Anmerkungen zur Krise 2010 – Die nächste Lektion:
Die Agenda der Krisenkonkurrenz der Nationen

Die große Finanzkrise dauert mittlerweile drei Jahre. Fällige Bankrotte sind abgewickelt oder von Staats wegen verhindert worden, Unmassen wertlos gewordener Wertpapiere sind in Bad Banks verstaut oder schonend abgeschrieben worden, der Zusammenbruch des globalen Kreditgeschäfts ist mit hunderten Milliarden Staatskredit bisher vermieden worden. Vor Entwarnung wird allerdings gewarnt. Den Sorgen und praktischen Konsequenzen ist zu entnehmen, an welcher ökonomischen Lage sich die Verantwortlichen für die globale kapitalistische Konkurrenz abarbeiten. Die Vermögensvernichtung im Finanzsektor und deren Auswirkungen auf die restliche Ökonomie offenbaren: Es ist viel zu viel Geldkapital in die Welt gesetzt worden, als dass es sich noch hätte verwerten können – es wächst nicht mehr und ist deswegen nichts wert. Die staatlichen Rettungsaktionen zeigen zugleich, wie die Staaten diese Krisenlage zu bewältigen suchen – als internationale Konkurrenzaffäre: Sie schaffen mit ihrer hoheitlichen Gewalt ’Liquidität’, ersetzen Kreditgeschäfte durch staatliche gestiftete Geschäftsmittel, halten damit die Spekulation in Gang – und konkurrieren erbittert darum, welche Nation der vermehrten Masse von Staatsschulden den Zuspruch der Finanzwelt zu sichern vermag; wer trotz kontrahierter Märkte durch Exporterfolge das nationale Kapitalwachstum voranbringt, das finanzkapitalistisches Vertrauen in den Staatskredit schafft; wer dagegen mit rigorosen staatlichen Streichungsprogrammen und nationalen Entwertungsaktionen anerkennen muss, dass er im Vergleich zu den geldmächtigeren Nationen entscheidend an staatlicher Kreditwürdigkeit verloren hat. Internationaler Konkurrenzkampf – das ist die praktische Lehre der Verantwortlichen aus der Krise, die zur Bedrohung der Nationalkredite gediehen ist. Den Massen kommt dabei die Rolle der Manövriermasse zu – für die umkämpften nationalen Konkurrenzerfolge wie für die zu bewältigender Konkurrenzniederlagen.

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Anmerkungen zur Krise 2010 – Die nächste Lektion: [1]
Die Agenda der Krisenkonkurrenz der Nationen

Die große Finanzkrise dauert mittlerweile, von ihren Anfängen im US-amerikanischen Hypothekengeschäft an gerechnet, drei Jahre, und die Verantwortlichen sind mit sich ziemlich zufrieden. Fällige Bankrotte sind abgewickelt oder von Staats wegen verhindert worden. Unmassen wertlos gewordener Vermögenstitel sind mit staatlicher Lizenz und Nachhilfe in Bad Banks verstaut oder schonend abgeschrieben. Der finanzwirtschaftliche Super-GAU eines Zusammenbruchs des globalen Kreditgeschäfts und Geldverkehrs ist durch beherztes Eingreifen der Höchsten Gewalten: die Bereitstellung liquider Mittel durch die Notenbanken und von Krediten durch staatliche Fonds, abgewendet worden. Die Spekulation gegen besonders stark verschuldete Euro-Länder und gegen die Gemeinschaftswährung wurde abgewiesen. Im Finanzgewerbe und in der Realwirtschaft – zumindest im deutschen Exportgewerbe – wird nach der scharfen Rezession des letzten Jahres wieder ordentlich Geld gemacht.

Dass die Krise damit „schon“ vorbei wäre, soll man sich andererseits nicht einbilden. Die Fachwelt warnt vor verfrühter Entwarnung und verdolmetscht so die „Signale der Märkte“: der Geldmärkte, die mal auf, mal gegen Dollar und Euro spekulieren; der Kapitalmärkte, die eine Zeitlang den Staatsbankrott Griechenlands betreiben und gleichzeitig mager verzinste deutsche Staatsanleihen kaufen; der globalen Warenmärkte, auf denen deutsche Firmen unerwartete Exporterfolge erzielen, Amerika jedoch als „Konjunkturlokomotive“ versagt; auch des chinesischen Marktes, dessen erfreulicher Boom im Verdacht steht, demnächst in sich zusammenzufallen. Alles gibt Anlass zu Sorgen, wobei ziemlich offen bleibt, zu welchen: Droht von den Massen staatlich geschöpfter Liquidität eine Inflation? Oder lassen die Konjunkturschwäche der USA, der fehlende Aufschwung Japans und die Sparpolitik der Europäer eher eine Deflation befürchten? Folgt der Krise eine neuerliche Blase, aufgepumpt durch Staatskredit, billiges Geld und unbelehrbare Spekulanten? Oder muss man sich auf längerfristige Stagnation und eine bestenfalls gespaltene Weltkonjunktur einstellen? Wie viel Gefahr geht überhaupt von den rasant gewachsenen Staatsschulden aus? Oder reichen sie womöglich noch gar nicht für eine nachhaltige Konjunkturbelebung? Ist die Spekulation gegen Griechenland und den Euro ein Skandal? Oder legen die Spekulanten nur den Finger in die Wunde und entlarven die Gemeinschaftswährung als Fehlkonstruktion, die der Krise nicht gewachsen ist? Ist die Kreditgarantie für überschuldete EU-Länder ein Schritt zur Wiedergewinnung finanzpolitischer Stabilität – oder zu deren endgültiger Preisgabe? Und so weiter.

Die derartigen Bedenken kennzeichnen die Wirtschaftslage, die die Regierungen der maßgeblichen kapitalistischen Nationen mit ihrer Politik der Krisenbewältigung und die Manager des Finanzkapitals mit ihrer darauf aufbauenden Geschäftstätigkeit herbeigeführt haben. Um noch einmal an den Ausgangspunkt zu erinnern: Die unaufhaltsam fortschreitende Vermögensvernichtung im Finanzsektor und deren Auswirkungen auf die restliche Ökonomie legen auf denkbar drastische Weise offen, dass ein jahrelang boomendes Kreditgeschäft viel zu viel Geldkapital in die Welt gesetzt hat, als dass es sich noch hätte verwerten können – es wächst nicht mehr und ist deswegen nichts mehr wert. Es drohen die komplette Entwertung des Bankkapitals und des bei den Banken deponierten Geldvermögens der Gesellschaft sowie die völlige Lahmlegung des Zahlungsverkehrs. Die Staaten verhindern die Katastrophe, indem sie per Dekret Liquidität bereitstellen und zu Lasten ihres Schuldenhaushalts Vermögensverluste der Kreditinstitute kompensieren. So stoppen sie die krisenhaft in Gang gekommene Entwertung des überakkumulierten Kapitals, ersetzen bereits entwertetes durch selbst geschaffenes fiktives Kapital. Dass die Masse des so in Kraft gehaltenen Geldkapitals jedes Maß überschreitet, in dem es sich rentieren könnte, macht sich an dem verfügbar gemachten Geld und an den Schulden geltend, mit denen die Staaten die Bankenwelt refinanzieren, also ihr Entwertungsverbot ökonomisch in die Tat umsetzen: Die Finanzindustrie finanziert damit kein der Kreditmasse auch nur annähernd entsprechendes neues Wachstum. Stattdessen veranstaltet sie eine noch gar nicht abgeschlossene Testserie: Sie stellt die Haltbarkeit der Garantien auf die Probe, mit denen die Staaten die Annullierung kapitalistischen Vermögens und den Zusammenbruch der Geldzirkulation aufhalten. Testergebnis ist die praktische Scheidung zwischen Staatsschuldpapieren aus für sicher gehaltener Quelle, die gegen geringe Verzinsung in großer Menge gekauft und hoch bewertet werden, und solchen anderer Staaten, deren Kreditwürdigkeit als fragwürdig veranschlagt oder auf deren Bankrott sogar spekuliert wird. Und es stellt sich sehr schnell heraus, dass die Krisenpolitik der Staaten auf genau so ein Ergebnis angelegt ist: Alle Berechnungen, die die Regierungen mit ihren Rettungsmanövern verbinden, alle Maßnahmen, mit denen sie diese flankieren, zielen auf die Abwendung von Vermögensverlusten und Geschäftszusammenbrüchen von der eigenen Nation, um die Wiederherstellung von Wachstum am eigenen Standort – die notwendige Entwertung nicht verwertbaren Kapitals soll sich anderswo abspielen, damit das im eigenen Land beheimatete Kapital wieder akkumuliert. Da gibt es Gewinner, die sich den Zuspruch des Finanzkapitals zu sichern vermögen, damit zwar noch nicht wieder auf dem Stand erfolgreicher Akkumulation wie vor deren Annullierung angekommen sind, aber über Mittel zur Wiederherstellung der Bedingungen neuen Wachstums verfügen, und Verlierer, die sich genötigt finden, mit politischer Gewalt die Streichung von Reichtum und die Stilllegung von Reichtumsquellen – also bei sich die Lasten der Krise durchzusetzen.

Was die Staaten derzeit praktizieren, ist ein Musterfall der Krisenkonkurrenz der Nationen – und insofern zugleich ein Lehrstück über die ökonomische Macht der politischen Gewalt und deren Grenzen.

1.

