Zum Beispiel Bayer-Monsanto
Von der Monopolkonkurrenz in der Landwirtschaft
Anfangs herrscht die Sorge, Bayer könnte seinen guten Ruf ruinieren. Doch nach dem erfolgreichen Abschluss der Fusion mit Monsanto, dem schlecht beleumundeten amerikanischen Agrarchemiekonzern, kommt Freude über die „größte Übernahme der deutschen Wirtschaftsgeschichte“ auf, über den „perfekten Deal“, mit dem „Bayer den Namen Monsanto verschwinden lässt“ und zum größten Agrarchemiekonzern der Welt aufsteigt. Nachdem dann mehrere Gerichte in den USA Monsantos Verkaufsschlager Glyphosat bescheinigen, Krebs auszulösen, der Klage eines betroffenen Hausmeisters auf eine millionenschwere Entschädigung Recht geben und damit den Kurs der Bayer-Aktie auf Talfahrt schicken, kehren die Bedenken in schärferer Form zurück: „Wird Monsanto für Bayer zum Milliardengrab?“ Für den Ärger der Aktionäre über eine falsche Risikobewertung seitens des Bayer-Vorstands hat man Verständnis, setzt aber vorsichtige Hoffnung in das Können der Bayer-Anwälte, von denen man nebenbei erfährt, dass sie viel Erfahrung gesammelt haben im Umgang mit Klagen gegen unseren deutschen Chemiekonzern mit dem tadellosen Ruf... Die Anteilnahme, mit der die Profis der deutschen Öffentlichkeit das Treiben ihrer lokalen Global Players begleiten, ist rührend. Dabei wird vor lauter Sorge um den Erfolg der Transaktion deren großartiges Ziel gar nicht gewürdigt, obwohl die Chefs die allerbesten Motive haben.
Aus der Zeitschrift
Teilen
Systematischer Katalog
Zum Beispiel
Bayer-Monsanto
Von der Monopolkonkurrenz in der
Landwirtschaft
Anfangs herrscht die Sorge, Bayer könnte seinen guten Ruf
ruinieren. Doch nach dem erfolgreichen Abschluss der
Fusion mit Monsanto, dem schlecht beleumundeten
amerikanischen Agrarchemiekonzern, kommt Freude über die
größte Übernahme der deutschen
Wirtschaftsgeschichte
auf, über den perfekten
Deal
, mit dem Bayer den Namen Monsanto
verschwinden lässt
(FAZ,
4.6.18) und zum größten Agrarchemiekonzern der
Welt aufsteigt. Nachdem dann mehrere Gerichte in den USA
Monsantos Verkaufsschlager Glyphosat bescheinigen, Krebs
auszulösen, der Klage eines betroffenen Hausmeisters auf
eine millionenschwere Entschädigung Recht geben und damit
den Kurs der Bayer-Aktie auf Talfahrt schicken, kehren
die Bedenken in schärferer Form zurück: Wird Monsanto
für Bayer zum Milliardengrab?
(dw, 20.3.19) Für den Ärger der Aktionäre
über eine falsche Risikobewertung seitens des
Bayer-Vorstands hat man Verständnis, setzt aber
vorsichtige Hoffnung in das Können der Bayer-Anwälte, von
denen man nebenbei erfährt, dass sie viel Erfahrung
gesammelt haben im Umgang mit Klagen gegen unseren
deutschen Chemiekonzern mit dem tadellosen Ruf... Die
Anteilnahme, mit der die Profis der deutschen
Öffentlichkeit das Treiben ihrer lokalen Global Players
begleiten, ist rührend. Dabei wird vor lauter Sorge um
den Erfolg der Transaktion deren großartiges
Ziel gar nicht gewürdigt, obwohl die Chefs die
allerbesten Motive haben:
„Zwei der führenden Innovationsunternehmen der Agrarwirtschaft tun sich zusammen, um mit vereinten Kräften die Landwirtschaft durch bahnbrechende Innovationen zum Wohle der Landwirte, der Verbraucher und unseres Planeten zu gestalten.“ (Liam Condon, Mitglied des Bayer-Vorstands) „Vereint könnten Bayer und Monsanto noch mehr dazu beitragen, die stark wachsende Weltbevölkerung auf eine ökologisch nachhaltige Weise zu ernähren. Davon würden Verbraucher, Landwirte, aber auch die Aktionäre und Mitarbeiter beider Unternehmen profitieren.“ (Die Welt, 24.9.16)
Gut für Mutter Erde und die Menschheit, aber auch
fürs Geschäft – ein glücklicher Kollateralnutzen für die
Agenten der guten Sache. Dass es ihnen bei der Rettung
der Welt um die Eroberung des agrarischen
Weltmarkts geht, sodass möglichst kein Bauer und
kein Verbraucher der Welt ohne ihre Innovationen
auskommen kann, bleibt dennoch kein Geheimnis. Frech ist
es zwar allemal, die eigene weltweite Geschäftsoffensive
derart als Menschheitsbeglückung zu feiern, aber auch nur
fair: Wenn schon ihr ganzes Geschäft darauf beruht, dass
die Ernährung wie alles sonst in der Marktwirtschaft von
den Erfolgen konkurrenztüchtiger Firmen abhängig gemacht
ist, warum sollte man diese mit staatlicher
Gewalt etablierte Geschäftsgrundlage nicht auch für ein
bisschen Werbung in eigener Sache nutzen? Außerdem:
Unter dem Niveau der globalen Dominanz braucht
sich ein menschheitsrettendes Innovationsunternehmen im
Agrarbereich offenbar gar nicht mehr blicken zu lassen.
Denn so mega der Merger auch sein mag, er folgt einem
Trend in allen Abteilungen der Landwirtschaft, der schon
seit Jahren auf Hochtouren läuft und mit der Fusion
dieser zwei Agrarchemie-Monster nicht zu Ende ist. Dabei
wollen die zur neuen Größe aufsteigenden Agrarmultis
nicht nur mehr Geld mit ihren angestammten Produktlinien
verdienen, sondern auch das gesamte wachsende Geschäft
mit der Ernährung ‚digital‘ revolutionieren, es
vom Feld bis zum Teller – diese Spannbreite von
Geschäftsgelegenheiten nennt man vornehm
‚Wertschöpfungskette‘ – neu definieren, um es möglichst
vollständig zu dominieren.
Dabei hat sich eine Sache noch nicht geändert: die Haupt- und Stammkundschaft, um die sich das Geschäft der Großen überhaupt dreht.
I. Der kleine Kunde der Großen: Der Bauer und sein Geschäft
In der kleinen Lücke zwischen den großen Players, in der die landwirtschaftliche Produktion im eigentlichen Sinne stattfindet, werkelt immer noch in der Regel ein selbständiger Bauer mit seiner Familie. Der Landwirt, wie man ihn aus den Heimatländern der fortschrittlichen Multis kennt, mag sich von seinen Kollegen in der dritten Welt in mancher Hinsicht stark unterscheiden: Er ist studiert, computeraffin, bewandert in der BWL und nagt nicht gleich am Hungertuch. Doch politökonomisch bleibt er unter seinesgleichen, Mitglied eines eigenartigen Standes: ein selbständiger und selbstarbeitender Eigentümer an Grund und Boden.[1]
Eigenartig an diesen Eigentümern ist die Weise, wie sie in einem System zu Werke gehen, das nicht nur seinen Namen, sondern auch sein ganzes Wesen der kapitalistischen Verwendung von Eigentum verdankt – einem Prozess, der mit einem Stück in Geld bemessenem Vermögen anfängt und mit einem mehr davon nicht endet, sondern immer weitergeht. Zu den Kapitalisten, die so heißen, weil sie dieses systembestimmende Ziel als ihr eigenes betreiben, gehört der Bauer offensichtlich nicht: Zwar besitzt auch er Eigentum, an Grund und Boden eben; dessen Wert lässt sich auch in Geld bemessen, insoweit jedenfalls als ein Stück Geldvermögen bezeichnen. Doch der Bauer setzt sein Eigentum nicht als Kapital ein, als ein Geldvermögen mit einem Anspruch auf Vermehrung. Das unterscheidet den Bauern von den kapitalistischen Grundeigentümern, die rein die staatlich gestiftete, ausschließende Macht ihres Eigentums zu ihrer Einkommensquelle machen, indem sie es anderen Kapitalisten zur geschäftlichen oder Geldbesitzern zur sonstigen Verwendung überlassen und dafür einen Tribut fordern. Der bäuerliche Grundeigentümer macht eben nicht sein Eigentum an Grund und Boden zu seiner Geldquelle, sondern seine Arbeit daran; sein Grundeigentum ist nicht sein Kapital, sondern Gegenstand seiner Arbeit. Dass der Bauer es nötig hat, für seinen Lebensunterhalt und für den seiner Familie zu arbeiten – d.h. nicht bloß die Sorte Arbeit zu erledigen, die mit dem Management eines Haufens Kapital einhergeht –, zeugt von einem elementaren Geldmangel, der ihn von den kapitalistischen Eigentümern unterscheidet. Diesen Mangel teilt er mit den ‚lohnabhängig Beschäftigten‘, die ein Einkommen mit ‚unselbständiger Arbeit‘ verdienen, weil sie schlicht kein Eigentum besitzen, das sie als Geldquelle einsetzen können. Von solchen lohnabhängigen Figuren, dem gesellschaftlichen Gegenpol der Kapitalisten, unterscheidet er sich wiederum durch seine Selbständigkeit, dadurch, dass er am eigenen Eigentum und auf eigene Rechnung arbeitet.
