Rumänien – das unwürdige EU-Mitglied
Ein Produkt der europäischen Inbesitznahme, von dem man im Prinzip nicht mehr zu wissen braucht, als dass dort die „Korruption“ herrscht

Rumänien, das Schmuddelkind der EU, darf turnusmäßig den Vorsitz dieses Staatenvereins übernehmen. Seinen Ruf in diesem erlauchten Kreis bessert das überhaupt nicht, beflügelt im Gegenteil nur die Vorbehalte von dessen Machern. Wie gut oder schlecht dieser Ruf begründet ist, behandelt der Artikel.

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Rumänien – das unwürdige EU-Mitglied
Ein Produkt der europäischen Inbesitznahme, von dem man im Prinzip nicht mehr zu wissen braucht, als dass dort die „Korruption“ herrscht

Rumänien hat turnusmäßig den Vorsitz in der EU übernommen, eine Ehre, die nach europaweitem Urteil dem Staat mit dem Merkmal einer politischen Dauerkrise nicht zusteht. Mit Hilfe alberner Übertreibungen, was der Vorsitz alles leisten soll – wie soll dieses Rumänien den Brexit bewältigen können?! –, wird die Katastrophe beschworen, dass das Schicksal der EU nun in den Händen einer unmöglichen Regierungsmannschaft liegt. Kommissionschef Juncker begrüßt die künftigen Vorsteher Europas mit einer ungewöhnlich undiplomatischen Misstrauenserklärung. Er glaube,

„dass die Regierung in Bukarest noch nicht in vollem Umfang begriffen habe, ‚was es bedeutet, den Vorsitz über die EU-Länder zu führen‘. Für ein umsichtiges Handeln brauche es auch ‚die Bereitschaft, anderen zuzuhören und den festen Willen, eigene Anliegen hintenanzustellen‘. Da habe er mit Blick auf Rumänien ‚einige Zweifel‘. Zudem sei der interne Zustand Rumäniens derzeit so, dass das Land nicht als ‚kompakte Einheit‘ in Europa auftreten könne.“ (ntv, 29.12.18)

Statt die eigenen Anliegen hinter die offensichtlich sehr viel wichtigeren Anliegen Europas und seiner Führer zurückzustellen und endlich denen zuzuhören, die ihr seit Jahren ohne großen Erfolg gute Ratschläge in Sachen ‚good governance‘ und Rechtsstaatlichkeit geben, meint die rumänische Regierung, bloß weil sie zufällig beim EU-Vorsitz an die Reihe gekommen ist, Europa vorstehen zu können – und das, obwohl sie noch nicht einmal ihr eigenes Land uneingeschränkt hinter sich hat, sich also auch in dieser Hinsicht als ernstzunehmende Regierung disqualifiziert. In den Augen des EU-Chefdiplomaten hat sie offenbar jeden Anspruch auf Respekt verspielt – und die aufgeklärte Öffentlichkeit weiß schon, was mit Junckers „Zweifel“ gemeint ist: Die regierende Partei ist ein Hort von „Korruption“, ihr geht es nur um die Revision der einschlägigen Antikorruptionsgesetze und die Amnestierung ihres verurteilten Vorsitzenden. Womit hat sich die Regierung dieses Urteil verdient?

Rumänien bildet gemeinsam mit Bulgarien eine besondere Kategorie von EU-Mitgliedern: erst in der zweiten Runde der Osterweiterung zugelassen, aber gleichzeitig als wenig tauglich eingestuft und mit lauter Vorbehalten versehen. Dass die beiden Staaten trotz expliziter Zweifel an ihrer EU-Reife überhaupt zu Mitgliedern befördert worden sind, haben sie allerdings weniger der Blauäugigkeit des Bündnisses zu verdanken, wie die nachträgliche Selbstkritik der EU lautet. Federführend war vielmehr das Erweiterungsbedürfnis der europäischen Führer, die damit sich die Zuständigkeit für den Ostbalkan gesichert haben [1] – nützlich z.B. für die Einkreisung und Isolierung Serbiens. Des Weiteren zahlt sich die Eingemeindung der Länder darin aus, dass die EU nunmehr auch als Schwarzmeer-Anrainer auftreten kann, an die Südwestgrenzen Russlands vorgerückt und somit dazu befugt ist, sich um entsprechende „Sicherheitsfragen“ im Schwarzen Meer zu kümmern.

Gegenüber den dort beheimateten Staaten haben die europäischen Führer auch nach deren Aufnahme in die EU den Standpunkt beibehalten, dass sie wegen struktureller Defizite besondere Kontrollmaßnahmen der EU benötigen,[2] und aus demselben Grund wird ihnen die Aufnahme ins Schengen-Abkommen von Mal zu Mal verweigert. Von der kontinuierlichen Auseinandersetzung um die richtige Art, Staat zu machen, ist die ganze Karriere der beiden Staaten in der EU bestimmt, wobei Brüssel den Erfolg verzeichnen kann, dass in Bulgarien vorwiegend willfährige Führungsfiguren die Macht ausüben, was den Staat in materieller Hinsicht auch nicht erfolgreicher gemacht hat. Im Unterschied dazu bestimmt in Rumänien im Wesentlichen eine widerspenstige Partei die Politik, die sozialdemokratische PSD.

Um dieses unhandliche Mitglied auf den richtigen Weg zu bringen, haben die EU-Behörden ihre Methoden. Anhand der jährlichen Länderberichte, die in länderspezifische Empfehlungen einmünden, wird überprüft, ob und wie weit das Land denen nachkommt, was regelmäßig das zwiespältige Urteil eines nur beschränkten Fortschritts erbringt.[3] Zwecks Herstellung von „Fortschritt“ wenden die Brüsseler Aufseher eine leicht erpresserische Konditionalitätspolitik an, die Zuteilungen aus den EU-Fonds an die Erfüllung von Bedingungen knüpft und öfter auch zurückhält. Die Zustände im Land werden dabei an einem Kriterienkatalog, den Maßstäben der EU-Verwaltung für ein gut funktionierendes Staatswesen gemessen und danach beurteilt, was alles noch nicht in Ordnung ist; als Grund der leidigen Rückstände werden regelmäßig Versäumnisse der zuständigen Regierung ausgemacht. Die analytische Rücksichtslosigkeit dieser Berichte entspricht dem praktischen Umgang der europäischen Behörden mit dem Land: Man erfährt aus ihnen durchaus, wie weit es der Staat Rumänien unter dieser von Europa ausgehenden wohlmeinenden Erziehungsdiktatur gebracht hat, bekommt Einblick in die politische Ökonomie dieses Landes – aber immer in der Weise, dass Mängellisten aufgestellt werden, mit denen die rumänische Regierung auf ihre Pflicht festgelegt wird, das Land zu einem brauchbaren Mitglied hinzuregieren.

I. Ein Kapitalismus, der Volk und Staat nicht ernährt

Armut wird als eine hervorstechende Eigenschaft des Landes gewürdigt: Das Armutsniveau bleibt unter den höchsten in der EU.[4] Die Armut bleibt also, anstatt zu verschwinden; wo sie herkommt und warum sie bleibt, ist uninteressant. Des Weiteren wird vermerkt, dass es vor allem auf dem Land viel Armut gibt – Die Kluft zwischen arm und reich und zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten bleibt groß –, wo sie auch oft mit Inaktivität einhergeht: Hohe Armutsrisiken treten häufig in Verbindung mit einem hohen Grad von Inaktivität auf. (CR 18, S. 8) Andererseits kommt Armut aber auch verbunden mit Aktivität vor, nämlich als Arbeit mit einem Einkommen von beinahe Null:

„Der Anteil von Armut in Arbeit ist einer der höchsten in der EU, mit 18,9 % ist er doppelt so hoch wie der EU-Durchschnitt, darin schlägt sich der große Prozentsatz der Individuen nieder, die ein nahezu Null-Einkommen haben, obwohl sie die ganze Zeit arbeiten.“ (CR 18, S. 26)

So wird registriert, dass in dem Land große Teile eines Volks nachhaltig getrennt sind von jeder Möglichkeit, sich mit Arbeit eine brauchbare Reproduktion zu sichern. Dabei wird gar nicht verheimlicht, dass dieser Zustand das Werk der Transformation ist, die man im Sinne des Fortschritts für unbedingt richtig hält, auch wenn sie für das Land und seine Bewohner erst einmal einen ökonomischen Kahlschlag bedeutet hat. In einer älteren Studie heißt es dazu:

„Die Größe der nationalen Ökonomie mit ihrer Mehrheit von schlecht mechanisierter Landwirtschaft auf der einen Seite und heruntergewirtschafteten überflüssigen Industriekomplexen auf der anderen hat die Transformation besonders schwierig gemacht.“ (bti2003.bertelsmann-transformation-index.de)

Bei der nationalen Ökonomie, über die Rumänien immerhin mal verfügt hat, handelt es sich aus Sicht der europäischen Transformationsexperten also um Ballast, den es zu beseitigen galt und von dem immer noch viel zu viel vorhanden ist. In der Größe dieser Ökonomie sehen sie deswegen eine besondere Schwierigkeit – für die Transformation dieses Landes. Der Befund spart sich den Hinweis auf den Maßstab, an dem gemessen die überkommene rumänische Industrie überflüssig ist: Dass da eine ganze Ökonomie einer Konkurrenz ausgesetzt worden ist, der sie nicht gewachsen war, weil sie dafür auch nicht eingerichtet war, und dass sie an dieser Konkurrenz zugrunde gehen muss, ist den Forschern ebenso selbstverständlich wie die Überlegenheit des Siegers in dieser Konkurrenz, des auswärtigen Kapitals, das sich den Standort Rumänien angeeignet und dabei sehr viel überflüssig gemacht hat.

In den mittlerweile 29 Jahren dieser besonders schwierigen Transformation ist viel rumänisches Volk von seiner vorhergehenden Reproduktion freigesetzt worden und in den Zustand unproduktiver Armut geraten, der in den EU-Länderberichten in der Perspektive des „immer noch“ besichtigt wird, als wäre er eigentlich dazu da, im Rahmen der EU zu verschwinden – die Schwundstufe des für die Angliederung der Oststaaten verwendeten Versprechens, dass im Bündnis unweigerlich alle auf das europäische Wohlstandsniveau befördert werden würden.

Doch die Armut bleibt, wie die Berichte immer wieder konstatieren müssen – natürlich nicht wegen der im Rahmen der EU in Kraft gesetzten Kriterien für Beschäftigung und für den Einsatz der Produktivkräfte überhaupt, sondern wegen einer Regierung, die sich nicht entschieden genug für die Transformation ihres Landes einsetzt.

Die Umwälzung der produktiven Basis

Die entscheidenden Subjekte der Kapitalisierung des Landes sind einerseits die Vertreter hauptsächlich des EU-Kapitals – das hat in den überkommenen Produktionssphären gründlich aufgeräumt anhand des Kriteriums, was es da für lohnend erachtet, und gewissermaßen die Herrschaft über den Standort übernommen.[5] Andererseits ist es die EU, die den rumänischen Staat auf die Prinzipien des Binnenmarkts verpflichtet hat, d.h. darauf, sein Inventar der übermächtigen Konkurrenz der kapitalkräftigen Unternehmen aus dem Ausland auszusetzen und sich marktwidriger Rücksichtnahmen auf einen nationalen Besitzstand und nationale Reproduktionsnotwendigkeiten zu enthalten. Dass die rumänischen Regierungen den europäischen Direktiven nicht vorbehaltlos und ohne Rücksicht auf das Inventar ihrer Nation nachkommen, hat dem Staat die Etikettierung als „schwieriger Fall“ eingebracht:

„Der Rückstand im Transformationsprozess und die Defizite in seinem Management im Vergleich mit anderen ost- und zentraleuropäischen Staaten ist im Großen und Ganzen durch den Mangel an Konsens bezüglich Transformationsstrategien und eine politische Neigung bedingt, eine Transformation ohne soziale Kosten und Schwierigkeiten vorzuschlagen... Der eigentliche Grund für die ambivalenten wirtschaftlichen Aussichten ist das politische Zögern, mit den sozialen und politischen Kosten einer bestimmteren Restrukturierung und Privatisierung umzugehen.“ (bti2003.bertelsmann-transformation-index.de)

Insofern ist auch die rumänische Staatsgewalt an der Umgestaltung ihres Landes zu einer Abteilung des europäischen Kapitalstandorts beteiligt. Teils widerstrebend – siehe die zitierten Vorwürfe –, aber letztlich unter dem stummen Zwang des neuen Geldregimes folgt sie der Einsicht in die Notwendigkeit, ihre ökonomische Basis zu Geldquellen hinzureformieren. Die ererbten Unternehmen sind dabei entweder an ihrem systembedingten Mangel an Kapital zugrunde gegangen, aufgekauft und gesundgeschrumpft worden [6] oder werden unter Staatsregie irgendwie aufrechterhalten und tragen mit ihren Defiziten zur Staatsverschuldung bei. Jedenfalls hat sich das Land dabei ziemlich gründlich „transformiert“.

Wie ein agrarisch außerordentlich produktives Land zum Nettoimporteur von Lebensmitteln und die Landwirtschaft zum Auffangbecken für überflüssiges Volk gemacht worden ist

Da kommt einiges zusammen. Erstens haben die staatstragenden Kräfte der kommunistischen, später in die sozialdemokratische PSD verwandelten Partei, nachdem sie den nicht mehr zeitgemäßen Conducător samt seinem System beseitigt hatten, schnellstmöglich ihren Respekt vor dem Prinzip des Eigentums bekundet, die damit nicht mehr vereinbaren landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften aufgelöst und deren Ländereien „restituiert“, d.h. unter deren Mitgliedern und früheren Eigentümern aufgeteilt. Mit durchschlagendem Erfolg:

„Das große Potential der rumänischen Landwirtschaft wird schwach genutzt... Rumänien hat im EU-Vergleich den größten Anteil an in der Landwirtschaft tätiger Bevölkerung (30 %), rangiert bei der durchschnittlichen Hofgröße (3 ha) allerdings am Ende der EU-Skala.“ (Germany Trade&Invest, 18.6.13, Jahreswirtschaftsbericht Rumänien 2013)[7]

Die Privatisierung auf dem Land hat Kleineigentum geschaffen, das gerade einmal fürs notdürftige Überleben der Eigentümer taugt – und das ist aus der Sicht der EU-Transformateure von Übel, nicht weil die in diesen Zustand versetzte Landbevölkerung ziemlich am Arsch gepackt ist, sondern weil sie in diesem Zustand kapitalistisch unproduktiv ist:

„Insbesondere ländliche Armut, verbunden mit der Deckung des Eigenbedarfs durch die Landwirtschaft [ein schöner Ausdruck für Subsistenzwirtschaft], ist ein negativer Faktor im sozioökonomischen Zusammenhang. Das Ungleichgewicht in der branchenspezifischen Verteilung von Bruttoinlandsprodukt und Arbeitskraft spricht Bände: Die Landwirtschaft macht fast 15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus und beschäftigt 40 Prozent der Arbeitskräfte.“ (bti2003.bertelsmann-transformation-index.de)

Das sogenannte „Ungleichgewicht“ beruht auch darauf, dass die massenhaft von der realsozialistischen Industrie Freigesetzten aufs Land zurückgekehrt sind und sich dort ebenfalls mit Subsistenzwirtschaft über Wasser halten, was auch das Rätsel von oben erklärt, wie es zu einem Einkommen von beinahe Null trotz Vollzeitarbeit kommt, nämlich besonders in der Subsistenz- oder Halb-Subsistenz-Landwirtschaft (CR 18, S. 26).