Auf dem Höhepunkt der Finanzkrise ersetzen die Staaten die liquiden Mittel, die dem Bankgewerbe abhandenkommen, durch den Auftrag an ihre Notenbanken, den Geschäftsbanken mehr oder weniger umsonst, unter Verzicht auf üblicherweise geforderte Sicherheiten, in jedem gewünschten Umfang gesetzliche Zahlungsmittel zur Verfügung zu stellen. Dazu reicht die Macht der Höchsten Gewalten allemal aus: Kraft ihrer hoheitlichen Gewalt über ihre Gesellschaft schaffen sie aus Nichts allgemeines Äquivalent. Was sie damit ersetzen, sind die Zahlungsmittel, die die Banken im Normalfall für ihren Geschäftsverkehr, also zur Abwicklung des allergrößten Teils des gesellschaftlichen Zahlungsverkehrs verwenden: an einander gerichtete Zahlungsversprechen, Zeichen für den Kredit, den sie einander einräumen. Dieses Zahlungsmittel kommt dem Bankgewerbe in dem Moment abhanden, als die Pleite einer amerikanischen Großbank endgültig die schon nicht mehr selbstverständliche Gewissheit zusammenbrechen lässt, dass die Kreditinstitute im Maße ihrer kurz-, mittel- und langfristigen Zahlungsverpflichtungen auch lang-, mittel- und kurzfristig zahlungsfähig sind. Mit dem Wegfall dieses Vertrauens, des wechselseitig eingeräumten Kredits, entfällt tatsächlich die Zahlungsfähigkeit des Bankgewerbes. Die besteht also nicht darin, dass die Geldhäuser Geld in unbedingt gültiger Form, deponiertes gesetzliches Zahlungsmittel, vorrätig haben, sondern in der wechselseitig anerkannten Versicherung, für ihre Zahlungsversprechen und -verpflichtungen aufgrund gelingender Geschäftstätigkeit jederzeit einstehen zu können – Bargeld- und bargeldgleiche Reserven fungieren als Beleg für die unbedingte Vertrauenswürdigkeit dieser Zusicherung. Liquide sind die Banken, die die ganze Gesellschaft mit Liquidität versorgen, gerade nicht, weil sie Geld haben, sondern weil sie das ihnen anvertraute Geld verliehen, in Wertpapiere investiert, wie auch immer geschäftstüchtig verwendet, also durch Weggeben in Geldkapital verwandelt haben. Das wechselseitige Vertrauen, das ihre Zahlungsfähigkeit begründet, gilt nicht einem in Geldform verfügbaren Reichtum, sondern dem durch gute Bilanzen als erfolgreich beglaubigten Engagement der Kreditinstitute im Gesamtprozess kapitalistischer Bereicherung. Davon hängt ihre Zahlungsfähigkeit dann allerdings auch ab: dass ihr Engagement in fremden Geschäften, welcher Art auch immer, sich als ihre Geldquelle, als Geldkapital bewährt; nicht unbedingt in jedem Einzelfall, aber insgesamt so, dass sie in ihren Bilanzen einen Gesamterfolg ihrer Geschäftstätigkeit glaubwürdig darzustellen vermögen. Wenn darauf kein Verlass mehr ist, und ein derartiges Urteil fällt niemand anders als die Bankenwelt selber, dann ist das Institut, dem das Vertrauen entzogen wird, bankrott. Und wenn sich die Kündigung des stets von einem wachen Misstrauen begleiteten Urvertrauens der Finanzhaie auf den Geschäftserfolg ihrer Partner auf die Mehrheit der Institute erstreckt, dann droht der Super-GAU allgemeiner Zahlungsunfähigkeit.

Eben der Fall tritt mit der Pleite der Lehman-Bank im Herbst 2008 ein; und er wiederholt sich – beinahe –, als im Frühjahr 2010 eine große Spekulationskampagne die Staatsschuldpapiere Griechenlands abwertet und die Gefahr eines Staatsbankrotts heraufbeschwört: Nicht bloß die Schulden der US-Bank bzw. des Mittelmeerlandes sind entwertet, sondern die darauf aufbauenden Verbindlichkeiten der Gläubigerbanken, also die als Vermögenstitel verbuchten Forderungen der mit denen in Geschäftsbeziehungen stehenden Institute, folglich auch deren Zahlungspflichten und am Ende eine Unmenge Geldkapital erweisen sich als wertlos, weil sie die versprochene Geldvermehrung schuldig bleiben: als zu viel im Verhältnis zu dem, was an Überschuss allenfalls zu erwirtschaften wäre. Und diese Masse wertlosen Kredits ist immerhin so groß, dass ihre Streichung einen systemgefährdenden Vertrauenseinbruch und folglich eine totale Liquiditätskrise nach sich gezogen hätte.

Die Staaten springen also ein. Sie mobilisieren ihre Notenbank, die im Normalfall als Liquiditätsreserve für den Zahlungsverkehr der Geschäftsbanken fungiert und dadurch deren gewöhnliches Verfahren, im Maße ihrer Kreditschöpfung und -vergabe auch die benötigte Liquidität zur Verfügung zu stellen, als wahre und richtige Art der Geldversorgung der Gesellschaft bestätigt; ein wenig lenken will sie Kreditschöpfung und den kreditierten Geschäftsgang dann auch noch durch die Zinsen und die Modalitäten, zu denen sie ihre Ware in die Kreditwirtschaft einspeist. Nun ersetzt das Geld der Notenbank das Kreditgeld, das im Normalfall das florierende Kreditgeschäft der Banken repräsentiert und das nun nicht mehr leistet; die Banken bleiben flüssig. Was dieses Geld jedoch überhaupt nicht ersetzt, ist das Geld der Banken in dem Sinn, in dem das Kreditgewerbe welches stiftet und benutzt und sich wechselseitig abverlangt, nämlich ein Zahlungsmittel, das nicht bloß gesetzlich geschützte Zugriffsmacht vergegenständlicht, sondern Geldvermehrung repräsentiert und die Banken als erfolgreiche Zentren des Geldkapitals miteinander verbindet. Das Notenbankgeld ist ein Notbehelf; und es soll auch gar nicht mehr sein: Es soll nicht an die Stelle der Zahlungsfähigkeit treten, die die Banken sich wechselseitig verschaffen, sondern deren Geschäft retten, damit der normale Geldschöpfungsprozess wieder in Gang kommt. So beweisen die Staaten auf der einen Seite die ökonomische Potenz, die in ihrer hoheitlichen Gewalt steckt, und demonstrieren damit, dass der marktwirtschaftliche Reichtum, den das Geld repräsentiert, eben gar nicht in irgendwelchen nützlichen Gütern, sondern in der durchs Gewaltmonopol garantierten Verfügungsmacht darüber besteht. Zugleich stellen sie klar, dass es ihnen auf diesen Reichtum nicht für sich, sondern als Geschäftsmittel der Banken und des von denen kreditierten Geschäftslebens: als fungierendes Geldkapital ankommt. Und in der Hinsicht ist das gesetzliche Geld, das den Banken ihre Liquidität ersetzt, in der Tat nichts wert: Es repräsentiert einen Kredit, den die Banken einander gekündigt haben; kein Kreditgeschäft, sondern dessen flächendeckenden Zusammenbruch; es quittiert gewissermaßen die Krise des Finanzkapitals. Sein Wert besteht allein in dem staatlichen Verbot, mit dem Kredit auch das Kreditgeld zu streichen.

So politökonomisch negativ sehen die Praktiker, die politischen Betreuer und die kompetenten Ratgeber des Finanzgeschäfts die Sache freilich nicht. Für sie handelt es sich bei liquiden Mitteln, woher auch immer sie kommen mögen, um die erste und „systemisch“ entscheidende Bedingung der Geschäftstätigkeit, die sie betreiben bzw. an der ihnen liegt; und die ist mit der staatlichen Ersatzvornahme wiederhergestellt. Allerdings kommt es in dieser Sichtweise, beim tapferen „Blick nach vorn“, dann doch entscheidend darauf an, was die kapitalistische Geschäftswelt aus der Bedingung macht. Da kommt einstweilen nicht allzu viel Produktives zustande. Investoren, große und kleine, samt ihren Bankberatern wissen angeblich nicht so recht wohin mit der vielen „Liquidität im Markt“. Dass viel davon in spekulative Anlagen fließt, die sich von den noch immer in Auflösung begriffenen Finanzprodukten nicht wirklich unterscheiden – außer in vielen Fällen durch den lächerlichen Schein, die Spekulation wäre eine handfeste und verlässliche Sache, wenn sie sich auf so anschauliche Sachen wie Land oder Lebensmittel bezieht, deren Wert tatsächlich rein spekulativer Natur ist –, ist auch nicht ganz im Sinne der staatlichen Geldschöpfer. Der einschlägige Sachverstand rätselt in der eingangs zitierten Manier an den Spätwirkungen der ausgeuferten Geldmenge herum: Wird daraus eine Inflation, wenn Handel und Wandel erst einmal wieder in Schwung kommen? Oder kein Wachstum und noch nicht einmal eine Inflation, eine Deflation womöglich, wenn das Vertrauen in die Zukunft weiterhin so labil bleibt? So macht sich mitten im Pragmatismus der Krisenbewältigung die Tatsache geltend, dass die vom Staat spendierte Liquidität als Geschäftsmittel gar nichts taugt, solange die Krise noch gar nicht mit dem vielen Geldkapital aufgeräumt hat, das nichts abwirft. Die eingestandene Unsicherheit hinsichtlich des Segens, den die „künstlich“ aufgestockte Geldmenge womöglich doch nicht spendet, spornt Politiker und Fachwelt jedoch nur dazu an, Rezepte dafür zu entwickeln, dass die Schöpfung liquider Mittel zu gesteigerter Investitionsbereitschaft führt, ohne zu spekulativem Leichtsinn zu verführen. Die empfehlen zwar kaum mehr, als das Richtige rechtzeitig zu tun und das Falsche zu unterlassen, und sind insofern albern. Sie verfolgen aber die klare Absicht, dem jeweils eigenen nationalen Kapitalstandort in der Konkurrenz mit anderen zu nützen. Und wer weiß: Eventuell zahlt es sich ja aus, wenn die nationale Notenbank die liquiden Mittel noch entschlossener vermehrt als andere Geldhüter, deren Nationalökonomie deswegen erst später aus der Rezession herauskommt; oder wenn sie mit restriktiverem Vorgehen das Vertrauen der Geschäftswelt in das vermehrte Geld erhält und sich Optionen für späteres manipulatives Eingreifen offen hält. Zumindest als Hinweis auf eigene Stärken und fremde Schwächen oder umgekehrt stoßen solche Abwägungen bei den verantwortlichen Machthabern auf einiges Interesse.