Der selbstwirtschaftende Bauer hat nicht nur einen besonderen politökonomischen Status in der kapitalistischen Gesellschaft; auch sein Produktionsprozess ist ein besonderer und hat besondere Tücken. Seine Naturverbundenheit mag man für eine moralische Stärke halten, für sein Geschäft ist sie eine empfindliche Schwäche. Sein Produktionsprozess ist mit der Eigengesetzlichkeit der Natur konfrontiert – mit dem Umstand, dass das Wachsen und Reifen von Tieren und Pflanzen ihre Zeit brauchen und auch ganz ausfallen können. Das ist nicht bloß eine Eigenart der Arbeit an der Natur, die gelegentlich für Ärger mit der Ernte sorgt, sondern reimt sich in der marktwirtschaftlichen Konkurrenz, in der und wegen der sich der Bauer über die Natur hermacht, auf ein dauerhaftes Geldproblem: Denn sein Geldbedarf ist zwar kontinuierlich, hat er doch für seinen Lebensunterhalt und für seinen Betrieb dauernd Ausgaben zu tätigen, seine Geldeinkünfte stellen sich aber nur in größeren Abständen und nie verlässlich ein, eben im Rhythmus der Wachstumszyklen von Pflanzen und Tieren. Die Schwierigkeiten, die ihm dieser Umstand bereitet, nehmen in dem Maße zu, wie die Vollendung seines Produktionsprozesses und der Verkauf seines Ernte- bzw. Viehprodukts dauern. Und die Intensivierung der Arbeit – das erste und elementare Mittel, mit dem echte Kapitalisten in anderen Branchen zumindest ihre Produktionszeit verkürzen – steht dem Bauern nur sehr bedingt zur Verfügung, nämlich am vorderen und hinteren Ende des Naturprozesses, den er anschiebt und dessen Resultate er erntet. Dem Naturprozess selbst macht er dadurch keine Beine.
Diese Lage macht den selbstwirtschaftenden Bauern einerseits zu einem verzweifelten Anbieter gegenüber Händlern, die ihm die Zeit des Direktverkaufs seiner – außerdem leicht verderblichen, also unbedingt rasch zu verkaufenden – Produkte abnehmen. In den Preisen, die die Händler zu zahlen bereit sind, lassen sie den Bauern seine Notlage marktgerecht spüren. Diese Lage macht ihn andererseits zu einem umworbenen Kunden bei den Lieferanten von allerlei mechanischen und chemischen Produktionsmitteln, die er braucht, um sich und die von ihm bearbeitete Natur auf Trab zu bringen. Denn der Bauer steht vor der Notwendigkeit, mehr und sicherere Ernteerträge pro Hektar zu erzielen bzw. mehr aus seinem Viehbestand schneller herauszuholen, die anfallende Arbeit rascher zu erledigen und dabei den Qualitäts- und Mengenanforderungen der Abnehmer zu entsprechen. Dass der Einsatz solcher Mittel mehr Geld kostet, als der Bauer hat, macht ihn außerdem zu einem Kunden von Geldhändlern – allerdings zu keinem sehr gefragten. Die Geschichte der bäuerlichen ‚Genossenschaftsbanken‘ zeugt davon, dass der Ausgangspunkt des selbstarbeitenden Bauern die Bewältigung einer Notlage und nicht die Aussicht auf kapitalistische Geldvermehrung ist. Nicht zu bestreiten ist allerdings, dass die Bauern es mit viel Kredit und immer fortschrittlicheren Produktionsmitteln schaffen, mehr Ware schneller und sicherer anzubieten. Angesichts ihrer gestiegenen Kosten für die Steigerung ihrer Produktion – auch für mehr Land, mit dem sie bloß eine kostspielige Bedingung für erweitertes Produzieren erwerben – müssen sie auch mehr verkaufen und mehr verdienen. Doch gerade durch die erfolgreiche Steigerung ihres Angebots sorgen sie tendenziell für niedrigere Preise.
An genau der Stelle werden die selbstarbeitenden Bauern auf ihre entscheidende geschäftliche Schwäche gestoßen. Die liegt in ihrem Verhältnis nicht zur Natur, sondern zur Arbeit: Weil sie ihr landwirtschaftliches Geschäft in der Regel nicht per Verfügung über fremde Arbeit verrichten, fehlt ihnen die entscheidende Stellschraube, mit der echte Kapitalisten die Senkung ihrer Marktpreise zum Mittel ihrer Gewinnsteigerung machen, indem sie nämlich an der Differenz zwischen den Kosten und dem Ertrag der eingesetzten Arbeit schrauben: durch Intensivierung der Arbeit und/oder Reduzierung ihrer Bezahlung. Sie – und ihre Familien – machen eben den größten Teil der Arbeit selbst. Sie müssen also wie produzierende Kapitalisten rechnen, ohne Kapitalisten zu sein: Im Interesse ihres Einkommens müssen sie die Produktion und die Produktivität ihrer Betriebe steigern und die entsprechenden Kosten tragen, bleiben aber an entscheidender Stelle zum einzig tauglichen marktwirtschaftlichen Umgang mit der Arbeit, nämlich zur Kombination aus möglichst viel Leistung für möglichst wenig Geld, auf ihre eigene Leistungs- und Verzichtsbereitschaft beschränkt. Die mag enorm sein und macht sicher einiges wett; sie beschränkt sich aber eben auf den Umgang mit sich selbst, bleibt also kapitalistisch ungenügend.[2] Ihnen bleibt nur, mit der ständigen Steigerung ihrer Produktion den dadurch sinkenden Preisen hinterherzulaufen. So zeugt das Geschäft des Bauern davon, dass es eine Sache ist, immer produktiver zu arbeiten und immer mehr Zeug auf den Markt zu werfen, aber eine ganz andere, die Produktivität der Arbeit zum Mittel kapitalistischer Bereicherung zu machen.
Gewiss: Die Landwirtschaft hat über die Jahrzehnte eine beachtliche Karriere hingelegt. Davon zeugen sowohl die einschlägigen Statistiken als auch das ganze Erscheinungsbild der Landwirtschaft, zumindest in den Heimatländern des technischen Fortschritts. Der zeigt sich deutlich an den Böden, Pflanzen und Tieren, die sie bearbeiten, sowie an der Arbeit, die sie auf dem Feld und im Stall verrichten. Die Landwirte selbst haben eine etwas andere Karriere gemacht: Weltweit scheitern sie in wachsender Zahl an den Anforderungen der Landwirtschaft im Kapitalismus – ein Phänomen, das viele Namen trägt: Höfesterben, Bauernlegen oder ‚Strukturwandel‘. Wer sich mit den Staatshaushalten in den Mutterländern der großen Agrarkonzerne befasst, kennt die verbliebenen Landwirte in allen Größenordnungen in der Regel als staatlich subventionierte Kreaturen; wer lieber Fernseher oder Radio einschaltet, bekommt das Gleiche durch die Berichterstattung mit, in der die subventionierten Bauern der ersten Welt zwar einerseits als Empfänger einer ungerechten Bevorteilung zur Sprache kommen, an der ihre Standesgenossen in der dritten Welt und – noch schlimmer: die hiesigen Steuerzahler – leiden, andererseits als ziemlich ohnmächtige Opfer des Fortschritts, die solche staatlichen Krücken eben nötig haben. Einige von ihnen haben es immerhin insofern zu ansehnlicher Größe gebracht, als sie mit ihren Familien riesige Flächen bearbeiten, auf denen sie fortschrittlichste Technik zum Einsatz bringen und beeindruckende Warenmengen auf den Weltmarkt werfen, ohne selbst in den Rang waschechter Kapitalisten aufzusteigen, die sich im marktwirtschaftlichen Sinne reich nennen könnten.
Wie Landwirtschaft trotz der Tücken der Natur marktwirtschaftlich rationell, als Mittel der kapitalistischen Bereicherung im eigentlichen Sinne geht – das führen den Bauern zunehmend die Agrarunternehmen vor, die mit einer ordentlichen Menge Kapital anrücken, das eben nicht dem bäuerlichen Produzieren, sondern einer anderen, tauglicheren Quelle entspringt: Nicht erst, aber insbesondere seit der Finanzkrise hat sich die Internationale der Kapitalanleger auf Agrarrohstoffe gestürzt und damit einen gewaltigen Anstieg der Weltmarktpreise für diverse Feldfrüchte zustande gebracht. Das macht die landwirtschaftliche Produktion zum Staunen der Börsenbeobachter zu einem attraktiven, renditeträchtigen Geschäft, auf das größere Kapitale sich dann zunehmend werfen. Diese Geschäftemacher genießen die Freiheit, ihr Kapital dann und dort anzulegen, wo staatliche Sonderkonditionen, Arbeits- und Marktpreise ihnen eine zufriedenstellende Rendite verheißen. Sie vergleichen – und das gleich global – Klima, Bodenbeschaffenheit und Pachtpreise,[3] wählen die besten Flächen aus, picken sich die ertragversprechendsten cash crops heraus und kombinieren dort, wo sie es von Staats wegen dürfen,[4] großen Kapitaleinsatz mit einer Form von Lohnarbeit, die für einige Sendungen ‚Weltspiegel‘ gut ist. Viele dieser neu gegründeten Multis arbeiten im Auftrag der Handelsriesen oft und gerne mit international ausgesuchtem Billigpersonal, das die Äcker mit den größten Maschinen Tag und Nacht zu konkurrenzlos niedrigen Löhnen bearbeitet.[5] Solche Produzenten legen nicht nur eine haushoch überlegene Produktivität an den Tag, sondern machen den Bauern das Leben auch in anderer Hinsicht schwer: Als gern gesehene Kunden der Lieferanten fortschrittlicher Produktionsmittel und der kapitalistischen Grundeigentümer treiben sie mit ihrer kapitalkräftigen Nachfrage nach Produktionsmitteln und Land die Preise in die Höhe, die die unterlegenen Bauern für ihre Produktionsmittel und gegebenenfalls für die Pacht zu zahlen haben – und für die sie umgekehrt ihr stolzes Grundeigentum verkaufen könnten, wenn sie ihre bäuerliche Einkommensquelle aufgeben würden.
Doch es bleibt vorerst dabei: Wenn sich die Großen der Agrarindustrie auf beiden Seiten der landwirtschaftlichen Produzenten anschicken, die Landwirtschaft als ihre Geldquelle neu und besser zu bewirtschaften, dann machen sie sich nach wie vor in erster Linie über den eigenartigen, selbstwirtschaftenden Bauernstand her. Sie lassen ihn bei seinem beständigen Ringen darum, mit der Steigerung der Erntemengen und der Beschleunigung der Reifeprozesse dem Preisverfall hinterherzulaufen, den er und seinesgleichen eben dadurch herbeiführen, nicht allein. Sie überhäufen ihn vielmehr mit Angeboten – und bringen darüber gerechterweise vor allem ihr eigenes Geschäft voran.
