Das Öl - ein Geschäftsartikel erster Klasse
Seit die Erdöl exportierenden Staaten zu Beginn der 70er Jahre den langjährigen Trend zur Verbilligung ihres einzigen Exportartikels ziemlich abrupt gestoppt haben, und erst recht seit den Bemühungen dieser Staaten gegen Ende des Jahrzehnts, in größerem Umfang als zuvor Nutznießer des Geschäfts mit dem Naturprodukt ihres Landes zu werden, sind im kapitalistischen Westen zur Frage ausgerechnet der "Energieversorgung" Ideologien populär geworden, die schon kaum mehr zum Instrumentarium des falschen staatsbürgerlichen Bewußtseins gehören, sondern bereits den Tatbestand einer in der Öffentlichkeit wider besseres Wissen akzeptierten Lüge erfüllen.
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Das Öl - ein Geschäftsartikel erster Klasse
Seit die Erdöl exportierenden Staaten zu Beginn der 70er Jahre den langjährigen Trend zur Verbilligung ihres einzigen Exportartikels ziemlich abrupt gestoppt haben, und erst recht seit den Bemühungen dieser Staaten gegen Ende des Jahrzehnts, in größerem Umfang als zuvor Nutznießer des Geschäfts mit dem Naturprodukt ihres Landes zu werden, sind im kapitalistischen Westen zur Frage ausgerechnet der "Energieversorgung" Ideologien populär geworden, die schon kaum mehr zum Instrumentarium des falschen staatsbürgerlichen Bewußtseins gehören, sondern bereits den Tatbestand einer in der Öffentlichkeit wider besseres Wissen akzeptierten Lüge erfüllen.
So gelten "die Ölscheichs" als "Erpresser", ihre Preispolitik als "räuberisch"; und die gelehrte Beschwerde über eine "Eskalation des wirtschaftlichen Drohpotentials der Förderländer" nimmt sich noch moderat aus gegenüber dem Befund, die OPEC stelle "nach unserem Recht eine kriminelle Vereinigung" dar. Dabei nehmen gleichzeitig herzliche wechselseitige Staatsbesuche und groß dimensionierte "joint ventures" seriöser Kapitalisten mit den orientalischen "Wirtschaftsverbrechen!" einen ungetrübt harmonischen Fortgang, vom Ölgeschäft selbst ganz zu schweigen; und die "unberechenbaren" Machthaber dort unten werden vom Westen ganz unbefangen mit den modernsten Waffensystemen beliefert - ein sehr interessanter Umgang des angeblichen "Opfers" mit seinen angeblichen Räubern und Erpressern!
Komplementär dazu malen die Begutachter und Exekutoren der internationalen Konkurrenz für ihre heimischen "Volkswirtscharten" eine aus der "Ölabhängigkeit" erwachsende Katastrophe an die Wand. Bei jedem Dollar, um den der Ölpreis steigt, wird offiziell der alsbaldige Ruin der Nation befürchtet, die kaum mehr "ihre Ölrechnung" begleichen könnte - und das in einem Atemzug und auf derselben Wirtschaftsseite mit gelassenen Berichten über "befriedigende" Geschäftsabschlüsse sämtlicher wichtigen nationalen Unternehmen, über gigantische Gewinne und Investitionsprogramme der Energiekonzerne, über preisgünstige Kohleeinfuhren aus Polen und über die gelungene, für Daimler-Benz und VW jedenfalls sehr einträgliche "Neuordnung" des weltweiten Automarkts.
Schließlich findet sogar die Idiotie von einer weltweiten zunehmenden Knappheit "unserer" Energievorräte auf Erden jede ,Menge Nachbeter. Sparsamkeitsapostel rechnen das natürliche Ende "unserer Zivilisation" für die nächsten Jahrzehnte aus - und finden mit ihren Prognosen allgemeinen Respekt, obwohl von den großindustriellen Herstellern von Energie fast täglich, und vor allem anläßlich jeder Ölpreissteigerung, neue Erfolgsmeldungen darüber zu hören sind, welche Techniken zur Brennstoffgewinnung und zur Energieerzeugung sich neuerdings auf einmal lohnen und um wieviele zusätzliche Jahrzehnte "unsere Energieversorgung" damit auf einmal wieder "sichergestellt" sei.
Ölpreis oder Energieknappheit?
Die Vorstellung, die ganze Welt litte im Grunde jetzt schon und demnächst ganz akut Mangel an Energie, mitsamt der moralischen Schlußfolgerung, ein anständiger Mensch hätte sich daher beim Verbrauch von Energie äußerste Zurückhaltung aufzuerlegen, ist ein Schwindel, berechnet auf den "kleinen Mann", der aus einem ganz anderen Grund mit Energie tatsächlich haushalten muß: wegen ihres Preises. Die Dummheit, sich den eigenen Mangel an Geld als weltweiten Mangel des kostspieligen Gutes Energie vorzustellen, ist bei aller Popularität unentschuldbar. Denn sogar die darauf spekulierende propagandistische Rechtfertigung hoher und weiter steigender Energiepreise mit dem gemeinen Hinweis, dies sei nun einmal die der "Marktwirtschaft" angemessene liberale Methode, das Volk im nötigen Umfang zur Tugend der Sparsamkeit anzuhalten, läßt den wirklichen Zusammenhang durchblicken. Wo für den "Endverbraucher" durch höhere Preise Energie tatsächlich zu einem "kostbaren Gut" wird - mit pseudowissenschaftlichen Erleuchtungen über die Begrenztheit des Globus darf er sich dann darüber trösten! -, da wird durch dieselben höheren Preise für die Energieproduzenten ihr Produkt zukunftsreicher - denn in ihr praktisches Geschäftsgebaren finden die von ihnen in die Welt gesetzten Knappheitslügen keinen Eingang. Im Gegenteil: Zum einen ist die Ölförderung während der Hochkonjunktur dieser Lügen gestiegen wie noch nie, zum anderen verbesserte jede Preiserhöhung die Grundlage dafür, mit anderen Techniken, den Artikel "Energie" zu erzeugen, ein Geschäft zu machen. Und dies so triviale - deswegen in der Öffentlichkeit auch einhellig für "zu einfach" befundene - Prinzip: ein Geschäft muß sich damit machen lassen! ist schon das ganze "Geheimnis" sämtlicher - bekanntermaßen widersprüchlichen - Kalkulationen um die Weltenergievorräte". Umgekehrt: der berühmte "Endverbraucher", in den besorgten bis apokalyptischen Visionen vom Versiegen "unserer" Energiequellen als moralisch verantwortliches Subjekt jeglichen Energieumsatzes haftbar gemacht, ist überhaupt nicht das wirkliche ökonomische Subjekt seines eigenen Energieverbrauchs. Das wirkliche ökonomische Verhältnis sieht vielmehr so aus, daß er gezwungen ist, sich mit seinen Zahlungen zum Mittel des Energiegeschäfts zu machen. Und für dieses Geschäft ist es sogar günstig, wenn dem "Endverbraucher" in zunehmender Proportion nicht mehr für viel Energie relativ wenig, sondern für die benötigte Energie viel Geld aus der Tasche gezogen wird.
Ölgeschäft und kapitalistische Volkswirtschaft
Wertprodukt und Produktenwert - Der Monopolpreis fürs Öl - Wirkungen des niedrigen Ölpreises - Die "Ölpreisexplosion" - Wirkungen des gestiegenen Preises - Zahlungsbilanzprobleme und "Recycling" der Petrodollars
Die ergänzende Vorstellung einer beständig wachsenden nationalen "Ölrechnung", die "unsere Volkswirtschaft" Jahr für Jahr zu begleichen hätte, ist eine Albernheit, wiederum berechnet auf den "kleinen Mann", der sich den nationalen Kapitalkreislauf nach dem Muster seines Privathaushalts vorstellen soll - und dazu offenbar auch sehr geneigt ist. Auch hier sieht die ökonomische Realität ziemlich genau umgekehrt aus. Solange es nämlich überhaupt noch ein Ölgeschäft gibt - und ohne Ölgeschäft hätte das Öl als Gebrauchsgut ausgedient in unserer Welt! -, sind die kapitalistischen Ökonomien des Westens nicht dessen Opfer, sondern dessen Macher und Nutznießer.
l. Wie sich die Bezahlung eines für die Produktion notwendigen Geschäftsartikels zum nationalen Wirtschaftskreislauf verhält, war schon früher ein beliebter Stoff für ökonomische Fabeln. Marx konnte mit der schlichten Klarstellung über die Natur des Wertprodukts und dessen Differenz zum Produktenwert die einschlägigen Rätsel des Titels "Wer soll das bezahlen?" auflösen bzw. aus der Welt schaffen. Seine Argumente gelten auch heute noch, auch wenn der Geschäftsartikel Öl heißt und die Fabeln noch dümmlicher abgefaßt sind. Es ist ja gar nicht wahr, daß das importierte Öl aus dem als Einkommen verwendeten Wertprodukt der nationalen Ökonomie bezahlt werden müßte; das gilt nur, soweit sein Preis in den Produktwert nicht produktiv konsumierter Güter eingeht. Für die produktiven Konsumenten ist die Ölrechnung nicht mehr und nicht weniger als ein Kostenfaktor, der als auf das Produkt übertragener Wert in dessen Produktionspreis wiedererscheint. Die Begleichung der Ölrechnung hat in dieser maßgeblichen Hinsicht also ökonomisch den Charakter eines Vorschusses, der sich mit dem Verkauf des Produkts, gleichgültig an wen, aus einheimischer oder ausländischer Revenue oder einheimischem oder auswärtigem erneuten Kapitalvorschuß, bezahlt macht. Was sich mit dem Ölpreis ändert, ist also zunächst nichts als die notwendige Höhe des Vorschusses für konstantes Kapital; deswegen ändert sich dann auch die Höhe des zu realisierenden Produktenwerts, also in zweierlei Hinsicht die Konkurrenzsituation der Produzenten; zu untersuchen bleibt, wie.