2.

Gerade unter Konkurrenzgesichtspunkten ist es bei der staatlichen Krisenbewältigung mit der Schöpfung liquider Mittel in genau passender Größenordnung freilich nicht getan. Die Sache hat ja noch einen anderen Aspekt, um den die Verantwortlichen sich kümmern müssen – wobei offen bleiben darf, ob es sich um den Grund der Liquiditätsprobleme, deren Konsequenz oder eine weitere Folge aus deren Grund handelt –: Die Finanzwelt leidet unter Vermögensverlusten, die eine ordentliche, den gesetzlichen Vorgaben genügende Geschäftstätigkeit unmöglich machen. Für die Politik tut sich damit ein zweites Einsatzgebiet mit eigenen unabweisbaren Erfordernissen und Herausforderungen auf: Sie ersetzt ihren als „systemrelevant“ eingestuften Banken ihre Einbußen; teils durch Beleihung oder Aufkauf praktisch wertlos gewordener Wertpapiere durch die Zentralbank, zum Teil durch Geldeinlagen bis hin zur Übernahme ganzer Unternehmen auf Rechnung des Staatshaushalts. Wie das viel strapazierte Stichwort „systemisch“ angibt, tun die Regierungen das nicht – wie besonders volksnahe Kritiker beklagen –, um Hasardeure zu entschädigen, und schon gar nicht – wie nach Ansicht von Fanatikern der marktwirtschaftlichen Freiheit – aus sozialistischer Neigung, sondern aus purer Notwendigkeit: Sie handeln so, um auf der einen Seite die bei den Banken verbuchten Geldvermögen der Gesellschaft zu retten, auf der anderen Seite die für ein marktwirtschaftliches Geschäftsleben unerlässliche Kreditfinanzierung sicherzustellen.

Was nämlich die Gesellschaft an Geldvermögen besitzt und bei den Banken deponiert hat, existiert dort in Gestalt von deren Finanzgeschäft, in Form von Forderungen, von Wertpapieren etc. – also als jene Masse von Finanzmitteln, mit denen die Banken einander und den Rest der kreditbedürftigen Welt ausstatten und die Unternehmen ihren Kapitalvorschuss bestreiten. Dieses Gesamtkunstwerk ist kaputt – aus den angegebenen Gründen: nicht wegen der Entwertung irgendwelcher Forderungen und Anrechtstitel; die verkraftet ein potentes Kreditsystem allemal, ebenso wie den Abzug von Geldanlagen einzelner Kunden. Zur Krise kommt es dadurch, dass ein Vermögensverlust den nächsten nach sich zieht: Das Misstrauen gegen bestimmte Investments „trocknet“ Teile des Kapitalmarkts „aus“; der teilweise Zusammenbruch des Handels entwertet die Handelsware; die Entwertung trifft Emittenten und Investoren. Am negativen Endergebnis stellt sich heraus: Der gesamte Geschäftszweig beruht darauf, dass die Schulden des einen das Vermögen des anderen Finanzkapitals begründen; und die Marktwirtschaft insgesamt beruht darauf, dass die derart aufgeblasene Macht der Banken durch Kreditschöpfung für das benötigte Betriebskapital sorgt. Krise ist eben nichts anderes als der durch das Kreditgewerbe verallgemeinerte praktische Befund, dass lauter Vermögenstitel verbucht und in Umlauf sind, die in ihrer Masse überhaupt nicht mehr ökonomisch zu rechtfertigen sind: zu viele, als dass auf eine Rendite und lohnende Verwendung noch Verlass wäre.

Hier schaffen die Staaten Ersatz. Wo der Handel mit Schulden als Geldkapital nicht mehr gelingt, und in dem Maß, in dem die Bankenwelt sich deswegen dem Offenbarungseid über die Nichtigkeit der verbuchten Geldvermögen und über ihr Unvermögen zur Schöpfung und Vergabe von Kredit annähert, greifen die Höchsten Gewalten mit einem Gewaltakt ein. Per Dekret, ohne dass irgendwo Geld verdient oder aussichtsreich investiert, Vermögen eingesammelt oder erfolgreich vermehrt worden wäre, mit dem Erlass einer hoheitlichen Garantie rekapitalisieren sie ihre „in Schieflage“ geratenen Banken. Das Kapital, mit dem die wirtschaften, besteht eben wirklich nicht in irgendwelchem Hab und Gut, sondern in ihrer Macht, für verbuchte Guthaben einzustehen und die Firmenwelt mit Schulden wirtschaften zu lassen; und für diese Macht ist ein hoheitliches Machtwort tatsächlich so gut wie die Verfügung über fremdes Geld und gute Schuldner, die ja auch auf nichts als einer durchgesetzten Rechtslage beruht.

Dabei geht es den Krisenpolitikern überhaupt nicht darum, den kapitalistisch so produktiven Zirkel von Schulden und Geldkapital durch hoheitliche Dienstanweisungen an die betroffenen Agenturen abzulösen. Eben diesen Zirkel wollen sie wieder in Schwung bringen. Deswegen organisieren sie ihren Eingriff ganz marktwirtschaftlich, als Ankauf fragwürdiger Vermögenswerte, die später – irgendwann, bei besserer Marktlage – wieder in den Kapitalmarkt zurückgeschleust werden sollen, sowie als Kapitalanlage nach Aktien- oder sonstigem einschlägigen Wirtschaftsrecht und mit der Absicht und Perspektive, Firmenanteile später an private Investoren oder auch an das gerettete Finanzinstitut selber abzugeben. Von ihrer Kassenlage machen die Staatshaushälter sich zwar nicht abhängig, wenn sie ihre Bestandsgarantien für wichtige nationale Geldhäuser abgeben; ihre Notenbank braucht ohnehin nicht mehr als eine rechtliche Ermächtigung oder sogar bloß deren schöpferische Auslegung, um Banken durch die Abnahme „toxischer“ Wertpapiere mit frischem Kapital zu versorgen; es ist wirklich nichts als staatliche Gewalt, was da zu Betriebskapital fürs Kreditgewerbe wird. Die Operationen der Zentralbank werden aber sorgfältig als reguläres Geschäft gestaltet und verbucht. Und die Garantien zu Lasten des Staatshaushalts, mit denen die geretteten Banken wirtschaften, werden im tatsächlich zu mobilisierenden Umfang durch die Ausgabe und den Verkauf von Staatsschuldpapieren refinanziert, also durch staatlich gestiftetes fiktives Kapital untermauert, ganz formgerecht im Sinne der üblichen kapitalistischen Schuldenwirtschaft. So versorgt der Staat wacklige Banken mit Garantien in Form von Kapitaleinlagen und zugleich den Kapitalmarkt mit neuem Stoff. Den soll die Finanzindustrie auf ihre bewährte Art vermarkten, als Gewinnquelle benutzen, zu Geldanlagen für Investoren verarbeiten; sie darf und soll ihn kundig bewerten und seinem Preis einen Kurs verschaffen.

Das geschieht auch. Und es stellt sich heraus, dass der neue Stoff, das viele fiktive Kapital aus der Hand der Staaten, an dem Grund der Entwertung des alten Geldkapitals, der „toxischen“ Papiere, deren Verfall das Bankgewerbe an den Rand des Ruins getrieben hat, nicht viel ändert. Rein ökonomisch bewertet können die Staatsschulden, die verlorenes Kapital ersetzen, schwerlich besser sein als das Kapital, das kaputt gegangen ist und an dessen Stelle sie treten – sie reproduzieren ja bloß, politökonomisch gesprochen, die Teile des akkumulierten Finanzkapitals, die als überakkumulierte Finanzmasse schon aus dem Verkehr gezogen worden sind. Sie sind zu viel wie die Wertpapiere, die, weil unverwertbar und daher wertlos, den Banken als Betriebsvermögen abhanden gekommen sind. Für die Kapitalmärkte ist das freilich kein Grund, diese Staatspapiere wegen ökonomischer Haltlosigkeit zu verwerfen. Die Autorität der Höchsten Gewalten macht den Unterschied: Vom Vertrauensverlust zwischen den Kredithäusern ist die oberste Garantiemacht des nationalen Kapitalismus nicht direkt betroffen. Doch wenn es schon drum geht, die neuen Staatspapiere spekulativ zu bewerten, dann nimmt das Finanzgewerbe diese Freiheit auch pflichtgemäß wahr. Und das bedeutet in der Finanzkrise: Es sieht sich herausgefordert, begreift es sogar als Notwendigkeit einer soliden Geschäftsführung und eines vorschriftsmäßigen Risikomanagements, kompromisslos zu testen, was die staatliche Autorität als Ersatz für kaputt gegangenes Geschäft taugt. Die Rating-Agenturen tun diesbezüglich ihre Pflicht; dass sie leichtsinnig zu gute Noten für fragwürdige Anleihen verteilen, wollen sie sich nicht noch einmal nachsagen lassen. Und die Vorhut der Spekulantengemeinde ergreift die Chance, mit einer Offensive gegen die staatlichen Garanten des vielen neuen fiktiven Kapitals die Relativität ihrer Garantie aufzudecken, womöglich ihre Haltlosigkeit zu entlarven und auf jeden Fall daran zu verdienen. Die Stichhaltigkeit der Staatsgarantie wird vergleichend auf die Probe gestellt.