II. Die großen Brüder des Bauern: die Agrarkonzerne und ihre Geschäftsmittel
Auf der einen Seite stehen die großkapitalistischen Abnehmer der Ernteprodukte, zusammengesetzt aus Handels- und Verarbeitungskonzernen, die es inzwischen zu einem beachtlichen Konzentrationsgrad gebracht haben.[6] Sie erschließen der Bauernschaft einen Markt, heute sogar einen Weltmarkt, zu dessen Belieferung sie mangels Kapital nie imstande wäre. Sie bringen das nötige Kapital mit, um die bäuerlichen Rohprodukte zu lagern und zu marktgängigen Konsumgütern zu verarbeiten – sei es für die industrielle Verwendung oder für den Supermarkt – und in alle Welt zu transportieren. Dass bayrische Bauern ihre Milch in Pulverform bis nach China verkaufen, hängt an Größe und Masse des von solchen Konzernen eingesetzten Kapitals. Das heißt umgekehrt, dass der Weltmarkt für diese Konzerne so offen ist, dass sie den letzten Kleinbauern in Indien mit dem Agrarmulti in Brasilien und dem Ökobauern in Hintertupfing als Bezugsquellen für das eigene Geschäft mit dem Weltmarkt vergleichen. Sie greifen auf die Landwirte der Welt zu, geben mit ihren Rentabilitätszielen die Kriterien vor, an denen die Bauern sich abzuarbeiten haben: was, wie viel, in welcher Qualität und zu welchem Preis sie zu produzieren und ihr Produkt abzuliefern haben. Gute oder schlechte Naturbedingungen wie Wetter, Schädlinge, Ernte- und Reifezeiten hin oder her: der Kreislauf, in den der Bauer mit alledem eingebunden ist, ist der eines Zulieferbetriebs für Handelskapital und Industrie. Letztere machen den Markt, den sie den Bauern eröffnen. Die Dienstleistung, die sie für die Bauern erbringen, bedeutet daher umgekehrt deren Festlegung auf die Rolle von austauschbaren Lieferanten von Rohstoffen, deren Preise sie mit den Akteuren an der Börse aushandeln. Damit die Bauern die gefragten Leistungen erbringen können, greift man ihnen gerne unter die Arme – zunehmend in Gestalt von ‚contract farming‘: Man hilft ihnen bei der Beschaffung und Finanzierung der benötigten Produktionsmittel, liefert technische Assistenz, garantiert ihnen die Abnahme ihrer Produkte und verhilft ihnen zu einem höheren und stabileren Einkommen – zumindest im Prinzip. Die Erfahrungen sind eher gemischt: Von außerordentlichen ‚Machtasymmetrien‘, einseitigen Abhängigkeiten ist da die Rede, die für ‚Missbrauch‘ in puncto Abnahmepreis, Finanzierungskonditionen, ‚Lock-in-Effekten‘ und dergleichen anfällig sind, auch wenn der Missbrauch in nichts als dem Gebrauch der Marktmacht besteht, die solche Handelskonzerne als Vertreter des Markts mit oder ohne die einschlägigen ‚contracts‘ haben.
Auf der anderen Seite stehen ebenfalls starke Partner, die die Landwirte mit allem versorgen, was sie brauchen, um die Tücken der Natur zu überlisten und den Anforderungen der Marktmacher gerecht zu werden. Die Bauern können auf moderne Gerätschaften zugreifen, mit denen sie mehr, schneller und mit weniger Arbeit produzieren können und so ihre Felder und Ställe inzwischen in regelrechte ‚factory farms‘ verwandeln. Die Mühe des Vergleichens von Preis und Leistung der diversen Marken wird ihnen heute insofern weitgehend erspart, als sie es auch hier mit einer sehr überschaubaren Anzahl von Anbietern zu tun haben, auf die sie ziemlich alternativlos verpflichtet sind.[7] Die Anschaffung von so viel PS für ihre Felder und ihre Ställe ist nicht nur eine Notwendigkeit, die die Bauern viel kostet, sie regelmäßig überfordert; hinzu kommt auch, dass sie zur allfälligen Wartung, Reparatur, Umrüstung und Anpassung ihrer gekauften Maschinen – eine betriebliche Notwendigkeit, bei der das Prinzip ‚Zeit ist Geld‘ waltet – heutzutage kaum noch fähig und schon gleich nicht mehr lizenziert sind: Eingriffe in die Maschinerie sind aufgrund der darin verpackten Technologie nicht ohne Weiteres möglich und durch Gewährleistungsklauseln und Herstellergarantien praktisch untersagt. Jederzeit willkommen sind dagegen Anrufe beim Kundenservice, bei dem die Bauern einen Termin in der Werkstatt des Landmaschinenhändlers ihres Vertrauens vereinbaren können. Hier lässt sich das Prinzip der Sache studieren: Auch hier ist die Befähigung der Bauern zu Glanztaten der Arbeitsproduktivität die Weise, wie sie für das Geschäftsinteresse mobilisiert werden, das sich auf ihren produktiven Bedarf richtet, um sie darunter zu subsumieren. Daran lässt sich außerdem ein Vorbote der Sorte Geschäft besichtigen, um das es in der derzeitigen ‚digitalen‘ Revolution in der Landwirtschaft geht: Hier wird den Bauern nicht bloß ein Produktionsmittel verkauft, sondern dessen Funktionieren, sodass das Produzieren auf eigene Rechnung zu einem mit allerlei Konditionen ausgestatteten, gebührenpflichtigen Prozess wird. Der läuft dann unter Aufsicht und Betreuung des Unternehmens ab, das die einschlägigen Produktionsmittel liefert. Dass das keine rein technische betriebswirtschaftlich-organisatorische Frage ist – dazu mehr in Teil III.
Auch die Agrarchemiekonzerne, darunter ganz prominent Bayer und Monsanto, halten sich mit Angeboten nicht zurück: konventionell und gentechnisch gezüchtetes Hochertragssaatgut, Dünger, Pestizide, ‚Koppelprodukte‘ mit Pestiziden und darauf abgestimmtem Saatgut, ebenfalls bei Monsanto erhältlich, etc. So vielfältig die Produktpalette, so wenig läuft der Bauer Gefahr, den Überblick über die Anbieter zu verlieren: Was gestern die ‚Big Six‘ der Sphäre waren, sind heute nach der schon erwähnten Fusionswelle die ‚Mighty Four‘: Bayer (+ Monsanto), Syngenta/ChemChina, Dow/Dupont und BASF. Die Angebote der Agrarchemie stehen mehr als alle anderen Momente der modernen Landwirtschaft für deren Industrialisierung. In der Tat sind sie dafür da und dafür gut, die Tücken der Natur zu überwinden und aus der landwirtschaftlichen Produktion einen verlässlichen Herstellungsprozess zu machen. Dass darüber die produktiver gemachten Nutzpflanzen selbst sowie der Boden Schaden nehmen, also neue Tücken geschaffen werden, gehört zwar zu den Erfahrungstatbeständen der modernen Landwirtschaft; sie ändern aber nichts an den Fortschritten bei der Überwindung der Sperrigkeit der Natur für das kapitalistische Geschäft mit ihr. Im Gegenteil: Sie sind sogar eine fruchtbare Quelle zusätzlicher Geschäfte, erstens schlicht für mehr Chemieeinsatz und zweitens für weitere ‚Hilfsstoffe‘, die eine unerwünschte Nebenwirkung oder einen Schaden wieder unschädlich machen sollen.[8]
Mit dem Rückgriff auf das Saatgut solcher innovativer Konzerne erwirbt der Bauer ein Stück Naturbeherrschung, die ihm als käufliche Ware entgegentritt, aber in entscheidender Hinsicht nicht in seine Hände übergeht: Was er da kauft, ist eine produktive Leistung, die im gekauften Saatgut selbst bzw. in der Kombination von Saatgut und Agrarchemie als spezifizierte Eigenart der anzubauenden Pflanze steckt. Mit deren Einsatz macht sich der Bauer eine Leistung der von Monsanto angewandten Wissenschaft zunutze, bekommt so die Zwänge der Natur besser in den Griff; dafür bekommt er es mit einer Leistung der Staatsgewalt zu tun, die sich sein Anbieter zunutze macht: mit dessen geistigem Eigentum. Die Verwendung von Teilen der Ernte als neues Saatgut ist durch das Patentrecht geschützt, d.h. dem Bauern nur gegen Lizenzgebühren an den ‚Hersteller‘ erlaubt.[9] Monsanto entwickelt auf diese Art Saatgut und ‚Koppelprodukte‘, die die Landwirte jede Saison neu kaufen müssen, sodass sie zu sehr verlässlichen Erfüllungsgehilfen der eigenen Rentabilität werden:
„In den vergangenen 20 Jahren vervierfachten sich die Preise, die amerikanische Farmer für Saatgut von Mais oder Baumwolle zahlten.“ (faz.net, 25.5.16)
Gerade an diesem geschäftlichen Kniff von Monsanto lässt sich die fortschrittliche Besonderheit seines Geschäftsmodells studieren – und auch hier eine Urform der Geschäfte, auf die es im ‚digitalen Zeitalter‘ ankommt: Monsanto macht sein Geschäft mit dem Regime, das ihm die Nutzung seines geistigen Eigentums ermöglicht, also mit der Macht des Rechts über einen Produktionsprozess, den es nicht selbst betreibt, aber an entscheidender Stelle lizenziert. Ein besonders schönes Zusammenspiel von ökonomischer und rechtlicher Macht – Monsanto versteht es sogar, gerade aus den Umgehungsversuchen seiner Kunden eine stattliche Geldquelle zu machen.[10]
*
So stehen die umsorgten Bauern in der Landschaft: Als Abnehmer wie als Lieferanten sind sie eingeklemmt zwischen den kapitalistischen Marktmachern und Verarbeitungsindustrien, die ihnen mit den Preisen die Erlöse aus ihrer Produktion diktieren, und den Produzenten der Produktionsmittel, die ihnen die technischen Bedingungen des Produzierens vorgeben und die Preise dafür bestimmen. Von den Fortschritten der Landwirtschaft auf allen Seiten haben die ‚Landwirte‘ nichts in der Hand; auf sie fällt die Notwendigkeit, alles mitzumachen und zu bezahlen, was die kapitalistische Industrie aus ihren Berechnungen heraus veranstaltet. Dazu kommen die Kreditgeber, deren Zinsforderungen bedient sein müssen, damit die Bauern auf die Geldmittel zugreifen können, die sie brauchen, um die Rolle von bloßen Erfüllungsgehilfen ‚vor Ort‘ für einen Weltmarkt zu erfüllen, den von den Produktionsmitteln bis zur Versorgung von Menschheit und Industrie mit Agrargütern wenige global agierende Konzerne beherrschen – eben die wenigen, die dank ihrer Kapitalmasse dazu in der Lage sind.
