selbst. Washington versichert aber, dass die entsprechenden Regierungen auf jeder Stufe des globalen Antiterror-Kriegs aus Washington schon mitgeteilt bekommen, was sie zu tun haben. Falls sie dem nicht nachkommen, gilt selbstverständlich die amerikanische Kriegsdrohung, „Wer nicht mitmacht, ist unser Feind“. Dabei ist die Bush-Regierung überhaupt nicht nachtragend. Mit Ausnahme des Irak bekommt jede Nation die Chance, durch Willfährigkeit gegenüber dem US-Programm und durch „tätige Reue“ in die Reihen der „Guten“ aufgenommen zu werden. Das ist für sie zugleich auch das ganze Angebot: Wenn und solange sie sich zum Büttel des amerikanischen Aufsichtswesens über die Region machen, können sie sich die Feindschaft der USA ersparen.

Die Distanzierung von den politischen Zielen der Terroristen

Nach dem 11. September bemühen sich alle Länder, so schnell wie möglich aus der direkten Schusslinie zu kommen.[1] Die Regierungen bekunden, mit der Feindschaft, die sich in den Attentaten gegen die USA ausdrückte, nichts zu tun zu haben, selber sei man an guten Beziehungen zur Weltmacht Nr.1 interessiert. Im Iran, den die USA auf ihrer Liste der „Schurkenstaaten“ haben und mit einem Boykott seit Jahren schädigen, setzt die geistliche Führung nach den Anschlägen durch, dass ihre Massen auf das Image der Nation Rücksicht nehmen und nach den Freitagsgebeten nicht mehr – wie seit 22 Jahren üblich – „Tod für Amerika“ skandieren. Präsident Chatami ist einer der ersten, der Bush kondoliert, und spricht von „einer beispiellosen terroristischen Tat“. Weil sie wissen, dass man ihnen eine Unzufriedenheit mit der amerikanischen Weltaufsicht und darum eine potentielle Gegnerschaft unterstellt, bekunden die Staatsmänner von Ghaddafi bis König Abdullah unisono, dass sie Feinde von Gewalt sind und den Amerikanern nichts Böses wollen. In Telegrammen an die US-Regierung drücken sie ihr Mitgefühl mit den „unschuldigen Opfern“ und mit Amerika aus, und nicht nur Arafat spendet vor laufender Kamera für die Verletzten in Washington und New York Blut. Mit den politischen Zielen von Bin Ladin und seiner Al-Kaida wollen sie nichts, aber auch gar nichts zu tun haben: Der saudische „Hüter der Heiligen Stätten“ betont die Unvereinbarkeit von Terrorismus und Islam, „der Islam sei eine Religion der wahren Liebe und Brüderlichkeit, der Hingabe, der Gnade und des Erbarmens, des Friedens“. PLO-Chef Arafat will genauso wie Ägyptens Staatschef Mubarak zu Protokoll gegeben haben, dass „Bin Ladin nicht wirklich etwas für die Palästinenser übrig hat“, sondern „das Palästinenser-Problem“ als Berufungstitel „für seine – in Wahrheit – terroristischen Zwecke missbraucht“.

Am glaubwürdigsten scheint ihnen ihre Distanzierung von den Zielen der Attentäter dadurch zu werden, dass sie sich selber als Opfer dieser oder ähnlicher Terroristen darstellen. Der Iran verweist auf seine kriegerische Auseinandersetzung mit dem Taliban-Regime, und Saudi-Arabien erinnert daran, Bin Ladin 1994 ausgebürgert zu haben, weil er das Königshaus bedrohte. Jede arabische Nation kann auf eine radikal-islamistische Opposition im eigenen Land verweisen, die meisten haben schon Attentate und Aufstände gegen ihr Regime erlebt. Deswegen weisen sie jeden Verdacht, die Regierung sympathisiere mit der Al-Kaida, als böswillige Unterstellung zurück. Unangebracht sei aber auch der Vorwurf, mit der Gefahr der Islamisten im eigenen Land zu lasch umgegangen zu sein. Bisher sei nämlich die genau entgegengesetzte Beschwerde üblich gewesen: Bei der Verfolgung der radikalen Islamisten würden sie nicht genug die Menschenrechte beachten. Von Ägypten bis zum Jemen hätten die Machthaber mit ansehen müssen, wie zahlreiche Führer ihrer radikalen Muslimbrüder in diversen westlichen Staaten Asyl erhalten haben.

Die Länder, die am stärksten unter Verdacht stehen, zu sorglos mit dem terroristischen Netzwerk umgegangen zu sein, in erster Linie Saudi-Arabien, aber auch Ägypten und Jemen, belassen es nicht bei dem Dementi. Sie verwahren sich dagegen, ständig von einzelnen Politikern und der amerikanischen Presse verdächtigt zu werden, zum Sumpf dazuzugehören und bedroht zu werden. Weil die saudische Führung weiß, dass die USA wegen ihrer Interessen darauf angewiesen sind, dass Saudi-Arabien seine Funktion erfüllt – traditionell als OPEC-Führungsmacht und Militärstützpunkt und aktuell bei der Bekämpfung des Al-Kaida-Netzwerks –, tritt sie fordernd auf. Sie verbittet sich auf diplomatischer Ebene unbewiesene Beschuldigungen, verlangt ein Ende der Diskriminierung ihrer Staatsbürger durch US-Behörden und sorgt für die Ausreise von Hunderten von Saudis, die in Amerika behelligt wurden. Kronprinz Abdullah gibt den Vorwurf (potentieller) Feindschaft zurück, er wirft Amerikas Öffentlichkeit eine „wilde Kampagne gegen Saudi-Arabien“ vor, die das „Ergebnis eines versteckten Hasses gegen die islamische Lehre“ sei und dagegen, „dass das Königshaus sich ihr verpflichtet fühlt“. Riad besteht also darauf, dass die USA, wenn sie schon „ihren Verbündeten“ mit Forderungen kommen, wenigstens den grundlegenden Respekt vor deren Souveränität und Staatsräson an den Tag legen.

Washington will die Staaten zwar abschrecken und in die Schranken weisen, aber sich nicht die Feindschaft all dieser Staaten zuziehen, weil es sie benutzen will. Bush attestiert darum der saudischen Regierung Kooperationsbereitschaft und erklärt, der Krieg, den er führen wolle, richte sich nicht gegen die islamische Welt, sondern nur gegen den (islamistischen) Terrorismus. Nach den Beschwerden der Muslime über seine Bezeichnung der Kampagne als „Kreuzzug“ und den Titel „Unendliche Gerechtigkeit“ zieht er großzügig beide Ausdrücke aus dem Verkehr. Keine Abstriche macht er allerdings von dem Anspruch, alle Nationen müssten mehr als in der Vergangenheit gegen den radikalen Islamismus und den von ihm vertretenen Antiamerikanismus unternehmen. So „zufrieden“ sich die US-Regierung in ihren Statements gibt, dass selbst Regime wie der Iran und Syrien die Anschläge verurteilt haben, so energisch verlangt sie von den Führern in der arabisch muslimischen Welt: Wenn sie den Terror verurteilen, dann müssten sie sich auch am Kampf gegen den Terrorismus beteiligen.

