Die Konkurrenz der Kapitalisten: Kapitel IV
§23 Der Staat als Finanzmacht

So wenig dem Staat der flächendeckende Einbruch des Wachstums gelegen kommt, um die Verhinderung dieses GAU der Marktwirtschaft kümmert er sich nicht. Er hat genug damit zu tun, ihn herbeizuführen.

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Gliederung

Die Konkurrenz der Kapitalisten

Kapitel IV [1]

§ 23 Der Staat als Finanzmacht

Im Innern

So wenig dem Staat der flächendeckende Einbruch des Wachstums gelegen kommt, um die Verhinderung dieses GAU der Marktwirtschaft kümmert er sich nicht. Er hat genug damit zu tun, ihn herbeizuführen.

1. Als politische Gewalt, die ihre Politik mit Geld macht, das Kredit ist und als Kapital fungieren muss, gehört der Staat nicht nur zu den maßgeblichen Freunden und Förderern des Wachstums. Er produziert auch dessen Übermaß und Ausbleiben

Der Staat macht Politik mit dem Geld, das seine Gesellschaft im Dienst der Kapitalisten produziert und vermehrt. Dass die Kapitalisten ihr Geschäft mit Schulden betreiben, deren Einsatz sich doppelt lohnen muss, für Geldgeber und Kreditnehmer, und den Erfolg vorwegnimmt, der erst erzielt werden soll: das hat er akzeptiert und eigentumsrechtlich abgesichert. Dass folglich das Geld, das vorgeschossen und am Markt verdient wird, nicht realisierten Reichtum, sondern seiner ökonomischen Natur nach Kredit und dessen kapitalistische Verwendung repräsentiert, bringt er mit seiner Eigentumsgarantie auf eine Weise zusammen, dass Spekulation und spekulative Wertschöpfung dadurch nicht eingeschränkt, sondern freigesetzt werden: Den Produkten seiner Notenbank, mit denen er die Geld- und Kreditschöpfung der nationalen Banken nach Regeln refinanziert, verleiht er mit seiner Geldhoheit die Qualität gesetzlicher Zahlungsmittel, die das Privateigentum verbindlich messen und verkörpern. Die Liquidität, mit der der Staat über die Banken seine Wirtschaft insgesamt versorgt, nimmt insofern vorweg und repräsentiert, was das nationale Kreditgeschäft zu leisten verspricht: doppelt erfolgreiches Fungieren des Kredits, den die Wirtschaft schafft und verwendet, als Kapital, das mit seinem Wachstum diesen Kredit ökonomisch rechtfertigt. Dass sein Geld als Umlaufmittel fürs nationale Kreditgeschäft in die Welt kommt, also ökonomisch Schulden repräsentiert, steht für den Anspruch des Staates, dass der Kredit, mit dem seine Kapitalisten wirtschaften, tatsächlich schon – so gut wie – Geld ist. [2]

Von dieser Gleichung nimmt der Staat nichts zurück, wenn das Finanzgewerbe sein Kreditgeschäft an der Börse zum Handel mit fiktivem, i.e. aus Zahlungsversprechen errechnetem Geldkapital weiterentwickelt; wenn die im Börsenhandel produzierte Kursentwicklung solcher Wertpapiere über die Verwertung von investiertem Geld, also über die Bewährung von Kredit als Kapital entscheidet; wenn folglich die Spekulation Geldwert schafft – und vernichtet – und ein Überbau von derivativen Geschäften die Unsicherheit dieser verwegenen Art kapitalistischer Bereicherung zu einer weiteren Geldquelle macht. Die Notenbank bietet nach wie vor nach ihren Kriterien die Gewähr, dass die für den Umsatz der Finanzmärkte von deren Akteuren geschaffene Liquidität in gesetzliches Geld umzutauschen ist, also Eigentum in Geldform repräsentiert. Dass der Prozess kapitalistischer Bereicherung sich hier von der Kapitalverwertung durch Produktion, Handel und Konsum, also von der realen kapitalistischen Bewirtschaftung des gesellschaftlichen Lebens trennt, geht von Staats wegen in Ordnung. Und das nicht nur deswegen, weil die Kapitalisten für ihr Wachstum diesen qualitativen Fortschritt brauchen und betreiben, weil nämlich ihr Reichtum, also die nationale Wirtschaft nur noch so und nicht anders gehörig wächst. Der Staat bedient sich selber ebendieser Leistung des Finanzgeschäfts, des sich selbst vorantreibenden Handels mit fiktivem Kapital: Er macht seinen überschießenden Geldbedarf als Wertpapier, das Erträge verspricht, zum Handelsobjekt und bringt ihn so in Verkehr. Er geht dabei davon aus, dass die Finanzmärkte seine Anleihen wie diejenigen kommerzieller Anbieter als Investment behandeln. Er setzt sie damit einem kritischen Vergleich mit Aktien und anderen Kapitalanlagen aus. Dass er mit dem Geld, das er sich so beschafft, keinen Kapitalvorschuss leistet, der sich im Verkauf als rentabel erweisen muss, stört nicht. Die Kapitalqualität seiner verbrieften Schulden verbürgt er mit seiner Hoheit über das gesamtwirtschaftliche Wachstum, das er betreut. Seine Macht, auch und nicht zuletzt seine eigenen Schulden per Notenbank aufzukaufen, also direkt in gesetzliche Zahlungsmittel zu verwandeln, hebt die Ungleichung von Kredit – Geld als Versprechen seiner Vermehrung – und Zahlungsfähigkeit – Geld als Materie des Eigentums – nicht auf, garantiert die Gleichheit von Kredit und Geld in seinem Fall aber ganz zweifelsfrei.

Die praktische Bewährungsprobe der staatlichen Anleihen als Geldkapital findet in ihrer vergleichenden Bewertung durch den Finanzmarkt statt, der auf Sicherheit der Geldanlagen und auf Rendite vor allem aus der Kursentwicklung der gehandelten Finanzprodukte spekuliert. Hier konkurriert der Staat mit fiktivem Kapital aus allen möglichen anderen Quellen. Mit seinen speziellen Angeboten kann er da, so wie alle anderen Anbieter fiktiven Kapitals, vergleichsweise gut oder schlecht abschneiden; als Garant des Rechts auf Vermehrung, das dem verliehenen Geld zukommt, setzt er mit seinem Zinsversprechen aber ein Datum, an dem der Markt sich orientiert. Den konkurrierenden Geldnachfragern nimmt er damit nichts weg, im Gegenteil: Er steigert die Masse der Angebote am nationalen Kapitalmarkt, die das Interesse zahlungsfähiger Geldanleger und kreditwürdiger Spekulanten auf sich ziehen. Nach der Logik dieses Marktes mehrt ein solches Anlegerinteresse zugleich die Chancen für die Anbieter von Investments, Investoren zu finden. Das macht den Markt insgesamt attraktiver; für beide Seiten: Die Nachfrage nach fremdem Geld mobilisiert entsprechende Angebote; die Nachfrage nach Geldanlagen generiert Angebote von fiktivem Geldkapital. Darauf setzt jedenfalls der Staat: dass großer und zunehmender Umsatz für immer mehr Umsatz sorgt und der nationale Kapitalstandort dadurch zum Finanzplatz wird, dessen Betrieb von selbst für fortschreitende kapitalistische Bereicherung steht.

Wenn der Staat mit seiner Notenbank die Liquidität schafft, die für diesen Betrieb und das derart vorangetriebene Wachstum der nationalen Wirtschaft insgesamt nötig ist, dann bezweckt er damit nicht einfach die Versorgung seiner Gesellschaft mit Umlaufmitteln. Als Emittent gesetzlich gültigen Kreditgelds schafft er die Grundlage dafür, dass der nationale Geldumlauf sich als Geschäftsmittel der mit Finanzierungen und Refinanzierung befassten Geldkapitalisten bewährt. Die Menge der Zahlungsmittel, die, und die Konditionen, zu denen er sie bereitstellt, sind dazu da, das Kreditgeschäft, seine Leistungen und sein Wachstum zu fundieren. Um die Frage, ob und inwieweit das auf Expansion eingerichtete Kreditgeschäft einlöst, was es an Bereicherung verspricht, kümmert er sich dabei nicht: Mit den Bedingungen, den Zinsen vor allem, zu denen staatliche Liquidität von ihm zu haben ist, hat er im Prinzip das Seine für die Seriosität des spekulativen Umgangs damit, also für ehrliches Wachstum getan. Das gilt erst recht für die Refinanzierung seiner Haushaltsdefizite: Als Bedingung für die Aufnahme eigener Schulden, die deren Stichhaltigkeit verbürgt, schreibt er sich Proportionen zum gesamtwirtschaftlichen Wachstum vor, das er damit steigert; die einschlägigen Maßzahlen passt er sachgerecht seinem Bedarf an, ohne von dem Versprechen Maßstäbe setzender Zuverlässigkeit etwas zurückzunehmen. So geht die kontinuierliche Geldvermehrung in Ordnung; und gerade so leistet sie ihren entscheidenden Dienst an der Akkumulation von Kapital in ihrem finanzkapitalistisch programmierten Übermaß. Denn damit ist sichergestellt, dass die Bereitstellung von Liquidität nicht beschränkt ist durch den definitiven Erfolg immer weiter aufgeblähter Kreditgeschäfte; dass sie vielmehr, ganz im Gegenteil, die Schrankenlosigkeit des nationalen Wachstums garantiert. Indem er mit gesetzlichem Geld die Spekulation an seinem Finanzplatz refinanziert, indem er insbesondere Kreditgeld für den Absatz seiner eigenen Schuldpapiere schöpft, eilt der Staat dem Wachstum des kapitalistischen Reichtums in seinem Land voraus und stiftet immer mehr davon. Er handelt nicht nur wie der größte Spekulant seines Finanzplatzes, sondern als dank seiner Geldhoheit unendlich liquider Gesamtspekulant.

