Expertenregierungen für Europas Pleiteländer
Staatliche Souveränität mit Haushaltsschulden in Zeiten der Euro-Krise
Im fünften Jahr der globalen Finanzkrise bringt die europäische Politik zur Bewältigung der Konsequenzen, die Krise und Krisenpolitik für die Staatsfinanzen nach sich ziehen, eine neue politische Errungenschaft hervor. Auf Druck der EU, genauer: der deutschen und der französischen Regierung ersetzen die Parlamente in Griechenland und Italien ihre mit Mehrheit regierenden Amtsträger durch eine von der jeweiligen Opposition mit getragene überparteiliche Expertenregierung; in Griechenland unter dem ehemaligen Vizepräsidenten der EZB Papademos, in Italien mit dem ehemaligen EU-Wettbewerbskommissar Monti an der Spitze. Der Regierungsauftrag lautet auf Durchsetzung harter, nämlich die große Mehrheit im Lande empfindlich treffender Sparprogramme zwecks Sanierung des Staatshaushalts; Kriterium ist ein erträglicher Zinssatz für Staatsschulden am freien Kapitalmarkt. Der aufgenötigte überparteiliche Konsens in Sachen Sparprogramm soll auch über eventuelle Neuwahlen hinaus so lange garantiert in Kraft, am besten die Expertenmannschaft im Amt bleiben, bis der Maßnahmenkatalog zur Sanierung der Staatsfinanzen erfolgreich abgearbeitet ist.
Das ökonomisch Abenteuerliche dieses Unterfangens, nicht bloß eine bestimmte Finanzpolitik, sondern gleich auch noch deren Erfolg in Auftrag zu geben; die gewollte Ignoranz bezüglich der unausbleiblichen negativen, kontraproduktiven Folgen rigider staatlicher Sparsamkeit; der politökonomische Grund der fortschreitenden Zuspitzung der Finanzkrise der Euro-Staaten im Allgemeinen und der Mittelmeer-Partner im Besonderen, von dem die verantwortlichen Macher schon gleich nichts wissen wollen, geschweige denn etwas wissen – das ist die eine Seite der Angelegenheit...
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Expertenregierungen für Europas Pleiteländer
Staatliche Souveränität mit Haushaltsschulden in Zeiten der Euro-Krise
Im fünften Jahr der globalen Finanzkrise bringt die europäische Politik zur Bewältigung der Konsequenzen, die Krise und Krisenpolitik für die Staatsfinanzen nach sich ziehen, eine neue politische Errungenschaft hervor. Auf Druck der EU, genauer: der deutschen und der französischen Regierung ersetzen die Parlamente in Griechenland und Italien ihre mit Mehrheit regierenden Amtsträger durch eine von der jeweiligen Opposition mit getragene überparteiliche Expertenregierung; in Griechenland unter dem ehemaligen Vizepräsidenten der EZB Papademos, in Italien mit dem ehemaligen EU-Wettbewerbskommissar Monti an der Spitze. Der Regierungsauftrag lautet auf Durchsetzung harter, nämlich die große Mehrheit im Lande empfindlich treffender Sparprogramme zwecks Sanierung des Staatshaushalts; Kriterium ist ein erträglicher Zinssatz für Staatsschulden am freien Kapitalmarkt. Der aufgenötigte überparteiliche Konsens in Sachen Sparprogramm soll auch über eventuelle Neuwahlen hinaus so lange garantiert in Kraft, am besten die Expertenmannschaft im Amt bleiben, bis der Maßnahmenkatalog zur Sanierung der Staatsfinanzen erfolgreich abgearbeitet ist.