In Europa trifft diese Spekulation zuerst Griechenland – und damit einen Staat, dessen Schulden unmittelbar gar nicht viel mit der Finanzkrise und den Kreditmassen zu tun haben, die die kapitalistischen Großmächte kreieren, um die Entwertungsspirale zu stoppen. Die fachmännische Erklärung der zunehmend prekären Finanzlage dieses Staates führt dann auch erst einmal ganz weit weg von der Krise und der Krisenpolitik Europas, zurück in eine lange Geschichte einer angeblich ganz besonderen griechischen Misswirtschaft – die nebenbei, für sich und ökonomisch ernst genommen, nichts weiter dokumentiert als die marktwirtschaftlichen Niederlagen eines Kleinstaats der europäischen Peripherie in der gnadenlosen Konkurrenz, die Konzerne und Staaten auf dem europäischen Binnenmarkt und mit dem Instrument einer gemeinsamen Währung einander liefern.[2] Die Kampagne bleibt jedoch nicht auf den Sonderfall beschränkt. Portugal ist das nächste Land, das für neue Kredite immer höhere Zinsen zahlen muss und mit einer Spekulation auf eine Zunahme seiner Finanzierungsprobleme konfrontiert ist. In Spanien, sogar in Italien kommt die Sorge auf, der nächste „Angriff“ der Spekulanten könnte den Krediten dieser Länder gelten – es bräuchte ja bloß die Entscheidung der Märkte, fällige Umschuldungen nur um den Preis steigender Zinsforderungen zu finanzieren, bloß den Wagemut von Banken und Sparkassen, mit Derivaten aus Absicherungsgeschäften auf immer weiter steigende Zinsen und einen Wertverfall der staatlichen Anleihen zu spekulieren, und der Geldbedarf bedeutender Euro-Staaten wäre nicht mehr zu finanzieren. Mit dem tatsächlichen Anstieg der Zinssätze für die Schuldpapiere dieser Staaten kommt auch in den anderen Hauptstädten und Finanzzentren der EU die Befürchtung auf, die Spekulanten könnten immer so weiter machen, die Märkte allmählich in Panik geraten, Finanzierungsprobleme sich verallgemeinern, Gläubigerbanken und am Ende das Zahlungssystem erneut in Gefahr geraten. Mit dem einreißenden Kursverfall des Euro sind dann endgültig alle Staaten betroffen, die dieses Geld benutzen: Es nützt gar nicht viel, dass alle Partnerländer sich auf eigene Rechnung verschulden; ihr Geschäftsmittel repräsentiert ja doch den Kredit aller Euro-Nationen; Zweifel an der Kreditwürdigkeit einzelner Euro-Staaten rauben dem gemeinsamen Kreditgeld also ein Stück seiner Substanz; und das strapaziert unweigerlich den Kredit aller anderen. Das wäre nicht weiter bedeutsam, wenn es wirklich nur um die ganz besonderen Zahlungsprobleme von einem oder zwei erklärtermaßen unbedeutenden Euro-Staaten ginge. Allen Beteiligten steht aber vor Augen, dass die Sicherheit ihres Kredits tangiert ist; und der Grund ist auch kein Geheimnis: Sie alle überziehen mit ihrer Krisenabwehrpolitik ihren Kredit maßlos: übermäßig bezogen auf das Maß, das sie sich mit ihren Maastricht-Kriterien selber verordnet haben als Bedingung für die Zuverlässigkeit und kapitalistische Brauchbarkeit ihrer neuen Währung; übermäßig vor allem im Verhältnis zu dem Wachstum, das sie damit bewirken oder besser: gar nicht bewirken, weil sie damit fürs erste nur Verluste kompensieren. Auf jeden Fall kommen sich alle Euro-Nationen auf einmal wie hintereinander aufgestellte Domino-Steine vor, die nacheinander umkippen, wenn der erste fällt. Deswegen darf kein Staatsbankrott zugelassen werden. Die Gemeinschaft reagiert; zuerst mit einer massiven Kredithilfe für Griechenland; dann, als die Spekulation trotzdem weiter geht und der Wert des Euro zu schwinden beginnt, mit einer generellen Kreditgarantie über eine halbe Billion Euro, zuzüglich einer weiteren viertel Billion vom IWF und aus anderen Quellen.

Dieser Kraftakt wirft ein bezeichnendes Licht auf die Logik der Spekulation ebenso wie der Politik zur Abwehr ihrer befürchteten Folgen. Mit ihm geben die Staaten den Spekulanten erst einmal Recht: Ohne eine solche Garantie sind Europas Kredite zweifelhaft und ist der Wert des Euro nicht zu halten. Mit ihr werden die Finanzmärkte mit ihrer Skepsis und die Krisengewinnler mit ihren Finanzwetten jedoch ins Unrecht gesetzt: Die vielen hundert Milliarden erledigen alle Zweifel, dadurch nämlich, dass sie die Zahlungsfähigkeit aller, auch der schwächeren Staaten vom spekulativen Kalkül der Märkte unabhängig machen. Eben damit ergeht ein Angebot an die Märkte: Die große Summe soll ja nicht wirklich ausgezahlt werden, sondern Sicherheit für die Finanzmittel stiften, die die Bankenwelt den Euro-Staaten, gerade auch den schwächeren, leihen bzw. in deren Wertpapiere investieren soll. Bei ihrem 500-Milliarden-Beschluss machen die Staaten sich von den Märkten freilich nicht abhängig: Sie fassen ihn, riskieren also eine gigantische Neuverschuldung, ohne dafür eine einzige Anleihe vermarktet zu haben. Den Spekulanten erteilen sie damit aber keine Absage; die wollen sie vielmehr beeindrucken und für die Kredite einnehmen, die sie im Ernstfall brauchen würden: Ostentativ verlassen sie sich auf das Vertrauen, das sie bei den Märkten noch genießen. Für dieses Vertrauen tun sie allerdings auch ein Übriges: Sie untermauern es schon seit langem durch die Bereitschaft der Euro-Notenbank, den Geschäftsbanken Staatspapiere abzukaufen. Dass die Höchsten Gewalten sich insofern selbst finanzieren, macht das spekulative Kalkül der Finanzinstitute jedoch nicht überflüssig, sondern zielt darauf ab: Kreditgeber und Investoren sollen frei darüber entscheiden, was Euro-Staatsschulden ihnen wert sind, sie aus eigener Berechnung als gute finanzkapitalistische Ware anerkennen – politökonomisch ausgedrückt: als fiktives Kapital beglaubigen. So setzen die Staaten die Spekulation ins Recht...

Der Zirkel ist komplett; und er funktioniert; jedenfalls stellen die Märkte ihren spekulativen „Angriff“ auf Staatsschulden und Kreditgeld der Euro-Staaten fürs erste ein. Der Zirkel funktioniert, weil die Spekulation auf genau das zielt, was die Staaten dagegen zu setzen resp. anzubieten haben und wofür die Größe der vereinbarten Garantiesumme steht. Es geht um die Finanzmacht der Nationen; und die ganze Affäre ist eine Demonstration, um was für eine absurde Sache es sich dabei handelt. Was ganz sicher nicht darin enthalten ist, das ist die für den ideologischen Hausgebrauch immer wieder in Anschlag gebrachte Forderung, Staaten müssten in der Lage sein, ihre Schulden zurückzuzahlen – wenn damit mehr gemeint ist, als dass sie zum Fälligkeitstermin alte Anleihen mit neuen Krediten ablösen, dann wären an dem Kriterium gemessen sämtliche kapitalistischen Gemeinwesen längst hoffnungslos pleite. Bruttosozialprodukt und Staatsverschuldung, also die Größen, die die Maastricht-Kriterien ins Verhältnis setzen, sind schon eher von Belang, freilich ganz eindeutig nicht im Sinne der Erfinder und Fans dieser Kriterien: Die werden ja augenscheinlich ad absurdum geführt durch die Masse der Schulden, die die Staaten sich schon leisten und noch zu leisten versprechen, und durch den Erfolg, den sie mit diesem Versprechen bei den Spekulanten erzielen. Die ökonomische Potenz der Staaten, die von den Märkten einer harten Prüfung unterzogen – und im Falle der Euro-Länder einstweilen für gut befunden – wird, setzt sich ganz anders zusammen: aus der Masse des fiktiven Kapital, für das die Staaten bürgen und das von den Finanzunternehmen als gute Ware abgenommen worden ist und als brauchbarer Stoff für ihre Geschäfte benutzt wird; aus der Aussicht, dass diesem fiktiven Kapital ein Wachstum entspringt und entspricht, das einen weiteren Zuwachs nicht bloß an Staatspapieren, sondern an kapitalistischer Verwertung repräsentiert; in diesen beiden Posten mit enthalten: aus Umfang und Wachstumsraten, früheren und für die Zukunft zu erwartenden, des kapitalistischen Produktionsprozesses, der das Überleben der Gesellschaft insgesamt mitsamt den Kosten der Herrschaft zur großen Geldquelle macht; aus der inneren Souveränität und der äußeren Durchschlagskraft eben dieser Herrschaft, also der Härte, der Entschlossenheit und, im Endeffekt, dem Erfolg, mit dem die sich ihrer nationalen Ressourcen bedient, ihr Volk bewirtschaftet und auf das Kreditgewerbe als ihre Finanzquelle zugreift; schließlich: aus der Würdigung all dieser Komponenten eines anständigen Gemeinwohls als Akkumulationsbedingung durch das Finanzkapital.