Zweitens hat das Prinzip der EU-Agrar-Subventionen, dass sich die Förderung auch lohnen muss, diesen Zustand befestigt: Alles an landwirtschaftlichem Getriebe, was unter ein bestimmtes Maß an Ertrag oder Fläche fällt, ist schon einmal von EU-Beihilfen ausgeschlossen. Dazu kommen die EU-Anforderungen an Produktionsbedingungen, angefangen von Hygienebestimmungen bis zur Reglementierung des Saatguts, die nur mit einem entsprechenden Kapitalaufwand zu erfüllen sind.

Drittens leistet auch das europäische Handelskapital seinen Beitrag zur Zementierung der Armut auf dem Land: Mit ihren Kapitalmassen besetzen die Handelskonzerne die Märkte und ziehen die nationale Zahlungsfähigkeit auf sich, drücken die Preise der lokalen Kleinproduzenten oder werfen sie mit ihren großformatigen Lieferbeziehungen ganz aus der Konkurrenz.[8] Lidl & Co haben in Rumänien so erfolgreich Fuß gefasst, dass aus dem einstigen Agrarland mittlerweile ein Lebensmittelimporteur mit wachsenden Defiziten in der Handelsbilanz geworden ist:

„Das Agrarland Rumänien ist offenbar längst nur Geschichte – das Defizit im Lebensmittelhandel mit dem Ausland ist nach acht Monaten dieses Jahres nämlich bei fast 821 Millionen Euro angekommen, mehr als doppelt so viel wie zwischen Januar und August 2016.“ (RRI, 23.11.17)

Zu guter Letzt schlägt noch die Bodenspekulation zu, die aus der ländlichen Armut ihr ganz eigenes Geschäft macht und die Kleinbauern tendenziell von ihrem Land verdrängt:

„Nur 1958 Euro kostet im Durchschnitt ein Hektar Ackerland in Rumänien, damit belegt das Land den letzten Platz in einer einschlägigen Statistik, die von der Europäischen Statistikbehörde Eurostat veröffentlicht wurde... Wie aus Daten der Europäischen Kommission hervorgeht, haben Ausländer über 5,3 Millionen Hektar rumänisches Ackerland erworben, somit halten sie über 40 Prozent der Gesamtanbaufläche Rumäniens.“ (ADZ, 24.3.18)

Lauter Segnungen und Schönheiten des Privateigentums: Wo die Landesbewohner nicht dazu imstande sind, durch erfolgreiche geschäftliche Benützung dem Boden, auf dem sie ihre Landwirtschaft betreiben, einen ordentlichen Preis zu verleihen, sind die Böden für auswärtige Geldbesitzer so billig zu haben, dass sich ihnen ungeahnte Perspektiven eröffnen; als Anlageobjekt verspricht der Boden traumhafte Gewinne abzuwerfen, und das Spekulationsgeschäft mit ihm wird obendrein durch EU-Subventionen vergoldet; die fließen schließlich unabhängig davon, was und ob überhaupt etwas auf ihm produziert wird:

„Ackerland bringt mehr als der DAX; heißt: immer noch kostet ein Hektar dort ein Viertel von dem, was man in Westeuropa zahlen muss; heißt: die Nachfrage nach Nahrung wird wachsen. Und das heißt: mit dem fruchtbaren Land kaufen Sie auch noch EU-Fördermittel. Und das heißt: eine sichere Staatsrente für die Eigentümer von Agrarland durch die Gießkannenpolitik der EU: 170 Euro pro Jahr für jeden Hektar beträgt die Subvention in Rumänien – das macht Land- und Forstwirtschaft zu einem Bombengeschäft: selbst bei einem Hektarpreis von 5 000 Euro gibt es mehr als drei Prozent Rendite, auch wenn die ganze Ernte verdirbt, auch wenn der Traktor nur einmal über den Acker fährt... Schon vor der Marktöffnung wurde Ackerboden zumeist über Strohmänner von westlichen Investoren aufgekauft oder gepachtet. Seit 2014, nach der Freigabe des Markts im großen Stil.“ (Deutschlandfunk, im Folgenden zitiert als DLF, 1.5.18)

Für Letzteres hat wiederum die EU-Kommission gesorgt, die die Freiheit des Kapitals auch in der Landwirtschaft beschützt – gegen die protektionistische Politik vieler osteuropäischer Regierungen, die versucht haben, den nationalen Bauernstand zu retten. Die EU leitete Strafverfahren gegen sie ein – wegen Einschränkung des freien Wettbewerbs (Deutsche Welle, im Folgenden zitiert als DW, 3.4.17).

Die Regeln der Agrarpolitik haben zwar auch im übrigen Europa das im Sinne marktwirtschaftlicher Effizienz nötige Bauernlegen und Gesundschrumpfen der Sphäre bewerkstelligt. Aufgrund der besonderen Bedingungen in Rumänien haben sie dort aber, kombiniert mit der Aktivität der Handelskapitale und dem Land Grabbing, eine solch durchschlagende Wirkung, dass – je nach Statistik – 30 bis 40 Prozent des Volks aus dem marktwirtschaftlichen Erwerbsleben aussortiert sind und sich mit ihren beinahe Null-Einkommen auf dem Land herumtreiben.

In der Nation, die nach dem ‚Transformation‘ genannten systembedingten industriellen Kahlschlag darauf angewiesen ist, sich mit allen Mitteln um Geldquellen zu bemühen, ist andererseits durchaus einiges vorhanden, was sich ganz unbedingt lohnt.

Ausgiebige Benützung der rumänischen Standortvorteile durch das Auslandskapital: Viel Natur und viel Armut

Auf dem Gebiet der sogenannten natürlichen Reichtümer hat Rumänien neben Erdöl und Erdgas vor allem Holz und Gold zu bieten, was alles überhaupt erst dadurch zu einem ordentlichen Geschäft gemacht wird, dass potentes Auslandskapital die Ware auf die zahlungsfähigen Außenmärkte schafft.

Führend in der Holzbranche sind internationale Größen wie die österreichischen Holzverarbeiter, die Universität Harvard und IKEA.[9] Bei deren kosteneffizientem Wirtschaften sind größere Umweltverwüstungen eingepreist.[10] Beim Goldabbau unter der Regie einer australischen Minengesellschaft in Baia Mare läuft 2000 das Auffangbecken für die zur Goldgewinnung verwendete Zyanidlösung über und verseucht viel freie Landschaft und Flüsse, was zu einer größeren Entrüstung in Europa führt.[11] Wie bei allen rumänischen Missständen fällt der kritischen Öffentlichkeit bei Umweltschäden und illegalen Praktiken aber zumeist die landesübliche Korruption als letzter und wichtigster Grund ein:

„Illegaler Holzschlag, dem keine Wiederaufforstung folgt, bedroht zunehmend den Waldbestand. Grund sind die internationale Nachfrage nach billigem Holz, große ausländische Holzverarbeitungsfirmen vor allem aus Österreich, die die Holzwirtschaft bestimmen, und ein pyramidenförmiges System, in dem alle Beteiligten vom Förster über die Verarbeiter bis zum Politiker von den illegalen Einnahmen profitieren.“ (Wikipedia, s.v. Rumänien)

Bei der Verfolgung der illegalen Praktiken wird differenziert vorgegangen. Einerseits wird die rumänische Regierung schärfstens verwarnt, wenn sie dem Geschäft Grenzen ziehen möchte:

„Als Rumänien die Gesetze ändern wollte, hatten aus Sorge um die Verfügbarkeit von Holz Schweighofer und die österreichische Botschaft im Herbst 2014 in Briefen an die sozialistische Regierung Rumäniens gegen den Gesetzesentwurf protestiert. Ihr Argument, das auch Präsident Johannis sich zu eigen machte: Die Begrenzung der Holzquote für die Unternehmen verletze das EU-Wettbewerbsrecht.“ (netzfrauen.org, 18.3.17)

Andererseits droht die EU-Kommission der rumänischen Regierung mit einem Vertragsverletzungsverfahren wegen des Umgangs mit schutzwürdigen Urwäldern (Deutsche Textservice Nachrichtenagentur, 14.11.18). Die tatkräftige Firma Schweighofer wiederum, der österreichische Konzern, der jährlich allein rund 20 Prozent der rumänischen Nadelholzernte verarbeitet, bestritt die Vorwürfe zunächst [systematisch illegal geschlagenes Holz aufzukaufen], gab jedoch Anfang dieses Jahres ‚Irregularitäten in der vorgelagerten Lieferkette‘ zu. (Spiegel Online, 16.12.17) Die Firma dürfte sich darauf verlassen können, dass sich in der vorgelagerten Kette Verantwortliche finden lassen und sie als das eigentliche Subjekt des Geschäfts damit aus dem Schneider ist. Die Verfolgung der Korruption hat überhaupt die Merkwürdigkeit an sich, dass das Auslandskapital dabei so gut wie nie in die Schusslinie gerät. Das Staatspersonal in Rumänien gilt zwar als gänzlich korrupt, aber über die Korrumpierer ist wenig zu hören. Prominente Namen wie Ikea kommen da nur ausnahmsweise mal ins Gerede.

Beim Gold ist die Aneignung auch gelaufen. Die Schürfstätten befinden sich in der Hand ausländischer Investoren, die gegenüber der rumänischen Regierung fordernd auftreten und sich über Beschränkungen beschweren. Auch hier wäre mit der nötigen Rücksichtslosigkeit auf Land und Leute ein lohnender Preis zu haben, und seit 20 Jahren bemüht sich die kanadische Bergbaugesellschaft Gabriel Resources darum, in Rosia Montana die größte Goldmine Europas zu eröffnen; vermutet werden Vorkommen von 300 Tonnen Gold und 1 500 Tonnen Silber.[12] Allerdings verzögert sich die Inbetriebnahme bis heute, nachdem die europaweite Entrüstung über den Vorfall in Baia Mare bis ins EU-Parlament vorgedrungen war. Ein endloser Streit des Unternehmens mit den abwechselnd geschäftsfreundlichen und dann wieder zögerlichen rumänischen Regierungen ist mittlerweile in einem Schiedsverfahren bei der Weltbank angekommen.[13] Dass solche Affären an Verhältnisse erinnern, wie man sie aus der Dritten Welt gewohnt ist, dürfte nicht ganz zufällig sein.

Ein ganz anderer Standortvorteil Rumäniens besteht in seiner Wettbewerbsfähigkeit per Lohn:

Preiswerte Arbeitskraft für beinahe jeden europäischen Bedarf

Rumänien konkurriert immer noch vorwiegend über den Preis und nicht über die Qualität,[14] bietet also Preisvorteile, die entscheidend bestimmt sind durch die Arbeitskosten, so dass dem Land mittlerweile auch ansehnliche Fortschritte attestiert werden:

„Rumänien hat einen wachsenden Teil im Handel erobert, der auf den Produktionsketten der EU beruht. Die rumänische Wirtschaft profitiert weiterhin von der starken Integration in die EU-Wertschöpfungsketten.“ (CR 18, S. 33 f.)

Rumänien konkurriert mit den östlichen Nachbarstaaten, die ja alle mit dem maßgeblichen Angebot eines Billiglohns antreten, zusätzlich aber gewisse Standortvorteile wie Grenznähe und eine bessere Infrastruktur zu bieten haben, um die Anlage von Auslandskapital. Wer bei dieser Konkurrenz die aktive und wer die eher passive Rolle spielt, ist weiter kein Rätsel: Die genannten Erfolge Rumäniens beruhen darauf, dass es ihm gelungen ist, das Wohlwollen des Auslandskapitals auf sich zu ziehen, indem der in den erfolgreicheren Visegrád-Staaten geltende Billiglohn noch unterboten wird. Auch im osteuropäischen Niedriglohnsegment sind immer noch Differenzierungen nach unten machbar, und auf diese Art von Wettbewerbsfähigkeit ist Rumänien im EU-Verbund festgelegt. Hilfreich ist dabei die oben schon erwähnte Tatsache, dass ein großes Potential freigesetzter Arbeitskräfte zur Verfügung steht. Auf dieser Grundlage hat sich Rumänien seinen Platz in den europäischen Wertschöpfungsketten erobert, wie es der EU-Länderbericht so schön formuliert.

Zunächst hat ihm die europäische Textilindustrie zu dem Status als das Bangladesch Europas verholfen:

„Ein Viertel der rumänischen Exporte sind Textilprodukte und ein Fünftel der rumänischen Bevölkerung zählt zu den Working Poor... Die Arbeitgeber verteidigen ihre Niedriglohnstrategie mit dem Argument, die Industrie in Rumänien stehe in harter Konkurrenz mit Billiglohnländern in Asien wie Bangladesch und Myanmar oder auch mit dem Nachbarn Ukraine.“ (ARTE, 28.9.17)[15]

Auch die europäischen Autofirmen haben samt einigen Abteilungen der Zulieferindustrie den Standort schätzen gelernt. Die Firma Renault ist voll des Lobes für die rumänische Handarbeit, die ihr die Kosten für Roboter erspart und ihren Billig-SUV zum Marktrenner gemacht hat:

„Viel Handarbeit, kaum Auslagerung: Rumäniens Automarke steuert gegen den Trend. Oft ist eine kundige Hand genauso sicher wie ein Computer... Dank der hohen Qualifikation und sorgfältigen Schulung der Mitarbeiter könne Dacia das Erfolgsmodell Logan fast ohne Roboter-Einsatz fertigen... Die rumänische Renault-Tochter Dacia fährt mit ihrer arbeitsintensiven Fertigung gegen den Branchentrend – und hat sich nach langer Durststrecke zurück auf die Erfolgsspur manövriert.“ (Die Presse, 19.04.07)

Neben Löhnen, die mit ostasiatischen Löhnen konkurrieren können und so tief liegen, dass sich anstelle von lohnkostensparender Maschinerie der Einsatz von Arbeitskraft lohnt, fallen schließlich auch noch etliche arbeitsrechtliche Vorzüge Rumäniens ins Gewicht, die als Mittel zur Bewältigung der Finanzkrise in Rumänien eingeführt worden sind und zu den genannten Exporterfolgen beigetragen haben: Zwischen 2000 und 2016 haben sich die Anteile an den Exportmärkten beinahe vervierfacht, worin sich die zurückhaltende Entwicklung der Arbeitskosten nach der Krise widerspiegelt. (CR 18, S. 33) Zurückhaltende Entwicklung meint hier die systematische Verelendung der Arbeiterklasse durch eine Flexibilisierung des Arbeitsmarkts, zu der der IWF und die EU Rumänien angehalten haben.

