Giorgia Meloni: „Io sono Giorgia“ – Autobiografie
Meloni sagt dem Land den Kulturkampf an
Vor dem Hintergrund der Terroranschläge auf Richter und Staatsanwälte, des Zusammenbruchs der ersten Republik unter den Korruptionsvorwürfen der mani pulite beschließt die damals 15-jährige, mit ihrem Eintritt in die militante Jugendorganisation des MSI Politik zu machen: für die Wiederherstellung der staatlichen Ordnung und des Nationalstolzes im Volk. Dreißig Jahre danach und zehn Jahre nach der Gründung der Fratelli d’Italia ist Giorgia Meloni am Ziel. Sie stellt mit ihrer Partei den Regierungschef und kündigt an, ihr Land grundlegend umzugestalten, weil sie der Meinung ist, dass nicht nur ein Regierungswechsel fällig war, sondern mit dem „System“ grundsätzlich etwas faul ist.
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Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Gliederung
- Für eine Runderneuerung der Sittlichkeit des italienischen Volkskörpers
- Sono donna -madre – die natürliche Familie als Kraftquell völkischer Moral
- Sono italiana – erfülltes Schaffen für die nationale Gemeinschaft
- Sono cristiana – Hilfe beim anständigen Aushalten und ein Kreuzzug gegen den Islam
- Sono di destra, patriota – bedingungslose Liebe zum Vaterland
- Gegen das kommunistisch-islamistisch-liberalistische Weltfinanzgendertum
- Die ersten 100 Tage der rechten Mitte
Giorgia Meloni: „Io sono Giorgia“ – Autobiografie
Meloni sagt dem Land den Kulturkampf an
Vor dem Hintergrund der Terroranschläge auf Richter und Staatsanwälte, des Zusammenbruchs der ersten Republik unter den Korruptionsvorwürfen der mani pulite beschließt die damals 15-jährige, mit ihrem Eintritt in die militante Jugendorganisation des MSI [1] Politik zu machen: für die Wiederherstellung der staatlichen Ordnung und des Nationalstolzes im Volk. Dreißig Jahre danach und zehn Jahre nach der Gründung der Fratelli d’Italia ist Giorgia Meloni am Ziel. Sie stellt mit ihrer Partei den Regierungschef und kündigt an, ihr Land grundlegend umzugestalten, weil sie der Meinung ist, dass nicht nur ein Regierungswechsel fällig war, sondern mit dem „System“ grundsätzlich etwas faul ist. Ihr dieser radikalen Mission entsprechendes politisches Weltbild breitet Meloni in ihrer Autobiografie aus („Ich bin Giorgia“). Mit der Erzählung ihres Lebens trägt sie ihr politisches Programm als Ergebnis einer höheren Mission vor. [2] Die vier Unterkapitel heißen: „Ich bin Frau“, „Ich bin Christin“, „Ich bin Italienerin“, „Ich bin Patriotin“. Der letzte Satz des Buches: „Ich bin ein Soldat.“ (311) Durchgängiges Prinzip: Das Subjekt geht vollkommen unter im Prädikat – eine schöne Belehrung für den Leser und eine saubere Lüge vonseiten des schreibenden Ich, das sich mit Lebenserinnerungen als Retterin Italiens aufbaut.
Für eine Runderneuerung der Sittlichkeit des italienischen Volkskörpers
Sono donna [3] -madre – die natürliche Familie als Kraftquell völkischer Moral
Meloni beginnt ihr Buch mit einer Danksagung an ihre Mutter dafür, dass die sie überhaupt geboren hat, obwohl sie drauf und dran gewesen war, ihr ungeborenes Leben abzutreiben. [4] Die heutige Meloni ist der Beweis dafür, was für ein Fehler und schlimmer Verlust eine Abtreibung gewesen wäre. Mit ihrer späten Entscheidung, das Kind nicht nicht zu wollen, hat die Mutter alles richtig gemacht, sie folgt dem „reinen Instinkt“, also ihrer natürlichen Bestimmung, der biologischen Funktion, Kinder zur Welt zu bringen. Die Alternative Abtreiben oder Gebären steht der Frau so gesehen gar nicht zur Verfügung, weil die Natur ihres Geschlechts ja schon vorgibt, wie sich eine Frau zu verwirklichen hat und worin sie ihr Glück findet. Das nicht zu wollen, deutet Meloni umgekehrt als Verzicht der Frau auf das, was sie eigentlich ist und „wirklich“ will. So justiert und beschränkt sie den weiblichen Willen auf die Moral der Hingabe an die Familie.
Leicht zu haben ist dieses Glück allerdings nicht; das weiß sie, hat sie selbst erfahren:
„Ich erlebte auch am eigenen Leib, wie man selbst in einer Familie, in der einer der beiden Elternteile fehlt, dank der Aufopferung derjenigen, die diese Verantwortung übernehmen, vollkommen glücklich aufwachsen kann.“ (23)
Das Glück der Mutter, ihr Kind glücklich zu machen, erfordert nicht nur im Sonderfall der Alleinerziehenden, den Meloni autobiographisch schildert, sondern allgemein jede Menge Opfer, die die Mutter ihrem mütterlichen Naturtrieb folgend in berechnungsloser Hingabe auf sich nimmt. [5] Meloni preist und propagiert an ihrer eigenen Kindheit die wunderbare Vorsehung der Natur, stellt ihre Mutter als Vorbild hin – was der vermeintlich natürlichen Vorbestimmtheit des weiblichen Willens schon einigermaßen ins Gesicht schlägt und ihre Bewunderung für den Instinkt als Moralpredigt kenntlich macht. Am Familienglück imponiert Meloni die Leistung der Familienmitglieder, es auszuhalten. Was immer das Zusammenleben in dieser Kleingruppe sonst noch auszeichnen mag – für Meloni ist es der Glücksfall freiwillig praktizierter „Aufopferung“ füreinander. Die materiellen Härten zitiert sie als allgemein bekannten Hintergrund dafür, an ihnen nicht die Nötigung zur Aufopferung wahrzunehmen, sondern die Gelegenheit dazu schätzen zu lernen. [6] Den Beweis, dass Familienglück auf diese Weise möglich ist, liefert – authentischer kann es nicht sein – Meloni mit ihrer eigenen Geschichte, und sie kann sich dabei darauf verlassen, dass das bei Millionen anderen auch geht, eben weil es gehen muss.
Das ist nicht immer einfach, klar. Dazu braucht es Kraft. Das Opfer der Eltern wird aber auch belohnt. Meloni weiß um die glückliche Fügung, dass Kinder ihnen ebenso viel Kraft spenden, wie sie kosten. „Ich wollte zeigen, dass Kinder keine Einschränkung sind, sondern helfen, die eigenen Schranken zu überwinden; Kinder geben außergewöhnliche Kraft.“ (58) Die Familie ist für diese Politikerin der sittliche Ort, wo Opfer und Erfüllung im Gleichgewicht, ja eigentlich dasselbe sind.