Politisch geltend gemacht und spekulativ bewertet wird die derart zusammengesetzte ökonomische Macht eines Staatswesens, auch das zeigen die Spekulation gegen den Euro und seine Verteidigung durch die Unionsstaaten in aller Deutlichkeit, im Vergleich der Nationen. Für die Überzeugungskraft der Kreditgarantie, mit der die Finanzwelt bedient wird und fürs erste auch bedient ist, kommt es schon darauf an, dass sich da nicht lauter wacklige Dominosteine zusammentun – obwohl auch das Effekt machen kann –, sondern dass mit Deutschland ein Staat dahintersteht, der zwei marktwirtschaftlich überzeugende Argumente für sich ins Feld zu führen hat: Er agiert in der Konkurrenz der Nationen in der obersten Vergleichsklasse und das mit Erfolg; und das Finanzkapital erkennt das auch an, ganz praktisch nämlich in der Form, dass es ungeachtet aller Kapitalverluste, aller Kreditblasen und aller Haushaltsdefizite die Schulden des deutschen Staates als Geldkapital benutzt, ganz viel davon gegen geringe Zinsversprechen kauft und vermarktet und sogar erst recht darauf setzt, wenn es die Anleihen anderer Euro-Staaten herunterspekuliert. Ihre Überlegenheit bewahrt zwar auch die deutsche Nation im Ernstfall nicht vor der Gefahr, dass auch gegen ihren Kredit spekuliert werden kann und eine neuerliche Krise womöglich auch sie ruiniert. Das gesteht die Merkel-Regierung auch ein, wenn sie die Verhinderung des Staatsbankrotts von Euro-Ländern als Maßnahme zur Rettung Deutschlands für alternativlos notwendig erklärt. Dass Europas ökonomische Führungsmacht im Verein mit den schwächeren Konkurrenten die gemeinsame europäische Finanzmacht demonstriert, ist schon nötig für den Erfolg der großen Kreditgarantie. Unabdingbare Erfolgsbedingung ist aber eben auch, dass Nationen mit noch unbezweifeltem Euro-Kredit und dem Gewicht eines großen Kapital- und Kreditvolumens die Gemeinschaftsaktion tragen.

Dass sie das nicht selbstlos tun, betonen die Regierenden ihrer patriotischen Öffentlichkeit gegenüber bei jeder Gelegenheit. Sie handeln gemeinsam, um ihre Konkurrenzposition, in der Welt und gegenüber ihren Partnern, zu stärken. Und das macht sich am Ergebnis auch geltend: Der Abstand zwischen ihnen wird nicht geringer; im Gegenteil. Kein Staat geht Bankrott; aber für die einen ist die Kreditaufnahme – zwar nicht mehr so unerschwinglich wie auf dem Höhepunkt ihrer Krise, aber – nachhaltig teuer, für wenige andere außerordentlich billig. So will es die Kalkulation der Finanzunternehmen, die gar nichts dabei finden, die Möglichkeit eines Zahlungsausfalls bei den Verbindlichkeiten souveräner kapitalistischer Staaten in Form von Risikozuschlägen beim Zins zu quantifizieren. Und genau auf diese Kalkulation zielt die Krisenpolitik der Staaten. Sie alle bemühen sich um den Zuspruch des internationalen Kreditgewerbes, dessen Geschäftsfähigkeit sie eben deswegen gerettet haben, um sich dessen Leistungen für ihren Geldbedarf und ihren Standort zu sichern; sie bemühen sich darum, weil davon ihre Freiheit bei der Gestaltung ihres Haushalts und das Wachstumspotential ihrer Nationalökonomie abhängt. Dafür setzen sie die Überzeugungskraft ihres fiktiven Kapitals und ihres Willens zu dessen Verteidigung ein. Und daran scheiden sich Gewinner von Verlierern.

Worum es dabei geht und wie hart es dabei zugeht, dafür liefert die deutsche Regierung ein drastisches Beispiel, wenn ihr Finanzminister erst den Kredit für Griechenland mit seinem zähen Widerstand gegen eventuelle deutsche Zahlungspflichten bis zuletzt verzögert und wenn er dann die ganz große Kreditgarantie für die Partner des Euro-Raums um die nachdrückliche Forderung ergänzt: die Währungsunion brauche unbedingt ein praktikables Insolvenzverfahren, das überschuldete Länder am besten automatisch aus dem Club ausschließt. Deutschland opfert lieber ein Unionsmitglied als die Stabilität des Euro-Kredits und der gemeinsamen Währung: Das sollen die Finanzmärkte zur Kenntnis nehmen und sich merken und mit einer Vorzugsbehandlung für deutsche Staatspapiere honorieren. Mit ihrem Misstrauen gegen die Unmasse neuer Staatsschulden – auch aus deutscher Hand! –, die im Wesentlichen nur wertlos gewordene Vermögenstitel ersetzen, sollen die Spekulanten sich an anderen Staaten schadlos halten, Deutschland dagegen den Konkurrenzvorteil einer extra billigen Refinanzierung seiner Schulden und eines leichten und billigen Zugriffs auf Finanzmittel für eine aufschwungfördernde Haushaltspolitik zubilligen. Einen solchen Platzvorteil im Wettbewerb um das tatkräftige Wohlwollen des wieder ins Gleis gesetzten Finanzkapitals braucht Europas führende Wirtschaftsmacht noch am wenigsten im Verhältnis zu Griechenland – dem Staat wird auf die Art immerhin ein guter Teil der Vermögensschäden aus der Finanzkrise auferlegt –; eher schon im ökonomischen Kräftemessen mit ihren potenten europäischen Rivalen. Deutschland scheut aber auch den Vergleich mit der Weltwirtschaftsmacht Nr. 1 keineswegs, will vielmehr als Emittent glaubwürdigen fiktiven Kapitals besser dastehen als die USA mit ihren überbordenden Dollar-Schulden. Das macht die Merkel-Regierung auf eine Weise deutlich, die einer Kampfansage nahekommt: Dem Ansinnen der Obama-Administration, die Deutschen sollten gefälligst mit vermehrten Schulden die Weltkonjunktur ankurbeln und so auch den USA etwas zu verdienen geben, setzt die Kanzlerin ausdrücklich und betont ihre unverrückbare Absicht entgegen, im Interesse eines gesunden Staatshaushalts eisern zu sparen. Diese Ansage bedeutet nicht, dass der Finanzminister weniger Geld ausgibt, sondern soll vor allem von den Finanzmärkten als Signal verstanden werden, nämlich als Entscheidungshilfe im verschärften Vergleich der Qualität von Wertpapieren aus dem Zentrum Europas und solchen aus Amerika.

So arbeiten Politiker an der Überwindung der Krise: Sie kümmern sich um die Bedingungen für ein neues Wachstum ihrer nationalen Wirtschaft. Sie kennen als entscheidende Bedingung den Zuspruch eines stabilen Finanzsystems und organisieren eine produktive Schuldenwirtschaft. Was dem entgegensteht, suchen sie mit allen Mitteln von sich und ihrem Standort abzuwenden. So setzen sie die Lasten der Krise, die Streichung überschüssigen Kapitals in allen seinen Formen, aktiv durch: mit Nachdruck und hauptsächlich bei den schwächeren Konkurrenten, die sich dem negativen Urteil der Finanzmärkte beugen und wirklich sparen und ihre ökonomische Basis dezimieren müssen.

3.

Dass Krisenbewältigung eine Konkurrenzaffäre ist, das ist kompetenten Politikern so selbstverständlich, dass die mit dem größten nationalen Offensivgeist schon ganz früh die Parole ausgegeben haben, man wolle – so zu wiederholten Malen die deutsche Kanzlerin – ‚stärker aus der Krise herauskommen, als die Nation hineingegangen ist‘. Krisengewinnler wollen sie werden. Und dass der anspruchsvolle Komparativ sich auf den Abstand zu den Partnerländern bezieht, das versteht sich von selbst. Der Zweck der aufwändigen Rettung des Finanzgewerbes und der Wiederherstellung seiner Leistungsfähigkeit ist von vornherein eindeutig der: Am eigenen nationalen Standort, im Zuspruch zu dem Kredit, den die Regierung sich nimmt und die Wirtschaft braucht, sollen die Banken ihre wiederhergestellte kapitalistische Produktivkraft beweisen.

Zu diesem Programm gehört eine Politik, die, belehrt durch die schlechten Erfahrungen der Krise des Sektors, auf Solidität und Sicherheit in der Spekulationsbranche hinwirkt. Die Erfahrungen, die die Regierenden da beherzigen, haben eben mit der politischen Ökonomie der Krise – der Überakkumulation von als Geldkapital fungierenden Schulden und deren fortschreitender Bereinigung durch das sich immer weiter steigernde wechselseitige Misstrauen der Kapitalmarktakteure – nichts zu tun. Zum Inhalt haben sie die hellsichtige Diagnose, dass die mit Risiken wirtschaftende Branche an nichts anderem gescheitert sein kann als an bewusst lancierten oder fahrlässigen Fehleinschätzungen der eingegangenen und gehandelten Risiken; an Übertreibungen des Spekulierens auf der einen, mangelhafter Vorsorge auf der anderen Seite; und im Übrigen an betrügerischen Machenschaften. Wo und wie die Staatsgewalt gefordert ist, steht damit fest: Es gilt, mit besseren Regeln und einer besseren Aufsicht allen Gepflogenheiten des Finanzgeschäfts entgegenzuwirken, die als Entgleisungen identifiziert und für das Desaster in der Branche verantwortlich gemacht werden. Speziell in den USA fahnden Behörden mit neuen Kompetenzen und neuem Nachdruck nach Übeltätern, und die Gier der Profis wird durch Beschränkungen bei der Belohnung besonders windiger und ertragreicher Geschäfte sowie durch Extra-Steuern gebremst; damit ist schon mal für kaufmännischen Anstand beim Spekulieren gesorgt und eine erste Fehlerquelle verstopft. Für extra undurchschaubar konstruierte Finanzprodukte wird Transparenz, für zwielichtige Transaktionen die Abwicklung über öffentliche Plattformen vorgeschrieben; das sorgt für Seriosität. Verschärft werden Maßregeln und Kennziffern für die Absicherung risikoreicher Finanzgeschäfte durch die Banken, die mit solchen Risiken und deren Vermarktung ihr Geschäft machen – oder genauer: Verhandlungen darüber sind in Gang; mit Stresstests wird ermittelt, ob und wie gut wichtige Finanzinstitute eventuell doch eintretenden Schadensfällen gewachsen wären, gegebenenfalls werden Nachbesserungen bei der Eigenkapitalquote oder bei den Rückstellungen angemahnt; so wird der nächsten Krise, nämlich einem neuerlichen Vertrauensverlust im Kreditsystem vorgebeugt. In Einzelfällen werden Finanzwetten von der Art verboten, mit der die Spekulantengemeinde sich bei den staatlichen Geldhütern unbeliebt gemacht hat.