Der Beitritt zur Antiterror-Koalition

Alle angesprochenen Nationen erklären sich im Prinzip dazu bereit, den Terrorismus zu bekämpfen. Die Zurückweisung des amerikanischen Antrags, bei der globalen Koalition mitzumachen, kommt wegen der angedrohten Konsequenzen nicht in Frage. Andererseits ist ihnen bewusst, was Amerika verlangt: Sie sollen sich bedingungslos der US-Außenpolitik unterordnen und sich verpflichten, jeglichen Antiamerikanismus im eigenen Land „auszurotten“. Dieses Programm wollen sie mit ihrer Bereitschaft zur Koalition nicht gleich mitunterschrieben haben. Die Regierungen der arabischen und muslimischen Staaten weigern sich darum, Washington die geforderte Blanko-Vollmacht zu erteilen, politische Bestrebungen, die den US-Interessen zuwiderlaufen, als Terrorismus zu definieren und daraus verbindliche Vorschriften für die gesamte Staatenwelt ableiten zu dürfen. Sie plädieren dafür, die Führung des Anti-Terror-Kampfes der UNO zu übertragen und die Verfahren anzuwenden, die die UN-Charta für solche Fälle vorsieht.[2] Nur unter dieser Bedingung erklären sie sich zu einer „uneingeschränkten Mitarbeit“ beim Feldzug gegen den Terrorismus bereit. Sehr wohl wissend, dass die USA mit ihrer Forderung nach „Beitritt zur Antiterrorkoalition“ von ihnen bedingungslose Unterordnung verlangen, behaupten sie, Teil der Koalition zu sein, und beantragen deswegen Mitspracherechte eingeräumt zu bekommen.[3]

Im Sinne ihres Anspruchs, die Bereitschaft zur Bekämpfung des Terrors gäbe ihnen das Recht und die Möglichkeit, über die Stoßrichtung der globalen Kampagne mitzuentscheiden, machen sie Vorschläge, wie sie den Terrorismus definiert haben wollen, auf wen sich die Kampagne auch, auf wen sie sich vor allem nicht beziehen soll. Erstens muss ihr zionistischer Hauptfeind ganz oben auf die Terror-Liste gesetzt werden. Iran, Syrien und Libanon sind die Hauptvertreter der Forderung, dass eine Terrorismusdefinition natürlich auch den Staatsterrorismus Israels einschließen müsse.[4] Zweitens sollen die palästinensischen Gruppierungen vom Terror-Vorwurf ausgenommen werden. Alle arabischen und muslimischen Staaten plädieren dafür, zwischen Terrorismus und dem „legitimen Kampf gegen eine Besatzungsmacht“ zu unterscheiden. Drittens darf die Kampagne nicht auf ihre „Bruderstaaten“, einschließlich des Irak, ausgedehnt werden. Zwei Hauptbündnispartner der USA im arabischen Lager, Ägypten und Jordanien, erklären von vornherein, sie würden nur dann der Antiterrorkoalition zustimmen, wenn garantiert wird, dass kein arabisches und – neben Afghanistan – auch kein muslimisches Land mit Krieg überzogen wird.

Weil die arabischen Politiker auch an den Entwicklungen in den von Israel besetzten Gebieten merken, wie sehr die amerikanische Antiterror-Offensive die Position ihres Lagers schwächt und die Israels stärkt, verlangen sie von den USA, keine Verschiebung des Kräfteverhältnisses zuzulassen. Saudi-Arabien erklärt, es sei für eine Koalition, aber nicht bereit, dafür „den Preis zu zahlen“, dass die Leiden der Palästinenser unter den Tisch fallen. Jordanien und Ägypten tragen dieselbe Forderung als Sorge um den Erfolg der Kampagne und gut gemeinten Rat unter Bündnispartnern vor. Die offene Palästinafrage sei zwar „nicht der Grund für die Anschläge“ in den USA, aber „ohne eine Lösung dieses Konflikts werde es auch kein Ende des Terrorismus geben“. Denn „die Terroristen (nutzten) den Nahost-Konflikt, um ihren Taten den Anschein einer Rechtfertigung zu geben. Nicht zuletzt deswegen wäre es eine Katastrophe, wenn der Konflikt nicht beigelegt werde und noch weitere Jahre und Jahrzehnte andauern werde.“ (Mubarak)

Präsident Bush zeigt sich gegenüber den Sorgen der arabischen Welt durchaus aufgeschlossen, ohne allerdings auch nur ein einziges Zugeständnis zu machen: „Die Idee eines palästinensischen Staates war immer Teil unserer Vision“, allerdings müsse zunächst die Sicherheit Israels gewährleistet sein, und natürlich habe Israel das „Recht auf Selbstverteidigung gegen Terroristen“. Im Bezug auf den Irak erklärt er: „Im Augenblick konzentrieren wir uns auf Afghanistan und das terroristische Netzwerk, das sich da versteckt“. Zugleich lässt er aber keinen Zweifel daran, dass „Mr. Hussein ein böser Mann ist“, der „sein eigenes Volk vergast“ und „Massenvernichtungswaffen entwickelt“, den die USA darum „sehr sorgfältig beobachten“ müssen. Den Vorbehalt gegen den Antiterror-Feldzug Amerikas, der im Ruf nach der UNO liegt, überhört er einfach. Stattdessen betont der amerikanische Präsident, er sei von der allgemein verbreiteten Distanzierung vom Terrorismus „positiv überrascht“ und darum „sehr optimistisch“. Nun müssten aber auch die „nötigen Konsequenzen“ gezogen werden. In der ersten Phase des Antiterrorkampfes unter Führung der USA heiße dies:

Die Unterstützung des Kriegs gegen die Taliban

Die USA verlangen von den Staaten der Region die Unterstützung eines Krieges, den diese als Bedrohung ihrer eigenen strategischen Interessen ansehen. Das gilt für die arabischen Staaten genauso wie für den Iran. Die Führung in Teheran ist diejenige, die den Interessengegensatz am offensten ausdrückt und am entschiedensten den Krieg kritisiert. Die iranische Regierung vertritt die Position: Die USA nutzten die Angriffe auf Afghanistan, wie seinerzeit auf den Irak, „als Vorwand“, um ihren Einfluss in der Region, diesmal in Zentralasien und im Kaukasus, auszudehnen. Darum lehnt die Regierung in Teheran jegliche militärische Unterstützung der US-Kriegshandlungen ab und versetzt die eigenen Streitkräfte in höchste Alarmbereitschaft. Auf Druck Washingtons lässt sie sich wenigstens soweit in den Krieg einbinden, dass sie folgenden Deal unterschreibt: Gegen die Zusicherung von Bush, den Luftraum und die Territorialgewässer Irans zu respektieren, verpflichtet sich Teheran, jedem Amerikaner Hilfe zu gewähren, der gezwungen wird, im Iran notzulanden, oder sich über die Grenze in den Iran in Sicherheit bringen kann.[5] Weil diese Vereinbarung schlecht zu ihrer öffentlichen Verurteilung des US-Kriegs in Afghanistan paßt, spielt die iranische Führung das Abkommen herunter. Teheran habe nichts zugestanden, was über seine Verpflichtungen hinausgehe, die es aus internationalen Konventionen ohnehin habe. – Auch Ägypten hält fest, dieser Krieg sei – im Unterschied zum Golfkrieg, bei dem es eine arabische Verteidigungsallianz gegeben habe – nicht in seinem nationalen Interesse. Präsident Mubarak erklärt darum, er werde seine „Kinder nicht ohne Grund los schicken, um irgendwo zu kämpfen“. Kairo leistet sich sogar den Affront, 20000 US-Soldaten nach deren Oktobermanöver in Ägypten eine Stationierung im Lande zu verweigern.

Kein arabisches Land beteiligt sich mit eigenem Militär an der Allianz gegen die Taliban, aber zumindest die Golfstaaten müssen es sich gefallen lassen, in diesen Krieg hineingezogen zu werden.[6] Die USA und Großbritannien haben die Scheichtümer vor allem seit dem Irakkrieg zu wichtigen Stützpunkten für ihr Militär ausgebaut. Jetzt wollen sie diese selbstverständlich vertragsgemäß in Anspruch nehmen und ihre in der Region vorhandenen Kapazitäten für die Bekämpfung der Taliban nutzen.[7] Für die Führungen dieser Länder wirft das allerdings das Problem auf, dass sich die Beihilfe zur Bombardierung von Muslimen durch westliche Mächte schlecht mit ihrer Staatsideologie verträgt. Also behaupten die Regenten gegenüber ihren islamischen Untertanen, ihre Länder unterstützten „grundsätzlich keine kriegerischen und gewaltsamen Handlungen“, sondern setzten sich „für die Beilegung von Konflikten auf der Basis von Gerechtigkeit und der internationalen Gesetze“ ein. Kaum hat der Außenminister von Oman das Prinzip aufgestellt, schränkt er es ein: „Von unserem Territorium aus werden keine Militäraktionen in Afghanistan unternommen.“ Die saudische Führung ist äußerst pikiert, als das Pentagon während des Aufmarsches im Arabischen Meer ankündigt, die Air-Force werde ihr Kommandozentrum für die bevorstehenden Luftangriffe in der hochmodernen Luftwaffenbasis Prinz Sultan in Kharaj, südlich von Riad, einrichten. Nach heftigem Dementi des Kronprinzen Abdullah verzichtet die amerikanische Regierung auf solche Mitteilungen und bemüht sich seither, die regierenden Scheichs mit ihren Kriegsbeiträgen nicht mehr bloßzustellen.