Verstaubt oder antiquiert – Heimchen am Herd – will dieses Frauen- und Familienbild aber nicht sein. Mit einer Art von rechtem Feminismus [7] kontert Meloni etwaige feministische Einwände, „dass dies eine Verletzung des Grundsatzes der Selbstbestimmung ist, wenn nicht sogar eine Neuauflage des alten Stereotyps der Frau“ (109). Dass die Frau durch Kinder beschränkt wird, wie es die kapitalistische Realität für die meisten vorsieht, wird zur Chance: Ihren Kampf für die Besinnung der Frau aufs Muttersein versteht Meloni als „Kampf für die Freiheit der Frauen, nicht diskriminiert zu werden, wenn sie Mütter werden“ (58), also dagegen, dass Muttersein vom „linken Mainstream“ als Bornierung diskriminiert wird. Er ist auch nicht antiquiert, schließlich wendet sie sich nicht gegen die Berufstätigkeit der Frau, sondern anerkennt deren Notwendigkeit für die Mehrheit der Familien, die nicht mit Reichtümern gesegnet sind. Diese Not deutet Meloni grotesk um in die Freiheit der Frau, sich im doppelten Dienst an Arbeitgeber und Familie, am wirtschaftlichen Wachstum und an der nationalen Fortpflanzung zu verwirklichen.
Dass die das will, liegt nicht nur Meloni am Herzen, sondern dem bürgerlichen Staat überhaupt. Der sorgt nämlich allemal dafür, dass sie das auch muss und kann. Mit der Gewalt des Rechts regelt er die Ehe, versetzt Vater, Mutter und Kind in ein rechtliches Verhältnis, das die drei Figuren zur gegenseitigen Erhaltung verpflichtet, bevor sie dem Staat soziale Probleme bereiten – und das auch dann noch, wenn sie das gar nicht (mehr) aus purer Liebe können oder wollen. So macht der Staat die persönlichen Verhältnisse rechtlich verbindlich und unterfüttert sie moralisch. In diesen Verhältnissen sind dann für die Beteiligten Opfer fällig. Die feiert die Fratelli-Chefin nicht nur als moralisch-privaten Funktionalismus ihrer „natürlichen Familie“, in dem die Frau den Mann, das Kind die Mutter und die das Kind braucht, um sich durchs Leben zu schlagen. Meloni lobt ihre „natürliche Familie“ dafür, damit wertvolle Funktionen für Staat und Gesellschaft zu erbringen:
„Ich glaube, es ist nichts Ungeheuerliches oder Unvorstellbares daran, die Familie gegründet auf der ehelichen Gemeinschaft zu verteidigen ... weil der Staat die Familie braucht, die durch die Heirat eines Mannes und einer Frau entsteht. Erstens als sozialen Stoßdämpfer, weil die Institutionen die Last all dessen, was die Familie garantiert, sich nicht auflasten können. Und zweitens, weil ein Mann und eine Frau, die sich ehelich verbinden, dies fast immer auch mit der Absicht tun, Kinder zu bekommen, und die Gesellschaft braucht Kinder. Das italienische Volk ist dabei zu verschwinden.“ (132 f.)
Das, was die Leute – angeblich aus ihrem natürlichen Drang heraus – so treiben, wird mit lockeren ‚unds‘ und ‚weils‘ als Erfüllung eines gesellschaftlichen Bedarfs vorgestellt. Das private, familiäre Verhältnis geht bei ihr unmittelbar zusammen mit einem ganz unpersönlichen höheren politisch-sozialen Funktionalismus. Die Familie wird jetzt selbst dringend gebraucht: vom Staat, von seinen Institutionen und von der Gesellschaft. Erstens für die Betreuung der Familienmitglieder von der Wiege bis zur Bahre, als „sozialer Stoßdämpfer“, der faktisch die „Stöße“, die dem Leben so widerfahren, nicht abwehrt, aber dauernd „dämpft“. Die Umstände des Lebens im Kapitalismus kommen bei ihr als negative nur insoweit in den Blick, als sie im Extremfall die Intaktheit der Moral gefährden, zur sittlichen Verwahrlosung führen könnten [8] – deshalb schätzt sie die Familie dafür, dass sie abfedert, was auf sie einschlägt, damit das nicht durchschlägt auf die Sitten und den Staat selbst. So wird die Familie von der vermeintlichen Natur- zur Sozialinstanz. Meloni will die natürliche Institution der Familie loben dafür, dass sie in der Verfolgung ihrer persönlichen Lebensbestimmung gleichzeitig auch noch viel höhere Leistungen erbringt, nämlich die extrem wertvolle Sozialleistung, den Sozialstaat zu entlasten. Die Bedürftigen sollen dem Sozialstaat nicht nur nicht zur Last fallen, sondern ihn im Idealfall sogar ersetzen. [9] So erfüllt die Familie ihre Pflicht für die ganz „große Familie“ namens Staat.
Als zweite fundamentale Leistung der Familie für den Staat preist sie die vermehrte Reproduktion seines Volksmaterials mittels Erhöhung von Fertilität und Natalität. Mit ihrem Diktum „der Staat braucht Kinder und die Familie“ überführt Meloni das private Glück unvermittelt in den Standpunkt, dass die Herrschaft italienisches Staatsvolk braucht. Und dessen vorzüglichste Eigenschaft ist – wer hätte das gedacht – Fleiß.
Sono italiana – erfülltes Schaffen für die nationale Gemeinschaft
Auch der Italiener, der nördlich der Alpen eher eines natürlichen Hangs zum dolce far niente verdächtigt wird, arbeitet um des Geldes willen, das er für sich und seine Familie zum Leben und Überleben braucht und an das er nur kommt, wenn ein anderer ihn für seine Dienste entlohnt. Vom Lohn ist allerdings nicht die Rede, wenn Meloni über Lohnarbeit spricht. Wenn rechte Denker wie sie davon reden, wird ihr Ton feierlich. Ein hohes Gut steht zur Würdigung an: Arbeit – worin immer sie bestehen mag, wie schwer oder leicht, anregend oder ermüdend sie sein mag, wie viel oder wenig auch immer man mit ihr verdienen mag – ermöglicht es dem Menschen, der zu sein, der er sein will, „Arbeit bringt einen überall hin“, auf jeden Fall zur „Würde der Arbeit“, die dem verliehen wird, der sie hat und ausübt.