Das ökonomisch Abenteuerliche dieses Unterfangens, nicht bloß eine bestimmte Finanzpolitik, sondern gleich auch noch deren Erfolg in Auftrag zu geben; die gewollte Ignoranz bezüglich der unausbleiblichen negativen, kontraproduktiven Folgen rigider staatlicher Sparsamkeit; der politökonomische Grund der fortschreitenden Zuspitzung der Finanzkrise der Euro-Staaten im Allgemeinen und der Mittelmeer-Partner im Besonderen, von dem die verantwortlichen Macher schon gleich nichts wissen wollen, geschweige denn etwas wissen – das ist die eine Seite der Angelegenheit.[1] Die hat außerdem einen auch ganz beachtlichen politischen Aspekt.
1.
Um mit dem Allergrundsätzlichsten, also Unwesentlichsten anzufangen: Der große Fetisch der abendländischen Wertegemeinschaft, die freiheitliche Zweieinigkeit von Demokratie & Marktwirtschaft, erweist sich im Krisenfall als doch nicht völlig selbstverständlich, und nicht einmal der Schein der Gleichrangigkeit der beiden Zwillinge bleibt gewahrt. Die demokratische Sitte einer lebendigen Konkurrenz der politischen Konzepte muss zurückstehen, sogar die hochheilige Entscheidungsfreiheit des wahlberechtigten Volkes hat zeitweilig ihr Recht verloren und muss – im Fall Griechenland – einer per Unterschrift beglaubigten Vorab-Festlegung der konkurrierenden Wahlvereine weichen, wenn ein Haushaltsnotstand einreißt, weil die nationale Marktwirtschaft den staatlichen Schuldendienst nicht mehr zur Zufriedenheit der Finanzmärkte hergibt. Die Alternativen, die dem Wahlvolk zur Auswahl geboten werden, dürfen das Ziel staatlicher Kreditwürdigkeit nicht in Frage stellen; so viel marktwirtschaftlichen Sachzwang muss die demokratische Freiheit sich gefallen lassen.
Und das ist dann doch nicht bloß eine unwesentliche ironische Fußnote zum demokratischen Freiheitsglauben. Das ist immerhin ein Hinweis von berufener Seite auf das wirkliche Verhältnis zwischen den beiden komplementären Freiheiten im bürgerlichen Gemeinwesen: Die Freiheit des Marktes, die ohne das Regime des Finanzkapitals über das Geld der Gesellschaft und sogar das des Staates nicht zu haben ist, ist unantastbare Staatsräson; die Freiheit des Wahlbürgers erfüllt sich darin, Sachwalter dieser und keiner anderen Räson mit der freiwilligen Zustimmung derer auszustatten, die unter der und deren Folgen zu leiden haben. Das demokratische Verfahren heiligt, was die Gewählten beschließen – über die optimale Durchsetzung des markt- und finanzwirtschaftlich Notwendigen. Genau so sind Demokratie & Marktwirtschaft eben doch fast so etwas wie ein inoperables siamesisches Zwillingspaar.
2.
Im Fall der beiden Krisenstaaten am Mittelmeer geht es freilich gar nicht bloß um das einzig korrekte Verhältnis zwischen ökonomischer Staatsräson und demokratischem Procedere. Die marktwirtschaftliche Vernunft, die dem Staat in der Krise eine Sparpolitik mit eingebauter Erfolgsgarantie für die Käufer seiner Anleihen gebietet, kommt als Oktroi der EU daher, als politische Nötigung durch die Führungsmächte des Euro-Clubs. Deutschland, Frankreich und Gleichgesinnte starten nicht bloß einen Appell ans „systemische“ Eigeninteresse ihrer Partner, sondern betreiben die Disziplinierung ihrer prominentesten Problemfälle. Und das so unverhohlen, dass sich für Griechenland und Italien – und kaum weniger explizit für etliche andere – die Souveränitätsfrage stellt: ob das Gebot der Haushaltssanierung um jeden Preis tatsächlich ein marktwirtschaftlich alternativloser, also willig zu vollstreckender Sachzwang ist oder eher eine Entmündigung der Nation in Gestalt ihrer Höchsten Gewalt durch ausländische Instanzen bedeutet.
