„US-Hypothekenkrise: Trockene Märkte, geschlossene Fonds, nervöse Anleger …“
Der Welterfolg einer neuen Technik finanzkapitalistischer Selbstbefriedigung macht weltweit Ärger
Anmerkungen zu einer Finanzkrise der ganz modernen Art

Ein paar Tausend US-amerikanische Häuslebauer geraten mit der Bezahlung ihrer Hypothekenschulden in Rückstand, und rund um den Globus erzittert die globalisierte Geschäftswelt, geraten Großbanken in die Klemme, droht eine Liquiditätskrise, die von den Notenbanken der 1. Welt mit einer Viertelbillion frischer Euros in Schach gehalten werden muss? Das kann ja wohl nicht wahr sein!

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US-Hypothekenkrise: Trockene Märkte, geschlossene Fonds, nervöse Anleger ... (HB, 10.8.2007)
Der Welterfolg einer neuen Technik finanzkapitalistischer Selbstbefriedigung macht weltweit Ärger
Anmerkungen zu einer Finanzkrise der ganz modernen Art [1]

Ein paar Tausend US-amerikanische Häuslebauer geraten mit der Bezahlung ihrer Hypothekenschulden in Rückstand, und rund um den Globus erzittert die globalisierte Geschäftswelt, geraten Großbanken in die Klemme, droht eine Liquiditätskrise, die von den Notenbanken der 1. Welt mit einer Viertelbillion frischer Euros in Schach gehalten werden muss? Das kann ja wohl nicht wahr sein!

Viel Dichtung und eine Wahrheit übers Kreditsystem: Von wegen „Dienstleistungsgewerbe“

Ist auch nicht die Wahrheit, jedenfalls nicht die ganze – erklären dem Laien Fachleute, die es schließlich wissen müssen. Die erzählen zwar gerne Geschichten vom US-Bürger, der „ungern zur Miete wohnt“ und deswegen lieber, obwohl er kein Geld hat und alle fünf Jahre sowieso umzieht, ein Haus nach dem andern kauft und wieder verkauft. Dieser ruhelose Geselle mit seinem Hang zum Leben und Wohnen auf Pump ist aber bloß der erste in einer ganzen Kette von Schuldigen, die die Experten namhaft zu machen wissen. Nummer Zwei sind die Agenten amerikanischer Bausparkassen, die ihrer Kundschaft Kredite aufschwatzen, ohne auf die Bonität ihrer Schuldner zu achten, geschweige denn ein Minimum an Eigenkapital für den Hauserwerb zu verlangen. Mitschuldig sind als Nächstes die Banken, die solche schlechten Kredite – man lernt den Ausdruck „Subprime“ – „verbriefen“ und in dieser Form rund um den Globus an andere Kreditinstitute, Hedge-Fonds, Heuschrecken und grundsolide kontinentaleuropäische Mittelstandsbanken weiter verkaufen. Bei deren Kunden, den Großanlegern vor allem, liegt die nächste Portion Schuld; zuerst, weil sie solche Papiere offenbar unbesehen kaufen, dann, weil sie wegen Einbrüchen im US-amerikanischen Hypothekengeschäft gleich in Panik geraten, zwischen guten und schlechten Krediten gar keinen Unterschied mehr machen, den Finanzmärkten ihre Geldanlagen vorenthalten und damit die Banken so verunsichern, dass die sich nicht einmal mehr gegenseitig über den Weg trauen und einen Kredit ’rausrücken. Diese Angsthasen sind selber auch mit schuld; denn sie haben am Entstehen einer enormen „Blase“ mitgewirkt, deren Platzen im Nachhinein schon längst abzusehen war. Das hätten vor allem die Rating-Agenturen merken müssen, die ihr Geld mit der Einschätzung der Qualität von Wertpapieren verdienen – haben sie aber nicht, vielleicht sogar mit Absicht nicht gemerkt, so dass auch die eine ganz entscheidende Menge Schuld am Krisengeschehen trifft. Insofern muss sich siebtens die staatliche Bankenaufsicht eine Mitschuld ankreiden lassen, weil sie diesen Agenturen beim Manipulieren von Einschätzungen und Bewertungen zu wenig auf die Finger geschaut hat. Aufs Ganze gesehen liegt die Hauptschuld vielleicht sogar überhaupt bei den Nationalbanken, die in früheren Krisenzeiten zu viel Geld in die Zirkulation geworfen und nicht wieder herausgeholt haben – da musste es einfach zu Übertreibungen kommen; dass ein Geldüberschuss unweigerlich zu einer Geldklemme führt, liegt ja irgendwie auf der Hand. Aus noch höherer, mehr seelsorgerischer Warte muss man freilich feststellen, dass es wieder einmal und wie immer, wenn etwas schief geht, die üblichen allgemeinmenschlichen Untugenden sind, die den alternativlos grundvernünftigen Gang der freien Marktwirtschaft durcheinandergebracht haben: Kurzsichtigkeit und Gier sind schuld – und diesmal außerdem als zehnter Faktor allzu weitsichtig auf automatischen Wertpapierverkauf programmierte Computer, denen nicht die allgemein bekannte Weisheit mit einprogrammiert worden ist, dass eine freie effektive Wirtschaft mindestens zur Hälfte „aus Psychologie besteht“ ...

Getrieben von nichts als der Sorge um gutes Gelingen der Geschäfte des globalisierten Finanzkapitals, fahnden die Kenner der Szene – als solche ausgewiesen durch routinierten Gebrauch der Terminologie, der Durchblick verbürgt – nach Verantwortlichen für die eingetretenen Störungen. Dabei verraten sie in ihren Erzählungen aus dem Innenleben der Branche immerhin eine Wahrheit über diesen Geschäftszweig, die mit der sonst gepflegten Vorstellung von (Finanz-)Dienstleistern gründlich aufräumt: Die Elite der kapitalistischen Geschäftswelt, die sich an der gewinnbringenden Zirkulation von Geld und Schulden abarbeitet, hat sich von der Organisation kreditfinanzierter Warenproduktion und -zirkulation radikal emanzipiert. Ihr Einsatz, die Leistungen, die sie zur Vermehrung ihres Geldvermögens erbringt, erreichen den gern zitierten riesigen Umfang durch eine täglich bilanzierte „Performance“, die mit verliehenen Vorschüssen für Betriebserweiterung oder Rationalisierung, mit Aufschub von Zahlungen im Handel und Konsum auf Kredit nichts mehr zu tun hat. Sicher, auch solche Geschäfte gehen weiter ihren Gang; und wenn deren Scheitern an einer Stelle als erster Grund für die aktuelle weltweite Krise des Finanzgeschäfts angeführt wird, dann ist das angesichts der Größenordnungen – angeblich sind es ganze 4 % der US-amerikanischen Hypothekenschuldner, die nicht mehr pünktlich zahlen, doch schlagartig fehlen dem internationalen Kreditgewerbe mehrere hundert Milliarden Dollar und Euro! – zwar grotesk, aber immerhin eine Erinnerung an den ökonomischen Ausgangspunkt der ganzen Sphäre: Irgendwer macht Schulden und kriegt gegen Zins Geld geliehen, um sich z. B. ein Haus zu kaufen oder seine Werkstatt zu vergrößern und sein Spülbecken zur Hotelkette oder seine Garage zum Software-Konzern auszubauen. Und die heftig vorgetragene Befürchtung, die Erschütterungen in den oberen Etagen der Finanzwelt könnten böse Wirkungen auf die gerade wieder konsolidierte „Realwirtschaft“ zeitigen, zeugt umgekehrt von einer Erinnerung daran, dass die Kreditwirtschaft gewisse Funktionen für die Wachstumsbedürfnisse des schaffenden Kapitals zu erfüllen hat. Allerdings kommt diese Erinnerung eben gleich als Besorgnis und in Verbindung mit der Hoffnung daher, die Verwerfungen in der Finanzszene möchten die dienstleisterischen Qualitäten des Gewerbes nicht beeinträchtigen: eine interessierte Sicht der Dinge, die die Spekulationen des Finanzkapitals wiederum als ein „Wirtschaften“ eigener Art, als einen gesonderten, sehr eigengesetzlich verfahrenden Bereich unserer freien Märkte würdigt.

