Der amerikanische Anti-Terror-Krieg an der Heimatfront

Terroristen sehen sich als Vorreiter eines notwendigen, globalen Kriegs gegen die Amerikaner, die sie für den mangelnden Erfolg ihres Staates verantwortlich machen. Deren Attacken entnimmt Amerika einen Mangel an umfassender und unangefochtener Kontrolle über sein Territorium, mit entsprechendem Handlungsbedarf zur Reform der gültigen Rechtsordnung.

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Der amerikanische Anti-Terror-Krieg an der Heimatfront

„Dieser noch nie da gewesene Angriff hat uns mit einem neuen Feind konfrontiert; er verlangt, dass wir neu denken und neu handeln, um unsere Bürger und unsere Werte zu verteidigen.“ (Justizminister Ashcroft vor dem Kongress)

Seit dem 11. 9. hat die Regierung der USA sich in Sachen Innere Sicherheit „Neues Denken“ verordnet. Sie unterzieht die Maßnahmen, mit denen sie das zivile Innenleben der Nation in rechtliche Bahnen bannt und kontrolliert, mit denen sie Rechtsbrecher aufspürt und ihrer Strafe zuführt, einer grundsätzlichen Überprüfung und kommt zu dem Ergebnis, dass die mit diesen Aufgaben betrauten Institutionen ebenso unzulänglich arbeiten wie das Netz von Behörden, die fürs geheime Datensammeln, Überwachen und Bekämpfen US-feindlicher Machenschaften auf amerikanischem Boden zuständig sind. Alle Instrumente der inneren Sicherheit genügen nicht mehr; werden umgestellt, ergänzt, perfektioniert. Gleich nach dem Anschlag verordnet der Justizminister seiner Behörde eine „Revision und Reorganisation von oben bis unten“ (Bericht vor dem Kongress). Im Herbst 2002 wird ein „Department of Homeland Security“ (DHS) eingerichtet; diese nunmehr drittgrößte Behörde der USA ist neben dem Justizministerium für alle Maßnahmen auf dem Gebiet des Anti-Terrorkampfes zuständig.[1]Schließlich legt die Regierung die Terrorabteilungen von Staatsschutz (FBI) und Geheimdiensten (CIA, DEA u.a.) zusammen; angesichts ihres weltweiten Kampfes gegen den Terror hält sie die Unterscheidung zwischen „innerer“ und „äußerer“ Sicherheit für obsolet.

Die US-Politik begründet ihren umfassenden Reformbedarf mit der Neuartigkeit des Feindes, mit dem sich die Nation seit dem „Noch-Nie-Dagewesenen“ konfrontiert sieht. Wie immer, wenn Staaten sich etwas Neues vornehmen, bekommt die bisherige Praxis die Note „mangelhaft“; rückblickend werfen Regierungsvertreter sich Versäumnisse vor beim Datensammeln und Koordinieren, beim Zusammenführen von Ermittlung und Verfolgung; der „11.9.“ beweist ihnen, dass solche vorliegen. Unzweckmäßige Laschheit ist allerdings das Letzte, was sich den zuständigen Einrichtungen nachsagen ließe: Der Staatsschutz in den USA hat die Feinde der Nation immer zuverlässig erledigt, von der gewalttätigen Niederschlagung der Ansätze einer Arbeiterbewegung um 1900 bis zum zielgerichteten Umbringen der „Black Panthers“ in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts. Dass die US-Behörden nicht zimperlich sind, was den Umgang mit unbotmäßigen Aktivitäten angeht, haben sie zuletzt mit dem Ausräuchern der Davidianer in Waco gezeigt. Und es ist ja auch nicht so, dass die vielfältigen „Erfahrungen“, die so liebenswerte Einrichtungen wie FBI, CIA, DEA und wie sie alle heißen, bei ihren bisherigen Aktivitäten gesammelt haben, zu gar nichts mehr nütze wären. Sie sollen aber erst noch auf die Herausforderung des internationalen Terrorismus bezogen und ihnen angepasst werden; denn diese Herausforderung ist tatsächlich neuartig.

I. Die neue Feindlage

Islamische Gotteskrieger

Die „terroristische Gefahr“ geht von Leuten aus, die die Supermacht USA zu ihrem persönlichen Hauptfeind erklären und diese Feindschaft in die Tat umsetzen. Das Attentat gegen das Welt-Handels-Zentrum und das Kriegsministerium gibt Auskunft darüber, was diese Terroristen an Amerika für verabscheuungswürdig und bekämpfenswert halten. Sie sehen sich als Vorkämpfer in einem Krieg von globaler Dimension gegen die böse Macht, die ökonomisch und militärisch die Welt beherrscht und ihre Heimat, die arabischen Nationen, unterdrückt, schwächt und sich selbst entfremdet. Den mangelnden Erfolg, den ihre Vaterländer in der Konkurrenz der Nationen verbuchen, bilanzieren sie – wie alle Nationalisten – als eine Schmach, die die Araber nicht auf sich sitzen lassen dürfen, sondern endlich mit entschlossener Gegenwehr beantworten müssen. Dabei bezieht sich der beleidigte Nationalismus der „Gotteskrieger“ gleich auf die höhere Sphäre der nationalen Identität: die verbindende Moralität des Volkes. Diese sehen sie von der amerikanischen Weltherrschaft mit ihren überall auftretenden Soldaten, ihren unzüchtigen Werten und ihrem gottlosen Materialismus untergraben – und damit die Lebens- und Selbstbehauptungsfähigkeit ihrer Gemeinwesen. Ihr übernationaler islamischer Widerstand gilt der Verteidigung und Wiederherstellung der religiösen Sittlichkeit, der ideellen Existenzgrundlage ihrer Staaten, strebt die Befreiung von Amerika und die Errichtung einer gottesfürchtigen arabischen Nation an.[2]