III. Große Fortschritte der Großen: noch eine Revolution der Landwirtschaft
Wenn die Chefs solcher Konzerne auf die Landkarte blicken, dann entdecken sie immer noch allzu viele ‚weiße Flecken‘. Bei aller erreichten globalen Ausdehnung ihrer Geschäfte gibt es mindestens anderthalb Kontinente von Bauern in allen Größenordnungen, die sich mit ungünstigen Natur- und Marktbedingungen herumschlagen, ganz ohne die ganze Palette an Hilfsmitteln in Anspruch zu nehmen, die man ihnen gern verkauft hätte, sei es, weil sie sich die Angebote nicht leisten können oder dürfen, gar nicht für ein Geldeinkommen auf dem Markt produzieren oder Flächen beackern, auf die kein Traktor passt. Auch denen wollen die revolutionären Geschäftemacher ein Angebot machen, um so die gesamte Weltbauernschaft für die geldwerten Dienstleistungen zu erschließen, die man ihr von beiden Seiten aus anbietet. Im Falle von Bayer und Monsanto geht es auch um die Überwindung der selbstgeschaffenen und enger werdenden Schranken ihres bisherigen Geschäftsmodells. So einsinnig und konsequent fassen Agrarchemiker die ruinösen Wirkungen ihres Geschäfts auf Mensch und Natur: als eine bremsende Rückwirkung unter anderen auf ein Geschäft, das auf keinen Fall ausgebremst werden darf. Solcher Schranken gibt es derzeit viele. Es gibt erstens Schranken der Natur: einen durch den üppigen Chemieeinsatz und die intensivierte Nutzung ausgelaugten Boden sowie die wachsende Resistenz von Rüsselkäfern und Super-Weeds; zweitens Schranken des Markts: eine erlahmende Kauffreude angesichts steigender Preise und kontraproduktiver Nebenwirkungen der eingesetzten Hilfsmittel sowie sinkender Preise für ihre Güter auf einem ‚überfüllten‘ Markt; drittens Schranken des Rechts: das Auslaufen vieler ihrer Patente für gentechnisch veränderte Pflanzeneigenschaften und Pestizide sowie noch bestehende oder neu erwogene staatliche Verbote für ihre bisherigen chemischen und gentechnischen Wundermittel.
Die vorwärtsweisende Lösung für all diese Schranken
besteht in der Vollendung des Weltmarkts in der
Landwirtschaft. Dabei geht es den ambitionierten
Konzernen nicht einmal bloß darum, weltweit in die Breite
zu wachsen, also mehr Geschäft in dem Bereich zu
machen, in dem sie schon eine quasi-monopolistische
Stellung errungen haben. Gerade diese Stellung lässt
ihnen ihren jeweiligen Bereich unerträglich klein
erscheinen, und sie ist umgekehrt das beste Mittel, um
die Grenzen ihres Bereichs zu sprengen. Das tun die
betreffenden Konzerne allerdings nicht – jedenfalls nicht
nur und nicht vorwiegend – so, dass sie in benachbarte
Geschäftsbereiche eindringen und den jeweiligen
Platzhirschen mit einer besseren Variante der dort
üblichen Produkte ihre Geschäfte streitig machen. Ihnen
geht es um eine Dominanz anderer, übergeordneter Art: als
Herren über alle Geschäfte, die in und mit der
Landwirtschaft gemacht werden. In der Sprache der Branche
streben sie Fortschritte in der ‚vertikalen Integration‘
an, d.h. die Eroberung der vor- und nachgelagerten
Geschäftssphären und im Idealfall der gesamten
agrarischen ‚Wertschöpfungskette‘. Das Ganze trägt
Etikette wie ‚Landwirtschaft 4.0‘ oder ‚Digital Farming‘.
Das ist einerseits ein ziemlich ungeeigneter Ausdruck für
das Vorhaben, den Weltmarkt zu vollenden und möglichst
exklusiv auszunutzen; andererseits sind die gewaltigen
Fortschritte in der digitalen Technik, also der eigene
Vorsprung bei deren Anwendung, in der Tat das dafür
entscheidende Mittel. Sie sind auch der entscheidende
Beweggrund für Bayers perfekten Deal
mit Monsanto.
1.
Der Einsatz der enorm gewachsenen Rechenkraft der
digitalen Technik verspricht erstens große Fortschritte
in der konventionellen und gentechnologischen
Züchtungstechnik: z.B. ‚Smart Breeding‘ –
Hochgeschwindigkeits-Präzisionszucht dank
markergestützter Selektion – und die Anwendung ganz
neuer, zudem extrem billiger und schneller ‚Gene
Editing‘-Verfahren (Gen-Schere) wie das unter dem
sperrigen Kürzel bekannte CRISPR/Cas9. So lässt sich
marktgängiges, genetisch modifiziertes Saatgut der nächst
höheren Art entwickeln, das unter allen möglichen und
widrigen Umweltbedingungen Hochertrag stiften soll. Im
Prinzip werden Reisanbau in wasserarmen Gegenden,
Weizenanbau auf kargen Böden, schnelle Anpassung von
Saatgut an Klimawandel, Wetterextreme und sonstige
‚Stressfaktoren‘ möglich.[11] Kosten- und zeitsparend
entwickelte Saaten, die an spezielle regionale
Bedingungen angepasst sind, sollen es den Klein- und
Kleinstbauern der Welt ermöglichen, mit bisher nicht
gekannter Ertragssteigerung marktfähig zu werden. Auch
die Entwicklung von genetisch modifizierten ‚minor crops‘
wird so potenziell rentabel; das sind Saaten, nach denen
zwar Bedarf besteht, von denen aber bislang zu wenig
abgesetzt wird, als dass sich der Züchtungsaufwand für
die Agrarchemiker gelohnt hätte. So kommen die
erfindungsreichen Unternehmen dem Ziel näher, die noch
bestehenden Lücken in der Kundenkartei – Regionen, in
denen noch ‚autonom‘, mit herkömmlichen Anbauverfahren
gewirtschaftet wird – zu stopfen. So können die Bauern
der Welt beim Agrarchemiekonzern ihres Vertrauens
einkaufen und können auch unter widrigen Bedingungen mehr
pro Hektar produzieren, womit sie im Prinzip die Preise
für die agrarischen Superproduktionsmittel auch zahlen
können sollen. Und wo sie – z.B. in Afrika – bislang
keine Überschüsse für den Markt zustande bringen und
deshalb kein Geld verdienen, gibt es jetzt schon Hilfe
bei der Finanzierung des Saatgutkaufs durch die Vergabe
von Krediten und Mikrokrediten: In Kooperation mit
speziellen Banken, NGOs, öffentlichen Kreditgebern à la
KfW oder gleich mit eigenen Kreditinstituten wird der
Verkauf befördert.[12] Und zwar so, jedenfalls dem
Ideal nach, dass man die Bauern in eine solide
geschäftliche Kette einbaut, in der sich an ihnen
langfristig und verlässlich verdienen lässt.[13] So geht die
Übertragung der – gesteigerten – Produktivität der
globalen Landwirtschaft vom Feld des Bauern in das eigene
Patent-Portfolio; und so lässt sich sogar aus
Subsistenzbauern ein weltweites Geschäftsobjekt machen –
die Masse macht’s. Da erscheint die Vision von Bayer
(We feed the World
) sehr angemessen, nämlich als
passende Überhöhung der fertigen Erschließung der
weltweiten Landwirtschaft für das eigene Geschäft mit
ihr.
Vom Standpunkt der Anbieter solcher Fortschritte setzt das Ganze freilich voraus, dass man zuerst kommt; in der Marktwirtschaft ist der technologische Fortschritt bekanntlich nichts ohne den eigenen Vorsprung. Ihr Ziel ist daher die möglichst rasche und möglichst weitgehende Erweiterung des eigenen Patent-Portfolios. So bringt man einerseits die bäuerlichen Kunden in eine Abhängigkeit, die sich für ihre Lieferanten lohnt. Und auch wenn bei vielen erworbenen Patenten noch gar nicht daran gedacht wird, sie in fortschrittliche Produkte zu verwandeln, werden die Konkurrenten so auf Abstand gehalten: Ihnen wird die Verwandlung des nun patentierten Wissens in Konkurrenzprodukte verwehrt – oder man verdient an dessen Lizenzierung. In jedem Fall wird das Ziel erreicht, auf das es in der Marktwirtschaft ankommt.
2.