Den Verdacht ihrer islamischen Massen, dass die eigenen Führer beim Töten der Glaubensbrüder mithelfen, werden die Herrscher am Golf nicht los. Umso mehr appellieren sie öffentlich an die Amerikaner, die Not leidende Bevölkerung in Afghanistan zu schonen, und geben – durchaus im Sinne der Amerikaner – mit großzügigen Geldspenden ihr Bestes, die „humanitäre Katastrophe“ in Afghanistan zu lindern. Auf der OIC-Konferenz in Doha begründet die amtierende Präsidentschaft aus Qatar einen Solidaritätsfonds für das afghanische Volk und zahlt gleich selbst 10 Mio. $ ein. Saudi Arabien folgt dem Beispiel mit einem Betrag in gleicher Höhe.

Auch dem Iran erwächst aus den Kollateralschäden eine ehrenvolle Aufgabe. Zusätzlich zu den über 2,3 Mio. afghanischen Flüchtlingen, die schon vor dem Krieg über die Grenze gekommen sind, soll das Land auf Drängen der UN und westlicher Politiker nochmals Hunderttausende aufnehmen. Dabei hat die Regierung Chatami in den vergangenen Wochen gerade erst ein Programm im Wert von 38 Mio. Mark beschlossen, mit dem seine 900 km lange Grenze zu Afghanistan dicht gemacht werden soll, um Drogenschmuggel und illegale Einwanderung in den Griff zu bekommen. Immerhin erhält die Islamische Republik Iran für ihre – notgedrungen erbrachte – Hilfe bei der „Lösung der Flüchtlingsproblematik“ viel Dank und Anerkennung. Blair, Fischer und alle westlichen Politiker, die derzeit verstärkt in Teheran und den anderen Hauptstädten der Region auflaufen, um für „die Antiterrorkoalition zu werben“, vergessen nie, Präsident Chatami zu dieser „großartigen humanitären Leistung“ zu gratulieren. Die zugesagten Zuschüsse in Millionen-Höhe, die die USA den Anrainern für die Flüchtlingsversorgung versprochen haben, lassen auf sich warten. Die Zahlung eines politischen Preises als Gegenleistung ist nicht vorgesehen. Wenn die iranische Regierung darauf dringt, dass ihre Interessen bei der politischen Neuordnung Afghanistans nach dem Krieg berücksichtigt werden, erhält sie zwar die Zusicherung, eine Lösung könne nur „zusammen mit den Nachbarstaaten“ gefunden werden; die iranischen Forderungen aber – keinerlei Beteiligung der Taliban, auch nicht der Gemäßigten; Heraushalten des Zahir Schah; Anerkennung des ehemaligen Präsident Rabbani als legitimen Führer – sind längst vom Tisch.

Bush betont immer wieder, im Hinblick auf die Unterstützung des Krieges von den arabischen Staaten „alles zu bekommen, um was er sie gebeten habe“. Nur ist aus Sicht der USA der Beitrag, die militärischen Aktionen der USA nicht zu behindern[8] und sich ein bisschen um die anfallenden humanitären Probleme zu kümmern, nicht das Entscheidende, was von diesen Staaten im Rahmen der Antiterrorkampagne erwartet wird. Sie müssen bei sich das System der inneren Sicherheit im Sinne der amerikanischen Ansprüche überarbeiten und dürfen keinesfalls mit den falschen Nationen kooperieren.

Die Zerstörung des Netzwerks der Terroristen

Powell stellt Mitte September bei einem Treffen mit den Botschaftern von Ägypten, Syrien, Libanon, Jordanien, Kuwait, Algerien und anderen arabischen Diplomaten folgende Liste von Forderungen für eine Teilnahme am gemeinsamen Kampf gegen den internationalen Terrorismus auf: 1. Verhaftung der Terroristen im Land, 2. Unterbindung der Bewegungsfreiheit von Terroristen zwischen den Ländern; 3. Unterrichtung der westlichen Länder über alle Erkenntnisse in Sachen Terrorismus; 4. Verhaftung und Auslieferung von im Ausland gesuchten Terroristen; 5. Unterstützung der internationalen Initiativen zur Bekämpfung des Terrors; 6. Beendigung der Tolerierung von Ländern, die Terroristen unterstützen, und Abbruch aller Beziehungen zu diesen.

Die angesprochenen Regierungen haben mit den ersten drei Forderungen nicht allzu große Probleme, solange es bloß darum geht, gegen Bin Ladin-Anhänger und radikale muslimische Oppositions-Gruppen im eigenen Land vorzugehen. Sie haben für deren politische Ziele nichts übrig und versuchen diese Kräfte schon aus eigenem Interesse unter Kontrolle zu halten. Daneben bekämpfen sie seit Jahrzehnten die landeseigenen radikalen Islamisten, die ihre Herrschaft gefährden. Für Länder wie Ägypten und Jordanien sind die Attentate von New York und Washington willkommener Anlass, eine neuerliche Verhaftungs- und (Kriegs-)Prozesswelle gegen die „Muslimbruderschaft“ einzuleiten. Diese Gruppierung hat zwar keine nachweisliche Verbindung zur Al-Kaida, ist den Behörden aber ein Dorn im Auge, weil sie mit ihren „radikal-islamischen Elementen“ die Berufsverbände „unterwandert“. Die Presse- und Demonstrationsgesetze werden verschärft, um die regierungsfeindliche Opposition mundtot zu machen. – Die Golfstaaten und der Jemen wissen, dass sie Heimstatt vieler Sympathisanten Bin Ladins sind. Seit Jahren bemühen sie sich um die Reintegration der „arabischen Afghanen“ – der zurückgekehrten freiwilligen Kämpfer im Krieg gegen die Sowjetunion. Die Regierungen haben diese und andere islamistische Gruppierungen solange geduldet, wie sie dem eigenen Regime nicht gefährlich wurden. Ein Sicherheitsproblem sind sie aber spätestens seit den terroristischen Anschlägen auf das amerikanische Militär.[9] Nach den Ereignissen vom 11. September verschärfen die jeweiligen Regierungen die Kontrolle an den Grenzen, Häfen und Flughäfen, verhindern die Ausreise hunderter Freiwilliger, die den Jihad der Taliban unterstützen wollen, und verhaften die Anführer dieser Gruppierungen. Die Behörden nutzen zugleich die Gelegenheit, die Bevölkerung im Lande nach unnützen und potentiell störenden Elementen mit fremdem Pass zu durchforsten.[10] Kein Land sperrt sich gegen den Austausch von Geheimdienstinformationen über die Al-Kaida. Nicht einmal die „Problemstaaten“ Iran, Sudan und Syrien lehnen auf diesem Feld die Zusammenarbeit ab. Nur wird das nicht sonderlich honoriert. Denn gleich beschwert sich die CIA, die Regierungen würden nur Auskünfte erteilen, die sie auf keinen Fall belasten. Woraufhin die Kooperationswilligen auf die Überlegenheit ihrer Geheimdienste verweisen, die die US-Behörden vor mancher Aktion der Al-Kaida gewarnt hätten, sodass einige Anschläge hätten verhindert werden können, hätte die CIA ihre Berichte nur ernst genommen.