In ihrem Kampf gegen Amerika sieht sich die islamistische Avantgarde zugleich nur als Vollstrecker dessen, worum es ihren Völkern ohnehin zu tun ist und zu tun sein muss: den gemeinsamen Glauben an Allah und ein dem Islam entsprechendes gesellschaftliches Leben. Sie nehmen ernst, worauf sich die islamischen Nationalstaaten allesamt berechnend berufen. Die schätzen, wie alle Staaten, die religiöse Untermauerung des staatsbürgerlichen Gehorsams und räumen den Predigern Allahs, die solches propagieren, eine privilegierte Stellung im Staatsleben ein. Ihnen fällt die Rolle des geistlicher Führer zu, die sich den weltlichen Führern zur Seite stellen und deren Herrschaft zum irdischen Jammer- oder Freudental innerhalb der göttlichen Ordnung idealisieren. Indem die Herrschaft sich mit der höheren Weihe der Religion schmückt, erscheint sie ideologisch in rosigem Licht; umgekehrt handelt sie sich dadurch aber auch ein, von den Repräsentanten des Glaubens daran gemessen zu werden, in welchem Maß, und gelegentlich: ob sie überhaupt den Geboten Gottes entspricht. Es ist gerade der feste Glaube an den moralischen Auftrag der Regierungen, der die Wächter über die Sittlichkeit bisweilen an der weltlichen Herrschaft in den arabischen Staaten verzweifeln lässt. Im Elend des Volkes ebenso wie in der Verwestlichung der Sitten entdecken gute Moslems lauter Indizien für die Verletzung ihrer religiösen Gebote durch die Mächtigen. Sobald sie sich von der Sittenlosigkeit der Herrschenden endgültig überzeugt haben, begnügen sich manche Prediger samt Anhang nicht mehr damit, nur die Beachtung der Sitten einzuklagen, sondern wandeln sich zu Feinden der gottlosen Regierung und machen sich an die Rettung ihres Gemeinwesens. Die Regierungen nämlich zerstören ihrem Urteil zufolge mit westlichen Entwicklungsideen, mit denen sie Land und Leute kapitalistisch erschließen und zur nationalen Machtbasis ausbauen wollen, die wahre, ideelle Staatsgrundlage, den alten Glauben des Volkes, anstatt den Staat auf ihn zu gründen und den Koran zur Richtschnur ihres Staatshandelns zu machen. Darüber hinaus verraten sie die Stärke und Einheit der islamischen Welt durch nationale Eifersüchteleien und Sonderbeziehungen zu den Weltmächten. Der Gottesstaat, den politisierende Gottesmänner herstellen wollen, ist seinem Anspruch nach so universell wie die religiöse Gedankenwelt, aus der er sich begründet: Alle Heimatländer des Islam sollen dereinst zu seinem Kernbestand zählen.

Bei allem heiligen Zorn über und trotz gelegentlicher Aktionen gegen ihre nationalen Regierungen haben Islamisten keinen Zweifel, wer ihr Hauptfeind ist: Der amerikanische Imperialismus, der überall mit seinen Interessen und Ansprüchen präsent ist, sich als dem Islam fremde Macht auf dessen heiligem Boden breit macht und sich da manches Handlangerregime schafft. Dieser Macht geben sie die Hauptschuld an den Zuständen in ihren Heimatländern. Radikale Militante ziehen die Konsequenz und tragen einen Ersatz-Krieg direkt ins Kernland der westlichen Weltherrschaft. Ihre Anschläge vollstrecken, erstens, ein Stück gerechter Strafe an den Gottlosen; zweitens demonstrieren sie, dass auch die größte Supermacht der Welt nicht unverwundbar ist, wenn man nur entschlossen gegen sie antritt; drittens führen sie der ganzen Welt vor Augen, dass der Kampf zwischen der bösen Macht und ihren guten Feinden nicht nur immer schon fällig, sondern endlich auch eröffnet ist. Stellvertretend für arabische und andere Regierungen der islamischen Welt, die diesen Krieg zu führen hätten und es nicht tun – aus Unwillen, Angst, Unvermögen, Bestechlichkeit –, treten sie an und setzen ein Fanal: Damit jeder gute Moslem weiß, was seine Pflicht ist.

… und ihr terroristischer Untergrundkampf

Dem Programm dieses Ersatz-Krieges entspricht das Auswahlkriterium seiner Angriffsziele: Dem Feind soll aus der Position der Unterlegenheit heraus ein möglichst großer, möglichst spektakulärer und symbolträchtiger – d.h.: sofort als antiamerikanisch erkennbarer – Schaden zugefügt werden. Also kommen alle Institutionen und Einrichtungen ins Visier, an denen sich die Abstraktion „Schaden für Amerika“ versinnbildlichen lässt. Für diesen Beweiszweck ist es egal, ob Amerika in seiner Eigenschaft als waffenstarrende Unterdrückungsmaschine getroffen wird oder als kulturimperialistische Krake, die die Moral der arabischen Völker untergräbt und deren Kampfeswillen schwächt; das In-die-Luft-Sprengen einer Disco tut als Fanal einen ähnlichen Dienst wie der Angriff auf ein US-Kriegsschiff. Der Kampf gegen amerikanische Vorherrschaft unterscheidet nicht zwischen Anschlägen auf die amerikanische Staatsmacht und solchen auf deren Volk; letzteres wird eben für die böse Führung, der es die Treue hält, haftbar gemacht.

Um ihre Aktionen zum Erfolg zu bringen, setzen die islamischen Attentäter alles daran, dass die feindlichen Staatsorgane ihnen nicht schon bei deren Vorbereitung auf die Schliche kommen. Zu der Kalkulation veranlasst sie schon der Umstand, dass ihnen den amerikanischen vergleichbare Machtmittel in jeder Hinsicht fehlen, ihre Enttarnung also mit dem Scheitern ihres Unternehmens zusammenfällt. Sie wissen sich als Untergrundkämpfer in Feindesland; über den patriotischen Geisteszustand des amerikanischen Volkes machen sie sich keine Illusionen; überhaupt wollen sie die Amerikaner nicht agitieren, sondern unterschiedslos für den gottlosen Ungeist bestrafen, den sie über die Welt bringen. Die islamischen Krieger sind also bemüht, als „normale Amerikaner“ zu erscheinen, um bei der Vorbereitung ihrer Taten nicht aufzufallen. Im Bewusstsein ihrer Ohnmacht sinnen sie darauf, mit möglichst geringen Mitteln möglichst großen Schaden anzurichten. Das gelungene Attentat ist nicht das „Argument“ in einer privaten Erpressung oder für politische Forderungen. Es ist die ganze Sache: Ein Fanal, das für sich spricht.

