Imperialistische Konkurrenz um den südlichen Kaukasus und Zentralasien (Teil 1)

  • I. Der Fall Georgien
    • 1. Die Vorgänge rund um den Rücktritt von Präsident Schewardnadse
    • 2. Ein demokratisch organisierter Putsch
    • 3. Was hat Schewardnadse verkehrt gemacht?
    • 4. Ein Fall in der imperialistischen Konkurrenz um die Beschlagnahmung einer Region
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Siehe auch
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Gliederung

Imperialistische Konkurrenz um den südlichen Kaukasus und Zentralasien[1] (Teil 1)

I. Der Fall Georgien

1. Die Vorgänge rund um den Rücktritt von Präsident Schewardnadse

In Georgien stehen Parlamentswahlen ins Haus. Bereits im Vorfeld erhören die USA die Zweifel der Opposition an der Fähigkeit/Bereitschaft der Herrschenden zur ordnungsgemäßen Durchführung von Wahlen. Sie nehmen die Demokratie in Georgien in die eigenen Hände und schicken im Juli eigens den ehemaligen Außenminister Baker vorbei, um Schewardnadse auf eine entsprechende Ausrichtung der Wahlen zu vergattern: Eine US-Gesellschaft namens ISFED, International Society for Fair Elections and Democracy soll neue Wählerlisten erstellen und per Internet einsehbar machen, um die landesüblichen Fälschungen zu unterbinden. Mit derselben Gründlichkeit sorgt sich die Supermacht um eine ausgewogene Besetzung der Wahlkommission, verschafft also der Opposition Eingang in diese und auch sonst alle technischen und finanziellen Mittel, sich als Alternative überhaupt aufzustellen. Amerikanische Gelder sind schon vorher geflossen im Sinne der Entwicklung einer Reihe von zivilgesellschaftlichen Organisationen, von privaten Medien über Wahlforschungsorganisationen bis zu neuen politischen Parteien (Guardian Weekly, 3.-10.1.04). Daneben vermittelt die Soros-Stiftung „Open Society“ Kontakte der studentischen Jugend zur serbischen Studentenorganisation ‚Otpor‘, die ja Erfahrungen in Sachen Tyrannen-Sturz mitzuteilen hat. Auf der anderen Seite entziehen US-Regierung, IWF und Weltbank unter Hinweis auf „Korruption“ der Regierung ihre finanzielle Unterstützung.

Die Regierung lässt die Wahlen dann doch auf Basis der alten Wählerlisten durchführen – angeblich, weil die neuen nicht fertig geworden sind –, und für die Partei des Präsidenten wird ein Sieg ausgezählt. Der Opposition, von den amerikanischen NGOs, die parallele Wähler-Umfragen veranstaltet haben, mit anders lautenden Wahlresultaten und viel Material über Unstimmigkeiten der Wählerlisten ausgerüstet, fällt es nicht schwer, der Regierung einen groß angelegten Wahlbetrug nachzuweisen. Sie mobilisiert unter der Parole Rettung der Wählerstimmen für eine Belagerung des Parlaments, macht landesweit Stimmung gegen die „korrupte“ Regierung und bringt damit das Land an den Rand eines Bürgerkriegs. Drei Wochen nach der Wahl erfolgt der offizielle Bescheid aus Amerika, das von der staatlichen Wahlkommission verkündete Ergebnis gebe nicht den Willen der Wähler wieder. Washington sei angesichts der Manipulationen von der georgischen Regierung sehr enttäuscht. (FAZ 22.11.)

Weltpolitisch ins Recht gesetzt, besetzt die Opposition am nächsten Tag das Parlament. Der georgische Präsident verhängt zwar noch den Ausnahmezustand, kann sich aber schon nicht mehr sicher sein, ob das Militär noch hinter ihm und seiner Regierung steht – die Opposition beruft sich auf die Unterstützung der von Amerika ausgebildeten und ausgestatteten Sondertruppen. Dem russischen Außenminister wird die Ehre zuteil, Schewardnadse klarzumachen, dass er sich nicht halten kann. Dieser tritt daraufhin ab.

Die Parlamentspräsidentin Burdschanadse übernimmt interimsmäßig das Kommando und setzt Neuwahlen an. Im Vorfeld derselben wirkt der amerikanische Botschafter auf die politische Führung in Adscharien ein, die ihre mit der Regierung Schewardnadse getroffenen Arrangements über den Haufen geworfen sieht und daher von einem Putsch gegen die demokratisch gewählte Regierung Schewardnadse spricht; im Gegenzug gegen amerikanische Garantien für ihren Autonomiestatus in Georgien soll sie die Veranstaltung von Neuwahlen durch ihre Teilnahme legitimieren, was sie dann auch tut. Der IWF nimmt die Kreditzahlungen wieder auf. Die USA spendieren dem erneut zu den Urnen gerufenen Volk eine Runde Heizung und Lebensmittel sowie dem georgischen Haushalt Zahlungsmittel zur Begleichung von Lohnrückständen bei Armee und Polizei.