2. Bis vor wenigen Jahren machten die Ölkonzerne ihr großes Geschäft auf der Basis und mit Hilfe eines zeitweise geradezu exorbitanten weltweiten Überangebots an Erdöl; mit Kapazitäten, die bisweilen um ein Mehrfaches über der tatsächlich abgesetzten Fördermenge lagen. Die Entdeckung und Erschließung neuer Erdölfelder vor allem im Nahen und Mittleren Osten war dank der Konkurrenz der "Großen Schwestern" um die restlose Aufteilung sämtlicher Petroleumpfützen des Erdballs so rasch vorangekommen, daß der Verbrauch gar nicht Schritt halten konnte.
Garantiert war das Geschäft nach der einen Seite hin durch die Ausschaltung jeder Preiskonkurrenz, nämlich durch einen zwischen den Hauptkonkurrenten einvernehmlich festgelegten Mindestpreis. Bis zur Mitte des Jahrhunderts lautete dessen Formel "Golf plus Fracht": nirgends sollte Rohöl billiger zu haben sein, als es dem Gestehungspreis an der Südküste des seinerzeitigen Hauptexportlandes, der USA, zuzüglich der von dort aus theoretisch anfallenden Frachtspesen entsprach. Mit dem Fortschritt der USA nach dem 2. Weltkrieg zum größten Ölimporteur der Welt änderte sich nicht das Preisdiktat der amerikanischen 01-konzerne, sondern allein ihre Berechnungsformel: weltweit maßgeblich wurde für die 50er Jahre der New Yorker Ölimportpreis, also ein den Transport nach New York und die Versicherungskosten einschließender Preis, der so berechnet war, daß das Geschäft der US-Gesellschaften mit ihrem einheimischen Öl keiner Preiskonkurrenz durch Zufuhren von auswärts ausgesetzt war. Gleichzeitig war damit sichergestellt, daß keine andere Nation sich durch günstige Ölpreise einen Konkurrenzvorteil gegenüber den USA verschaffen konnte; dafür durften sie die Gewinne der Ölkonzerne mit finanzieren. (Ein schönes Beispiel für die pax americana nach dem 2. Weltkrieg.) Und dieser Mindestpreis lag stets um ein Vielfaches über den Unkosten auf den neuen Ölfeldern, die paar Cents an "royalties" und die paar tausend Dollar an Bohrlizenzen für die zuständige politische Herrschaft des jeweiligen Erdenwinkels schon mit eingerechnet. Die in den 60er Jahren von einigen Ölförderländern erstrittene Festlegung von fob-(free on board).E;)cportpreisen, dem ,,posted price", auf den sich die Gewinnkalkulation der Ölkonzerne und damit die von den Förderländern durchgesetzte 50 %ige Beteiligung ihres Fiskus am Verkaufsgewinn beziehen mußte, bedeutete gegenüber dem vorherigen Zustand für die Ölgesellschaften kaum mehr als eine Änderung ihrer Abrechnungsmodalitäten, die für jede gewünschte Manipulation Raum ließen. Daher sahen sich denn auch diejenigen Förderländer, die in diesem Jahrzehnt eigene nationale Ölgesellschaften gründeten und mit einem Fördermonopol ausstatteten, mit einem Verfall ihrer Listenpreise konfrontiert, den die in die Rolle des Kunden gedrängten Ölgesellschaften diktierten - ohne daß dadurch deren USA-internes Geschäft in Mitleidenschaft gezogen worden wäre. Stets verdankte sich der Preis, zu dem die Verbraucher in den kapitalistischen Staaten an Ölprodukte kamen, einer freien monopolistischen Festsetzung durch die Öl-Multis - den sieben "Großen Schwestern" schlössen die "Independents" sich da gerne an! -, die dabei immer die Bedingungen ihres Geschäfts mit dem im eigenen Land gepumpten Stoff aufrechterhielten.
Bedingung für die problemlose Realisierung dieses Mindestpreises war auf der anderen Seite, daß das Erdöl in den "Verbraucherländern" in allen seinen Anwendungsgebieten im Vergleich mit anderen Rohstoffen oder "Energieträgern" konkurrenzlos billig war; so billig, daß die Zunahme des Ölverbrauchs zwar noch mit erheblichem Abstand, aber doch rasch und kontinuierlich der Vermehrfachung des Angebots hinterherwuchs und die Ölgesellschaften nicht in ihrem Petroleum, sondern in Geld schwammen.
Kleinere nationale Ölanbieter, auch die mancherorts gegründeten staatlichen, existierten und existieren bis heute nicht in Konkurrenz zu den von den Großen gesetzten Geschäftsbedingungen, sondern auf deren Grundlage. Meist handelte es sich sowieso um gänzlich abhängige Vertriebsgesellschaften, die mit dem Abnahme- praktisch auch ihren Abgabepreis diktiert bekamen. Und soweit sie an eigene Lieferverträge mit den Staatsgesellschaften irgendwelcher Förderländer gelangten, konnten sie ja zusehen, wie sie mit ihren paar Millionen barrels in die Konkurrenz einstiegen und die Preise drückten - sie haben es denn auch gar nicht erst versucht. Schon gar nicht ist der "freie Spotmarkt" in Rotterdam dafür eingerichtet worden oder je dazu angetan gewesen, im Ölgeschäft Marktkonditionen nach den üblichen Regeln der Konkurrenz herzustellen oder als Börse nach dem Muster sonstiger Warenbörsen zu fungieren. Bis heute dient er im wesentlichen dem Ausgleich kurzfristiger, nicht schon vorab gemanagter Schwankungen im Verhältnis von Zufuhr und Verkauf innerhalb der konzerneigenen Vertriebswege: Da erklärt schon mal die eine große Ölgesellschaft angesichts ihrer Ölbestände die Einschleusung einer Tankerladung in ihre Raffinerien für weniger lohnend und bietet sie feil; eine andere Ölgesellschaft kommt aufgrund ihrer momentanen Geschäftslage zum umgekehrten Schluß, läßt vielleicht auch einen Tanker etwas langsamer oder nach Japan statt nach Holland fahren und kauft ein; und die Nischen dieses Geschäfts sind immer noch groß genug, daß sogar noch ein Haufen Spekulanten und einige hundert oder tausend freie Tankstellen und Vertriebsstellen quasi als untergeordneter Puffer im großen Ölgeschäft davon existieren konnten und können.
Auf der Grundlage eines überreichlichen Angebots, um dessen Aufteilung zwar gegeneinander, aber nie zugunsten des Förderlandes konkurriert wurde (da wäre ja aus dessen politischem Monopol ein regelrechter Monopolpreis geworden!), und eines konkurrenzlos niedrigen Abgabepreises, um den nicht konkurriert wurde, ist es den Öl-Multis somit gelungen, die Ölversorgung der freien Welt von der Exploration bis zur Tankstelle in den Griff zu bekommen. Den nationalen Fördergesellschaften gegenüber, wo es sie gab, traten sie als alleinige Aufkäufer und Repräsentanten einer hinter dem Angebot zurückbleibenden Nachfrage auf, ihrer eigenen Kundschaft gegenüber dagegen als echte Monopolisten. Auf diese Weise haben sie bis heute verhindert, daß aus ihrem Verkaufsschlager eine "normale" Ware mit weltweiter Konkurrenz um den Produktionspreis wurde.
3. Daß der "kleine Mann" in seiner Eigenschaft als "Endverbraucher" von der konkurrenzlos geringen Höhe dieses Monopolpreises besonders profitiert hätte, gehört ins Reich der frommen Fabeln: Jeder genußträchtigen Ausweitung seiner Zahlungsfähigkeit, die sich da hätte einstellen können, wurde durch staatliche Abschöpfung in Form von Mineralölsteuer entgegengewirkt, so daß sich auch in Sachen Öl das Verhältnis von Geschäft und Kaufkraft nicht verdreht hat.