Die derartigen gesetzgeberischen und rechtspflegerischen Eingriffe treffen das Kreditgeschäft, weil sie sich an seiner wesentlichen Grundlage zu schaffen machen. Die ganze Finanzindustrie produziert ja nichts als Rechtsgeschäfte. Es sind Vertragsbeziehungen, die aus Geld und Schulden Geldkapital machen und eine Rendite einspielen; den ‚Verwertungsprozess‘ definieren Vertragsmodalitäten. Die Branche braucht und benutzt nichts als Recht und Gesetz, zuverlässig kodifizierte staatliche Gewalt, wenn sie allein durchs Weggeben von Geld und mit fiktivem Kapital als Handelsware mit einem Kurswert Geld verdient. Inhalt dieser Rechtsgeschäfte ist nichts anderes als das Risiko, das der als Gläubiger oder Investor fungierende Vertragspartner eingeht: Dessen Geld ist weg, eingetauscht gegen Ansprüche auf mehr; die mögen zwar, weil rechtsverbindlich, als Vermögensvermehrung verbucht werden, ihre Erfüllung liegt aber per definitionem nicht mehr in der Hand des Anlegers, sondern hängt vom Vertragspartner ab. Das Risiko macht aus dem Vertrag über Geld und Schulden erst Geldkapital; und das nach einer eindeutigen Logik: Der Ertrag ist umso größer, je größer das eingegangene Risiko. Jede Lizenz und jede Verpflichtung wirkt sich unmittelbar auf die Ertragskraft der möglichen Geschäfte aus; alles, was Sicherheit stiftet, mindert die Rendite. Deswegen ist beim regulierenden Eingreifen der Höchsten Gewalten auch wieder größte Vorsicht geboten. Denn nur allzu leicht werden Geldanleger und Kreditmanager durch Sicherheitsbestimmungen mehr abgeschreckt als angezogen. Übertriebenes Sicherheitsdenken und Regulierungswut wären daher auf alle Fälle ganz verkehrt: Statt sich und sein Rechtssystem für das Spekulationsgewerbe attraktiv zu machen, beschränkt der Staat mit einem Übermaß an Eingriffen gerade die tüchtigsten Kreditkünstler und Wertpapierkonstrukteure in ihrem vertragsrechtlichen Erfindungsreichtum und vertreibt deren Arbeitgeber ins weniger regulierte Ausland. Der Nation bleiben damit nicht etwa die schlimmsten Risiken und neue Abstürze erspart; ihr entgehen vielmehr Wachstumsquellen, die man sich doch gerade wieder erschließen will.

Bei allen administrativen Korrekturen wird daher sorgfältig darauf geachtet, die Banken bei Laune und im Lande zu halten – zu Lasten anderer nationaler Standorte, die die nötige Kombination von Freiheit und Sicherheit nicht so gekonnt hinkriegen. So wird, ganz folgerichtig, in London wieder spekuliert und im Bankenviertel Geld gemacht, als hätte es nie eine Krise gegeben und eine staatliche Rettungsaktion im Volumen eines halben Jahres-Bruttosozialprodukts. Genau das wird in den Hauptstädten und Finanzzentren des Kontinents weniger mit Argwohn als mit Neid registriert und nach Kräften kopiert. Die Stresstests für Finanzinstitute werden so eingerichtet, dass die wichtigsten nationalen Häuser sie glatt bestehen und in der Finanzwelt als solide und verlässlich gut dastehen. Die Nachbarn werben dann mit dem viel höheren Anspruchsniveau ihrer Testserie für die Qualität ihres nationalen Bankwesens, das das bedingungslose Vertrauen der internationalen Geschäftswelt verdient; auf die Art kompensiert etwa die Schweiz die Verluste ihrer Finanzindustrie aus der Nötigung zur Steuerehrlichkeit, mit der Deutschland und andere Staaten ihre reichen Bürger drangsalieren, um ihrerseits die Folgen der Krise für ihre Haushaltskasse ein wenig zu mildern. Eine Freiheitsberaubung der Kreditinstitute durch Besteuerung des Freihandels mit Finanzprodukten verbietet sich aus Konkurrenzgründen von selbst; die demokratische Sprachregelung dazu heißt: Solche Abgaben wären nur global zu machen, und dabei ziehen wichtige Konkurrenten ganz sicher nicht mit; also kann man den Versuch gleich lassen. Anhänger der Idee, die Obrigkeit hätte das Finanzgeschäft durch gezielte Abgaben auf Solidität und Gemeinnützigkeit zu verpflichten, kritisieren das gerne als Dokument der Ohnmacht der Politik, als Kapitulation vor der Macht des Finanzkapitals. Dabei ignorieren sie freilich nicht nur die staatlich verfügte und politisch gewollte Ermächtigung des Bankwesens, die dessen Interessen ihren hohen Rang verschafft. Sie täuschen sich entweder über die Konkurrenzberechnungen der Staaten, die auf nationalen Gewinn aus dem umfassenden Engagement des Geldkapitals der Welt an ihrem Finanzplatz setzen; oder sie sind Parteigänger des Konkurrenzstandpunkts von Nationen, die beim unaufhaltsamen Wachstum der Finanzmärkte notorisch zu kurz kommen. Die Regierungen jedenfalls kämpfen auch an dieser Front darum, die Leistungen des aus der Krise geretteten Kreditgewerbes für sich nutzbar zu machen und ihren Geldbedarf günstig zu vermarkten.

4.

Dieser Bedarf ist außerordentlich hoch und die Konkurrenz um seine Befriedigung scharf; aus mehreren Gründen. Zum einen sind immer wieder Kreditgarantien, die zur Abwendung der schlimmsten Krisenfolgen abgegeben worden sind, stückweise tatsächlich einzulösen, Bank- oder fremde Staatsschulden zu übernehmen, um systemgefährdende Bankrotte abzuwenden; die dafür erforderlichen Gewaltakte sind ordentlich zu refinanzieren. Zum zweiten sind die Kredite, mit denen die Folgen der krisenhaften Entwertung von Schulden und fiktivem Kapital bereits aufgekauft worden sind, immer wieder von Neuem zu refinanzieren; auch da schlägt jeder Prozentpunkt an Zinsen, den ein Staat sich dank des Interesses der Kreditwirtschaft erspart, als Vorteil zu Buche und schiebt ein weiteres Stück der Lasten aus der Kapitalentwertung auf die schwächeren Konkurrenten ab, an denen das Gewerbe sich mit umso höheren Zinsen bereichert. Schließlich brauchen alle Regierungen viel Geld, um den allgemeinen Aufschwung zu bewirken, dessen Finanzierung die Banken noch schuldig bleiben. Letzteres ist deswegen so wichtig, weil es bei der Wiederbelebung der nationalen Wirtschaft nicht bloß überhaupt um die Ankurbelung ihrer Konjunktur geht, sondern darum, Weltmarktanteile zu erobern. Es gilt, am Ausland zu verdienen, mehr als das Ausland am eigenen Land gewinnt; dafür muss man bei jeder sich bietenden Geschäftsgelegenheit mit nationalen Anbietern schneller präsent und besser sein als die Konkurrenz; erstens, um schneller als die aus der Krise herauszukommen; zweitens, um den eigenen Listenplatz nachhaltig zu verbessern.

Für diese Konkurrenz – ganz im Sinne des Programms ‚Stärker heraus als hinein!‘ – bietet die schon erwähnte Kontroverse zwischen der US-amerikanischen und der deutschen Regierung um Nutzen oder Schaden einer rigiden Sparpolitik ein Lehrbeispiel.

  • Die Obama-Administration gibt für Kredithilfen an zahlungsunfähige Großfirmen, für die teilweise oder komplette Übernahme und Entschuldung anderer Konzerne vor allem aus der Sparkassen- und Hypothekenbranche, für Konjunkturprogramme etc. enorm viel Geld aus; sie produziert dementsprechend enorm viele Schulden, die sich auch nach wie vor in aller Welt als Geldkapital vermarkten lassen. Trotzdem bleibt die nationale Wirtschaft den erhofften flächendeckenden Aufschwung schuldig; schon gleich ein Wachstum von der Art, dass es den vielen Kredit rechtfertigen würde. Haftbar macht der Präsident dafür eine verfehlte Politik seines Vorgängers: Der hätte sich blind auf den Eigennutz der großen Unternehmen als Wachstumsmotor verlassen und damit, wie am Niedergang der heimischen Industrie, an der Hypothekenkrise und am Wall-Street-Desaster zu sehen, grandios Schiffbruch erlitten – dass die USA mit ihrem langjährigen Boom Entscheidendes zu der Überakkumulation des Kapitals beigetragen haben, der seit drei Jahren ihre Basis, nämlich ein unerschüttertes Vertrauen des Finanzkapitals in die Chancen weiteren Wachstums, abhandenkommt, gehört, um das nochmals zu erwähnen, nicht zum Bildungsgut eines Regierungschefs. Natürlich ebenso wenig zur Vorstellungswelt seiner Opposition, die das ökonomische Engagement der Obama-Mannschaft zur Todsünde gegen das amerikanische Nationaldogma vom alleinigen Segen privater Initiative und im Lichte dieses Glaubenssatzes zum wahren Grund der Krisenlage erklärt, mit der die Nation zu tun hat. Als schlimmste Hinterlassenschaft der republikanischen Ära beklagt der Präsident die verheerende Außenbilanz des Landes: Amerika verdient am Rest der Welt zu wenig; stattdessen zahlt es Tag für Tag eine Milliardensumme ans Ausland weg – in der Form registriert die Staatsführung immerhin, dass sich ein Großteil der globalen Entwertung des überakkumulierten Geldkapitals in der Zunahme der Staatsschulden niederschlägt, mit denen Amerika Bankrotte verhindert, Firmen rettet etc. Zum Kampf mit der inneren Opposition um Konjunkturprogramme, die endgültig den Durchbruch zu neuem Wachstum bringen sollen, kommt daher der Anspruch hinzu, die Außenbilanz der USA durchgreifend zu verbessern. Dafür verlangt Obama von den großen Exportweltmeistern eine Politik, die der US-Konjunktur spürbar voran hilft: Die Volksrepublik schuldet Amerika einen Wechselkurs ihrer Währung, der die chinesischen Exporte beschränkt, Importe aus den USA verbilligt und so die US-Industrie am Wirtschaftsboom jenseits des Pazifik teilhaben lässt. Deutschland soll eine schuldenfinanzierte Wachstumspolitik betreiben, die gleichfalls Amerikas Exporteure verdienen lassen und so die Weltwirtschaftsmacht Nr. 1 aus der Krise ziehen würde.