Aus dieser Perspektive der bedingungslosen Wertschätzung von Arbeit überhaupt eröffnet sich ein rundum erfreulicher, versöhnlicher Blick auf die moderne Arbeitswelt. Die beiden gegensätzlichen Seiten des Dienstverhältnisses sind als organisch ineinandergreifende, harmonische, „auf Zusammenarbeit ausgerichtete“ Einheit gedacht, als rein arbeitsteiliges Zusammenwirken von Betrieben und Arbeitnehmern. Genauso wie vom Produktionsverhältnis, in dem es, wie jeder weiß, um Kosten & Gewinn geht, abstrahiert sie auch konsequent vom Eigentumsverhältnis und redet von kapitalistischen Firmen, als gehörten sie den Arbeitnehmern, die deshalb auch mit ihrer Arbeit nicht das Eigentum des Unternehmers vermehren, sondern mit ihrer „Teilnahme am Schicksal des eigenen Unternehmens ... die Steigerung des Erfolgs der Betriebe fördern“ (302). In dieser Verwandlung des ökonomischen Gegensatzes und der einseitigen Abhängigkeit in ein gemeinsames Schaffen für den gemeinsamen Erfolg – ganz so, als ginge es nur um Herstellung und Verbrauch von Lebens- und Produktionsmitteln – fallen für Meloni Eigeninteresse des Arbeitnehmers und seine Opferbereitschaft für das gemeinsame Unternehmen in eins. Die recht einseitige und eindeutige „Verteilung“ des Reichtums über die Aneignung durch das gegensätzliche Produktionsverhältnis von Arbeit und Kapital ist damit als selbstverständlich unterstellt, beide schaffen den Reichtum gemeinsam, der dem eigenen Unternehmen gehört: „Eins weiß ich sicher: Es ist nicht der Staat, der den Reichtum schafft. Den schaffen die Unternehmen und die Arbeiter.“ (127) In Melonis Arbeitsidyll arbeiten beide für den Reichtum, nur jeder auf seine Art: Der eine „gibt“ schlicht die Arbeitsplätze, der andere „nimmt“ sie gern.
Aber warum ist das funktionale Idyll gestört? „Konflikte“ in diesem harmonischen Verhältnis werden zum Ersten nur durch „eine gewisse marxistische gewerkschaftliche Dialektik“ (302) naturwidrig und bösartig von außen in die Betriebe hineingetragen. Es sind jedoch nicht nur kommunistische Hetzer verantwortlich für signifikante Störungen der heilen italienischen Betriebsgemeinschaft. Ausgerechnet der Staat, der doch die Arbeit bestmöglich fördern soll, zerstört zweitens durch verkehrte Politik „die Dynamik des feinen Gespinsts von Unternehmen und Arbeit“ (302). Linke Politiker haben in einer Kombination von Zersetzungsabsicht, Unfähigkeit und Stimmenfang „Millionen Verzweifelter“ einwandern lassen, „damit die sie wählen“ – das leuchtet offenbar ein, auch wenn die gar nicht wählen dürfen. Importiert haben sie mit den Einwanderern den Schuldigen Nummer drei für die Zerstörung der „Kultur der Arbeit, auf der unsere Verfassung begründet ist“. [10] Die armen Schweine, Objekte übelster Ausbeutung, [11] werden nun selbst zu aktiven Subjekten, die sich und die einheimischen Arbeiter – vermittelt über die „Erfordernisse des Arbeitsmarkts“ – „zwingen, sich die eigenen Rechte abhandeln zu lassen“. Schuldiger Nummer vier: die, die „daran verdienen“. Etwa die Kapitalisten? Natürlich nicht die tapfer schaffenden „kleinsten, kleinen und mittleren Unternehmen“, geführt von Unternehmern mit Anstand und Charakter, die den guten, bodenständigen Kern des italienischen Arbeiterunternehmertums bilden, sondern das mit dem Attribut „raffendes“ denunzierte Kapital, alias die „großen wirtschaftlichen Konzerne“, die wie FIAT [12] nicht (mehr) die Interessen Italiens, sondern bloß die eigenen und die des Auslands vertreten, und ebenso „natürlich die Finanzspekulanten“ – hierzulande auch als „Heuschrecken“ bekannt. Und die sind das glatte Gegenteil des soliden Made in Italy [13] von Melonis Ideal einer nationalen Arbeitsgemeinschaft, die mit der Arbeit am Standort Italien nicht nur die Unternehmen reicher macht und die Arbeiter stolz, sondern darüber hinaus auch noch das Elend der Nation mit ihren Arbeitslosen und Schulden behebt. Kapitalismus als grandiose Gemeinschaftsleistung von Kapital, Arbeit und Staat.
Aber an der nationalen Moral fehlt es nicht nur oben, in Politik und Wirtschaft. Die herrschenden Eliten haben auch das gute Volk versaut mit lauter Angeboten, die die Leute von dem abhalten, was sie eigentlich wollen: mit ehrlicher Arbeit gegen die eigene Armut ankämpfen, zumindest dem bescheidenen Dasein einen verdienten Stolz abgewinnen:
„Ich möchte Leuten helfen, der Armut mit Arbeit zu entkommen: die Arbeit bringt einen überall hin, das Bürgereinkommen fixiert dich dort, wo du bist; da gibt es kein Entkommen... Zwischen Bürgereinkommen und Diebstahl gibt es eine Option: arbeiten gehen – vielleicht solltest du das mal in Erwägung ziehen.“ „Je länger du das Bürgereinkommen beziehst, umso länger wirst du arm sein und Schwierigkeiten haben, wieder in Arbeit zu kommen. Ich möchte Leuten, die es nicht verdient haben, ausgehalten zu werden, die Würde der Arbeit schenken.“ [14]