Und wie es der Teufel will – aus den Wahlen geht der Führer der Opposition, Saakaschwili, als strahlender Sieger hervor. Eine Persönlichkeit aus dem US-Reservoir junger dynamischer Führungskräfte fürs Ausland, auf Kosten des US-State Department in den USA ausgebildet und dort als Anwalt und Lobbyist der Ölbranche (SZ) tätig, bis ihn seine amerikanischen Förderer Schewardnadse als Justizminister in die Regierung gesetzt haben, aus der er sich dann mit einem dramatischen Auftritt zum Thema Korruptionsbekämpfung in die Opposition verabschiedet hat. Dass er der richtige Mann für Georgien ist, stellt er jetzt erstens mit dem Versprechen klar, entschlossen den Kampf gegen die Korruption aufzunehmen, also die politischen Gegner, die sich bis gestern die Staatspfründe unter den Nagel gerissen haben, fertig zu machen. Zweitens verspricht Saakaschwili, im Kampf gegen das Verbrechen auch vor extremen Maßnahmen bis hin zum Erschießen nicht zurückzuscheuen (gazeta.ru, 13.1.04), also rücksichtslos gegen alle Kräfte vorzugehen, die der Staatsmacht die Kontrolle über nicht unerhebliche Teile ihres Landes streitig machen – in den russenfreundlichen Teilrepubliken Abchasien und Südossetien sowie in Adscharien dürfen sich die Separatisten also auf einiges gefasst machen. Und die dafür erforderlichen Machtbefugnisse verschafft er sich auch sogleich durch eine Verfassungsreform, die ihm als Staatspräsidenten nicht nur das Recht einräumt, das Parlament aufzulösen, wenn es nicht spurt, sondern ihn auch noch zum Chef der Armee, zum Außenminister und zum obersten Verfassungsrichter macht. Dafür, dass er nichts verkehrt macht, sorgen im übrigen die US-Berater vor Ort. Die für Georgien wichtigste Forderung stellt der amerikanische Verteidigungsminister vorsorglich gleich selber: Die russischen Militärbasen müssen geräumt werden; darüber will man demnächst mit Russland verhandeln.

2. Ein demokratisch organisierter Putsch

Da sieht man einmal, wozu Demokratie in einem Land wie Georgien gut ist – und so, wie am Fall Georgien durchexerziert, wird die Forderung nach „Demokratisierung“ und „demokratischen Reformen“, mit der die Hüter der Weltordnung die Regierungen in dieser Weltgegend traktieren, dann wohl auch gemeint sein. Sie ist nicht das Mittel der staatlichen Herrschaft dort, sondern wird als Instrument der westlichen Aufsichtsmächte in sie implantiert. In deren Händen bewährt sie sich als Verfahren, auf Regierungen Druck auszuüben, auf sie ein- und in ihren Laden hinein zu wirken bis zu der in Georgien erstmalig praktizierten Konsequenz, eine aus welchen Gründen auch immer in Ungnade gefallene Führung zu kippen. Die hält es offenbar nicht aus, wenn auf Druck von außen ernst gemacht wird mit dem demokratischen Prozedere. Sie hat schon verloren, wenn sie in freien Wahlen gegen eine Opposition bestehen muss, die die Gelegenheit bekommt, mit dem Standard-Vorwurf der Korruption öffentlich gegen sie Stimmung zu machen.