    Es geht also erstens um Wachstum; um eines, für das die Unternehmer vermehrt einheimisches Arbeitsvolk einsetzen, so dass der ehrliche US-Bürger wieder etwas zu verdienen hat; kurz: um Jobs, und zwar in Amerika statt anderswo. Wachsen soll Amerikas Wirtschaft zweitens auf Kosten anderer Nationen, mit deren Schulden; verdient werden soll fremdes Geld; das ist die bemerkenswertere Hälfte dieser Forderung. Denn so ist es ja nicht, dass sich mit US-Dollars nicht mehr problemlos in aller Welt alles einkaufen ließe; dass US-Schulden in aller Welt Absatz finden, steht auch nicht in Frage; und der Präsident wäre ohnehin der letzte, der daran zweifelt. Aber damit es dabei bleibt, damit die Vermögensvernichtung durch die Krise und die massive Vermehrung staatlicher Schuldtitel zur Krisenbewältigung daran nichts ändern, müssen Amerikas Defizite in den Außenbilanzen nach dem Urteil desselben Präsidenten unbedingt reduziert werden. Die Regierung trägt damit einer politökonomischen Notwendigkeit Rechnung, von der sie nichts weiter zu wissen braucht; nämlich den Bedingungen der Gültigkeit einer nationalen Währung als Weltgeld, die auch für den US-Dollar gelten. Seit Verbindlichkeiten zwischen souveränen Staaten nicht mehr – direkt oder indirekt – mit Edelmetall eingelöst werden, mit einer international als Geld anerkannten Ware, beruht die Zahlungsfähigkeit der Nationen im globalen Geschäftsverkehr auf dem Kredit, den die Staaten einander einräumen und dem Geld der anderen zubilligen. Dessen Bewertung, also die Anerkennung der nationalen Währung als Weltgeld und die im Wechselkurs ausgedrückte Einschätzung seiner Geschäftstauglichkeit, haben die staatlichen Autoritäten dem internationalen Geldhandel anvertraut. In dessen Kalkül geht die Nachfrage nach einem nationalen Geld, die aus dem grenzüberschreitenden Warenhandel entsteht, als wichtiger Bestimmungsfaktor mit ein; speziell dann, wenn die Finanzkrise Geldkapital, das durch solches Geld repräsentiert wird, zerstört und dessen staatlichen Ersatz einer besonders kritischen Prüfung aussetzt. Dann sichert zwar immer noch die Staatsmacht mit der ökonomischen Potenz ihrer Nation und mit ihrer anerkannten Autorität als Garant ihrer Währung deren Gültigkeit; aber die Verfügung über ein Geld, hinter dem die Wirtschaftskraft und die Staatsgewalt einer anderen Nation stehen, sichert ihrerseits die Autorität der Staatsmacht als Geldhüter. Nun kommt es im Fall der USA auf diesen Faktor nach wie vor nur sehr bedingt an; dass die Exportindustrie die im Ausland akkumulierten Dollar-Schulden der Regierung abbauen und mit ihren Bilanzen einen stabilen Dollar verbürgen könnte, davon geht der US-Präsident gewiss nicht aus. Mit seiner Forderung erkennt er aber an, dass seine Regierung sich ernsthaft um die Kreditwürdigkeit ihres Landes kümmern muss: So ganz außer Zweifel stehen der Rang ihrer Schulden und ein anständiger Kurs ihres Weltgelds nicht mehr. Und indem er auf eine verbesserte Handelsbilanz pocht, nimmt er die kapitalistische „Realwirtschaft“ für die Beglaubigung des Werts seiner krisenbedingt ausufernden Staatsschulden in Anspruch.

    Dabei zeugen Obamas Forderungen an den transpazifischen und den transatlantischen Hauptrivalen einerseits von einer ungebrochenen Anspruchshaltung, andererseits von einer gewissen Verlegenheit. Im Fall Chinas ist den Amerikanern offenbar die altgewohnte Sicherheit abhandengekommen, an blühenden Geschäften in aller Welt automatisch mitzuverdienen. Von vermehrten deutschen Schulden eine Belebung der US-Konjunktur zu erwarten, stellt das gewohnte, durchs tägliche Börsengeschäft dokumentierte Kräfteverhältnis zwischen amerikanischem und europäischem Markt auf den Kopf und kommt dem Eingeständnis wirtschaftspolitischer Hilflosigkeit nahe. Aber wie dem auch sei: Über so viel Macht, anderen Nationen ihr Amerika-Geschäft und damit eine ihrer wesentlichen Verdienstquellen kaputt zu machen, verfügt die Regierung allemal. Das wird den Chinesen angedroht; Firmen wie Toyota oder Airbus kriegen bei Gelegenheit zu spüren, was amerikanischer Standortpatriotismus vermag. Und es ist eine Kampfansage an die Konkurrenz, wenn der Präsident in seiner Brandrede zur Lage der Nation aus Anlass des Öl-Desasters im Golf die Notwendigkeit und die nationale Entschlossenheit beschwört, mit dem Aufbau einer neuen Industrie zur Energieerzeugung dafür zu sorgen, dass die Dollarsummen für Ölimporte demnächst im Lande bleiben und zukunftsreiche Arbeitsplätze jedenfalls nicht nach China abwandern.

  • Die Merkel-Regierung setzt sich gegen das Ansinnen des transatlantischen Partners zur Wehr mit der Beteuerung der unabweisbaren Notwendigkeit, die Haushalte der Staaten zu sanieren und dafür eine strikte Sparpolitik zu betreiben. Gleichzeitig türmt sie Schuldenberge auf; auch für Konjunkturprogramme, nicht so viel anders als die Obama-Administration, und ebenso wie diese nicht zuletzt für die Subventionierung von Branchen, von denen sie sich für die Zukunft Wachstum und überlegene Wachstumsbedingungen an ihrem Standort verspricht – auch Deutschland will die Konkurrenz um eine neue Energie-Industrie gewinnen. Doch je mehr Schulden sie macht, desto hartnäckiger verkündet die Regierung die hausväterliche Dummheit, der Staat könne unmöglich mehr ausgeben, als er einnimmt. Das hat Methode und dient einer doppelten Klarstellung. Das eine ist die schon erwähnte Botschaft an die Finanzmärkte, dass Wertpapiere aus deutscher Staatshand bombensicher sind, deswegen bei niedrigsten Zinsen den lebhaftesten Zuspruch verdienen, und dass daher auch auf das Geld der Deutschen unbedingt Verlass ist, auch wenn andere dieselbe Geldsorte mitbenutzen. Das andere ist die Bekundung der unerbittlichen Entschlossenheit, die positive Außenbilanz der Nation, die die US-Regierung mit Blick auf ihre Defizite kritisiert, nicht bloß zu verteidigen, sondern auszubauen. Denn mit seinen Exporterfolgen hat Deutschland, nach der optimistischen Einschätzung seiner Regierenden und der Fachwelt, den Ausstieg aus der Krise so gut wie geschafft, ungeachtet aller Schuldenberge und aller noch offenen Rechnungen aus der großen Vermögensvernichtung und mit den unerledigten Massen „toxischer“ Wertpapiere. Die deutsche Wirtschaft wächst wieder; mit Geld, das sie im Ausland verdient; und das ist mehrfach gut. Denn erstens lohnt sich wieder zumindest einiges von den vielen Schulden, die die Nation gemacht hat. Zweitens lohnen sich die Geschäfte mehr als bei der ausländischen Konkurrenz. Das bedeutet nicht nur einen erfreulichen Zugewinn an Weltmarktanteilen: Das bedeutet in der gegenwärtigen Krisenphase außerdem drittens, dass immer geringere Teile der Krisenverluste auf Deutschland entfallen und immer mehr von der fortdauernden Streichung überschüssigen Kapitals ausländische Kapitalstandorte trifft. Viertens beweisen die positive Handelsbilanz und ein boomender Export schlagender als alles andere die Kreditwürdigkeit der Nation; nämlich fünftens, dass deren materielle Basis in Ordnung ist: Deutschland ist der Konkurrenz ganz generell bei den Lohnstückkosten, also in Sachen Ausbeutung von Lohnarbeit überlegen. Von dem Erfolg gibt es nichts her und nichts ab.

5.

Letzteres müssen sich vor allem die europäischen Nachbarn sagen lassen, wenn sie sich angesichts ihrer schlechten Bilanzen im Handel mit dem großen Partner über den unfairen Konkurrenzvorteil eines langjährig abgesenkten Lohnniveaus bei fortdauernden Rationalisierungserfolgen des überlegenen deutschen Kapitals beklagen. Solchen Beschwerden, ebenso wie denen aus Amerika über Exportförderung durch staatlich arrangierten nationalen Konsumverzicht, erteilt man in Berlin eine drastische Abfuhr: Die Konkurrenten sollten bei der ‚Arbeitsproduktivität‘ nicht von Deutschland Konzessionen verlangen, sondern seinem Beispiel nacheifern. Denn wenn ein Staat sich nur gehörig anstrengt, dann kann er allemal die Grundbedingung schaffen, die es für die Wiedererstehung nationalen Wachstums aus der Krise braucht: die durchgreifende Verbilligung des Volkes, sowohl in seiner Eigenschaft als leistungsstarke Arbeitskraft des Kapitals als auch in seiner minderen Qualität als aus dem Verwertungsprozess aussortierter Unkostenfaktor, als Last für den Sozialstaat und für die Wirtschaft, die dafür ja doch in letzter Instanz aufkommen muss.