Arbeit haben ist eine Frage der Einstellung, der moralischen Haltung, die Meloni den Leuten wieder beibringen will und die ihnen durch das anerkanntermaßen mickrige Einkommen – „Armut“ halt –, das man fürs bloße Bürgersein bekommt, zerstört wird. Das ist ja nach Meloni der Fehler des Bürgereinkommens – dieses „stimmenfängerische und erzieherisch verderbliche“ (303) Gesetz –, dass es die guten armen Leute mit dem lächerlichen Almosen dazu verführt, es sich als „Schlaumeier“ auf dem „Sofa“ bequem zu machen.[15] Zwar hatten schon ihre Vorgänger – Salvini, Di Maio, Draghi – alle möglichen Vorkehrungen getroffen, damit das dürftige Noteinkommen nicht zum Nichtstun missbraucht werden kann. Aber Meloni reicht das nicht. Sie wird den armen Leuten die paar Groschen wieder streichen, damit sie gezwungen sind, bezahlte Arbeit zu finden, die es im Land nicht gibt. Sie führt die Arbeitslosigkeit auf einen fehlenden Arbeitswillen von Leuten zurück, die trotz Arbeitsfähigkeit ohne Job sind. „Wir haben 8 Milliarden Euro ausgegeben, um das Bürgergeld an Personen zu verschenken, die völlig in der Lage waren zu arbeiten.“ [16] Diese Personen beleidigen ihr Menschenbild vom aufrechten Italiener, dessen unbedingter Arbeitswille in seiner nationalen Natur verankert ist. Anstatt aber sie anzuklagen, schimpft sie lieber auf die Politik, die deren im Grunde so guten Volkscharakter verdorben hat. Dass für das Antreten zur Arbeit dann doch mehr nötig ist, als der Wille derer, die das Arbeitseinkommen brauchen, weiß Meloni aber auch: nämlich der Wille der anderen Seite, diese Leute anzustellen. Dafür, dass die das viel weniger tun, als Meloni aus nationaler Sicht recht wäre, weiß sie ebenfalls einen Grund:
„Der Staat kann höchstens einen Teil dieses Reichtums umverteilen, aber er muss den, der ihn schafft, befähigen, das in der bestmöglichen Weise zu tun.“ (127)
Wo sie den mittellosen Arbeitskräften den Unwillen zu arbeiten vorwirft, den die sich wegen staatlicher Zuwendungen leisten können, entdeckt sie umgekehrt bei der Arbeitgeberseite nicht die ökonomisch potente, freie Kalkulation beim hire & fire, sondern die Unfähigkeit, Leute arbeiten zu lassen, die wiederum der Staat zu verantworten hat, weil er ihnen mit einem Übermaß an Steuern die Mittel für ihr segensreiches Werk nimmt. [17]
Sono cristiana – Hilfe beim anständigen Aushalten und ein Kreuzzug gegen den Islam
Meloni weiß, dass das Leben kein Zuckerschlecken ist. Dass der Mensch sich darin bewähren muss und kann, das schätzt sie. Sie schätzt, dass der Mensch – jeder an seinem Platz – sich seinem Schicksal stellt. Die dafür nötige Opfermoral hat sie nicht erfunden, die liegt unter anderem vor in Form des christlichen Glaubens, speziell in der höchsten weltlichen Inkarnation des von ihr besonders verehrten Polen-Papstes:
„Seine Fähigkeit, die Qualen zu ertragen, sein Heldentum, das eigene Schicksal bis ans Ende hinzunehmen, hat ihn in unseren Augen unglaublich in die Nähe der Figur Jesu Christi gerückt.“ (208)
Vor allem aber begeistert sie sich für die Omnipräsenz der katholischen Religion in Form ihrer Kirchen, hohen und niedrigen Seelsorger und der christlichen Symbole an allen Ecken und Enden – nicht zuletzt in den Schulen:
„Es ist richtig, die Kreuze in den Stätten unserer Bildung und Erziehung aufzuhängen, das ist unabhängig vom Glauben. Es ist richtig ... – ob man an Gott glaubt oder nicht... Das Kruzifix ist nicht Zeichen, jemand unseren Glauben aufzuzwingen, sondern ist einfach das Symbol dessen, was uns als Zivilisation auszeichnet. Es ist nicht ein Element der Ausgrenzung, sondern eine Erinnerung an das, was wir sind und was uns verbindet... Du kannst Atheist, Buddhist, Moslem sein, aber wenn du in Europa aufgewachsen bist, sind die christlichen Werte auch die deinen, ob es dir gefällt oder nicht... Das Christentum setzt den Menschen und sein freies Urteil ins Zentrum... Um gute Christen zu sein, ist von uns ‚lediglich‘ verlangt, unseren Nächsten zu lieben. Nicht so im Islam, der eine heilige Schrift hat, die selbst göttlich ist und jedem einzelnen Gläubigen bis ins kleinste Detail vorschreibt, was er zu tun hat. Während der Laizismus des Staates auf der christlichen Religion beruht (‚Dem Kaiser, was des Kaisers ist‘), ist er daher mit dem Islam unvereinbar. Der Islam kann gar nicht unpolitisch sein, mit seiner Scharia, dem rechtlichen und sozialen System, das der Koran vorschreibt.“ (216 f.)
Sie begrüßt den Identität stiftenden Segen der christlichen Religion und ihrer Symbole, die uns Tag für Tag und von klein auf an unsere „Zivilisation ... was wir sind und was uns verbindet“ erinnern. Vom Standpunkt dieses Funktionalismus aus konstatiert sie entscheidende Unterschiede zwischen den Religionen, besonders zwischen zweien: Für das Christentum kann sie sich darauf stützen, dass noch fast jeder Italiener Praktiken und Riten dieses Glaubens – von der Taufe über den Kindergarten, die Hochzeit bis zur Beerdigung – persönlich erfahren hat und an Kirche und Papst gar nicht vorbeikommt. Aber für Meloni ist das Christentum in Italien nicht einfach die faktische Normalität in Glaubensfragen: Es ist die Norm, das Wertesystem, dessen Güte und Verbindlichkeit jeder frei urteilenden Entscheidung Einzelner enthoben ist, dem sich alle anpassen müssen, „ob es ihnen gefällt oder nicht“ – und zwar interessanterweise genau aus dem Grund, dass es laut Meloni „den Menschen und sein freies Urteil ins Zentrum“ setzt. Das ist zwar unmittelbar widersprüchlich, aber es ist deutlich genug, wie Meloni darauf kommt: Wenn sie das „freie Urteil“ des Christenmenschen gegen die Entmündigung des Gläubigen durch den Islam und seinen Sittenkodex hochhält, dann geht es ihr nicht um die Emanzipation des Menschen aus religiöser Befangenheit, sondern um die Emanzipation des Staates von jedem konkurrierenden Anspruch der Religion, die verbindlichen Regeln fürs Diesseits zu setzen. Diesen Unterordnungs- und Funktionalisierungsanspruch des Staates gegenüber jeglicher Religion schreibt sie der christlichen als den ihr innewohnenden Wesenskern zu – und will beim Islam dahingehend fündig geworden sein, dass der von Haus aus diesem Anspruch widerspricht. So macht sie das Christentum zum dritten Pfeiler der italienischen Identität – und weiß damit umgekehrt, was und damit auch wer zu dieser nicht passt und gehört. Da ist es wahrlich nicht verwunderlich, dass sie jedes „Moment der Ausgrenzung“ und des „Aufzwingens“ dementiert.