Ihre Vorgehensweise trägt den Terroristen die Kennzeichnung „fanatisch“ ein; und in der Tat ist die Umsetzung ihres Programms ohne Rücksichtslosigkeit gegen sich selbst nicht zu haben. Angesichts ihrer Machtlosigkeit hängt der Erfolg ihrer „Kampfhandlungen“ letztlich von ihrer Bereitschaft ab, sich zur Frage des eigenen Überlebens berechnungslos zu stellen. Selbständig machen sich diese Privatkrieger die Rücksichtslosigkeit gegen das eigene Leben zu eigen, die Staaten ihren Soldaten im Krieg abverlangen und ihnen mit Kommandogewalt und Drill einbläuen. An die Stelle der so erzeugten „soldatischen Tugenden“ tritt der freie Beschluss, als lebende Kampfmaschine vorzuführen, dass ein Wille, der sich aus dem Bewusstsein sittlicher Überlegenheit speist, eine materielle Gewalt ist. Auf diese Weise bekommen es diese Leute glatt hin, mitten auf dem Territorium der größten Supermacht Anschläge zu verüben, die deren politisches und ökonomisches Innenleben kurzfristig erschüttern.

Soviel kann man dieser Kriegserklärung über den Stand der Machtverhältnisse auf dem Globus entnehmen: Offenbar sieht sich – spätestens seit dem Abdanken der zweiten, konkurrierenden Supermacht – kein richtiger Staat mehr in der Lage oder ist willens, sich mit den USA in grundsätzlicher Weise anzulegen. Der Beschluss der Privatkrieger, aus der Position der Ohnmacht heraus „die Sache in die eigenen Hände zu nehmen“, beruht darauf und bezieht sich kritisch darauf, dass sich die Nationen in ihrer übergroßen Mehrzahl dazu entschlossen haben – bzw. sich durch Kriege, Putschs etc. dazu haben „überreden“ lassen –, ihre nationalen Anliegen unter Anerkennung der überlegenen Machtstellung der Supermacht zu verfolgen. Die meisten Staaten legen sich die jeweilige „nationale Sache“ deshalb gleich so zurecht, dass sie – jedenfalls im Großen und Ganzen – mit der US-amerikanischen Weltordnung kompatibel ist. Dass auch dann noch – oder gerade deshalb – manch nationales Projekt zuschanden wird, gibt den Regierenden in aller Welt genug Stoff für Anti-Amerikanismus. Den praktizieren sie auch, soweit sie es sich trauen und zutrauen. Der Übergang, den die Bin Ladins praktisch vormachen und empfehlen, kommt für sie jedoch nicht in Frage. Der Erfolg des amerikanischen Imperialismus bei der Subsumtion der Staatenwelt hat den gewaltsamen anti-imperialistischen Widerstand auf diese Sorte Privat-Krieg heruntergebracht; deshalb sind die USA sich aber auch sicher, dass die terroristische Bedrohung aus jeder Weltecke kommen kann, also viel weiter reicht als Al Kaida.

II. Das Gegenprogramm: Prävention total

Diesem Privatkrieg stellen sich die USA mit ihrem Anti-Terrorprogramm nach innen. Wie die Terroristen sehen sie die Sache grundsätzlich: Hier traut sich ein von außen kommender, feindlicher Wille eine Gewaltkonkurrenz mit der Supermacht zu und stellt ihre Unverwundbarkeit in Frage, die doch die feste Grundlage ihres weltweiten Herumfuhrwerkens ist. Die terroristischen Attacken decken auf, dass die unbedingt verlässliche, unangefochtene Kontrolle des Staates über sein Territorium Lücken hat; dass er nicht hundertprozentig Herr des Geschehens im Lande ist. Das ist die Ungeheuerlichkeit, die der „11.9.“ für die amerikanische Regierung darstellt; aus ihr folgt der immense Nachholbedarf an „national security“.

„Unsere Feinde versuchen, unsichtbar zu bleiben; sie lauern im Schatten … Terroristen agieren strategisch. Sie wählen ihre Ziele absichtsvoll danach, welche Schwäche sie in unserer Verteidigung oder in unserer Vorsorge entdecken… Unsere Gesellschaft besteht aus einer fast unendlichen Sammlung von möglichen Zielen, die durch eine Reihe von Methoden angegriffen werden können… Die strategischen Ziele der inneren Sicherheit sind in der Reihenfolge ihrer Wichtigkeit: Verhinderung von Terrorangriffen in den USA; Verminderung der Verwundbarkeit Amerikas durch Terrorismus; und Minimierung der Schäden und Wiederherstellung nach Angriffen, die stattfinden.“ (Executive Summary of the National Strategy of Homeland Security (NSHS), Office of the Press Release, 16.7.2002)

Staatsschützer haben es nicht leicht. Statt dass die Terroristen eine Blaupause ihrer Pläne vor Vollzug beim CIA abgeben, bemühen sie sich darum, ihre Aktivitäten geheim zu halten. Einerseits agieren sie sehr „strategisch“; zugleich aber gemäß einer Strategie, der die staatlichen Machthaber das Wo und Wie künftigen Zuschlagens nur schwer entnehmen können. Das macht – vom Standpunkt totaler staatlicher Kontrolle her gedacht – die neue Herausforderung für die ausgeklügelten Fahndungs- und Verfolgungsmethoden des Staatsschutzes so unhandlich. Der lässt sich von dieser Diagnose allerdings nicht einen Moment lang irre machen. Er stellt dem Fanatismus der Terroristen seinen eigenen Fanatismus entgegen: Er begnügt sich nicht damit, Attentäter als Rechtsbrecher nach ihrer unrechten Tat zu verfolgen, er will sie vor jeder eventuellen Tat aufspüren und ausschalten. Angriffe auf das staatliche Innenleben kann ein Staat wie der amerikanische nicht zulassen; die Glaubwürdigkeit seiner Macht verbietet das Eingeständnis, dass er verwundbar ist. Mag die Gewalt, mit der er fertig zu werden hat, auch noch so wenig staatsbedrohend sein: Die relative Ohnmacht der terroristischen Gegengewalt nimmt sich von seinem Standpunkt als besonders gefährliche und heimtückische Macht aus: eine einzige Ansammlung von Hindernissen, die sie ihrer präventiven Vernichtung entgegen setzt. Diese Hindernisse soll das neue Staatsschutzprogramm aus dem Wege räumen. Wenn der Feind seine Ohnmacht durch Überraschungsangriffe zu kompensieren versucht, dann muss der Staatsschutz alle möglichen Ziele und Umstände solcher Angriffe erfassen, um ihnen zuvorzukommen. Wenn der Gegner unentdeckt bleiben will, dürfen weder Kosten noch Mühen gescheut werden, ihn zu enttarnen, bevor er sein böses Werk in Angriff nimmt. Und wenn diese Leute sich aus lauter Fanatismus für ihre Sache den gängigen Erpressungs- und Einschüchterungsmethoden nicht zugänglich zeigen, dann benötigen die Strafverfolgungsbehörden mehr Freiheiten im Umgang mit Verdächtigen, als es die geltende Rechtslage vorsieht. Der Staat tut alles in seiner Macht Stehende, um den unberechenbaren Fanatismus seiner Feinde für sich berechenbar zu machen und seinem Zugriff zu unterwerfen. Das Instrument, dessen er sich dafür bedient, ist seine Rechtsordnung: Die wird dahingehend verändert, dass sie den neuen Anforderungen genügt.