Mit diesen Schritten der Terrorbekämpfung wollen sich die USA nicht begnügen. Es reicht ihnen nicht, dass nur die Terroristen verfolgt werden, die den jeweiligen Regierungen unbequem sind; so ist es nicht gemeint, dass sie die eigene innere Sicherheit zum Maßstab des Anti-Terror-Kampfes machen. Die USA wollen, dass alle Kräfte ausgeschaltet werden, die ihre Sicherheit bedrohen und ihren Interessen schaden. Damit die Staaten sich an diese Richtschnur halten, stellt die Bush-Regierung auf Grundlage des jährlichen US-Terror-Berichts eigenhändig Listen der wichtigsten weltweit zu suchenden Terroristen zusammen. Washington erwartet, dass die betreffenden Regierungen unverzüglich deren Verhaftung – und gegebenenfalls auch Auslieferung – vornehmen. Andernfalls laufen sie Gefahr, selber in Verdacht zu geraten, in Verbindung mit Terroristen zu stehen, und dafür haftbar gemacht zu werden. Die Staatsführer sollen die Listen aus dem State Department durchaus als Kritik an sich selbst begreifen, antiamerikanische Umtriebe in ihren Ländern zuzulassen. Was ihnen als verfehlte Politik im einzelnen und auf der gegenwärtigen Stufe vorgeworfen wird, können sie der vorgelegten Auswahl der Repräsentanten des globalen Terrors entnehmen.[11]

Auf dem ersten Steckbrief der USA stehen drei Männer, die die amerikanischen Behörden dem libanesischen Hizbullah zurechnen.[12] Im Libanon wird der Hinweis gleich richtig verstanden: Die Bush-Regierung droht, ihre Definition des globalen Terror-Netzes auf den (heutigen) Hizbullah auszudehnen. Wiederholt hat Powell Beirut aufgefordert, endlich „Scheich Nasrallah und seine Miliz daran zu hindern, die Lage an der Nordgrenze zu Israel zu eskalieren“. Die USA können bei ihren Bemühungen um die Bildung einer Anti-Terror-Allianz eine Verschärfung der Konfrontation zwischen Israel und den arabischen Staaten nicht gebrauchen. Gruppierungen, die das nicht respektieren wollen, machen sich dann selber zum Teil des globalen Terror-Netzes. – Mit der Auflistung von vier Mitgliedern des „saudischen Hizbullah“ werden dem wichtigsten US-Verbündeten am Golf gleich zwei Lehren erteilt. Erstens ist die US-Regierung nicht gewillt hinzunehmen, dass Saudi-Arabien weiterhin auf seiner Souveränität in Fragen der Terrorismusbekämpfung und inneren Sicherheit besteht.[13] Schon allein deswegen, weil Saudi-Arabien der größte US-Stützpunkt im Golf ist, müssen sich seine Sicherheits-Behörden dazu bequemen, ihre Anweisungen zur Terrorbekämpfung von CIA und FBI in Empfang zu nehmen. Zweitens missfällt Washington die Annäherung zwischen Iran und Saudi-Arabien.[14] Ein Hauptverbündeter der USA kann sich nicht einfach die Partner aussuchen, die seinen Interessen entsprechen. Wenn die USA über den Iran einen Wirtschaftsboykott verhängen, soll Riad nicht mit ihm gemeinsame ökonomische Projekte beschließen. Wenn Washington Iran auf die Liste der „Problemstaaten“ setzt – unter anderem, weil er Israel nicht anerkennt –, hat die saudische Regierung seine politische Isolierung mitzubetreiben.

Weder Beirut noch Riad geben sofort klein bei. Zwar hat der Hizbullah die Angriffe auf die israelischen Grenzposten eingestellt, seine Abwehr versucht aber weiterhin, die Kampfjets der Israelis, die regelmäßig libanesischen Luftraum verletzen, abzuschießen. Die Regierung Hariri erklärt sich zudem nicht in der Lage, die gesuchten Leute zu verhaften, weil sie sich gar nicht im Lande befänden bzw. in einem Palästinenserlager, zu dem ihre Ordnungskräfte keinen Zutritt hätten. – Trotz der amerikanischen Einwände unterzeichnen die Saudis Ende September ihr Abkommen mit dem Iran.

Für Washington sind diese Fälle längst nicht geklärt. Es stellt sie aber zurück. Denn an einer anderen Front des Anti-Terror-Kampfes, auf die die US-Regierung zurzeit den größten Nachdruck legt, sind die Vereinigten Staaten darauf angewiesen, dass sich diese beiden Länder – wie alle anderen arabischen Staaten – kooperativ zeigen.

Die Trockenlegung der Finanzquellen des Terrorismus

Von sich aus weisen die Zentralbanken der einschlägigen Länder die Privatbanken oder lokalen Finanzhäuser an, sämtliche Konten und Transaktionen genau zu beobachten und bei Verdacht einzuschreiten und Gelder zu blockieren.[15] Die Wohltätigkeitsorganisationen werden – soweit das bisher noch nicht geschehen ist – ab sofort unter staatliche Kontrolle gestellt, ihr Finanzwesen wird genau überwacht. Das reicht den USA jedoch nicht. Sie drängen auf vorbehaltlose Zusammenarbeit der nationalen Aufsichtsbehörden mit dem amerikanischen Geheimdienst. US-Task-Forces sollen sich vor Ort Einblick in die laufenden Geldgeschäfte verdächtiger Institutionen, Firmen oder Privatsubjekte verschaffen und Sanktionsmaßnahmen veranlassen können. Die Staaten des Golf-Kooperationsrats (GCC) und der Libanon, die bei den Geldgeschäften in der arabischen und muslimischen Welt die Hauptrolle spielen, geben dem Druck der USA nach.[16] Das US-Schatzamt führt sie darum auf seiner Liste der 81 (von 152) Staaten, die sich „an der Sperrung von Vermögen beteiligen“.

Um außenpolitischen Schaden zu vermeiden, handeln sich die Länder nicht unbeträchtliche ökonomische Verluste ein. Denn vom Einfrieren ihrer Konten sind gerade solche Firmen betroffen, die über eine beträchtliche Finanzkraft verfügen und deshalb in der Lage sind, weltweit tätig zu sein. Die Hauptanlagesphären der arabischen Firmen sind Asien und Afrika, also Weltgegenden, in denen hinreichend Staaten und noch mehr Gruppen existieren, die amerikanischen Aufsichtsbehörden suspekt erscheinen. Den USA reicht schon der Verdacht eines Zusammenhangs zum Al-Kaida-Netzwerk, um Auslandsinvestitionen oder Handelsgesellschaften aus dem arabischen Raum lahm zu legen. Die zuständigen Regierungen können sich dagegen nur wehren, wenn sie den schwer zu erbringenden Beweis liefern, dass die Unternehmen ihres Landes zu Unrecht beschuldigt werden. Eine bloße Versicherung hilft da nicht.[17] Neben dem ökonomischen Schaden handeln sich die Regierungen, sobald sie selber Maßnahmen gegen ihre Geschäftsleute ergreifen, auch erheblichen politischen Schaden ein. Sie müssen sich nämlich in der Regel mit einflussreichen Clans anlegen, und bringen so von sich aus – ohne eigenen guten Grund – das interne politische Machtgefüge ins Wanken.

Besonderes Interesse seitens der Amerikaner finden die Konten der islamischen Wohltätigkeitsorganisationen. Allein in Kuweit befinden sich an die hundert Institutionen, die Hilfsgelder an islamische karitative Gruppierungen in aller Welt verteilen, in den anderen Emiraten sieht es nicht anders aus. Gemäß dem islamischen Recht erlegen sich viele wohlhabende Muslime selber die Almosensteuer „Zakat“ auf und überweisen sie irgendeiner Moschee oder Stiftung, die diese Gelder an muslimische Hilfsfonds weiterleitet. Dabei ist es kein Zufall, dass erhebliche Summen dieser Spendengelder bei Gruppierungen landen, die – aus religiösen oder politischen Gründen – Amerika und oftmals auch der eigenen Regierung nicht wohl gesonnen sind. In vielen islamischen Ländern kümmert sich nämlich nicht die Regierung, sondern die Opposition um die soziale Betreuung (Ernährung, Gesundheits- und Bildungswesen) der in Armut lebenden Massen.

Mit der von den Ländern selbst durchgeführten Kontrolle der wohltätigen Organisationen soll die Finanzierung radikaler Regimegegner verhindert werden. Bei den konkurrierenden „Bruderstaaten“ ist dagegen die Unterstützung oppositioneller Kräfte oftmals gerade beabsichtigt[18] und bewährtes Mittel der Außenpolitik. Mit den Zahlungen ihrer Stiftungen und Sozialfonds betreiben die Regierungen also eine Art Entwicklungshilfe-Politik und versuchen, sich mit Finanzzuwendungen in anderen Nationen Einfluss zu verschaffen. Darum entdecken die Amerikaner bei der Sichtung der Spendenüberweisungen oftmals sehr prominente Namen bis hin zu denen von Ministern und Regierungschefs. Mit ihren Eingriffen in das muslimische Spendenwesen nehmen die USA den betroffenen Nationen die Freiheit, sich dieses politischen Mittels nach eigenem Gusto zu bedienen.

Nach innen haben die Wohltätigkeitsfonds neben dem sozialen Effekt der Armenversorgung vor allem ein wichtige Funktion für die Moral im Volke und dessen Loyalität gegenüber der Herrschaft. Mit ihren Spenden für die arabischen und muslimischen Brüder im In- und Ausland erfüllen Untertanen wie Herrscher nicht nur ihre religiöse Pflicht, gute Werke zu tun, sondern demonstrieren und pflegen zugleich ihr Nationalbewusstsein.