Erfolge der Krisenbewältigung unter der Regie des IWF: Abschaffung von Tarifverträgen, Mindestlohn als Normallohn

„IWF-Expertinnen halfen dabei mit, das Tarifrecht zu verändern... 2011 strich die von der Demokratisch-Liberalen Partei geführte Regierung von Premierminister Emil Boc den jährlich ausgehandelten ‚Nationalen Vertrag‘ aus dem Arbeitsgesetz... Seitdem müssen die Unternehmer sich nur noch an ein Gesetz halten: den Mindestlohn.“ (Zerschlagenes Recht, Der Freitag, Ausgabe 47/2017)[16]

Der Foreign Investors Council war als maßgeblicher Arbeitgeber in Rumänien praktischerweise an den Verhandlungen mit dem IWF beteiligt und hat sich mit wegweisenden Ideen eingebracht:

„Der FIC reichte seine Vorschläge 2010 ein und forderte unter anderem eine Erleichterung von Kurzzeitverträgen, insbesondere von befristeten und sogenannten Zero-Hour-Verträgen. Bei Letzteren ist eine Mindestarbeitszeit von null Stunden vertraglich festgelegt. Das würde es den Unternehmen ermöglichen, Voll- oder Teilzeitverträge zu vermeiden und Arbeit auf Abruf einzuführen.“ (Der Freitag, Ausgabe 47/2017)[17]

Seitdem sind die ausländischen Investoren von unflexiblen Tarifverhandlungen befreit, vier Fünftel aller Lohnverhandlungen finden auf Unternehmensebene ohne gewerkschaftliche Beteiligung statt, weil auch die Gewerkschaften durch ein neues Gesetz stark liberalisiert worden sind.[18]

Die von IWF und EU angeordnete Sanierungspolitik ist allerdings ohne politische Verwerfungen nicht zu haben, führt zu sozialen Unruhen und 2012 zum Sturz der „liberalen“ Regierung Boc. Als die neue Regierung unter dem PSD-Premierminister Victor Ponta einige der Reformen zurücknehmen und wieder landesweite Tarifverträge einführen will, interveniert die EU-Kommission gemeinsam mit dem IWF:

„‚Wir halten die Behörden dringend dazu an, sicherzustellen, dass nationale Tarifverträge keine Elemente enthalten, die sich auf Löhne beziehen und/oder die Fortschritte rückgängig machen, die mit dem Arbeitsgesetz von 2011 erreicht wurden.‘ Die Gläubiger-Troika aus IWF, Europäischer Kommission und Weltbank rief die Verantwortlichen auch dazu auf, keine jährlichen kollektiven Tarifverhandlungen einzuführen. Ergebnis: Die Regierung knickte ein und gab den Plan auf.“ (Der Freitag, Ausgabe 47/2017)

Derselbe Ponta kündigt 2015 zwar das Abkommen mit dem IWF, um seiner Regierung mehr haushaltspolitischen Handlungsspielraum zu verschaffen, hat es aber weiterhin mit der Beaufsichtigung durch die EU-Kommission zu tun, die ihm diese Aufsässigkeit nicht verzeiht.

Nach der Diskreditierung Pontas mit Hilfe von Korruptionsvorwürfen (er soll sich einen akademischen Grad erschlichen haben) und mit Hilfe einer Volksempörung nach dem Brand einer Diskothek in Bukarest (der Grund: Korruption!) gelingt es, seine Regierung durch eine Technokratenregierung abzulösen. Die zeitweilige Abschaffung der demokratischen Prozeduren verursacht der Wertegemeinschaft EU kein großes Kopfzerbrechen, denn mit Dacian Ciolos wird ein Regierungschef eingesetzt, der sich als ehemaliger EU-Kommissar für die Ausübung von ‚good governance‘ qualifiziert hat. Derselbe holt sich weiteren Sachverstand von IWF und EU in die Regierung: ‚Mein Ziel war, kompetente und erfahrene Leute zu ernennen‘; dazu zählen zahlreiche EU-Kollegen in seinem Kabinett und eine Finanzministerin, die vorher Beraterin bei der EU-Kommission und beim Internationalen Währungsfonds (IWF) war (DW, 17.11.15). Die stellt mit ihrer Ansprache ans rumänische Arbeitsvolk ihre Kompetenz auch gleich unter Beweis: Die rumänischen Arbeiter sollten sich ein Beispiel an den Arbeitern in Brasilien oder Indien nehmen, die für Pennies arbeiten. (criticatac.ro/lefteast, 27.1.16)

Leider muss dann aber auch wieder gewählt werden, Ende 2017 gewinnt schon wieder die PSD und nimmt sich die Freiheit, einige der Austeritätsauflagen zu lockern und die Mindestlöhne zu erhöhen, so dass sich die EU-Kommission prompt größte Sorgen um die rumänische Wettbewerbsfähigkeit machen muss:

„Der Mindestlohn ist um mehr als 60 % netto angewachsen seit 2015. Ungefähr 30 % der Arbeiter verdienten 2017 den Mindestlohn... Das starke Lohnwachstum kann die Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigen und sich auf die Inflation auswirken, wenn die Produktivität nicht mit den Lohnsteigerungen Schritt hält.“ (CR 18, S. 7)

Dieselbe EU-Aufsicht, die mangelnde Fortschritte bei der Bekämpfung der Armut moniert, hat kein Problem damit, in demselben Bericht eine Lohnpolitik zu kritisieren, die sich nicht an das eherne Gebot hält, dass Löhne gefälligst der Arbeitsproduktivität zu folgen haben – einer Arbeitsproduktivität, die ihrerseits das Werk der ausländischen Investoren und ihrer Wertschätzung der rumänischen Niedrigstlöhne ist, die ihnen – siehe oben – oftmals den Einsatz teurer Maschinerie ersparen.

Probleme tauchen dann auch noch in ganz anderer Hinsicht auf: Dem Auslandskapital ist es offensichtlich während des Booms der letzten Jahre gelungen, das passend zugerichtete Arbeitskräftereservoir des Landes so weitgehend auszuschöpfen, dass inzwischen eine Verknappung des Angebots festzustellen ist.

Schlechter „labour supply“

„Das Angebot an Arbeitskräften und Qualifikationen hält nicht Schritt mit dem sich schnell ändernden Bedarf der Wirtschaft.“ (CR 18, S. 2)

Der moderne Kapitalismus versteht es mittlerweile, auch mit dem rumänischen Standortnachteil einer verwahrlosten Infrastruktur umzugehen, wegen der immer wieder einmal Niederlassungen in Rumänien verworfen worden sind: Mit der Erfindung der Clickworker und der Benützung von Ausbildungs-Clustern von IT-Arbeitskräften hat das Euro-Kapital Rumänien zunehmend als Angebot für Outsourcing wahrgenommen.[19] Und das so gründlich, dass davon schon wieder zu wenig im Angebot ist: Mangel und Ungleichgewichte von Qualifikationen haben nachteilige Auswirkungen auf die Qualität und Quantität des Arbeitsangebots. (CR 18, S. 7) Das ungenügende Angebot übt dann auch noch eine verderbliche Wirkung auf die Lohnbewegung aus:

„Die niedrige Arbeitslosigkeit hat, zusammen mit einem schrumpfenden Angebot an Arbeitskraft und einer fortbestehenden Knappheit an Qualifikationen, zu einem angespannten Arbeitsmarkt und flächendeckenden Lohnerhöhungen geführt.“ (Ebd.)

In der interessanten Optik des Länderberichts, was alles an negativen Faktoren einem reichhaltigen Arbeitsmarkt entgegensteht und weiteres Wachstum verhindert, kommt dann einiges davon zur Sprache, wie sich die durch die Kapitalisierung des Landes hergestellte Armut ausgewirkt hat:

„Rumäniens ungünstige demographische Entwicklung hält voraussichtlich an. Eine alternde Bevölkerung, eine beschränkte interne Arbeits-Mobilität und die anhaltende Emigration bedeuten eine signifikante Einschränkung für ein mögliches Wirtschaftswachstum.“ (CR 18, S. 2)

Arbeitsmigration

Die arbeitsfähige Bevölkerung ist in großen Portionen in andere Länder abgewandert, innerhalb von zwanzig Jahren hat Rumänien 3,8 Millionen Einwohner verloren (FAZ, 19.2.13), vor allem aufgrund einer organisierten Beschaffung der Arbeitskräfte, mit der die europäische Geschäftswelt und die EU-Staaten aus Rumänien eine Art Selbstbedienungsladen für den Import von Billigkräften gemacht haben. Die Skala reicht dabei von niederen Kategorien wie Bauarbeitern, Schlachtern und LKW-Fahrern [20] bis zu qualifiziertem Personal aus dem Gesundheitswesen. Das bleibt nicht ohne Folgen:

„Rumänien ist mit einem substantiellen Defizit von Ärzten und Krankenschwestern konfrontiert. An die 24 000 rumänische Ärzte und Krankenschwestern haben seit 2000 das Land verlassen.“ (CR 18, S. 29)

Es ist nicht so, dass die Urheber dieses Defizits nicht bekannt wären:

„Schon bevor zum 1. Januar 2014 die Übergangsfrist nach dem EU-Beitritt endete und Rumänen überall in der EU arbeiten konnten, haben vor allem Deutschland, Belgien und Frankreich in großer Zahl Ärzte aus dem Land angezogen. Spezielle Agenturen verkauften ganze Pakete: Arbeitsplatz, Wohnung, Sprachkurs, Anerkennung der Approbation – all inclusive. Rumänien, das zweitärmste EU-Land, hat die geringste Ärztedichte in der Europäischen Union.“ (DLF, 22.12.18)

Das hindert die Kommission aber nicht im Geringsten daran, die schlechte Investitionsplanung, das Fehlen klarer politischer Festlegungen und die bescheidene administrative Fähigkeit des Gesundheitsministeriums (CR 18, S. 49) für die Notlagen im Gesundheitswesen haftbar zu machen. Im Übrigen widmet sich die europäische Aufsicht dem rumänischen Gesundheitswesen in der Hauptsache unter dem Blickwinkel der Korruption und verpflichtet den Staat darauf, informelle Zahlungen zurückzudrängen (ebd.) – eine ebenso grotesk unsachliche wie imperialistisch logische Handhabung des Problems: Dass sich die potenten EU-Staaten am Potential schlecht bezahlter rumänischer Ärzte bedienen, deren Einkommen im Land durch die Abschaffung der informellen Zahlungen vermutlich nicht ansteigen dürfte, gehört zu den Errungenschaften des Binnenmarkts; aber den Armenhausverwaltern Vorschriften zu machen, was saubere Dienstleistungen betrifft – auch wenn die unter den dortigen Bedingungen gar nicht einzuhalten sind –, das gehört offensichtlich zu den Pflichten der Aufsichtsinstanz.

Was die beklagte Verknappung auf dem rumänischen Arbeitsmarkt in den anderen Sparten betrifft, schauen die Unternehmen lösungsorientiert nach vorne und planen, ostasiatische Arbeitskräfte zu importieren. Der Länderbericht der Kommission verweist wiederum die rumänische Regierung auf ein inländisches Reservoir:

Die „unerschlossene Arbeitsreserve“

„Es gibt eine große unerschlossene Arbeitsreserve. Die Beschäftigungsrate der Bevölkerung zwischen 20 und 64 Jahren bleibt eine der geringsten in der EU trotz jüngster Verbesserungen... Die Anzahl junger Menschen, die sich nicht in einer Ausbildung, Beschäftigung oder einem Training befinden (NABT), bleibt sehr hoch... Viele der NABT sind wirtschaftlich untätig oder entmutigte Arbeiter. “ (CR 18, S. 25)

Schon wieder ein Versäumnis der Regierung, dass sie diesen Vorrat nicht anzapft. Diese Arbeitsreserve besteht allerdings aus nichts anderem als der oben schon erwähnten Armut auf dem Land: Der schreibt der Länderbericht noch eine andere Eigenschaft zu, nämlich eine geringe innere Mobilität (CR 18, S. 24), verbunden mit Hausbesitz: Neben anderen Gründen gehört dazu der Hausbesitz, der mit 96 % einer der höchsten in der EU ist (CR 18, S. 23). D.h. auf Deutsch, dass die Subsistenzler auf dem Land, die da noch irgendeine Unterkunft besitzen, sich angesichts des Verhältnisses der fast schon europäischen Mieten in den Städten zu den Löhnen den Wechsel zu einem solchen Arbeitsplatz gar nicht leisten können.[21] So wird Hausbesitz schnell zum Grund für eine beklagenswert geringe Mobilität. Aufgrund des Mangels an Schulen auf dem Land hat die sich dort durchschlagende sogenannte Arbeitskraftreserve ebenso wenig Chancen auf eine Ausbildung, die sie zum Eintritt in den Arbeitsmarkt befähigen würde, so dass die Betreffenden lieber im Haushalt mit anpacken, noch so ein hübscher Ausdruck für Subsistenz:

Schwerwiegend ist die Lage in ländlichen Gebieten, dort brechen wesentlich mehr Kinder die Schule ab als in den Städten... Mehr als 40 % der Schulabgänger nach Abschluss der achten Klasse bleiben den heimatlichen Gemeinschaften auf dem Lande erhalten, wo sie im Haushalt mit anpacken... In ländlichen Gebieten gebe es viel weniger Gymnasien und die Schüler müssten lange Schulwege in Kauf nehmen.“ (RRI, 11.1.17)

Es grenzt schon an ein Kunstwerk, wie die EU-Instanzen in Rumänien die marktwirtschaftlich produzierte Armut in allen möglichen Facetten besichtigen, vom unproduktiven Kleineigentum auf dem Land über die Schulabbrecher, die verkommene Infrastruktur bis hin zur mangelnden Mobilität im Inneren und der massenhaften Arbeitsmigration – nämlich aus dem interessierten Blickwinkel, dass es sich da um lauter Hindernisse für Wachstum handelt. Und es ist ebenso kunstvoll, wie sie zugleich die staatlichen Verwalter dieser Nation auf Regeln verpflichten, die im Namen eines soliden Haushalts und eines stabilen Geldes die staatliche Handlungsfreiheit in Sachen Wachstumsförderung beschneiden und damit immer wieder auf das Konkurrenzmittel Niedriglohn festlegen, das wiederum die inkriminierten Armutsverhältnisse fortschreibt.

Der rumänische Staatshaushalt als Kampfobjekt

Aufgrund der sachzwanghaften Verschuldung aus den Transformationsjahren, in denen der Staat seine kaputtgehende ökonomische Grundlage mit Hilfe ausländischer Kredite zu retten versucht hatte, gerät er in die Finanzkrise, d.h. die Finanzmärkte entziehen ihm das Vertrauen in seine Zahlungsfähigkeit. Der Beistand, den IWF und EU Rumänien zur Bewältigung der Finanzkrise leisten – Kredite zur Aufrechterhaltung der nationalen Zahlungsfähigkeit und zur Schuldenbedienung –, ist an die wesentliche Bedingung eines Schuldenabbaus durch Haushaltssanierung geknüpft, nach dem grundvernünftigen Prinzip, dass Einnahmen zu steigern und Ausgaben zu senken sind. Das Ergebnis ist ein beeindruckendes Experiment, wie weit man ein Volk auf und unter das Existenzminimum herunterdrücken kann:

„Die internationalen Kreditgeber der Hilfsprogramme machten auch die Konsolidierung der Staatsfinanzen zur Auflage. Konsolidierungsmaßnahmen, überwiegend in Form von Ausgabenkürzungen (Reduzierung der Löhne und Gehälter im öffentlichen Dienst um ein Viertel, dramatische Kürzung der Renten und Sozialleistungen etc.), ermöglichten die Rückführung des Haushaltsdefizits von 7,1 % des BIP (2009) auf 1,9 % im Jahr 2014.“ (Rumänien: Aufblühende Wirtschaft mit Altlasten, exportmanager-online.de, 11.6.15)

Für die nötige staatliche Tatkraft sorgt der IWF. Nachdem das rumänische Verfassungsgericht die verordnete Kürzung der Renten um 15 % und der Beamtengehälter um 25 % verwirft, schiebt der Währungsfonds die Auszahlung der nächsten Tranche des Notkreditpakets auf, denn die macht der IWF von stabilen politischen Verhältnissen abhängig (telepolis, 28.6.10). Politische Quertreibereien der Art kann und darf sich nach dessen Auffassung ein solches Land schon gleich gar nicht leisten, und die Regierung verspricht prompt, zum Ausgleich, um dem IWF zu genügen, die Mehrwertsteuer per Dekret von 19 % auf 24 % anzuheben, ein Steuersatz, der zu einem der höchsten im Rahmen der EU gehört und auf eine der ärmsten Bevölkerungen trifft. Die Steuer auf Einkommen und Gewinne von Unternehmen bleibt dagegen unangetastet auf bescheidenen 16 %. (Ebd.)