Bayer-Monsanto stört es auch gar nicht, dass sie mit ihren angestrebten Fortschritten in der Anwendung der digitalen Technologie den Absatz ihrer bisherigen ‚Blockbuster‘ Glyphosat und Glufonisat bald ‚kannibalisieren‘ könnten. Sie wollen eben nicht länger auf diese Kassenschlager beschränkt bleiben. In den Worten des Bayer-Vorstands:
„Die gefeierte Digitaltechnik senkt in erster Linie den Verbrauch von Pflanzenschutzmitteln. Die Konsequenz: ‚Wenn nur die Hälfte des Feldes gespritzt wird‘, so Condon, ‚werden wir nur halb so viel Absatz machen.‘ Aber: ‚Das Wissen, dass man nur diesen Teil des Feldes spritzen muss – das können Sie verkaufen.‘“ (Fokus 39/16)
Der bäuerliche Wissensbedarf reicht sogar viel weiter: Wann sollte der Landwirt aufgrund der Marktlage von welchen Lieferanten welche Produktionsmittel kaufen? Was, wie viel und wann sollte er aufgrund der Wetter- und der Marktlage anbauen, wann, wo und wie viel spritzen oder sonst wie auf dem Feld zu Werke gehen? Schließlich: Wann sollte er aufgrund der Marktlage ernten, schlachten und verkaufen? Daher ist es für tüchtige Geschäftemacher entscheidend, sich das einschlägige Wissen über all diese Bedingungen der Produktion und Zirkulation im doppelten Sinne anzueignen: es zu sammeln und zu seinem Eigentum zu machen. Auf der Grundlage lässt sich das Wissen mitsamt den geschäftlichen Schlussfolgerungen als käufliches Gut, als Handy-App vermarkten.[14] Und zwar nicht bloß einmal, sondern jedes Mal, wenn der Landwirt eine Entscheidung treffen muss, ihm daher eine Entscheidung abgenommen werden kann, also solange und so konstant, wie er sich überhaupt als Bauer betätigt. Daraus ergibt sich auch der produktive Zirkel, dass die digital versorgten Landwirte als netzgebundene Nutzer der Apps zugleich als Elemente eines vollautomatischen Dauertests eingesetzt werden: Das kontrollierte Ausbringen und Anwenden der verkauften Produktionsmittel wirkt als stetiger Feldversuch und als Grundlage der kontinuierlichen Verbesserung und Anpassung des Saaten- und Pflanzensortiments sowie aller anderen Entscheidungen, die auf den Daten basieren, die die Landwirte – mit den an ihre Gerätschaften angebrachten Sensoren – buchstäblich mit jedem Schritt produzieren.[15] Will der Bauer sich seine Daten zunutze machen, so bleibt er beim jetzigen Stand der Dinge an die Firma effektiv gekettet, die ihm seine Gerätschaften verkauft und damit seine Daten sammelt, um sie ihm gegen Lizenz in brauchbarer Form zu verkaufen. So lässt sich sein Bedarf möglichst umfassend ermitteln und bedienen, um an ihm möglichst umfassend zu verdienen: Man beheimatet bzw. sperrt ihn im firmeneigenen ‚Ökosystem‘ bzw. auf einer ‚Vollservice-Plattform‘ ein, mit der man sich zum gut bezahlten Organisator aller Geschäftsentscheidungen macht, die er nur noch in einer, allerdings entscheidenden, Hinsicht selbständig trifft: auf eigenes Risiko. Diese Sorte geschäftliche Umklammerung stellt die bisherige Kunst von Monsanto, mit seinem angesammelten geistigen Eigentum an immer neuen Saaten Geschäfte zu machen, in den Schatten.
Die Konkurrenz der Anbieter und Eroberer eines solchen Regimes ist von Haus aus eine ums Monopol. Das allerdings nicht bzw. nicht primär in dem Sinne, dass man es auf die Eliminierung aller Konkurrenten abgesehen hätte. Vielmehr so, dass man sich als Türöffner und Torhüter für alle Geschäftsgelegenheiten aufbaut, die auch die Rivalen mit dem Bauern weiterhin machen und auch machen sollen, sofern die Geschäfte über das eigene digitale Service-Angebot abgewickelt werden, sodass der Service-Anbieter jedes Mal daran mitverdient. Im Grundsatz dreht sich ihre Konkurrenz um die Frage, wer den Zugang zum Kunden zur Sache seiner Gewährung machen kann – um das, was die Fachleute vornehm den ‚architektonischen Vorteil‘ nennen: Den genießt die Firma, die ihre Konkurrenten unter das eigene Regime über die gesamte Geschäftssphäre zu subsumieren vermag und sie so zu bloßen Anbietern auf einem Markt degradiert, den die architektonisch überlegene Firma gestaltet.
3.
Für dieses Ziel ist Kapitalgröße absolut entscheidend: für den Vorsprung bei Forschung und Entwicklung; für die Fähigkeit, ein ganzes ‚Ökosystem‘ zu organisieren, aus dem der Kunde nicht mehr heraus will, weil er es nicht kann; schließlich für die Rücksichtslosigkeit gegen finanzielle Verluste auf dem Weg zum Endziel. Deswegen kommen als ernsthafte Konkurrenten nur Branchenführer in Frage; und aus dem gleichen Grund kann es bei ihrer schon erreichten Größe nicht bleiben, schon gar nicht lange, weswegen Übernahmen, Fusionen und ‚strategische Kooperationen‘ innerhalb einer landwirtschaftlichen Branche und auch über Branchengrenzen hinweg das probate Mittel sind, die nötige Größenordnung zu erreichen, ohne erst in sie durch weitere Geschäftserfolge hineinwachsen zu müssen.[16] Und weil es eben nicht um ein Geschäft mit einem bestimmten agrarischen Geschäftsartikel, sondern mit dem agrarischen Geschäftemachen überhaupt geht, kommt umgekehrt jeder Branchenprimus als Konkurrent in Frage – aus jeder Abteilung der Landwirtschaft, gerne auch von außerhalb. Daher treffen die Großen aus allen Gliedern in der Kette nicht nur aufeinander, sondern auch auf IT-Größen wie Google und Amazon, die mit einem solchen Geschäftsmodell Erfahrungen und vor allem: eine ansehnliche Kapitalgröße gesammelt haben.[17] Dass diese Konkurrenz der Größten um Größe und ums Monopol nicht abgeht, ohne dass die Agenten des Kredits zugange sind, ist kein Wunder: Blackrock und Co sind an allen Firmen entlang der ‚Wertschöpfungskette‘ beteiligt und treiben die einschlägigen Mergers, Acquisitions und Kooperationen voran. Sie verschaffen ihren Partnern Kapitalgröße zur Überwindung aller sich auftuenden Wachstumsschranken, auf deren Überwindung sie dann auch als Bedingung ihrer Beteiligung bestehen; sie drängen also ‚aktivistisch‘ auf Konsequenz gegenüber Firmenleitungen, die für Passivität nicht gerade bekannt sind. Und in ihrer Beteiligung an den Fortschritten der Landwirtschaft machen die Finanzkapitalisten ihren eigenen Fortschritt: von der krisenbedingten Suche nach einer alternativen Anlagemöglichkeit zur Revolutionierung der gesamten Lebensmittelproduktion als sicherer, gar nicht mehr sperriger Investitionssphäre. Noch mehr: Die Geldkapitalisten führen so einen kleinen Treppenwitz der Geschichte herbei, indem sie die Landwirtschaft, das altehrwürdige Geschäft mit der Natur, bei der jetzt anstehenden ‚digitalen‘ Revolution sogar zu einem Vorreiter machen.[18]
*
So macht die Riege der bestimmenden landwirtschaftlichen Subjekte in ihrer Konkurrenz einen beeindruckenden kollektiven Fortschritt: von der Entwicklung und Lieferung von – ‚autonom‘ durch die Bauern anzuwendenden – Produktionsmitteln und vom Aufkauf der – von denen in prekärer Eigenregie hergestellten – Waren zu einem von den Bauern vor Ort zu bezahlenden, datengestützten Regime über den gesamten agrarischen Produktionsprozess vom fortschrittlichen Saatgut bis zum verbraucherfreundlich gestylten und beworbenen Endprodukt und dessen Abverkauf.
4.
Für das Programm, die weltweite Bauernschaft für das
umfassende Geschäft mit ihr zu erschließen, reicht es
nicht aus, mit geballter Geldmacht einen gentechnischen
und digitalen Vorsprung zu erlangen. Für die Steigerung
und Sicherung ihrer geschäftsdienlichen Macht über die
Bauern der Welt brauchen die Konzerne weltweite
Rechtssicherheit – also verlässliche Akte
staatlicher Gewalt. Die betreffen zum einen die
Zulassung ihrer aktuellen und zukünftigen
konventionellen und genetisch modifizierten Saaten und
darauf abgestimmten Pestizide, zum anderen die Gewährung
und Durchsetzung des geistigen Eigentums, die
die bisherigen Bestimmungen des Patentrechts erheblich
erweitern und auf dem ihre ganze Geschäftsoffensive
beruht: Im Prinzip arbeite der Konzern ähnlich wie die
Software- oder die Musikindustrie – teuer entwickeltes
Saatgut im Austausch gegen Lizenzgebühren.
(Bayer-Chef Baumann) Das gilt
für das Eigentum an ihren gezüchteten Saaten sowie für
die Daten, die sie künftig so umfassend sammeln,
zusammenführen und vermarkten wollen; darauf lässt sich
nur dann ein fortschrittliches Geschäftsmodell aufbauen,
wenn die von den Bauern produzierten und für die Bauern
nützlichen Daten eben nicht denen gehören, sondern dem
geschäftstüchtigen Unternehmen.