Das heißt natürlich umgekehrt: Die zirkulierenden gesetzlichen Zahlungsmittel sind durch die Mehrung wirklichen Eigentums, i.e. kapitalistischer und allgemeiner Zugriffsmacht, nicht gedeckt. Sie sind der Stoff staatlicher Spekulation, bei der gar nicht mehr offenbleibt, ob ihr behaupteter Geldwert durch erfolgreiche Verwertung gerechtfertigt wird. Sie wirken gerade dadurch wachstumsfördernd, dass sie in überschießender Menge zirkulieren. In welchem Umfang, was daraus folgt, wie sich die Trennung zwischen dem Prozess kapitalistischer Bereicherung und der Geldqualität des dafür produktiv eingesetzten gesetzlichen Zahlungsmittels überhaupt auswirkt, darüber belehren den Staat die Kapitalisten ganz praktisch durch das, was sie als Macher des Marktes daraus machen. Die finden an dem Geld, das sie an den Waren- und Finanzmärkten verdienen und wieder investieren, keinen Unterschied zwischen der Kaufkraft, die sie im Zuge produktiver Wertschöpfung schaffen, den Finanzmitteln, die im Reich des fiktiven Kapitals durch Spekulation entstehen, und der Liquidität, die durch Staatsschulden ganz ohne geschäftliche Rechtfertigung in die Welt kommt – wie denn auch. In ihrem Kampf darum, das Profitmachen zu monopolisieren und Konkurrenten vom Markt auszuschließen, gehen sie aufs Ganze der für sie überhaupt greifbaren gesellschaftlichen Zahlungsfähigkeit. Dazu gehört allemal, dass sie als Verkäufer, welcher Ware auch immer, permanent austesten, wie viel der Markt für sie hergibt: offensiv im Kontext ihrer Unternehmensstrategie, auf fremde Kosten zu wachsen; defensiv als Methode, unvermeidbare Kostensteigerungen auf ihre Kundschaft abzuwälzen. Was der Staat mit der Schöpfung von Geld für den Wachstumsbedarf seiner Kapitalisten im Allgemeinen, mit seinen Schulden und Anleihen im Besonderen als Mittel und Anreiz für die Überakkumulation von Kapital in seinem Land leistet, schafft hier Spielraum, und zwar genug für Preissteigerungen, die nicht nur einzelne Gewinner gegen Verlierer durchsetzen, sondern reihum die meisten gegen einander. Das Resultat ist eine Tendenz zu allgemeiner, flächendeckender Teuerung. So konfrontieren die kapitalistischen Nutznießer den Staat praktisch mit dem Widerspruch seines Engagements für das notwendige Übermaß kapitalistischen Wachstums: dem Widerspruch zwischen dem Zweck seiner Geldschöpfung, das nationale Finanzgeschäft zu fundieren, auf der einen Seite, dem Wert des Eigentums, der Zugriffsmacht, die im Geld ihr Maß hat und ihre gesicherte Existenz haben soll, auf der anderen Seite.

Der Staat registriert dieses Ergebnis und quantifiziert es mit Statistiken über die Preisentwicklung diverser Warenkörbe, definiert je nach besonderem Interesse; etwa durch den Durchschnittsverbrauch der Familie Mustermann, also im Blick auf vermehrte proletarische Armut, oder auf die Kursentwicklung diverser Varianten kapitalistischen Reichtums. Aus der Inflationierung ganz vieler Preise ermittelt er so verschiedene Kaufkraftverlustraten des Geldes und veröffentlicht am Ende eine als besonders wichtig erachtete Rate der Geldentwertung. Die ist in der Sache also die notwendige kontraproduktive Konsequenz der Trennung und des produktiven Zusammenhangs zwischen dem Gebrauch des gesetzlichen Zahlungsmittels fürs nationale Kreditgeschäft und seinem Wert als Tausch- und Kommandomittel. Was die Zuständigen daran interessiert, ist aber nicht ihr politökonomischer Grund, sondern ihre Höhe. Die dient ihnen als Maßgabe für die Einschätzung, ob es sich bei der abnehmenden Kaufkraft der Geldeinheit um eine Begleiterscheinung des gleichfalls genau nachgezählten Wirtschaftswachstums handelt, die dessen Dynamik widerspiegelt, oder ob dieses Wachstum, inflationsbereinigt, schon gar keins mehr ist. Letzteres begründet zwar keinen Sachzwang, verlangt aber eine Korrektur im Sinne populärer wie gelehrter Inflationstheorie. Vom Ergebnis her und hinreichend oberflächlich betrachtet liegt eine allgemeine Teuerung resp. tendenzielle Geldentwertung daran, dass zu viel Geld auf den Markt gekommen ist, um durch die käuflichen Waren zu gegebenen Marktpreisen vollständig absorbiert zu werden: ein Geldüberhang, der schon aus Gründen des Marktgleichgewichts eine Erhöhung der Verkaufspreise unvermeidlich macht. Wenn ein Preisschub von anderen, externen Marktfaktoren ausgeht, hätte genauso eine richtige Steuerung der Geldmenge die Verallgemeinerung zur Geldentwertung verhindern können und müssen. Lautet die Diagnose auf „hausgemachte Inflation“, dann steht auf jeden Fall fest, dass zu viel Geld von Staats wegen in die Wirtschaft geflossen ist. Die Verantwortung dafür tragen die Geldpolitiker, die schließlich für sich in Anspruch nehmen, die Gesellschaft mit dem nötigen und genau passenden Quantum Geld zu versorgen und dadurch die Marktwirtschaft im Gleichgewicht zu halten; ebendas haben sie sich ja in ihren gesetzlichen Auftrag geschrieben, woraus folgt, dass der Erfolg nicht nur ihr Ziel, sondern machbar ist. Im Sinne ihrer Diagnose eines zu korrigierenden Geldüberhangs handeln sie dann. Sie verknappen und verteuern dadurch – oder umgekehrt – die Geldmenge, die sie den Banken über die Notenbank verfügbar machen. Die Haushaltspolitiker sparen in ihrem Budget, zumindest im Verhältnis zu geplanten Ausgabensteigerungen. Im Konflikt zwischen Kreditbedarf und Geldwertstabilität, wo immer sie den wahrnimmt, schlägt sich die Politik auf die Seite der Kaufkraft.

Was sie damit bewirkt, dafür kommt es, mehr noch als auf die Reichweite ihrer restriktiven Eingriffe, darauf an, auf welche Verfassung des Finanzgewerbes der Nation sie mit ihren Maßnahmen trifft. Betroffen sind nämlich auf jeden Fall Banken und Spekulanten mit ihren wagemutigen Finanzierungen und Refinanzierungsstrategien. Wenn der Staat – formell als Geldversorger, tatsächlich als maßgeblicher Gesamtspekulant am Finanzplatz – Kredite verteuert und fiktives Kapital abwertet, indem er Liquidität zurückhält, dann funktionieren solche Geschäfte nicht mehr wie geplant; als selbstverständlich vorausgesetztes Vertrauen in deren Fortgang schwindet; Vorsicht lässt Kurse einbrechen statt steigen. Wenn die Gesamtsituation schon heikel ist, dann wird sie nur allzu leicht kritisch, wenn der Staat seine Geld- und Ausgabenpolitik revidiert. Eine Störung des Zirkels wichtiger Refinanzierungen im Kreditgewerbe gerät dann zur Krise, wenn der Staat als Gestalter der allgemeinen Geschäftsbedingungen und Herr über die Zahlungsfähigkeit des ganzen Systems dessen Wachstum begrenzt. Wie das Übermaß des Wachstums, so ist auch dessen Ausbleiben, die Rezession, sein Werk.

2. Ein „Rückblick“, der noch um seinen Umgang mit der Vergesellschaftung von Kapital auf ständig wachsender Schuldenbasis ergänzt wird, auf seine Werke; die selbstkritische Prüfung, die er angesichts der Krise anstellt, bringt den Staat dazu, nichts anders, aber alles besser zu machen. Von einer Vermeidung von Ausbeutung und Armut, von Konkurrenz und Spekulation, der praktizierten Gleichsetzung von Arbeitsproduktivität mit der des Kapitals etc. ist weit und breit nichts zu sehen

In der Krise gehen die Rechnungen der verschiedenen Akteure der Marktwirtschaft, kommerziell bedeutende wie die kleinen privaten, diejenigen großer Steuerzahler wie die der frisch Entlassenen nicht mehr auf. Für den Staat bedeutet das: Seine eigenen Kalkulationen werden unhaltbar, weil die sozialen Charaktere und Körperschaften im Land die Leistungen schuldig bleiben, für die er sie eingerichtet, auf die er sie festgelegt hat. Dass er von denen lebt, davon, dass sie kontinuierlich erbracht werden, macht sich negativ bemerkbar. Er findet sich verwiesen auf die Bilanz, die sich aus erfolgreicheren Zeiten ergibt: auf angesammelte Potenzen, die er neu zur Wirkung bringen muss.