Objektschutz als Dauernotstand

Die erste große Aufgabenstellung des neuen Ministeriums für Homeland Security besteht in der Erarbeitung eines umfassenden Plans für die Erfassung, Sicherung und Kontrolle aller nationalen Ressourcen, die in irgendeiner Weise das Interesse von Terroristen auf sich ziehen könnten; sei es als Zielscheibe, sei es als für Anschläge irgendwie zu nutzende Mittel.

– Die USA beantworten die Willkür, mit der ihre Feinde ihre Anschlagsziele aussuchen, damit, dass sie alle staatlich wie volkswirtschaftlich relevanten Einrichtungen unter dem Gesichtspunkt ihrer möglichen Gefährdung durch Terroranschläge neu in den Blick nehmen. So gesehen erscheint das gesamte sachliche Inventar des nationalen Kapitalismus als Anhäufung von „Verletzlichkeiten“, die mit der bisherigen Arbeitsteilung der diversen Sicherheits-Ämter nicht in den Griff zu bekommen sind. Die zuständigen Abteilungen der verschiedenen Behörden und Agenturen werden in einem neuen Ministerium zusammengefasst:

„Das Ministerium wird eine umfassende Begutachtung der Infrastruktur unserer Nation erarbeiten: Ernährung, Wasser, Agrikultur, Gesundheitssysteme und Notfalldienste, Energie, Transport, Information und Telekommunikation, Bankwesen und Finanzen…, Verteidigungsindustrie, Postwesen und Schifffahrt, sowie nationale Monumente und Wahrzeichen… Das Ministerium wird Maßnahmen anordnen oder koordinieren, mittels derer wesentliche verletzliche Objekte geschützt werden sollen, insbesondere Angriffsziele, die durch Katastrophen gefährdet sind, … und wird einen Maßnahmenkatalog für standardisierte, stufenweise einzusetzende Schutzmaßnahmen entwickeln.“ (Executive Summary)

– Gefährdet sind Volkswirtschaft und Volkskörper aus der Sicht des Staatsschutzes vor allem dadurch, dass Terroristen Angriffe mit chemischen, biologischen und radioaktiven Kampfstoffen starten könnten, die, wie die Militärs aus eigener Praxis wissen, ziemlich verheerend wirken:

„Wissen, Technologie und Materialien zur Herstellung der gefährlichsten Waffen verbreiten sich unaufhaltsam. Falls unsere Feinde diese Waffen in die Hand bekommen, werden sie sie wahrscheinlich anzuwenden versuchen… Die gegenwärtigen Kapazitäten zum Aufspüren von chemischen… Waffen sind bescheiden und die Fähigkeiten, mit ihnen fertig zu werden, sind über das ganze Land verstreut… Die Bedrohung durch terroristische Anschläge mit ABC-Waffen erfordert neue Herangehensweisen und eine neue Organisation.“ (Ebd.)

Dieser Diagnose entnimmt der Staatsschutz den Auftrag zu einem groß angelegten Forschungs– und Entwicklungsprogramm zum Aufspüren von einschlägigen Quellen und Materialien und zur Entwicklung von Gegenmaßnahmen. Diesbezügliche Aktivitäten diverser Ämter (Energieministerium, Gesundheitsministerium, National Bio-Weapons Defense Analysis Center, diverse Umwelt- und Landwirtschaftsforschungsprogramme) werden zusammengefasst und auf die neue Aufgabe ausgerichtet.

– Schließlich ist für den Fall umfassend Vorsorge zu tragen, dass die Verhinderung eines Anschlags trotz allem nicht gelingt.:

„Gegenwärtig regeln noch mehrere Pläne die Unterstützung der Notfallkräfte während eines Notfalls mit nationaler Reichweite… Nach dem Vorschlag des Präsidenten wird das DHS die föderalen Notfallpläne konsolidieren und in Kooperation mit den Regierungen der Bundesstaaten und den lokalen Behörden ein System für Krisenmanagement aufbauen. Unsere föderalen, Staats- und lokalen Behörden sollen sicherstellen, dass das gesamte Notfallpersonal… richtig ausgerüstet und trainiert ist, um auf alle terroristischen Bedrohungen und Anschläge in den US zu reagieren. Die Vorbereitung auf den Notfall … soll auch den Privatsektor und das amerikanische Volk einbeziehen.“ (Ebd.)