Aus diesem geschäftlichen Ziel folgen politische
Forderungen an die Herren des Rechts: Sie sollen
den Respekt der Bauernschaft vor den teuer
entwickelten
geistigen Produkten der Agrarkonzerne
verlässlich durchsetzen – also davor, dass sie Objekte
eines ausschließenden Verfügungsrechts sind, die
nicht für eine Produktivitätssteigerung missbraucht
werden dürfen, an der der innovative Konzern nicht Jahr
für Jahr verdient. Die Erfüllung dieser Forderungen
versteht sich überhaupt nicht von selbst, ist vielmehr
eine erhebliche Herausforderung an Staaten, die die
anvisierte Bauern-Kundschaft zunächst als ihren
Besitz-, nämlich ihren nationalen Nährstand beanspruchen:
Die geforderte ‚Rechtssicherheit‘ bedeutet nicht nur für
die Bauern der Welt einen neuen Kostenaufwand, der sie
nach bisheriger Erfahrung jedenfalls tendenziell
überfordert, sondern auch für die Staatsgewalten, die mit
der Durchsetzung der Anerkennung des geistigen Eigentums
eben dafür sorgen, dass der Gebrauch solcher Innovationen
für viele ihrer Bauern teuer bis unerschwinglich wird –
was souveränen Staaten vor allem unter dem hoheitlichen
Gesichtspunkt Kopfschmerzen bereitet, dass die
Ernährungsbasis der Nation von den Rechnungen
ausländischer Geschäftemacher abhängig gemacht wird. Auch
wenn für viele der betreffenden Staaten der Welt die
Steigerung der Hektarerträge ein dringliches Ziel mit
Blick auf die prekäre Lebensmittelversorgung ihrer Völker
ist, sind staatliche Vorbehalte gegenüber den Mitteln der
Produktivitätssteigerung, die die Agrarkonzerne zu
verkaufen haben, sowie die nicht immer vorhandene
Bereitschaft, den Respekt vor dem geistigen Eigentum
durchzusetzen, diesen Konzernen als politische
Marktrisiken
bestens bekannt.[19]
Damit ist klar, dass für das Gelingen dieses Geschäftsmodells mehr in die Waagschale geworfen werden muss als bloß Marktmacht. Die Forderungen der Agrarkonzerne nach Rechtssicherheit sind von vornherein eine Frage für höhere Mächte, die ihre staatliche Macht hinter sie stellen: Insbesondere die USA und die EU sind längst zur Stelle, um die Staaten der Welt darauf zu verpflichten, dass sie das geistige Eigentum, das seinen Entstehungsort und Heimathafen in den USA und in der EU hat, so zu schützen haben, als wäre es das Eigentum ihrer eigenen Bürger.[20] In dieser Frage haben diese Weltwirtschaftsmächte in jahrelangen Verhandlungen und auf unzähligen Gipfeln beachtliches Stehvermögen bewiesen. Sie haben es geschafft, die Staaten der Welt zum größten Teil in ein Regime des geistigen Eigentums – ‚TRIPS‘ – hineinzubugsieren, bei dem allerdings noch einige Rechnungen offenbleiben, z.B. in Bezug auf die digitalen Fortschritte in der Gentechnik und der Datensammlung, und gerade unter den konkurrierenden Heimathäfen der Agrarmultis. Diesen Mächten geht es nämlich nicht bloß darum, andere Staaten auf den Respekt vor den Eigentumsansprüchen der eigenen Konzerne zu verpflichten; sie wollen sich vielmehr selbst als Standort solcher zu weltweiter Dominanz fähiger Konzerne behaupten, von der aus Letztere ihr stets wachsendes geistiges Eigentum in alle Welt hinausschicken. Vom Standpunkt dieser Konkurrenz ist die Fusion von Bayer mit Monsanto auch für den deutschen Standorthüter ein großer Coup; einen Rückschlag stellt dagegen die Entscheidung des EuGH dar, die neue Gentechnik à la Crispr mit der alten Gentechnik gleichzusetzen und deren Anwendung nur sehr eingeschränkt zuzulassen. So bleibt man bis auf Weiteres recht unattraktiv – jedenfalls im Vergleich zu den USA – für die innovativen Geschäftemacher, die den Weltmarkt neu erobern wollen.[21]
5.
Auch wenn noch nicht alle Einzelheiten geklärt sind, so viel steht fest: Die nächste landwirtschaftliche Revolution fällt sehr systemkonform aus. Denn auch in dieser Abteilung der Marktwirtschaft soll genau so und nicht anders gewirtschaftet werden, wie es sich für die entscheidenden unternehmerischen und staatlichen Subjekte lohnt, weswegen auch kein Erdenwinkel ausgespart und kein Stein auf dem anderen bleiben darf. Sie machen die Sache mit der Ernährung auf die Art zu einer wahrhaft globalen Angelegenheit – zu einem Objekt ihrer Konkurrenz um den Weltmarkt, den die Multis neu in Beschlag nehmen wollen, und zu einer Sache der konkurrierenden (Groß)Mächte, die ihnen den Weg in alle Welt und von der richtigen nationalen Startrampe aus bahnen.
Etwas anders sieht diese Konkurrenz aus, wenn sie zum
Streitobjekt zwischen Befürwortern und Kritikern der
jüngsten landwirtschaftlichen Revolution wird. Die
Diskutanten kennen zwar die entscheidenden Subjekte der
Welternährung sowie deren Kalkulationen, führen ihre
Debatte allerdings als eine um die Frage: Wie ernähren
wir in Zukunft die Menschheit?
So verweisen die einen
auf gewachsene Potenzen zur Ernährung derselben
hungrigen, wachsenden Menschheit, auf deren Mägen sich
die anderen ebenfalls berufen, wenn sie sich bei so
vielen Mega-Mergers um die Lebhaftigkeit der Konkurrenz –
Grundlage aller menschheitsrettenden Innovationen –
sorgen, während noch andere sich Gedanken über den Boden
machen, von dessen Früchten die Menschheit lebt und von
dem es heißt, ihm würde unter dem Gewicht einer dermaßen
‚industrialisierten Landwirtschaft‘ langsam die Puste
ausgehen. Wie auch immer die Debatte ausgeht: in jedem
Fall schaffen es die Beteiligten, die Konkurrenz von
Staat und Kapital um den Weltmarkt zu einem Anliegen zu
verfabeln, das von, für und durch ‚die Menschen‘
gemeinsam zu beraten und zu bewerkstelligen wäre –
irgendwie, letztlich. Die ganze Prämisse der Debatte ist
also fiktiv, die Debatte selbst insofern bloße
Begleitmusik zum wirklichen Treiben auf dem Markt, auf
dem die aktiven Multis und die darüber wachenden
Weltmächte längst die praktisch gültige Antwort geben.
Aber genau darin ist die Debatte ideologisch sehr
produktiv: So wird die wirkliche Konkurrenz um das
Weltmarktgeschäft in ein Sorgeobjekt von zwar
unmaßgeblichen, aber nicht minder verantwortungsbewussten
Bürgern verwandelt; deren Kritik kommt bei den
angeklagten großen Agrarkonzernen zwar nicht gut an, aber
die Prämisse ihrer Kritik ist ihnen sehr willkommen. Das
eine Resultat dieser Kritik ist einer wachsenden
Unterabteilung dieses Geschäfts erst recht willkommen,
nämlich die wachsende Bereitschaft, für ‚Nachhaltiges‘
und ‚Ökologisches‘ mehr zu zahlen.
Genauso verkehrt, aber ideologisch fruchtbar ist die Weise, wie die Kritiker der digitalen Revolution für den Bauern eine Lanze brechen. Anwälte seines Rechts auf eine lebhafte Konkurrenz um seine Nachfrage und sein Angebot hat der Bauer offensichtlich viele, wo eine unfaire und doch eigentlich marktwirtschaftswidrige Monopolstellung der Großkonzerne beklagt wird, ohne dass die Kritiker behaupten würden, die Bauern seien überhaupt jemals in der Lage gewesen, sich zum Nutznießer einer lebendigen Konkurrenz unter ihren Geschäftspartnern auf beiden Seiten zu machen. Aber so ist das meistens mit den negativen Wirkungen des kapitalistischen Fortschritts: Sie lassen den bisherigen Zustand immerhin etwas heller erstrahlen. Anwälte seines über die Jahrhunderte angesammelten Erfahrungswissens hat der Bauer auch: Beklagt wird der Verlust eines einmaligen Wissenserbes, der droht, wenn dessen bäuerliche Hüter zugunsten einer durchrationalisierten industriellen Landwirtschaft weiter enteignet werden. Es ist eine Sache, dass die Fortschritte der Agrarmultis den Bauern tatsächlich zum User eines digitalen Farm-Management-Systems degradieren, das andere zu seinem Schaden bestimmen. Es ist eine ganz andere Sache, ausgerechnet den Bauern, der in seiner Not, mehr verdienen zu müssen, um jeden Preis, mit allen Mitteln und ohne alle Rücksicht Hektarerträge steigert, zum Bewahrer der Schöpfung zu küren – eine Rolle, die er nur erfüllen könne, wenn er weiterhin Kleinbauer bleibt und seine Geschäftsentscheidungen ganz autonom trifft. Das großartige bäuerliche Wissenserbe hat sich zwar am wenigsten für den Bauern ausgezahlt, aber so sind seine Nöte immerhin ein fruchtbarer Boden für die Feier von Tugenden, die man ihm andichtet.
*
Die wirklichen Streitfälle zwischen den Großkonzernen und ihren Kunden werden anderswo, nämlich derzeit vor amerikanischen Gerichten verhandelt. Hausmeister und Rentnerpaare mit großen Rasen in Monsantos Heimatland haben offenbar schlagkräftigere Anwälte als ‚die Menschheit‘ und deren bäuerliche Versorger. Wenn die Verwendung von Agrarchemie dort drastische Gesundheitsschäden anrichtet, bleibt die Frage nach dem Schadensersatz kein frommer Wunsch: Im Land der geschäftstüchtigsten Anwälte und der Geschworenengerichte keimt vielmehr Hoffnung für die Betroffenen auf – zumindest in den unteren Instanzen. Dann drohen happige Strafzahlungen für Bayer-Monsanto, ein Verfall des Aktienkurses und harsche Worte für den Vorstandsvorsitzenden. Freilich hat auch Bayer seine Anwälte. Viel Stoff also für mitfiebernde journalistische Profis in der Heimat des nun größten Agrarchemiekonzerns der Welt.
[1] Siehe den Artikel Landwirtschaft im Kapitalismus in GegenStandpunkt 1-04, der die folgenden paar Abschnitte ausführlich behandelt.
[2] Auch wenn der Bauer im Gemüse- und Obstanbau tätig ist, also zur Aussaat und zur Ernte einen Haufen Lohnarbeiter aufs Feld schickt und sie in einer Weise ausgiebig vernutzt und schlecht bezahlt, die jeden gestandenen Kapitalisten stolz machen würde, bleibt es dabei: In seinen angeheuerten Arbeitskräften hat er nicht das Mittel zur Verwertung eines Kapitals eingekauft, sondern Kosten für eine notwendige Ergänzung seiner eigenen Arbeit aufgewandt. Freilich: Dass die Ausbeutung auf dem Feld ihren Grund und ihren Ausgangspunkt in der Notlage eines selbstarbeitenden Eigentümers und nicht in einer kapitalistischen Profitrechnung hat, kann seinen saisonalen Hilfskräften gleichgültig sein. Für sie gilt so oder so der kapitalistische Zweiklang von Großzügigkeit bei den Leistungsanforderungen und Kleinlichkeit bei der Bezahlung.
[3] Sie steigen in
großem Stil ein, wo die Boden(nutzungs)preise
konkurrenzlos niedrig sind: Die Ukraine galt in der
Vergangenheit als die Kornkammer der Sowjetunion und
ist wegen ihres beträchtlichen Vorkommens von
Schwarzerde als besonders fruchtbar und produktiv
bekannt. Mit 32 Millionen Hektar Anbaufläche verfügt
die Ukraine über doppelt so viel landwirtschaftlich
nutzbare Fläche wie Deutschland. Ukrainische und
ausländische Agroholdings kontrollieren bereits etwa
die Hälfte des ukrainischen Agrarlandes, das sind ca.