Sono di destra, patriota – bedingungslose Liebe zum Vaterland
Auf der Suche nach der Identität des Italieners (io sono) ist Meloni über die Familie und die Arbeit beim christlichen Glauben gelandet, der in der Nächstenliebe das Prinzip der selbstlosen Hingabe in Reinform kultiviert. Dem ist die Feindschaft gegen Andersgläubige alles andere als fremd. Wenn Meloni von unserer christlich-europäischen Zivilisation spricht, dann ist damit ganz unmittelbar die vierte Identität des Italieners, seine Liebe zum Vaterland gemeint. Der Staat selbst soll zum Gegenstand der Hingabe werden:
„Ich möchte all meine Energie diesem ‚Wir‘ widmen, das Italien ist und ohne das mir eine Phrase wie ‚Ich bin Giorga‘ leer, banal und sinnlos vorkäme.“ (291)
Es ist die Gesinnung ihres geschätzten Volks, die trotz aller amore zum bel paese mio und insalata caprese in den Nationalfarben zu wünschen übrig lässt und bearbeitet werden muss. Diese gefühlsmäßige Identifikation mit der Schönheit des Landes [18] – Gina nazionale nicht zu vergessen – gefällt ihr zwar durchaus, ist ihr aber zu wenig. Sie hat den Verdacht, dass es in ihrem Land ein Defizit an wirklicher Vaterlandsliebe gibt. Sie wettert gegen „die Linke“, die statt vom „Wohl Italiens“, der „Nation“ oder des „Vaterlandes“ lieber vom „Wohl des Landes“ redet, und hält das glatt für „seelenlos“, einen Mangel an echtem Patriotismus:
„Das ‚Land‘ ist ein einfacher physischer Ort, in dem man zusammen lebt, ununterscheidbar, materiell, während ‚Nation‘ auch ein mentaler Ort ist, der das Herz ergreift, dieser Wille, die Wurzeln zu teilen und teilzunehmen am Schicksal einer Gemeinschaft, deren Wesen das Prinzip der Zugehörigkeit ist.“ (185 f.)
Das absurde Bild von den Wurzeln, die man hat, aber dann doch dauernd willentlich teilen muss, die tautologische Bestimmung der Gemeinschaft durch Zugehörigkeit mal beiseitegelassen: Die „Identität“, die sie einfordert, ist die rein gefühlsmäßige Ineinssetzung mit dem Schicksal der Nation, geht ganz im Willen zu ihr, Dienst an ihr und Opferbereitschaft für sie auf; jenseits aller – am Ende gar materiellen – Kalkulation. Das völkische Wesen des Italieners ist die unbedingte Loyalität zum Staat. Das ist ihrem Inhalt nach alles andere als eine Identität, die in einem gemeinsam definierten Zweck bestünde; denn deren individuelle Seite ist völlig aufgehoben und untergegangen im nationalen Willen.
Um diesen brutalen Gedanken plausibel zu machen, malt sie ein Zerrbild übler Zeiten der Verfolgung öffentlicher nationaler Bekenntnisse, in denen „das Schwenken der Trikolore als subversiver, nostalgischer Akt betrachtet wurde“ (151). Wenn das inzwischen doch anders geworden ist, registriert sie darin einen Sieg ihrer Bewegung, den Erfolg ihrer gegen alle Widerstände beharrlichen Bekenntnisarbeit:
„Italien hat seitdem seinen Weg gemacht, im Sinne der Wiedergewinnung des Nationalbewusstseins. So weit, dass heute praktisch alle Parteien in ihrem Symbol bzw. in ihren Bannern die Trikolore haben... Die politische Debatte heute ist ein einziger Wettbewerb darin, sich patriotisch zu nennen... Man könnte viel darüber diskutieren, was diese Figuren unter Patriotismus verstehen, aber darum geht es nicht. Es geht darum, wie schon Giorgio Almirante sagte, ‚wenn du deine Wahrheit von den Lippen deines Feindes ablesen kannst, musst du dich freuen, denn das ist das Zeichen deines Sieges‘.“ (152 f.)
Die unglaubwürdigen Lippenbekenntnisse der anderen zum heiligen Vaterland zeigen immerhin, dass sie es nötig haben und wie sehr Meloni und ihre Partei zur Führung des guten Volks befähigt und beauftragt sind. Der italienische Patriotismus ist intakt.
Damit ist Melonis Bild vom guten Italiener fertig. Am eigenen Leben hat sie vorgeführt, was sie aus dem Blickwinkel der Herrschaft von ihrem Volk idealerweise haben will. Die Dienste, die die Bürger ihr leisten sollen, die Produktion und Reproduktion des Volkes im weitesten Sinne, hat sie in ein positives Charakterbild verwandelt. Jede Berechnung, Einbildung, Illusion, der Staat könne für irgendetwas anderes gut sein, hat Meloni konsequent ausgeblendet und getilgt. Die persönliche Erfüllung des guten Italieners, sein Charakter, sein ganzes Glück gehen bei ihr vollkommen auf in der Hingabe an die Familie, der Zufriedenheit in der Arbeit, in christlicher Bravheit und glühender Liebe zum Vaterland. Und aus dieser seiner Natur kann er eigentlich nicht raus. Dass die Wirklichkeit diesem Ideal nicht entspricht, ist Antrieb und Grund der politischen Mission, der Meloni sich verschrieben hat: Das Land der bambini – europäisches Schlusslicht bei der Geburtenrate; die Werkstatt der fleißigen und kreativen Arbeitsunternehmer – Spitzenreiter bei den Arbeitslosenraten; im Zentrum der Santa Chiesa – Raver, Fixer, Schwule auf der Piazza, und die Trikolore nur an Festtagen. Warum nur?
Gegen das kommunistisch-islamistisch-liberalistische Weltfinanzgendertum
Dass sich der italienische Charakter nicht an seinen schönen inneren Werten ausrichtet, wie es seinem Wesen entspricht, dafür weiß die regierende Sittenwächterin einen Grund: Die italienische Identität hat Feinde, viele und vielfältige. Im Urteil Melonis bilden sie zugleich eine Einheit, denn sie wollen alle dasselbe Böse: die nationale Identität untergraben und vernichten:
„JA zur natürlichen Familie, NEIN zur LGBT-Lobby; JA zur sexuellen Identität, NEIN zur Gender-Ideologie; JA zur Kultur des Lebens, NEIN zum Abgrund des Todes [gemeint: Abtreibung und Sterbehilfe]; JA zur Universalität des Kreuzes, NEIN zur Gewalt des Islamismus; JA zu sicheren Grenzen, NEIN zur Masseneinwanderung; JA zur Arbeit unseres Volkes, NEIN zur internationalen Hochfinanz; JA zur Souveränität der Völker, NEIN zu den Bürokraten von Brüssel; JA zu unserer Zivilisation, NEIN zu denen, die sie zerstören wollen. Es lebe Spanien, es lebe Italien, es lebe das Europa der Patrioten!“ (Parolen am Ende ihrer Rede vor den Vox-Genossen in Spanien, Marbella, 14.6.22)
Lesben, Schwule, Bis, Transen, Fötenmörder, islamistische Terroristen, Einwandererfluten, internationale Finanzkapitalisten, EU-Bürokraten: lauter Bösewichter, die ihre Identität allein darüber bekommen, dass sie Familie, Arbeit, Glaube und Vaterland infrage stellen, sich ihnen entziehen oder entgegenstellen.
