„Trumps Anhänger erstürmen das Kapitol“
Das letzte Kapitel des amerikanischen Wahlkampfes

Anlässlich der Ereignisse in Washington stellen wir die beiden Schlusskapitel unserer US-Wahlkampfchronik aus dem aktuellen GegenStandpunkt 4-20 frei zur Verfügung.

IX. Das Finale: Präsidiale Siegesgewissheit bis an die Schmerzgrenze des demokratischen Systems

Je näher der Wahltermin kommt, umso mehr Siegesgewissheit strahlt der Präsident aus. Nachdem er das bereits seit vier Jahren tut, braucht es und bietet er in dieser demokratischen Disziplin deutlich mehr, als was der in Wahlkämpfen erfahrene Bürger so kennt. Trump applaudiert nicht nur der eigenen Vorfreude auf seine zweite Amtszeit und den eigenen Fans, die sich – wie es engagierte Wähler allemal tun – von der Aussicht betören lassen, mit ihrem Votum am Ende wieder auf der Siegerseite zu stehen, mit der sie in ihrem Alltag oft genug so verzweifelt wenig zu tun haben. Der Präsident trumpft auf mit einer vorgezogenen Absage an jedes andere Wahlergebnis als seinen Sieg: Er provoziert Fragen danach, was er im Fall einer Niederlage zu tun gedenke, ob er einen eventuellen Erfolg des verachteten Sleepy Joe anerkennen würde – um klarzustellen, dass ein problemloser Abgang von ihm nicht zu haben sei, weil ein derartiges Resultat erstens gar nicht und zweitens schon gar nicht rechtmäßig zustande kommen könne. Seine Siegesgewissheit nimmt allen Ernstes die Form der Ankündigung einer bereits feststehenden Tatsache an.

Für seine Kritiker reiht sich diese Art, einen angestrebten Erfolg als eingetretenes Faktum zu verkünden, logisch ein in ihre Buchführung über einen immer weiter anschwellenden Strom von Angebereien, die sich um Tatsachen nichts scheren, vielmehr die Kunst des plumpen Unsinns und der schamlos offenen Lüge pflegen, um die unausbleiblichen Richtigstellungen als die zu erwartenden Lügen der Gegenseite zu denunzieren, die dem Schwindler recht geben. Fortgeschrieben wird die Geschichte vom selbstverliebten Egomanen, der in völlige Realitätsverweigerung abgleitet, nämlich nicht wahrhaben will, dass immer mehr Umfragen seine Wiederwahl unwahrscheinlich erscheinen lassen. Beim Genuss psychologischer Gehässigkeiten gegen Trumps Persönlichkeit bleibt es aber nicht. Mit jeder Kundgabe aus dem Weißen Haus, ein falsches Wahlergebnis werde man nicht hinnehmen, sondern zu korrigieren wissen, wird die Sorge lauter, der Präsident versündige sich am Allerheiligsten der Demokratie: der Institution der Ermächtigung durch freie Wahlen.

Da ist was dran. Aus dem Nichts eines individuellen Wahns kommt Trumps Absage an die Möglichkeit einer regulären Wahlniederlage aber nicht. Was er ausreizt, ist der Widerspruch, der in der schönsten Errungenschaft der demokratischen Staatsform steckt: zwischen dem Zweck der freien Wahl, der Ermächtigung regierender Machthaber, und der Methode , dem Votum eines wankelmütigen Publikums.

1. Die Mission

Wer sich um die Übernahme der im höchsten Staatsamt institutionalisierten Herrschaft bewirbt, der hat eine politische Mission . Der hat mit seiner Nation etwas vor, etwas mehr oder weniger Großartiges, und will dafür die Zustimmung der Bürgerschaft, die ihm dafür als Manövriermasse dienen soll. Das leistet der Erfolg in einer freien Wahl; das ist die für die Kandidaten positive Seite an dem Verfahren, das ihre Konkurrenz um die Macht entscheidet. Die negative Seite ist die, dass der Bewerber sein politisches Vorhaben als Alternative neben das seines Gegenspielers stellt und es so, als wäre es nur ein unverbindliches Angebot, der Willkür einer letztlich unberechenbaren Wählerschaft unterwirft. Das Verfahren relativiert die Mission, die dadurch in Kraft gesetzt werden soll; es verlangt von den Kandidaten die Selbstrelativierung des Herrschaftsprogramms, für das sie ihre Nation funktionalisieren wollen. Das ist ein Widerspruch, der sich nur dann auflöst, wenn die gegnerischen Parteien die Mission, mit der sie zur Wahl antreten, und zwar die eigene wie die konkurrierende, als Varianten einer großen Sorge um Macht und Größe der Nation einordnen und anerkennen, in der sie sich einig sind. Oder objektiver ausgedrückt: wenn für die politischen Gegner eine grundsätzliche Staatsräson feststeht, die für ihre gegensätzlichen Positionen Raum lässt. In funktionierenden Demokratien hat man sich deswegen daran gewöhnt, dass feindliche politische Positionen nach erfolgter Wahl einander tolerieren, der Verlierer den Sieger als Sachwalter der nationalen Sache anerkennt und der Sieger dem Verlierer den Status einer oppositionellen Alternative zubilligt. Dass es so kommt, ist geradezu das Kriterium einer intakten Demokratie.