 Dabei erledigt das Kapital den Hauptteil dieser Aufgabe schon ganz von selbst. Mit Entlassungen und der Minderung der Löhne, die es noch zu verdienen gibt, senken die Unternehmen den Kapitalteil, der auf das Entgelt für Lohnarbeit entfällt, und stellen insoweit die Voraussetzung für eine rentable Anwendung des verbleibenden Rests her. Für die Regierungen bleibt aber immer noch genug zu tun: Sie organisieren sozialpolitisch das neue allgemeine Lebensniveau ihrer Nation. Sie lizenzieren, subventionieren sogar neue Billigsegmente im nationalen Arbeitsmarkt. Sie senken des Lohnbestandteil, der traditionell für Sozialversicherungszwecke konfisziert und von den Unternehmern seit jeher als ‚Lohnnebenkosten‘ bekämpft, von Gewerkschaftsseite als Kostentreiber zu Lasten des ‚Faktors Arbeit‘ kritisiert wird. Europas Krisenpolitiker revidieren außerdem ihre überkommenen Versicherungssysteme fürs einfache Volk, die bei sinkender Lohnsumme und dauerhafter Massenarbeitslosigkeit ohnehin nicht mehr wie bisher zu finanzieren sind. Mit der Entlastung ihres Haushalts von Kosten für Sozialfälle aller Art machen sie Finanzmittel für produktive Zwecke frei und demonstrieren zugleich den Finanzmärkten, dass sie ihre Schulden gut im Griff haben, vernünftig verwenden und folglich kreditwürdig sind – eine Bringschuld vor allem für ‚überschuldete‘ Staaten, die sonst nicht viel an Finanzmacht zu bieten haben; im Rahmen der europäischen Solidarität wird die seitens der starken Führungsmächte gebieterisch eingefordert und von den Regierungen potentieller Pleitekandidaten pflichtschuldigst erbracht.

Die deutsche Regierung leistet sich darüber hinaus eine Kurzarbeiterregelung, die die Streichung des überflüssigen Lohnaufwands vorwärtsweisend modifiziert, nämlich dem Kapital Lohnzahlungen, der Staatskasse das volle Arbeitslosengeld, dem andernfalls entlassenen Kontingent von Arbeitskräften die sofortige Entlassung und die sofortige Annäherung an den Hartz-IV-Status, freilich auch einiges an Lohn erspart. Den Unternehmen wird so der Zugriff auf eine jederzeit wieder einsetzbare Belegschaft finanziert. Die wichtigste Bedingung dafür, dass deren Einsatz sich auch garantiert lohnt, hat die sozialdemokratische „Agenda 2010“ schon im Vorfeld der Krise hergestellt: mit neuen Formen der Billigarbeit, mit Lohnsenkung durch Leiharbeit, mit einer generellen Dämpfung des Lohnniveaus und mit den neuen Standards sozialstaatlicher Elendsverwaltung, für die das ominöse Stichwort „Hartz IV“ steht. Dass deutsche Arbeitnehmer lieber auf einen existenzsichernden Lohn als auf einen Arbeitsplatz verzichten, ist mit dieser Agenda zwar nicht eingeführt worden; aber die bedrohliche Aussicht auf ein Arbeitslosen-Dasein unter dem Abstandsgebot zum billigsten Arbeitsentgelt hat diese Maxime zum selbstverständlichen, allgemeingültigen, natürlich auch von den Gewerkschaften offensiv vertretenen Grundsatz der deutschen Arbeitswelt gemacht. Das zahlt sich jetzt aus, in Form des Aufschwungs, den die Regierenden diagnostizieren, zu dem sie sich und ihr Volk beglückwünschen, den sie ihren Kollegen in der EU als Beleg für deren lohn- und sozialpolitische Versäumnisse um die Ohren hauen – und der sie selbstverständlich nicht davon abhält, aus Gründen der gebotenen Sparsamkeit Elemente eines überkommenen Lebensstandards zu identifizieren, von der „sicheren Rente“ bis zum Heizkostenzuschuss für ganz arme Leute, die die Nation sich nicht mehr leisten kann, wenn sie in der globalen Krisenkonkurrenz bestehen will.

Die US-Regierung hat es mit derselben Lage mehr im umgekehrten Sinn zu tun. Schon vor der Krise haben die Erschließung neuer Anlagesphären fürs amerikanische Kapital in Billiglohnländern, in großem Stil vor allem in China, sowie die Konkurrenz von Billiglohnfirmen im eigenen Land die Existenz ansehnlicher Bevölkerungsteile prekär gemacht; die Überschuldung zahlreicher Hauskäufer im „Subprime“-Segment, die der mit dieser Klientel spekulierenden Bankenwelt vor gut drei Jahren so unheimlich geworden ist, dass sie sich einen Spielabbruch verordnet hat, ist dafür ein Indiz von besonderer Schönheit. Nun führt die massenhafte Verarmung infolge der Krise – von der Fachwelt in dem ihr eigenen Zynismus als Rückgang der Konsumfreude und Einbruch der für Amerika doch so wichtigen Konsumnachfrage des breiten Publikums zur Kenntnis genommen – den alten sozialpolitischen Grundsatz, dass ein tüchtiger Amerikaner noch allemal ein Auskommen findet, vollends ad absurdum. Das geschieht so massiv und so flächendeckend, dass der neu zuständige Präsident auch hier einen durch frühere politische Versäumnisse verursachten Notstand entdeckt und sich die Aufgabe stellt, die Folgen solcher Verelendung – auch, aber nicht nur Gefahren für die Volksgesundheit; auch, aber nicht nur Hunger unter Arbeitslosen – mit staatlichen Eingriffen beherrschbar zu machen. Dabei verspricht die Regierung sich und ihrer Nation im wesentlichen eine rationellere Handhabung der großen sozialen Notlagen und dadurch eine merkliche Kostenersparnis. Dass das Ganze nicht unversehens doch zweckwidrig zu einer Wohltätigkeitsveranstaltung für amerikanische Paupers missrät, stellt die Opposition sicher: Mit ihrer Obstruktionspolitik rettet sie den „way of life“ des „hard working American“ vor dem Einsatz staatlicher Gelder und Gesetze zum Zwecke sozialistischer Bevormundung.

So werden demokratische Krisenpolitiker weltweit zielstrebig aktiv auf dem Feld der Lohnstückkosten und eines für deren Absenkung nützlichen Niveaus der sozialpolitischen Volksbetreuung. Dass sich mit Einsparungen in diesem Bereich die Kosten der Krise bezahlen ließen, glauben zwar vermutlich nicht einmal die deutschen Fanatiker einer Maßstäbe setzenden Sparpolitik. Aber dafür sorgen sie schon: dass die lohnabhängige Mehrheit, noch in Arbeit oder schon aussortiert, vollzählig bis zum letzten Normalrentner, Sozialhilfeempfänger und Krankheitsfall, bei der nationalen Krisenbewältigung nicht zu kurz kommt. Alle kleinen Leistungsträger und Opfer der kapitalistischen Produktionsweise, in Deutschland, den USA und anderswo, dürfen ihren Beitrag dazu leisten, dass die materielle Basis des Systems wieder ihren Dienst leistet; dass das Finanzkapital wieder Vertrauen fasst, nicht zuletzt in die Produktivkraft einer anständigen Herrschaft; dass die Geldmärkte wieder in Schwung kommen, so dass die Abwicklung der Krise bei den jeweils anderen stattfindet.

Genau so findet sie statt, die Krise.

[1] Am Anfang stand eine Irritation des Geldkapitals, die allein aus dessen vermögenswirksamer Beschäftigung mit sich selbst folgt, darauf allerdings nicht ganz beschränkt bleibt – so unsere Einordnung der damals noch so rubrizierten „US-Hypothekenkrise“ in Heft 3-07: Der Welterfolg einer neuen Technik finanzkapitalistischer Selbstbefriedigung macht weltweit Ärger. Anmerkungen zu einer Finanzkrise der ganz modernen Art. (Ablehnende Stellungnahmen zu diesem Artikel haben uns dann in Heft 4-07 zu einem Nachtrag bewogen: Nichts als Schwierigkeiten mit dem fiktiven Kapital: Die sogenannte US-Hypothekenkrise. In den Heften 3-08, 2-09 und 1-10 steht Grundsätzliches über Das Finanzkapital.) Der Halbsatz darauf allerdings nicht ganz beschränkt bleibt war als Litotes gemeint und hat sich so auch bewahrheitet: Die Irritation des Geldkapitals hat, ganz folgerichtig, genau das herbeigeführt, was in jenem ersten Artikel noch nicht Thema war, nämlich die Krise, die mit Notwendigkeit aus der Tatsache folgt, dass ‚die Bedingungen der unmittelbaren Exploitation und die ihrer Realisation ... nicht identisch‘ sind, vielmehr ‚nicht nur nach Zeit und Ort, sondern begrifflich auseinander‘ fallen... (Heft 3-07, S. 81, FN 1) Wie notwendig beides zusammenhängt, erläutert der Zusatz 3. zur kapitalistischen Krise im Allgemeinen und im Besonderen in Heft 2-09, S. 70 ff.) Deswegen haben wir uns in den Heften 3-08 (Anmerkungen zur Krise ’08) und 3-09 (Lehren aus zwei Jahren Weltwirtschaftskrise) mit dem Fortgang des Geschehens befasst und sehen gute Chancen für eine Fortsetzung in einem Jahr.

[2] Mehr hierzu in den Anmerkungen zu Griechenlands Staatsbankrott in Heft 1-10.