Im Innern der Gesellschaft identifiziert sie linke Ideologien, die bürgerliche Freiheiten für sich und ihre Einbildungen missverstehen und missbrauchen, und mit ihrem Beispiel das gute Volk verderben. Die fünf nach oben offenen Buchstaben LGBTQ sind für Meloni der Inbegriff eines hinterhältigen und organisierten Anschlags auf die natürlichen Werte der Nation. Die alternativen Lebensformen mit ihrer Selbstbezogenheit, ihrem egozentrischen Hedonismus sind widernatürliche, perverse Launen und Manieren, die sich dem vorgezeichneten anständigen Lebensweg und dem darin eingeschlossenen Dienst an Volk und Vaterland verweigern. Moralischer Liberalismus, Freiheit, Selbstbestimmung sind Meloni daher zutiefst verdächtig. Davon nimmt sich der Bürger immer zu viel heraus, anstatt sich zurückzunehmen für die Gemeinschaft:
„Das Problem ist, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der es keinen Zusammenhang mehr zwischen Rechten und Pflichten zu geben scheint. Jeder Wunsch wird zu einem Recht, sogar jede Laune; und umgekehrt ist jeder Ruf nach Verantwortung verschwunden... Freiheit braucht Verantwortung. Stattdessen lässt sich bei uns der Egoismus leicht in eine politische Agenda verwandeln. ‚Ich will ein Kind gebären, wenn ich siebzig bin, ich will Mutter sein, auch wenn ich ein Mann bin, ich will ein Bürgergeld, auch wenn ich arbeiten könnte, ich will die italienische Staatsbürgerschaft, auch wenn ich gerade erst in Italien angekommen bin‘, und ich könnte noch eine lange Liste anderer Forderungen aufstellen, die schließlich zu politischen Forderungen, wenn nicht sogar staatliche Gesetze werden.“ (134)
Sie denunziert die Freiheiten, die sich Leute herausnehmen, als widernatürliche Idiotien, die den Individuen genau dann einfallen, wenn sie ihr Tun und Lassen nicht am staatlich erwünschten Pflichtbewusstsein ausrichten, sodass ihre Vorstellung von Freiheit idealiter unmittelbar mit dem sich selbst erteilten Gehorsam in eins fällt. Dafür zitiert sie den polnischen Papst, der sie „eine grundlegende Sache gelehrt hat, die ich immer als einen Schatz gehütet habe: ‚Die Freiheit‘, hat er gesagt, ‚besteht nicht darin, das zu tun, was einem gefällt, sondern darin, das Recht zu haben, das zu tun, was man zu tun verpflichtet ist.‘“ (Schlusssatz ihrer Regierungserklärung vom 25.10.22)
Grundverkehrt ist es deshalb, wenn von oben die Politik dem Missbrauch der Freiheit von unten, allen möglichen Verstößen gegen die Natur – LGBTQ!! –, auch noch recht gibt und darüber hinaus gar Recht verleiht. Italienische Politiker, die so sehr gegen die Natur und das nationale Interesse verstoßen, müssen im Sold des Auslands stehen und das Volk an ausländische Interessen verraten. Die Regierungen nach 2011 – Sturz Berlusconis durch die Machenschaften der „Deutschen Bank, una banca tedesca“ (157) – und die Sozialdemokraten generell (ehemals PCI!) betrachtet sie als Marionetten der deutsch-französischen Achse gegen die legitimen Interessen Italiens. [19] Die unterschiedlichsten nationalen und internationalen Akteure subsumiert sie unter den gemeinsamen Nenner, Italien schaden zu wollen, um sie schließlich auf ihren ganz eigenen Begriff zu bringen, wenn sie vor der Gefahr warnt, die vermeintlich 1989 mit dem realen System des Kommunismus ihr Ende gefunden hat: [20]
„Es ist unglaublich, wie sich die kommunistische Weltanschauung in der Welt verstärkt hat, seit der reale Sozialismus von der Geschichte in den frühen Neunzigerjahren erledigt wurde.“ (189)
Sie sieht im Kommunismus nämlich schon immer und immer noch den Inbegriff der Zersetzung jeglicher Moral und Sittlichkeit, des hinterhältigen Angriffs auf das christlich-jüdische Wertesystem des Abendlands; deshalb darf man sich durch den Sieg über den Kommunismus nicht täuschen lassen, weil dessen materialistische und antinationale Grundhaltung „heute im liberalen und globalistischen Denken“ als „linker Mainstream“ ihren Siegeszug weltweit fortsetzt. [21]
Die ersten 100 Tage der rechten Mitte
Ohne Zweifel verdankt sich Melonis Kulturkampfansage der chronischen Unzufriedenheit Italiens mit den negativen Resultaten seiner Ein- und Unterordnung in den europäischen Supranationalismus. Und diese negative Bilanz der europäischen Konkurrenz [22] soll durch moralische Aufrüstung, mehr Familie und Kinder, mehr Nationalstolz, mehr Kirche und weniger Flüchtlinge geheilt werden? Egal, die rechte Reform greift da an und auf das zu, was dem politischen Willen jenseits materieller Konkurrenzmittel der Nation zu Gebote steht. Meloni setzt auf die letzte, allerletzte Wahrheit aller Politik: dass eben Arbeitsamkeit, Disziplin und Masse des Volkes die fundamentale Ressource eines jeden Staates ist. Es hilft nichts, dass gerade in der Konkurrenz der europäischen Kapitalstandorte andere Potenzen der Nationen wichtiger sind, wenn sie einer italienischen Führung weniger verfügbar sind als den Partnerstaaten. Meloni setzt auf die Mobilisierung der abstrakten, ersten Machtquelle und die Macht des puren politischen Willens – und demonstriert in ersten Regierungsmaßnahmen, wie ernst sie es damit meint.