Dafür kam die produktive Konsumtion von Energie und Rohstoffen auf Erdölbasis zu ihrem Vorteil. Dem industriellen Kapital - und sogar dem westeuropäischen Bauern, der ohne preiswert zu betreibende Dieselmotoren den Übergang zu einer industriellen Produktionsweise mit Sicherheit nicht so rasch geschafft hätte! - bescherte das billige Erdöl eine Steigerung der Produktivität; insofern kam das konkurrenzlose Ölgeschäft der Multis also der nationalen Akkumulation insgesamt zugute. Dem leichter und rascher akkumulierenden Kapital taten sich in den Neben- und Unterabteilungen des Erdölgeschäfts neue Betätigungsfelder auf, die den Ruin der Anlagesphäre Kohlebergbau - zur Sicherung des für erforderlich erklärten Minimums in dieser Branche griff der Staat ein - leicht verschmerzen ließ. Speziell in der BRD, für die das Öl durch mehrfache Aufwertung der DM gegenüber dem Dollar im Laufe der Jahre noch immer billiger wurde, ist so manches Kapital zwar nicht durch den vergleichsweise günstigen Ölpreis, aber mit ihm als günstiger Kostenbedingung rascher in jene Größenordnung hineingewachsen, die erforderlich ist, um nun erstens aus den allgemein steigenden Kostpreisen eben für den "Produktionsfaktor" Öl einen Vorteil in der internationalen Konkurrenz herauszuholen und um zweitens erfolgreich in das aufwendige Geschäft mit neuen Methoden der Energiebeschaffung einzusteigen.
4. Die Zeiten eines problemlos niedrigen Monopolpreises für Erdöl gingen im Jahr 1973 abrupt zu Ende, und zwar mit dem kurzfristigen Lieferboykott einiger arabischer Länder und der Folge einer akuten Ölknappheit, die den in der OPEC kooperierenden Regierungen die Chance bot, den Abgabepreis ihrer nationalen Ölgesellschaften einseitig heraufzusetzen bzw. den Listenpreis der in ihrem Land tätigen Multis um einen entsprechenden Staatsanteil zu erhöhen. Schon an dieser Konstellation des Jahres 1973 ist abzulesen, daß - entgegen dem ersten Augenschein - der Grund für die seinerzeitigen Preiserhöhungen, und für alle seitherigen gilt dasselbe, nicht in der politischen Absicht der Lieferländer liegt, sich höhere Einnahmen aus dem Geschäft der Ölkonzerne mit ihrem Rohstoff zu sichern. Schließlich war die OPEC bereits dreizehn Jahre zuvor gegründet worden und hatte seitdem noch nicht einmal ihr anfängliches bescheidenes Ziel verwirklichen können, dem Sinken ihrer Einnahmen entgegenzuwirken. Die politischen Maßnahmen einiger Regierungen mit dem Ziel, sich zum ökonomischen Subjekt des Ölgeschäfts zu machen, nämlich die Gründung nationaler Ölgesellschaften, die Übertragung von Förderlizenzen auf diese und eben der Kampf um eine einigermaßen respektable Verhandlungsposition gegenüber den 01-konzemen, dem die Gründung der OPEC dienen sollte, hatten zwar manche rechtliche Formen der Abwicklung des Ölgeschäfts modifiziert, aber nicht das Geringste an den ökonomischen Prinzipien dieses Geschäfts geändert. Und die lauteten eben: niedriger Monopolpreis, deswegen dauernde Expansion der Absatzmenge, lückenlose einvernehmliche Aufteilung aller in Frage kommenden Fundstätten sowie gegen Null tendierende Gestehungspreise für den Rohstoff ab Quelle bzw. Grenze.
Es waren diese Prinzipien des weltweiten Ölgeschäfts, die zu Beginn der 70er Jahre zu einer Modifikation ihrer eigenen Voraussetzungen führten. Auf der Seite der Nachfrage nach Erdöl hatte der niedrige Ölpreis seine Wirkung getan und den Markt für Erdölprodukte in dem von den Anbietern gewünschten Umfang "explodieren" lassen. Umgekehrt war die Aufteilung der Fördergebiete, in denen die Produktionsunkosten, d.h. die zugestandenen Abgabepreise in der gewünschten Relation unter dem feststehenden geringen Monopolpreis lagen, mit der Erschließung der Ölquellen des nördlichen und mittleren Afrika zu einem gewissen Abschluß gekommen, und erweiterte Zufuhr hätte zu gegebenem Preis nicht mehr die gewohnten Gewinne abgeworfen. Die logische Konsequenz, von der die großen Ölgesellschaften sicher zuallerletzt überrascht wurden, war die, daß in dem "Schicksalsjahr" 1973 erstmals die Nachfrage nach Öl das Angebot überstieg: nur deswegen konnte die Unterbrechung einiger arabischer Lieferungen zu einer zeitweiligen Ölknappheit in der westlichen Welt führen - und auch das nur, weil die Ölgesellschaften, statt ihren auf den Weltmeeren dümpelnden Tankschiffen die Order zu schnellerer Fahrt zu geben, ihrerseits beschlossen hatten, ihre Kundschaft das geänderte Verhältnis zwischen Nachfrage und Zufuhr spüren zu lassen und mit der Erhöhung ihrer Monopolpreise neue Konditionen für die lohnende Ausweitung des Nachschubs zu schaffen. Daß die Herrscher über die kostengünstigsten Fördergebiete auf dem Globus dabei mit der Vermehrfachung ihrer wahrlich minimalen Abgabepreise die Initiative ergriffen und mit ihrem kurzfristigen Ölboykott den politischen Anlaß zur Heraufsetzung des Ölpreises schufen, ändert nichts an dem ökonomischen Sachverhalt, daß sie damit keineswegs den Grund für eine veränderte Kalkulation im Ölgeschäft schufen - bei fortdauerndem Überschuß an Öl zum alten Preis hätte ihr "politischer Kraftakt" sich sehr rasch als peinlicher Fehlversuch herausgestellt! Wie souverän sie sich politisch auch immer vorgekommen sind und aufgeführt haben: ökonomisch haben sie nichts anderes zustande gebracht, als sich das Zugeständnis zu verschaffen, das die neue Kalkulation der Ölgesellschaften bereithielt. Denn deren Kalkulation ging auf eine fortdauernde, wenn auch weniger rasche Erweiterung ihres Ölabsatzes zu einem höheren Monopolpreis bei wieder rascherer Expansion der Ölzufuhr zu einem höheren Gestehungspreis - beispielsweise durch das bereits entdeckte, aber schwieriger zu fördernde Nordseeöl. Und innerhalb dieser Marge der für die lohnende Ausweitung des Ölgeschäfts erforderlichen Erhöhung des Gestehungspreises bewegte sich die politische "Erpressung" der Verbraucherländer durch Schah, Ölscheichs und regierende Generäle in Afrika! Danach brachte es dann keine Ölgesellschaft mehr fertig, "rote Zahlen" auszuweisen. Die Gewinne waren durch keinerlei Techniken der Abschreibung und auch nicht durch die werbewirksam ausgeschlachteten Mammutinvestitionen in aller Welt aus den Büchern wegzubringen.
Sämtliche nachfolgenden Ölpreiserhöhungen bis zu denen des ersten 80er Jahres sind nach demselben Prinzip abgelaufen. Stets fand sich im Bereich des Orients ein politischer Anlaß, der die Souveräne der Ölexportierenden Länder zu Preisforderungen beflügelte. Und allemal war es eine Revision der von den großen Ölkonzernen angestellten Berechnungen über die Unkosten einer erweiterten oder auch langfristig konstanten Erdölförderung, inzwischen auch der Produktion von Energie in anderen Formen, die den ökonomischen Grund dafür abgab und abgibt, daß die OPEC sich mit ihren Kraftakten bislang noch nicht blamiert hat. Andernfalls nämlich wären die nachdrücklichsten Preisbeschlüsse an einer um zwei Knoten beschleunigten Fahrgeschwindigkeit der konzerneigenen Großtanker gescheitert - stattdessen fuhren diese langsamer, außerdem seltsame Umwege und stützten so die neue Preisfestsetzung mit der gezielten Erzeugung eines Anscheins von Ölmangel. Inzwischen weiß jeder - oder könnte jedenfalls jeder wissen -, daß es den großen Gesellschaften gelungen ist, zu ihrem neuen Monopolpreis wieder mehr Öl beizuschaffen, als nachgefragt wird. Das schwimmt dann, weil alle Tanklager voll sind, monatelang in der Karibik, in der Nordsee oder im Japanischen Meer herum und bietet die sichere Gewähr, daß die Regierungen der Ölländer nicht zur Unzeit, wenn nämlich für die großen Konzerne eine erneute Neukalkulation ihres Geschäfts noch gar nicht ansteht, auf die Idee kommen, sich als autonome Urheber der Exportpreise ihres Rohstoffs aufzuspielen. Sogar ein so glänzender Anlaß wie der Krieg zwischen Iran und Irak und der Ausfall der Lieferungen beider Länder, eigentlich Anlaß genug für jegliche Preiserhöhung seitens der einschlägigen Scheichs, wenn nur die Kostenkalkulation der Konzerne dafür Raum böte, verstreicht unter diesen neuen Bedingungen ,,ungenutzt" - nicht einmal verhandelt wurde über einen kleinen Kriegszuschlag (den gab es nur bei den Schiffsversicherern)!