Das alles gibt es ja noch: Industrie und Internet, Lohnarbeiter und Einzelhändler, auch die Sparkassen sind in der Rezession nicht verschwunden. Die Krise macht im Gegenteil offenbar, dass es von all diesen nützlichen Einrichtungen der Marktwirtschaft, inklusive diensttuendem Personal, zu viel gibt. Zu viel nämlich, als dass ihre Anwendung resp. ihr Betrieb sich zur Zufriedenheit der Betreiber und zum Nutzen der Herrschaft noch lohnen könnte. Womit auch schon klar ist, woran es fehlt: Es sind die maßgeblichen Ertragsrechnungen, die nicht mehr funktionieren. Das lenkt den Blick, mit dem der Staat sein marktwirtschaftliches Inventar ins Auge fasst, ganz selbstverständlich auf die nationale Finanzindustrie: den Komplex, in dem alle kapitalistisch relevanten Rechnungen zusammenlaufen; wo wirkliche wie antizipierte Gelderträge in Vorschüsse verwandelt, Risiken als Waren mit einem Kurswert gehandelt werden; wo Vertrauen auf Zahlungsversprechen zu fiktivem Kapital wird und Umsatz Vertrauen bildet. Daraus wird in der Krise eine Abwärtsspirale, die die nationale Geschäftstätigkeit lahmlegt.

Aus der Warte des Staates macht sich hier schmerzhaft geltend, dass er mit seiner Sorge um einen mächtigen Finanzplatz tatsächlich eine oder überhaupt die entscheidende Machtquelle für sämtliche Leistungen, auf die er angewiesen ist, geschaffen hat; dass die aber gar nicht einfach nach seinem Bedarf, sondern nach ihren eigenen Interessen und der Logik maßlosen kapitalistischen Wachstums funktioniert. Er hat zugelassen, dass große Unternehmen kapitalistisches Privateigentum kollektivieren und es in Gestalt verzinslicher Rechtsansprüche, die sich kaufen und verkaufen lassen, reproduzieren; dafür hat er seine Eigentumsordnung sachgerecht angepasst und dabei heftig strapaziert. Zur Einrichtung von Börsen und Zirkeln der Refinanzierung von Schulden mit Schulden hat er mit Lizenzen und gesetzlichen Regeln oder sogar als Veranstalter beigetragen. Getrennt von sich als der Instanz der politischen Vergesellschaftung des nationalen Reichtums hat er die private Vergesellschaftung des Kapitals nicht nur genehmigt. Was unternehmungsfreudige Kaufleute zwecks Vergrößerung ihrer Unternehmungen betreiben, Wertschöpfung durch Spekulation, hat er mit gesetzlich garantiertem Kreditgeld fundiert und in Gang gebracht. Und bis zuletzt hat er die alle anderen Branchen bedienende und beherrschende Finanzindustrie mit Liquidität überversorgt, damit sein ganzer Laden wächst.

Diese Symbiose von politischer Hoheit und vergesellschafteter Privatmacht, verwirklicht in der Deckungsgleichheit von Geld und Kredit, solange es aufwärts geht, macht die Krise kaputt. Die Wertschöpfung durch Spekulation bricht zusammen; so zirkulär, wie sie zustande gekommen ist. Der nationalen Marktwirtschaft kommt der Kapitalvorschuss abhanden, den sie braucht und längst verbraucht hat. Dem Staat geht der Absatzmarkt für seine Schuldpapiere verloren, auf dem die für den Finanzplatz und für ihn selbst so produktiv gewirkt haben. Und die Liquidität, mit der er seine Gesellschaft versorgt, findet keine produktive Verwendung mehr; nicht zuletzt ausgerechnet deswegen, weil er sich um deren Geldwert kümmert. Genau auf diese letzte Ressource, die er noch marktwirtschaftlich systemkonform wirksam machen kann, ist er zurückgeworfen: auf seine Geldhoheit. Wo das Finanzgeschäft nicht mehr funktioniert, die Kreditschöpfung, die mit ihrem Erfolg sein Geld als Wachstumsmittel zu rechtfertigen hat, zum Erliegen kommt, da produziert er Zahlungsfähigkeit allein durch seine Autorität, ohne Grundlage in Krediten und Refinanzierungsgeschäften, ohne Posten kapitalistischen Wachstums als Gegenstück in der Bilanz seiner Geldproduktion. Mit seiner höchsten Gewalt schafft er nicht mehr nur Sicherheit, sondern Ersatz für das, was die Geldkapitalisten mit der Vergesellschaftung ihres Kapitals leisten, in der Krise aber nicht mehr. Er macht mit seinem Machtwort die Agenturen des Finanzmarkts, die einander keinen Kredit mehr geben, weil und sodass sie illiquide werden, wieder zahlungsfähig, damit sie das wieder tun, die Produktion von fiktivem Kapital und Vorschuss für rentable Wertschöpfung neu in Gang kommt. Dass er damit das System kapitalistischer Bereicherung auf seinen harten Kern zurückführt: aufs Geld als rechtlich gesichertes Gewaltverhältnis, als Mittel des Regimes des Eigentums über Arbeit und Reichtum, das geht – ausnahmsweise – in Ordnung. Damit bleibt nämlich die Regel in Kraft, dass dieses Regime für Staat und Volk letztlich doch als Produktionsweise, das System als eines der Ausbeutung der Arbeit fürs materielle Überleben der Gesellschaft sein Werk tut – und so dem Finanzgewerbe die Basis erhalten bleibt, von der es sich emanzipiert, um sie für sich zu funktionalisieren. Denn das ist der Zweck der Ersatzvornahme, mit der die Staatsgewalt das Geschäft ihrer Geldkapitalisten rettet: sich überflüssig zu machen dadurch, dass das sich wieder lohnt.

Also damit alles weitergeht. Aber nicht als einfaches Weiter-so. Eine Krise ist für den Staat Grund und Anlass, im Blick auf die verbliebenen Potenzen und im Rückblick auf frühere nationale Geschäftserfolge und Misserfolge Stärken und Schwächen des Standorts zu begutachten und beim Fördern und Sterben-Lassen industrie- und handelspolitische Prioritäten zu setzen; immer nach dem Motto: Wir werden stärker aus der Krise herauskommen, als wir hineingegangen sind! Daneben widmet der Staat sich auf jeden Fall und ganz besonders der Frage, was im nationalen Finanzsektor schiefgelaufen ist, sodass er in der entscheidenden Funktion, die ihm zugedacht ist und zukommt: als Motor der Wirtschaft, versagt hat. Der kritische Geist, der in der Krise kräftig auflebt, wird in der Welt der Spekulanten immer fündig. Übertreibungen bei der Schöpfung, Fehler bei der Vergabe von Krediten sind im Nachhinein leicht zu entdecken; ebenso allerlei Untugenden von Leichtsinn bis Gier; bisweilen muss die Justiz sogar kriminelle Energie verfolgen. Seine eigene Verantwortung für das Wachstum der privaten Wirtschaft, die er in guten Zeiten für sich reklamiert, verleugnet der Staat aber auch im Krisenfall nicht. Dass er mit seiner Geldpolitik und mit seinen Haushaltsschulden zu einer Überhitzung der Wirtschaft beigetragen hat, ist ihm ja schon an der kritisch zunehmenden Geldentwertung aufgefallen; deren Bekämpfung ist dann auch keine Erfolgsgeschichte geworden, kam also wohl zu spät. In der akuten Krisensituation hilft diese Erkenntnis zwar noch nicht weiter. Da darf auf die eigentlich zu beherzigenden Stabilitätskriterien bei der Geldversorgung und auf Schuldenbremsen erst einmal keine Rücksicht genommen werden. Für die Zeit danach, wenn die Wirtschaft wieder angesprungen ist und wächst, steht das Programm aber jedes Mal fest. Natürlich emittiert die Notenbank weiterhin gesetzliche Zahlungsmittel, damit Finanzmarkt und Unternehmen problemlos liquide bleiben. Dabei kommt es fortan aber vor allem auf die richtige Geldmenge an, die Schuldenexzesse verhindert, ohne Wachstum zu behindern. Die gleiche goldene Regel gilt für den Staatshaushalt: Steuern und Abgaben sind wachstumsfeindlich; auf Pump darf der Staat auch nicht leben; das Nötige muss finanziert werden, aber auch wirklich nur das Nötige. Um das zu erreichen – dies die ewig neue Lehre aus der jeweils letzten Rezession –, darf der Staat mit dem, was er den Finanz- und anderen Kapitalisten zu verdienen gibt, den naturgegebenen Zyklen des Wirtschaftsgeschehens, dem Auf und Ab des Wachstums nicht folgen, weil das die jeweilige Tendenz nur ungut verstärkt. Bei der Steuerung der Wirtschaft, die er sich sowieso immer vornimmt, muss er vielmehr antizyklisch verfahren, um die Kurven zu glätten, damit es immerzu, ungebrochen und gleichgewichtig aufwärtsgeht. Konjunkturpolitik ist der Titel, unter dem der Staat fortan – was denn auch sonst! – Wachstum im kapitalistisch notwendigen Übermaß produziert; und dessen Ausbleiben, wenn es wieder einmal so weit ist.