Worauf Trump im Finale seines Wahlkampfs offensiv besteht – und was er seit seinem Amtsantritt wenigstens einmal pro Woche demonstrativ klargestellt hat –, das ist die Tatsache, dass für ihn sein America first! ein solches relatives, zur Koexistenz mit dem politischen Willen der Gegenseite bereites, mit den Institutionen der Vermittlung gegensätzlicher Standpunkte vereinbares Anliegen nicht ist. Den demokratischen Widerspruch zwischen dem Inhalt, der Schicksalsfrage der Nation, wie er sie definiert, und den Methoden des Erwerbs und der Ausübung politischer Macht, die über der Sache stehen und sein politisches Programm relativieren, löst er in die andere Richtung auf: Die Wahl gibt entweder seiner Mission recht, und zwar uneingeschränkt, oder sie hat als sichere Methode, dem Volk zu seinem Recht und seiner rechten Führung zur Herrschaft zu verhelfen, versagt.

2. Der Mann

Trump ist der Musterfall eines Politikers, der seine Mission, „America great again“ zu machen, nicht nur hat, auch nicht nur repräsentiert, sondern höchstpersönlich ist . Das ist ein Übergang ins Größenwahnsinnige; wirklich undemokratisch ist aber auch der nicht; im Gegenteil. Gerade im Heiligtum der freien Wahl stellt die Demokratie konkurrierende Herrschaftsprogramme in Gestalt von Kandidaten, personifiziert, zur Abstimmung. Darin ist eingeschlossen, dass die Ermächtigung durchs Volk dem Sieger nicht nur gestattet, sondern – im Rahmen der Befugnisse seines Amtes, die im Falle der US-Präsidentschaft ziemlich weit reichen – geradewegs aufgibt, die eigenen Willensentscheidungen zu Richtlinien für das Tun und Lassen seines Volkes und zum politischen Schicksal seiner Nation zu machen und das nach eigenem Ermessen Nötige durchzusetzen. Dass die Demokratie diese Ermächtigung befristet, dass jede neue Wahl die Identität der Person mit dem Machtwillen der Nation bestätigen, aber auch wieder auflösen kann, ist und bleibt ein Widerspruch, hat als solcher im politischen Urteilsvermögen einer demokratischen Bürgerschaft übrigens auch seinen Platz: Gerade in prächtig funktionierenden Demokratien gilt es eher als Schwäche, wenn ein gewählter Machthaber sich schlicht abwählen lässt, bloß weil die Verfassung es so will, oder gar mit einer Rücktrittsankündigung – im Fall der USA wäre das der vorzeitige Verzicht eines Präsidenten auf eine Wiederwahl – zur „lahmen Ente“ degradiert; führungsstarke Persönlichkeiten nehmen die demokratische Rechtslage persönlich, sehen in der neuen Wahl nur die Chance auf Bestätigung im Amt, bestehen auf ihrem „Amtsbonus“ – auch so eine schöne demokratische Errungenschaft –; schon durch das Restrisiko einer Abwahl finden sie sich persönlich und politisch beleidigt. Zu einer ehrgeizigen Führernatur gehört auf alle Fälle das Bemühen, Rechtslage und Institutionen so auf sich zuzuschneiden, dass der maßgebliche Herrschaftswille dadurch bedient, nicht beschränkt wird. Die Grenze zu dem, was Demokraten „Autokratie“ nennen, ist ziemlich unbestimmt, jedenfalls sehr dehnbar.