Wie es sich mit der Souveränität bankrotter Euro-Staaten tatsächlich verhält, ist hier die eine klärenswerte Sache. Bemerkenswert ist zum andern, wie die Souveränitätsfrage von den frisch installierten Expertenregierungen bewältigt wird.
3.
Tatsache ist: Den Höchsten Gewalten in den südlichen Krisenländern der Euro-Zone können gewisse Vorschriften für die Gestaltung ihres Haushalts gemacht werden; und im bürgerlichen Staat, der seine Gesellschaft mit Geld regiert, heißt das so viel wie: Sie sind im Gebrauch ihrer Macht nicht mehr souverän. Ihre Handlungsfreiheit ist ihnen mit dem fehlenden Zuspruch des Kreditgewerbes zu ihren Schuldpapieren abhanden gekommen und an die Instanzen übergegangen, die ihnen trotzdem die benötigten Finanzmittel leihen.
Das folgt erstens aus der souveränen Entscheidung der Staatsmacht, ihren Haushalt – wenn auch nur zum Teil – mit Krediten zu finanzieren, namentlich die Refinanzierung ihres Schuldendienstes mit der Aufnahme neuer Kredite zu bewerkstelligen und so ihr Schuldnerverhältnis zur Finanzwelt zu verewigen. Sie begründet damit ein systematisches Zusammenwirken mit dem Finanzgewerbe zum wechselseitigen Vorteil: Der Staat gestattet den Geldbesitzern und -verwaltern die Spekulation auf sich und seine Hoheit über einen nationalen Kapital-standort als sichere Geldquelle, versorgt so den Kapitalmarkt mit einem Stoff, der für dessen Bestand und Wachstum unverzichtbar ist; die Finanzwelt gestattet dem Staat Freiheiten bei seiner Haushaltsführung und mehrt mit ihrem Wachstum die Finanzmacht, auf die der Staat zugreifen kann. Die Krise zerstört diese segensreiche Symbiose. Zuerst dadurch, dass das Finanzgewerbe seine eigenen Produkte nicht mehr als Geldkapital anerkennt, also seine Finanzmacht zerstört, so dass die Höchste Gewalt mit eigenen, von den Finanzmärkten noch anerkannten Kreditpapieren sowie mit der Umwandlung fragwürdiger Vermögenstitel in Liquidität durch ihre Notenbank Ersatz stiften muss. Wenn die Finanzmärkte die Zunahme staatlicher Schulden mit Zweifeln an deren Sicherheit, entsprechend schlechterer Bewertung sowie steigenden Zinsforderungen und am Ende mit Nicht-Anerkennung als Geldkapital quittieren, dann steht dem Souverän immer noch die Notenbank als die Instanz zu Gebote, die seine Hoheit über das Zahlungsmittel der Gesellschaft innehat und exekutiert: Die nimmt im Ernstfall die Schuldscheine entgegen, die das staatliche Haushaltsdefizit repräsentieren, und bringt dafür gesetzlich gültiges Geld in Umlauf. Eine derart unökonomische, durch kein kapitalistisches Wachstum gerechtfertigte Vermehrung von Staatskredit und diesen repräsentierendem Geld bekommt der kapitalistischen Verfügungsmacht, die das gesetzliche Zahlungsmittel repräsentiert, zwar überhaupt nicht gut; der Ersatz entwerteter Schulden durch staatliches Dekret in Gestalt von ganz viel Notenbankgeld schädigt die Finanzmacht des Staates wie des ganzen Kapitalstandorts, der mit diesem Geld wirtschaftet. Immerhin verfügt die Höchste Gewalt so aber überhaupt noch über ihr ökonomisches Kommandomittel.