Wo der Staat sich so entschieden darauf festlegt, alles, was er nach wie vor tut, besser zu machen, bleibt auf der anderen Seite der Befund, dass es doch die Wirtschaft ist, die in der Krise ihre unverzichtbaren Dienste schuldig bleibt; dass der Markt, sosehr der im Prinzip immer recht hat, letztlich doch nicht alles richtet; dass die Politik sich also auf die Produktivkraft des kapitalistischen Eigennutzes nicht blind verlassen darf. Insofern wird in der Krise offenbar, dass die so übermäßig produktive Symbiose von Staatsgewalt und Finanzgewerbe die Diskrepanz zwischen Kapitalinteresse und Staatsanspruch überhaupt nicht aus der Welt schafft. Der GAU der Marktwirtschaft manifestiert einen Gegensatz zwischen der Logik des Systems kapitalistischer Bereicherung, das ein partikulares Privatinteresse als das flächendeckend herrschende etabliert, und der Räson der Staatsmacht, die sich dieses Systems im Sinne des Gemeinwohls, i.e. für den Erfolg ihres Gewaltmonopols bedient und es für diesen Zweck etabliert und erhält. Insofern ist es kein Wunder, dass, je ernster die Krise, desto heftiger die Systemfrage gestellt wird. Ebenso wenig verwundert, wie: Gestellt und beantwortet wird sie aus der Warte des Staates in Form der immer wieder einmal fälligen Frage: Was ist systemrelevant und was kann weg?

Die Antwort ergibt sich vom Standpunkt des Gemeinwohls ganz von selbst aus dem Umstand, dass in der Krise materielle Güter, Produktionsmittel und Arbeitskräfte in solcher Menge vorhanden sind, dass es stört; wohingegen es an dem Stoff fehlt, der dem ganzen Material erst seine kapitalistische Seele einhaucht: an genügend Profit, um jeden Kapitalaufwand lohnend zu machen und eine ganze Welt des fiktiven Kapitals sicher und zufrieden zu machen. Die Konsequenz ist klar, und eine geradezu ehrliche Auskunft über die Vernunft des großen Ganzen: Was zu viel ist – sogar eine Unmenge derivativer Finanztitel gehört dazu –, das kommt weg. Systemrelevant sind Banken, Sparkassen, überhaupt alle Leistungsträger, deren Leistung darin besteht, den gesellschaftlichen Arbeits- und Lebensprozess für die Anforderungen des Kapitalwachstums auszunutzen. Die Agenturen des herrschenden Interesses und seiner Notwendigkeiten werden folglich gerettet, auch wenn da erst einmal ein wenig systemwidrig gehandelt werden muss.

So wird die Krise dann bewältigt. Und was da bewältigt wird, ist jedenfalls nicht die Existenzkrise derer, die in ihrem Lebensunterhalt von ihrer krisenbedingten Überzähligkeit betroffen sind. Armut und Ausbeutung sind im Gegenteil Mittel der Wahl für den Zweck, die eigentliche Krise zu bewältigen. Nämlich die, in die die entscheidenden Akteure sich mit ihrer verschärften Konkurrenz durch die Kombination von privater Vergesellschaftung ihres Reichtums per Spekulation auf und mit Schulden auf der einen, mit ihrer Konkurrenz auf den Waren- und Kreditmärkten auf der anderen Seite hineingewirtschaftet haben. Bewältigt wird die Notlage der Kapitalisten durch Modernisierung des Gemeinwesens, die in jeder Krise frisch als unbedingte Notwendigkeit beschworen wird und immer dasselbe meint: einen Fortschritt, der die gesellschaftliche Arbeit produktiver macht, um die, die sie leisten, vom wachsenden Reichtum auszuschließen und ihre Dienste fürs Regime des großen Eigentums nützlicher zu machen. Und so weiter.

Denkbar eindeutig also bewältigt der Staat den Gegensatz zwischen seiner Verantwortung für die Allgemeinheit und der Praxis systematischer Bereicherung der herrschenden Klasse, so wie er in der Krise aufbricht. Das gehört zu seinem Job; dafür ist er zur Stelle. Denn das ist sein Weg, sich in der anderen Konkurrenz, der eigenen mit seinesgleichen, durchzusetzen.

Nach außen

1. Der über den auswärtigen Handel klug gewordene Staat ist auch schwer dafür zu haben, dass das ultimative Konkurrenzmittel ‚Größe des Kapitals‘ nicht auf den territorialen Betrieb beschränkt bleibt. Internationale Mobilität und Zentralisation des Kapitals müssen sein, wenn die restliche Staatenwelt ihren Dienst an der Geldmacht der Nation ordentlich verrichten soll. Der Geldpatriotismus ergänzt und relativiert den Lokalpatriotismus

Als Verwalter einer Handelsnation hat der Staat verstanden und akzeptiert, dass es für das Kapitalwachstum am Standort auf Konkurrenzerfolge heimischer Firmen auf dem Weltmarkt ankommt; auf Multis, für die Größe die entscheidende Waffe ist. Durch die Fortschritte seiner Geschäftswelt in der Kunst, sich die für den privaten Geschäftserfolg nötige Größe durch Vergesellschaftung des kapitalistischen Reichtums zu verschaffen, hat er sich vom Segen eines Marktes für fiktives Kapital und von der Produktivkraft der Spekulation darauf überzeugen lassen und sich mit eigenen Schulden und seinem Kreditgeld engagiert; mit dem Erfolg eines Wirtschaftswachstums über die Grenzen des kapitalistisch vermehrten kaufkräftigen Eigentums hinaus; auf Kosten der Wertbeständigkeit seines Geldes und mit der Folge von Krisen des auf Expansion programmierten Kapitals in seinem Land.

Als Hüter seines Wirtschaftsstandorts, seines Geldes und seiner eigenen Finanzmacht zieht der Staat daraus die Konsequenzen. Er erkennt und anerkennt die Notwendigkeit, dem Wachstum des Kapitals der Nation zu dienen, indem er Unternehmen und Spekulanten den Zugang zu Kredit aus aller Welt und zu Investitionen in aller Welt eröffnet. Er betreibt die Internationalisierung der nationalen Finanzmärkte: des eigenen, im Gegenzug aller ausländischen. Dabei und für diesen Zweck nimmt er den Standpunkt der Freiheit fürs eigene nationale, den des Angebots fürs ausländische Geldkapital ein. Den Kapitalisten der eigenen Nation verschafft er die Freiheit, sich durch Investitionen aus dem und im Ausland, durch grenzüberschreitenden Kauf und Verkauf eigenen und fremden fiktiven Kapitals die Größe zu besorgen, die sie für ihre Konkurrenz um Wachstum brauchen. Ausländische Kapitalisten und Geldbesitzer lädt er ein, sich mit Investitionen an dem Wachstum zu beteiligen, das aus der dadurch zunehmenden Kapitalgröße entsteht, und mit der Nachfrage nach Kredit und dem Verkauf von Wertpapieren dem heimischen Überschuss an verdientem Geld und akkumulierter Kapitalmacht Gelegenheiten für mehr Wachstum zu bieten, das ihnen dann auch selbst zugute kommt. Eigene wie fremde Staatsanleihen sind darin eingeschlossen: Nationale Geldbesitzer und Kreditschöpfer haben grundsätzlich das Recht, am Geldbedarf auswärtiger Souveräne zu verdienen und ihren Bestand an staatlich garantiertem fiktiven Geldkapital zu vergrößern; an auswärtige Geldkapitalisten ergeht das Angebot, die eigenen Staatsschulden in ihr Portfolio aufzunehmen und damit praktisch als sicheres Investment anzuerkennen. Dabei setzt der Staat darauf, dass Masse und Vielfalt der Wertpapiere aus dem eigenen Land wie aus dem Geschäftsgang ausländischer Firmen, die unter seiner Regie gehandelt werden, das Interesse und immer mehr Nachfrage von Geldanlegern aus aller Welt auf sich ziehen; dass die große und wachsende Menge Verwertung suchenden Geldkapitals der Welt am eigenen Finanzplatz fündig wird und für Absatz und Vermehrung von Investments sorgt; sodass am Ende jeder Schöpfer von fiktivem Kapital und jeder kaufwillige Spekulant sicher sein kann, Geschäftspartner zu finden, und kein Wertpapier-Emittent und kein Investor es sich mehr leisten kann, auf einem derart florierenden Finanzplatz nicht präsent zu sein. Er betreibt die Internationalisierung der Finanzmärkte, damit der finanzkapitalistische Zirkel des Wachstums durch Größe an seinem nationalen Finanzplatz in Gang, die Zentralisation von Geldkapital und Spekulationsgeschäften unter seinem Regime zustande kommt.