In den „gemäßigten“ arabischen Ländern existiert schon immer eine Diskrepanz zwischen der Staatsideologie und der praktizierten Politik. Die Integration in den kapitalistischen Weltmarkt und die Unterordnung der Regierungen unter die strategischen Ansprüche der USA kontrastieren mit der Beschwörung der „einen arabischen Nation“ und der Inszenierung eines – mehr oder weniger streng vertretenen – Selbstbildes als Herrschaft im Dienste des Islam. Damit haben sich aber alle Staaten und Völker eingerichtet. Es existiert ein modus Vivendi zwischen politischer Führung und den religiös/moralischen Autoritäten des Landes.[19] Von den Kanzeln aus werden der Zionismus verdammt, die USA kritisiert; die Regierung wird ermahnt, sich für die Not leidenden Brüder in Irak und Palästina einzusetzen, und die Schar der Gläubigen ermuntert, gute Werke zu tun. Die Staatsführung hat freie Hand bei ihren politischen Entscheidungen, lässt Demonstranten zusammenprügeln, die die Freitagspredigten überinterpretieren, und unterstützt Hilfsfonds für Intifada-Opfer und Not leidende Afghanen. In dieses Gefüge von Herrschaft und moralischem Überbau mischen sich die USA mit ihrem Antiterror-Kampf nun ein. Zumindest an der Spendenfront soll das antiamerikanische Unwesen in den Moscheen unterbunden werden. Vom Klerus und den Gläubigen ist also ein erheblicher Schwenk bezüglich ihrer moralischen Maßstäbe gefordert. Bisher gute Taten sind nun schlimmste Verbrechen. Machtproben zwischen dem amtierenden Klerus und den Regierungen stehen darum auf der Tagesordnung.[20] Der Glaubwürdigkeit der Herrscher ist das nicht gerade zuträglich. Vor allem in den Scheichtümern, wo die einheimischen Untertanen in der Minderheit und Gastarbeiter aus Afghanistan, Pakistan und den „Problemstaaten“ in der Mehrheit sind, wächst die Entfremdung zwischen den Herrschern und der Bevölkerung des Landes.

Washington geht davon aus, dass die Staatsführer diese Bewährungsprobe für ihre Herrschaft bestehen. Aus seiner Sicht spricht darum nichts dagegen, die Antiterror-Kampagne auszudehnen: In der Palästinenserfrage sollen sich der Iran und die arabischen Staaten endlich größere Mäßigung auferlegen und ihre Beziehungen zu Israel normalisieren.[21] Nach ihren Erfolgen beim Kampf gegen die Al-Kaida sagen die USA der „Ablehnungsfront“, den palästinensischen Gruppen, die den Oslo-Friedensprozess nicht unterschreiben wollen, und den Staaten, die diese Gruppen unterstützen, den Kampf an.

Die Ausweitung der Antiterror-Kampfes auf den Antizionismus

Am 2. November veröffentlicht die US-Regierung eine weitere Liste, auf der Personen und Gruppen verzeichnet sind, deren finanzielle Unterstützung zu unterbinden ist. Mit dabei sind diesmal die einschlägigen radikalen Palästinenserorganisationen Hizbullah, Hamas, Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) und der Islamische Jihad. Als staatliche Sponsoren dieser Gruppen gelten der Libanon, Syrien und Iran.

Im Fall Libanon ist den USA schon seit über einem Jahr, seit nämlich Israel unter Barak seine Sicherheitszone im Südlibanon geräumt hat, die Weigerung Beiruts, Regierungstruppen an der „blauen Linie“ (der von der UNO markierten Grenze zu Israel) zu stationieren, ein Ärgernis. Die Regierung Hariri hält den Rückzug der israelischen Armee (IDF) für unzureichend, weil diese nach wie vor die Region um die Shebaa-Farmen, die Syrien dem Libanon vor Jahren abgetreten hat, besetzt hält. Darum ist sie damit einverstanden, dass der Hizbullah „seinen Kampf gegen die israelischen Besatzer“ fortsetzt, „bis der letzte Quadratmeter libanesischen Bodens befreit ist“ (Scheich Nasrallah). Eine Entwaffnung dieser Miliz, wie sie Washington fordert, kommt für Hariri nicht in Frage. – Im Rahmen der Antiterror-Kampagne legen die USA nun ihr alte Forderung, Entmachtung des Hizbullah, in abgewandelter Form wieder vor: Beirut solle Nasrallah die Finanzmittel entziehen. Der Druck auf die libanesische Regierung ist dabei erheblich höher als vor einem Jahr. Denn jetzt sieht sich der Neinsager mit dem Vorwurf konfrontiert, den Terrorismus zu unterstützen.

Lässt Hariri sich auf die Forderung aus Washington ein, läuft er Gefahr, sein Land „ins Chaos zu stürzen“. Die Regierung in Beirut hat ohnehin größte Mühe, keine gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen den rivalisierenden Volksgruppen und deren politischen Fraktionen heraufzubeschwören.[22] Dabei ist sie selbst nicht einmal als Macht über den Parteien anerkannt, deren Gewaltmonopol respektiert würde, sodass in verschiedenen Teilen des Landes das Regime in Beirut darauf verzichten muss, seine Regierungsgewalt durchzusetzen. Zudem hat sich die Staatsführung in allen entscheidenden Ordnungsfragen mit den syrischen Militärkräften, die seit Ende des Bürgerkriegs im Land stationiert sind, zu arrangieren. Nach den neuen Forderungen aus Washington warnt der Anführer des Hizbullah die USA, einen Bürgerkrieg zu provozieren, wenn sie Beirut zwingen, „den Polizisten für Israel zu spielen“.[23]

Der Ministerpräsident versucht darum, die Erfüllung der US-Forderung zu vermeiden und Washington umzustimmen. Die Zentralbank erklärt sich außerstande, der amerikanischen Forderung nachzukommen, da das Ersuchen weder von den UN noch vom Internationalen Gerichtshof komme, mithin jeder Verbindlichkeit entbehre. Der zuständige Parlamentsausschuss argumentiert mit dem legitimen Recht auf Widerstand: Die Amerikaner hätten selber im Taif-Abkommen 1989 das Recht auf Widerstand gegen die Okkupation anerkannt und in einem Waffenstillstandsabkommen 1996 sogar den Hizbullah als Vertragspartei neben Israel akzeptiert.

Washington lässt sich von diesen Einwänden nicht beeindrucken. Im Gegenteil, es drängt Beirut, sich unverzüglich zur Unterzeichnung aller zwölf Terrorismuskonventionen der UNO herbeizulassen[24] und damit den internationalen Rechtstitel zu unterschreiben, der das Land verpflichtet, die finanzielle Unterstützung des Hizbullah aufzugeben. Notgedrungen erklärt sich Hariri zur Unterzeichnung bereit, will sich aber die Hintertür offenhalten, im Bezug auf die Implementierung der Konvention dem Sicherheitsrat mitzuteilen, der Hizbullah sei eine Widerstands- und keine Terror-Organisation. Die US-Administration hält es nun für angebracht, Klartext zu reden. Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice erklärt: Weigere sich der Libanon weiterhin, die Konten des Hizbullah einzufrieren und seine Miliz zu entwaffnen, so setze er „seine Integration in die Weltwirtschaft“ und sein eigenes „ökonomisches Überleben“ aufs Spiel. Unter anderem droht Washington damit, die Treffen der Geberländer zu torpedieren, auf denen über Finanzhilfen für den Libanon beraten werden solle.[25]

Der libanesischen Regierung bleibt nicht anderes übrig, als bei den USA um Gnade zu bitten: „Wir haben keine Konfrontation mit den USA und der internationalen Gemeinschaft, im Gegenteil, wir sind ein Staat, der kooperationsbereit ist“ (Hariri). Zugleich bemüht sie sich mit zweifelhaftem Erfolg bei den Europäern um Unterstützung. In Berlin erhält sie eine dezidierte Absage, von Chirac die windelweiche Zusicherung, sich um Vermittlung bemühen zu wollen; der britische Außenminister macht schließlich den konstruktiven Vorschlag zum Kleinkriegen des Hizbullah: Man könne ja auch hier (so jedenfalls verfährt London mit der IRA) zwischen einem verbotenen militärischen Flügel und einem legitimen politischen unterscheiden, der in sozialen Wohlfahrtsprogrammen engagiert sei.