„Verbrieft“: Verdoppelte Kapitalmacht als Geschäftsartikel

Einen ersten Hinweis auf die dort vorherrschende eigentümliche Art der Gewinnerwirtschaftung gibt bereits die – derzeit heftig gerügte – Gepflogenheit amerikanischer Hypothekenbanken, Agenten auszuschicken, die einer bedürftigen Kundschaft Kredite aufdrängen: Ganz offensichtlich sind diese Kreditinstitute darauf scharf, offene Forderungen in ihre Bücher zu kriegen. Und auch wenn die angewandten Methoden momentan verteufelt werden: Mit diesem Interesse stehen Amerikas Bankenvertreter überhaupt nicht allein. Das Kreditgewerbe insgesamt ist bestrebt, die gesamte kapitalistische Geschäftswelt, und deren Privatkundschaft gleich dazu, bei sich zu verschulden. Der gesunde Menschenverstand mag sich dieses Interesse noch mit den Zinsen erklären, die eine Bank bei ihren Schuldnern abgreift. Der ökonomische Sachverstand, dem das Bankgeschäft folgt, ist da jedoch entscheidend weiter. Für den sind ausgeliehene Gelder Aktiva, auf denen sich ein ganz neues Geschäft aufbauen lässt; z.B. in der jetzt so viel beredeten Form, dass Kredite „verbrieft“ werden, um sie „auf den Markt zu bringen“. Auch solche Operationen werden gerne verständlich gemacht – wieder soll der Menschenverstand so bedient werden, dass er freundlich zustimmend nickt – als eine ebenso naheliegende wie schlichte Fortsetzung des ersten Leihgeschäfts: Die Bank, die gerade Geld für Immobilienanleihen weggegeben hat, möchte sich ihrerseits neue „Liquidität“ verschaffen, um weitere Kunden mit Kredit bedienen zu können. Dafür gibt sie Anleihen aus, deren Rückzahlung sie mit echten Wertgegenständen absichert: den „hypothekarischen“ Pfandrechten, die ihr die Schuldner der bei ihr aufgenommenen Immobilienkredite an ihren Grundstücken einräumen mussten. Das macht diese Sorte Anleihen als „Pfandbriefe“ besonders „mündelsicher“ und die angestrebte „Refinanzierung“ ausgegebener Kredite leichter, weil das Engagement in diesem traditionellen Handel mit „verbrieften Forderungen“ seit jeher als besonders solide gilt ... Schon da trifft allerdings die Vorstellung, es ginge um Mittelbeschaffung für erneuten Dienst am Kunden, den Sinn und Zweck der Operation nicht so ganz – der Bank jedenfalls geht es darum, ihre Kreditmacht, i. e. ihre Fähigkeit zur Kreditschöpfung und die Ausweitung ihres Geschäfts durch die Emission börsengängiger Schuldverschreibungen zu steigern; die Hypothekenkredite, die sie vergibt, dienen ihr dazu, mit den daraus resultierenden Pfandrechten ihre Anleihen abzusichern.

Mit der Bewirtschaftung der offenen Forderungen aus denselben Geschäften, wie sie jetzt ins Gerede gekommen ist, kommen findige Banker noch ganz anders zur Sache; da täuscht das Stichwort „Refinanzierung“ geradezu darüber hinweg, welche Freiheit die sich tatsächlich herausnehmen. Wenn Banken solche offenen Forderungen verbriefen und zum Handelsartikel machen, dann ist klar: Es langt ihnen nicht, sich an der Verzinsung der ausgeliehenen Geldsumme zu bereichern. In dem Recht auf Zins, das ihnen zusteht, entdecken sie etwas Besseres: ihre Macht, die verbuchte Schuld als Kapitalanlage zu behandeln – wie eine kleine papierene Geldfabrik, die einem „Dritten“, der Geld hat und es vermehrt kriegen will, glatt eine Investition wert sein dürfte. Dass sie Geld weggegeben haben, das anderswo, in der Hand ihres Schuldners, als Kommandomittel über Arbeit und Reichtum seinen Dienst tut, hindert die Kreditmanager überhaupt nicht daran, die Zinsen, die man ihnen schuldet, wieder zu einem Wert hochzurechnen, der ganz praktisch die Macht besitzt, Geld zu schaffen, und diese Macht gleich nach zwei Seiten hin zu betätigen: Einem Geldanleger verkaufen sie diese Macht, bedienen mit dem „Brief“-Papier dessen Interesse, aus seinem Geldvermögen ein größeres zu machen; und das, ohne dass der sich mit der Produktion von wirklichem neuem Eigentum durch Lohnarbeiter herumplagen muss. Für die Geldanlage kommt es nur darauf an, dass sie in Konkurrenz zu anderen Angeboten der gleichen Art ein attraktives Verhältnis zwischen Investition und Ertrag verspricht. Dafür kassiert die Bank, und zwar so viel, wie sich aus dem Vergleich ihres Angebots mit anderen Anlageformen als „fairer Preis“ herausrechnen und herausholen lässt; wobei die geschäftliche Fairness allemal einschließt, dass sie mehr Geld herausholt, als sie ursprünglich verliehen hat. Kreditvergabe [2] ist mit der „Verbriefung“ von „Aktiva“ also nicht mehr eine mehr oder weniger risikoreiche Methode, aus Schuldnern Zinsen herauszupressen, sondern unmittelbar die Stiftung eines fiktiven Geldvermögens, dessen Wert durch den Verkauf des verbrieften Kredits an einen interessierten Geldanleger gleich zweifach realisiert wird:[3] Die Bank erschafft aus weggegebenem Geld ein Wertpapier, das ihr mehr als das weggegebene Geld einbringt und im dessen Erwerb den „Käufer“ nicht ärmer macht, sondern reicher zu machen verspricht. Der gibt sein Geld nicht einfach weg, sondern legt es an; in einem Zettel, der sich in seinem Portfolio als reale Macht zur Vermehrung der angelegten Summe betätigt; und die Bank bereichert sich durch die Umetikettierung von Schulden und die Beglaubigung des neuen Etiketts durch erfolgreichen Handel.[4]

Mit dieser Sorte Geschäft überwindet die Bank den Standpunkt der Bedienung des Schuldners und der Bedienung am Schuldner. Sie emanzipiert sich von den niederen Formen der Bereicherung per Teilhabe an fremden Profiten und Einkommen – und macht sich dafür nach der ganz anderen Seite hin abhängig: Sie setzt auf den Geldmarkt, i. e. darauf, dass sie für ihre verbrieften Kredite interessierte Geldanleger findet. Aus dem Kreditschöpfer, der sich mit seinen Kreditnehmern herumärgern muss, wird ein Emittent von Wertpapieren, der sich mit diesem Angebot seiner eigenen Welt zuwendet, der Welt der Finanzmärkte, und diese auffordert, auf ihn zu spekulieren.

„Asset Backed Securities“: Eine Kreation innovativer Geldmacherei, die mit dem Zuspruch kritisch vergleichender Anleger blüht und welkt

Nachdem die Bankenwelt diesen Weg der autonomen Selbstbereicherung eingeschlagen hat, überlässt sie die Nachfrage nach ihren Kunstprodukten weder dem Zufall noch irgendwelchen „Dritten“. Ein Absatzmarkt für verbriefte Forderungen will organisiert sein; und er wird organisiert: Banken gründen selber „Zweckgesellschaften“ für den Ankauf solcher Kredite, fremder wie eigener. Deren Tätigkeit kommt mit Bankkrediten in Gang: Mit geliehenem Geld kaufen sie den Banken einschlägige Wertpapiere ab, bringen sich so in den Besitz eines Anlagevermögens, das Wachstum verspricht, und eröffnen damit ihr eigenes Geschäft. Das besteht darin, eigene Wertpapiere „auf den Markt“ zu werfen; Papiere, die ihrerseits eine Teilhabe am Ertrag und Wachstum des Fondsvermögens versprechen, sich also zur Kapitalanlage eignen und sich darin wieder mit allen erdenklichen alternativen Arten der spekulativen Geldvermehrung vergleichen. Diese Papiere heißen auf angelsächsisch ABS, „Asset Backed Securities“:[5] ein Unterscheidungsmerkmal, mit dem den Aktiva der Banken, die in verbriefter Form an die neue Gesellschaft übergegangen sind, die Qualität von Garantien zuerkannt wird – für die neuen, zusätzlichen Geschäfte mit der Emission von „Securities“. Denen wird nämlich mit dem Attribut „Asset Backed“, „forderungsunterlegt“, das interessante Kompliment zueil, dass sie nicht aus der Luft gegriffen sind, sondern ein regelrechtes Vermögen „im Rücken“ oder als „Unterlage“ haben. Zugleich wird damit freilich ausgedrückt, dass die Ausgabe solcher „Securities“ ihr Maß nicht im zusammengezählten Kaufpreis der „Assets“, im ausgewiesenen Wert des Fondsvermögens hat; diese Vermögenstitel sind eben „Unterlage“, nicht Schranke für die Einsammlung von anlagewilligem Geldkapital. Und das Rendite- und Wachstumsversprechen, das diese Wertpapiere enthalten, das sie zu einer nächsten Form der Geldkapitalanlage macht und mit dem der Fonds Anleger anlockt, ist durch nichts weiter „gedeckt“ als durch das Versprechen des Emittenten, aus dem zugrunde liegenden Vermögen einen Zuwachs herauszuwirtschaften; mit welchen Methoden auch immer.[6] Es ist noch nicht einmal ein Recht auf Verzinsung, sondern die reine Spekulation auf gelingende Geschäfte: das Vertrauen auf die Leistungsfähigkeit der Geldvermehrungs-„Strategie“ des Fonds, womit dieser Geldanlagen mobilisiert und auf sich zieht. Deswegen sind es auch nicht einfach die „Assets“ und deren Zinserträge, die darüber entscheiden, was die „Securities“ taugen: ob sie überhaupt Abnehmer finden und zu welchem Preis und zu welchen Konditionen. Was die „Zweckgesellschaft“ der Gemeinde der Geldanleger anbietet, wird einer dauernden kritisch vergleichenden Überprüfung unterzogen. In diese Prüfung fließen Bewertungen der Bonität der Hypothekenschuldner – Aufgabe und Verdienstquelle für einen veritablen eigenen Geschäftszweig, wie man erfährt – ebenso ein wie Gutachten über die vergangene und zukünftige Entwicklung des Fonds; Verzinsungsversprechen werden abgewogen gegen das Risiko eines halben oder ganzen Verlustes oder auch gegen eine Absicherung der ursprünglichen Einlage;[7] und im Poker zwischen bevollmächtigten Profis des Finanzgeschäfts kriegen die Papiere einen Kurs.[8] Aus der „Zweckgesellschaft“, die einer oder mehreren Banken ihre verbrieften Kredite abkauft, wird also nur etwas, wenn sie es schafft, für Anlage-gierige Finanzjongleure attraktiv zu sein; und es wird aus ihr genau so viel, wie sie das hinkriegt und in Konkurrenz zu anderen Schöpfungen vergleichbarer Art Nachfrage nach ihren Geldzuwachs verheißenden Anteilen weckt. Es sind die tatsächlich hereinfließenden Geld-Investitionen, die das auf Kredit zusammengekaufte Wertpapiervermögen des Fonds als Kapitalanlage beglaubigen – oder auch nicht. Vom Erfolg am Kapitalmarkt hängt es ab, ob die Fonds-Manager genügend Mittel in die Hand bekommen, um mit einer erfolgreichen Wachstums-„Strategie“ dem Kapitalmarkt den nötigen Eindruck zu machen – das kommt davon, dass in dieser Sphäre das angebliche marktwirtschaftliche Grundgesetz von Angebot und Nachfrage einmal wirklich uneingeschränkt regiert.