Auf diese Weise versetzt die US-Regierung das Land in eine Art Dauernotstand: Alle Bereiche des ökonomischen und sozialen Lebens werden durchgemustert, damit nichts ungetan bleibt, was möglicherweise der Vereitelung neuer Angriffe dienen könnte. Dass ein derart umfassendes Kontrollwesen zu Behinderungen und Störungen im kapitalistischen Geschäftsalltag führt und damit auch der Geschäftswelt allerlei zusätzliche Kosten aufbürdet, ist der Regierung bewusst; zum Einwand oder Hindernis für seine ordnungsgemäße Abwicklung dürfen sie aber nicht werden. Der Alltag des amerikanischen Kapitalismus soll weiterhin reibungslos vonstatten gehen, einschließlich seiner grenzüberschreitenden wie internationalisierten Abteilungen. Alle Mittel und Methoden erfolgreicher Benutzung der Welt sollen den USA weiterhin unangefochten zur Verfügung stehen: Vom Verschieben sachlicher und lebendiger Ressourcen zwischen den Nationen mittels eines globalen Transportwesens über die Einwanderung nützlicher Arbeitskräfte und die Errichtung amerikanischer Dependancen im Ausland bis hin zu studentischen Austauschprogrammen soll alles weiter laufen – nur eben jetzt unter dem neuen Gesichtspunkt, dass dabei dem Terrorismus nicht das kleinstes Schlupfloch für den Missbrauch amerikanischer Freiheiten gelassen wird. Dafür müssen dann auch Dienste wie etwa die Flughafensicherheit verstaatlicht werden, die bislang wie selbstverständlich der privaten Geschäftstüchtigkeit überlassen waren. Die finanziellen Belastungen, die der nationalen Volkswirtschaft durch das neue Sicherheitsprogramm erwachsen, „teilt“ sich der Staat mit seiner Geschäftswelt; im grenzüberschreitenden Verkehr sieht er zu, solche Kosten seinen Handelspartnern in Form von Sicherheitsauflagen aufzubürden. So wird der Alltag von Geschäft und Gewalt einer lückenlosen Kontrolle und präventiven Sicherung unterworfen, die kapitalistische Normalität hat unter permanenter notstandsmäßiger Aufsicht stattzufinden.

Ein zweifellos anspruchsvolles Projekt und dennoch höchstens die halbe Miete. Der Schutz der nationalen Infrastruktur, von Transportwegen, Fabriken, Flugplätzen, Biolabors etc. pp. gegen die Feinde Amerikas ist vom Staat her gesehen eine bloß defensive Maßnahme, die unterstellt, dass die feindlichen Täter auf nationalem Boden immer noch ihr Unwesen treiben. Die weitere Stoßrichtung im Anti-Terrorkampf besteht darin, diesen Leuten selbst zu Leibe zu rücken.

Totale Erfassung für totalen Zugriff

Als erstes entscheidendes Hindernis beim Aufspüren von Terroristen hat der Staat ausgemacht, dass seine Behörden zu wenig über diese Figuren wissen:

„Unsere Überprüfung hat ergeben, dass die Fähigkeit der USA, terroristische Aktivitäten aufzudecken und zu verhindern, dadurch entscheidend untergraben wurde, dass die Nachrichtendienste und die für Rechtsdurchsetzung zuständigen Stellen beschränkt und behindert wurden im Zugang zu und in der gemeinsamen Nutzung von der wertvollsten Ressource, die wir in diesem neuen Anti-Terrorkrieg haben. Diese Ressource heißt Information.“ (Ashcroft vor dem Kongress)

Der erste Schritt der Terrorabwehr heißt also „Informationsbeschaffung“. Der Staat meldet Bedarf an Methoden an, die es ihm erlauben, die Feinde Amerikas unter den ganz normalen Bürgern herauszusondern, unter die sie sich mischen und als die sie sich tarnen. Da diese Figuren im Unterschied zu anderen Staatsfeinden für ihr Anliegen nicht öffentlich Werbung machen, entfällt bei ihnen weitgehend die Informationsquelle „politische Gesinnung“, die politische Vereine auf der Linken wie Rechten für den Staatsschutz zu so vergleichsweise bequemen Zielen macht.[3] Der neue Informationsbedarf, den der Staat ausmacht, richtet sich deshalb darauf, in dem Bild, das Leute von sich als bravem Ami abgeben, nach Indizien dafür zu suchen, ob sie nicht das Gegenteil sind, und diese Indizien zu einem Gesamtbild zusammenzusetzen. Weil im richtigen, nämlich terrorismusverdächtigen Zusammenhang gesehen ziemlich alles, was Bewohner Amerikas so sind und treiben, ein mögliches Indiz sein kann, bekommt der Staatsschutz viel zu tun. Alle möglichen Dateien sind zu durchforsten, in denen Leute Hinweise auf hinter ganz normalen Aktivitäten steckende feindliche Absichten hinterlassen haben könnten. Unter diesem Gesichtspunkt kommt auch die Gesinnungsschnüffelei zu ihrem Recht: Bibliotheksausleihungen, kulturelle Interessen, persönliche Verbindungen werden zu Quellen für einschlägige Verdachtsmomente umdefiniert und dementsprechend „erfasst“. „Total Information Awareness Office“ nennt der Staat diese Abteilung seines Anti-Terrorkampfes; und jeder gute Ami ist aufgefordert, seinen Teil zur Anlieferung von „Auffälligkeiten“ zu leisten.[4]

Die Anhaltspunkte, die der Staatsschutz sammelt, dienen der Konstruktion von „Personen- und Verhaltensprofilen“. Das allererste „Merkmal“, mit dem jemand als potentieller Terrorist rangiert, ist deshalb nicht zufällig seine rassisch-nationale Zugehörigkeit. Als Araber haben die Terroristen den USA ihren Krieg erklärt; also erfüllt auch jeder Angehöriger dieser Volksgruppe schon einmal ein Kriterium eines möglichen Terroristen. In diesem Zusammenhang kommt ein weiterer Bedarf auf den Tisch: Der nach zentralisiertem Zugang zu allem Material, das verschiedene Behörden schon über ihre jeweilige Klientel gesammelt haben. Bei der geheimdienstlichen Aufarbeitung des 11.9. hat man festgestellt, dass in verschiedenen Behörden bereits Teil-Auskünfte über die Attentäter schmorten, die zusammengenommen zum Befund „möglicher Terrorist“ hätten addiert werden können. Dass dies eine Konstruktion ex post ist, ficht den Staat nicht an: In konsequenter Anwendung seiner Diagnose verordnet er sich die Aufhebung des Prinzips, wonach die datenmäßige Erfassung von Personen dem Zweck der erhebenden Behörde zu dienen hat und Daten nur aufgrund besonderer Genehmigungsverfahren anderen Zwecken zugänglich gemacht werden dürfen. Dass sich die diversen „agencies“ – von der Führerscheinstelle angefangen bis hin zu Strafverfolgungsbehörden, FBI, Steuerfahndung etc. pp. – ihre „Informationen“ nach ihrem jeweiligen Bedarf besorgt und bei sich verwahrt haben, wird als den neuen staatlichen Aufklärungsauftrag behindernde Abschottung denunziert; alle Behörden werden zur Weitergabe aller Daten verpflichtet.