Die Aktivisten und Nutznießer der globalen Geld- und Kreditwirtschaft bewirken, was der Staat will und ihnen anbietet, nach Maßgabe ihres Interesses. Das richtet sich auf die Zentralisation der von nationalen Schranken befreiten Finanzgeschäfte in ihrer Hand, zu ihrem Vorteil. In diesem Sinn unterziehen sie die Angebote verschiedener Art und Nationalität dem kritischen, per Kauf und Verkauf realisierten Vergleich, dem die Staaten ihre eigenen Schulden und die ihrer Geschäftswelt mitsamt ihrem Kreditgeld, das am nationalen Markt als Umlaufmittel dient, aussetzen. Die Geschäftspraxis der Finanzwelt entscheidet zum einen über Zinsen und die Bewertung des als Ware zirkulierenden Geldkapitals an den verschiedenen nationalen Kreditmärkten; nach Maßgabe des Erfolgs und der erwarteten Erfolgsaussichten nicht bloß der einzelnen Firmen. Mit der Bewertung der staatlichen Anleihen und deren Kursentwicklung ergeht ein kritisches Urteil über die kapitalistische Leistungsfähigkeit des ganzen Standorts, über den die Staatsgewalt regiert und von dem sie lebt; diese spekulative Einschätzung reflektiert Erfolge und Defizite der Unternehmen des Landes auf die Bedingungen hin, die der Staat mit seinem Aufwand dafür setzt. Das Ergebnis ist ein nationales Zinsniveau, das in einer ersten Hinsicht den Preis des nationalen Wirtschaftswachstums festlegt und vergleichend gewichtet. Zugleich bilden die Geldhändler die Wechselkurse zwischen den nationalen Währungen; schlicht nach Angebot und Nachfrage. Als Teil des internationalen Finanzmarkts spiegelt dieser Geldhandel nunmehr den Anteil der nationalen Gelder an dem Liquiditätsbedarf wider, der sich aus den Umsätzen am Weltmarkt für Kredit ergibt. Entscheidend dafür ist, neben und auf Basis der spekulativen Bewertung der Kredite des Landes, die mit anderen Kreditgeldern verglichene kapitalistische Qualität der nationalen Währung, die den Wert des nationalen Kapitals beziffert. In den Vergleich geht natürlich das Qualitätsurteil mit ein, das in Form der jeweiligen nationalen Inflationsrate quasi amtlich vorliegt. Die misst bereits auf ihre Art das Verhältnis zwischen staatlicher Geldschöpfung und kreditfinanziertem nationalen Wachstumserfolg; ihre Entwicklung ist folglich eine maßgebliche Entscheidungsgrundlage für den Gebrauch des sich entwertenden nationalen Geldes als internationales Zirkulationsmittel für Geldkapital. Dementsprechend teilen sich Emittenten, Investoren und Börsenhändler den Erwerb und Verkauf von Wertpapieren sowie den Gebrauch der Kreditgelder der verschiedenen Nationen ein, nutzen Kredite und Währungen kritisch selektiv als Mittel ihrer Bereicherung, als Instrumente ihrer Konkurrenz um die Zentralisation von Finanzkapital in ihrer Hand. Per Saldo erscheint ganz folgerichtig die nationale Färbung der diversen Eigentumstitel, vom schlichten Geldschein bis zur Aktie und Staatsanleihe, ihren Besitzern als Quelle der Verzinsung ihres Vermögens und Bestimmungsgrund seiner wahren Größe.

Verlauf und Ergebnis der Konkurrenz der Geldkapitalisten entscheiden darüber, wie weit der Zweck erreicht wird, den die Staaten mit der Internationalisierung ihrer Finanzmärkte verfolgen und der mit dem Wachstumsinteresse des Finanzgewerbes praktisch zusammenfällt, aber nicht identisch ist. Dessen Geschäfte fördern die Staaten durch die Aufhebung nationaler Schranken, um davon national zu profitieren. Sie nehmen ihren Grenzen, was die Bewegungsfreiheit des finanzkapitalistischen Reichtums betrifft, „das Trennende“, damit die Geld- und Verwertungsbedürfnisse der Marktwirtschaft an ihrem Standort leichter und sicherer befriedigt werden. Sie erlauben und betreiben die internationale Vermarktung staatlicher Wertpapiere, an denen die geldbesitzende und kreditwürdige Elite sich bereichert, um sich billig und nachhaltig zu refinanzieren. Sie erlauben den Finanzleuten und -instituten den Zugriff auf alle Währungen gemäß deren Berechnung, also gemäß dem Kriterium der Wertstabilität und des Wachstums, das die sich davon versprechen, um dem eigenen gesetzlichen Zahlungsmittel den Zuspruch zu verschaffen, der aus einem nationalen Kreditzeichen erst ein brauchbares Weltgeld macht. Um diesen Widerspruch zwischen Supra- und Nationalismus im staatlich lizenzierten Weltgeschäft mit Geld und Kredit kommen sie nicht herum, und er geht für sie auch völlig in Ordnung. In dem Maß und nur in dem Maß, wie die Internationale der Spekulanten und Industriellen, der Händler und Investoren sich aus kapitalistischem Eigennutz eines nationalen Kredits und Kreditgelds bedient, bewährt sich die staatliche Kreditschöpfung als Geldkapital und das gesetzliche Zahlungsmittel als verlässliches Weltgeld.

In diesem wechselseitigen Benutzungsverhältnis zwischen Staaten, die auf ihren nationalen Erfolg aus sind, und dem internationalen finanzkapitalistischen Geschäftsleben verwirklicht sich auf neue und entscheidende Weise das wechselseitige Benutzungsverhältnis zwischen den auf ihren nationalen Erfolg erpichten Staaten; hier kommt ihr Interesse, auswärtige Ressourcen für ihren Kapitalstandort in Dienst zu nehmen, erst richtig zum Zuge, viel grundsätzlicher, massiver und nachhaltiger, als es in Handelsbilanzen und Wechselkursen unmittelbar fassbar wird. Mit ihrem Stellenwert am internationalen Geld- und Kreditmarkt entscheidet sich nämlich nicht nur, was sie, finanzkapitalistisch beurteilt, vergleichsweise wert sind, wie groß oder marginal ihre Geldmacht ist. Der über- oder unterproportionale Anteil ihrer Wertpapiere und ihres Geldes an den Umsätzen und dem Wachstum dieses Marktes entscheidet über den Nutzen, den ein Staat mit seiner Geldmacht aus anderen Nationen für seinen Standort herausholt, bzw. den Dienst, den er für das Kapitalwachstum anderer leistet; und zwar auf höchster Ebene, der des weltweit aktiven fiktiven Kapitals. Hier zu den Gewinnern zu zählen ist der Zweck, den die Staaten mit ihrer dienstbaren Beteiligung am internationalen Finanzmarkt verfolgen. Denn da geht es nicht bloß um die gesicherte Akzeptanz ihres nationalen Kredits und Geldes, sondern um die Verdrängung anderer Gelder und Wertpapiere aus der Nachfrage derer, die weltweit mit der Steigerung der Privatmacht ihres Eigentums befasst sind. Hier konkurrieren die Staaten um die Aneignung des kreditfinanzierten kapitalistischen Wachstums anderer Nationen; somit um eine Enteignung, die nicht nur irgendwelche geldwerten Güter betrifft, sondern die finanzkapitalistische Quelle des marktwirtschaftlichen Reichtums auf der Welt.

Die Entscheidung in diesem Wettbewerb überlassen sie daher nicht dem „freien Spiel der Marktkräfte“. Sie kümmern sich um ihren heimischen Kapitalismus gemäß dem ultimativen Erfolgskriterium eines Wachstums, das einen fürs Finanzgeschäft der ganzen Welt unverzichtbaren, besonders attraktiven Markt begründet. Der Einsatz der staatlichen Geldmacht für Masse und Rate der nationalen Profitmacherei – sowieso und immer Sinn und Zweck der Politik für ihren Wirtschaftsstandort – wird auf das Ziel ausgerichtet, nicht bloß überhaupt in Kapital zu verwandeln, was private und öffentliche Geldschöpfer an Kredit in die Welt setzen: Er soll eine Kreditschöpfung in solchem Umfang fundieren, dass das Interesse von Investoren und Spekulanten, der Bedarf von öffentlichen und privaten Schuldnern wie von Geldbesitzern der ganzen Welt sich vorzugsweise auf den heimischen Finanzmarkt richten. Das verlangt der Staat sich ab. Für diesen Zweck ist nicht mehr alles gut, was für sich genommen kapitalistisch noch brauchbar sein mag oder zu machen wäre. Umso wichtiger wird die staatliche Förderung oder auch Eröffnung von Geschäftsbereichen – im sogenannten „Technologie“-Sektor z.B. oder von „Start-ups“; kapitalistische Modeerscheinungen kommen hier auch zu ihrem Recht –, die ein besonderes Interesse wagemutiger Spekulanten wie um Rendite ringender Sparkassen auf sich ziehen. Ganz folgerichtig bewirken die Staaten mit den ungleichen Mitteln, mit denen sie das gleiche Ziel verfolgen, eine gründliche, qualitative Unterscheidung der Nationen; nicht nur hinsichtlich ihrer inneren ökonomischen Verfassung, sondern in ihrem Stellenwert im Gesamtsystem des von Staats wegen internationalisierten Systems kapitalistischer Bereicherung.

2. Vom Kapitalexport elementaren Typs bis zur globalen Börsenfusion – eine Spekulation, die endgültig auf die Unterwerfung des letzten Erdenwinkels unter die Bedürfnisse des Kapitals gerichtet ist – wird da nichts ausgelassen, was den Staaten geeignet erscheint, den Verwertungsproblemen des Kapitals in ihrem Land entgegenzuwirken; auf Kosten ihrer Konkurrenten ...