Als gewählter Präsident ist Trump hier keine Kompromisse eingegangen. Alle Institutionen, gerade die altehrwürdigen, die sich irgendwie vermittelnd, also relativierend zwischen seinen politischen Willen und dessen praktische Umsetzung, im Land und weltweit, schieben wollten und könnten, hat er beiseite geschoben; Ministerien, Behörden und auch die nationale Gerichtsbarkeit hat er nach Kräften durch die Einsetzung willfährigen Personals für sich funktionalisiert; den Einfluss oppositioneller oder auch nur widerstrebender Kräfte hat er u.a. durch ein Regieren per „Executive Order“ ausgeschaltet. Und stets hat er auf eine wählerwirksame Inszenierung Wert gelegt: Die den Democrats zugeneigten Elemente im politischen Betriebssystem des Landes hat er als volksfeindliches „Establishment“ verächtlich gemacht; die eigene Machtfülle hat er mit der Unterzeichnung unmittelbar wirksamer Dekrete vor laufender Kamera und mit unterwürfigen Hofschranzen im Hintergrund zur Schau gestellt; seine Fans hat er via Twitter zu bevorzugten Teilhabern seiner hoheitlichen Ad-hoc-Entscheidungen über das Schicksal der Nation und der Welt und zu den Erstempfängern seiner politischen Philosophie gemacht. Das Gebot der Demokratie, im Sinne der trennbaren Verbundenheit von Amt und Person einen Restrespekt vor politischen Gegnern zu wahren, weil die ja immerhin an die Stelle des Amtsinhabers treten können, hat er nicht bloß abgelehnt, sondern als Winkelzug ohnmächtiger Feinde zur Schwächung seiner, also der Macht Amerikas zurückgewiesen; die einschlägigen Sitten der Zurückhaltung und der Höflichkeit hat er als die Heuchelei blamiert, die sie sind, und durch die Ehrlichkeit plumper Beleidigung ersetzt. Nur folgerichtig erklärt er am Ende, zum finalen Höhepunkt seines Wahlkampfes, die von seinen Gegnern angestrebte Möglichkeit, mit einer Mehrheit der Wählerstimmen zwischen ihn, Amerikas Größe und den wahren Volkswillen einen Keil zu treiben, für unmöglich, jeden Versuch in dieser Richtung zu einem Beweis dafür, dass Amerika-Hasser ihn, seine Anhänger und die Nation betrügen wollen.

Eine undemokratische Entgleisung ist allerdings auch das nicht. Es ist Trumps Art, den Widerspruch aufzulösen, dass das Verfahren der persönlichen Ermächtigung das Risiko der Entmachtung einschließt. Das Institut der freien Wahl hat ihn an die Macht gebracht, ihn als die leibhaftige Räson des America first! beglaubigt und damit ihren Zweck erfüllt; fiele die fällige Neuwahl gegen ihn aus, hätte die Institution vor diesem ihrem Zweck versagt. So versteht er Sinn und Zweck der Demokratie; anders bleibt sie ihm, und wahrlich nicht nur ihm, als Form bürgerlicher Herrschaft unverständlich.

3. Die Fans

Die wahlberechtigten Adressaten quittieren Trumps Wahlkampf, soweit feststellbar, mit starker Zustimmung; speziell mit dem Verdikt, ein Wahlergebnis gegen ihn könne unmöglich wahr und nur gefälscht sein, kommt der Mann offenbar gut an. Trump feindlich gesinnte Beobachter schließen daraus gern auf demokratische Unreife seiner Anhängerschaft; ganz im Sinn ihres über die Jahre gepflegten Unverständnisses dafür, dass die Fans des Präsidenten dessen kontrafaktische Erfolgsmeldungen und verlogene Pöbeleien gegen angebliche innere Feinde eines starken Amerika für bare Münze nehmen und eifrig weiterverbreiten.