Vom Angebot zur Nachfrage: Jede Menge Stoff fürs globale Portfolio

Was den Zufluss von Geldanlagen in die von ihnen konstruierten und/oder kreditierten „Zweckgesellschaften“ betrifft, so überlassen moderne Kreditinstitute auch das nicht irgendwelchen „Dritten“. Absatzmarkt für Fondsanteile, Kundschaft der großen Fondshäuser sind üblicherweise gerade die Banken selber (HB, 10.8.). Die handeln schließlich mit Krediten, schaffen für jeden guten Geschäftszweck die benötigten Geschäftsmittel, sind umgekehrt dauernd auf der Suche nach guten Geschäften, für die sich die Schaffung und Investition von Finanzmitteln lohnt; da versteht es sich von selbst, dass sie die Ersten sind, die in den Handel mit ABS einsteigen, und dass sie ihr Geld, das sie nicht zuletzt mit dem Verkauf verbriefter Forderungen und mit der Kreditierung der entsprechenden „Zweckgesellschaften“ verdienen, in den Kauf vielversprechender Fondsanteile hineinstecken. So stiften sie, schön zirkulär, Anlagemöglichkeiten für verfügbare Geld- und Kreditmittel und zugleich Finanzmittel für die Schaffung wie für die Ausnutzung von derartigen Kapitalanlagen. An der Investitionsspirale, die sie damit in Gang setzen, wirken natürlich auch andere „institutionelle Anleger“ mit; Pensionskassen z. B., Versicherungen – und nicht zuletzt Investmentfonds der nächsten Ableitungsstufe, die ihrerseits mit schon eingesammelten oder geliehenen Summen in das Geschäft mit solchen ABS hineingehen und den Kauf von Fondsanteilen dadurch „refinanzieren“, dass sie die erworbenen Wertpapiere als ihr wachstumsträchtiges Fondsvermögen deklarieren und darauf selber „Securities“ der nächsthöheren Sorte ausgeben. Anderweitig verdiente Gelder, Spareinlagen und Überschüsse aller Art, werden in diesen Zirkel der Kreditvermehrung hereingezogen und mit verarbeitet; doch weder hängt die Vervielfachung der aus einander erwachsenden und aufeinander bezogenen Vermögenstitel davon ab, noch wird der ganze Zirkus durch einen anderen Bedarf angetrieben als durch das Bedürfnis des Kreditgewerbes selber, sich Gelegenheiten zum Spekulieren und durch spekulative Investments die dafür nötigen Mittel zu verschaffen. Die Wertpapiere, die dieser innovative Geschäftszweig in die Welt setzt, gehen als willkommener Zusatz in den großen Kreislauf der globalen Kreditvermehrung ein; sie liefern den Künstlern des Gewerbes Stoff und Mittel für die Ausweitung des Umfangs finanzkapitalistischer „Wertschöpfung“.

Es ist daher schon ziemlich verwegen, wenn Kenner des Gewerbes in dem menschenfreundlichen Bemühen, dessen Machenschaften dem gemeinen Verstand begreiflich und sympathisch zu machen, sogar noch bei ABS-Transaktionen nach Gesichtspunkten suchen und glatt auch welche finden, unter denen dieser Geschäftszweig dem in diesem Zusammenhang als „Realwirtschaft“ etikettierten kapitalistischen Betrieb des Kaufens, Produzierens, Verkaufens und Schuldenmachens dienlich sein soll: Freunde des kommerziellen Kredits und einer risikofreien Schuldenwirtschaft loben es als „Risikostreuung“, wenn Banken Teile ihres Forderungsbestandes gebündelt und verbrieft weiterverkaufen, und finden es gut, wenn auf die Art Kredite aus den Büchern der Banken verschwinden, weil die dann solide mit Eigenkapital unterlegte neue Kredite an eine bedürftige Kundschaft ausleihen könnten; Anhänger eines florierenden Mittelstands sehen in der Verwandlung mittelständischer Schulden in Material für die großen Finanzmärkte einen Königsweg des Kleingewerbes zu den unerschöpflichen Kreditquellen des internationalen Geldkapitals... Tatsächlich kann von solchen Diensten als ökonomischem Grund und Zweck des ganzen Geschäftszweigs überhaupt nicht die Rede sein und noch nicht einmal wirklich davon, er wäre fürs Refinanzieren von Bankkrediten erfunden worden. Mit Zweck und Mittel verhält es sich hier definitiv umgekehrt: Ihr Geschäft machen die „Zweckgesellschaften“, die ABS emittieren, und die Banken, die solche Fonds gründen und finanzieren und als Kunden beehren, damit, dass sie der Finanzgeschäftswelt, also vor allem sich selber Gelegenheiten zur Geldanlage bieten und Nachfrage nach ihren „Securities“ wecken. Es geht den Kreditinstituten um ihre Karriere: vom Gläubiger, der sich an seinen kommerziellen Schuldnern bereichert, zum Emittenten von Wertpapieren; weiter zum Gründer und Finanzier von Fonds, die diese Wertpapiere absorbieren und selber Wertpapiere der nächsten Stufe herausgeben; schließlich zum Investor, der fremdes Geld und die eigene Kreditmacht durch Geldanlagen in Rendite und Wachstum bringenden „Securities“ vermehrt und sich mit denen als Teil seines Portfolios weitere Gelegenheiten zum Spekulieren erschließt und Mittel fürs Spekulieren schafft. Zweck der Veranstaltung ist – dasselbe am Material ausgedrückt – der Aufstieg des Bankkredits: von der ausgeliehenen Geldsumme zum Wertpapier, das Schulden in ein auf Wachstum programmiertes Vermögen verwandelt, und weiter zum immer komplexeren Finanzprodukt; da firmieren ABS mal wegen ihrer „Assets“ als wirklich Sicherheit stiftende Beimischung zu einem Bündel anderer „hochspekulativer“ Wertpapieren, mal wegen der fragwürdigen Bonität und hohen Verzinsung der „Assets“ als besonders spekulativer Bestandteil eines „Produkts“; sie teilen und beeinflussen das Schicksal der daraus abgeleiteten Derivate; sie werden weiterverarbeitet, bis am Ende die Fachwelt selber den Überblick verliert und der verloren gegangenen „Transparenz“ nachtrauert; und dank solch exzessiver Verwendung verbreiten sie sich in eindrucksvoller Größenordnung [9] über das gesamte finanzkapitalistische Universum.