Die stabilen politischen Verhältnisse, die der IWF sehen möchte, lassen aber auf sich warten, weil – wie schon erwähnt – das Sanierungsprogramm zu einem Aufstand und in der Folge zu einem Regierungswechsel führt. Die PSD gewinnt wieder die Gunst der Wähler, und die neue Regierung Ponta, die das Kaputtsparen der nationalen Basis wenigstens etwas abschwächen möchte, bekommt es mit dem gesammelten Erpressungspotential von IWF, EU und ausländischen Investoren zu tun:

„Rumänien habe sich zur ‚fiskalischen Konsolidierung‘ verpflichtet – man erwarte, dass die Versprechen auch eingehalten würden, sagte der IWF-Vertreter für Rumänien und Bulgarien, Guillermo Tolosa... Tolosas Warnung erfolgt nach zahlreichen Wahlversprechen des PSD-Kandidaten und amtierenden Premiers Victor Ponta über Lohn- und Rentenerhöhungen sowie geringere Steuern.“ (ADZ, 13.11.14)

Der Versuch, auch beim Kapital Gelder einzutreiben, trifft auf lautstarke Entrüstung der Organe des Auslandskapitals, das dank seiner uneigennützigen Leistungen ja gewissermaßen zum Mitregieren in Rumänien befugt und in Fragen der Moral besonders kompetent ist:

„Dies könne Investoren veranlassen, derzeitige und künftige Investitionen ‚in Rechtssysteme zu verlegen, die eine gewisse steuerliche Stabilität bieten‘. Es sei ‚weder moralisch noch korrekt‘, dass die Unternehmen, ‚die bereits das Budget stützen‘, durch neue Steuern und Gebühren ‚erstickt‘ würden.“ (Der Standard, 12.11.13)

Zur Strafe dafür, dass Ponta das Beistandsabkommen mit dem IWF gekündigt hat, setzt die EU ein Disziplinarverfahren wegen Wirtschaftsungleichgewicht in Gang, ein Grund sei der Beschluss der Bukarester Behörden, ab 2015 auf das externe Finanzunterstützungsprogramm zu verzichten... Rumänien [verzeichne] makrowirtschaftliche Abweichungen, die Überwachung benötigen und für welche Maßnahmen getroffen werden. (RRI, 28.2.15) Dieses jahrelange Hauen und Stechen um den rumänischen Haushalt, an dem die Kommission maßgeblich beteiligt war und ist, fasst der Länderbericht dann konsequent einseitig als inkonsistente Steuerpolitik der dortigen Regierungen zusammen: Der Steuerpolitik Rumäniens mangelt es an Beständigkeit, Vorhersagefähigkeit und strategischer Planung. (Ebd.)

Auch nach den Wahlen Ende 2017 und dem neuerlichen Sieg der PSD macht sich die neue Regierung mit ihrer Unbeständigkeit bemerkbar. Sie setzt eine Reduzierung der Verbrauchssteuern durch sowie eine Erhöhung von Mindestlöhnen und Renten, die in Prozentzahlen gemessen enorm, bezogen auf den niedrigen Ausgangspunkt sehr bescheiden ausfällt. Das schlägt sich zwar in einem neuen Wachstumsschub in Rumänien nieder, versetzt aber die EU-Kommission wieder in Sorgen, denn die großartige fiskalische Konsolidierung der verordneten Krisenbewältigung ist in Gefahr:

„Der Fortschritt, der bei der fiskalischen Anpassung erreicht wurde, ist schrittweise rückgängig gemacht worden. Seit 2009 hat sich Rumänien um eine erhebliche fiskalische Konsolidierung bemüht, die dazu geführt hat, dass 2014 und 2015 das Zwischenziel erreicht wurde. Aber seit 2016 hat die öffentliche Hand eine expansionistische Fiskalpolitik verfolgt, die zu einer bedeutenden Abweichung von diesem Ziel geführt hat.“ (CR 18, S. 11)
„Der nationale Fiskalrahmen ist nicht eingehalten worden, was anscheinend zur Gewohnheit geworden ist. Die im nationalen Fiskalrahmen enthaltene Defizitregel verlangt die Einhaltung oder zumindest die Annäherung an das zwischenzeitliche Haushaltsziel eines strukturellen Defizits von 1 Prozent des BIP. Trotzdem ist 2016 das strukturelle Defizit in Verletzung der Defizitregel darüber hinaus gewachsen.“ (CR 18, S. 19)

Die Kommission eröffnet Verfahren wegen Verletzung der Stabilitätskriterien; ein ökonomischer Nationalismus, der bloß wegen seiner depravierten Mindestlöhner und Rentner den Staatshaushalt entgleisen lässt, ist in der europäischen Wertegemeinschaft nicht erlaubt.

Bei der Sanktionierung der renitenten rumänischen Staatsmacher hat die Kommission schließlich auch die marktwirtschaftlichen Sachzwänge auf ihrer Seite, die beweisen, dass das Land sich solche Extravaganzen nicht leisten kann: Kaum beziehen die Rumänen ein bisschen mehr Einkommen, droht ein überhitzter Konsum.[22] Der gilt deswegen als überhitzt, weil es ja das ausländische Handelskapital ist, das die nationale Zahlungsfähigkeit in der Hauptsache auf sich zieht und damit für ein steigendes Handelsbilanzdefizit und eine wachsende Verschuldung sorgt – woraus zwingend folgt, dass das Land sich den Konsum seiner Einwohner nicht leisten kann.

Zu den Vorwürfen der Kommission an die Adresse der rumänischen Regierung, die auch den Anstieg der gesamtstaatlichen Nettoprimärausgaben monieren, gehört interessanterweise auch der umgekehrte Vorwurf, dass die Regierung zu wenig Geld ausgibt, nämlich (nicht) das, was ihr in der EU im Prinzip zusteht:

„Ungenügende Absorption der EU-Fonds“

Gelder sind vorhanden, aber deren Einsatz scheitert an der rumänischen Ineffizienz:

„Eine hohe Ineffizienz beim Management der öffentlichen Investitionen hat zu einer schleppenden Absorption der EU-Fonds geführt und das Land daran gehindert, den vollen Ertrag aus seinem erweiterten Kapitaleinsatz zu erzielen.“ (CR 18, S. 34)

Für den Befund müssen die europäischen Sittenwächter nur davon absehen, dass bei der Inanspruchnahme der Fonds erstens das Prinzip der Kofinanzierung gilt und der Staat oftmals gar nicht über die dazu benötigten Eigenmittel verfügt – bei jeder Lockerung des Fiskalrahmens wird ihm ja die Abweichung von den Stabilitätskriterien zum Vorwurf gemacht, was wiederum mit einer Strategie zur Erreichung des Defizitziels repariert werden muss. Es kommt daher auch vor, dass die rumänischen Budgetplaner „tüchtig an Investitionen gespart haben. Die beiden Ministerien [Verkehr und Regionalentwicklung] gaben nur 60 % ihrer zugeteilten Gelder aus. Im Klartext heißt das, dass weniger Straßen gebaut und modernisiert und weniger Kanalisationen oder Trinkwasserleitungen gelegt wurden. Dass heute Eisenbahner wegen Unterfinanzierung und schlechter Qualität der Dienstleistungen protestieren, hat ebenfalls damit zu tun.“ (RRI, 22.2.18)

Zweitens ist der Zugriff auf die EU-Fonds an spezielle bürokratische Prozeduren gebunden, um eine Zweckentfremdung der Mittel zu verhindern: Der Zugang zu ESIF [Europäische Struktur- und Investitionsfonds] hängt von der Compliance mit den vorgeschriebenen politischen und institutionellen Bedingungen ab, die einen effizienten und effektiven Gebrauch der Fonds sichern sollen. (CR 18, S. 35) Versäumnisse Rumäniens bei der Einhaltung der bei der Vergabe öffentlicher Aufträge gültigen Vorschriften bekräftigen die wiederholte Feststellung von Korruption bei der Vergabe öffentlicher Aufträge. (CR 18, S. 40) Da kann es nicht ausbleiben, dass die Beantragung der Mittel aus eben diesem Grund vermieden wird: Einige nationale und europäische Investitionen scheiterten daran, dass lokale Genehmigungsbehörden verunsichert seien, um nicht der Korruption verdächtigt zu werden. (FAZ, 28.12.18)

Dass der Zugriff auf EU-Fonds an diese Bedingungen geknüpft ist, trägt seinerseits zu dem Resultat einer ausgeprägten Investitionsschwäche bei: Die Staatsausgabenquote ist nach 2010 im Abwärtstrend, ein Ergebnis der spürbaren Konsolidierung des Staatshaushaltes in den letzten Jahren.[23] Merkwürdig, dass dieses im Prinzip begrüßenswerte Ergebnis einfach dasselbe ist wie ordinärer Geldmangel. Jedenfalls muss sich das Land seine Investitionsschwäche vorhalten lassen, denn die schafft wiederum eine Reihe von Investitionshindernissen, siehe z.B. die mangelhafte Verkehrsinfrastruktur.[24]

Das Hineinregieren der EU in die rumänischen Verhältnisse, das die Zuteilung aus den EU-Fonds an eine Latte von Bedingungen knüpft und die Vorenthaltung der Mittel als Hebel zur Herstellung von Compliance mit den vorgeschriebenen politischen und institutionellen Bedingungen einsetzt, muss aber sein. Und wenn die Mittel vor Ort nur spärlich Verwendung finden, ist das auf dem Konto der unfähigen Regierung abzubuchen.

„Compliance“ ist im Übrigen auch auf dem Gebiet der rumänischen Wirtschafts- und Sozialpolitik dringend nötig, weil die EU-Aufsicht es da immer wieder mit „Rückfällen“ zu tun bekommt.

Die unausrottbare Neigung zum Staatsdirigismus

Die Bemühungen der PSD-Regierungen, der Verwahrlosung und dem Schwund ihrer Volksbasis entgegenzutreten, geraten regelmäßig unter den Verdacht einer heimlichen Abkehr vom marktwirtschaftlichen Weg.[25] Der letzte Länderbericht missbilligt das politische Vorhaben, Teile der Beiträge zu einem privaten Rentenfonds, der „zweiten Säule“, dem staatlichen, der „ersten Säule“ zuzuschlagen. Zwar verdankt sich diese Operation auch dem Manövrieren mit den Stabilitätskriterien, die Verschiebung der Mittel soll nämlich die Defizite im staatlichen Rentenfonds ausgleichen. Die entstehen einerseits durch eine angekündigte Erhöhung der Renten, andererseits durch das Problem, dass die Anzahl der Rentenzahler auch durch die hohe Auswanderungsrate sinkt und drittens durch die Tatsache, dass bei einem nationalen Niedriglohn auch nur entsprechend geringe Beiträge anfallen.[26] Angesichts dieser Problemlage widmet sich die EU-Aufsicht aber lieber der Sorge um den Kapitalmarkt, auf dem sich der private Rentenfonds vorbildlich betätigt hat: Die Reform der zweiten Säule der Rentenversicherung könnte die Nachhaltigkeit des Rentensystems und dessen Leistungen auf dem lokalen Kapitalmarkt schwächen. (CR 18, S. 23)

Auch an anderen Stellen greift die Regierung unbefugterweise ins Marktgeschehen ein, so möchte sie die Energiefirmen auf den Standpunkt der nationalen Versorgung verpflichten und denkt sogar an eine Zwangsverbilligung und Deckelung der Gaspreise. Schöne Erfolge aus der Zeit der Technokraten-Regierung – Die Eilverordnung No 64 vom Oktober 2016 hat behördliche Schranken für den Gasexport, die EU-Gesetze verletzten, abgeschafft und wesentliche Elemente von Wettbewerb und Transparenz eingeführt – werden kaputtgemacht: Der Zusatz zu dieser Eilverordnung, über den das Parlament zur Zeit berät, verwässert das Regelwerk... Rumänien muss immer noch angemessene Regelungen für den Energiemarkt einführen. (CR 18, S. 43)

Die Auseinandersetzung eskaliert, nachdem neue Gasvorkommen im Schwarzen Meer entdeckt worden sind; die Regierung legt ein Gesetz vor, nach dem die Unternehmen neben den Lizenzgebühren eine Steuer auf zusätzliche Einnahmen zahlen sollen.

„Deren Quote wird auf der Grundlage der Gaspreise variieren. Nach dem Gesetz müssen die Gaskonzerne“ außerdem „mindestens die Hälfte der geförderten Mengen auf dem rumänischen Markt handeln und mindestens 25 % der Beschäftigten vom rumänischen Arbeitsmarkt einstellen.“ (RRI, 25.10.18)

Der übel beleumundete Vorsitzende der PSD, Dragnea, leistet sich aus dem Anlass wieder einmal populistische Ausfälle: Wir müssen die Energiekonzerne kräftig besteuern. Wir können doch als rumänischer Staat hier nicht leer ausgehen (DLF, 6.8.18), so dass sich die potenziellen Investoren, der US-Konzern Exxon Mobile und der österreichisch-rumänische Konzern OMV-Petrom, dazu genötigt sehen, ihre Freiheitsrechte zu verteidigen. Der Rumänien-Vorsitzende von ExxonMobil, Richard Tasker, hat erklärt, dass der neue Gesetzesrahmen Investitionsentscheidungen erschweren werde. (ADZ, 11.7.18) OMV verschiebt erst einmal demonstrativ seine Investitionsentscheidung, Konzernchef Rainer Seele: Man sei sehr besorgt über die Verkaufsrestriktionen. (RRI, 25.10.18) Wie kann sich auch die Staatsmacht Restriktionen herausnehmen, wo sie doch auf die auswärtige Kapitalmacht zur Nutzung ihrer Naturschätze bedingungslos angewiesen ist?! Und wenn auf dem Gebiet Missstände zu verzeichnen sind, sind es allemal die der politischen Verwaltung, wie die Deutsche Welle mitteilt:

„In Rumänien gibt es seit langem einen politischen Streit um Nachlässigkeiten und Korruption bei staatlichen Genehmigungen für Rohstoffausbeutung. In der Vergangenheit mussten Konzerne zum Teil nur sehr geringe Lizenzgebühren beim Rohstoffabbau zahlen, dem Staat gingen zudem durch schlechte Verträge viele Steuereinnahmen verloren.“ (DW, 17.7.18)

Während der rumänische Populismus die wohltätigen Auslandskapitale verteufelt, betreibt er auf der anderen Seite eine unverhohlene marktwidrige Bevorzugung seiner nationalen Unternehmen:

„In der EU darf der Staat seine eigenen Betriebe nicht einfach so unterstützen – aber es passiert. Deshalb prüft jetzt die Europäische Kommission einen aktuellen Fall aus Rumänien. Der Staat hat der Firma CFR Marfă, die Fracht auf der Schiene befördert, in einer Schieflage geholfen... Die privaten Mitbewerber von CFR Marfă wandten sich an die Europäische Kommission – sie solle doch prüfen, ob dem staatlichen Unternehmen durch den Schuldenswap und die anderen Maßnahmen ungerechte Vorteile unter Verstoß gegen die EU-Beihilfevorschriften verschafft worden sind... Ob das vorliegt, muss jetzt die Kommission kontrollieren.“ (RRI, 21.12.17)

Staatsinterventionen, um Konkurrenzniederlagen auszubügeln, gehören zwar zum gewöhnlichen Instrumentarium der Staatenkonkurrenz; im Rahmen des EU-Binnenmarkt-Reglements, besonders da, wo seine Beachtung durch die Osteuropäer beäugt wird, stehen sie aber grundsätzlich unter dem Verdacht einer Sünde wider die freie Konkurrenz, auch da, wo es um die Garantie allgemeiner Bedingungen der Benützbarkeit des Landes geht, wie im Fall der rumänischen Eisenbahn. Die Kommission wirft generell einen kritischen Blick auf all das, was in Rumänien noch an Staatsindustrie vorhanden ist:

„Die operationelle und finanzielle Performance der staatseigenen Betriebe hat sich nicht verbessert. Die staatseigenen Betriebe weisen eine höhere Verschuldungsrate und geringere Profitabilität aus als Betriebe im Privatsektor... CFR Marfă, der große Bahntransport-Betreiber bereitet besondere Sorgen... Zusätzlich zur schlechten Leistungsfähigkeit und der Schlüsselrolle, die die staatseigenen Betriebe in kritischen Bereichen der Infrastruktur wie Energie und Bahntransport spielen, kommt auch die Restrukturierung der verlustbringenden Betriebe nicht voran.“ (CR 18, S. 35)

Alleine die Tatsache, dass die Betriebe Verluste machen, spricht ja schon dafür, dass sie dringlichst zu privatisieren sind – auch wenn Rumänien mit der Privatisierung die Erfahrung gemacht hat, dass private Eigentümer die Betriebe bis zu deren Verschwinden gesundgeschrumpft oder im Versorgungssektor das Geschäft auf Kosten der Versorgung gemacht haben. Die Firma E.ON z.B. hat in der Hauptsache mit Preiserhöhungen gewirtschaftet und sich aus Kostengründen mit Investitionen zurückgehalten mit dem Ergebnis, dass bei der Stromversorgung Havarien an der Tagesordnung sind. Was die Stromversorgung betrifft, so sind die Produktionskapazitäten überaltert. Rund 30 Prozent der Kapazitäten sind mehr als 40 Jahre alt und 25 Prozent sind 30 Jahre alt. (ADZ, 9.12.14)

Die Auseinandersetzung mit den EU-Behörden entzündet sich auch an der Frage der Kontrolle über den Bestand an staatseigenen Unternehmen. Die Regierung möchte ein Gesetz aus der Phase der Technokraten-Regierung über die Verwaltung der Staatsunternehmen modifizieren, um sich einen direkteren Zugriff auf deren Führung zu verschaffen:

„Das Führungspersonal von 94 Staatsunternehmen soll künftig ‚ausnahmsweise‘ nicht nach dem geltenden Gesetz aufgrund einer Ausschreibung und Prüfung ernannt werden, sondern direkt von der Regierung. Beschlossen wurde zudem, dass die Regierung die Liste beliebig ohne Billigung des Parlaments erweitern darf. Auf der ‚Ausnahmeliste‘ stehen unter anderem mehrere Rüstungsfabriken, Schiffswerften, die Eisenbahn, die Flugüberwachung, die Airline Tarom, Bergbaubetriebe, Energieproduzenten.“ (derstandard.at, 20.12.17)

Der Fortschrittsbericht schlägt Alarm – Gesetzesänderungen von 2017 haben den substanziellen Fortschritt vom Jahr davor rückgängig gemacht, der die corporate governance der staatseigenen Betriebe gestärkt hatte, eine erhebliche Rücknahme der früheren Reformen. (CR 18, S. 12) –, und die Öffentlichkeit weiß sofort, was da gemeint ist: Fachleute vermuten Schummelei und sagen, dass die Ausnahmen dazu dienen, politiknahen Managern zu lukrativen Jobs zu verhelfen. (RRI, 21.12.17)

Dass verdiente Politiker ihren Erfahrungsschatz in den Dienst der Wirtschaft stellen und in dieselbe überwechseln, soll zwar auch in der Bundesrepublik schon vorgekommen sein. Aber in Rumänien ist der Schluss auf Korruption einfach nicht zu vermeiden.

Dieselben Verdächtigungen richten sich gegen ein weiteres Projekt der Regierung, die Gründung eines Staatsfonds, ein Sovereign Development and Investment Fund ... wie in Norwegen, Frankreich, Saudi-Arabien etc., der mit Gewinnen von Unternehmen ausgestattet würde, die in Staatsbesitz geblieben sind (Visegrádpost, 2.2.18), mit dessen Mitteln die Entwicklung des Landes vorangetrieben werden soll. Der Fortschrittsbericht mutmaßt, dass das alles nur ein Manöver zum Entzug aus der gesetzlich vorgeschriebenen „corporate governance“ mit ihrer Vorschrift zur öffentlichen Ausschreibung der Führungsposten und zur Verhinderung von „Transparenz“ darstellt.

„Der Zweck des Fonds und seine Investitionsstrategie werden in dem Gesetzentwurf nur undeutlich ausgewiesen... Nach dem Gesetzentwurf soll der Fonds aus dem Gesetz 111/2016 über die corporate governance der staatseigenen Betriebe ausgenommen werden. Der Gesetzentwurf löst auch Besorgnisse hinsichtlich der Transparenz von Entscheidungsfindung, Rechenschaftslegung und Kontrolle aus.“ (CR 18, S. 36)
„Die Strategie wird von der Regierung vorgegeben und an kurz-, mittel- und langfristige Leistungskriterien gekoppelt sein – wie die Entwicklung der Infrastruktur, die Schaffung von Arbeitsplätzen, die Förderung von Innovation und Wettbewerbsfähigkeit. Diese derart lax formulierten Vorschriften lassen praktisch alles zu.“ (RRI, 7.6.18)

Eine Wirtschaftspolitik, wie sie so oder so ähnlich jeder Staat verfolgt, kann man der rumänischen Regierung einfach nicht konzedieren, denn in ihrem Fall ist das ein einziges Zeugnis von „vagen“, „laxen“ und undurchsichtigen Zielsetzungen.

Das Urteil der EU über die kapitalistischen Verheerungen: Ein Sumpf von Korruption

Der Länderbericht resümiert seine jährliche Inventur in einem negativen Gesamtbild unter dem leitenden Gesichtspunkt, dass das business environment von lauter Herausforderungen behindert wird: Als Haupthindernisse für Investitionen tauchen da auf der schlechte Zustand der Infrastruktur, die geringe Absorption der EU-Fonds, das inadäquate Angebot von Arbeitskraft und vor allem: poor governance und ineffiziente öffentliche Verwaltung... Ineffizienzen der öffentlichen Verwaltung und bei der Vergabe öffentlicher Aufträge ... behindern bleibend das business environment. (CR 18, S. 41)

So lässt sich die marktwirtschaftlich hergestellte Armut in ihren verschiedenen Erscheinungsformen – die Wirkungen des staatliches Geldmangels in der Infrastruktur, das Zuviel an unbrauchbarem Volk usw. usf. – zu einem einzigen Vorwurf gegen die Staatsmacht machen, die letztlich gar nichts anderes als die von der EU verlangten Anpassungsleistungen an den europäischen Binnenmarkt durchgesetzt hat. Aber für die Vorwürfe an ausgerechnet diese Adresse sieht sich die EU mehr als berechtigt.

Bei der Beurteilung Rumäniens hat man schon traditionsgemäß nicht nur wie bei allen diesen Ländern die Leistungen der Transformation aus dem Blickwinkel gewürdigt, dass das Vorhandene eine ziemlich schlechte Bedingung für den Fortschritt darstellt, der mit der Durchsetzung der kapitalistischen Konkurrenzmaßstäbe und der Bedürfnisse des europäischen Kapitals, also der zweifellos großartigen Maßstäbe vernünftigen Produzierens anvisiert wird. In diesem Fall hat zur Begutachtung der schlechten Ausgangslage schon immer auch das Urteil über ausnehmend schlechtes Regieren gehört. In dem Urteil fasst sich in einseitig interessierter Weise die Tatsache zusammen, dass die Karriere Rumäniens in der EU eine Geschichte von Kollisionen ist: Kollisionen zwischen den EU-Instanzen, die auf Einsicht in die Notwendigkeiten der marktwirtschaftlichen Zurichtung und auf geräuschlosem Vollzug bestehen, und PSD-Regierungen, die neben der notgedrungenen Unterordnung unter dieses System auf ihrem ökonomischen Nationalismus beharren und zugleich immer wieder versucht haben, mit staatlichen Mitteln der Enteignung der Nation und der Beschädigung ihrer Volksbasis entgegenzutreten. Daraus haben die Führungsinstanzen der EU ihre Schlüsse gezogen: Zum einen halten sie die andauernde Überwachung dieser Staatsmacht samt der Nötigung zu Korrekturen für unabdingbar, zum anderen hat man die Auffassung gewonnen, dass in dem Land ein genereller Missstand zu bekämpfen ist – Korruption hält sich hartnäckig auf allen Ebenen... Korruption wird allgemein als eines der wichtigsten Themen in Rumänien angesehen (CR 18, S. 38) –, der sich nicht zuletzt auch in dem missliebigen Regierungspersonal verkörpert.

II. Die EU widmet sich dem entscheidenden Mangel: Zu wenig rechtsstaatliche Verfolgung von Korruption

In der im Umgang mit diesem unhandlichen Staatswesen gewonnenen Überzeugung, dass die Korruption das Hindernis für jeden Fortschritt in diesem Land ist und die regierenden Sozialdemokraten für die Fortexistenz dieses Übels maßgeblich verantwortlich sind, haben die EU-Behörden schon frühzeitig diesem Übel den Kampf angesagt und Rumänien als Bedingung für die Zulassung zum Bündnis die Einrichtung einer Sondergerichtsbarkeit zur Bekämpfung von Korruption, vor allem von Korruption auf hoher Ebene aufgezwungen. Auf diese Weise hat die EU ihren Kampf um die Unterordnung der in der PSD verkörperten nationalen Linie in den rumänischen Staatsapparat hineinverlagert. Die Antikorruptionsbehörde DNA hat mit der Kriminalisierung des führenden Personals der PSD und auch zahlreicher subalterner Funktionäre schon viel geleistet, um die Partei insgesamt und ihre jeweiligen Regierungen zu delegitimieren: Anhand dieser von der EU angeleiteten Konfrontation entlang der Linie „Rechtsstaat“ gegen „Korruption“ zerlegt sich der Staat und spaltet sich das Land.

Die PSD: postkommunistisch und korrupt, was ungefähr dasselbe ist

Das Feindbild, das sich die EU von der PSD zurechtgelegt hat, setzt sich aus verschiedenen Elementen zusammen: Als Nachfolgepartei der Kommunisten wird sie von Beginn an mit dem Verdacht auf eine klammheimliche Fortsetzung der kommunistischen Herrschaft belegt, womit sie sich das bis heute gültige Etikett postkommunistisch verdient hat, bei dem die Vorsilbe „post“ viel mehr suggeriert als nur die temporale Bedeutung.[27] Dass die PSD heimlich eine Art Ceaușescu-Staat weiterbetreiben würde, ist zwar nicht festzustellen, aber die von ihr geführten Regierungen betätigen sich eben auch nicht umstandslos als Ausführungsorgan der EU, was von der EU-Aufsicht als Verschleppung von Reformen gewürdigt wird. Und weil man in Brüssel der festen Überzeugung ist, dass diese Reformen der einzig richtige Weg zum Erfolg und zur Herrichtung Rumäniens zu einem brauchbaren Teil Europas und daher unabdingbar sind, wird der ausbleibende Erfolg der Verantwortlichkeit der dortigen Regierung zugeschrieben. Diese Beantwortung der Schuldfrage führt wiederum mühelos zu dem Verdacht, dass die Partei aus einem illegitimen Interesse heraus „Reformen verschleppt“, nämlich bloß ihre Pfründe, das Interessengeflecht von politischen Funktionären und parteinahen Oligarchen sichern will und sich deshalb einfach nicht von der politischen Macht vertreiben lässt. Und damit ist die Korruption als der letzte Grund aller in Rumänien zu beklagenden Übel ausgemacht.

Dieses Feindbild hat leicht wahnhafte Züge, wenn es sämtliche politischen und ökonomischen Verhältnisse, die in diesem Land anzutreffen sind, letztlich die ganze politische Ökonomie des Landes unter diesen Tatbestand subsumiert. Was es an Korruption in diesem Land tatsächlich gibt, ist aber nicht die Ursache dafür, dass in Rumänien trotz aller Bemühungen der EU um Fortschritte im Reformprozess keine blühenden Landschaften entstehen, vielmehr handelt es sich dabei genau umgekehrt um Formen des Zurechtkommens mit den Verhältnissen, die in Rumänien dank Marktwirtschaft und EU-Regime eingerissen sind. Die Abwicklung der realsozialistischen Wirtschaft hat die Bevölkerung entsprechend verarmt, sie ist auf staatliche Hilfen angewiesen, die ihr von Rechts wegen nicht zustehen, die aber gegen eine Gebühr oder sonstige Gefälligkeit gegenüber der jeweiligen Amtsperson zu haben sind. Der Staatshaushalt ist in eine permanente Krise versetzt, die seit den Krisenjahren vom IWF mit der Verordnung „harter Sparmaßnahmen“ betreut wird, so dass auch alle Staatsdiener auf die Beschaffung zusätzlicher, weniger legaler Einkommen angewiesen sind. Sie machen verbreitet aus ihren Machtbefugnissen eine zusätzliche Verdienstquelle für sich – zum Leidwesen aller Unternehmer, die in Rumänien Geschäfte machen wollen, die sich über die Bestechung der Beamten aber auch die Zugangsbedingungen dafür sichern können. Die Parteien, denen eine Finanzierung westeuropäischer Art nicht zur Verfügung steht, greifen für ihre kostspieligen demokratischen Wahlkämpfe auf die wenigen oligarchischen Geldquellen zurück, deren Inhabern sie wiederum die nötigen Gefälligkeiten erweisen. Die wichtigsten Geldquellen sind aber immer noch die Heranführungshilfen der EU bzw. die Zuteilungen aus den EU-Fonds, deren Verteilung über die Staatsorgane verläuft, wobei die PSD ihren überkommenen Apparat bis hinunter zu den Bürgermeistern dazu benützt, sich mit den EU-Geldern ihre Anhängerschaft zu sichern. Das alles ist im Übrigen auch auswärtigen Beobachtern bekannt, die das allerdings zu einem Paradox erklären:

„Je ärmer der Wahlkreis und je abhängiger die Gemeinde von den Zuwendungen aus der Hauptstadt ist, desto weniger stört es die Wähler, dass die PSD die korrupteste aller rumänischen Parteien ist... Das ist paradox, aber nicht ohne Logik: Klientelismus und Korruption verbauen zwar vielen Menschen Chancen und behindern die Entwicklung eines Landes; aber in Ländern, deren Wirtschaft und Politik von diesen Übeln durchdrungen sind, sind viele Menschen – und zwar gerade sozial schwache – davon abhängig, dass die korrupten Netzwerke funktionieren. Sie garantieren ein Minimum an sozialer Sicherheit, die mit ihrer Zerschlagung verlorenginge.“ (FAZ, 13.12.16)

„Paradox“ erscheint das Wählerverhalten freilich nur, wenn man an die Reihenfolge der FAZ glaubt, dass viel Rechtsstaat notwendigerweise zum Wirtschaftserfolg führen muss. Was gäbe es alles an „Chancen“, wäre da nicht so viel Korruption – „Chancen“, die der rumänische Wähler gar nicht hat. Auch das nächste „Paradox“ der FAZ findet nur in ihrer Vorstellungswelt statt:

„Paradoxerweise sind es die Erfolge im Kampf gegen die politische Korruption, die die Wähler der PSD zutreiben. Entscheidend für den Wahlausgang ist in Rumänien nämlich das Engagement der Lokal- und Regionalpolitiker, insbesondere der Bürgermeister der Landgemeinden. Je länger der Kampf gegen die Korruption anhält und je erfolgreicher er ist, desto mehr drängen sie auf eine Generalamnestie und die Demontage der Antikorruptionsbehörde DNA. Und ebendas versprechen ihnen die Sozialdemokraten und ihre Juniorpartner.“ (FAZ, 10.12.16)

Das untere Herrschaftspersonal, das selber vom Kampf gegen Korruption bedroht ist, kann ihm verständlicherweise nicht viel abgewinnen und mobilisiert deshalb seine Wählerschaft in diesem Sinn. Dass es das bislang erfolgreich tut, ist das Ärgernis, das es aus europäischer Sicht zu beklagen gibt: Die Sozialdemokraten fahren immer wieder solide Wahlerfolge ein, obwohl Europa sie jetzt schon über 16 Jahre lang mit dem Korruptionsvorwurf traktiert, um sie loszuwerden.