Tatsächlich bietet die auf Trump eingeschworene Wählerschaft – das zeigen zahlreiche Reportagen aus dem Hinterland – ein Musterbeispiel dafür, was Bürger an ihren Politikern schätzen und laut Demokratie-Lehrbuch auch gut finden sollen: Als größtes Plus ihres Präsidenten geben sie an, dass er tut, was er versprochen hat . Natürlich ist America first! und die Identifizierung der eigenen Person mit diesem Imperativ kein Versprechen in dem Sinn, dass sich seine Einhaltung an bestimmten Ergebnissen überprüfen ließe. Aber wenn dem Mann Tatkraft attestiert wird, auch wenn behauptete Erfolge, was die banalen Fakten betrifft, erschwindelt sind, dann kommt es darauf offenbar auch nicht an; seinen Wählern nicht, und nach den Maßstäben der Demokratie tatsächlich auch nicht. Versprochen ist ja nicht mehr und nicht weniger als der unerschütterliche Wille des obersten Chefs, alle patriotischen Sehnsüchte des einfachen Volkes wahr zu machen, worauf auch immer die sich im Einzelnen richten; und wenn dieser Wille sich durch widrige Resultate nicht aus der Bahn werfen lässt, vielmehr seine Unerschütterlichkeit dadurch unter Beweis stellt, dass er Erfolge maßlos übertreibt und Misserfolge schlicht abstreitet, dann macht er eben damit genau dieses Versprechen wahr. Dann beweist der Machthaber die Ehrlichkeit seines Erfolgswillens gerade dadurch, dass er sich die Freiheit nimmt, sogar Fakten diesem Willen und seinem Machtanspruch zu unterwerfen und – ideell, solange die Realität sich noch sperrt – anzupassen. Tatsachen zur Interpretationsfrage zu machen und die Alleingültigkeit der eigenen Interpretation zu behaupten, beweist dem nicht gegen Trump voreingenommenen Publikum, dass der Chef wie versprochen den Tatsachen an den Kragen geht, um die Welt dem in ihm verkörperten amerikanischen Herrschaftswillen gemäß zu machen und so die unwiderstehliche Dominanz der Weltmacht wiederherzustellen.

Das ist Trumps banales Erfolgsgeheimnis, das er mit seiner über Realitäten erhabenen absoluten Siegesgewissheit fortsetzt. Denn genau darin folgen ihm seine wahlberechtigten Follower. Die nehmen Trump als leibhaftiges America first! und personifizierten patriotischen Durchsetzungswillen genau so ernst, wie der sich ihnen anbietet. Die demokratische Art, auf eine wahlkämpferisch dargebotene politische Mission einzusteigen, ohne sie und ihren Botschafter konsequent beim Wort zu nehmen, lehnen sie ab; das wäre der Betrug, für den ihr Chef und Vorbild nicht zu haben ist, was sie dem mit ihrer Zustimmung danken. Freilich, dem Beruf des Wählers im Sinn des demokratischen Normalfalls kommen sie damit nicht so recht nach. Denn objektiv geht es in dem politischen System, das das Verfahren der Ermächtigung zur Herrschaft über die ermächtigte Person und ihre Mission stellt, für den Wähler darum, dass er ein politisch-persönliches Angebot so gut und wichtig findet, dass er ihm zustimmt, ihm also – es geht ja um Herrschaft – Unterwerfung verspricht; gleichzeitig wird diese Zustimmung aber so gewertet, dass sein versprochener Gehorsam vom Wahlergebnis nicht abhängt, vielmehr der Herrschaft als solcher und folglich auch dem abgelehnten Wahlsieger gilt. Das ist der Widerspruch, den die Demokratie ihrem wahlberechtigten Fußvolk zumutet. Entsprechend locker stellt sich der Wähler normalerweise auch zu dem großen Heiligtum seiner Staatsform, nimmt Wahlversprechen und das Engagement für das Schicksal der Nation, das bei jeder Wahl wieder ganz enorm auf dem Spiel steht, für die Heuchelei, die es in einer friedlichen Konsens-Demokratie allemal ist, und begegnet dem falschen Sieger mit nicht mehr als einer schlechten Meinung und einem inneren Vorbehalt, den jeder Verfassungsschutz ihm als Meinungspluralismus durchgehen lässt. Dafür geben Trump-Wähler sich, wie gesagt, nicht her – was auf der anderen Seite nicht unbedingt heißt, dass Biden-Wähler Methodiker oder auch nur Praktiker der demokratisch gebotenen Konsens-Heuchelei wären. Die Zuspitzung, für die Trump mit seinem Wahlkampf nach dem Muster ‚Triumph des Willens‘ und seiner Kultur der ehrlichen Lügen gesorgt hat, macht auch aus der Parteinahme für einen Kandidaten, der im Gegensatz der Programme, der Personen und ihrer Anhänger partout keine Unversöhnlichkeit erkennen, sondern nur Amerika und Amerikaner kennen will, ein Bekenntnis, das nahe bei dem Entschluss liegt, einem erneut gewählten Trump die Anerkennung als oberster Machthaber zu verweigern. Ebendas: eine Absage an die Perspektive, von Democrats und ihrem Joe regiert zu werden, ist der Standpunkt, den der Präsident mit seiner vorgezogenen Nicht-Anerkennung eines falschen Wahlergebnisses seinen Wählern anträgt und bei ihnen abruft.