Eben dieser Rückgriff auf die staatliche Geldhoheit als Geldquelle für den Staatshaushalt steht den Mitgliedern des Euro-Clubs nicht mehr frei. Das Recht, die Einlösung ihrer wie auch immer verbrieften Haushaltsdefizite in Notenbankgeld zu dekretieren, haben sie mit der Einführung des Euro als Gemeinschaftswährung und der Gründung der EZB abgetreten. Deswegen – das ist das Zweite – stehen die Euro-Staaten, die ihren Kredit bei den Finanzmärkten verloren haben, nicht bloß mit einem schlechteren, sondern buchstäblich ohne Geld da. Das Misstrauen der Gläubiger, die den Refinanzierungsbedarf des griechischen, des italienischen und manchen anderen Euro-Staates nur noch zu untragbaren Bedingungen oder gleich überhaupt nicht mehr zu finanzieren bereit sind, macht offenbar, was diese Länder sich mit ihrer Spekulation auf nationale Vorteile aus einem supranationalen Geld und dem Abenteuer einer Mitgliedschaft im Euro-Club eingehandelt haben: Solange sie das erst recht abenteuerliche Wagnis einer Rückkehr in den Status eines abhängigen Außenseiters der EU scheuen und lieber dabeibleiben, haben sie in letzter Konsequenz die Souveränität über den Grundstoff ihrer Herrschaft aufgegeben.
Formell gilt das natürlich für alle Euro-Staaten, auch für die, deren Schulden nach wie vor als Kapitalanlage nachgefragt und so auf finanzkapitalistisch ordentliche Weise zu Geld gemacht werden. Auch die haben ihre Geldhoheit an die EZB übertragen und folglich nicht mehr die Freiheit, ihren nationalen Haushalt im Ernstfall von der Notenbank finanzieren zu lassen. Diese formelle Gleichheit der nationalen Souveräne vor dem supranationalen Statut der EZB begründet tatsächlich jedoch eine materielle Ungleichheit und auf der Grundlage ein ziemlich einzigartiges Machtverhältnis zwischen den Partnern. Diejenigen, die Kredit haben und deswegen durch das kollektive Regime über das Gemeinschaftsgeld keine Einbuße an ihrer Haushaltsautonomie erleiden, treten den anderen, die durch das Misstrauen der Märkte in eine so fundamentale Geldverlegenheit gebracht werden, als eine Instanz gegenüber, die – natürlich „nur“ als Sachwalter der von allen geschaffenen und akzeptierten Rechtslage – den Pleitekandidaten die Umwandlung ihrer Schulden in Liquidität durch die dazu allemal fähige gemeinsame Notenbank verwehrt. Den finanzstarken Euro-Mächten – und letztlich der einen Führungsmacht – fällt praktisch die Entscheidungsmacht zu, die die Partner vertraglich gar nicht an sie, sondern an das Gemeinschaftskonstrukt EZB abgegeben haben. Von denen hängt es ab, ob und inwieweit sie die EZB letztlich doch das tun lassen, was die formell nicht darf und was sie nicht brauchen, was ein souveräner Staat in Geldverlegenheit aber allemal bei seiner Notenbank in Auftrag gibt, nämlich Haushaltsgeld bereitzustellen. Und bis auf weiteres setzen die – die Regierungen der solventen Führungsstaaten – an die Stelle der ‚Lizenz zum Gelddrucken‘, die sie der EZB weiter förmlich verweigern, also an die Stelle der Finanzmittel, die die Pleitekandidaten sich nach wie vor nicht aus eigenem Beschluss bei dem Produzenten und Hüter ihres eigenen gesetzlichen Zahlungsmittels abholen dürfen, ihre sehr bedingte und an Auflagen geknüpfte Bereitschaft, den insolventen Partnern das zur Schuldenbedienung und für ein unerlässliches Minimum an politischer Handlungsfähigkeit unbedingt nötige Minimum an Haushaltsgeld zu leihen. Zu denen stellen die Führungsmächte auf diese Art ein – in der ‚Stabilisierungs-Fazilität‘ EFSF sowie auf Dauer im ‚Euro-Stabilisierungs-Mechanismus‘ ESM durchorganisiertes – Gläubiger-Schuldner-Verhältnis her, das tatsächlich die Souveränität der kreditierten Staatsmächte über ihr ökonomisches Herrschaftsmittel betrifft.