Gleich in der ersten Sitzung wird ein Gesetz gegen übermütiges Jungvolk erlassen, das nach zweieinhalb Jahren Corona-Pause mal die tanzende Sau rauslassen wollte und tagelang den Verkehr und so manches Geschäft rund um Bologna lahmgelegt hatte. Solcherart durchgedrehte Freiheit soll mit Gefängnis bis zu vier Jahren drakonisch bestraft werden. Auch wenn nicht klar ist, ob diese Demonstration der Stärke und Unbeugsamkeit dem Verfassungsgericht standhält, die Linie ist klar: einfach nur Feiern, ohne Rücksicht, geht nicht: „Mit dem Anti-Rave-Gesetz ‚haben wir gezeigt, dass der Staat, wenn er präsent ist, den Bürgern garantieren kann, in einem sichereren Land zu leben‘.“ [23]
Nach den Spaßvögeln nimmt die Regierung sich die Faulenzer vor. Das Bürgereinkommen, [24] das als ein einziges Hindernis für die Arbeitssuche definiert ist, wird 2023 all denen gestrichen, die „arbeiten können“ – das sind „objektiv“ die, die weder behindert noch alt sind – und um einige zusätzliche verschärfende Bedingungen ergänzt, die ein Vorgeschmack darauf sind, was man vom Ersatz zu erwarten hat, wenn das Bürgereinkommen 2024 ganz entfällt. Die Zahlen – bei 660 000 „Beschäftigungsfähigen“, denen im Schnitt 300 Euro gestrichen werden, macht das 1,8 bis 2 Mrd. Euro Haushaltseinsparung – dokumentieren sowohl den Umfang der Not wie auch die Schäbigkeit, mit der ihr begegnet worden ist. Der Beitrag zur Haushaltssanierung ist – bei geplanten Staatsausgaben von 1014,4 Mrd. Euro im Jahr 2023 – so unerheblich, dass die moralische Stoßrichtung der Maßnahme nochmal extra deutlich wird. [25]
Dass Italien jetzt eine starke Regierung hat, bekommen auch andere arme Schweine zu spüren: die paar Überlebenden, die Rettungs-Schiffe der NGOs – noch so ein staatsgefährdendes Buchstabenmonster – periodisch aus dem Mittelmeer fischen; die machen zwar nur einen dunkel bezifferten Teil der ertrunkenen und weniger als zehn Prozent der sonst an die Strände gespülten Flüchtlinge aus. [26] Aber an ihnen statuiert die neue Regierung das Exempel, dass sie sich die Misshandlung italienischer Souveränität durch Brüssel nicht weiter bieten lassen will. Mit der Weigerung, sie an Land zu lassen, unterstreicht sie, dass sie ein Recht hat auf die Hoheit über ihre Grenzen, die sie für Europa schützt. Dafür erfindet sie immer neue Schikanen, mit denen sie internationales mit italienischem Recht auf die Reihe bringt. Erst lässt sie nur eine Handvoll an Land, die sie als asylantragsberechtigt definiert, schickt den Rest zurück auf See und legt sich dafür mit Frankreich an. Dann kreiert der parteilose Innenminister zur Freude Salvinis lauter kleine Gemeinheiten, mit denen die subversiven Gutmenschen („buonisti“) rechtzeitig zum Christenfest an der Ausübung ihrer Nächstenliebe bestmöglich gehindert werden sollen: Die Schiffe müssen nach der ersten Rettung sofort einen Hafen anlaufen und dürfen keine weiteren Schiffbrüchigen mehr aufsammeln. Die Übernahme von Schiff zu Schiff (von kleinen auf große) ist untersagt. Zur bestmöglichen Versorgung der Geretteten erklärt die Regierung die süditalienischen Häfen für überlastet und dirigiert die „Schleppertaxis“ zum Teil 1500 km nach Norden. Alles Signale, dass die Regierung es ernst meint mit dem Schutz der italienischen Identität vor Einwandererfluten und ihren linken Helfershelfern.
[1] Movimento Sociale Italiano, demokratisches Abklingbecken für Altfaschisten. 1995 von Gianfranco Fini in Alleanza Nazionale umbenannt, Distanzierung von den Verbrechen des Faschismus inklusive. Durch Koalition mit Berlusconi regierungsfähig, mit Meloni als Jugend-, Fini als Außen- und La Russa als Verteidigungsminister. 2009 in Berlusconis Popolo della Libertà aufgelöst. 2012 Gründung der Fratelli d’Italia mit der Flammentrikolore wie auf Mussolinis Sargdeckel (Meloni, La Russa).
[2] „Dank Ihm [!] habe ich verstanden, dass jeder von uns eine Mission im Leben hat.“ (Giorgia Meloni: Io sono Giorgia, Le mie radici, le mie idee, Milano 2022, Kindleausgabe, S. 209. Im Folgenden werden Seitenzahlen in Klammern gesetzt.)
[3] „Das starke Geschlecht“ (53) – Motto des Kapitels
[4] „Denn die Wahrheit ist, dass ich gar nicht hätte geboren werden sollen... Am Morgen der klinischen Untersuchungen, die dem Schwangerschaftsabbruch vorausgehen, steht meine Mutter auf, bleibt nüchtern und geht zum Labor. Da, so hat sie mir immer erzählt, bleibt sie direkt vor der Tür stehen, zögert, stockt. Sie tritt nicht ein. Sie fragt sich: Ist es wirklich meine Entscheidung, darauf zu verzichten, noch einmal Mutter zu werden? Ihre Antwort ist reiner Instinkt: Nein, ich will nicht verzichten, ich will nicht abtreiben.“ (11 f.)
[5] „Ein Kind bedeutet für einen der beiden Elternteile, in der Regel die Mutter, dass sie für mehr oder weniger kurze Zeit auf ihr Gehalt verzichten muss, und das in einem Italien, in dem es für eine Familie mit nur einem Einkommen heute schwierig ist, über die Runden zu kommen.“ (139)
[6] Diese Härten sind bei Meloni also nicht Indizien für unschöne und damit kritikwürdige Lebensumstände, weil man denen das Glück im alltäglichen Lebenskampf immerzu abringen muss. Für Meloni sind sie der stete Anlass, die Tugend zu loben, mit der man diese Härten sein Leben lang aushält!
[7] „Ich bin eine Frau, aber ich muss gestehen, dass ich mich in meiner ganzen politischen Geschichte noch nie wirklich diskriminiert gefühlt habe.“ (54)
[8] Da hat der Staat dann auch anzusetzen, mit Muttergeld und Betriebskindergärten der Verunmöglichung dieses Dienstes Grenzen zu ziehen.
[9] Realitätsfern ist das nicht: Auf den Gängen italienischer Krankenhäuser sind Betten für Familienmitglieder der Patienten fast die Regel, damit sie ihre Liebsten betreuen und mit Nahrung versorgen können.