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Dass er das tut, um sie an die Wahlurnen zu treiben und seine demokratisch einwandfreie Wiederwahl zu sichern, das ist der besondere Widerspruch, den Präsident Trump sich leistet, wenn er einerseits die Anerkennung der Gültigkeit der Wahl von seiner Wiederwahl abhängig macht und andererseits am Verfahren demokratischer Ermächtigung durch die Wählermehrheit festhält, das nun einmal das Risiko seiner Abwahl einschließt. Er will die Macht so unbedingt wie die formvollendete freie Zustimmung; oder andersherum: Er will die freie Wahl ohne die Möglichkeit der Niederlage. Und er geht davon aus, dass jeder gute Amerikaner das auch so sieht, ihm als America first! in Person seine Stimme gibt und so den Sinn einer freien US-Präsidentenwahl erfüllt. Dann löst sich jeder Widerspruch in Wohlgefallen auf; und das Wahljahr geht so schön zu Ende, wie es angefangen hat.

X. Das Ergebnis: Ein Wahlsieg ohne Verlierer

Die Kultur der unverschämten Ehrlichkeit, mit der Trump seinen Wahlkampf führt und eskaliert, verfängt. Die Zustimmung zu ihm, der Reinkarnation amerikanischer Größe, nimmt in absoluten Zahlen kräftig zu.

Nur nicht genug. Die Abneigung gegen ihn überwiegt. Joe Biden gewinnt.

Was der als Erstes aus seinem Erfolg macht, ist die Vollendung seines Wahlkampfs und die Einlösung seines großen Versprechens, den demokratischen Normalfall parteiübergreifender Konsenssuche und -findung wiederherzustellen. Der Sieger präsentiert sich als Joe, der für alle da ist; als personifizierte Heuchelei nationaler Einigkeit jenseits aller Gegensätze, welcher Art auch immer; als Gewinner, unter dessen Präsidentschaft sich keiner als Verlierer fühlen muss.

Trump liest das Verhältnis zwischen Sieg und Niederlage offensiv entgegengesetzt. Er macht nach dem Wahltag genau so weiter, wie er es vorher angekündigt hat – auf ihn ist eben Verlass –: einen Verlierer Trump gibt es nicht; definitiv nicht. Ein Ergebnis, das etwas anderes sagt, ist ungültig; genau genommen gibt es das überhaupt nicht.

Was fehlt, ist die Anpassung der Fakten an die politische Wahrheit. Daran lässt er arbeiten; mit den Mitteln, die Rechtsstaat und Demokratie in den USA in der Frage zu bieten haben. Und das sind erstaunlich viele. Nämlich erstens solche, die im Vorfeld freier Wahlen im Land der Freien die manipulative Beeinflussung von Wahlergebnissen durch zahlreiche Modalitäten des Wahlverfahrens erlauben und deswegen bei unliebsamen Ergebnissen im Nachhinein Gesichtspunkte für zweckmäßig konstruierte Zweifel an deren Legalität, eventuell sogar Anfechtungsgründe hergeben. Zum andern begründen die Umständlichkeiten der Präsidentenwahl selbst, insbesondere die Rolle der Einzelstaaten, aus denen die USA sich verfassungsrechtlich zusammensetzen, beim eigentlichen formellen Wahlakt zwar so gut wie nie realisierte, aber immerhin vorhandene Möglichkeiten zur nachträglichen Korrektur des Wählerwillens. Zur letzten Entscheidungsinstanz darüber, was der wirklich gewollt hat, kann so schließlich die nationale Gerichtsbarkeit werden; dass er diese Möglichkeit bei der fristgerecht fälligen Neubesetzung einer von neun Richterstellen am höchsten Bundesgericht mit einer reaktionären Gefolgsfrau mit im Kalkül hatte, hat Trump zum gegebenen Anlass ohne große Heuchelei durchblicken lassen.

Die Anpassung des Wahlergebnisses an seinen eigentlichen Zweck im Sinne Trumps und seiner Partei ist selbstverständlich mit einem Scheitern auf dem Rechtsweg nicht vorbei. Die Korrektur bleibt im Programm des permanenten Wahlkampfs, dessen nächste Stationen – Senatorenwahl in Georgia, Midterm-Elections 2022, die Rache in vier Jahren – schon feststehen. Und der mit dem Wahlabend bereits wieder angefangen hat. Lebendige Demokratie...

Zum Thema
„Ich wähle den Präsidenten, unter dem ich mehr Geld verdiene.“ (Ein namensloser hard-working Amerikaner im deutschen Fernsehen)

Das ist schon sehr nahe an der wahren Seele Amerikas: am falschen Materialismus kapitalistischer Konkurrenz, in der das Land der unbegrenzten Möglichkeiten sich nicht übertreffen lässt.

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