Der Eingriff in die Autonomie der Staaten, die auf Kredite ihrer Euro-Partner angewiesen sind, fängt also nicht erst mit den Bedingungen an, die die finanzstarken Mächte für die Auszahlung von Geldern an bankrotte Partner setzen. Wenn Griechenland und andere sich die Mittel fürs Regieren ausleihen müssen, ist ihre Hoheit selbst eine Leihgabe. Das ist die Grundlage, auf der Deutschland & Co sich das Recht anmaßen können, in ihre Nachbarstaaten hineinzuregieren – so massiv und so handfest, dass in Italien und Griechenland gewählte Regierungen das Feld räumen und einer Expertenmannschaft nach dem Geschmack der Euro-Instanzen Platz machen.
4.
Die Forderung an die Regierungen dieser beiden Länder, ihre Herrschaft an überparteiliche Experten zu übertragen, ist eine unmissverständliche Misstrauenserklärung an die Adresse der demokratischen Parteien dort, der regierenden ebenso wie derjenigen in der Opposition. Sie stehen unter Verdacht, sie würden aus parteipolitischer, gar aus wahltaktischer Berechnung die zur alternativlosen Notwendigkeit erklärten Sparprogramme nicht konsequent durchführen, also ihrem demokratischen Opportunismus die marktwirtschaftliche Staatsräson opfern. Das geehrte Volk gilt sowieso als mehrheitlich uneinsichtig, was die grundvernünftigen Forderungen dieser Räson betrifft. Deswegen und umso dringlicher braucht es, um EU-Partner und Finanzmärkte zufriedenzustellen, in der Regierung Repräsentanten der Alternativlosigkeit aller in Auftrag gegebenen Sparmaßnahmen.
Solche Figuren kommen auch an die Macht: Von den mit so viel Misstrauen bedachten Parlamenten werden sie ins Amt gewählt. Die Parteien handeln dabei unter erpresserischem Druck von außen, aber durchaus auch aus eigener Berechnung. Auf der einen Seite kennen sie den Unmut ihres Wahlvolks: die Verzweiflung der ohnehin minderbemittelten Massen über die schon vollstreckten und die noch anstehenden materiellen Zumutungen, den gerechten Zorn über die sehr klassenspezifische Verteilung der anfallenden Lasten, das patriotische Aufbegehren gegen eine Bevormundung der Nation durch auswärtige Instanzen und fremde Machthaber – dafür wollen sie nicht haftbar gemacht werden. Auf der anderen Seite hegen sie die Erwartung, dass die ins Amt berufenen Experten hinkriegen, was die auch selbst als ihren Auftrag begreifen: Dem Volk gegenüber sollen Papademos, Monti und deren Leute mit ihrer unzweifelhaften Kompetenz in ökonomischen Sachfragen die Unausweichlichkeit und Vernünftigkeit des verordneten Politikprogramms verbürgen. Und mit ihrem überparteilichen Dienst an der nationalen Sache sollen sie dafür einstehen, dass hier keine Lakaien der EU in fremdem Auftrag ans Werk gehen, sondern die Nation aus eigenem souveränem Beschluss das Nötige tut, also ihre Würde wahrt und alle vernünftigen Patrioten stolz sein dürfen auf ihr tapferes Vaterland. Insoweit geht es den ansonsten zerstrittenen Parteien schon ziemlich überparteilich um die grundsätzliche Versöhnung des Volkes mit der Staatsgewalt, von der es gerade so brutal behandelt wird.