Die Musterexemplare der kapitalistisch wirtschaftenden Staatenwelt, die „Industrieländer“, schaffen Überschüsse, die ihre Kapitalisten und ihre Regierungen dazu befähigen, nicht nur das eigene Land weiterhin erfolgreich zu bewirtschaften – deswegen, wegen ihrer großen Tradition effektiver Ausbeutung der als Lohnarbeiterklasse fungierenden Mehrheit ihrer Bevölkerung und im Blick auf die Perspektiven, die daraus folgen, heißen sie ja so –, sondern auch den Rest der Welt. In ihren Firmen sind die nötigen Kapitalmassen konzentriert, um weltweit Niederlassungen zu gründen und in Kreditgeschäfte zu investieren. Entsprechend groß ist die Macht der politischen Herrschaft, Kreditgeld zu schöpfen und damit das Weltgeschäft ihrer Multis anzuheizen. Beide Seiten, Unternehmer und Geldkapitalisten wie Wirtschafts- und Finanzpolitiker, haben in der national verfügbaren Masse von Finanzmitteln zugleich einen unabweisbaren Grund, sind geradezu sachzwanghaft dazu genötigt, Kapital zu exportieren bzw. den privaten Kapitalexport durch rechtliche Garantien, Versicherungen, Investitionshilfen, öffentliche Vorfinanzierung etc. – manches davon heißt „Entwicklungshilfe“ – tatkräftig zu fördern. Denn die Masse an Kapital und Kredit, die Verwertung braucht, um als marktwirtschaftlicher Reichtum Bestand zu haben, ist das Resultat erfolgreicher Überakkumulation, überschreitet also bei Weitem alle nationalen Verwertungsmöglichkeiten. Dieses Übermaß mindert die Rate des Profits, der im Land zu erwirtschaften ist; es beschränkt das Wachstum, das es unbedingt braucht. Eine Lösung bietet die konsequente Ausweitung der Geschäfte auf auswärtige Märkte. Das machen die Multis, und das fördern die Herren der „Industrieländer“. So wirken sie der mit wachsendem kapitalistischem Reichtum zunehmenden Wachstumsschwäche ihres eigenen Betriebs bzw. der nationalen Ökonomie entgegen.

Den Export von Kapital wickeln diese Länder zum einen mit einander ab. Da ist er selbstverständlicher Teil des Bemühens der großen Konzerne, Konkurrenten bei Absatz und Gewinn zu überflügeln, also vom Weltmarkt, der eben vor allem in den „Industrieländern“ stattfindet, auszuschließen und dort, wo die größte Kaufkraft – für Waren wie für Wertpapiere – zu Hause ist, neue, von vornherein monopolisierte Märkte zu schaffen. Niederlassungen im Ausland gehören ganz selbstverständlich zu dieser Konkurrenz; ebenso Investitionen in Kreditpapiere ausländischer Emittenten. Auf der höheren Ebene der Finanzmärkte sind Börsenbetreiber und geldkapitalistische Makler und Marktmacher ebenso grenzüberschreitend aktiv; sie eröffnen eigene Ableger, kaufen sich in vorhandene Produktionsstätten für fiktives Kapital ein oder übernehmen sie; überall, aber natürlich vorzugsweise dort, wo die größten Umsätze abgewickelt werden. Für die Staaten – die „Industrieländer“ –, von denen diese Aktivitäten ausgehen, ist der Export von Finanzmitteln in alle Welt und schwergewichtig hin zu ihresgleichen der Weg, um aus dem Übermaß der Kreditschöpfung an ihren nationalen Finanzmärkten, in ihrem nationalen Kreditgeld, soliden, für alle politischen Zwecke tauglichen und verfügbaren Geldreichtum entstehen zu lassen. Die Chance, die sich ihnen da bietet, können sie unmöglich auslassen: Ihre Geldmacht profitiert von der wechselseitigen Anerkennung ihrer finanzkapitalistischen Geschäftssphären, am Ende auch von der Fusion ihrer nationalen Börsen, der Endstufe ihrer Karriere zum internationalen Finanzplatz, die der spekulativen Kreditschöpfung den denkbar größten Marktplatz für ihr Wachstum bietet. Natürlich können den Staaten daraus Nachteile erwachsen: Die Konkurrenz der Finanzmärkte und der nationalen Kreditgelder hört ja nicht auf; ihre potenten Rivalen können größere Anteile am wachsenden Umsatz auf sich ziehen als sie; die internationalisierten Wachstumsstrategien der Weltkonzerne können auch absolut Marktanteile und Arbeitsplätze kosten. Doch das muss in Kauf genommen werden. Die Freiheit der Kapitalisten, überakkumuliertes Kapital produktiv zu machen, hat Vorrang. Und unter dem höheren Gesichtspunkt der Geldmacht der Nation und ihres Stellenwerts an den internationalen Kreditmärkten fallen steigende wie sinkende Börsenkurse im Kapitalexport engagierter oder zurückhaltender Firmen auf jeden Fall deutlich stärker ins Gewicht als Industrien, deren Betrieb sich im Weltvergleich der Aktien- und Anleihekurse nicht lohnt.

Zu den wichtigen Zielländern des Kapitalexports aus den Zentren der Überakkumulation gehören daneben die sogenannten „Schwellenländer“. Die heißen deswegen so, weil sie den Konkurrenzvergleich mit den „Industrieländern“ nicht scheuen, ihn vielmehr unbedingt immer besser bestehen wollen, die dabei aber über eine entscheidende Schwelle nicht wirklich hinwegkommen: Die Produktivkraft ihres autonom, in eigener Währung geschöpften Kredits genügt den Anforderungen in Sachen Wachstum nicht, denen sie sich mit ihrer Teilnahme am Weltmarkt aussetzen. Dieses negative Urteil exekutiert das internationalisierte, gerade durch den Kapitalexport angestachelte Finanzgeschäft, indem es sich für die Bewirtschaftung dieser Standorte der Kapitalverwertung in erster und letzter Instanz, i.e. an der Quelle des Kredits wie bei der praktischen Endabrechnung in unbedingt verwendbarem Geld, nicht ihrer, sondern der Produkte der etablierten Führungsmächte des Weltkapitalismus bedient. Es funktionalisiert auf diese Weise das Kapitalwachstum dieser Länder, statt für deren eigene Kredit- und Geldmacht, für die ökonomische Bewährung des Übermaßes an akkumuliertem Geldkapital der „Industrieländer“, das dadurch erst recht weiter solide wächst und nach umso mehr Verwertungsgelegenheiten giert. Ein Grund zum Ausstieg aus dem weltweiten Kredit- und Geldkreislauf ist das für die „Schwellenländer“ nicht, im Gegenteil: Für die folgt daraus der politökonomische Sachzwang, im Wettbewerb um den Gebrauch ihrer autonom geschöpften Kreditpapiere und -gelder durch die Internationale der Investoren und Spekulanten den Durchbruch zu erzielen und zu den führenden Weltgeld- und Kreditschöpfern aufzuschließen.

Die Entscheidung in diesem Wettbewerb überlassen sie daher erst recht nicht – so wenig wie die Führungsmächte – dem pur eigennützigen, insofern unparteiischen Urteil der Spekulanten. Oft entschließen sie sich, dem Gebrauch ihres Geldes mit direktem Einsatz ihrer hoheitlichen Gewalt nachzuhelfen: Sie setzen Devisen aus den Beständen ihrer Zentralbank für den Aufkauf und eine entsprechende Steigerung des Werts ihrer Währung ein, damit die fürs geldkapitalistische Geschäft attraktiver wird; oder sie erhöhen zu demselben Zweck die Zinsen für Geldkapital, das sich ihrer Währung bedient. Wirklich nachhaltig wirkt beides freilich nicht. Je dringlicher der Bedarf, umso kostspieliger sind derartige Markteingriffe, und umso nützlicher nur für die andere Seite: Wenn der Devisenschatz des Landes seinem Geld den Wert verschaffen soll, den es qualitativ, auf Basis seiner Verwendung durchs internationale Finanzgewerbe, nicht hat, dann vergoldet der Staat damit die Skepsis der Spekulanten und räumt sie nicht aus. Die Devisenbeschaffung wird zum eigenen Zweck. Wenn die Staaten den Reichtum, den ihre Ökonomie produziert, dafür verwenden, ist das wenig bis gar nicht produktiv für ihr Wachstumsziel; das gilt noch mehr für den Ausverkauf ihrer „natürlichen Reichtümer“, sofern sie über auswärts gefragte Rohstoffe verfügen. Die andere Methode, ein von Staats wegen erhöhter Zinssatz für den Gebrauch nationalen Kreditgelds, bereichert in erster Linie Devisenbesitzer, die sich nur deswegen und nur so lange in den Finanztiteln socher „Weichwährungsländer“ engagieren, wie die Rechnung mit der Zinsdifferenz für sie aufgeht; das ist auf jeden Fall mehr Last als Nutzen für die nationale Kapitalakkumulation. Folglich bemühen sich die Herren der „Schwellenländer“ vor allem um einen dauerhaften Kapitaltransfer aus dem Ausland, indem sie mit der Gewalt, die sie über Land und Leute haben, die Bedingungen für maximale Profitraten schaffen; mit dem doppelten Ziel, das Interesse von Spekulanten und Investoren nachhaltig an den eigenen Standort und dessen „Entwicklung“ zu binden und um mit dem so attrahierten produktiven Kapital ein nationales Wachstum zu erzielen, das die Kapitalzufuhr ökonomisch rechtfertigt. Das soll am Ende ungefähr das Gegenteil bewirken: den Durchbruch, auf den es ihnen ankommt, nämlich die praktische Anerkennung ihrer autonomen nationalen Kreditschöpfung als überzeugend wirkende Quelle einer Akkumulation auf dem Niveau der Überakkumulation, mit der die „Industrieländer“ Maßstäbe setzen, sowie ihres Kreditgelds als verlässliche Materie des kapitalistischen Reichtums der Welt.