Von wegen „Risikostreuung“: Wertschöpfung durch Vertrauen – einmal hin und zurück

Die Vermögen in Wertpapierform, die auf diese Weise entstehen, haben mit so primitiven Posten wie dem Kauf- oder Wiederverkaufspreis fremdfinanzierter Häuser oder Produktionsstätten, den hochgerechneten Zinserträgen eines Hypothekenkredits oder einem Anteil am Jahresüberschuss eines Kaufhauses nicht mehr viel zu tun. Sie sind das Produkt der Nachfrage nach Wertpapieren, die sich von der ersten Transaktion zwischen Geschäftsbank und „Zweckgesellschaft“ an vervielfachen, und ihrer extensiven Weiterverwendung. Nachfrage und Verwendung sind ihrerseits Produkt, Indikator und insofern auch selber wieder Grund des Vertrauens in den jeweiligen Fonds und dessen Potenz zur Vermehrung der ihm anvertrauten Kapitalanlagen. Eben weil das so ist, die Nachfrage nach dem Objekt der Begierde für dessen Attraktivität entscheidend ist, schließt dieses Vertrauen per se ein immer waches Misstrauen mit ein; und die Beantwortung der dauernd virulenten Vertrauensfrage wirkt, je nach dem, in die eine oder die andere Richtung. Starkes Zutrauen und entsprechend große Nachfrage bestätigen den Wert der nachgefragten „Securities“ und lassen Geldmittel und Wert des Fonds wachsen. So ein Erfolg wirkt sogar auf den Wert der verbrieften Bankdarlehen zurück, die die „Zweckgesellschaft“ sich beschafft hat und die sie sich neu beschafft, um die eingesammelten Gelder gewinnbringend anzulegen und so ihre eigenen Wertpapiere, die ausgegebenen „Securities“, mit „Assets“ zu untermauern: Die vom Zuspruch zu dem investierenden Fonds getriebene Nachfrage nach Rendite versprechenden Papieren treibt deren Preis – und damit wiederum den Wert des Vermögens, mit dessen Vermehrung der Fonds Vertrauen in sich und seine Anteile schafft. Die erzielte Wertsteigerung ist ihrerseits dazu angetan, das Zutrauen zu stabilisieren, weitere Geldanleger anzulocken und neu emittierte ABS als solide Geldanlage zu beglaubigen; sie befähigt außerdem den Fonds dazu, mit ganz viel Kredit sein Geschäft und damit die Nachfrage nach seinen eigenen Vermögensbestandteilen auszuweiten, also sein Geschäft weiter in die Höhe zu „hebeln“; auf derart solide gemachte „Securities“ des einen Fonds lässt sich auch sehr gut eine nächste „Zweckgesellschaft“ gründen... So mehren und „verzinsen“ sich die „Investments“ unabhängig von den Zinsen, die tatsächlich für die Schulden erster Ordnung eingetrieben werden, und der allgemeine Gebrauch der Papiere als Kapitalanlage bestätigt und bekräftigt die Loslösung ihres Werts von dessen Grundlage in banalen Leihgeschäften – umgekehrt ihre Abhängigkeit von dem Interesse, sie weiterhin zu benutzen, mit ihnen und auf sie als Bestandteile eines zeitgemäßen Portfolios zu spekulieren.

Die vermögenswirksame, renditeschaffende Kraft des Vertrauens in die Vermehrung des angelegten Geldes beruht allerdings darauf, schließt deswegen ein und hängt davon ab, dass mit den eingesammelten Geldern auch wirklich kein anderer ökonomischer Zweck verfolgt wird als der, das Vertrauen in die Solidität des Fondsvermögens und seine Wachstums-„Strategie“ zu festigen, immer neue Nachfrage und immer weitere Verwendung zu generieren. Die „Realisierung“ der Einlagen, mit denen die „Zweckgesellschaft“ sich „refinanziert“, in der Form, dass die Anleger sie sich nach ihrem Bedarf samt Zuwachs auszahlen lassen, ist in deren Geldvermehrungsprogramm im Prinzip nicht vorgesehen [10] – ist zwar unschädlich, solange die herausgezogenen Summen unbeachtlich bleiben und Abflüsse sich durch Zufluss neuer „Investments“ kompensieren lassen. So viel steht aber fest: Der Grundbedeutung ihres Namens, nämlich dem Versprechen, Sicherheit zu stiften, genügen die „Securities“ nur dadurch, dass auf sie vertraut wird und ihr Käufer sie in seinem Portfolio hält, und auch nur so lange, wie das der Fall ist. Im andern Fall, wenn ein Vertrauensverlust um sich greift und deutlich mehr Fondsanteile zurückgegeben als nachgefragt und verkauft werden, wird deren Wert zunehmend fragwürdig – bis der Fonds „geschlossen“, also nichts mehr zurückgenommen und ausgezahlt wird: Die papierenen Werte lösen sich in Verluste auf und führen rückwirkend den Wert der Bestandteile des jeweiligen Fondsvermögens, schließlich den der „Assets“, auf eine verschwindende Größe zurück.[11] Das reißt auf der anderen Seite all die komplexen Produkte, in die solche Fondspapiere hineinverarbeitet, und alle Kredite, die darauf vergeben und gegründet worden sind, die gesamte finanzkapitalistische „Wertschöpfungskette“ eben, in den Zirkel des Wertverlustes mit ’rein – so viel zum Thema ABS-Transaktionen als Mittel zur Risikominderung durch Risikostreuung ...

Noch mal: Techniken und Kehrseite der unerlässlichen Vertrauenspflege zwischen Finanzhaien

Gegen das Misstrauen, das geeignet ist, die gesamte autonome Selbstbereicherung des Finanzkapitals wieder rückwärts laufenzulassen und einen Offenbarungseid über die fiktive Natur der Werte herbeizuführen, die zwischenzeitlich durchaus als kapitalistische Kommandomacht über Reichtum jeder Sorte wirksam geworden sind – dagegen lässt sich immerhin etwas tun; und dagegen wird auch einiges getan. Das fängt auf der untersten Ebene der offenen Kreditforderungen an: „Zweckgesellschaften“, die einer Bank Kredite abkaufen, verzichten keineswegs aufs Eintreiben der geschuldeten Zins- und Tilgungszahlungen. Im Gegenteil: Gerade weil es ihnen weniger auf die eingetriebenen paar Kröten als solche ankommt als vielmehr auf ihre Überzeugungskraft für Geldanleger und deswegen auf die Seriosität ihres Geschäftsgebarens und die Glaubwürdigkeit der Vermögenstitel, mit denen sie ihre eigenen Wertpapiere untermauern, hat ein Schuldner bei seinen neuen Gläubigern nichts zu lachen. Aus demselben Grund, nämlich weil ihr guter Ruf als zuverlässige Fondsvermögensvermehrer das einzige und entscheidende Produktionsmittel dieser Abteilung Finanzindustrie darstellt, pflegen deren Manager Versicherungen gegen das Ausfallrisiko abzuschließen, das sie zusammen mit den verbrieften offenen Forderungen übernommen haben. Solche Absicherungsbedürfnisse, notwendige Kehrseite jeder finanzunternehmerischen Risikobereitschaft, ist die Grundlage für eine weitere Sorte Wertpapiere – die heißen dann z. B. CDS, „Credit Default Swaps“ –, mit denen entsprechend spezialisierte Hedge-Fonds ihr Geschäft machen, indem sie ihrerseits den verbrieften Wert ihrer Garantieleistungen in der Erwartung, sie nicht erbringen zu müssen, als ihr Fonds-eigenes Kapitalvermögen behandeln [12] und auf sich selber Wertpapiere ausgeben; die sind dann wieder so viel wert, wie sie Absatz finden, und finden so viel Absatz, wie sie Vertrauen darauf erwecken, dass die Spekulation des Fonds aufgeht. Der Vertrauenspflege dienen außerdem so sinnreiche Konstruktionen wie die CDOs, „Collateralized Debt Obligations“: Die „Zweckgesellschaft“ teilt ihre „Securities“ in „Tranchen“ unterschiedlicher Qualität auf: in solche, die überdurchschnittlich am Fonds-Gewinn teilhaben, im Falle eines Wertverlustes aber auch als Erste betroffen sind;[13] in solche, die erst bei höheren Wertverlusten des Fonds selber an Wert verlieren, dafür aber auch geringer rentieren; und in eine mittlere Tranche, die fantasievollerweise „Mezzanine“ genannt wird. So werden die Risiken schön gestaffelt den Geldanlegern aufgebürdet. Für kritische Geschäftslagen, also für den Fall sei es einer Entwertung der „Assets“, sei es einer das übliche, einkalkulierte Maß übersteigenden Rückgabe von Fondsanteilen welcher Art auch immer und eines dementsprechend drohenden Wertverlustes dieser Papiere, verfügen vertrauenswürdige „Zweckgesellschaften“ außerdem über feste Kreditlinien; nicht selten bei der Bank, der sie Forderungen abgekauft haben.[14] Die Banken ihrerseits tun schon vorsorglich das Ihre, um nicht selber für womöglich fällige Wertverluste der von ihnen geschaffenen, garantierten und/oder kreditierten Fonds einstehen zu müssen: Sie sehen zu, dass sie die Gelder ihrer Kunden in diese Fonds hineinlenken. So lässt sich Vertrauen stiften.