Dies ist erst recht dort fällig, wo sich Insassen des amerikanischen Freiheitsstalls außerhalb der Legalität bewegen. Wenn Terroristen im Rahmen ihrer konspirativen Tätigkeit unter anderem Autos klauen, Pässe fälschen, unter falschem Namen Flüge buchen und Konten eröffnen, mit Drogen handeln usw., dann verlangt das neue Denken beim Staatsschutz, dass sich die Behörden in Zukunft jeden Autodieb auch unter dem Gesichtspunkt vornehmen, ob hier nicht eventuell ein Terrorist am Werke war. In Zukunft darf es nicht mehr vorkommen, dass der Staat sich selbst Informationen zu Straftätern vorenthält, die unter dem Gesichtspunkt der Anti-Terror-Informationsbeschaffung relevant sein könnten, bloß weil sie sich auf andere Delikte beziehen – und handele es sich dabei auch bloß um eine Geschwindigkeitsübertretung oder die Verletzung der Meldepflicht:

„Informationsgewinnung wurde künstlich von der Strafverfolgung getrennt; damit wurde verhindert, dass Ermittlungs- und Verfolgungsbehörden ihre Ressourcen integrieren konnten… Der PATRIOT Act hat bereits wesentliche Fortschritte in Richtung auf die gemeinsame Nutzung von Informationen zwischen verschiedenen Behörden und auf die Modernisierung unserer Mittel der Informationsgewinnung eingeleitet. Die Strafverfolgungsbehörden können nun Informationen über Terroristen, die sie durch Verhöre und Telefonabhörung gewonnen haben, an den Staatsschutz weitergeben (und umgekehrt).“ (Ashcroft)

„Gekonnt“ haben sie das bei Bedarf natürlich auch vorher schon; jetzt ist der Bedarf ein Dauerzustand und die Weitergabe wird zur Pflicht.

Effektiv wird diese umfassende „Zusammenarbeit“ erst durch die entsprechend orientierte und koordinierte Auswertung aller einschlägigen Erkenntnisse. Die nötige Technologie ist vorhanden;[5] was noch fehlt, ist die zum zielführenden Einsatz dieser Technologie passende Organisation:

„Gegenwärtig verfügt die US-Regierung über keine Institution, die vorrangig damit befasst wäre, systematisch alle Informationen und Erkenntnisse über mögliche terroristische Bedrohungen innerhalb der USA zu analysieren, wie es die CIA mit Bezug auf terroristische Bedrohungen im Ausland vornimmt.“ (Informationsblatt des Weißen Hauses zur Einrichtung des DHS)

Abhilfe wird im Rahmen des neuen Department geschaffen. Dort werden die Aufklärungsaktivitäten der diversen Ermittlungsbehörden zusammengefasst und von einer neuen Abteilung unter dem Gesichtspunkt der Terrorbekämpfung durchforstet. Als „Unterbau“ dazu verordnen sich die USA eine Totalüberholung ihrer verschiedenen „Dienste“. Alle im Bereich der Verbrechensbekämpfung tätigen Behörden, bis hinunter zur gewöhnlichen Polizeidienststelle vor Ort, werden darauf eingeschworen, dass sie bei ihrer Tätigkeit auch Hinweisen auf mögliche terroristische Verbindungen nachzugehen haben. Auf allen staatlichen Ebenen werden Task Forces gebildet, die solche Hinweise und Meldungen bearbeiten. Gekrönt wird diese Neuorientierung des Ermittlungs- und Verfolgungsapparats durch die Zusammenlegung von Spionageabwehr und „normaler“ Bundespolizei, was die Terrorbekämpfung angeht. In diese Neuorganisation werden auch die Behörden einbezogen, die für die Kontrolle der Grenzen zuständig sind; Ausländer rechtfertigen selbstverständlich einen besonderen Verdacht. Die Kompetenzen der Finanz-, Justiz-, Landwirtschafts- und Verkehrsministerien in Sachen Grenzsicherung und Grenzkontrolle werden im neuen Department zusammenfasst; auch die Küstenwache wird ihm unterstellt. Alle Besucher der USA – kanadische Diplomatengattinnen arabischer Abstammung bilden da keine Ausnahme – werden unter die gültigen Verdachtsmomente rassischer, herkunfts- und gesinnungsmäßiger Natur subsumiert und entsprechend behandelt; an Flug- und sonstige Passagier-Transportgesellschaften ergeht die Weisung, dem Staatsschutz vorweg Passagierlisten zu überlassen. Usw. Usf…

Ein neuer Haftgrund: Terrorismusverhinderung

Das Aufspüren von Terroristen ist der erste Schritt dazu, sie dingfest zu machen. Wenn sie dann dingfest gemacht sind, stellt sich aus der Sicht des Staates die Frage: Wie mit ihnen verfahren? Zwar ist diese Frage auch in den USA durch das gültige Strafrecht und die dazugehörige Strafprozessordnung längst beantwortet. Für diese Sorte Verbrecher erscheint die gültige Rechtslage dem Staat aber unzureichend, also reformbedürftig.