Tatsächlich wird der Kapitalexport in „Schwellenländer“ dort in dem Maß produktiv wirksam, wie Kapitalisten und Politiker ihr Volk dafür in Dienst nehmen. Er steigert, wenn auch meist nur selektiv, die Konkurrenzfähigkeit von Industrien. Rückwirkungen auf die Wirtschaft der überakkumuliertes Kapital exportierenden Länder bleiben auch da nicht aus. Unter Umständen „leiden“ in den „Industrieländern“ ganze Branchen unter der wachsenden Produktivität und Größe von Konkurrenten in den Zielländern des Kapitalexports – oder haben sich selbst per Kapitalexport dorthin verlagert. Gegen den Export von Kapital in dadurch ökonomisch ertüchtigte „Schwellenländer“ sprechen deren Konkurrenzerfolge aber nicht automatisch. Investoren, die sich in so einem Ausland breitmachen, gewinnen direkt; ebenso und erst recht Spekulanten, die für ihre Portfolios auf Unternehmens- und Staatsanleihen solcher Länder setzen. Gesteigerte Wachstumsleistungen auswärtiger Volkswirtschaften sind auch für die Staaten nicht schlecht, aus denen das Geld stammt, das dort so gut wirkt; im Gegenteil. Es ist und bleibt ja ihr Finanzmarkt, dessen Kreditschöpfung sich dort in Kapitalwachstum verwandelt, der so an Breite und Tiefe und Masse gewinnt, also an Macht, die restliche Welt zu bewirtschaften; es ist ihr Kreditgeld, für dessen Qualität als definitive Materie des Reichtums die kapitalistische Produktivkraft der Staatenwelt bürgt, in die es fließt. Für die „Schwellenländer“, die nicht nur ihren Gläubigern Zinsen zahlen, sondern den Herkunftsländern des Großteils ihrer Wachstumsmittel und ihrer internationalen Zahlungsfähigkeit den Dienst der Verwertung übermäßiger Kapitalmengen leisten, heißt das umgekehrt: Bei allem eigenen Wachstum bleiben sie in der Regel unter dem Regime und arbeiten für den Nutzen der großen Finanzmächte. Für sie ist es schon ein Erfolg, wenn sie mit Exporterlösen genügend Devisen für ihren Schuldendienst erwirtschaften, um weiter kreditwürdig zu bleiben, und dabei kraft eigener autonomer Kreditschöpfung ein Wachstum zustande bringen, das die Verantwortlichen hoffen lässt, aus der „Falle“ einer Kapitalakkumulation im Dienst an auswärtigem Kredit herauszukommen. Auch dann fördert der Kapitaltransfer aus den „Industrieländern“ in die „Schwellenländer“, den beide Seiten brauchen und wollen – die einen für ihre Überschüsse, die andern zwecks Überwindung ihrer Defizite –, jedoch bis auf Weiteres und nur auf höherer Stufe den Prozess einseitiger zwischenstaatlicher An- und Enteignung, um den es den Mächtigen geht und den das internationalisierte Kreditgewerbe aus Eigennutz bewerkstelligt.

In diesen Prozess werden natürlich auch die „armen“ Staaten einbezogen, die es mit ihrem Land und ihren Leuten zu keinem investitionswürdigen Kreislauf von Kreditschöpfung und Kapitalverwertung bringen, die sich deswegen auch gar nicht mit den Großmächten des Weltgeschäfts vergleichen. Aus der globalen Geldwirtschaft sind die keineswegs entlassen, wollen sich auch überhaupt nicht daraus ausklinken. Auch die haben daher ein Geld: ein Zirkulationsmittel für den Hausgebrauch, dessen Wert als Zahlungsmittel, wo immer wirkliche kapitalistische Verfügungsmacht ins Spiel kommt und verlangt ist, ganz von der Kreditierung des Staates durch auswärtige Geldgeber abhängt, wenn es nicht schon durch den Gebrauch fremder Devisen ersetzt ist. Was an solchen Devisen ins Land kommt, ist regelmäßig der wirkliche oder spekulativ antizipierte Erlös aus dem rohen Stoff für kapitalistische Produktion, den diese so genannten „Entwicklungsländer“ allenfalls zu verkaufen haben: Material, das als natürlicher Reichtum gilt, weil es gar kein wirklicher ist, aber – immerhin – durch seinen Ausverkauf echtes Geld bringt, soweit die Weltkonjunktur es braucht und solange es reicht. Im Angebot sind auch Menschen, die für die Beschaffung solcher Stoffe und, weil sie so gut wie nichts kosten, auch für ein paar andere Dienstleistungen taugen, für produktive Geschäfte aber nicht, weil es solche im Land nicht gibt. Verkauft wird, wenn sonst nichts, „unberührte“ Natur an Kapitalisten aus einer sauberen Welt, die dort alle Arten von Dreck abladen dürfen. So gehört auch diese Ländergattung zum Wirkungsbereich unbegrenzter marktwirtschaftlicher Standortpolitik.

3. ... sodass die Herren des Weltmarkts schließlich zwischen Konkurrenz und Krise kaum mehr einen Unterschied kennen und ‚Globalisierung‘ sagen

Mit all ihren Bemühungen, dem immer wieder eskalierenden Missverhältnis zwischen der Masse des akkumulierten Kapitals und der Rate seiner Verwertung per Bewirtschaftung der gesamten Staatenwelt entgegenzuwirken, steigern und verallgemeinern die führenden Wirtschaftsmächte die Überakkumulation, die sich im tendenziellen Fall ihrer Profitrate so problematisch auswirkt und die periodisch ihren eigenen Fortgang lahmlegt, also in allgemeine Entwertung umschlägt. Startpunkt einer solchen Krise ist allemal die Kündigung von Kredit durch Finanzinstitute, die den eigenen Produkten nicht mehr vertrauen und deswegen die Finanzierung ihrer Schuldner einstellen. In einer Welt, die bis in den letzten Winkel unter die Logik kapitalistischer Überakkumulation subsumiert ist, ist die Krise eine weltweite Angelegenheit; und sie geht folgerichtig von den Finanzmärkten der Nationen aus, mit deren Kreditgeld die Staatenwelt so flächendeckend bewirtschaftet und in übermäßiges Wachstum hineingetrieben wird. Dort sind die Spekulanten zu Hause, die an irgendeiner Stelle, aufgrund nicht vorhergesehener Rückmeldungen aus dem Wirtschaftsleben, auf Vorsicht setzen und den Geldnachschub für Risiken stornieren, die eine Zeitlang als Umsatzbringer willkommen waren. In den Hauptstädten bzw. Zentralbanken dieser Nationen wird entschieden, ob und wann die immer weitere Aufblähung der weltweiten Schuldenwirtschaft womöglich zu einem Missbrauch ihres Kreditgelds ausartet und Restriktionen bei der Refinanzierung des Wachstums und bei den staatlichen Schulden angeraten sind; also auch – was mit dem Urteil der Geschäftswelt gar nicht übereinstimmen muss –, welchen Schuldnern die Refinanzierung gestrichen wird. Von den Folgen der Misstrauenserklärung gegen fragwürdige Finanzierungen, die von ihnen ausgeht, sind die Großmächte mit den tiefen Finanzmärkten und dem guten Weltgeld natürlich auch betroffen; womöglich so, dass sie eine nachhaltige Rezession notieren müssen. Dann ist Weltwirtschaftskrise.

Für diese Staaten ist der krisenhafte Rückschlag ihres Wachstums eine Herausforderung ihrer Macht, mit massiver Kreditschöpfung – „whatever it takes“ – die Verluste ihrer Finanzinstitute zu kompensieren und auf einen alsbaldigen neuen Aufschwung zu spekulieren, also hinzuwirken. Ihre Konkurrenz untereinander stellen sie dabei keineswegs ein. Krisen sind für sie Gelegenheiten, die Dezimierung des fiktiven Kapitals, der Zuverlässigkeit der Staatsschulden und des Werts des Kreditgelds der Rivalen für den Zugewinn an Geschäftsanteilen der eigenen Produkte auszunutzen, um den es ihnen ohnehin dauernd geht. Ihre Krisenkonkurrenz nähert sich da einem Kampf, der den ultimativen Charakter ihrer Rivalität deutlich macht: das Ringen um die Monopolisierung der weltweiten Finanzmärkte. Zugleich wird in der Krise jedoch ganz praktisch und drastisch offenbar, wie unbedingt die Großmächte mit ihrer Geld- und Kreditmacht auf einander angewiesen sind: Mit ihrer nationalen Geld- und Kreditschöpfung und ihren damit in Schwung gebrachten Finanzmärkten sind sie für einander nicht bloß womöglich ersetzbare Geschäftsgelegenheiten, sondern unentbehrliche Geschäftsfelder, erste Multiplikatoren ihrer eigenen nationalen Finanzmacht. Sie brauchen einander als autonome Subjekte des globalen Finanzmarkts, auf dem sie mit dem Rest der Welt und gegen einander um die Enteignung fremder Geld- und Kreditschöpfer, die Aneignung der Quellen des kapitalistischen Reichtums der anderen Staaten streiten. Sie kommen daher nicht umhin, in der Krise nicht allein die Chance zur Verdrängung ihrer Partner zu sehen und zu ergreifen, sondern daneben, zugleich, deren Politik der Krisenbewältigung durch nach oben offene Kreditschöpfung mit der Bereitstellung eigener Kreditlinien zu unterstützen, die den Finanzmitteln der Konkurrenz ihre internationale Qualität bestätigen.