Das heißt bloß auf der anderen Seite: Außer dem Vertrauen, dass ein Fonds „gut aufgestellt“ ist und mit seinem raffiniert erwirtschafteten und per Anteilsverkauf sich selbst generierenden Vermögenswachstum alles immer so weiter geht, also außer einer Nachfrage nach Fondsanteilen, die immer mal wieder getätigte Anteilsverkäufe aufwiegt, steht nichts und niemand für die eskalierenden Vermögenssummen gerade. Ihr Kapital ist nichts anderes als kapitalisiertes Vertrauen. Sobald in größerem Stil, aus welchem Grund und Anlass auch immer, „Kasse gemacht“ wird und ein Fonds sich genötigt sieht, Vermögensposten aufzulösen, um seine Anteilseigner auszuzahlen, sorgt er für den Wertverfall dieser Posten; die Wertpapiere, die er ausgegeben, ebenso wie die, die er anderen Fonds oder Banken abgekauft hat, lösen sich in Nichts auf; die „Assets“ selber werden bestenfalls auf den Wert der ursprünglichen Forderung gedrückt; Kredite werden fällig und erweise sich als faul. Auch nach der negativen Seite hin bewährt sich eben die Kunst der Verabsolutierung des Kreditgeschäfts, auf die die moderne Finanzindustrie so stolz ist: Weil die von jedem „reellen“ Geschäft mit wirklichen Gebrauchsgütern emanzipierte Wertschöpfung durch vertrauensvolle Nachfrage nach Wertpapieren wirklich nichts anderes bewirkt als eben dies, gehen die geschöpften Werte und die darauf gegründeten Kredite und die Geldanlagen, in die diese wieder verwandelt worden sind, durch ein von Misstrauen diktiertes Angebot einschlägiger Papiere auch genauso effektiv zugrunde.[15] Alles, was zwischendrin aus der wunderbaren Vermögensvermehrung an wirklicher Kaufkraft abgeschöpft und für wirklichen Warenreichtum verausgabt worden ist, vom Glaspalast der Fonds-Zentrale und dem Luxusleben des Managements bis zur Rente für die Kundschaft einschlägig investierter Rentenkassen, wird entweder aus den Zins- und anderen Gewinnen beglichen, die die jeweilige „Zweckgesellschaft“ tatsächlich aus ihrem Kapitalvermögen herausgewirtschaftet hat – oder es schlägt per saldo als Verlust bei den Investoren zu Buche, die ihr Geld in eine dieser modernen Wertpapiervermehrungsmaschinen hineingetan und nicht rechtzeitig wieder herausgezogen haben.

Die aktuelle Krise (I): Von wegen „Übertreibung“ – Finanzkapitalistische Räson in Vollendung

Und so viel ist klar: Diese Maschinerie gerät so zuverlässig, wie sie arbeitet und Vermögensziffern wachsen lässt, auch immer mal wieder ins Stocken, vernichtet ihre Produkte so leicht und flott, wie sie sie geschaffen hat, und enteignet Geldanleger, die nicht als Erste auf Kosten der anderen Anteilseigner ausgestiegen sind. Dieser Fall, in kleinem Rahmen dauernde Begleiterscheinung des Wachstums in dieser Spezialbranche des modernen Finanzkapitalismus, zieht derzeit, ausgehend vom US-amerikanischen Hypothekenmarkt, unaufhaltsam immer weitere Kreise.

Von welcher Stelle im Kredit-„Überbau“ der Umschlag in ein immer allgemeineres Misstrauen ausgegangen ist, ist vollkommen gleichgültig und auch kaum eindeutig zu entscheiden. Klar ist auf alle Fälle, dass den Hypothekenbanken ihre verbrieften, i. e. in Geldanlagen transformierten und als Vermögensplus verbuchten Hypothekenkredite von ihren Geschäftspartnern nicht mehr abgenommen worden sind und werden – dass diese Wertpapiere damit ihren Wert eingebüßt haben und darauf basierende Fonds wertlos geworden sind, ist sicher genauso wahr wie das Umgekehrte, dass die „Securities“ solcher Fonds nicht mehr den für ihre Werterhaltung nötigen Absatz gefunden haben und die deswegen nötige Liquidierung ihrer „Assets“ die Nachfrage danach zum Erliegen gebracht und damit den Geldanlagewert verbriefter Hypothekenkredite kaputt gemacht hat. Fest steht außerdem: Für die „Zurückhaltung“ der Spekulanten – egal, ob sie zuerst die ABS-Fonds oder zuerst die Hypothekenbanken getroffen hat – dürfte der von den engagierten Rating-Agenturen erst klein gehandelte, dann breitgetretene Verdacht, eine in Aussicht stehende Zinserhöhung könnte zu massenhafter Zahlungsunfähigkeit unter Amerikas Schuldnern führen, eine weit größere Rolle spielen als die tatsächlich eingetretene Zahlungsunfähigkeit von ein paar Zehntausend Hypothekenschuldnern, bei denen die Banken schon fleißig abkassiert haben und an deren Immobilie sie sich per Zwangsversteigerung noch allemal einigermaßen schadlos halten können. Dass das alles nicht der Grund der „Schockwelle“ – und insofern das Gerede von der „amerikanischen Immobilienkrise“ mindestens irreführend – ist, steht drittens ganz eindeutig fest: Wenn Nachfrage Vermögen schafft und Vertrauen in spekulativ geschaffenes Vermögen die Nachfrage stiftet, dann ist dieser absurde Zirkel selber in dem Maße, wie er Vermögen vermehrt, auch der Grund für seine immer drohende Rückwärts-Abwicklung. Und wenn alle Welt mit den entsprechenden Derivaten herumwirtschaftet, dann ist das auch der Grund dafür, dass das Misstrauen gegen ABS auf Basis besonders fragwürdiger – „Subprime-“ – Hypothekengeschäfte in den USA sich verallgemeinert.

Das ohnehin dauernd rumorende Misstrauen gegen das Geschäft mit verbrieften Krediten überhaupt wird nun also akut. Es schlägt, verständlicherweise, da besonders zu, wo Kredite überhaupt nur deswegen vergeben werden, weil ihre „Refinanzierung“ durch ABS-Fonds vorgesehen ist – nämlich damit sie auf die Art weiter verarbeitet werden, was heutzutage offenbar für so ziemlich alle größeren Kredit-Abenteuer gilt.[16] Und erstaunt nimmt die Welt zur Kenntnis, wie weit diese Art von Kreditgeschäft mittlerweile verbreitet, wie allgemein sie geworden und wie flächendeckend sie mit den elementaren Finanzdienstleistungen der Bankenwelt verflochten ist – so nämlich, dass der drohende Ruin etlicher Fonds, die jetzt als Problemfälle gelten, den Geschäftsverkehr der Kreditinstitute insgesamt ins Stolpern bringt und die kreditabhängige Profitmacherei zu gefährden droht. Was natürlich nicht passieren darf; und deswegen sind als Erste die ideell verantwortlichen Dolmetscher des absurden Geschehens mit einer trostreichen Deutung der Lage behilflich, die einmal mehr an den leichter verständlichen und allgemein akzeptierten Ausgangspunkt und funktionalen Dienst des Kreditgewerbes anknüpft: an das konstruktive Verhältnis zum schaffenden Kapital, von dem es sich gründlich emanzipiert hat. Diagnostiziert wird ein Fall von heilloser Übertreibung: An sich ganz normale und solide Refinanzierungsgeschäfte wären zu einer „Blase“ entartet und würden durch deren aktuelles „Platzen“ auf ihren guten harten Kern zurückgeführt.

Die theoretische Aufteilung der Affäre in einen ganz vernünftigen und einen irrationalen, einen redlichen und einen entgleisten Teil verkennt allerdings ziemlich gründlich das Verhältnis zwischen Zweck und Mittel, das im Finanzkapital im Allgemeinen herrscht und im Geschäft mit der Verabsolutierung des Kredits ganz uneingeschränkt zum Zuge kommt, also die ökonomische Logik und deswegen auch die eigentümlichen Leistungen dieser Sphäre. Fürs Kreditgewerbe ist alles, was andere „Marktteilnehmer“ mit Geld anstellen, privater Konsum so gut wie professionelle Profitmacherei jeder beliebigen Größenordnung, nicht mehr und nicht weniger als eine Gelegenheit, daraus sein eigenes Geschäft zu machen, nach seinen Gesetzen der Kreditschöpfung, der Verwandlung von Gewinnerwartungen in Kapital und der Inanspruchnahme fremden Geldes und fremder Geschäftstätigkeit für die Rechtfertigung seines Kredits und für die Beglaubigung des fiktiven Kapitals. So vermehrt dieses Gewerbe sein Kapital; und das gnadenlos so lange, wie sich Schuldner und Geldanleger dafür in Anspruch nehmen lassen – und wie es selber als Kreditschöpfer und Geldanleger sein eigenes Spiel mitspielt. Die fortschrittlichsten Zweigstellen kümmern sich schon gar nicht mehr um die niederen Abteilungen, wo Wechsel diskontiert und Bausparkassenverträge abgeschlossen werden; sie steigen überhaupt erst da ins Geschäft ein, wo Gewinnerwartungen als solche zum Geschäftsartikel werden: Sie machen daraus Geldkapital und aus dessen Rendite neue Wachstumspapiere. Doch schon vom ersten Diskontgeschäft und vom einfachsten Kreditvertrag an dient das Finanzkapital nicht einfach dem restlichen kapitalistischen Publikum, sondern nimmt dessen Geldbedürfnisse für sich in Dienst. Und wenn schon beim Derivate-Geschäft der jetzt so kritisch gewordenen Art von Übertreibungen die Rede sein soll, dann finden die auf alle Fälle nach genau der Logik statt, die das Kreditgewerbe von Anfang an befolgt und unablässig zu perfektionieren sucht: Vermögensbildung in Spekulantenhand durch Verwandlung von Schuldverhältnissen in Kapitalvermögen. Damit kommt ein spekulativer Zirkel in Gang, der sich gegen die Notwendigkeiten der Geldvermehrung durch kapitalistisch erfolgreiche Anwendung von Arbeit absolut setzt, damit von deren Schranken emanzipiert, sich dabei freilich auf deren Leistungen verlässt und für sich in Anspruch nimmt, was in den niederen Sphären kapitalistischer Ausbeutung produziert wird. Im modernen Geldgewerbe geht es von Anfang bis Ende um nichts weiter als um die Stiftung fiktiver Geldvermögen und die Lizenz zur Attraktion, Vermehrung, Vernichtung und Umverteilung des Geldvermögens anderer Leute. Was hierbei die gute von der schlechten Seite unterscheidet, ist allein der Zeitpunkt, zu dem ein Geldanleger aussteigt und sein fiktiv vermehrtes Vermögen auf fremde Kosten real ‚mitnimmt‘. Und dieser Zeitpunkt hat von Anfang an den Nachteil, dass er sich so richtig immer erst im Nachhinein herausstellt.