Wie man sieht, geht sogar noch der jüngst in Mode gekommene gerechte Zorn über die Extragewinne der großen Ölkonzerne, deren Lagerbestände mit jedem neuen OPEC-Preisbeschluß ganz ohne jeden Aufwand im Wert steigen, ökonomisch in die Irre. Daß die stolzen Besitzer von Ölvorräten oder auch sonstigen, inzwischen ungemein preiswerten Ölquellen die schmarotzenden ,,Windfall"-Profiteure jener Preiserhöhungen wären, die ihnen aus Wien oder Riad unverhofft ins Haus schneien, ist ein politischer Schein, dem das genau umgekehrte Verhältnis als ökonomische Wahrheit zugrundeliegt. Die Potentaten, deren Öl fast umsonst aus dem Boden fließt, haben sich die seltene und absehbarerweise sehr vergängliche Chance erstritten, eben die Differenz zwischen dem von den Konzernen neu angesetzten Kostpreis des Öls und ihren tatsächlichen Unkosten für sich auszunützen - also vom "Windfall" der Konzernkalkulationen zu "profitieren".
Das stolze nationale Aufbegehren der Ölsouveräne hat die Ölgesellschaften auf die neue Lage von Angebot und Nachfrage in ihrem eigenen Geschäftsbereich aufmerksam gemacht. Seitdem nützen die Ölkonzerne die segensreichen Wirkungen eines solchen Monopolpreises, der es ihnen erlaubt, schon heute ihr Geschäft auf Grundlage eines Kostpreises zu kalkulieren, der in Wirklichkeit erst in mittelfristiger Zukunft anfallen wird. Und auf Grund und im Rahmen dieser Kalkulation fallen dann sogar noch für die Ölscheichs und Gaddafis einige Milliarden ab: als begleitende Randerscheinung!
5. Immerhin beläuft auch dieses Nebengeschäft sich auf Dollarbeträge in Milliardenhöhe; und von diesen Milliardenbeträgen geht hartnäckig das Gerücht, sie müßten Jahr für Jahr von den Verbraucherländem weggezahlt werden und bedeuteten somit eine reale Verarmung des freien Westens. Zwar wissen sogar westdeutsche Wirtschaftsjournalisten es besser; nach Bedarf hat aber keiner von ihnen Skrupel, sich in bewußter Borniertheit auf den Standpunkt der Passiva der nationalen Leistungsbilanz zu stellen - insbesondere dann, wenn diese Seite (zu der, nebenbei, lustigerweise auch alle Auslandsinvestitionen des deutschen Kapitals zählen!) die Aktivposten überragt und ein Leistungsbilanzdefizit zu ,,beklagen" ist. Irgendeine Wahrheit kommt diesem Standpunkt in der Realität nicht zu.
— Für das Kapital in den westlichen Staaten bedeuten die "weggezahlten" Öldollars, daß erstens für das in den Produktionsprozeß eingehende konstante Kapital, zu dem die Kosten für Energie rechnen, ein höherer Vorschuß erforderlich ist, welcher zweitens im höheren Produktionspreis des damit hergestellten Warenkapitals ,,wieder"erscheint; weil auf der anderen Seite die höheren Ölpreise die Zahlungsfähigkeit der Konsumenten beschränken, stößt dieses Warenkapital drittens auf engere Grenzen der allgemeinen Zahlungsfähigkeit: seine Realisierung in Geld will ja schließlich bewerkstelligt sein. Mit Sicherheit ärmer wird eben bei alledem bloß der Lohnarbeiter, der die Kaufkraft seines Lohnes schwinden sieht und auf der anderen Seite mit vermehrten Anstrengungen seines Unternehmens konfrontiert wird, die verschärfte Konkurrenz der Kapitale erfolgreich zu bestehen. Denn das ist für das in der Produktion ausgelegte Kapital die einzige Konsequenz aus den Punkten erstens bis drittens: die Konkurrenz um den Absatz des verteuerten Warenkapitals wird härter. Sicher muß da auch der eine oder andere Unternehmer den Offenbarungseid leisten; wenn aber ansonsten kein Überschuß an Kapital entstanden wäre, so hätte das noch längst nicht zu einer Krise geführt. Die ist nämlich ganz anders zustandegekommen als durch die Erhöhung eines Preises, die - für sich genommen - eben gar nichts anderes zur Folge hat als die Verteuerung der Produktion und der Waren, die aus ihr herauskommen. Daß überschüssiges Kapital - in welcher Form auch immer - entsteht, also zu gewinnträchtigen Investitionen ausersehenes Geld keine Anlage findet, aus solchen Investitionen entstandene Waren nicht verkäuflich sind und die einen keinen Kredit mehr kriegen, die anderen wegen der schlechten Auspizien keinen geben - dazu muß schon das Geschäft gegangen sein. Und zwar bis zu dem Punkt, an dem sich die kostengünstige Produktion, die Ausnützung von jeder Menge Arbeitskraft nicht mehr lohnt, weil sie die zahlungsfähige Nachfrage, auf die sie zur Realisierung ihrer Waren angewiesen ist, zu sehr strapaziert hat. Die "Begründung" der Krise mit dem gestiegenen Ölpreis gehört in die ideologische Schatzkammer von Politikern und Unternehmerverbänden samt journalistischem Anhang, stellt also eine bequeme "Lösung" der "Schuldfrage" dar und verfolgt als Zweck die Praktizierung des immergleichen Rezepts, die ,,gestiegenen Ölausgaben" im Interesse des Aufschwungs anderswo zu kompensieren.
Die Sorge, daß die im Ausland für Ölimporte gezahlten Gelder ein - und dazu noch ein entscheidender - Abzug vom nationalen Reichtum seien, darf man also getrost dem Wirtschaftsminister in seinen agitatorischen Sternstunden überlassen, wenn er sich plausibel geben will. Sonst weiß er es nämlich auch besser, und sogar in den verqueren Berechnungen des Bruttosozialprodukts tauchen die bezahlten "Ölrechnungen" als Reichtum der Nation auf, und zwar als gewachsener. Was die zeitweise sehr volkstümliche Vermutung betrifft, die Ölkonzerne - wegen ihres wenig deutschen Charakters auch gehässig als "Multis" tituliert - würden sich mit "überhöhten Gewinnen" auf Kosten der Nation bereichern, so haben die Männer aus dem Wirtschaftsministerium in Zusammenarbeit mit Buchprüfern aus dem Kartellamt die öffentliche Entschuldigung des einzigen wirklichen Subjekts des Ölgeschäfts eindrucksvoll inszeniert. So daß man ihrem überprüfungsergebnis trostreich einmal die Wahrheit entnehmen kann, daß fürs Öl nicht "zu viel" bezahlt worden ist und wird.
Denn auch das teuer gewordene Öl taugt zur Vermehrung des privaten Reichtums, den die Nation so schätzt. Sicher, die Kalkulationsgrundlage hat sich verändert und die Größe des Kapitals wird sich einmal mehr nachdrücklich als Kriterium der Konkurrenz bemerkbar machen: Nicht jeder Betrieb kann die gestiegenen Kosten mit Rationalisierungs"anstrengungen" ausgleichen, und schon gleich gar nicht kann jede Firma in die Geschäfte einsteigen, die durch die Ölverteuerung wieder (Kohle) oder jetzt (Atomkraft) lohnend werden. Aber so geht eben Kapitalismus: von einer Preisveränderung wird doch die soziale Marktwirtschaft nicht erschüttert - eher schüttelt sie unrentable Betriebe und Branchen ab, um andere wieder rentabel zu machen und ins Leben zu rufen!
Die praktischen Konsequenzen sehen anders aus, als die Klage - vereinnahmend für die tatsächlich Betroffenen vorgebracht - der "Nation" es suggerieren möchte. Für den Hausgebrauch der Untertanen ist das Öl, "unsere Abhängigkeit" schlechthin eine Katastrophe; für die Wirtschaft dagegen eine Geschäftsgrundlage, auf die sie sich und ihre Diener einzustellen hat.