Eindeutig negativ kriegen die „Schwellenländer“ in der Krise ihre Funktion als Gegenwirkung gegen die Wachstumsschwäche in den Heimatländern des überakkumulierten Kapitals und Anlage suchenden Kredits zu spüren. Von der kritisch berechnenden Zurückhaltung benötigter Finanzmittel, der Kündigung zugesagter und getätigter Investitionen sind sie in der Regel als Erste und am massivsten betroffen; der marktwirtschaftliche Sachverstand erkennt in ihnen daher gerne die Verursacher der sich ausweitenden Stornierung des globalen Geschäftslebens. Wenn Investoren und Spekulanten ihre Engagements auflösen und sich in hartem Weltgeld auszahlen lassen, verlieren sie ihren Kredit, womöglich ihre internationale Zahlungsfähigkeit; denn mit ihrem eigenen Kreditgeld will – und folglich kann – der Weltfinanzmarkt in der Krise gar nichts mehr anfangen. Wenn sie beim Export von Rohstoffen – soweit sie darüber verfügen – Zuflucht suchen, um weltgeschäftsfähig zu bleiben, scheitern sie am Einbruch der Nachfrage. Ihr Programm, sich auf das Niveau der kapitalistischen Führungsmächte hinauf zu „entwickeln“, mit einem sich selbst finanzierenden Wachstum und einem als stichhaltig anerkannten, i.e. weltweit benutzten Geld, können sie erst einmal abschreiben. Von ihren Geschäftspartnern, Investoren und Gläubigern werden sie „gesundgeschrumpft“, bis die Spekulation sie als besonders billige, vielversprechende Bereicherungsquelle wieder in Betracht ziehen kann. Ihren Konkurrenzkampf untereinander um den Zuspruch der großen Finanzwelt führen sie mit dem Ziel, in der Neusortierung der Nationen unter dem Gesichtspunkt ihrer Kreditwürdigkeit besser als die anderen und womöglich besser als zuvor abzuschneiden.

Erst recht klar sind die Folgen der Krise für die Länder ganz ohne eigene Kreditmacht und mit dem dringendsten Bedarf an notdürftig erworbener oder ganz geliehener Weltwährung. An die ergeht der Bescheid, dass sie ökonomisch ohne Wert sind, weil – und solange – sie als Zulieferer für die Weltkonjunktur nicht gebraucht werden. Ihr ökonomisches Überleben ist eine reine Ermessensfrage, die definitiv nicht mehr ans Finanzgewerbe geht, sondern von anderen Staaten beantwortet wird.

Alle Staaten sind im Krisenfall damit beschäftigt, und zwar auf jeder Stufe der kapitalistischen Hierarchie der Nationen, mit ihren ökonomischen Mitteln fällige Schäden auf andere abzuwälzen. Den Kredit, über den sie verfügen, oder auch den Nutzen, den ihre „Geldgeber“ aus ihnen herausholen, bringen sie, so gut sie können und soweit sie es jeweils treiben wollen, per Verweigerung als Waffe zum Einsatz. Insofern ist ihre Krisenbewältigung keine Affäre zwischen ihnen und dem Finanzkapital, sondern ein Streitfall zwischen den Souveränen. Mit dem Bemühen, sich im allgemeinen GAU des kapitalistischen Wachstums an ihresgleichen schadlos zu halten, machen sie ganz praktisch sich gegenseitig für die Schäden haftbar, die die Überakkumulation des Kapitals ihnen zufügt, wenn sie kaputtgeht und in Entwertung umschlägt. Mit der Unterbrechung des grenzüberschreitenden Geschäftsverkehrs und den Bedingungen, die sie für dessen Fortgang oder Erneuerung setzen, machen sie Rechtsansprüche gegen einander geltend: Ansprüche auf Leistungen, die die konkurrierenden Staaten ihnen schulden und in der Krise schuldig bleiben; ganz gleich, ob der andere aus Berechnung zugesagte Dienste kündigt oder wegen erlittener Schädigung Verträge nicht erfüllen kann.

Auf die Art konfrontieren die Staaten einander gewaltsam mit der generellen Bedingung, unter der ihr ziviler Geschäftsverkehr überhaupt nur stattfindet und die im Zuge ihrer Krisenpolitik nur deswegen explizit auf die Tagesordnung kommt, weil sie nicht erst dann und dafür erfunden werden muss, sondern grundsätzlich und immer gilt. Diese Prämisse besteht aus zwei einander widersprechenden Grundsätzen: Einerseits beteiligen sich souveräne Staaten nur aufgrund eigener Vorteilsrechnung an der internationalen Konkurrenz; das gestehen sie einander auch zu. Andererseits nehmen sie mit ihrem souverän definierten Eigennutz an einem Geschäftsverkehr teil, der zwar notwendigerweise Sieger und Verlierer schafft, Gewinn und Verluste ungleich verteilt, aber nur funktioniert, wenn und weil die Beteiligten das akzeptieren. Die Staaten schaffen ein System der Konkurrenz, um an und im Vergleich zu ihresgleichen, also auf deren Kosten, zu gewinnen; und ebendieses Nutzens können sie sich nur sicher sein, weil und solange sie selbst und alle anderen auch Verluste und Niederlagen akzeptieren.

Der Widerspruch, den sie sich damit zumuten, löst sich für die Schwächsten, die „armen“ Staaten, am ehesten auf: Zu ihrer hoffnungslosen Position am unteren Ende der Hierarchie der Nationen gibt es für sie keine Alternative; also fügen sie sich in deren Reglement ein und existieren vom politischen Kredit der Mächte, die in ihrer Weltordnung keine Leerstelle dulden. Für die ambitionierten „Entwicklungs‑“ und „Schwellenländer“ relativiert sich der Widerspruch zwischen Eigennutz und Konkurrenzregime entscheidend durch ihr selbstdefiniertes Programm: einen Aufstiegswillen, der auch eine krisenbedingt verschlechterte Konkurrenzposition als die Lage hinnimmt, aus der sie sich unbedingt herausarbeiten wollen. Gar nicht auflösbar ist dieser Widerspruch in der Rivalität zwischen gleichartigen und gleichrangigen kapitalistischen Großmächten mit ihren tiefen Finanzmärkten und einem bedingungslos nutzbaren Weltgeld. Ebendieser Status ist nämlich unverträglich damit, dass es ihn mehrfach gibt: Wer die Garantiemacht des Kredits sein will, von dem das kapitalistische Weltgeschäft seinen Ausgang nimmt, der kann eine konkurrierende staatliche Kreditschöpfung nur als Derivat der eigenen akzeptieren, weil es sonst nicht sein Weltgeschäft ist. Ein Souverän, der auf der unbedingten Gültigkeit des von ihm geschaffenen Kreditgelds als Materie des kapitalistischen Reichtums der Welt besteht, kann sich zwar mit allen möglichen quantitativen Tauschverhältnissen zwischen seiner und fremden Währungen abfinden, aber nicht hinnehmen, dass ein fremdes Geld dem seinen den Vorrang des letztinstanzlichen Maßes aller kapitalistischen Dinge streitig macht. Wenn es zwischen Kreditschöpfung als Quelle und Kreditgeld als Endpunkt und Neubeginn kapitalistischer Wertschöpfung um die Indienstnahme der Staatenwelt für den unabweisbaren Wachstumsbedarf des überakkumulierten Kapitals geht, dann steht für die großen Rivalen ihr Status im System der Konkurrenz auf dem Spiel: die Alternative, Diener oder Dienstherr dieses Verwertungsprozesses zu sein. Die Konkurrenz der kapitalistischen Weltmächte ist, kurz gesagt, eine Konkurrenz ums Monopol. Oder anders gesagt: Diese Mächte halten den Widerspruch zwischen dem Regime eines Systems, das auch ihnen die Hinnahme von Niederlagen zumutet, und ihrem Recht auf Erfolg letztlich gar nicht aus.

Gelöst wird er nicht. In der Krise, die ihn so greifbar macht, bleibt er – phasenweise problematisiert unter dem Stichwort „Globalisierung“, das eben mehr aussagen will als die Tatsache, dass es den Weltmarkt gibt – im Nebeneinander von Konkurrenz und Kredit in Kraft. Dass es ihn überhaupt gibt, dass er Bestand hat, dass er als durchorganisiertes System existiert: Das ist die ultimative Leistung internationaler Gewalt. Die braucht die Konkurrenz der Kapitalisten am Ende nämlich auch noch.

[1] Die §§ 19-22 des Kapitels IV Wachstum durch Zentralisation von Kapital: Der Konkurrenzkampf um die Überwindung der Konkurrenz sind in GegenStandpunkt 2-21 erschienen. Eine Übersicht der Kapitel und Paragraphen der „Konkurrenz der Kapitalisten“ findet sich hier.

[2] Bis hierher eine Zusammenfassung der Leistungen, die der Staat als Förderer, Nutzer und Hüter des Kreditsystems „im Innern“ im Interesse der beständig gesteigerten Kapitalproduktivität erbringt: § 17/2., GegenStandpunkt 1-19, S. 59 ff.