Die Fachleute an der Macht geben sich dementsprechend alle Mühe. Sie fungieren als leibhaftige Garanten dafür, dass der Maßnahmenkatalog, den sie abarbeiten, nur ein Ziel hat, nämlich die Wiedergewinnung der nationalen Autonomie durch Wiederherstellung der Kreditwürdigkeit des Landes, und dass dieses Ziel alle Opfer wert ist, die sie das Volk bringen lassen. Ihre Bemühungen und die Ergebnisse fallen freilich in Italien und in Griechenland sehr unterschiedlich aus – was weder am Charakter der regierenden Experten liegt noch an dem des regierten Volkes.
5.
Die Übergabe der Regierungsmacht in Rom von Berlusconi an Monti wird von den Führungsmächten der EU hergenommen, um Italien demonstrativ freizusprechen vom Verdacht der Unwilligkeit wie der Unfähigkeit, die Krise der Staatsfinanzen zu überwinden. Die Aufrechnung, die dem alten Regierungschef noch übel angekreidet und mit politischer Nichtbeachtung bestraft worden ist: dass nicht bloß Italien womöglich auf seine Partner angewiesen ist, sondern auch die EU, und zwar entscheidend, auf Italien, die wird dem neuen Ministerpräsidenten nachdrücklich zugebilligt; als Dritter im Bunde mit Deutschlands Merkel und Frankreichs Sarkozy darf Italiens Monti einen öffentlichen Auftritt hinlegen als Personifikation der Unverzichtbarkeit seines Landes für Europa und der glanzvollen Zukunftsaussichten der italienischen Ökonomie, noch bevor sich sonst irgendetwas an der finanzwirtschaftlichen Verfassung des Staates geändert hat. So viel politische Anerkennung verfehlt nicht ihre beabsichtigte Wirkung auf die Märkte. Die zeigen sich – begrenzt, aber immerhin – neu interessiert an italienischen Staatsanleihen und führen damit praktisch vor, was für eine spekulative Angelegenheit die Kreditwürdigkeit eines Staates ist: Sie ergibt sich aus dem Vergleich, den die Geldanleger gemäß ihrem Doppelkriterium der Sicherheit und der Höhe der Rendite zwischen verschiedenen Investments anstellen; selbst in der Krise behandeln die Märkte ihren eigenen Generalbefund der Überschuldung von Euro-Staaten ganz undogmatisch, machen ihn differenziert und differenzierend geltend, nicht zuletzt je nach dem Eindruck, den die zu kreditierende Macht auf sie macht. Die in Rom macht fürs Erste einen mächtig guten – dank dem berechnend freundlichen Applaus für den neuen Chef aus Berlin und Paris und Brüssel.
Das hat, ganz folgerichtig, Auswirkungen auf die politische Szene Italiens. Dort sortieren sich vor allem die bislang regierenden Parteien neu. Dabei gereicht es der Experten-Herrschaft durchaus nicht zum Nachteil, dass die kleinste Ex-Regierungsmannschaft im Namen ihres norditalienischen Partikular-Nationalismus eine ziemlich radikale Opposition eröffnet: Damit bringt die „Lega“ viel von dem patriotischen Unmut über Eingriffe in gewohnte Lebensbedingungen sowie über eine jeden Nationalstolz verletzende Fremdbestimmung durch deutsch dominierte EU-Instanzen herunter auf ihren Standard-Vorwurf der römischen Misswirtschaft und der Beraubung des Nordens durch weiter südlich beheimatete Müßiggänger und auf ihre Standard-Forderung nach einer Emanzipation Padaniens. Was sich daneben an sozialem Protest gegen die programmierte Verelendung einer Menge Fußvolk rührt, gilt der Regierung, deren Euro-Partnern und auch wieder den Märkten hauptsächlich als Beleg für die Qualität der neuen Politik, für die Konsequenz, mit der da Fachleute ihren Job erledigen, jedenfalls nicht als Gefahr für den Vollzug des Sparprogramms. Dessen Opfer dürfen ihrerseits die öffentlich gemachten Tränen der Fachfrau fürs Soziale anlässlich der Zumutungen, die sie dekretiert, als Beweis dafür nehmen, dass „es“ nicht anders geht.