— Bleibt die Sorge um die nationale Außenhandels- und Zahlungsbilanz, die durch die höheren Ölpreise zugunsten des Imports verschoben wird. Hierfür gilt zunächst wieder Ähnliches wie für die Konkurrenz der Kapitale im Land selbst: Mit höheren Produktionskosten steigen eben auch die Produktionspreise der Exportgüter einer kapitalistischen Nation, womit als einzige Schwierigkeit die längst vertraute übrigbleibt, in der Konkurrenz gegen die Kapitale der anderen Nationen den eroberten Weltmarktanteil zu behalten und möglichst zu vergrößern. Dabei ist auch die tatsächlich stattfindende Verschärfung der internationalen Konkurrenz alles andere als dramatisch. Denn die "weggezahlten" Petrodollars tauchen zum allergrößten Teil auf dem Weltmarkt getreulich wieder auf: als zusätzliche zahlungsfähige Nachfrage nach lauter schönen Dingen, die nur ausnahmsweise aus anderen als den angeblich so furchtbar geschröpften und ins Defizit getriebenen kapitalistischen Führungsnationen zu bekommen sind. In Wahrheit reichen die Ölpreissteigerungen in den meisten Fällen sogar kaum dazu aus, das Defizit der Ölexportierenden Länder in ihrem Außenhandel mit der kapitalistischen Welt halbwegs auszugleichen; Saudi-Arabien und die Scheichtümer sind da mit ihren Überschüssen wirkliche Ausnahmen.
— Und auch, sogar erst recht in diesen Ausnahmefällen wäre es geradezu lächerlich, den Umstand, daß da womöglich tatsächlich größere Dollarsummen von westlichen Nationalbanken auf die Konten orientalischer Potentaten fließen, als ein Moment nationaler Verarmung zu deuten. In dem Maße, in dem diese Länder ihre Öleinkünfte nicht gleich wieder für Importwaren verausgaben, halten sie mit ihren vielen Petrodollars nichts anderes in Händen als eben dies: Zahlungsversprechen der USA. Aus den Verbraucherländem ist damit zwar "Liquidität abgeflossen"; doch kann dieser ,,Abfluß" gar nicht das letzte Wort sein. Den irrealen Fall gesetzt, die stolzen Empfänger würden ihre Dollarbestände als wirklichen Reichtum betrachten und als dauerharten ,,Schatz" festlegen, so wäre das gleichbedeutend mit dem Entschluß, das empfangene Zahlungsversprechen schlechterdings nicht einzulösen - die westliche Welt hätte das Saudi-Öl tatsächlich mit Papier bezahlt. Als Zahlungsversprechen taugen die Petrodollars also nur, wenn sie auch wieder als Zahlungsmittel Verwendung finden; dafür ist aber eben weder das Empfängerland selber der Ort noch sein Außenhandel. In den Händen ihrer Empfänger sind sie buchstäblich nutzlos; und der Zynismus der Rede vom "recycling" der Petrodollarmilliarden, so als wären diese solange bloßer Abfall, bis sie wieder im freien Westen sind, ist insofern sehr gelungen. Kreditgeld, auch wenn es Dollar heißt und von den USA "garantiert" wird, ist Reichtum eben nur, soweit es als Geld und Kapital fungiert. Und somit ist dem "Abfluß von Liquidität" aus den kapitalistischen Ländern von vornherein die Konsequenz einbeschrieben, daß das Abgeflossene entweder im Empfängerland durch auswärtiges Kapital für "joint ventures" benützt wird oder aber als Leih- und Aktienkapital oder Versilberung von Grundbesitz in die kapitalistischen Länder zurückfließt. Dort werden damit nationale Liquiditätsprobleme ebenso behoben wie eventuelle Probleme einzelner Kapitale mit der Notwendigkeit größerer Kapitalvorschüsse angesichts einer weltweit verschärften Konkurrenz. Die nicht im Außenhandel gleich wieder verausgabten Petrodollars können also gleichfalls gar nicht umhin, im kapitalistischen Westen in Sachen Finanzierung gute Werke zu tun. Und soweit es den zuständigen Banken - die alle in den USA und Westeuropa stehen, so daß die "weggezahlten" Petrodollars ihr wahres Heimatland in der Regel überhaupt nicht erst zu verlassen brauchen - gelingt, die Guthaben ihrer orientalischen Kundschaft zu den richtigen Konditionen für unsichere Geschäfte zu verpulvern, beispielsweise für die periodisch erneut notwendigen Umschuldungskredite an überschuldete "Entwicklungsländer", so hat auch das sein Gutes: Es ist dann nicht unmittelbar eigener nationaler Reichtum der kapitalistischen Nationen, sondern "bloß" dessen geliehener Bestandteil, der sich da in fiktiven Reichtum und verlorene Zuschüsse auflöst.
— Einen Unterschied gibt es hier allerdings schon, und zwar zwischen den USA und den übrigen kapitalistischen Ländern, der für deren Konkurrenz gegeneinander eine gewisse Rolle spielt. Alle übrigen Nationen können nämlich immerhin ein Zahlungsbilanzproblem kriegen, falls in ihrem speziellen Fall weder die eigenen Außenhändler noch das nationale und internationale Bankwesen die ,,Rückschleusung" der für Öl verausgabten Zahlungsmittel in den nationalen Kapitalkreislauf in befriedigender Proportion bewerkstelligen: Stützungskredite der lieben Nachbarn, eventuell eine Abwertung, jedenfalls minder rentierliche oder sogar Kosten verursachende korrigierende Eingriffe ins nationale Wirtschaftsleben können notwendig werden. Die USA können es demgegenüber zwar zu einem Zahlungsbilanzdefizit bringen, aber nie zu einem daraus erwachsenden nationalen Problem - was im Übrigen schon daran abzulesen ist, daß sie seit Jahren ihre Defizite gelassen hinnehmen. Denn sie sind in der glücklichen Lage, daß ihr nationales Kreditgeld die "Ölwährung" ist, so daß im Ernstfall nicht der Rückgriff auf Devisen- oder gar Goldreserven oder ausländische Kredite ansteht: der bloße Entschluß der Regierung, ihren Kredit zu mehren, macht die auswärtigen Öllieferanten bezahlt. Einen Anfang in dieser Richtung hat Präsident Carter mit seinem Einfall im Frühjahr '79, den amerikanischen Ölimport zu subventionieren, bereits gemacht - der Konkurrenzvorteil, den das amerikanische Kapital damit erringt, ist offensichtlich. Sorgen um eine Zerrüttung der nationalen Währung, womöglich gar ein Mißtrauen des Auslands in ihre Seriosität, brauchen die USA im Unterschied zu jedem anderen kapitalistischen Land dabei nicht zu fürchten, schon gar nicht seitens der Ölexportierenden Staaten: deren Reichtum besteht ja eben in gar nichts anderem als in amerikanischem Nationalkredit; sich dadurch nicht mehr für bezahlt zu halten, wäre mit der Streichung ihrer sämtlichen Guthaben identisch. (Vgl. dazu Imperialismus II, IMF, GATT und die Weltwirtschaftsordnung, S. 34 ff.)
6. Das Gerede von einer "Verarmung" der Verbraucherländer infolge gestiegener Ölpreise stimmt also nur in einem Fall, der allerdings die meisten Länder der Welt betrifft, bloß nicht die, deren nationale Öffentlichkeit sich vor lauter falschem Selbstmitleid bis an den Rand der Kriegshysterie ereifert. Länder ohne funktionierende nationale Reichtumsproduktion, in denen der staatliche Reichtum also nicht auf den kontinuierlichen Fortgang der Geschäftemacherei einheimischer Kapitalisten gegründet ist und deswegen weiter wächst, auch wenn das Geschäft unter härteren Bedingungen vonstatten geht, erleben konsequenterweise bei jeder Verteuerung ihres Imports einen vermehrten und durch nichts ausgeglichenen Abfluß ihrer überhaupt verfügbaren Mittel. Während also in den kapitalistischen Ländern bloß die werktätige Masse ärmer wird, wenn der Ölpreis steigt, müssen in diesem Fall auch Regierungen sich ihre Ausgaben neu und sparsamer einteilen; und das geht oft genug gar nicht mehr zu Lasten des Volkes, weil an dem gar nichts mehr zu sparen ist. Diese Länder leben ohnehin nur vom Kredit, und dessen Größe leidet unter den Ölverbindlichkeiten erheblich. An der scheinheiligen Empörung in den imperialistischen Ländern über das Elend, das die gierigen Ölscheichs über ihre exotischen Nachbarn gebracht hätten, ist aber nicht einmal das Bedauern darüber ehrlich, daß diese Länder nunmehr mit verschärften Finanzproblemen dem IMF und ihren westlichen ,,Freunden" zur Last fallen. Als unterbliebe deswegen irgendein Waffen- oder sonstiges Geschäft mit diesen Ländern, das USA, EG oder Japan für "vernünftig" befinden!