Erstens genügt es der Regierung nicht, Personen, die unter dem Verdacht terroristischer Umtriebe verhaftet werden, nur der „Vorbereitung einer Straftat“ anzuklagen und zu überführen. Er will sie unabhängig von der Beweisbarkeit des Vorwurfs und der Dauer einer eventuellen Strafe festhalten, denn sie könnten ihm als Instrument zum Aufdeckung und Verhinderung terroristischer Anschläge anderer nützlich sein. Die Sichtweise ist dem Strafrecht einerseits nicht fremd; von der Bestechung bis zur Einschüchterung kennt es vielfältige „Angebote“, die dem Objekt der staatlichen Neugier nahe legen, mit einschlägigen Kenntnissen rauszurücken. Aber diese Instrumente sind den US-Behörden im Umgang mit Personen, die sie mit Terrorismus in Verbindung bringen, viel zu kraftlos Sie erheben das Auspressen nützlicher Informationen gleich selbst zum Grund, Leute zu verhaften und so lange festzuhalten, bis die ermittelnde Instanz meint, alle interessierenden Fakten und Zusammenhänge in Erfahrung gebracht zu haben – und zwar im Unterschied zur bisherigen Rechtslage ganz ohne irgendeinen Bezug zu einer vermuteten Straftat. In diesem Sinne hat das FBI unmittelbar nach dem 11.9. alle männlichen US-Einwohner arabischer Herkunft zwischen 18 und 35 überprüft und ein paar Tausend von ihnen festgenommen. Seitdem wird eine unbekannte Zahl in Haft gehalten, unter irgendeinem nichtigen Rechtsvorwand oder gleich ohne Mitteilung von Gründen, ohne Zugang zu einem Anwalt; unter Geheimhaltung ihres Aufenthaltsorts auch vor Verwandten. Die Rechtmäßigkeit dieses Vorgehens wurde den Behörden ausdrücklich von amerikanischen Gerichten bestätigt: wegen des „besonderen Täterkreises“ und der von ihm ausgehenden Gefahr. Dasselbe gilt für den Einsatz „verschärfter Verhörmethoden“ zur Auspressung gewünschter Erkenntnisse. So ist jetzt auch von den freien Instanzen der Rechtspflege klargestellt, dass der Staat jede Freiheit hat, Individuen jenseits jeden Tatverdachts als Informationsquelle oder unwissentlichen Beiträger einzukerkern und auszuquetschen.

Bei seinen Methoden zur Erzwingung Terrorismus-relevanter Aussagen zeigt der Rechtsstaat, was mit ihm alles geht: Rechtsförmig dispensiert er sich von den Rechten des Angeklagten, mit denen die Justiz die freie Rechtsperson sonst auch dann respektiert, wenn sie die der Strafe zuführt. Jetzt können Leute im öffentlichen Fahndungs- und Sicherheitsbedürfnis festgehalten werden – ganz unabhängig davon, ob ihnen in Bezug auf entsprechende Taten überhaupt ein Vorwurf gemacht wird. Für andere, die als des Terrorismus überführt gelten, wird eine eigene Abteilung Gerichtsbarkeit eingerichtet, die Verfahren durchzieht und Urteile fällt, denen alle Merkmale eines ordentlichen Strafprozesses abgehen und ausdrücklich abgehen sollen: Öffentlichkeit, anwaltliche Vertretung etc. So stellt der Staat klar, dass hier nicht Verbrecher bestraft, sondern Staatsfeinde unschädlich gemacht werden. Sein Vernichtungswille erkennt terroristischen Kriegern oder Leuten, die er dafür hält, weder den Status des ausländischen Kriegsgefangenen noch den des inländischen Rechtsbrechers zu: Als unlawful combatants haben sie gar keine Rechte. Und in der Schublade von Justizminister Ashcroft soll der Entwurf eines PATRIOT ACT II liegen, der die längst praktizierte Behandlung auch von Amerikanern als enemy combatants legalisiert: durch Aufnahme der Ausbürgerung in das Arsenal staatlicher Verfolgungsmaßnahmen.

Rechtlosigkeit als rechtliches Konstrukt

Zur Durchsetzung des Programms bedient sich die amerikanische Regierung ihrer Kompetenz zur Rechtsetzung – und siehe da, es geht. Die Veränderung von einigen Paragraphen und ein paar Modifikationen der höchstrichterlichen Rechtsprechung, die ihrerseits die Zeichen der Zeit erkennt, machen aus der amerikanischen Rechtsordnung das passende Kampfinstrument im Anti-Terrorkrieg. Dieser Zweckbestimmung haben alle hinderlichen Rücksichten des Rechts zu weichen. Wo es um die Verhinderung terroristischer Straftaten geht, ist das Prinzip, dass eine Verhaftung sich auf einen Tatverdacht beziehen muss, einfach unzweckmäßig. Ebenso widerspricht das Rechtsprinzip der Unschuldsvermutung samt dem gerichtlich zu überprüfenden Nachweis der Zurechenbarkeit der Tat dem Anliegen, die Terrorgefahr im Vorfeld abzuwehren. Da reicht ein irgendwie gewonnener Verdacht, um Leute abzuurteilen und aus dem Verkehr zu ziehen. Sonst liefe ja möglicherweise einer frei herum, der das höchste Gut gefährdet, das das Recht kennt, den Bestand der rechtsetzenden Gewalt selbst. Erst noch nachzufragen, ob dieser Verdacht auch wirklich stimmt, und ihn mit strafrechtlicher Umständlichkeit zu überprüfen, wäre sozusagen eine Fahrlässigkeit des Staates, die solchen Machenschaften nur Raum schafft.

Bei der Umgestaltung ihres Rechtssystems folgt die Bush-Administration der Logik des Krieges, den sie den Terroristen erklärt. Im Krieg gilt ein höheres Recht, das die für den gewaltmonopolistisch kontrollierten Frieden geschaffenen Reglements und Strafprozeduren überwölbt und teilweise aussetzt. Wo die Nation als solche gefährdet ist – bzw. sich gefährdet sieht –, herrscht Kriegsrecht, werden die Gesetze und ihre Exekution in den Dienst der Selbstbehauptung der gefährdeten Staatsmacht gestellt und verändert, werden neue Straftatbestände konstruiert und Verfahrensregeln dem Ideal des „kurzen Prozesses“ gemäß gemacht. Für den neuen Feind, den Terroristen, schafft sich die Weltmacht einen ganz neuen Rechtsstatus: Sie macht Ernst mit der aus dem Wilden Westen bekannten Übersteigerung des Rechtsbrechers zum „outlaw“. Leute, die Amerika inoffiziell bekämpfen, stellen sich nach Auffassung des Justizministers und stehen deshalb wortwörtlich außerhalb des Rechts. Die Gesetze und sogar die Strafen und die Rechte im Strafprozess sind für im Prinzip rechtstreue Bürger gemacht. Dass sie solchen Gesetzen unterworfen sind, macht ihre Freiheit aus – ein Privileg, das unlawful combatants nicht zusteht. Sie werden nicht wie gesetzesbrüchige Bürger dem Recht unterworfen und – bis hin zur Todeszelle – mit einem „fair trial“, selbstgewählten Strafverteidigern und Zeugnisverweigerungsrecht als Rechtsperson geachtet, sondern schlicht als Feinde bekämpft. Dem „outlaw“ ist die Missachtung seiner Person, d.h. der mit diesem Status einhergehenden Rechte, angemessen; er hat es nicht verdient, nach den sonst gültigen rechtlichen Verfahren behandelt und abgeurteilt zu werden. Um die von ihm ausgehende Gefahr zu bannen, d.h. den Träger des bösen Willens auszumerzen, ist ein Sonderrecht fällig, das den Staat zu jeder für zweckmäßig gehaltenen Behandlung ermächtigt.[6]