Der ortsübliche Umgang mit dem auf allen Ebenen des Staatswesens anzutreffenden Geldmangel einerseits und der darauf gegründeten Käuflichkeit aller Zugangsvoraussetzungen in der Konkurrenz um Geldquellen, Verdienstmöglichkeiten und Machtpositionen andererseits hat für die mit der europatauglichen Zurichtung Rumäniens befassten EU-Instanzen die ärgerliche Wirkung, dass er den Verhältnissen, die im Sinne der EU reformiert und umgekrempelt werden sollen, tatsächlich eine gewisse Haltbarkeit verleiht. Und insofern sind der von Seiten der EU verordnete Kampf gegen die Korruption und die Einrichtung eines europäischen Aufsichtsregimes in praktischer Hinsicht nur konsequent und stellen auch einen großen Fortschritt auf dem Gebiet des europäischen Rechtsexports dar: Da hat man nicht nur wie in allen osterweiterten Staaten die Einführung der europäischen Gesetzlichkeit organisiert, sondern zusätzlich eine ganze Abteilung von Justiz samt Funktionären in dem zu korrigierenden Staatswesen eingerichtet, die dort die Exekution der Gesetzlichkeit auf dem Gebiet der Korruption – erklärtermaßen gegen große Teile der politischen Klasse des Landes – in die Hand nimmt.

Der Krieg innerhalb der geteilten Gewalten

Sowohl der 2004 gewählte Präsident Băsescu als auch der heutige Präsident Johannis, die mit ihrer national-liberalen Partei (PNL) gegen die Vorherrschaft der PSD kämpfen und dafür tatkräftige Wahlhilfen aus Europa erhalten haben, betätigen sich als Vollzugsorgane der europäischen Direktiven, indem sie sich als „neue Kräfte“ präsentieren, die die Nation von der korrupten PSD-Mannschaft befreien und auf die Weise die Nation voranbringen. Unter Băsescu sind die von Europa verlangten „Reformen“ des rumänischen Rechtswesens eingeführt worden, unter anderem – wovon die hiesige Berichterstattung eher weniger Worte macht – die Wiederverwendung der ehemaligen Securitate, des Geheimdienstes Ceaușescus, als schlagkräftiges Instrument der Korruptionsbekämpfung. Das aus dem Staatsdienst entlassene, zahlreiche Personal hatte sich bis dahin als Problem bemerkbar gemacht, indem es seine Kenntnisse der privatwirtschaftlichen Verwendung zur Verfügung stellte:

„Bisher nahmen die Offiziere beim Verlassen eines Geheimdienstes ihre Informanten mit, um für Privatpersonen, für äußerst erfolgreiche Geschäftsleute oder Politiker, tätig zu werden. Präsident Traian Băsescu erklärte, er wolle dieser Praxis einen Riegel vorschieben.“ (DLF, 16.2.06)

Da bietet sich eine neue staatsdienliche Verwendung dieses Machtinstruments regelrecht an; Băsescu verfügt eine Entmilitarisierung der beiden wichtigsten Dienste SRI (Inlands-Geheimdienst) und SIE (Auslands-Geheimdienst) und befördert die Offiziere zu Beamten im öffentlichen Dienst zwecks Übernahme staatsanwaltschaftlicher Aufgaben. (Ebd.)[28]

Unter dem Titel Kampf gegen die Korruption als nationales Sicherheitsziel (ebd.) wird der Einsatzbereich der Geheimdienste neu definiert und unter Präsident Johannis – sauber, deutschstämmig, also unzweifelhaft ein Guter –, der 2014 an die Staatsspitze gewählt wird, auf die ganze Gesellschaft erweitert:

„Der amtierende Präsident Klaus Johannis hat dem noch sein Konzept der ‚ausgeweiteten nationalen Sicherheit‘ hinzugefügt. Auf diesem Konzept basierend entwickelte der nationale Verteidigungsrat CSAT eine nationale Verteidigungsstrategie, der zufolge unter dem Schirm der ‚nationalen Sicherheit‘ ziemlich alle Bereiche der rumänischen Gesellschaft erfasst werden: Erziehung, Landwirtschaft, Justiz und Umweltschutz, sogar Demografie.“ [29]

Unter dem Schutz der Geheimhaltung ist die demokratisierte Securitate seitdem im Namen der nationalen Sicherheit zum umfassenden Einsatz auf dem Gebiet der Justiz ermächtigt.

  • Bei der strafrechtlichen Ermittlung:
    Der Chef der Technokratenregierung, Ciolos, erlässt im Frühjahr 2016 eine „Notverordnung, die den SRI zu einem ‚Spezialorgan zur Durchführung strafrechtlicher Ermittlungen‘ in bestimmten Fällen machte. Mit der prinzipiellen Ermächtigung, strafrechtlich zu ermitteln, hat die derzeitige rumänische Regierung dem SRI eine Befugnis erteilt, die schon die Securitate hatte.“
  • Bei der Beschaffung der Beweismittel:
    Der Geheimdienst verfügt schließlich über die nötigen modernen Techniken: „Bislang war der SRI das einzige Staatsorgan, das Telefongespräche abhören konnte. Alle Server werden von einer militärischen SRI-Einheit geschützt, selbstverständlich sind diese als Staatsgeheimnis deklariert und Zivilisten haben keinen Zutritt. Staatsanwälte und Rechtsanwälte müssen sich auf Abschriften oder Kopien der Aufnahmen verlassen, die vom SRI zur Verfügung gestellt werden.“ [30]
  • Der Geheimdienst besteht auch auf seiner Zuständigkeit bei der Durchführung der Verfahren:
    „General Dumitru Dumbrava, der Direktor der Rechtsabteilung des SRI, hat in einem Interview erklärt, der SRI ‚würde sich nicht vom taktischen Feld zurückziehen, sobald Anklage bei Gericht erhoben wurde‘, der SRI würde vielmehr ‚sein Interesse aufrechterhalten, bis jeder Fall abgeschlossen ist‘.“
  • Und er erhält auch Zuständigkeiten für die Kontrolle der Justiz und die Überwachung der Richter; er hat auch den Auftrag,
    „gemischte Teams mit Staatsanwälten [zu] bilden, um ‚Korruption innerhalb der Justiz zu identifizieren und zu bekämpfen‘. Der SRI legt Profile von Richtern an, um Muster kriminellen Verhaltens zu entdecken, selbst wenn es keinerlei Verdachtsmomente dafür gibt.“

Dass ein solcher Staat dringlich auf die Ausbildung von neuen Richtern angewiesen ist, die die passende ideologische Ausrichtung für den europäischen Rechtsstaatsauftrag mitbringen, liegt auf der Hand. Dafür macht die EU auch Gelder locker, die sinnigerweise an eine vom Geheimdienst betriebene Bildungsinstitution gehen:

„Diese Akademie gehört nicht nur zum Zuständigkeitsbereich des SRI, das ist die Schule, in der künftige SRI-Offiziere und Spione ausgebildet werden. Mit finanzieller Unterstützung der EU initiierte diese Akademie im Sommer 2015 ein Trainingsprogramm, für das sie gezielt 1000 Richter und Staatsanwälte auswählte, von denen 500 in Führungspositionen bei Gericht und Staatsanwaltschaft zu sein hatten. Die Teilnehmer mussten persönliche Informationen preisgeben und wurden am Ende von Geheimdienstmitarbeitern beurteilt.“

Angesichts der Tatsache, dass es in Rumänien insgesamt 4 700 Richter sowie 2 800 Staatsanwälte gibt, ist die Anzahl von 1 000 EU-qualifizierten Richtern und Staatsanwälten ja schon einmal ein schöner Bildungserfolg. Parallel zum Streit der Parteien um die Korruptionsjustiz hat sich daher aber auch das Lager der Richter fraktioniert, und konkurrierende Verbände von Richtern werden auf für Juristen eher ungewöhnliche Art aktiv: Die einen demonstrieren gegen von der Regierung beantragte Reformen zur Zurückdrängung der Korruptionsjustiz mit Sitzstreiks vor dem Justizministerium; die anderen suchen Unterstützung bei gesamteuropäischen Juristenvereinigungen und bekommen sie auch.[31]

Insgesamt kann sich die EU über die Leistungen der Antikorruptionsbehörde nicht beschweren:

„Die DNA erhob 2015 gegen 1250 Personen Anklage, u.a. gegen den Ministerpräsidenten, ehemalige Minister, Parlamentsmitglieder, Bürgermeister, Vorsitzende der Kreisräte, Richter, Staatsanwälte und leitende Beamte aus den verschiedensten Behörden. Sie verfügte in diesen Fällen auch die Sicherstellung von Vermögenswerten im Umfang von 452 Mio. EUR. Besonders zu erwähnen sind die Korruptionsermittlungen auf lokaler Ebene. Seit 2013 wurden auf lokaler Ebene insgesamt annähernd 100 Bürgermeister, über 20 Kreisratsvorsitzende und Dutzende anderer öffentlicher Bediensteter vor Gericht gebracht. Die Verhaftung des Bürgermeisters von Bukarest 2015 war ein besonders starkes Signal.“ (Bericht der [Europäischen] Kommission an das Europäische Parlament und den Rat über Rumäniens Fortschritte im Rahmen des Kooperations- und Kontrollverfahrens, Brüssel, 27.1.16)

Die politische Zielrichtung, mit der die Antikorruptionsbehörde zu Werke geht, ist nicht zu übersehen. Sogar die FAZ kommt, bei allem Verständnis für die schwere Arbeit der Behörde, nicht umhin, die Berechtigung gewisser Zweifel an der Neutralität der Ermittlungen zu konzedieren:

„Die erfolgreiche frühere Chefin der Antikorruptionsstaatsanwaltschaft DNA, Laura Codruta Kövesi, bestritt ... zwar kategorisch, dass bei der Aufnahme von Ermittlungen politisch-taktische Erwägungen eine Rolle spielten. Hinter vorgehaltener Hand äußern daran aber selbst der DNA wohlgesinnte Beobachter starke Zweifel: Es gebe viel mehr Fälle, als die DNA gleichzeitig bearbeiten könne – und in einem Umfeld, in dem fast jede Anklage politische Auswirkungen hat, könnten die Staatsanwälte gar nicht anders, als diese Folgen bei der Entscheidung zu bedenken, welche Fälle sie zuerst vor Gericht bringen.“ (FAZ, 6.9.18)

Die gründliche Arbeit der Behörde setzt der Regierungsarbeit einigermaßen zu, das Land hat seit der Jahrtausendwende fünfzehn Regierungen gehabt, fünf allein im letzten Jahr, jedes Mal mit einem Wechsel der Bürokratiespitzen. (DLF, 1.5.18) Umgekehrt versucht die angefeindete Partei, jedes Mal, wenn sie wieder die Regierung besetzt, die von der EU durchgedrückte Antikorruptionsgesetzgebung zu entschärfen, die Kompetenzen der DNA und vor allem die Befugnisse des Geheimdienstes zurückzuschneiden, und bekämpft die produktive Kombination dieser Gewalten als „binomial“, Parallelstaat oder auch „tiefen Staat“. Und zur Sicherung ihrer Machtbasis konkurriert sie mit der demonstrativen Erhöhung von Mindestlöhnen und Renten um das Wahlvolk.

Unter der Bedingung der ständigen Angriffe nimmt das Regieren dann eigentümliche Formen an: Präsident Johannis torpediert die Regierungstätigkeit, indem er so gut wie jeden Gesetzentwurf wieder ans Parlament zurückreicht oder auch vors Verfassungsgericht zerrt. Die Regierung ihrerseits verlegt sich daher auf die Methode, mit Dekreten zu regieren, was ihr dann wiederum von der „Wirtschaft“ übel genommen wird und das Prädikat ‚autoritär‘ einbringt. [32]

Die Partei verschleißt sich dabei aber auch zunehmend selbst, nachdem nacheinander alle ihre Vorsitzenden und weiteres Führungspersonal abgeschossen werden. Sie tut sich hart damit, immer wieder unangefochtene Führungspersönlichkeiten aus der Tasche zu ziehen, und zerlegt sich in internen Streitigkeiten, weil karrierebewusste Konkurrenten in der Partei ihre Chance darin sehen, die inkriminierten Persönlichkeiten zu stürzen. Was wiederum der Präsident, der alles dafür tut, die PSD-Repräsentanten zu erledigen, zum Argument dafür macht, wie schlecht die Partei regiert:

„Tatsache ist, dass die PSD seit 2016 enorm viele Minister verschlissen hat. 70 Personen haben Ministerposten in den letzten Regierungen bekleidet oder bekleiden zur Zeit welche, sagte Klaus Johannis und forderte den Wechsel dieser Regierung, die ‚dem Land viele Probleme geschaffen hat‘.“ (RRI, 23.11.18)

Spätestens daran, wie dieser Einsatz der Justiz eine anhaltende Zersetzung der rumänischen Staatsgewalt bewirkt, wäre zu bemerken, dass der hohe Ton der EU, man verteidige in Rumänien einzig die „Unabhängigkeit der Justiz“ und deren Rolle im Rahmen der Gewaltenteilung, die Sache stark verfremdet. Der von außen implantierte und mit EU-Mitteln und Dienstleistungen des Geheimdienstes organisierte Einsatz der Judikative führt statt zu einem funktionellen Zusammenwirken der geteilten Gewalten zu einem Krieg innerhalb des Staatsapparats und einer Spaltung der Nation in feindliche Lager.