Die ölexportierenden Länder
Die Politisierung der Wüste - Entstehung eines nationalen Standpunkts - Souveränität aus Öl - Die Scheichtümer: strategische Bastion des Westens
Die erdölexportierenden Länder, vor allem die arabischen, widersprechen augenscheinlich auf der ganzen Linie den polit-ökonomischen Verhältnissen, an die der imperialistische Verstand sich bei den "Entwicklungsländern" der "Dritten Welt" gewöhnt hat: Statt in Auslandsschulden zu ersaufen und zielstrebig auf eine Art Staatsbankrott zuzusteuern, verfügen sie über Devisen im Überfluß, treten an den internationalen Finanzmärkten als Kreditgeber auf und subventionieren befreundete Regierungen und Befreiungsfronten, was sich doch eigentlich nur für imperialistische Nationen gehört; statt sich mit den Zuwachsraten eines längst für zu groß, also größtenteils überflüssig erklärten Volkes herumzuschlagen, das folgerichtig in großem Stil verhungert, beklagen sie einen Mangel an Bürgern, importieren massenhaft Fremdarbeiter und lassen sich von der Weltbank trotzdem nationale Pro-Kopf-Einkommen der Spitzengruppe ausrechnen; und statt daß ihre Diplomaten bei der EG, den USA und in Japan wegen Exportlizenzen und Handelserleichterungen antichambrieren, sprechen bei ihnen die Minister zivilisierter Großmächte wegen langfristiger vorteilhafter Lieferzusagen vor. Grund genug im freien Westen für die messerscharfe Schlußfolgerung, daß in dieser Region die Welt unmöglich in Ordnung sein kann, vielmehr alle vernünftigen Verhältnisse komplett auf den Kopf gestellt sind und vor allem der Weltmarkt mitsamt all seinen sinnreichen Institutionen und segensreichen Regelungen außer Kraft gesetzt sein muß - sonst könnten ja unmöglich die offensichtlich Falschen dermaßen unverfroren daran verdienen. Leider hat das Gejammer der Gutachter und Macher der kapitalistischen Weltordnung auch hier wieder einmal Unrecht. An den Ölstaaten geht der Imperialismus nicht zugrunde, im Gegenteil. Was diese Länder in so auffällig "verkehrter" Form zur Anschauung bringen, sind die ganz normalen Gesetze des polit-ökonomischen Verhältnisses zwischen imperialistischen Mächten und ihren souveränen Hinterländern.
l. Keiner der "typischen" Ölstaaten im Bereich des alten Osmanischen Reiches - also keiner mit einer gewissen Ausnahme im Fall Algeriens - verdankt seine Existenz in ökonomischer wie in politischer Hinsicht der Arbeit und dem nationalen Willen und Bewußtsein, also überhaupt seinem eigenen Volk; und dieses prinzipielle Verhältnis ist auch an ihrer Entstehung deutlich abzulesen. Sicher, von den Senussi in Libyen bis zu den Saudi in dem nach ihnen benannten Teil Arabiens gab es in jedem dieser Länder Stammesfürsten, die auf eine eigene Herrschaft ohne türkische Oberhoheit scharf waren und daher die Aufteilung und Neuordnung des ehemaligen Osmanischen Reiches durch Frankreich und Großbritannien in der Zeit zwischen dem Krimkrieg und dem Hinauswurf der faschistischen Truppen aus der Cyrenaika - und noch vor der Einrichtung des amerikanischen Brückenkopfes Israel - als Gelegenheit ergriffen, sich als treue und kampfkräftige Helfer einer der konkurrierenden Kolonialmächte das Zugeständnis einer ziemlich unbeschränkten lokalen Herrschaft unter deren Protektorat zu verdienen. Und in ähnlicher Weise mischten erst die Kadscharen und dann die beiden Pahlevis in Persien bei der Abwicklung der Großmachtsrivalität zwischen Zarenreich und Empire in ihrem noch abgelegeneren Erdenwinkel mit. Mehr als eben dies: ein von interessierten imperialistischen Mächten zugelassenes und modern bewaffnetes Stammesfürstentum, waren diese autonomen lokalen Herrschaften allerdings auch dann zunächst nicht (zur Besonderheit des Iran siehe den betreffenden Artikel), als sie sich mit der Liquidierung der europäischen Kolonialreiche nach dem 2. Weltkrieg mit dem Status regelrechter, für eine reguläre UNO-Mitgliedschaft in Frage kommender Souveräne betraut sahen. Wenn auswärtige Mächte, allen voran die USA, denen der koloniale Zugriff von Frankreich und Großbritannien auf die Region im Hinblick auf die fällige Neuordnung der Welt gegen den neuen Hauptfeind Sowjetunion fast genauso wenig gefiel wie dieser, die lokalen Könige, Scheichs und Emire wie moderne Gebietshoheiten behandelten, und wenn dementsprechend die amerikanischen und europäischen Ölkonzerne für ihre Bestandsaufnahme aller interessanten natürlichen Schätze des Globus und deren beginnenden Abtransport aus der Region Lizenzgebühren bezahlten, so war das zunächst noch kaum mehr als eine unverhoffte Pfründe für den beglückten Herrscher und eine ebenso unverhoffte Eintrittskarte in die große Welt der diplomatischen Repräsentation aller Nationen, vor der nun auch er paradieren durfte. Und was den freien demokratischen Westen wie auch dessen feudale orientalische Freunde betraf, so hätte es dabei durchaus bleiben mögen.
2. Tatsächlich erwies es sich in der wirklichen Welt allerdings als Widerspruch, feudale Stammesfürsten wie moderne Souveräne zu behandeln und dabei darauf zu setzen, sie würden sich auch weiterhin als feudale Fürsten aufführen, die selbstzufrieden in exotischer Pracht residieren, dem Mohammed seinen Allah glauben, mit ihren Beduinen oder Berberkriegem die Ölfelder schützen und sich dankbar beim regionalen Agenten der Ölgesellschaften ihre Spesengelder abholen. Gegen die Absichten aller Beteiligten revolutionierten der Dienst, den die lokalen Herrschaften in der ihnen zugeteilten Funktion als souveräne Lizenzgeber für ausländische Ölsucher diesen und deren Staaten leisteten, und die finanziellen Mittel, die ihnen eben als Lizenzgebühren zuflössen, den Charakter dieser Herrschaften gründlich. Weder blieben sie ökonomisch die Nutznießer der spärlichen Überschüsse, die die urtümliche Ökonomie ihres Stammes oder Stammesverbandes hervorbrachte; noch beschränkte ihr politischer Daseinszweck sich fortan auf die Erhaltung jenes Verbandes und die Selbstbehauptung gegen ihresgleichen, was sie früher zu so brauchbaren Instrumenten für kolonialistische Rivalitäten der Großmächte gemacht hatte. In beiden Punkten traten sie jetzt, als anerkannte Souveräne mit weltpolitischer Verantwortung, aus dem feudalen Kontext ihrer Herrschaft heraus, emanzipierten sich von ihrem Volk und stellten mit den Einkünften, die ihnen aus dem Ölgeschäft der ausländischen Konzerne zuflössen, keineswegs nur sich und ihren Familienclan glanzvoll zufrieden. Sie stellten auch einen ihre herkömmlichen Funktionen und Möglichkeiten weit übersteigenden staatlichen Gewaltapparat auf die Beine: eine souveräne Verwaltungsspitze, die anfing, das gesamte Herrschaftsgebiet als ihren Tätigkeitsbereich zu betrachten; ein Militär, das die den Landesfürsten zugesprochene Souveränität praktisch wahr und zu seinem Anliegen machte, ohne daß es irgendwelchen aufs Ausland gerichteten Interessen einer eigenen nationalen Gesellschaft hätte Geltung verschaffen oder gewaltige Unruhen innerhalb einer nationalen Gesellschaft hätte niederschlagen müssen - allenfalls im Falle des Irak mit der Aufgabe, gegen kurdischen Widerstand die Autorität der Zentrale rein als solche im ganzen Lande durchzusetzen; schließlich internationale Beziehungen zu aller Welt, ebenfalls ohne daß genuine Interessenslagen irgendwelcher gesellschaftlicher Klassen im Lande dies geboten hätten.
3. Die Beziehung dieser modernen Staatsapparate zu dem zu beherrschenden Volk war von Anfang an und ist prinzipiell negativ, und zwar nicht nur in dem matten Sinn, daß sie wie ökonomisch so auch politisch völlig getrennt von den einheimischen Stämmen, ihrer überkommenen Wirtschaftsweise und ihrem in keiner Weise staatsbürgerlichen Bewußtsein existieren. Die mit den Öleinkünften finanzierte Teilhabe der alten Herrschaftsschicht am kapitalistischen Reichtum führte nicht etwa dazu, daß das Stammesvolk die früheren Abgaben an seine Herrschaft nun selber verfressen durfte, sondern setzte seine Produktionsweise, zuallererst seinen Tauschhandel, einem Vergleich mit den Angeboten und den Verfahrensweisen der kapitalistischen Zirkulation aus, dem sie nicht gewachsen war. Wo immer die alte feudale Herrschaft noch ökonomisch wichtige Funktionen, etwa für die Wasserversorgung, gehabt hatte, stellte sich mit deren neuer Revenuequelle ein Verfall der sachlichen Produktionsbedingungen ein. Die Aufbereitung des Landes für den Zweck der Ölprospektion und -förderung, selbst wo sie nur in der Umzäunung riesiger Halbwüstengebiete bestand, konnte ganze Völkerscharen wirtschaftlich ruinieren, einfach weil diese mit ihren Herden nicht mehr so freizügig durchs Land ziehen konnten, wie das für die Erhaltung der Weideplätze nötig gewesen wäre, ganz zu schweigen von den Fällen, in denen den Ölkonzessionären die Erlaubnis erteilt wurde, bewirtschaftetes Land zu okkupieren. So erhielten die Städte in den betroffenen Ländern Zuzug; dort war aber ohnehin schon infolge des Zuflusses von Geld in ganz neuer Größenordnung das Leben für alle, die an diesem Zufluß nicht teilhatten, unerschwinglich geworden.