Syrien und Iran sind die wichtigeren Sponsoren der palästinensischen „Ablehnungsfront“, beides Staaten von größerem Kaliber als der Libanon, was erstens ihre eigenen Machtmittel, zweitens ihre Stellung im Kräfteverhältnis der Nahost-Staaten betrifft. Darum gehen die US-Politiker ihnen gegenüber etwas „differenzierter“ zu Werke. Frau Rice lässt Syrien Mitte Oktober im Sender „al-Jazeera“ eine deutliche Warnung zukommen: Die USA könnten nicht glauben, dass Damaskus gegen Al-Kaida sei, wenn es gleichzeitig andere Terrorgruppen unterstütze. „Wir können nicht zwischen verschiedenen Typen Terrorismus unterscheiden, … guten und schlechten Terroristen. Hört auf damit, Terroristen zu unterstützen!“ Syrien, das allen einschlägigen antizionistischen Palästinensergruppen erlaubt, in Damaskus ein Büro zu unterhalten, kann sich somit ausrechnen, im Verlauf der Antiterrorkampagne zum Ziel militärischer Aktionen der USA zu werden – wenn es seine feindliche Haltung gegenüber Israel beibehält. Zugleich wird der syrischen Führung von Außenminister Powell versichert, die USA wünschten eine „gute Zusammenarbeit im Sicherheitsrat“.[26] Sie verpflichteten sich, „an der Realisierung eines umfassenden Friedens in der Region auf Basis der Resolutionen 242 und 338 zu arbeiten“ und hofften auf „konstruktive Bemühungen“ Syriens, die „Friedensgespräche mit Israel wieder zu beleben“. Solange die USA noch mit dringenderen Aufgaben befasst sind, geben sie Syrien die Chance, sich zu ändern. Sie „beobachten sehr genau“ (Bush), wie kooperativ Syrien sich darum bemüht, die radikalen Palästinenser zu bremsen. Für diesen Fall versprechen sie Assad sogar Vermittlungsdienste bei Friedensgesprächen mit Israel; allerdings nur unter der Bedingung, dass er sich wesentlich „flexibler“ in der Golanfrage zeigt als bisher. Syrien steht damit vor der Alternative, vor Israel zu kapitulieren oder – aus Sicht der USA – weiterhin Negativpunkte zu sammeln. Bisher besteht Assad in jeder Stellungnahme auf der Verteidigung der „Ablehnungsfront“ als legitimem Widerstand. Darüber hinaus versucht er, die arabischen „Bruderländer“ zur Wiederaufnahme des Wirtschaftsboykotts gegen Israel zu agitieren. Mit Ausnahme von Ägypten und Jordanien sagen diese ihm auch ihre Mitarbeit zu.

Auch dem Iran wird von Washington in der derzeitigen Phase des Antiterror-Kriegs die Chance eingeräumt, sich zu bessern. Die USA überhören die verbalen Attacken der iranischen Führung, die schweren Luftangriffe in Afghanistan seien „eine große Ungerechtigkeit gegen die unterdrückte Nation“, solange sie sich in Fragen der Flüchtlingsversorgung und der Bildung einer neuen Regierung kooperativ verhält. Sie erwarten aber darüber hinaus, dass Teheran die politische, militärische und finanzielle Unterstützung von Hizbullah, Hamas und Jihad einstellt. Dies wäre aus amerikanischer Sicht ein weiterer nötiger Schritt, wenn der Iran an einer Verbesserung der Beziehungen zwischen den USA und dem Iran interessiert sei.[27] Zum Zeichen des guten Willens lässt sich Außenminister Powell zu einem Shakehand mit seinem Amtskollegen Kharrazi auf dem Flur vor der UN-Vollversammlung herbei. – Präsident Chatami dementiert zwar heftig die Existenz geheimer Verhandlungen und Absprachen mit den USA, gleichzeitig melden hiesige Zeitungen aber, dass Iran „den weitgehenden Rückzug“ seiner Militärberater aus Baalbeck und den südlichen Vororten Beiruts vorbereite. Die Pasdaran sollen dort die Hizbullah-Miliz „im Gebrauch von Waffen“ und „im Fälschen von Dollar unterrichtet“ haben. Weiter heißt es: „Mit dem Abzug soll jedoch nicht jegliche Unterstützung für die Hizbullah eingestellt werden.“ (FAZ 8.11.) Mit solchen Zugeständnissen an die USA kann sich der Iran zwar unmittelbare Anfeindungen aus Washington ersparen, begibt sich selber aber der Einflussmittel, über die er außenpolitisch verfügt. Vor allem aber zieht die Regierung damit praktisch die bisher gültige antiamerikanische Staatsräson der Islamischen Republik in Zweifel.[28] Die konservative Justiz schafft darum ein neues Komitee, das ab sofort die einschlägigen Regierungsstellen hinsichtlich ihrer Politik zu den USA kontrollieren soll. Der Machtkampf zwischen den regierenden Reformern und den Konservativen auf Seiten des Religiösen Führers wird durch die amerikanische Antiterror-Abschreckungspolitik also angeheizt. Dabei verfolgt Präsident Chatami nur einen „pragmatischen“ Kurs, der massivere Konfrontationen mit dem „Großen Satan“ zu vermeiden sucht. Eine „neue Politik gegenüber Amerika“ lehnt er strikt ab.

Für die USA ist die Stellung zum Antizionismus nur ein weiterer Testfall dafür, wieweit sich die Staaten im Nahen Osten den strategischen Interessen der USA in dieser Region unterordnen lassen. Selbst wenn sich Syrien und Iran bereit finden, ihre Unterstützung für die libanesischen und palästinensischen antizionistischen Gruppierungen zurückzufahren oder gar ganz einzustellen, ihren Status als „Problemstaat“ verlieren sie deshalb noch lange nicht. Sie können sich zum nützlichen Idioten der amerikanischen Interessen machen, das Problem, das sie in den Augen der USA darstellen,[29] ist damit aber nur aufgeschoben. Das erfahren die Regierungen spätestens dann, wenn die USA sich bei ihren Verbündeten im Nahen Osten beschweren, dass sie sich auf eine ökonomische und politische Zusammenarbeit mit Irak, Iran und Syrien eingelassen haben, die den amerikanischen Wünschen widerspricht.[30]

Die Isolierung aller antiamerikanisch orientierten Staaten

Die arabischen Regierungen und Teheran haben auch unter der Regierung Bush die Verbesserung ihrer Beziehungen untereinander, inklusive derer zum Irak, vorangetrieben. Die Kontakte zu Bagdad werden allerdings nicht mehr an die große Glocke gehängt und streng im Rahmen des „Oil for Food“-Programms gehalten. Inzwischen haben Ägypten, Syrien, Tunesien, Jemen, Algerien und die Vereinigten Arabischen Emirate ein Freihandelsabkommen mit Bagdad unterzeichnet, weitere Länder befinden sich noch in diesbezüglichen Verhandlungen. In der Arabischen Liga und der OIC ist der Irak wieder an den Beschlüssen beteiligt. Die dort gepflegte politische Zusammenarbeit gestaltet sich allerdings meist recht einseitig: Die US-Kritiker verzichten auf jegliche Formulierung, die die „gemäßigten Staaten“ nicht bereit sind zu akzeptieren. Der spektakulärste Auftritt des arabisch-muslimischen Blocks war noch die Anti-Rassismus-Konferenz in Durban. Wegen ihrer unterschiedlichen nationalen Kalkulationen – als Bündnispartner der USA oder Gegner von deren Vormacht – einigen sie sich in der Regel nur auf die Beschwörung ihrer Gemeinsamkeit, die Einrichtung von Solidaritätsfonds und die Beschwerde darüber, dass die Weltordnungsmacht zweierlei Maßstäbe anwende. So wenig Druck sie mit dieser gemeinsamen Außenpolitik auch erzeugen, verzichten wollen sie darauf nicht. In einer verstärkten Wirtschaftskooperation innerhalb der Region sehen sie zudem die wichtigste Entwicklungschance ihrer Nationalökonomien.