Wachsende Europafeindlichkeit der PSD

Nach 14 Jahren Justizkrieg hat sich mittlerweile die Partei die Lage so zurechtgelegt, dass unter dem EU-Regime sämtliche fundamentalen nationalen Interessen unter die Räder kommen. Sie erklärt sich zur Schutzmacht der volkseigenen Sittlichkeit, gegen die Legalisierung der Homo-Ehe, legt Gesetzesinitiativen zur Wahrung der Hoheit über die nationalen Ressourcen vor, gegen die Ausbeutung der Nation durch auswärtige Konzerne etc., kurzum: Sie präsentiert sich als Vertreter der wahren Nation gegenüber dem vaterlandsverräterischen deutschen Präsidenten Johannis und dessen Anhängerschaft. Darüber hinaus nimmt sie sich ein Beispiel an der Politik der Visegrád-Vier und mobilisiert in ihrem Machtkampf mit dem proeuropäischen Lager in Rumänien ihre Anhänger mit antieuropäischen Themen. Die Ministerpräsidentin: Man kritisiert uns, ohne dass wir das verdienen... Wir werden bestraft, nur weil wir ein osteuropäisches Land sind. (FAZ, 28.12.18) Der angefeindete Parteichef der PSD, Dragnea, bekennt sich mittlerweile zu einer offensiven Europafeindlichkeit:

„Dragnea warf der EU vor, Rumänien im Rahmen des Kooperations- und Überprüfungsmechanismus zurückgehalten zu haben. Er griff das Europäische Parlament und die sozialistischen Europaabgeordneten an, die angeblich dem Land schaden wollen. Auch die multinationalen Konzerne verschonte Dragnea nicht: Die in den Bereichen Energie, Einzelhandel, Banken und Telekommunikation tätigen Firmen würden durch Steuertricks Geld aus dem Land holen.“ (RRI, 17.12.18)[33]

Die Vormacht EU besteht auf bedingungsloser Unterordnung

Unter dem Titel „Schutz des Rechtsstaats“ stellen sich die Organe der EU hinter die politische Leistung der Justiz: Europa besteht auf dem von ihm losgetretenen Krieg der Institutionen als unbedingt gebotene Reaktion auf die unverbesserliche Widersetzlichkeit der führenden Partei. Regierungschefs werden in Brüssel einbestellt und mit der kategorischen Forderung zur Rücknahme von Gesetzen konfrontiert, Uneinsichtigkeit wird mit dem Entzug von Geldern bestraft. Auch der letzte Justiz-TÜV hat das Urteil fortgeschrieben, dass Rumänien aus dieser Art Erziehungsprozess nicht entlassen werden darf,[34] und die EU greift zu deutlicheren Verwarnungen:

„Nach einer außerordentlichen Sitzung des EP-Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) am letzten Montag erklärte der sozialdemokratische Kommissions-Vizepräsident Frans Timmermans, die rumänische Regierung müsse die Regeln des Rechtsstaates einhalten. Anderenfalls könne die Regierung vor Gericht zitiert werden.“ (DW, 2.10.18)

Das EU-Parlament lädt bei seiner Befassung mit der Lage in Rumänien die Ministerpräsidentin vor, reagiert aber auf deren Verteidigung, dass sich die geplanten Justizreformen gegen die Dominanz der Geheimdienste im Rechtswesen richteten und gerade damit der Unabhängigkeit der Justiz verpflichtet seien,[35] mit konsequenter Nichtbefassung. Stattdessen bekräftigt das Parlament die Generalkritik:

„Die EU befürchtet, dass nach Ungarn und Polen ein weiteres Land die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit verlässt.“ (DW, 23.10.18)

In seiner abschließenden Resolution zur Zurechtweisung Rumäniens beruft sich das Parlament auch auf die gewalttätigen Zusammenstöße im Rahmen einer Großdemonstration gegen die Regierung im letzten Sommer, bei der

„einige Demonstranten versuchten, Absperrungen vor dem Regierungsgebäude am Bukarester Siegesplatz zu durchbrechen, und Gegenstände auf Polizisten warfen ... und die Polizei aus der Menge heraus von kleinen Gruppen angegriffen wurde. Die Sicherheitskräfte setzten daraufhin Wasserwerfer und Tränengas ein und räumten den Platz gewaltsam.“ (FAZ, 13.8.18)

Vergleiche mit dem Vorgehen der deutschen Polizei beim G-20-Gipfel sind da völlig unangebracht, das EU-Parlament hat vielmehr beschlossen, dass es eine

„friedliche Groß-Demonstration der Zivilgesellschaft“ war, die „am 10. August 2018 in Bukarest von Gendarmerie-Einheiten brutal niedergeschlagen wurde“ (DW, 2.10.18).

Einer missliebigen Regierung ist der Gewaltgebrauch nicht zu gestatten. Zumal diese Demonstration eine erfreuliche Neuerung in der rumänischen Demokratie darstellt:

Der Einsatz der Auslandsrumänen

Aus Anlass der Entlassung der Chefin der Antikorruptionsbehörde reisen im Sommer 2018 mehr als 220  000 rumänische Staatsangehörige mit Autokorsos zur Großdemonstration in Bukarest an, ausgerüstet mit den Nationalflaggen ihrer Nation und der Länder, in denen sie sich nützlich machen dürfen.

Diesmal sind es nicht prominente Dissidenten wie in anderen Fällen, die sich für solche höheren Rechtsfragen wie Justizreform und Verfassung in ihrem Heimatland zuständig erklären. Neben Akademikern, deren Ausbildung im europäischen Ausland nicht anerkannt wird und die sich darüber empören, dass ihnen ihr Vaterland keine adäquaten Lebenschancen bieten kann, sind es in der Masse ausgerechnet die Arbeitsmigranten, die genug damit zu tun haben, sich im übrigen Europa mit den miesesten Jobs und den schlechtesten Löhnen über Wasser zu halten. Aber auch der Klientel ist der europäische Standpunkt offensichtlich nahegebracht worden, die Expats treten gleich schon als Organisation mit einem Programm in Erscheinung:

„Rumänien als bevölkerungsreichstes Land in Südosteuropa soll unumkehrbar in die Gemeinschaft europäischer Rechtsstaaten integriert werden... Dieser Prozess kann nur Erfolg haben, wenn die Europäische Union ihre Verantwortung wahrnimmt und entschieden zugunsten der rumänischen Rechtsstaatlichkeit interveniert. Wir fordern und unterstützen daher die Bildung einer Kommission von EU-Beamten, welche die Unabhängigkeit der Justiz in Rumänien mit umfassenden Vollmachten überwachen sollen.“ [36]

Das ist jedenfalls originell, dass Einheimische im Ausland zu einer fünften Kolonne des Auslands gegen die heimische Herrschaft organisiert werden, um die Abtretung der Souveränität ihrer Regierung an EU-Beamte zu verlangen. Zur Veranstaltung von einem echten Maidan wie damals in Kiew reicht diese Volksbewegung zwar nicht hin, denn die Betreffenden müssen ja wieder zurück an ihre Arbeitsplätze. Aber inzwischen deuten sich Chancen auf einen Machtwechsel auf einer anderen politischen Ebene an: Bei den Bürgermeistern der vier wichtigsten siebenbürgischen Städte ist die Kritik der EU an der durch Regierungsineffizienz verursachten mangelnden Absorption der EU-Fonds inzwischen angekommen. Sie haben ein Bündnis unter dem Namen Allianz des Westens gegründet und melden das Recht an, sich unter Ausschaltung der Zentrale an den EU-Töpfen zu bedienen:

„Die vier Städte der ‚Allianz des Westens‘ werden von der liberalen Oppositionspartei PNL regiert, auch alle vier Bürgermeister gehören ihr an. ‚Wir haben seit drei Jahren für keine größere Investition mehr Geld aus Bukarest bekommen‘, klagt Gheorghe Falca. Nun will die Allianz für gemeinsame Projekte EU-Gelder beantragen, unter anderem für den Ausbau von Autobahnen und Zubringerstraßen, für den öffentlichen Nahverkehr und für den Bau von Krankenhäusern.“ (DW, 28.12.18)

Dass es sich dabei um einen Schritt in Richtung Separatismus handeln könnte – Der nationalistische Fernsehsender Antena 3 witterte ein ‚Manöver für das Auseinanderbrechen Rumäniens‘, das Boulevardblatt ‚Evenimentul zilei‘ titelte: ‚Wird Siebenbürgen sich loslösen?‘ –, weist die Deutsche Welle mit Entschiedenheit zurück: Auch wenn ähnliche Initiativen nun auch in anderen Landesteilen gegründet werden sollen, sind solche absurd anmutenden nationalistischen Reaktionen (ebd.) fehl am Platz. Eine weitere Spaltung des Landes kann doch dem Fortschritt nur nützen.

[1] Siehe GegenStandpunkt 1-07: EU-Beitritt Rumäniens und Bulgariens: Die EU schließt ihre Lücken im Südosten

[2] Einerseits in Gestalt der Länderberichte, andererseits widmet die EU speziell der Rechtsstaatlichkeit beider Länder einen Mechanism for Cooperation and Verification:

Als Rumänien und Bulgarien am 1. Januar 2007 der EU beitraten, gab es in den Bereichen Justizreform und in der Bekämpfung von Korruption und organisierter Kriminalität noch viel zu tun... Der Beschluss, Bulgarien und Rumänien auch weiterhin zu überprüfen, zeigt, dass sich die EU für die Entwicklung von funktionierenden Verwaltungs- und Rechtssystemen in diesen Ländern einsetzt, damit sie einerseits ihre mit der Mitgliedschaft verbundenen Pflichten erfüllen, andererseits aber auch deren Vorteile genießen können. Fortschritte in den Bereichen Justizreform sowie Bekämpfung von Korruption und organisierter Kriminalität werden es den Menschen in Bulgarien und Rumänien ermöglichen, ihre Rechte als EU-Bürger in vollem Umfang wahrzunehmen. (ec.europa.eu)

[3] Country Report Romania 2018, Brüssel, 7.3.18, S. 1, im Folgenden zitiert als CR 18

[4] Country Report Romania 2017, Brüssel, 22.2.17, S. 7

[5] Das rumänische Bruttosozialprodukt wird zu 85 % – vielleicht sogar 90 % – von den 100 größten in Rumänien ansässigen Firmen erwirtschaftet, die sich – bis auf fünf oder sechs Ausnahmen – nicht im Besitz von inländischen Gesellschaften befinden. (visegradpost.com, 13.1.19)

[6] Ein paar Zahlen: Im Stahlwerk Sidex-Galați arbeiteten 1972  40 000 Beschäftigte; nachdem es 2001 von Mittal übernommen wurde, ist die Zahl bis 2011 auf 8700 zurückgegangen. (Siehe Wikipedia, s.v. Galați steel works) Das Traktorenwerk von Kronstadt, eine der stolzesten Industrieanlagen Rumäniens, die vor dem Zusammenbruch der kommunistischen Ordnung noch 23 000 Arbeitskräfte beschäftigt hatte (NZZ, 7.5.07), ist liquidiert worden. Die Dacia-Werke sind mittlerweile wieder von Renault übernommen worden. Mit Sozialplänen abgefedert, schrumpfte die Belegschaft von 27 500 auf 11 000 Mitarbeiter. (Die Presse, 19.4.07) Vor 1989 arbeiteten 6 000 Menschen auf den Schiffen der rumänischen Fischereiflotte... Unsere Fischereiflotte war die drittgrößte in Europa und die zehnte in der Welt... Heute, in diesen modernen Zeiten, haben wir keine Flotte mehr. (Radio România Internațional, im Folgenden zitiert als RRI, 13.6.17)

[7] Rumänien besitzt mit 15 Mio. Hektar die größte landwirtschaftliche Nutzfläche in Europa.

[8] Wegen seiner marktbestimmenden Rolle hat sich Lidl in den Augen der Weltbank auch für entwicklungspolitische Aufgaben angeboten: 2011 hatte Lidl einen Kredit über knapp 67 Millionen US-Dollar von der Weltbank-Tochter International Finance Corporation (IFC) erhalten. Lidl sollte damit, so die Bedingungen der Kreditvergabe, die ‚Anzahl lokaler Zulieferer erhöhen‘ und ‚neue Vertriebswege für regionale Lebensmittelproduzenten eröffnen‘. Aus Sicht von rumänischen Nahrungsmittelverbänden ist das nicht passiert... Lidl gehe ‚aggressiver‘ vor als andere Einzelhandelsketten, denn ‚sie zahlen den Produzenten sehr niedrige Preise für exzellente Produkte‘, so dass die Hersteller damit nicht mehr auf ihre Kosten kämen... Auf Nachfrage räumt Lidl ein, dass 71 Prozent der Nahrungsmittel nicht aus Rumänien stammen. (presse.wdr.de, 13.8.15)

 Was kann Lidl schließlich auch dafür, dass die Hersteller so wenig wettbewerbsfähig sind?

[9] Die Holzindustrie Schweighofer mit Zentrale in Wien ist seit 2002 in Rumänien aktiv und mittlerweile Marktführer... Ikea bzw. die IKEA Resource Independence Investments Group (IRI Investment Group) ist der größte Privatwaldbesitzer in Rumänien mit ca. 70 000 Hektar... Auch von der Insolvenz des Windkraftbetreibers Prokon konnte IKEA profitieren und übernahm dessen ca. 18 500 ha für angeblich 40 Mio. Euro... Die wohlhabende US-Universität ... Harvard hat fast 100 Millionen US-Dollar in mehr als 900 Waldflächen verstreut in 21 Bezirken investiert und anschließend an IKEA für US $ 62,6 Millionen verkauft. (netzfrauen.org, 18.3.17)

[10] In den rumänischen Ostkarpaten kam es in den vergangenen zwei Jahrzehnten regelmäßig zu Katastrophen: Nach Regenfällen rutschten Berghänge ab, wälzten sich Schlammlawinen durch Dörfer und spülte der über die Ufer getretene Trotus-Fluss ganze Häuserzeilen weg. Die Ursache: massiver Holzeinschlag, der zu einem Verlust großer Waldflächen und zu starker Bodenerosion führte. (Spiegel Online, 16.12.17)

[11] Siehe auch GegenStandpunkt 1-2000: Ein Unfall, verantwortungslose Schlamperei, mangelnde Aufsicht oder einfach Marktwirtschaft?

[12] Das Unternehmen hat sich dafür bereits ein Gelände von 2 388 Hektar angeeignet, einige Siedlungen und Bewohner sollen entfernt und vier Berge gesprengt werden, um das Gold mit einer Zyanidlauge aus dem Stein zu lösen, wofür jährlich 12 000 Tonnen Zyanid veranschlagt werden; auf 300 Hektar soll ein Auffangbecken für Schwermetalle und die Zyanidlösung errichtet werden, und die Gesellschaft verspricht dem Staat, als Gegenleistung dafür ganze 634 Arbeitsplätze zu stiften.

[13] Gabriel Resources verklagt die Regierung in Bukarest auf über vier Milliarden US-Dollar Schadenersatz. Rumänien soll den kanadischen Konzern enteignet haben, so der Vorwurf laut Gerichtsunterlagen... In dem Unternehmen sitzt mit Alfred Gusenbauer der ehemalige österreichische Bundeskanzler im Aufsichtsrat... Um die umweltrechtliche Genehmigung zu erhalten, muss ein technisches Komitee grünes Licht geben. Doch laut Gabriel zieht dieses Komitee das Verfahren in den darauffolgenden Jahren hin... Die Lizenz für die Goldmine läuft im Jahr 2023 aus. Rumänien wolle das Unternehmen also durch seine Untätigkeit enteignen, obwohl man bereits Millionen in Planung und in Gerätschaften investiert habe... Die Entscheidung steht bislang noch aus; Der Standard verweist allerdings darauf, dass Kanada über ein eigenes Investitionsschutzabkommen mit Rumänien verfügt, das aus Sicht von Investoren günstiger ist (Der Standard, 22.8.17).

[14] Country Report Romania 2016, Brüssel, 26.2.16, S. 21

[15] Rund 400 Euro im Monat verdienen Arbeiter in osteuropäischen Kleiderfabriken. Modefirmen wie Hugo Boss und Zara lassen hier billig produzieren... Ein Bericht der ‚Clean Clothes‘-Kampagne... zeigte auf, dass Hungerlöhne, gefährliche Arbeitsbedingungen und Zwangsüberstunden ‚charakteristisch für die gesamte Bekleidungsindustrie‘ seien. Die Gruppe stellte fest, dass die staatlichen Mindestlöhne in allen untersuchten Ländern unter der Armutsgrenze lagen – und weit unter dem geschätzten Existenzminimum für eine vierköpfige Familie. Sowohl in Rumänien als auch in Bulgarien betrug der Mindestlohn nur etwa 20 Prozent dieses Existenzminimums. (NZZ, 3.3.16)

[16] Auf Grundlage des Mindestlohns ist die rumänische Arbeitskraft für so ziemlich jedes extensive Angebot zu haben:

Nach Daten in der Erhebung zu Arbeitsbedingungen von 2016 arbeiteten über 35 % der Beschäftigten in Rumänien mehr als 40 Stunden pro Woche – in der EU waren es im Schnitt gerade 23 %... Nach dem Gesetz dürfen Überstunden nicht die Hälfte der Regelarbeitszeit übersteigen, bei einem 40-Stunden-Wochenpensum wären das 20 Stunden mehr. Das kann durch Freizeit ausgeglichen werden – oder durch mehr Geld. Für die zweite Lösung entscheiden sich die meisten Firmen in Rumänien. Es kommt dabei zu Extremsituationen wie bei der Firma Daewoo Mangalia Heavy Industries, die die Schiffswerft in Mangalia betreibt. In 2016 leisteten die Beschäftigten dort rund eine Million Überstunden... Die Situation war so, dass über dem normalen Pensum von 170 Stunden im Monat noch einmal 140 Stunden gearbeitet wurde. Manche Arbeiter kamen auf 320 Stunden im Monat. Manchen Arbeitern wurde auch nahegelegt, auf ihren Urlaub zu verzichten. Dafür wurden sie entsprechend bezahlt. Das war zwar gegen geltendes Gesetz, aber eine Firma mit zwei Milliarden Lei Umsatz leistet sich ein Bußgeld von 3 000 Lei aus der Portokasse. (RRI, 28.2.18)

 Dass sich auch auf Grundlage der stromlinienförmigen Vereinfachung des Arbeitsrechts das ausländische Kapital immer noch ein paar „Rechtsverstöße“ leistet, fällt bei den EU-Kontrolleuren wahrscheinlich unter Bagatellfragen, verdient jedenfalls nicht eine ähnliche Missbilligung wie die „Korruption“ und „Intransparenz“ der Staatsorgane.

