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GegenStandpunkt 2-17
Politische Vierteljahreszeitschrift

Erscheinungsdatum
23.06.2017

Angesichts von Trump, Brexit etc.
Deutschlands Leitlinie für Europas Völker
Gegen populistische Verführer – entschlossene demokratische Führung im Dienste deutsch-europäischer Macht!

Europas Völker liefern der deutschen Politik reichlich Grund zur Sorge – gerade jetzt, angesichts eines neuen US-Präsidenten, in dem die politisch Verantwortlichen in Berlin und anderswo einen undemokratischen Populisten entdecken, der sein Volk wahlweise verführt oder betrügt. Ihre Sorge gilt freilich weniger dem amerikanischen Volk als ihrem europäischen Staatenbündnis, das Trump als konkurrierendes ökonomisches und politisches Machtprojekt und Vehikel einer deutschen Führungsmacht bekämpfen will. Sorgen macht ihnen der erkennbar radikale Wille des US-Präsidenten, Amerikas Macht zur Korrektur der „bad deals“ der Vergangenheit einzusetzen. Damit desavouiert sich der gewählte Präsident für deutsche Begutachter als un-verantwortlicher Machthaber und ist damit hinreichend auf den Begriff gebracht – als Zerstörer einer guten, nämlich ‚unserer‘ bisherigen Welt‚ordnung‘.

Umso dringlicher also – die Kanzlerin besteht wiederholt darauf –, dass die Völker Europas endlich ihr Schicksal wirklich in die eigene Hand nehmen. Was das heißt, buchstabieren Merkel & Co den Völkern der Staatengemeinschaft samt ihren politischen Anführern als deren alles überragende Aufgabe vor: die Bekämpfung des „anti-europäischen Populismus“, der sich überall auch auf dem Kontinent breitmacht. Ganz Europa ist es Deutschland schuldig, jeden Nationalismus zu unterbinden, der Deutschlands Vormachtrolle in Europa angreift.

Patriotische Kräfte, die an Deutschlands Führungsrolle leiden, gibt es in Europa genug. Sie machen damit Politik, dass sie die verheerenden Resultate von Konkurrenz und Krise als Konsequenzen der Fremdbestimmung aus Berlin und Brüssel angreifen, die Nöte ihrer Völker der fehlenden Durchsetzung ihrer nationalen politischen Eliten gegen dieselben anlasten und als Beweis der Fremdbestimmung die Anwesenheit von unerwünschten bis verhassten Ausländern und – ausgerechnet – Elendsflüchtlingen anführen. Von ihrem jeweiligen Volk zeichnen sie das überaus populäre Bild einer nationalen Schicksalsgemeinschaft, die zum Schutz ihres bedrohten Rechts auf Identität und Heimat mehr nationale Durchsetzung ihres Staats in der innereuropäischen Konkurrenz unbedingt braucht. Mehr nationale Souveränität gegen Merkels ‚Despotie‘ propagieren nationalbewusste Führer als politische Alternative und Dienst am beleidigten Volk – und finden damit so viel Anklang, dass kaum noch eine Wahl in Europa die Bequemlichkeit eines bloßen Personalwechsels für die feststehenden Staatsanliegen hat, die maßgeblich durch die Mitgliedschaft in der Union und Deutschlands Richtlinienkompetenz für dieselbe definiert werden. Äußerst prekär für jede Perspektive eines machtvollen deutschen Antiamerikanismus.

Einstweilen sind allerdings die „Schicksalswahlen“ in Europa nach dem Geschmack der Kanzlerin verlaufen. Vor allem der für Merkels Europaprojekt unverzichtbare linksrheinische Partner hat in Gestalt von Emanuel Macron den Populisten – nicht nur von rechts! – eine Lektion erteilt. Als der entschiedenste Kämpfer gegen das alte „Establishment“ ist er angetreten. Mit einem Programm, das schlicht Macron heißt – nämlich frei von parteipolitischen Fesseln, weder „links noch rechts“, pur mit dem in seiner Person garantierten Versprechen, als nur den nationalen Interessen verpflichteter Führer Frankreich mit aller gebotenen Rücksichtslosigkeit gegen Partikularinteressen und überkommenes Besitzstandsdenken in und mit Europa wieder groß und mächtig zu machen. Die Personifizierung tatkräftiger nationaler Herrschaftsgewalt mit pro-europäischen Vorzeichen: das ist zeitgemäßer demokratischer Antipopulismus, wie Deutschland ihn schätzt – und zugleich auf seine europapolitische Agenda festzulegen beansprucht.