Die aktuelle Krise (II): Eine „Überakkumulation“ sui generis

Immerhin, einen sachlichen Anhaltspunkt hat die Vorstellung von einer haltlosen Übertreibung der Finanzmärkte als Grund für ihren momentanen „Zusammenbruch“ in der Tatsache, dass die moderne Spitzenabteilung des globalen Kreditgeschäfts ihren eigenen Konjunkturablauf aufweist – die Vorstellung ist überhaupt der affirmative Vers, den der parteiliche Sachverstand sich auf diesen Konjunkturverlauf macht. In dem Maße nämlich, wie sie mit dem Versprechen sicheren Wachstums Zuflüsse in ihre „Zweckgesellschaften“ mobilisiert, generiert und potenziert, hält die Elite der Finanzindustrie aktiv Ausschau nach Schulden, die sich verbriefen und zur Grundlage einer verselbstständigten Gewinnerwartung – zum „Asset“ für „Securities“ – machen lassen; auf deren raffinierter Bewirtschaftung beruht schließlich die Überzeugungskraft, die ihre Angebote vor allem für sie selber haben müssen, um Vertrauen zu stiften, das allgegenwärtige Misstrauen in Schach zu halten, nachhaltige Nachfrage zu erzeugen und das Wunder der Wertschöpfung wahr werden zu lassen. Der Bedarf an solchem Rohstoff für ihr Gewerbe treibt den Preis, zu dem sie sich gegenseitig Forderungen und Sicherheiten ab- und verkaufen. Der Bedarf richtet sich außerdem, je mehr er wächst, auf umso fragwürdigere Objekte; Banken werfen immer wackligere Forderungen auf den Markt für zinstragende Papiere, finden sich ermuntert, immer schlechteren Schuldnern Kredite anzudrehen, weil sie die in verbriefter Form sogleich an einschlägige „Zweckgesellschaften“ los werden bzw. um die Nachfrage dieser – von ihnen selbst gegründeten – Fonds nach derartigen „Assets“ zu befriedigen. Damit bewegt sich der gesamte Geschäftszweig mit all dem Vertrauen, das er mobilisiert, zielstrebig auf den Punkt zu, an dem die Akteure ihrem eigenen Machwerk nicht mehr über den Weg trauen. Sie lauern, zunehmend misstrauisch, am Ende nur noch auf den Zeitpunkt für erfolgreiches Kasse-Machen; und wenn sie ihn für gekommen halten, ist er auch schon so gut wie vorbei; denn damit lösen sie den Umschlag des Geschäftsgangs in eine Spirale des Misstrauens aus. Dass in dem Zusammenhang jetzt zahlungsunfähige amerikanische Häuslebauer als Argument und deren Hypothekenbanken mit ihrer „Schieflage“ als Auslöser zu globalen Ehren gekommen sind, ist ein Treppenwitz, der zum Irrsinn der ganzen Affäre aber auch wieder ganz gut passt: Ausgerechnet da fängt die Industrie für fiktive Reichtumsvermehrung an zu scheitern, wo sie einen Berührungspunkt mit der Armut im Mutterland des Kapitalismus aufweist...[17]

Die selbstverfertigte Vertrauenskrise des Finanzgewerbes bleibt selbstverständlich nicht auf dessen Spitzenerzeugnisse beschränkt. Ganz praktisch stellt sich heraus, dass der ganze restliche Kapitalismus zum Objekt für Spekulanten herabgesetzt ist, die ihr Vertrauen in die unaufhaltsame Vermehrung der von ihnen geschaffenen Kapitalvermögen allen Ernstes, und nicht einmal zu Unrecht, für die maßgebliche Quelle aller profitbringenden Geschäftstätigkeit halten: Mit ihrem Misstrauen in ihre eigenen Machenschaften legen sie nicht bloß sich selber und einander, sondern die fürs kapitalistische Produzieren und Handeltreiben unerlässlichen Kreditoperationen lahm. Mit dem Spielabbruch wird offenkundig, welchen Dienst das Finanzkapital bis dahin noch in seiner Verabsolutierung gegen den sonstigen Geschäftsgang für diesen geleistet hat: Es sorgt für eine Überfülle an Investitionsmitteln, insofern für ein Überangebot an Kredit für jeden beliebigen Zweck. Diesen Nutzen stiftet es allerdings in Abhängigkeit von Spekulationsgeschäften nach seinem eigenen Kalkül und nur so lange, wie es auf deren Gelingen vertraut. Also droht mit der Eskalation des Misstrauens in den oberen Etagen des Finanzgewerbes dem gesamten kapitalistischen Unterbau Knappheit an seinem alles entscheidenden Geschäftsmittel: Kreditmangel gefährdet die Konjunktur der „Realwirtschaft“, die doch gerade so schon angeheizt worden ist.

Und was ist die Reaktion?

Ein Notruf der finanzkapitalistischen ‚Masters of the Universe‘ – und der glanzvolle Auftritt des zuständigen ‚Deus ex Machina‘

Eine ganze „globalisierte“ Geschäftswelt, deren Akteure ansonsten eifersüchtig darauf bedacht sind, dass ihnen niemand in ihr autonomes Handwerk pfuscht; deren Manager für sich absolute Handlungsfreiheit fordern und schon jede gesetzliche Anstandsregel für geschäftsschädigende Freiheitsberaubung halten; deren akademisch gebildete Apologeten darauf schwören, dass „die Märkte“ nur dann wirklich so effektiv und reibungslos, so selbsttätig und selbstregulierend, wie es ihre Natur ist, funktionieren können, wenn man sie ganz sich selber überlässt: Alle Welt seufzt im Chor nach einem Höheren Wesen, das „den Märkten“ aus ihrem unentrinnbaren Misstrauenszirkel heraushilft und sie wieder flott macht.

Und siehe da: Das Wesen gibt es tatsächlich; und es tritt auch glatt in Aktion. Die öffentliche Gewalt an den großen Kapitalstandorten, der kein Globalisierungstheoretiker noch politische Großtaten zutrauen mochte, wird in Gestalt ihrer Zentralbanken aktiv und gibt der Finanzwelt den Kredit, den die sich selbst nicht mehr geben mag. Binnen Stunden versorgen EZB & Freunde ihre ehrenwerte Kundschaft mit 100 und dann noch mal 60 und noch mal x plus 40 Milliarden Euros, mit verbilligten Dollars und mit jeder Menge Yens. Die sammeln sie von niemandem ein, weder vorher noch hinterher: Die stiften sie. Und brauchen dafür, wie die zuständigen Experten ihrem auf staatliche Sparsamkeit und knappe öffentliche Kassen eingeschworenen Publikum fachkundig erklären, weder Steuern zu erhöhen noch Geldvorräte zu beschlagnahmen – und noch nicht einmal die Gelddruckmaschinen anzuwerfen: Um der bei ihnen akkreditierten Bankenwelt jede Summe gutzuschreiben, für die deren Mitglieder Bedarf anmelden und um die 4 % Zinsen zu zahlen bereit sind, reicht den autonomen Zentralbanken ihre gesetzliche Befugnis. Mit der Gewalt, die die Staaten ihnen verleihen, ersetzen sie das Geld stiftende Vertrauen, das den hyperaktiven Finanzkapitalisten abhandengekommen ist. Aus dem Teil staatlicher Souveränität, der ihnen übertragen ist, verfertigen sie schlagkräftige Kreditmittel. Und das tun sie so lange, bis ihr Gewaltakt dem allgemeinen Misstrauen ein Ende macht und neues Vertrauen stiftet. So retten die in ihrer Sorge um einen funktionierenden Weltkapitalismus vereinigten Großmächte zwar nicht die kaputt gegangenen Vermögenstitel und Kredite – und schon gar nicht die mit ein paar Tausendern bereits überschuldeten Häuslebauer in Amerika –, dafür aber das System, das solche Vermögenstitel schafft und kaputt macht und das materielle Überleben der Menschheit mittelbar und äußerst effektiv von den Konjunkturen seiner Finanzindustrie abhängig macht. Mit ihrer Rettungstat ermächtigen sie diese seltsame Industrie auch dazu, selber zu entscheiden, wann sie wieder Zutrauen zu sich selber fasst, wie viel Vermögen sie vorher noch zu annullieren beliebt, wen sie erst noch alles in Geldverlegenheit bringt – und unter welchen Bedingungen sie die Produktion von „Securities“ wieder anlaufen lässt. Denn das steht fest, auch wenn der „gesunde Menschenverstand“ etlicher Experten erst einmal kopfschüttelnd danebensteht und sich fragt, ob das Kreditgewerbe wohl diesmal dazugelernt hat, aus Erfahrung klug geworden ist und ein Wachstum ohne Übertreibung und Blasenbildung hinkriegt: Eine andere Lösung für so eine Kreditkrise gibt es schlechterdings nicht als die, alles wieder von vorn losgehen zu lassen.[18]

Hinzu kommen selbstverständlich lauter gute Ratschläge, Vorsätze und Forderungen, es ganz bestimmt nie wieder so weit kommen zu lassen; Vorsätze, die womöglich sogar zu gesetzlichen Vorschriften über Transparenz und Kontrolle, zumindest eine effektive Selbstkontrolle des Systems geraten.[19] Denn die Spekulation geben weder die politischen Herren der Weltwirtschaft noch die praktizierenden Herren des globalen Geldgeschäfts, weder die akademischen Fachleute noch die am Jahresgewinn beteiligten Broker jemals auf; die erwacht im Gegenteil mit jeder Krise frisch und neu: Das müsste doch zu machen sein, dass man das Spekulative am Spekulieren wegkontrolliert kriegt.[20] Im Zeichen dieser spekulativen Erwartung geht das Finanzkapital seit jeher über seine selbstfabrizierten Leichen in seinen nächsten selbstfabrizierten Konjunkturzyklus hinein.