17 Millionen Hektar... Zwar wurde ein bis zum Jahr 2012
geltendes Verkaufsmoratorium für Land in der Ukraine
bis Januar 2016 verlängert, aber durch das Konstrukt
des Leasings für Zeiträume bis 50 Jahre ist das
ukrainische Land bei den Investoren äusserst
attraktiv.
(Deutscher
Bundestag Drucksache 18/3774: Landgrabbing in der
Ukraine, 19.1.15)
[4] Die damit einhergehende Erschließung von Feldern für kapitalistisch rationale Landwirtschaft durch die Großen läuft derzeit in den entsprechenden Kreisen unter dem kritisch gemeinten Namen ‚Land Grabbing‘, je nach Land mit unterschiedlicher Verlaufsform. Die marktwirtschaftliche Normalität der einschlägigen staatlichen Rechnung geht in der Aufregung etwas unter – erst recht, wenn die Falschen unterwegs sind. Siehe den Artikel Land grabbing in GegenStandpunkt 3-10.
[5] Eine andere Variante der Agrarkonzerne, fremde Arbeit einzusetzen: Der Bauer arbeitet im Verlagssystem – meist zum Hungerlohn. Dabei ist es gleich, ob der Bauer eigenes Land mitbringt und die Ernte abliefert oder als Pächter für die Konzerne das Land bebaut. Das Erpressungsverhältnis wird in unterschiedliche Vertragsformen gekleidet, die Macht liegt ganz auf der Seite der Agrarkonzerne.
[6] Der weltweite
Nahrungsmittelhandel läuft vor allem über vier
Unternehmen, die zusammen als ‚ABCD‘ abgekürzt werden
(Archer Daniels Midland, Bunge, Cargill und Louis
Dreyfus). Ihr Marktanteil beträgt siebzig Prozent.
(FAZ, 24.12.18) Zu den
größten Lebensmittelverarbeitern gehören Nestlé, InBev,
PepsiCo und JBS, die über 50 % des Geschäfts auf sich
konzentriert haben. Und die größten zehn
Lebensmitteleinzelhändler, bei denen Walmart und
Schwarz Group (Lidl) die Anführer sind, kontrollieren
knapp ein Drittel des gesamten Markts.
[7] Allein die drei größten Agrartechnikhersteller John Deere, CNH aus den Niederlanden, Kubota aus Japan teilen sich mehr als die Hälfte des Marktes. Fast jede vierte Landmaschine kommt von John Deere. (agrarheute.com, 30.4.19)
[8] Da braucht es z.B. in der ‚Tankmischung‘ neben dem eigentlichen Wirkstoff noch jede Menge Beistoffe. Sogenannte ‚Safener‘ sind nötig, damit das von der Nutzpflanze mit aufgenommene Herbizid in ihr umgehend wieder ‚entgiftet‘, also abgebaut wird. Da kommen Benetzungsmittel zum Einsatz, damit das Insektizid auf der Pflanze möglichst lange haftet, auch ‚Beistoffe‘, die dafür sorgen, dass die Sonnenstrahlen die Pestizide nicht frühzeitig zersetzen. Und es muss durch entsprechende ‚Formulierung‘ dafür gesorgt werden, dass die Pestizide möglichst lange an der Bodenstruktur festgehalten werden.
[9] Mit dem Verkauf von
‚Hybridsaatgut‘ macht Monsanto den staatlichen Schutz
seines geistigen Eigentums zunehmend überflüssig: Das
Hybridsaatgut wird durch die Kreuzung zweier vorher
gezüchteter und insbesondere auf Hochertrag
selektierter reinerbiger Elternlinien erzeugt. Bei
deren Kreuzung entsteht als erste Tochtergeneration das
Hybridsaatgut mit bedeutend höherem Ertrag als dem der
Elternlinien. In der zweiten Generation, also bei
Wiederaussaat der Ernteprodukte, spaltet sich dieser
Effekt gemäß den Mendelschen Regeln wieder auf und
verliert sich. Wenn sich der ‚illegale‘ bäuerliche
Nachbau nicht auf rechtlichem Weg verhindern lässt,
dann wird es eben auf biologische Weise versucht.
Hybrid-Getreide lässt sich schließlich nicht sortenecht
vermehren. Was bei Fremdbefruchtern wie Roggen gut
funktioniert – hier beträgt der Hybrid-Anteil bereits
über 75 Prozent – soll nun endlich auch beim
Selbstbefruchter ‚Weizen‘ klappen. Europaweit sei
Hybridweizen mit ca. 500 000 ha Anbaufläche bereits
eine ‚Erfolgsgeschichte‘ und in Deutschland ein
‚Zukunftsmarkt‘ (derzeit ca. 20 000 ha), erklärte Gero
Heumann von der SAATEN-UNION, der Vertriebsorganisation
mittelständischer Pflanzen-Züchter.
(ig-nachbau.de) Während bei Mais,
Sonnenblumen, Zuckerrüben und bei vielen Gemüsearten im
europäischen Intensivanbau zu fast 100 Prozent Hybride
verwendet werden, liegt bei Weizen der Anteil an
Hybriden in der EU nur bei ein bis zwei Prozent. Weizen
ist damit in den Industrieländern die letzte der drei
großen Ackerbaukulturen, bei der samenfeste Sorten noch
Normalität sind.
(Der
kritische Agrarbericht 2017, S. 286)
[10] Monsanto
verklagte in den vergangenen Jahren in den USA Hunderte
von Landwirten, weil sie widerrechtlich Nachbau
betrieben hätten. Nur wenige widersetzten sich und
riskierten ein Gerichtsverfahren, da die Aussichten,
ein solches zu gewinnen, angesichts höchstrichterlicher
Rechtsprechung praktisch gegen null gehen. Der Großteil
stimmte einem Vergleich zu, dessen Details nicht
offengelegt werden dürfen; das Center for Food Safety
schätzt, dass so bis 2013 mindestens 85 Millionen
US-Dollar, möglicherweise bis zu 160 Millionen
US-Dollar, an Monsanto geflossen sind. Andere Konzerne
haben, wenn auch in geringerem Umfang, ebenfalls
Verfahren gegen Landwirte angestrengt.
(Der kritische Agrarbericht 2018, S.
288)
[11]
Wissenschaftler haben mit Crispr/Cas bereits Weizen
gegenüber Mehltau sowie Reis gegenüber Schadbakterien
widerstandsfähiger gemacht. Schon in fünf bis 10 Jahren
könnte ein solches Saatgut auf den Markt gelangen.
Bisher machten Gentechniker Nutzpflanzen resistent
gegen Unkrautvernichter oder ließen sie Insektengifte
produzieren. Mit der Crispr/Cas-Methode sollen künftig
die Pflanzen selbst widerstandsfähiger gegenüber
Schädlingen oder Trockenheit werden.
Es erfolgt
kein Einbau von Fremd-DNA/(Genen), vielmehr sollen
gentechnologisch die pflanzeneigenen Gene für
‚Resistenzen aktiviert‘ bzw. ‚Anfälligkeits‘-Gene
‚abgeschaltet‘ werden. Dabei ließen sich Umbauten in
der DNA nicht von Veränderungen unterscheiden, die in
der Züchtung beispielsweise durch Bestrahlung
entstehen.
(Apotheken Umschau
6/16)
[12] „[Monsanto] entwickelt, unter anderem zusammen mit der Gates-Stiftung, eine Reihe von gentechnisch veränderten Sorten, die gleichermaßen Dürre, Insekten und Krankheiten trotzen sollen. Feldversuche mit Bauern in fünf Ländern haben laut Monsanto bis zu dreifach höhere Ernteerträge gegenüber klassischen Sorten erbracht.“ (SZ, 12.10.16) Eingeschlossen in die Gentech-Strategie ist eine neue rechtliche Fassung der Lizenzen: Die von einigen Staaten bislang gegen gentechnisch veränderte Organismen (GVO) abgeschotteten Märkte bekommen ein passendes Angebot, indem von vornherein die prohibitiven Rechts-Definitionen des Saatguts umgangen werden und die Züchtungen nach neuen Kriterien patentiert werden.
[13] Die Farm to
Market Alliance ... ist ein öffentlich-privates
Konsortium von Organisationen, darunter Bayer, welches
sich das Ziel gesetzt hat, die Wertschöpfungsketten von
Nahrungsmitteln in Schwellenländern durch den Aufbau
einer nachfrageorientierten Wertschöpfungskette zu
verändern. Diese basiert auf langfristigen Verbindungen
zwischen Lieferanten (Landwirten), Einkäufern und
anderen wichtigen Marktteilnehmern wie Bereitstellern
von Finanzmitteln, Inputs und technischem Know-how.
Ziel ist es, Kleinbauern aktiv einzubinden, ihre
Produktivität, Rentabilität und Belastbarkeit sowie
ihre Stärke als verlässliche Marktteilnehmer zu
steigern.
(cropscience.bayer.de)
[14] Der Landwirt
muss das Geschehen im Betrieb laufend überwachen, zeit-
und wetterbedingt steuern und, im Falle unerwarteter
Schwierigkeiten, Gegenmaßnahmen finden und einsetzen.
Auch für den kompetentesten Landwirt eines kleinen bis
mittelgroßen Betriebes ist es aufwendig, den Überblick
über die einzelnen Prozesse zu behalten. Hier kommen
Agrarsoftwares wie ‚365FarmNet‘ oder ‚PC-Agrar‘ ins
Spiel. Diese Farmmanagement-Systeme erlauben die
individuelle, überschaubare und effiziente Steuerung
eines Bauernhofes. Sie unterstützen den Landwirt in
seinen Betriebs- und Verwaltungsaufgaben und vernetzen
ihn mit wichtigen Partnern. In dieser Hinsicht
verbreitet sich der Begriff ‚Prescription Farming‘:
Anhand von Daten und Informationen, die dem Bauern zur
Verfügung stehen, kann er die bestmögliche Entscheidung
im Voraus treffen, noch bevor er sein Feld sät, düngt
oder mit Pflanzenschutzmitteln besprüht... Der Landwirt
kann zudem dank der Agrarsoftware Ernte- und
Transportaufträge zuteilen und verfolgen, das Personal
nach aktuellem Bedarf einsetzen, Saatgut- oder
Düngemittelbestellungen automatisch ausführen, den
Pflanzenanbau neuer Sorten planen. Gleichzeitig werden
Prozessabläufe dokumentiert und gesammelte Daten
gespeichert. In den USA betreiben 60 bis 70 % der
großen landwirtschaftlichen Betriebe
Präzisionslandwirtschaft. In Deutschland liegt der Wert
bei maximal 30 %. Die Digitalisierung der
Landwirtschaft in Deutschland hinkt hinterher.