So ist es gemeint mit der Expertenregierung.
6.
Der griechische Kollege Papademos übernimmt die Regierungsgewalt über ein Land, das einen Offenbarungseid eigener Art erleidet. Dass Griechenland seinen Kredit in der Finanzwelt so komplett verloren hat, ist Folge des kritischen Ländervergleichs, den diese Welt an den Staaten der Euro-Zone durchexerziert, nachdem diese Staaten, namentlich die führenden Mächte, den Zusammenbruch eben dieser Welt mit Massen von Staatskredit und Notenbankgeld storniert haben. In diesem Vergleich schneiden Geldanlagen in Griechenland besonders schlecht ab. Der Abzug von Finanzmitteln aus dem Land deckt gnadenlos auf, dass die an Größe und Konkurrenzmacht weit überlegenen Firmen aus den großen Euroländern den griechischen Binnenmarkt ziemlich komplett erobert, die landeseigene Wirtschaft ebenso komplett kaputtkonkurriert haben. Als Absatzmarkt funktioniert die Nation schon lange nurmehr per Kredit aus dem europäischen Ausland; der Staatshaushalt zehrt gleichfalls von auswärtigen Geldanlagen. Mit denen ist es vorbei; und prompt ist das Land mit seinem Schuldendienst hoffnungslos überfordert. Die Rettung der staatlichen Zahlungsfähigkeit durch die solventen Euro-Mächte ist von deren Seite, je länger sie dauert, desto härter darauf angelegt, die unbedingte Solidität des Euro-Kredits und die Stabilität der diesen Kredit repräsentierenden Währung zu beweisen: Bezweckt ist, erklärtermaßen, die „Beruhigung der Märkte“. Die Konditionen, die dem Schuldnerstaat auferlegt werden, dienen dem demonstrativen Nachweis, dass dessen Ausstattung mit dem Minimum an Geld, das fristgerecht an auswärtige Gläubiger zu zahlen ist, die nachdrücklich beschworenen Kriterien einer verantwortbaren Kredit- und Geldschöpfung in Wirklichkeit gar nicht verletzt: Alle Welt soll sehen, dass die Euro-Hüter den Wert ihres Geldes wichtiger nehmen als die Überlebensbedingungen eines Volkes ohne konkurrenzfähiges Kapital. Die unplanmäßig, aber folgerichtig fortschreitende Ruinierung des Landes quittieren die maßgeblichen EU-Politiker mit immer deutlicheren Bekundungen ihres schwindenden Vertrauens in die Entschlossenheit der Regierenden, die Fähigkeit des Staatsapparats und die Bereitschaft des Volkes, die verlangten Sanierungserfolge abzuliefern, ohne dass die Nation dafür ein anderes Mittel einzusetzen hätte als rigoroses Zusammenstreichen jeglichen Geldbedarfs.
Damit stehen die Anforderungen an Griechenlands überparteiliche Expertenregierung fest – und zugleich deren Unerfüllbarkeit. Papademos & Co sollen auf der einen Seite das Misstrauen der Kreditgeber entkräften und durch erste Erfolge beim Defizitabbau die Glaubwürdigkeit des griechischen Reformwillens beweisen. Tatsächlich führen sie, auftragsgemäß, das Abbruchunternehmen am Lebensunterhalt des Großteils ihres Volkes fort, mit dem die sozialistischen Vorgänger es bereits weit getrieben haben; freilich mit dem Ergebnis, dass die planmäßig herbeigeführte soziale Katastrophe sich als Mittel für einen Zugewinn an nationaler Ertragskraft überhaupt nicht bewährt. Die Sparpolitik verringert zwar die Unkosten, als welche die materielle Existenz des Volkes veranschlagt wird. Sie dezimiert allerdings zugleich weiter die Restbestände an kapitalistischen Reichtumsquellen, die für Staatseinnahmen sorgen könnten. Entsprechend verhalten sind Lob und Anerkennung für Papademos und sein Kabinett von Seiten der Partner. Immer ernsthafter diskutieren die Freunde Griechenlands die Alternative, einen „Sparkommissar“ nach Athen zu entsenden – so als wäre die Sanierung des Landes eine Frage der Rücksichtslosigkeit und die Expertenregierung noch immer zu weich im Umgang mit den nationalen „Strukturen“ – oder das Land „pleite gehen zu lassen“, was Europa mittlerweile leichter verkraften könne als noch vor Monaten.