Die US-Regierung will im Rahmen ihres Feldzugs gegen den Terrorismus durchsetzen, dass die von ihr gezogene Frontlinie zwischen den Staaten, die sich den strategischen Interessen Amerikas unterordnen, und denen, die sich dem widersetzen, beachtet wird.[31] In Absprache mit den USA legt Großbritannien für den Boykott des Irak einen überarbeiteten „smart sanctions“-Plan vor. Nach Angaben des Außenministers Straw sollen darin die „Einwände der Türkei, Syriens und Jordaniens“ berücksichtigt worden sein. Zwar fordern diese Länder die Aufhebung der Sanktionen, aber wenn „ihre Einwände berücksichtigt“ sind – als Alternative zum Vorwurf der Terrorunterstützung wird ihnen ein wenig Kompensation ihrer durch den Boykott entstehenden ökonomischen Schäden in Aussicht gestellt –, werden sich ihre Regierungen dem neuen Regime kaum widersetzen können. Ägypten wird vom State Department derzeit vorgeschlagen, dass es – wie Jordanien – einen Freihandelsvertrag mit den USA erhält, falls es sich bei der Isolierung Syriens, des Irak und des Iran kooperativer zeigt.

[1] Der Irak, der seit 10 Jahren regelmäßig von amerikanischen und britischen Bombern heimgesucht wird und fest davon ausgeht, in der angesagten Kampagne eines der nächsten Objekte zu sein, ist die einzige Nation, die die Anschläge nicht verurteilt. Saddam Hussein macht aus seiner Feindschaft gegenüber den USA keinen Hehl: die USA hätten „nun geerntet, was sie gesät hätten“. Vorsichtshalber erklärt aber auch er, mit den Tätern und den Anschlägen nichts zu schaffen zu haben.

[2] Die zuverlässigsten US-Verbündeten, Ägypten und Jordanien, werben für diese Idee mit dem heuchlerischen Argument, eine wirksame Bekämpfung des Terrors, könne nur unter der Ägide der Vereinten Nationen zustande kommen. Präsident Mubarak wirbt seit Wochen bei allen seinen Staatsbesuchen für die Idee, eine UN-Konferenz einzuberufen, die eine verbindliche „Definition von Terrorismus“ beschließt und die allgemein anerkannte Richtlinien für die Bekämpfung des Terrors aufstellt. Die in die Schußlinie geratenen Staaten wie Iran und Irak führen sich ohnehin als die glühendsten Verfechter des internationalen Rechts auf.

[3] Dabei haben sie das Pech, daß die maßgeblichen Nationen der Welt eine andere Strategie verfolgen und den Gegensatz USA/UNO so nicht aufmachen. Der Sicherheitsrat hat am 28.9. die Resolution 1373 angenommen, in der den USA das Recht auf Selbstverteidigung bescheinigt wird und alle Staaten zu einer sehr weitgehenden Zusammenarbeit bei der Terrorbekämpfung verpflichtet werden.

[4] Die „gemäßigten Staaten“ drücken sich kaum zurückhaltender aus. Ägyptens Außenminister Maher: „Wie können die USA eine internationale Kampagne zur Bekämpfung des Terrors anführen, wenn sie Israel und Israels Terrorismus unterstützen?“ (Jordean Times 1.10.01)

[5] Für den Hilfsgütertransport zur Versorgung der afghanischen Flüchtlinge wird den Amerikanern die Nutzung des Hafens Bandar Abbas zugesagt, desgleichen die Öffnung des Landwegs zur Grenze.

[6] Wie wenig der Krieg im Interessen dieser Staaten liegt, geht schon daraus hervor, daß Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) von den USA zunächst einmal unter Druck gesetzt werden müssen, endlich ihre diplomatischen Beziehungen zum Taliban-Regime abzubrechen. Sie lassen sich darauf ein. Ihrer bisherigen Berechnung, über die Machthaber in Afghanistan Einfluß in Zentralasien zu bekommen, wird ohnehin die Grundlage entzogen.

[7] Neben den großen US-Stützpunkten in Saudi-Arabien, in Kuweit, die seit 10 Jahren u.a. für die Bombardierungen im Irak genutzt werden, spielt laut Medienberichten in diesem Krieg auch der Oman eine wichtige Rolle. Scheich Qabus hat gerade erst sein Militärabkommen mit den USA um zehn Jahre verlängert. Somit verfügt die US-Armee dort allein über drei Flugbasen, einen Marinestützpunkt und ein Waffendepot. Die Briten nutzen die Gelegenheit, ihr dort seit langem geplantes Oktober-Manöver, an dem 23000 Soldaten teilnehmen, als Training für die bevorstehenden Kämpfe im geographisch ähnlich strukturierten Afghanistan aufzuziehen. Zugleich demonstrieren sie damit ihren Aufsichtsanspruch in der gesamten Region.

[8] Den Krieg nicht zu stören, verlangen die USA ja schon von einem „bösen Mann“: Der US-Botschafter bei den UN übergab am 8.10. seinem irakischen Amtskollegen eine Botschaft für dessen Regierung: „Wenn die USA eine Militäraktion gegen Afghanistan beginnen, sollte der Irak nicht versuchen, die Situation für sich auszunutzen. Wenn Bagdad Gewalt gegen die Nachbarn oder Israel oder gegen die Kurden oder andere Teile des irakischen Volkes anwendet, werden wir sehr hart antworten und dem Irak eine Niederlage beibringen. Jeglicher Gebrauch von Massenvernichtungswaffen gegen die USA, ihre Streitkräfte oder gegen unsere Freunde und Verbündeten zieht zerstörerische Konsequenzen nach sich. Unsere Antwort wird fürchterlich sein. Die Verantwortung dafür hat dann der Irak zu tragen.“ (INA 19.10.01)

[9] 1996 in Saudi-Arabien auf die Garnison in Al Khobar; Oktober 2000 auf den US-Zerstörer Cole im Hafen von Aden.

[10] Der Jemen schiebt allein Mitte September 14000 Araber aus Ägypten, Sudan, Libyen, Saudi-Arabien und Jordanien ab. Die Behörden im Jemen merken aber auch, daß sie gar nicht über die technischen und personellen Voraussetzungen für den erhöhten Kontrollbedarf verfügen. Also nimmt Jemens Präsident Saleh das Angebot der USA, Ausbilder in Sachen Terrorismusbekämpfung gestellt zu bekommen, dankend an und hat dann alle Mühe, den CIA-Leuten klarzumachen, daß der Jemen ein souveräner Staat ist, der die Kontrolle über die Terrorismusbekämpfung im eigenen Land nicht an die USA abtritt.

[11] Als Meistgesuchte fungieren Leute, die die CIA mit Attentaten gegen amerikanische Bürger oder Einrichtungen zusammenbringt, die irgendwo auf der Welt in den letzten 30 Jahren stattgefunden haben. Vom kriminalistischen Standpunkt mag der Zusammenhang zum 11. September fragwürdig erscheinen, aber es geht ja auch nicht um die Aufklärung und juristische Aufarbeitung des Falls World-Trade-Center, sondern um weit mehr.

[12] Diese Leute sollen zur Zeit des libanesischen Bürgerkriegs an antiamerikanischen Attentaten beteiligt gewesen sein. Der Hizbullah hat sich schon vor 10 Jahren von diesem Kampf distanziert und versteht sich seitdem ausschließlich als Befreiungsbewegung gegen Israel.

[13] Seit Jahren kritisieren die USA die mangelhafte Zusammenarbeit der Saudis mit den US-Diensten bei der Untersuchung des Attentats von Al-Khobar. Washington behauptet, hinter dem Anschlag habe der vom Iran gesponserte „saudische Hizbullah“ gesteckt. Riad bestreitet die Existenz einer solchen Organisation in Saudi-Arabien und erklärt, seine Dienste hätten keinerlei Hinweise auf eine Verwicklung des Iran. In Saudi-Arabien wurde der Fall inzwischen offiziell abgeschlossen, die USA führen aber weiterhin einen Prozeß gegen mutmaßliche Täter, die sie beschuldigen.

[14] Im April dieses Jahres haben die Saudis mit Teheran – neben Wirtschafts-Vereinbarungen und engerer Zusammenarbeit in der OPEC – ein Sicherheitsabkommen abgeschlossen, in dem sie die Kooperation bei der Bekämpfung der Geldwäsche, des Drogenhandels und des Terrorismus vereinbaren.