[1] Die Krise, die mit Notwendigkeit aus der Tatsache folgt, dass die Bedingungen der unmittelbaren Exploitation und die ihrer Realisation ... nicht identisch sind, vielmehr nicht nur nach Zeit und Ort, sondern auch begrifflich auseinander fallen (Karl Marx, Das Kapital, Bd. 3, MEW 25, S. 254), ist hier nicht Thema. Was sich im Sommer dieses Jahres an den Weltfinanzmärkten abspielt, ist eine Irritation des Geldkapitals, die allein aus dessen vermögenswirksamer Beschäftigung mit sich selbst folgt, darauf allerdings nicht ganz beschränkt bleibt.

[2] Das ist einfach zu haben. Moderne Banker verfügen über verschiedene Methoden, solche Überschüsse zu kassieren. Die schlichteste geht so: Sie behalten einen Teil der Zinsen selber ein – ein halbes Prozent hat sich angeblich für viele Transaktionen eingebürgert. Man kann aber auch Kredite verschiedener Bonität mit entsprechend divergierenden Zinssätzen bündeln und zusehen, dass man die größeren Risiken „verkauft“, aber nicht die größere Rendite. Und inzwischen können erfahrene Manager sicher noch viel, viel mehr. Auf jeden Fall trennt sich auf die eine oder andere Weise schon am Beginn dieser Sorte Geschäft – bei dessen Fortgang dann immer mehr – der für die verbrieften Forderungen erzielte Preis von der ursprünglich ausgeliehenen Geldsumme.

[3] Auskenner bezeichnen diese Art der Bereicherung kaltlächelnd als Wertschöpfung und informieren das Publikum aus gegebenem Anlass gern über das quantitative Verhältnis zwischen altmodischen Zinsgewinnen und den Erträgen eines modernen Investment-Banking:

„Der Verkauf von Hypotheken (gedacht ist hier wohl ans Geldverleihen mit Absicherung durch Hypotheken) ist jedoch nur ein kleiner Teil der Wertschöpfungskette. Mehr Geld verdienen die Banken mit dem Handel oder der Verbriefung von Darlehen.“ (HB, 24.8.)

[4] Zur Erinnerung: Eine Bank darf das; und sie vermag das kraft ihrer Verfügung über das Geld der Gesellschaft. Sie hat die Lizenz und die Macht, einen zukünftigen, erwarteten, noch gar nicht eingetretenen Wertzuwachs als vorhandenes Vermögen zu deklarieren und diese Fiktion praktisch so einzusetzen, dass sie sich als wirklicher Wert bewährt, nämlich Macht über alles Käufliche gibt. Der verbriefte Hypothekenkredit ist eine Variante, diese Potenz zu spekulativer Wertschöpfung zu betätigen. Das „Innovative“ daran, über das die Welt aus gegebenem Anlass staunt, ist eher langweilig, erweist sich aber derzeit als brisant und ist deswegen hier Thema.

[5] In einem 10 Jahre alten Monatsbericht setzt die Deutsche Bundesbank ihr Publikum über eine damals neue Errungenschaft des angelsächsischen Kreditgewerbes in Kenntnis:

Bei einer Asset-Backed-Securities-Transaktion veräußert ein Kreditinstitut Teile seines Forderungsbestandes an eine eigens für eine bestimmte oder eine Mehrzahl solcher Transaktionen gegründete Gesellschaft, die sich ihrerseits durch die Emission von Wertpapieren, den Asset-Backed-Securities (ABS), refinanziert. (Monatsbericht Juli 1997)

[6] Die Zinsen, die von redlichen Schuldnern auf die ursprünglich ausgeliehenen Geldsummen gezahlt werden und nunmehr an die „Zweckgesellschaft“ fließen, sind dafür jedenfalls nur ein Instrument. Entscheidend ist die „Strategie“, die die Fonds-Manager sich zurechtlegen. Sehr beliebt scheint z.B. der Kunstgriff zu sein, langfristig laufende Wertpapiere mit relativ hoher Verzinsung zu kaufen, die eigenen Finanztitel dagegen auf wenige Wochen zu befristen und mit einem entsprechend geringeren, im Vergleich mit anderen „Kurzläufern“ aber doch lohnenden Renditeversprechen auszustatten. Freilich hängt deren Wert dann völlig davon ab, dass die ausgenutzte Zinsdifferenz erhalten bleibt – und dass sich zum Verfallstermin alle paar Wochen auch wieder genügend Interessenten für die nächste Tranche kurzfristiger Schuldverschreibungen des Fonds einfinden. Dass beides nicht planmäßig eingetreten ist, ist dem einschlägig engagierten Fonds der ehrenwerten deutschen „Mittelstandsbank“ IKB, Rhineland Funding, zum Verhängnis geworden. Der Reporter vom Handelsblatt erzählt:

„Rhineland Funding finanziert die Kredite an Unternehmen und Baufirmen, die man ins Portfolio nimmt, (das sind die relativ hoch verzinsten langfristigen Forderungen, die in dem Fall als „Assets“ fungieren) über kurzfristige Schuldverschreibungen – und die werden am Markt gern gekauft. So wächst das Portfolio von Rhineland Funding auf fast 13 Milliarden Euro – und jährlich fließen Beratungshonorare in zweistelliger Millionenhöhe an die IKB. Ein tolles Geschäft. Bis die Angst kommt ... Plötzlich läuft auch Rhineland Funding Gefahr, für die nächste Tranche seiner Schuldverschreibungen keine Käufer zu finden“ und das Verhängnis nimmt seinen Lauf ... (HB, 6.8.)

 Und das nicht nur bei der IKB: In der vergangenen Woche konnten nach Angaben eines Investmentbankers weltweit etwa drei Viertel der kurzfristigen Refinanzierungspapiere, Commercial Papers (CPs) genannt, nicht weiter finanziert werden. Wegen solcher Papiere, die meist eine Laufzeit von 30 Tagen haben, ist auch die SachsenLB in Schieflage geraten. (HB, 22.8.)

[7] In der Sphäre kann man also ganz leicht „Äpfel mit Birnen vergleichen“.

[8] Die forderungsunterlegten Papiere werden nicht an der Börse gehandelt. Händler der verschiedenen Banken stellen An- und Verkaufspreise üblicherweise am Telefon. (HB, 10.8.)

[9] Allein im 1. Halbjahr 2007 kamen solche Papiere (nämlich ABS in diversen Varianten) im Wert von 1,4 Bill. US-Dollar auf den Markt. (HB, 12.7.)

[10] Sehr hübsch in dem Zusammenhang das Argument, mit dem die Rating-Agentur Fitch sich gegen den Vorwurf wehrt, sie hätte Investoren mit ihren guten Bewertungen von ABS in die Irre geführt, weil die davon ausgegangen seien, dass sehr gut bewertete derartige Papiere handelbar und liquide seien: Die Ratings sagten lediglich etwas über die Bonität – also die Ausfallgefahr – aus, nichts über die Handelbarkeit, betont Fitch in einer Studie. (HB, 10.8.) Wer Wertpapiere liquidiert, das ist doch klar, der vernichtet ihren Wert; ganz gleich, ob der zugrunde liegende Kredit noch ehrlich bedient wird.