Dieses "Angebot" immerhin hatte die reich und souverän gewordene Herrschaft ihrem Volk zu machen, wenn auch bloß eine Minderheit davon Gebrauch machen konnte: durch Dienste für sie Anteil an den Lizenzgebühren für die Ölprospektion und -förderung zu gewinnen. Von den herrschenden Familien und ihren Clans abgesehen, also fürs einfache Volk, stellte hier neben den relativ wenigen Arbeitsplätzen für einheimische Kräfte in der Ölförder- und -transportindustrie der Militärdienst die einzige positive Beziehung zwischen den alten Untertanen und der neuen Herrschaft dar. Und in den Berufssoldaten des Staates bekam der Ölsouverän einen seinem Daseinszweck angemessenen gesellschaftlichen "Unterbau". Die alte Feudalgesellschaft wandelte sich zu einem Nebeneinander von rücksichtslos behandeltem Volk und einer Gesellschaft der Militärs und Regenten nebst einfachem Personal.
4. Mit der Entstehung dieses gesellschaftlichen "Unterbaus" der den alten Herrschern zugesprochenen Souveränität bekam der Materialismus dieser Herrschaft, ihr Interesse an Selbsterhaltung, einen neuen Inhalt. Von auswärtigen Interessenten wie eine moderne bürgerliche Staatsgewalt in Anspruch genommen, mit einem modernen Heer ausgestattet und somit nicht mehr bloß formeller Träger einer das gesamte Staatsgebiet umfassenden Hoheit, sondern tatsächliches Subjekt aller Umwälzungen im Lande, dabei einem weltweiten Vergleich mit den gleichartigen, den revisionistischen und den imperialistischen Souveränen ausgesetzt, begannen die frischgebackenen orientalischen Staatsgewalten, ihre Herrschaft im und über das eigene Land als die autonome Quelle ihrer Macht zu betrachten. Viel Wahrheit ist an einer solchen Betrachtungsweise zwar nicht; denn tatsächlich waren und sind in diesen Ländern ja nicht die Leistungen der Untertanen die materielle Quelle, ihre Erwartungen an die staatliche Gerechtigkeit die politische Grundlage der souveränen Herrschaft, sondern die Zahlungen und die Sicherheitsansprüche der auswärtigen Interessenten. Notwendig ist eine solche verkehrte Betrachtungsweise aber schon; denn sie ist nichts anderes als der zum Selbstbewußtsein der Regierenden gewordene Idealismus der Souveränität, mit der sie betraut worden waren. Sonst niemand im ganzen Land, wohl aber die Agenten der Herrschaft nahmen und nehmen in Bezug auf ihr Land und Volk einen nationalen Standpunkt ein. Mit dem staatsbürgerlichen Nationalbewußtsein "entwickelter" Völker ist das nicht zu verwechseln: die Regierung exekutiert hier ja nicht die politischen Forderungen der von ihr geordneten und sortierten Klassengesellschaft, sondern faßt ganz selbständig in Bezug auf ihr Menschenmaterial die Idee der Nation, d.h. einer auf ihre eigenen Untertanen begründeten, von diesen hervorgebrachten höchsten Gewalt.
Wie die maßgeblichen Machthaber zu ihrem nationalen Standpunkt hingelangten, entschied zugleich darüber, wie ihre Herrschaft fortan aussah. In Persien beispielsweise fiel der Nationalismus des Herrschers mit der Selbstbehauptung des Kaiserhofes gegen konkurrierende feudale Machthaber innerhalb der alten Gesellschaft zusammen (vgl. den Iran-Artikel). Im Irak, dessen politische "Elite" sich mit der Macht des Nachbarn Iran, und in Libyen, wo diese ihre Macht mit der der Nachbarn Algerien und Ägypten verglich, trat der Nationalismus der souveränen Herrschaft als "revolutionärer" Bruch mit der monarchischen Form der Herrschaft auf. Die Ideologie, mit der er sich dem Volk als dessen ureigenste Angelegenheit präsentiert, setzt sich demgemäß aus drei Bestandteilen zusammen: dem zur modernen Souveränität hinzugehörigen Ideal einer bruchlosen Einigkeit von Volk und Staatsgewalt, dem "Sozialismus"; der Idealisierung der vorfindlichen Lebensweise des Volkes zur natürlichen Quelle sozialistischer Tugenden, einem antikolonialistisch akzentuierten Islam; sowie dem Ideal der zu schaffenden Nation Arabien, dieses profiliert an der von außen gesetzten Schranke für ein integrales Großarabien: Antizionismus - per Saldo: "arabischer Sozialismus". Als letzte, und in Reaktion auf die "kaiserliche Revolution" in Persien wie auf die "sozialistischen Revolutionen" in ihren arabischen Nachbarländern, haben schließlich auch die regierenden Wüstenscheichs und Emire der arabischen Halbinsel unter Wahrung ihrer Herrschaftsform den Übergang zu einem nationalen Standpunkt hinter sich gebracht, die Idee einer arabischen Nation gefaßt, für die sie maßgeblich zu sorgen hätten, und daraus eine politische Programmatik für ihre Regierungstätigkeit abgeleitet.
5. Denn diese praktische Konsequenz hat sich mit dem Idealismus der zu schaffenden Nation überall eingestellt: Gestützt auf den durchs Öl gewonnenen Anteil am kapitalistischen Reichtum, betrachten und behandeln die Herrscher dieser Länder ihr Volk und ihren Staat als ein einziges großes Projekt. Die Herren über größere Menschenmengen verfolgen dabei das Ideal, diese für die Zwecke ihrer Herrschaft nutzbar zu machen. Geleitet von der Idee eines volkswirtschaftlichen Wachstums, die in ihren Ländern mangels einheimischer Reichtumsproduktion einer wirklichen Grundlage entbehrt - von der die Staatsgewalt ja auch gar nicht abhängt -, erlegen sie ihrer nationalen Landwirtschaft die Last einer ertragreichen Produktion für den Inlandsmarkt auf, stellen auch fertige Fabriken in die Landschaft. Und damit erreichen sie doch nur den endgültigen Ruin der überkommenen Subsistenzlandwirtschaft ihrer Bauern und die Verschwendung ihrer Revenue für Industrien, die kaum einen Bruchteil der um ihren traditionellen Lebensunterhalt gebrachten Untertanen ernähren und für die Wirtschaftsstatistik Wachstumsraten produzieren, denen kein Zuwachs an wirklichem nationalen Reichtum entspricht (nämlich einfach dadurch, daß die hereinfließenden Gelder mehrfach unproduktiv verausgabt werden). Wo eigenes Volk fehlt, wie in den arabischen Wüstenstaaten, sind die Regierungen besser daran: sie lassen genau so viel fremdländisches Proletariat ins Land, wie für Bauprojekte und industrielle Unternehmen nötig ist; meist sogar projektgebunden in der Form, daß die Auftragsfirma verpflichtet wird, ihr Personal mitzubringen, unterzubringen und nach Abschluß der Arbeiten wieder mitzunehmen - eine Art von Geschäft, in der überall dort, wo kein großer technologischer Sachverstand
verlangt ist, Firmen aus Südkorea und Taiwan derzeit nicht zu schlagen sind. Daß sich damit für die autochthonen Stämme das Dasein zur Wüstenidylle gestalten würde, ist dennoch die Ausnahme: Zwar dürfen die eingeborenen Kuwaitis und andere Miniaturstaatsvölker sich völliger Steuerfreiheit, kostenloser Kranken- und Altersversorgung und anderer schöner Dinge erfreuen, haben aber beispielsweise, soweit sie nicht selber Grundbesitzer sind, abenteuerliche Mieten zu zahlen; das für sie errechnete Spitzen-Pro-Kopf-Einkommen ist noch mehr als sonst eine statistische Lüge; und als saudi-arabischer Beduine hat man auch nichts zu lachen angesichts nachdrücklicher Bemühungen der Regierung, die "Überfremdung" des Landes in Grenzen zu halten und ihre nomadisierenden Wüstensöhne zu einer brauchbaren oder wenigstens schon einmal seßhaften potentiellen Arbeiterarmee zu machen - in westlichen Expertisen ist da immer sehr hochnäsig von einer "tief verwurzelten Abneigung des Arabers gegen schmutzige und körperliche Arbeit" die Rede. Dabei steht nicht einmal für die Regierungen ein sanfter Übergang ins näherrückende "Nach-Öl-Zeitalter" zu erwarten. Eine dem Ölexport auch nur entfernt vergleichbare Revenuequelle wäre nicht einmal dann in Sicht, wenn alle geplanten Industrievorhaben auf der arabischen Halbinsel realisiert würden. Denn dabei handelt es sich auch wieder nur um Raffinerien und andere petrochemische Werke - denen zu allem Überfluß westdeutsche Wirtschaftsfachleute sogar vorrechnen können, daß nicht einmal sie sich übermäßig lohnen und nur so lange Geschäftspartner in den "Verbraucherländern" finden werden, wie die Zusage von Sonderkonditionen für die Rohöllieferung damit verbunden ist.