Dass die Inszenierung von Führungsstärke kein Privileg junger „unverbrauchter“ Gestalten sein muss, demonstriert zu Hause die Kanzlerin selbst. Dass es hierzulande keinerlei anerkennenswerte Gründe für soziale Unzufriedenheit gibt, sagt sie ihrem Volk ohnehin ständig auf den Kopf zu. Aber den nationalistischen Sorgen, den „Überfremdungs-“ und „Terrorängsten“ besorgter Patrioten, spricht sie inzwischen eine gewisse Berechtigung nicht ab; die legitimieren allerdings keine Misstrauenserklärung in die Regierung. Mit dem Angebot an den als „Flüchtlingsproblem“ anerkannten Ausländerhass, mit aller staatlicher Härte gegen unberechtigte, kriminelle und terrorverdächtige Fremde vorzugehen, ergeht ans aufgerührte Volk zugleich das Gebot, sich auch der ungeliebten Flüchtlingspolitik endgültig zu fügen; und damit die Aufforderung, die streitbare Heimatliebe gefälligst vertrauensvoll in den Händen der C-Parteien zu lassen. Das in jeder ordentlichen Demokratie schlagendste Argument dafür hat Merkel sowieso auf ihrer Seite: Die seit über einem Jahrzehnt mit der Macht ihres Amtes herbeiregierte Realität, mit der sie jede Alternative ausschließt, beweist gründlich die Alternativlosigkeit ihrer Führerschaft. Und im Lichte der nationalistischen Einsortierung der Anfeindungen des neuen US-Präsidenten als Gipfel politischer Unvernunft erübrigt sich dann endgültig jeder Einwand: Merkels Politik im Dienste deutschen Kapitalwachstums und machtvollen Einflusses in Europa wie der Welt nimmt sich demgegenüber als Verwirklichung wirt­schaftlicher Urvernunft, Freiheit und Weltoffenheit aus, als deren letzte Hüterin sich die Kanzlerin gebührend präsentiert. Die herrschaftlich verfügten Lebensverhältnisse ihres Volkes bekommen damit das Kompliment, die perfekte Synthese verantwortungsvoller Realpolitik und weltoffener Moral zu sein – und die Verteidigung dieser so einzigartigen wie unverzichtbaren Heimstatt weltpolitischer Verantwortung verlangt in „unsicheren Zeiten“ umso dringender nach der fortgesetzten Regentschaft der Kanzlerin. Die Macht, die sie seit über einem Jahrzehnt ausübt, ist das überragende Argument dafür, sie weiter in ihre Hände zu legen. Als Amtsbonus ist es das, was dem SPD-Konkurrenten bei allem öffentlich herausposauntem Willen zur unbedingten Führerschaft – Ich will Kanzler werden! – fehlt, um sich als kongeniale starke Persönlichkeit in Szene zu setzen.

So bieten die radikalen Anwälte des Volkswillens wie ihre etablierte, auf die fraglose Zustimmung des Volks abonnierte Konkurrenz ein Lehrstück in Sachen Demokratie. Mit ihrer Agitation und ihren Maßnahmen sorgen die Führer diesseits wie jenseits des Atlantik dafür, dass der Verdacht gar nicht erst aufkommt, Demokratie hieße, das verehrte Volk würde seine Anliegen und Bedürfnisse anmelden und zum verbindlichen Leitfaden für das Regierungshandeln machen. Es bleibt dabei: Die Machtanwärter und -inhaber definieren, was Volkes Wille ist. Seine Nöte werden zitiert, um es mit dem Nöten der Herrschaft vertraut zu machen – was ihr in der Konkurrenz um Macht und Reichtum zwischen den Staaten zu schaffen macht. Der Erfolg im Kampf ist das politische Programm, das Versprechen von nationalen Machtaspiranten nichts als machtvolle Führung im Interesse staatlicher Souveränität. Dieser staatliche Kampfauftrag wird dem Volk als sein nationales Bedürfnis und ihre entschlossen angegangene Führungsaufgabe nahegebracht; und dafür wird es praktisch in Anspruch genommen. Das ist der Volkswille an der Macht.