(Bauernhof-Romantik war gestern:
Wie IT die Landwirtschaft digitalisiert und grundlegend
verändert, pflanzenforschung.de, 4.3.16) Ziel
muss es sein, eine Plattform aufzubauen, deren
Algorithmen alle Daten so auswerten, dass dem Landwirt
die für ihn wichtigen Informationen bereitstehen. Eine
Plattform, die einen garantierten Ernteerfolg berechnen
und vorhersagen kann. Auf dieser Basis kann jeder
Landwirt seinen Betrieb und seinen wirtschaftlichen
Erfolg klug und vorausschauend planen.
(cio.de, 18.5.18)
[15] Mit digitalen
Instrumenten ausgestattete Maschinen geben Bauern vor,
wann, wie und wo sie Saatgut aussäen sowie Pestizide
und Düngemittel anwenden sollen. Maschinendaten werden
automatisch an den Hersteller gesandt. Denkbar wäre
auch der Zugriff auf die ermittelte Erntemenge, den
Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln. Ernteerträge
können über Satelliten vorhergesagt werden und
Pflanzensorten über Drohnen identifiziert. In den USA
wurden für die 30 Millionen landwirtschaftlichen Felder
sämtliche Boden- und Klimadaten in einer
10x10-Meter-Auflösung erhoben.
(Die Datensammlungswut macht auch vor der
Landwirtschaft nicht halt, oxfam.de, 13.6.16)
[16] 2014 schloss
AGCO sein erstes Datenabkommen mit DuPont, gefolgt von
getrennten Abkommen mit Bayer, Monsanto und BASF im
darauf folgenden Jahr. 2017 kaufte AGCO eine der
wichtigsten auf Daten spezialisierten
Tochtergesellschaften von Monsanto, während der Konzern
sein Geschäftsfeld gleichzeitig auf landwirtschaftliche
Drohnen und Joint Ventures mit einer Vielzahl von
landwirtschaftlichen Daten-Start-ups ausdehnte... Die
aktuelle Dynamik deutet darauf hin, dass in wenigen
Jahren Fusionen zwischen den ‚Bayers‘ dieser Welt auf
der einen Seite und AGCO, John Deere oder anderen
Landmaschinenherstellern auf der anderen Seite die
vertikale Konzentration im Agrarbereich auf eine neue
Stufe heben könnten.
(Der
kritische Agrarbericht 2019, S. 88)
[17] Auch von der
anderen Seite der Wertschöpfungskette wird nach der
Datenkontrolle gegriffen. Ein besonders beunruhigendes
Beispiel ist die Übernahme in den USA von Whole Foods,
der größten ökologischen Supermarktkette des Landes,
durch Amazon für 13,7 Milliarden US-Dollar. Amazon
steigt damit neben dem Onlinehandel mit Lebensmitteln
auch in einen der Kernwachstumsmärkte im direkten
Lebensmitteleinzelhandel, der Vermarktung von
ökologischen Lebensmitteln, ein. Auch hier ist eines
der strategischen Ziele der Übernahme durch Amazon der
Zugang zu Millionen von Kundendaten sowie zu
Produzentendaten. Auf Basis dieser Daten hofft der
Konzern, noch besser die Kaufentscheidungen seiner
Kunden vorhersagen und lenken zu können. Gleichzeitig
kann Amazon diese zur Steuerung der Anbauplanung der
zuliefernden Produzenten nutzen. In der Folge verlieren
auch hier die Bäuerinnen und Bauern die Souveränität
über ihre Anbauentscheidungen.
(Der kritische Agrarbericht 2018, S. 113
f.) Viel Anlegerkapital floss im ersten
Halbjahr 2017 auch wieder in Gründerunternehmen der
Agrarbiotechnologie mit 262 Mio. US-Dollar und in
Management-Software, Sensoren und digitale Vernetzung
mit 213 Mio. US-Dollar. Größter Investor über alle
Bereiche der Agrartechnologie-Start-ups war Google
Venture. Schwerpunkte der Finanzierungstätigkeit von
Google waren Satellitenbilder, Online-Handel,
geschlossene Anbausysteme sowie die
Automatisierung.
(agrarheute.com, 15.9.17)
[18] Laut einem im
Dokument zitierten Artikel aus der Wirtschaftswoche
gelte die Landwirtschaft bei der Digitalisierung und
Automatisierung als beispielhaft. Die
Informationstechnologie mache etwa 30 Prozent der
Wertschöpfung aus, schreiben die Autoren. In der
Autoindustrie sehen sie einen Anteil von gerade einmal
zehn Prozent. Und sie verweisen auf die International
Federation of Robotics, nach deren Angaben
landwirtschaftliche Betriebe bereits jeden vierten
Serviceroboter bestellen.
(cio.de, 18.5.18)
[19] Geistiges
Eigentum ist von kritischer Bedeutung für unser
Geschäft, insbesondere für unsere Saatgut- und
Gentechnikabteilungen. Wir sind bestrebt, unser
geistiges Eigentum zu schützen in Gerichtshoheiten, in
denen unsere Produkte hergestellt oder gebraucht
werden, sowie in Gerichtshoheiten, in die unsere
Produkte importiert werden. Manche Länder könnten
unsere Rechte nur bedingt anerkennen oder sie nur
befristet und mit mangelnder Konsequenz durchsetzen. In
manchen wichtigen Gerichtshoheiten kann es sein, dass
unser geistiges Eigentum gar nicht geschützt wird. Und
auch wenn solcher Schutz gewährt wird, können unsere
Konkurrenten, Bauern oder andere Glieder in der
Geschäftskette unser geistiges Eigentum rechtlich
anzweifeln oder auch auf eine Weise verletzen, die nur
schwer festzustellen ist.
(Monsanto Jahresbericht 2016, Item 1a: „Risks
related to our business“)
[20] Ein Beispiel für
das Zusammenspiel von Marktmacht und Staatsmacht in der
weltweiten Landwirtschaft bietet der folgende Streit
über Lizenzgebühren für Monsanto-Saatgut in Indien:
Zu gravierenden Spannungen innerhalb der
Saatgutindustrie sorgte die Weigerung von ca. 50
indischen Unternehmern, weiterhin die volle
Lizenzgebühr für das Bt-Cotton Saatgut (Bolgard II) an
den Lizenzgeber Monsanto zu zahlen, der ca. 95 % des
gesamten indischen Marktes für Baumwollsaatgut abdeckt.
Die Regierung entschied im Dezember 2015, den
Anwendungsbereich des Essential Commodities Act24 auf
gentechnisch verändertes Baumwollsaatgut auszudehnen.
Im März 2016 machte sie hiervon erstmalig Gebrauch und
legte einen Höchstabgabepreis für Bt-Cotton Saatgut
fest. Im Mai 2016 spitzte sich die Lage weiter zu, als
die Regierung auch in das Vertragsverhältnis zwischen
Lizenznehmer und Lizenzgeber eingriff und angesichts
der Monopolstellung des Lizenzgebers Monsanto
Obergrenzen für Lizenzgebühren sowie eine Art
Zwangslizenz zu vorgegebenen Bedingungen per
Bekanntmachung einführte... Nicht nur die ausländischen
Unternehmen, sondern die gesamte Saatgutbranche, die
eigene Forschungsaktivitäten vorantreibt, kritisierte,
dass damit jegliche Investitionen in neue
Forschungsaktivitäten unterbunden würden. Fraglich ist
jedoch, inwiefern große Unternehmen wie Monsanto von
Lizenzgebühren für Forschungsarbeit abhängig sind. Nach
mehrtägigen Auseinandersetzungen nahm die Regierung
ihre Entscheidung zurück und eröffnete ein
Notifizierungsverfahren, das den betroffenen Kreisen
die Möglichkeit einer Auseinandersetzung mit den von
der Regierung geplanten Maßnahmen ermöglicht. Es wurde
vermutet, dass durch die Rücknahme der Entscheidung
eine Belastung des Besuchs von Ministerpräsident Modi
in den USA vermieden werden sollte, nachdem Monsanto
zwischenzeitlich mit einem Rückzug aus Indien gedroht
hatte. Das internationale Interesse an Investitionen in
Indien im Allgemeinen sowie an Forschungs- und
Entwicklungsaktivitäten im Besonderen dürfte dadurch in
jedem Fall gelitten haben. So argumentieren im Ergebnis
auch sieben Bauernverbände in einer von mehr als
300 000 Landwirten unterzeichneten Petition. Sie
fordern die Regierung auf, sämtliche Pläne über
Eingriffe in Lizenzvergabe und Preisgestaltung
aufzugeben, da damit die Entwicklung des Saatgutsektors
und die Versorgung der Landwirtschaft mit
leistungsfähigem Saatgut gehemmt würden.
(BMEL, Länderbericht Indien, Stand
2016)
[21] Der
Europäische Gerichtshof hat überraschend entschieden,
neue molekularbiologische Zuchtverfahren als Gentechnik
zu bewerten. Diese müssen nun streng kontrolliert
werden. Erbgutveränderungen, die etwa mit Hilfe der
Gen-Schere CRISPR/Cas9 zustande gekommen sind, seien in
jedem Fall als GVO zu regulieren. Dieser Argumentation
folgt der EuGH nun.
(Tagesspiegel, 25.7.18) Auch die
deutschen Verbände drücken ihre Unzufriedenheit aus:
Die Anforderungen an die Zulassung von GVO in der EU
und die hohen Kosten des Zulassungsverfahren führen in
der Konsequenz dazu, dass die Agrarbranche in
Deutschland vom wissenschaftlichen Fortschritt durch
die Anwendung der neuen Züchtungsmethoden
ausgeschlossen wird. Das führt zu einem
Wettbewerbsnachteil im Vergleich zu Regionen mit
innovationsfreundlicheren gesetzlichen
Rahmenbedingungen.
(Verbändestellungnahme zum EuGH-Urteil zu
neuen Züchtungsmethoden, 6.5.19)