[17] Auch der Vorschlag hat sich bewährt:

Ein Inspektor der Arbeitsaufsichtsbehörde erklärt, dass es für einen Arbeitgeber legal sei, auch weniger als den Mindestlohn zu bezahlen. In bestimmten Situationen, etwa bei geringer Nachfrage nach seinen Produkten, könne der Arbeitgeber die Arbeitszeit reduzieren und entsprechend weniger Lohn zahlen. Auch gebe es keine gesetzliche Strafe für unpünktliche Lohnzahlungen. Bleiben die Zahlungen aus, müssen die Inspektoren den Arbeitgeber zur Auszahlung der Löhne auffordern und können erst Geldstrafen verhängen, wenn das Unternehmen dieser Aufforderung nicht nachkommt... Im einstigen Industriezentrum der Ceaușescu-Ära haben nur wenige Fabriken den Übergang zum Kapitalismus in den neunziger Jahren überlebt. Entsprechend abhängig ist die Stadt von den wenigen Investoren. (NZZ, 3.3.16)

[18] Vor 2011 konnten 15 Personen desselben Berufes, die in derselben Branche für verschiedene Unternehmen arbeiteten, eine Gewerkschaft gründen. Das neue ‚Gesetz für den sozialen Dialog‘ aus dem Jahr 2011 besagt nun, dass die 15 für denselben Betrieb arbeiten müssen und keine Freiberufler sein dürfen... Wenn eine Gewerkschaft innerhalb eines Betriebs höhere Löhne aushandeln möchte, müssen mehr als 50 Prozent der Beschäftigten dieses Betriebs ihr angehören – bei großen Einzelhandelsunternehmen, die in Rumänien 15 000 und mehr Leute beschäftigen, ist das für eine Gewerkschaft eine ganze Menge... ‚Jedes Jahr nimmt die Verhandlungsmacht der Beschäftigten ab, und man gerät so in eine Situation, in der grob die Hälfte der Leute nur den Mindestlohn bezieht. In anderen Ländern stellt der Mindestlohn die Grenze dar, die man nicht unterschreiten sollte. In Rumänien fungiert er als Richtwert‘, sagt der Leiter der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Bukarest, Stephan Meuser. (Der Freitag, Ausgabe 47/2017)

[19] Rumänien kann wieder den ersten Platz im Ranking für Outsourcing in Europa beanspruchen... Die geographische Nähe zu Westeuropa, ein gut vorbereitetes IT&C-Arbeitskräftepotenzial, vielfältige sprachliche Fähigkeiten, die Bereitschaft der Universitäten, der großen Nachfrage nach einem beständigen Pool von Talenten zu entsprechen, das richtige Verhältnis von Preis und Qualität und die gute Luftverbindung nach Europa sind entscheidende Argumente, um das siebtgrößte Land der Europäischen Union auf der Vorzugsliste der Unternehmen, die IT-Prozesse outsourcen, weit nach vorne zu schieben. (Romania Among Top 10 Outsourcing Locations Globally, ceeoa.org)

 Der Staat leistet dafür auch wertvolle Beiträge, indem er auf Steuern verzichtet und selber noch was einzahlt: Die rumänische Regierung spielt eine aktive Rolle bei der Anwerbung ausländischer Investitionen. Eine hundertprozentige Ausnahme der IT-Angestellten von der Einkommenssteuer ist sogar nach dem Beitritt zur EU beibehalten worden. Auch weitere staatliche Beihilfen sind in den kommenden Jahren mit Sicherheit zu erwarten. (Ebd.)

[20] Alle EU-Staaten sind Teil des Binnenmarktes, in dem es jedem Unternehmen freisteht, seine Angestellten EU-weit einzusetzen... In der Folge verschob die Logistikbranche die Anstellung ihrer Lkw-Fahrer für den Fernverkehr im großen Stil nach Osteuropa. Inzwischen setzen die führenden Logistikkonzerne wie DHL, Schenker oder DSV im internationalen Straßentransport so gut wie keine eigenen Fahrzeuge mehr ein, sondern engagieren billige Subunternehmer aus dem Osten. Andere ... gründeten Tochterfirmen in Polen und Tschechien, in Rumänien und der Slowakei. (Tagesspiegel, 8.10.18)

Rund 90 % des Geschäfts wird auf dem EU-Binnenmarkt abgewickelt. Die Branche erwirtschaftet etwa 5 % des BIP, also 5-6 Milliarden Euro. Rund 360 Tausend Kraftfahrer arbeiten für über 35 000 Unternehmen oder sind selbstständig. (RRI, 21.6.18)

[21] Für einen jungen Arbeitnehmer, der einen Mindestlohn von 1 500 Lei (umg. etwa 325 Euro) im Monat bekommt, ist es sehr schwer, in einer Großstadt zu überleben, wo nur die Miete 150 bis 200 Euro kostet. (RRI, 6.12.17)

[22] Mehrwertsteuersenkungen, hohe Gehaltszuwächse und eine niedrige Inflation führten im vergangenen Jahr zu einem überhitzten Konsum... Die starke Inlandsnachfrage, verstärkt auch nach Investitionsgütern, begünstigt die Importe. Weil die Importe schneller wachsen als die Exporte, bleibt der Außenbeitrag negativ. (Wirtschaftsausblick – Rumänien, gtai.de, 25.7.18)

[23] Rumänien – Attraktiver Standort, aber mit Infrastrukturmangel, von Dr. Tobias Rehbock, kfw.de, 16.2.16

[24] Massives underinvestment erklärt alles:

Der allgemeine Zustand und die Verlässlichkeit der Infrastruktur von Straße und Bahn bleibt unbefriedigend... ein schwerwiegender Mangel an Investitionen in den Unterhalt hat die Geschwindigkeit des Bahntransports reduziert und die Lieferzeiten beeinträchtigt. Der schlechte Zustand der Infrastruktur beeinträchtigt die Effizienz, mit der Rumänien seine Güter versenden kann. (CR 18, S. 44)

[25] 2003 beanstandet der zitierte Transformationsindex das „Zögern, auch bittere Pillen dort zu verschreiben, wo es nötig ist, [und] periodisches Ausbrechen von populistischen Überzeugungen. Zum Beispiel ist die staatliche Pensionskasse chronisch verschuldet, um das zahlenmäßige Verhältnis von Einzahlenden und Empfangsberechtigten auszugleichen.“ (bti2003.bertelsmann-transformation-index.de)

[26] Die öffentliche Säule sieht sich einem schwerwiegenden Defizit gegenüber, das durch die sinkende Anzahl von Beschäftigten und die zunehmende Anzahl der davon abhängigen Rentner verschärft wird... Die Zahl der Beitrag zahlenden Lohnbezieher ist von 8,5 Millionen im Jahr 1990 auf 4,8 Millionen gesunken... Eine Wirtschaft, die auf den Anreiz niedriger Löhne extrem angewiesen ist, um ausländische Investoren anzuziehen, kann die Gründungskosten eines effektiven Rentensystems kaum bewältigen. (criticatac.ro/lefteast, 12.10.17)

[27] Vorherrschende Partei in den Jahren nach der Revolution wurde die sozialdemokratische PSD unter dem neuen Staatspräsidenten Ion Iliescu. Die PSD rekrutierte sich größtenteils aus den alten kommunistischen Eliten. (Wikipedia, s.v. Rumänien) Personalidentität auf der Seite der Parteiführung und auf der Seite ihrer treuen Anhängerschaft – der erste rumänische Präsident nach der Wende, Iliescu, mobilisiert mehrmals die Bergarbeiter in sogenannten Mineriaden gegen politische Gegner – begründet das Etikett hinreichend.

[28] Băsescu hat sich damals auch weitere Instrumente geschaffen, aufgrund derer das Präsidentenamt dazu befähigt ist, wie eine Gegenregierung zu agieren:

Es gibt Institutionen, die die Regierungen nicht kontrollieren können, eine ganze staatliche Infrastruktur außerhalb ihrer Reichweite... Autonome staatliche Institutionen außerhalb des Parteiensystems und insbesondere außerhalb des politischen Einflusses der mächtigen Sozialdemokraten. Neben der Antikorruptionsbehörde oder dem Rechnungshof erhalten auch die zahlreichen rumänischen Geheimdienste großzügige gesetzliche und finanzielle Mittel, ebenso wie Polizei und Armee... Und er [Băsescu] machte kein Geheimnis daraus, dass diese Reformen darauf abzielten, ein stabileres Umfeld für das ausländische Kapital herzustellen, auf Kosten der lokalen Kapitalisten, in der Annahme, dass die mit dem korrupten Parteiensystem unter einer Decke steckten. Der Hauptnutznießer dieses Vorhabens, die Antikorruptionsbehörde, hat einen Grad an institutioneller Autonomie erreicht, der nur schwer abzubauen ist, ebenso wie die rumänischen Geheimdienste vor einer parlamentarischen Kontrolle abgeschirmt worden sind. Und die eher zwielichtige Zusammenarbeit zwischen der Antikorruptionsbehörde und den Geheimdiensten war es, die das Ansehen solcher Staatsanwälte wie Laura Kövesi gesteigert hat. (criticatac.ro/lefteast, 23.4.18)

[29] Interview mit der Präsidentin der Nationalen Union rumänischer Richter (UNJR) Dana Girbovan, telepolis, 24.7.16; die folgenden Zitate, wenn nicht anders gekennzeichnet, aus diesem Interview

[30] Wie alle Sicherheitsdienste neigt auch der rumänische Geheimdienst dazu, sich im Namen seines Auftrags gewisse Freiheiten zu nehmen:

In einigen Fällen konnten unabhängige Experten nachweisen, dass die Aufnahmen des SRI manipuliert worden waren. Teile waren gelöscht oder Segmente unterschiedlicher Gespräche so zusammengeschnitten worden, dass sie den Angeklagten belasteten. In anderen Fällen entsprachen die Abschriften nicht den Aufnahmen, da bestimmte Wörter geändert worden waren. Kürzlich verlangte ein Richter vom Staatsanwalt, die CD mit der Aufnahme vorzuspielen, um die Richtigkeit der Abschrift zu überprüfen. Der Richter war ausgesprochen überrascht, als sich herausstellte, dass die CD Volksmusik statt des erwarteten Gesprächs enthielt.

[31] Auch für die europäischen Kollegen stellt die geheimdienstliche Auslegung von Rechtsstaatlichkeit für Rumänien – im Gegensatz zur offiziellen Linie der EU – eine bedenkliche Beeinträchtigung der Unabhängigkeit der Justiz dar:

MEDEL – Magistrats Européens pour la Démocratie et les Libertés – teilt die tiefe Besorgnis der rumänischen Richter und Staatsanwälte, die sich gegen die ungesetzliche Einmischung des rumänischen Geheimdiensts (SRI) in die Gerichtsverfahren wenden... Die Ansprüche, die General Dumitru Dumbrava, der Chef des SRI, erhoben hat, dass die Gerichte ein ‚Kampfplatz‘ sind, auf dem dieser Geheimdienst geheimdienstliche Operationen durchführt, ‚bis jeder Fall erledigt ist‘, enthüllen, dass der SRI neben Staatsanwälten und Richtern in die juristischen Verfahren eingemischt ist, was mit den allgemeinen europäischen Standards einer unabhängigen Justiz nicht vereinbar ist. Auch der Anspruch, den General Dumbrava erhoben hat, dass der SRI ein proaktives Profiling von Richtern und deren Beurteilung anhand von ‚Mustern‘ kriminellen Verhaltens betreibt – ein Verfahren, das zur Aufdeckung von Terrorismus-Verdächtigen angewandt wird –, beweist, dass die Richter von diesem Geheimdienst unter Druck gesetzt und eingeschüchtert werden. (Report on the unlawful involvement of the Romanian secret intelligence agencies, through secret protocols, in the Romanian judiciary system, medelnet.eu, 23.5.18)

 Im selben Sinn verfasst auch der Verband Europäischer Anwaltskammern (FBE) am 19.5.18 eine Resolution zur Einflussnahme des rumänischen Geheimdienstes auf die rumänische Justiz. Aber die Klagen laufen an allen entscheidenden EU-Gremien auf.

[32] Die Koalition für die Entwicklung Rumäniens, ein Verband, der über 54 Tausend Unternehmen vertritt, kritisiert die in Bukarest sehr übliche Praxis der Eilverordnungen. Dieses Instrument ist eigentlich gedacht, die Regierung in einer Notsituation nicht handlungsunfähig zu lassen, während das Parlament Ferien hat. Doch es wurde weitgehend missbraucht, weil Regierungen es bequemer finden, Vorschriften einzuführen, ohne das Parlament einzuschalten. Nach der Wende wurden 3 136 Eilverordnungen erlassen – das entspricht, so die Koalition, 10 Notsituationen jeden Monat, 27 Jahre lang. Es kommt aber bunter, denn allein zwischen 2009 und 2017 wurden 900 Eilverordnungen der Regierung verabschiedet, und das zumeist ohne Konsultation der Öffentlichkeit. (RRI, 4.10.18)

 Der Ausdruck „bequem“ passt zwar nicht ganz; aber der Unternehmerverband weiß schon, bei welcher Regierung er sich nicht gut aufgehoben fühlt und bei welcher schon – zu Zeiten der Technokraten-Regierung, die ganz ohne parlamentarische Umstände regiert hat, hat er sich aus guten Gründen nicht mit Kritik an deren Regierungsstil zu Wort gemeldet.

[33] In diesem Geist beschließt die Regierung eine sogenannte Steuer auf Gier:

Sie will damit auch die Besteuerung etwa von Handels- oder Telekomunternehmen erhöhen. Die Eilverordnung sieht außerdem eine höhere Besteuerung der Glücksspielunternehmen vor... Man wolle damit ‚inkorrekten Praktiken im Banken- und Energiebereich‘ ein Ende bereiten, die Maßnahmen würden allesamt ‚zum Wohlstand der Rumänen beitragen‘, sagte Ministerpräsidentin Dăncilă. (Die Presse, 21.12.18)

[34] Der Fortschrittsbericht der Kommission vom November attestiert dem Land Rückschritte in Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung und in der Bekämpfung der Bestechlichkeit. Explizit erwähnt wird die Schwächung der Antikorruptionsbehörde DNA, die lange als vorbildlich für ganz Osteuropa galt. Neben der Kommission verurteilte auch das EU-Parlament die Entwicklung. Zuvor hatte schon die Venedig-Kommission des Europarats Besorgnis geäußert. (FAZ, 28.12.18)

[35] Viorica Dăncilă erinnerte daran, dass Millionen von Rumänen abgehört worden seien und die Reform sich gegen Einschränkungen der Unabhängigkeit der Justiz richte. (FAZ, 4.10.18)

[36] Aufruf der Auslandsrumänen 2017, veröffentlicht am 11.4.17 auf novaromania.eu