6. Einzige Grundlage, damit aber auch bleibende Schranke für den Entwicklungsidealismus der erdölexportierenden Souveräne ist also ihr souveräner Erdölexport. Die Weggabe ihres Bodenschatzes ist ihr einziges ökonomisches Mittel - und eben deswegen auch nicht ihr ökonomisches Mittel. Zwar haben sie alle in ihrer Macht stehenden Schritte getan, um sich zum Subjekt und Nutznießer der mit ihrem Öl unternommenen Geschäfte zu machen; inzwischen sind fast überall sämtliche Bohr- und Förderlizenzen und -einrichtungen im Besitz nationaler Ölgesellschaften konzentriert, die ihrer ausländischen Kundschaft als freie Verkäufer gegenübertreten, frei ihre Aufträge vergeben und mit ausländischen Partnern gleichberechtigte joint ventures im eigenen wie in deren wie in dritten Staaten eingehen. Durch alle vom Kapitalismus abgelernten rechtlichen und betriebswirtschaftlichen Regeln und Kunstgriffe wird aus ihrem Exportschlager aber kein produzierter Wert, also auch kein wirklicher Reichtum, aus dem der zuständige Staat seine Revenue bestreiten könnte. Für das Förderland bleibt der edle Stoff purer Dreck, sofern nicht eine Ökonomie, die wirklichen Reichtum hervorbringt, ihn eben dafür nützt. Das Geschäft der kapitalistischen Volkswirtschaften, ihr Wachstum, bleibt also die Geschäftsbedingung dafür, daß das nationale Rohöl als Revenuequelle taugt. Und auch darauf, in welchem Maße das der Fall ist, haben die Förderstaaten keinen ökonomischen Zugriff: sie partizipieren an dem Monopolpreis, den die Erdölkonzerne des Westens auf ihren Absatzmärkten durchsetzen. Die Verkaufserlöse aus dem Erdölexport werden von westlichen Experten daher auch als "Grundrente" bestimmt - und noch nicht einmal das trifft zu. Denn immerhin hat die kapitalistische Grundrente am relativen Nutzen des Bodens für seine kapitalistische Nutzung ihr absolutes Maß. Eine derartige harte ökonomische Tatsache sind die Preisvorstellungen der Ölstaatenregierungen aber schon deswegen nicht, weil hier ja nicht produktives und Grundeigentum gegeneinander konkurrieren, sondern das bedingte Kaufinteresse des Kapitals einer Nation dem politischen Monopol eines fremden Souveräns über sein Staatsgebiet und dessen Schätze gegenübersteht. Und in dieser Konfrontation steht noch nicht einmal zur Debatte, ob der fremde Souverän überhaupt gewillt ist, sein Gelände zu Geld zu machen, denn als Souverän über sein Gelände gibt es ihn ja überhaupt nur, weil ihm auf diese Weise die Mittel zu seiner Erhaltung zufließen. Die einzige offene Frage ist die, wie stark die Position der Regierung eines Ölexportstaates in den Verhandlungen um ihren Anteil an dem von den Ölaufkäufern kalkulierten Gestehungspreis ihrer Ware ausfällt. Das hängt aber wiederum nicht von einem wirklichen ökonomischen Monopol ab - und wo ein Land auf Grund des Umfangs seiner Ausfuhr allein schon eine quasi-monopolistische Stellung hat, da hütet es sich wohlweislich, diese Stellung auszuspielen. Denn eben weil es ja die politische Verfügungsgewalt einer Regierung über ihr Land ist, die deren Verhandlungsposition begründet, entscheidet sich auch die Stärke ihrer Position politisch: nach dem Respekt, den die imperialistischen Staaten der Souveränität ihrer Ölexportierenden Partner zu zollen bereit sind.
7. Der Fortschritt, der auf diesem Gebiet seit dem 2. Weltkrieg erzielt worden ist, ist unverkennbar. Die imperialistischen Mächte des Westens haben die Herren der Ölländer als Souveräne anerkannt; mit der Konsequenz, daß diese sich nun auch als Souveräne aufführen. Der Ärger im Westen über die ,,Abhängigkeit" der eigenen Nationen von derartigen Souveränen ist also ebensowenig grundlos, wie die offen nicht bloß an Stammtischen erörterte, von den USA für den Notfall bereits vorbereitete militärische Besetzung der orientalischen Ölfelder aus der Luft gegriffen ist: So nimmt das imperialistische Bewußtsein zur Kenntnis, daß der freie Westen sich mit der Anerkennung lokaler Souveräne in "lebenswichtigen Regionen" eben tatsächlich eine potentielle politische Schranke "eingehandelt" hat.
Andererseits hört an dieser Schranke der Imperialismus nicht auf; der erreichte Endpunkt der Geschichte, an dem sogar zwei hoffnungsvolle Ölstaaten ganz selbständig einen umfänglichen Krieg gegeneinander führen dürfen, paßt genau zum Ausgangspunkt. Als Ölsouveräne sind diese Staaten zur internationalen "Völkerfamilie" zugelassen worden; Ölsouveräne zu sein, haben sie sich inzwischen zu ihrem eigenen obersten Anliegen gemacht. Eingeschlossen ist darin die prinzipielle Bereitschaft, mit ihrer Souveränität für das auswärtige Interesse an ihrem Öl geradezustehen - denn das ist ja Grundlage ihrer Souveränität -, also auch mindestens das dazu unerläßliche Minimum m politischer Kooperationsbereitschaft mit dem Westen aufrechtzuerhalten. Andernfalls müßten die Regierungen dieser Staaten sich ihre Geschäftsgrundlage total und bedingungslos bei der Sowjetunion suchen; und das ist schon durch Richtung und Verlauf der weltweiten Ölströme ziemlich zuverlässig ausgeschlossen.
In Wahrheit ist es aber auch gar nicht so, als ob die Herrscher der großen Ölförderländer zu bereitwilliger Kooperation immerzu erst zu erpressen wären oder beständig die Grenzen ihrer politischen Bewegungsfreiheit testen würden; und schon gar nicht ist der Umgang der kapitalistischen Führungsmächte mit ihnen von entsprechenden Sorgen diktiert. Wenn "nach Afghanistan" in der NATO über den "Schutz unserer Ölversorgung" verhandelt wird, wenn amerikanische und sonstige alliierte "Eingreiftruppen" und Flotteneinheiten in die Umgebung des Golfs verlegt werden und die Ausstattung des saudischen Königreichs mit einer kompletten nagelneuen Panzerarmee nurmehr eine Frage der Marke ist - die entsprechende Frage betreffs Luftwaffe und Luftaufklärungs- und -leitsystem ist längst entschieden und geregelt -, dann hat die politische Kalkulation des Westens mit seinen arabischen Öllieferanten sich längst von den bornierten Gesichtspunkten der Zufuhr von Energierohstoff gelöst. Über ihren ökonomischen Nutzen hinaus sind diese Länder als verbündete Mächte interessant; und weit über die Erfordernisse einer wirksamen Defensive hinaus, insofern auch recht unbekümmert um den dadurch ja eher gefährdeten als gesicherten Nutzen ungestörter Erdölzufuhr, werden sie sehr zielstrebig zur strategischen Aufmarschbasis westlicher Militärmacht an der Südwestflanke des sowjetischen "Imperiums" hergerichtet. Umgekehrt ist solche Waffenbrüderschaft mit der NATO offenkundig genau das, was die "Ölscheichs" als den politischen Idealfall ihrer Souveränität: als gleichberechtigte Partnerschaft mit den Großmächten anstreben. Dafür geben sie jedenfalls die dicksten Summen aus, und an die ,,Ölwaffe", geschweige denn gegen den Westen denkt da keiner mehr. Das wiederum schafft Völkerfreundschaft! Oder wann wäre je eine so massive demokratische Ausländerhetze so fix wieder aus dem Verkehr gezogen worden wie die Beschimpfung der Ölsouveräne als erpresserische Blutsauger des freien Westens?!