[11] Über diesen Effekt berichtet die seriöse Presse ganz unbefangen. Z. B. so: Die französische Großbank BNP Paribas hat am Donnerstag die Märkte mit der Nachricht geschockt, dass der Vermögensverwalter der Gruppe drei Fonds im Wert von 1,6 Mrd. Euro schließt. Als Grund nannte die Großbank ‚das Verschwinden jeglicher Transaktionen in einigen Marktsegmenten‘ für verbriefte Kredite und damit die ‚quasi totale Illiquidität‘. Damit wird die Reihe der Fonds, die wegen eines ausgetrockneten Marktes nicht mehr funktionsfähig sind, immer länger ... Die Krise schlägt bereits auf die allgemeine Stimmung durch. Gestern machten Spekulationen über Mittelabzüge in Höhe von 500 Mill. Euro beim derzeit 2,7 Mrd. Euro schweren ‚DWS ABS Fonds‘ die Runde ... Die französische Großbank betonte, dass die Fonds keinen Zahlungsausfall oder keine Rating-Abstufung zu beklagen hätten. ‚Die Schuldner der verbrieften Kredite leisten ihre Zinszahlungen,‘ sagte der Sprecher. Daher sehen die Franzosen das totale Fernbleiben von Käufern dieser Papiere als eine übertriebene Panikreaktion an. Das Volumen der drei Fonds habe am 27. Juli noch rund zwei Mrd. Euro betragen und ist damit bisher um rund 0,4 Mrd. Euro geschmolzen... Vertreter von Union Investment gaben für den ‚ABS Invest‘ Abzüge von 100 Mill. Euro auf jetzt 954 Mill. Euro bekannt. Bei Frankfurt-Trust zogen Großanleger 80 Mill. Euro ab, so dass noch 160 Mill. Euro verblieben ... Die Produktanbieter können Fonds schließen, wenn die Kapitalmärkte für die erworbenen Positionen keine fairen Preisfeststellungen mehr ermöglichen. Davon haben die Anbieter Gebrauch gemacht ... ‚Aktuell werden von den meisten Banken, wenn überhaupt, nur noch Abwehrkurse gestellt‘ (HB.10.8.)

 Den Reportern von der vordersten Kreditfront ist anscheinend gar nicht klar – oder es macht ihnen nichts aus, dass sie hier aus dem Innenleben einer Art von Schneeball-System berichten.

[12] Andere Fonds „wetten“ umgekehrt auf Pleiten: Sie setzen Geld, das sie nicht haben, auf Papiere, für deren Wertverlust die Hedgefonds zahlen müssen, rechnen das Geld, das sie dann kriegen würden, in einen Kapitalertrag um, auf den sie eigene Wertpapiere ausgeben – und erwirtschaften damit derzeit schöne Gewinne:

Wetten auf weitere Verluste bei Subprime-Hypotheken in den USA bescherten dem Credit Opportunities Fund der New Yorker Hedge-Fondsgesellschaft Paulson ... für die ersten sieben Monate dieses Jahres ein Plus von 303 Prozent. Der von Dallas aus gemanagte Subprime Credit Strategies Fund von Hayman Capital Partners verbuchte sogar Gewinne von 305 Prozent. (HB, 9.8.)

[13] In der Regel werden die ersten 3 % Wertverlust allein den Papieren dieser Tranche aufgebürdet.

[14] Ein Musterbeispiel für diese Art der Absicherung ist Der drohende Untergang der IKB Deutsche Industriebank, unter dem rührenden Titel Eine kleine Bank in der großen Welt von der Frankfurter Allgemeinen nacherzählt: Die hat, wie schon erwähnt, „über Strohmänner eine amerikanische Stiftung mit Namen ‚Rhineland Funding‘ gegründet, die selbst nur ein Eigenkapital von 500 Dollar(!) hat ... Der Ertrag, den die ‚Rhineland Funding‘ aus ihren Geschäften erzielte (welche das waren, dazu Fußnote 6), wurde an die IKB über Beratungsgebühren – und damit als eine Art versteckte Gewinnausschüttung – weitergeleitet... Im Gegenzug musste sie der ‚Rhineland‘ freilich eine Liquiditätsgarantie gewähren. Angesichts der Krise auf den Kreditmärkten (dem Fonds wurden, wie schon berichtet, seine kurz laufenden ABS und CDOs, nicht mehr abgenommen) wurde diese Linie in Anspruch genommen – was die IKB in eine Schieflage brachte“ (FAZ, 3.8.) – kein Wunder, schließlich hatte sie für „Securities“ in Höhe von 13 Mrd. Euro geradezustehen, was die Börse prompt mit einem Wertverlust ihrer Aktien quittierte.

[15] Das heißt keineswegs, dass damit auch das Geschäft mit solchen Papieren aufhört. Wenn deren Wert kaputt ist, geht es gleich wieder los:

Marathon Asset Management, ein weiterer Hedge-Fonds, will einen Fonds auflegen, um stark abgewertete Hypothekenanleihen aufzukaufen. Mit kräftigen Preisabschlägen natürlich. (HB, 1.8.)

[16] Nach den Turbulenzen an den Kreditmärkten stehen die Anleger vor allem Übernahmefinanzierungen von Beteiligungsgesellschaften kritisch gegenüber, die ihre Zukäufe mit bis zu 80 Prozent fremdfinanzieren. (HB, 3.8.) Die Anspannung auf den Kreditmärkten spüren auch Unternehmen außerhalb des Immobiliensektors und der Bauwirtschaft, darunter der amerikanische Automobilhersteller Chrysler. Auf Anraten von Konsortialführer J. P. Morgan wurde eine Anleiheemission im Volumen von 12 Milliarden Dollar aufgrund des ungünstigen Marktumfeldes verschoben. Der Zeitpunkt, Investoren zum Kauf der Schuldtitel zu bewegen, sei schlecht. (FAZ, 30.7.) Nach Schätzungen von Thomson Financial sind zugesagte Übernahmekredite im Wert von 300 Milliarden Dollar noch nicht am Markt platziert. Das Risiko: Bleiben die Banken bis zum Jahresende darauf sitzen, würden sie vor der Finanzierung weiterer Übernahmen zurückschrecken. (FAZ, 3.8.) Wer bietet mehr? Folge der US-Immobilienkrise: Weltweit sind Kredite über 470 Milliarden Dollar für Übernahmen blockiert. (HB, 6.8.)

[17] Die Armut amerikanischer Kreditkunden wird in deutschen Gazetten gerne besichtigt; noch nicht einmal immer im Ton des Vorwurfs an die Betroffenen, sondern gerne auch in dem des Mitleids mit Leuten, die dazu verführt worden sind, „über ihre Verhältnisse zu leben“. Dass vielleicht das Kreditgewerbe über die Verhältnisse der Gesellschaft lebt, mit deren Schulden es seine Selbstvermehrung „unterlegt“, so einen Gedanken traut sich nicht einmal das linksliberale Weltblättchen aus Frankfurt. Die Frankfurter Rundschau überschreibt ihr einschlägiges Sittengemälde mit der Zeile: Unter der Hypothekenkrise leidet vor allem Amerikas Unterschicht – sie(!) gibt seit Jahren mehr Geld aus, als sie verdienen kann. (FR, 30.8.) Wenn das die Wahrheit wäre: Was wäre daran schlimm?

[18] Wäre die „Lösung“ in Reichweite, gleich mit dem Grund solcher Krisen Schluss zu machen, dann wäre es freilich auch mit den Freiheiten der Kredit-Mafia zu derart luxuriösen Geldvermehrungsmanövern nicht mehr weit her.

[19] Den eindeutig schönsten und zielführendsten Tipp hat der ökonomische Gastkommentar des Handelsblatts vom 9.8. parat:

Was ist zu tun? Als Erstes sind bei der BaFin (der Bundesbehörde zur Überwachung des Finanzwesens) und bei der Deutschen Bundesbank Neueinstellungen auf Basis außertariflicher Gehälter notwendig. Außerdem ist bei der BaFin ein externer wissenschaftlicher Arbeitskreis zu Aufsichtsfragen einzurichten, damit sie ihre Kompetenz stärkt; ...

 Autor dieses wegweisenden Vorschlags ist Herr Paul J. J. Welfens, Präsident des Europäischen Instituts für Internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Uni Wuppertal.

[20] Die Schlauesten aus dem Lager der Helden der marktwirtschaftlichen Freiheit, die Tag und Nacht darauf aufpassen, dass „die Wirtschaft in der Wirtschaft stattfindet“ und der Staat sich ’raushält, verraten zwar auch nicht, wie das gehen könnte, wissen aber genau, wer dieses Kunststück zu vollbringen hat, nämlich die Machthaber an der Spitze der wichtigen Notenbanken. Und einer der Allerschlauesten, N. Piper vom Wirtschaftsteil der Süddeutschen Zeitung, steht nicht an, dem Chef aller Chefs die Erfüllung seines Wahns von einer garantiert erfolgreichen Steuerung des freien Spekulierens abzuverlangen und sich als Oberlehrer in Positur zu setzen, der dem Mann in Amerika die Hausaufgaben diktiert:

Findet Bernanke seinen Weg ..., kann er aus dem Schatten seines Vorgängers Alan Greenspan heraustreten. Greenspan hatte mehrere Finanzkrisen gemeistert – vom Aktiencrash 1987 über die Russlandkrise 1998 bis zur Panik nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001, indem er die Zinsen senkte und die Märkte reichlich mit Liquidität versorgte. Gleichzeitig ermutigte er aber besonders nach 1998 und 2001 die Spekulation mit billigem Geld und war so mitverantwortlich für die Exzesse dieser Jahre. Bernanke muss nun zeigen, dass das eine, die Verhinderung einer Systemkrise, ohne das andere, Beginn einer neuen Spekulationsblase, zu haben ist. (SZ, 1.9.)

 Sonst kriegt er aus München aber ganz ganz schlechte Noten.