[15] Gleichzeitig müssen sie aber auch eingestehen, daß die geforderte Kontrolle nicht machbar ist: „Mit sechs Millionen Arbeitskräften – darunter eine große Anzahl Pakistani und Afghanen, die ungefähr 15 Milliarden Dollar jährlich nach Hause senden, mit saudischen Staatsbürgern, die große Vermögenswerte außer Landes halten, ist es eine unmögliche Aufgabe sicherzustellen, daß kein Geld aus dem Königreich seinen Weg in das Netzwerk Bin Ladins findet… Obwohl die meisten Menschen auf legalem Wege ihr Geld zu ihren Verwandten schicken, ist das System porös. Es gibt einen Schwarzmarkt von Geldhändlern und das traditionelle hawala-System von grenzüberschreitenden Händlern, die (ohne schriftliche Dokumente agieren und daher) nur schwerlich überwacht werden können.“ (Der Gouverneur der Saudi Arabian Monetary Agency)

[16] Länder wie Ägypten, die als Finanzplatz eher unbedeutend sind, erfüllen nun die von den G7 seit Jahren an sie gestellte Forderung und beschließen ein Gesetz gegen Geldwäsche.

[17] Die Saudis erklären die Unternehmungen der Verwandschaft Bin Ladins für unverdächtig, weil die Familie mit dem Terroristen gebrochen habe; Jemen nimmt sein führendes Unternehmen im arabischen Honighandel in Schutz; Dubai erklärt zwei Geldtransfer- und Telekommunikationsfirmen, die überwiegend in Somalia Geschäfte im Wert von mehreren hundert Millionen Dollar im Jahr machen, für sauber…

[18] Zum Beispiel werden die Gelder aus dem Solidaritätsfonds für die Intifida in Palästina, den die Arabische Liga bzw. die OIC eingerichtet haben, auf expliziten Wunsch bestimmter Regierungen nicht an Arafat und seine Behörde, sondern nur an ihnen nicht unterstehende Organisationen ausgezahlt.

[19] In der Regel haben die Regierungen gesetzlich festgelegt, daß die Berufung der Imame an den wichtigen Moscheen und die Besetzung der Stellen an den islamischen Ausbildungsstätten ihrer Zustimmung bedarf.

[20] Die saudische Führung wechselt derzeit zwecks politischer Zuverlässigkeit einen Teil der Imame aus. Kronprinz Abdullah hat dekretiert: Fatwas können rechtmäßig nur von der politischen Führung ausgesprochen werden. Die kuwaitische Regierung muß einen populären Obermufti ausbürgern, weil er Pressesprecher in Bin Ladins Diensten geworden ist.

[21] Das gilt auch für Saudi-Arabien, das die Zurückhaltung Ägyptens in der Palästinenserfrage als Chance sieht, sich als wahrer Verfechter der arabischen Interessen zu präsentieren. Zusammen mit den übrigen GCC-Staaten verurteilt es scharf das Vorgehen Israels in den besetzten Gebieten und unterstützt die Intifada der Palästinenser. Der saudische Außenminister al-Faisal wirft im Rahmen der UN-Konferenz dem US-Präsidenten vor, sein Versprechen einer neuen US-Friedensinititative nicht einzuhalten. Zudem könne Bush im israelisch-palästinensischen Konflikt so lange nicht als ehrlicher Makler gelten, wie er sich weigere, Arafat zu empfangen. US-Sicherheitsberaterin Rice kontert: Es gebe Verantwortlichkeiten, die auch ein Repräsentant des palästinensischen Volkes übernehmen müsse. Der US-Administration mißfalle, daß Arafat den Hizbullah und die Hamas-Gruppen nicht verurteile.

[22] In den letzten Wochen fordern christliche Gruppierungen lautstark den Abzug der „syrischen Besatzungsmacht“, während die muslimischen Parteien sowie die gesamte Staatsführung an der bestehenden Zusammenarbeit mit Damaskus festhalten wollen.

[23] Diese Drohung ist glaubwürdig, weil der Hizbullah keine kleine, isolierte Gruppe militanter Muslime ist. Nach seinem „Sieg über die israelischen Besatzer“ ist er nach wie vor eine militärisch potente Vereinigung, die zugleich politisch anerkannt ist (der Hizbullah stellt acht Abgeordnete im libanesischen Parlament und sorgt in der von ihm verwalteten Region für Recht und Ordnung sowie für die soziale Versorgung).

[24] Gemäß der Sicherheitsrats-Resolution 1373 vom 28. September müssen alle Nationen sich bis zum Jahresende erklären, ob sie die zwölf Terrorismuskonventionen der UN unterschreiben, und wie sie sie zu implementieren gedenken. Der Libanon hat sich bisher geweigert, einem Teil der Konventionen beizutreten. Dazu gehört das „Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrors“ von 1999. Darin werden alle Staaten aufgefordert …, durch geeignete innerstaatliche Maßnahmen die Finanzierung von Terroristen und terroristischen Organisationen zu verhindern und zu bekämpfen, gleichviel, ob diese unmittelbar oder mittelbar durch Organisationen erfolgt, die auch wohltätigen, sozialen oder kulturellen Zielen dienen oder vorgeben, dies zu tun… Maßnahmen zu erwägen, um Bewegungen finanzieller Mittel zu verhindern und zu bekämpfen, bei denen der Verdacht besteht, daß sie terroristischen Zwecken dienen sollen. (Resolution 54/109)

[25] Beirut hat 25 Mrd. $ Auslandsschulden und ist auf Unterstützung durch IMF und Weltbank angewiesen.

[26] Gegen heftigen Protest Israels haben die USA vor ein paar Wochen zugelassen, daß der „Problemstaat“ Syrien einen der nichtständigen Sitze im Sicherheitsrat erhält.

[27] Seit 1979, der Geiselnahme in der US-Botschaft in Teheran, sind die diplomatischen Beziehungen abgebrochen. Die USA haben einen Wirtschaftsboykott gegen den Iran verhängt.

[28] Der religiöse Führer, Chamenei, sieht in der Antiterror-Kampagne einen einzigen Anschlag auf die Verfassung seines Landes: ‚Die Amerikaner wollen den Iran in den afghanischen Konflikt verwickeln und zu einem Partner bei dem Massaker am afghanischen Volk machen. Sie wollen der Welt zeigen, daß die Islamische Republik sich von ihren revolutionären Idealen entfernt hat. Diejenigen, die von Beziehungen sprechen… sind schlecht informiert. Sie verstehen nicht, daß Verhandlungen die Amerikaner nur noch zu immer weiteren Forderungen veranlassen.‘ Dann erinnerte er an die feindliche Politik der USA gegenüber dem Iran und wies darauf hin, daß die USA mit mehreren Milliarden Dollar subversive Operationen gegen die islamische Regierung finanziert haben. Die USA wollten auch aus dem Mangel an Erfahrung bei der Jugend Vorteil schlagen, indem sie sie gegen die feste Haltung des Iran gegenüber Amerika aufhetzen. (Iran News 31.10.01)

[29] Syriens Politik paßt den USA vor allem aus drei Gründen nicht: Erstens weigert es sich, ohne vollständige Rückgabe des Golan mit Israel Frieden zu schließen; zweitens hat es durch seinen Einfluß auf den Libanon mehr Macht, als ihm zusteht; drittens unterhält es gute Beziehungen zum Irak, unterstützt insbesondere dessen Ölschmuggel. Iran ist ein erklärter Gegner der amerikanischen Hegemonialpolitik und nutzt seinen Reichtum aus dem Ölverkauf dazu, sich ökonomisch und militärisch zu einer Regionalmacht aufzubauen. Mit Hilfe Rußlands verschafft sich Teheran den Zugang zur Atomtechnik und militärischen Spitzenerzeugnissen. Es besitzt Massenvernichtungswaffen und Trägerraketen.

[30] Selbst an der Isolationspolitik gegen den Irak sollen sich die „Schurkenstaaten“ beteiligen. Die USA betonen immer wieder, in der Erledigung des Irak böte sich geradezu eine Mitarbeit des Iran an. Als freundliche Geste soll Teheran würdigen, daß die USA eine iranische Exil-Oppositionsgruppe mit Sitz im Irak auf ihre Liste der Terrorgruppen gesetzt haben.

[31] Dabei ist sie allerdings auch auf die Mitarbeit ihrer europäischen Verbündeten und der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats, Rußland und China, angewiesen.