Zur Vernichtung ihrer Feinde schafft die Regierung einer eigenen Sprachregelung zufolge ein paralleles Rechtssystem, das nur für Terroristen gilt und am Friedensrecht, das für Amerikaner gilt, also am gewohnten Verhältnis zwischen Bürger und Staat nichts ändert. Ganz so getrennt vom Justiz- und Polizeialltag, wie die Phrase vom parallelen Recht es haben will, ist die neue Praxis dennoch nicht. Das flächendeckende Erfassen und Ermitteln der Staatsschutzbehörden zielt ja erst darauf, zwischen Schuldigen und Unschuldigen zu sortieren und zu entscheiden, wer dem verdächtigen Personenkreis zuzurechnen ist und wer aus ihm ausgenommen werden kann. Damit ist die allgemeine Rechtslage geändert und jeder betroffen, der das Pech hat, die Aufmerksamkeit der einschlägigen Behörden auf sich zu ziehen.

[1] Bush selbst vergleicht die Einrichtung des neuen Amtes mit der Schaffung des Verteidigungsministeriums und des National Security Council durch Truman, um das Land für den Kampf gegen die Russen zu wappnen: Heute brauche Amerika „ähnlich dramatische Reformen, um unser Volk zu Hause zu schützen.“ (Rede an die Nation vom 6.6.02)

[2] Siehe dazu: Der islamische Fundamentalismus, GegenStandpunkt 1-95, S.40

[3] Wenn kritische Menschen den neuen Erfassungswahn der US-Behörden als „Rückkehr des McCarthyismus“ anprangern und die Bekämpfung des Terrors als dafür bloß vorgeschobene Begründung kennzeichnen, treffen sie die Sache nicht. Damals wie heute stören linke Intellektuelle, Schauspieler etc. den Staat nämlich in etwas anderer Hinsicht als die Terroristen: als Personen, die als Teil der „geistigen Elite“ einen amerikafeindlichen, zersetzenden Einfluss auf die öffentliche Meinung ausüben und deswegen aus dem Verkehr gezogen gehören. Mit dem Ausspionieren und Einschüchtern bis hin zu Berufsverboten hat McCarthy solchen Intellektuellen bei Strafe des Verlustes ihrer bürgerlichen Existenz klar gemacht, dass unamerikanisches Denken für sie gefährlich ist; die lieben Kollegen taten das Übrige, und auch die abschreckende Wirkung auf alle, die an solchem Gedankengut Gefallen finden könnten, stellte sich wie beabsichtigt ein. Diese Strategie verfolgt der Staat seinen neuen Feinden gegenüber nicht. Erstens geht er selbstverständlich davon aus, dass kein Ami an deren Gedankengut Gefallen finden könne – Ausnahmen bestätigen die Regel. Und zweitens will er diesen Leuten auch nicht irgendeinen politischen Einfluss verwehren, um den es ihnen selbst gar nicht geht, sondern sie ganz schlicht aus dem Verkehr ziehen. Dass der Staat im Zuge seines Anti-Terrorprogramms auch Leute mit abweichender Gesinnung neu ins Visier nimmt, versteht sich gerade deshalb von selbst: Zu potentiellen Beförderern des Terrorismus werden diese Leute dadurch, dass sie die nationale Wachsamkeit gegen den Feind untergraben. Die Absicht der Bombenlegerei braucht ihnen dafür gar nicht unterstellt zu werden, nicht einmal geistige Nähe zum islamischen Terrorismus. Proteste, die Schutz- und Freiheitsrechte des amerikanischen Bürgers verletzt sehen, nimmt der Staat als Schwächung seiner Freiheit beim Zuschlagen – und schließt messerscharf auf den Tatbestand unamerikanischer Gesinnung bei Leuten, denen die nationale Sicherheit so wenig wert ist.

[4] Nach einer erzwungenen Umbenennung in „Terrorism Information Awareness Office“ und ungefähr einem Jahr Datensammeln muss das Verteidigungsministerium die Behörde wieder schließen. Der Kongress bewilligt die Finanzierung nicht länger; ihm gehen, prominenten Abgeordneten zufolge, die Übergriffe auf die Privatsphäre der Bürger zu weit. Vielleicht sind auch nur Zweifel an der Nützlichkeit der teuren personenbezogenen Datenbanken aufgekommen, seitdem die reformierten Geheimdienste wieder Tritt gefasst haben.

[5] IT-Systeme liefern einen Beitrag zu jedem Aspekt der inneren Sicherheit. Obwohl die amerikanische IT die entwickeltste der Welt ist, unterstützt das IT-System die Aufgaben der inneren Sicherheit nicht adäquat. Datenbanken, die genutzt werden für die Strafverfolgung, Einwanderung, für Geheimdienste, öffentliche Gesundheitsvorsorge und Notfallmanagement, werden in einer Art und Weise miteinander verbunden, die es uns erlaubt nachzuvollziehen, wo es Informationslücken und Redundanzen gibt. (Executive Summary)

[6] Kürzlich hat ein US-Gericht die Klage eines Insassen des Konzentrationslagers in Guantánamo zurückgewiesen, der die in den USA gültigen Rechte für Gefängnisinsassen einforderte. Begründet wurde dieser Bescheid damit, dass sich das Camp nicht auf amerikanischem Boden befinde, amerikanisches Recht deshalb dort nicht einklagbar sei. Das ist gelungen: Genau wegen dieser juristischen Bequemlichkeit hat man das Lager auf Kuba errichtet.