Kein Wunder, dass die Regierung ihre andere Aufgabe ähnlich schlecht erfüllt. Der ökonomische Niedergang des Landes blamiert das Versprechen, die Verelendung der Massen von Staats wegen würde nach der alleinseligmachenden Logik der Marktwirtschaft irgendwann und irgendwie zu einem neuen Aufschwung führen. Deswegen lässt die Aussöhnung des Volkes mit Europas Kapitalismus zu wünschen übrig. Linksradikale Parteien, i.e. solche außerhalb des Konsenses der beiden Staatsparteien, die einander traditionell in der Regierungsführung abwechseln und nun unter Papademos koalieren, der sozialdemokratischen PASOK und der konservativen Nea Dimokratia (ND), agitieren nicht ohne Erfolg gegen die Staatsräson, die Verelendung zur alternativlosen Notwendigkeit macht; auf Demonstrationen wird schon mal die Meinung laut, angesichts seines eigenen Bankrotts könnte dem Fußvolk der Nation der Bankrott von Staat und Finanzwelt doch egal sein. Und auch der überparteiliche Appell an die patriotische Gesinnung erweist sich als wenig tauglich, um das Volk auf Linie zu bringen. Der leicht entflammbare patriotische Volkszorn richtet sich teils gegen die Regierenden, denen man einfach nicht abnimmt, fürs griechische Vaterland zu streiten; und soweit er mit der Staatsgewalt konform geht, gilt die Zustimmung nicht der politischen Linie, sondern dem Schein, die Verhandlungen mit den Gläubigern wären ein Widerstandskampf gegen Fremdbestimmung und Bevormundung.
So ist das Konzept der EU, mit der Vorab-Festlegung der bisher einander an der Macht ablösenden Wahlvereine jede aus den anstehenden Neuwahlen hervorgehende Regierung auf das Sanierungskonzept zu verpflichten und dadurch dessen Durchsetzung ohne Abstriche sicherzustellen, tatsächlich dadurch gefährdet, dass ein Großteil der PASOK-Wählerbasis nach linksaußen „abdriftet“: Nach neuesten Umfragen droht die bisherige Mehrheitspartei von 44 % auf 8 % abzustürzen. Während der ND knapp 30 % prognostiziert werden, ermitteln die Demoskopen, dass die Kommunistische Partei (KKE) und die Koalition der Radikalen Linken (Syriza), die bisher gemeinsam bei 12 % lagen, und eine weitere Partei links von der PASOK zusammen Aussicht auf über 40 % der Wählerstimmen und damit sogar auf die absolute Parlamentsmehrheit und die Regierungsbildung haben. Diese Parteien lehnen das Spardiktat
entschieden ab; die KKE verlangt sogar den Austritt nicht nur aus der Euro-Zone, sondern auch aus der EU, die sie als imperialistischen Zusammenschluss
ablehnt, der von kapitalistischen Interessen gelenkt wird
. Insofern – zurück zu Punkt 1 – muss die europäische Wertegemeinschaft sich eventuell doch noch praktisch mit dem Problem herumschlagen, dass ein Stück Demokratie am falschen Platz zur Störung der europäischen Staatsräson namens ‚freie Marktwirtschaft‘ gerät.
[1] Dazu der Aufsatz über den „Fiskalpakt – Europas Wunderwaffe gegen die Krise“.