[10] Meloni, La Repubblica, 4.12.22
[11] An anderen Stellen beschreibt sie detailliert die sklavenmäßigen Arbeitsbedingungen von Landarbeitern auf den Plantagen für pomodori aromatici und Öl aus handgepflückten Oliven sowie die Plastikplanenslums immigrierter Arbeiter an den Rändern der Städte, abseits der gepflegten touristischen Zentren: als Brutstätten von Verwahrlosung und Kriminalität. Dort weiß sie glatt Opfer zu zitieren, die die FdI-Politik der Ausweisung der Armen und der Bekämpfung der Armut in den Herkunftsländern loben: „‚Wir sind Patrioten aus Kamerun. Wir wollen Ihnen danken, weil sie und Ihre Partei die einzigen sind, die die Ausbeutung unseres Landes anprangern. Sie helfen uns, den Italienern zu erklären, dass wir nicht nach Europa kommen wollen. Wir wollen nicht gezwungen sein, unser Land zu verlassen. Wir wollen zu Hause bleiben. Sie helfen uns, unsere Nation zu befreien.‘ ... Italienische und kamerunische Patrioten fallen sich um den Hals.“ (250)
[12] „Tja, unser glorreicher Automobilsektor ist aufgegangen im FIAT-FCA-Konzern ganz schlau mit Sitz in Holland und Großbritannien und jetzt mit dem Stellantis-Konzern direkt unter französischer Kontrolle.“ (299)
[13] Ministero delle Imprese e del Made in Italy – der neue Name des italienischen Wirtschaftsministeriums
[14] Meloni, La Repubblica bzw. adnkronos, 4.12.22
[15] Salvini hatte die Italiener als Schlaumeier, die sich scheiden ließen, um sich doppeltes Bürgergeld zu ergaunern, beschimpft; Kollege Di Maio, der seinerzeit als Frontmann der 5 Sterne für das bedingungslose Grundeinkommen geworben hatte, hat ihm mit Sanktionen assistiert, die verhindern sollten, dass diese Schlaumeier sich dank Bürgergeld auf dem Diwan ausruhen.
[16] Meloni auf der Pressekonferenz, 29.12.22
[17] Daher ihr Prinzip: „Steuernachlass für Beschäftigung“ (300)
[18] Die will sie durchaus zu einer Produktivkraft des nationalen ökonomischen Wachstums machen (Regierungserklärung).
[19] „2011 hat die deutsch-französische Achse Italien ein unmissverständliches Signal gegeben: ‚Eure Souveränität könnt ihr vergessen.‘ Daran erinnern manchmal die Exponenten der Linken, wenn sie ungeniert betonen, dass eine Mitte-Rechts-Exekutive von der EU und der Welt nicht ‚toleriert‘ werde und es daher keine Alternative dazu gebe, dass die Sozialdemokraten an der Macht bleiben, auch wenn sie die Wahlen verlieren.“ (310) Auch der Krieg gegen Libyen hat sich in erster Linie gar nicht gegen Libyen, sondern gegen die Souveränitätsbestrebungen Italiens gerichtet, weshalb die Franzosen „Gaddafi vernichtet“ haben, um Nordafrika gänzlich ihrer Franc-Zone zu unterwerfen und Eni durch Total zu verdrängen. Das auswärtige, Italien schädliche, Interesse an sich hält sie durchaus für legitim. Bei allen giftigen Bemerkungen gegen „la Merkel“ hat sie die immer dafür gelobt, wie gut sie deutsche Interessen vertritt: „Ich mach euch eure Merkel.“
[20] Der 9. November 1989 ist der neue Nationalfeiertag der italienischen Rechten neben dem 10. Februar zum Gedenken an die italienischen Opfer der jugoslawischen Kommunisten.
[21] In ihren theologischen Höhenflügen beruft sich Meloni ausdrücklich auf die Hetzschrift gegen den Teufel in der modernen Welt vom Ratzinger Sepp selig.
[22] „Italien, das mal eine der größten europäischen Mächte war, droht heute überholt zu werden von Ländern [Polen], deren Reichtum mal viel geringer war als der unsere. Ich will mich mit dem Abstieg unserer Nation nicht abfinden. Und ich werde es nicht tun, koste es, was es wolle. Zum Wohl meiner Tochter, damit sie und die anderen jungen Italiener nicht eines Tages gezwungen sind, ihr Land zu verlassen auf der Suche nach einem besseren Leben, wie es Millionen von Italienern in der Vergangenheit tun mussten.“ (293)
[23] Meloni, dire.it, 2.11.22 – Groß gefeiert hat die Regierung dagegen die – nun nach dreißig Jahren geglückte – Verhaftung des Mafia-Bosses Denaro. Diesen „Sieg des Staates“ führt sie auf die Kultur des „harten Kerkers“ zurück, also auf das gegen alle menschenrechtlichen Vorbehalte behauptete brutale Gefängnisregime in Italien. Dieses soll nämlich für das Klima der gnadenlos durchgreifenden Staatsgewalt insgesamt stehen, welches sie ausruft, auf dass sich der brave Bürger wieder sicher fühlen kann im Land.
[24] Mit dem schlägt sich eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Familien schlecht und recht durchs Leben (2022: 1 479 809 Familien mit 3 386 231 Personen).
[25] Zuerst hat der von ihr als „Marionette Brüssels“ verachtete Vorgänger Mario Monti sie für ihre „große Klarheit“ und ihre „feste Hand“ gelobt (La Repubblica, 4.1.23). Jetzt hat dessen Nachfolger, der scheidende PD-Chef Enrico Letta, nachgelegt: „Giorgia Meloni ist keine Faschistin, sie ist sicherlich eine tüchtige Person.“ (Tiscali News, 15.2.23) Opposition macht der PD schon auch noch. Er hat aufgedeckt, dass ausgerechnet die „Regierung von Recht und Ordnung“ gefährliche Straftäter amnestiert. Sie hat „aus Versehen“ mit der Abschaffung des Bürgergelds auch die von den Vorgängern sorgfältig ausgeklügelten Sanktionen für Sozialbetrüger abgeschafft, sodass die jetzt risikolos dem Staat auf der Tasche liegen können. Gut aufgepasst. Aber der Regierung wird schon was einfallen. (La Repubblica, 26.2.23)
[26] Ganz in Vergessenheit geraten – aber nicht zuletzt auch deswegen sehr effektiv – ist das vom Sozialdemokraten Minniti mit Libyen abgeschlossene und von Draghi in aller Stille um weitere drei Jahre verlängerte Abkommen mit Libyen: Die EU finanziert und Italien trainiert die zumeist aus ehemaligen – unter Umständen weiterhin nebenberuflich tätigen – Schleppern formierte libysche Küstenwache. Die fängt die meisten Flüchtlinge schon in libyschen Hoheitsgewässern ab und bringt sie zurück in die – nicht nur von Menschenrechtlern so genannten – Konzentrationslager. Wem die Flucht gelingt, der wird von den Schleppern wieder einfangen. Dieser Kreislauf ist so effektiv, dass inzwischen fast nur noch Flüchtlinge aus Tunesien an Italiens Küsten stranden.