Und das wiederum zeigt: Die Herrschaft beruht da auf einer ganz anderen Grundlage und funktioniert deswegen überhaupt nicht demokratisch. Sie wird ausgeübt über ein Land, in dem nach seinem marktwirtschaftlichen Neubeginn in Ermangelung einer kapitalistischen Geldvermehrung im wesentlichen nur das an Geldreichtum existiert, was auswärtige zahlungskräftige Interessen dort hinterlassen: Von einer Volkswirtschaft Georgiens z.B. ist nur so viel in Erfahrung zu bringen, dass ein Mineralwasser nach Russland exportiert wird, dessen Quellgebiet nun allerdings durch eine von Amerika projektierte Pipelinetrasse gefährdet wird; außerdem lassen deutsche Reformhäuser Heilkräuter sammeln; die Hälfte der erwachsenen männlichen Bevölkerung ist in Russland unterwegs und ernährt sich und ihre Familien durch Straßenhandel; über die georgischen Grenzen hinaus bekannt geworden ist vor allem das Geschäft mit der Entführung von Ausländern. Die entscheidenden Geldquellen für so ein Land sind daher Tantiemen für Förderung und Transport von Naturstoffen, mit denen der Weltmarkt etwas anstellen kann; der Tribut, der beim Grenzübertritt anderer Güter eingetrieben werden kann; Zuwendungen und Bestechungsgelder von auswärts für bestimmte Dienste; Kredite oder Fördermittel im Namen von Entwicklung, Demokratie usw. Diese staatlichen Pfründe ernähren mehr oder minder schlecht eine politische Führung, sowie das Militär und auch noch ein bisschen einen Beamtenapparat. Auf dieser Grundlage funktioniert Herrschaft – soweit sie das tut – überhaupt nur als das Mittel eines Clans, der sich mit der Regierungsgewalt die exklusive Verfügung über diese Pfründe sichert und umgekehrt seine Herrschaft sichert, indem er mittels dosierter Beteiligung an diesen Pfründen Loyalitäten stiftet. Mit der herrschaftlichen Gewalt, die so einer Führung zu Gebote steht, hat freilich auch die einiges vor und dafür viel zu wenig Mittel. Immerhin ist sie damit befasst, eine Nation erst noch zu gründen, und d.h.: Grenzen zu definieren und innerhalb derselben ein staatliches Gewaltmonopol durchzusetzen – gegenüber Nachbarn wie gegenüber den darin vorhandenen Völkerschaften. Für eine ‚Opposition‘ gibt es da keine nützliche Verwendung. Die konkurrierenden Sippschaften, die den Regierenden deren Position streitig machen, weil sie sie einnehmen wollen, und die auch schon mal andere Vorstellungen von der zu schaffenden Nation haben, werden bekämpft. Das ‚Volk‘, das womöglich in großen Abteilungen gar nicht der Auffassung ist, dass es der von der Hauptstadt aus beanspruchten Nation angehört, kommt mit seinen Sorgen um eine irgendwie geartete Subsistenz mit der Politik gar nicht und wenn, dann zumeist negativ in Berührung. Umgekehrt hegen die Obrigkeiten angesichts der verschiedenen politischen Notstände begründete Zweifel, dass die neuen Völker zur Tugend der Loyalität fähig und bereit sind; daher stellen sie die Medien öfters ganz in den Dienst der Aufgabe, einen Führungskult zu inszenieren, um dem Volk seine staatsbürgerliche Pflicht zur Akklamation beizubringen, Sicherheitsdienste überwachen den Lernprozeß. Eine demokratische Volksbefragung ist unter diesen Voraussetzungen eine eher absurde Veranstaltung.

Es sind denn auch die weltmächtigen Erfolgsnationen, die das demokratische Verfahren, mit dem sie bei der Ausübung ihrer Herrschaft über ihren kapitalistischen Laden gute Erfahrungen machen, zur Norm guten Regierens erheben und diese auch im weiteren Osten verankert sehen möchten. Eben auch dort, wo Demokratie alles andere als ein Beitrag zum Funktionieren der Herrschaft ist. Wenn sich die angesprochenen Staatschefs der verlangten „Demokratisierung“ ihrer Staatswesen widersetzen – wohl wissend, dass sie mit der Abhaltung von Wahlen, der Zulassung politischer Konkurrenz und regierungsunabhängiger Medien, dem Gewährenlassen internationaler Wahlbeobachter ihre eigene Macht untergraben –, begeben sie sich damit ins Abseits der wohlanständigen Völkergemeinschaft und haben mit ernsten Konsequenzen zu rechnen. Wenn sie sich aber in der einen oder anderen Form zu „demokratischen Reformen“ herbeilassen, verpflichten sie sich darauf, ihre Herrschaft in Formen abzuwickeln, die den elementaren Bedürfnissen dieser Herrschaft widersprechen, und institutionalisieren in ihrem Staatswesen so einen bleibenden, gegen sie jederzeit mobilisierbaren Vorbehalt. Denn mehr als einen wackeligen Schein von Demokratie können sie bei sich nicht zulassen. Demokratie ist für sie eine Pflichtübung, die sie gemäß ihren Herrschaftsbedürfnissen absolvieren. D.h. Wahlen werden nach Kräften so organisiert, dass das erwünschte Ergebnis herauskommt; Wählerlisten werden gefälscht, Wahlurnen verschwinden, Wählerstimmen werden gekauft, Wähler terrorisiert, die Opposition unterdrückt. Jeder weiß das, selbstverständlich auch die westliche Staatenwelt, die mit ihren Wahlbeobachtern vor Ort ist.

Im Falle Georgiens hat Amerika nun also beschlossen, der Regierung aus solchen „undemokratischen“ Machenschaften einen Strick zu drehen und Demokratie gegen sie durchzuexerzieren.[2] Es hat eine Opposition aufgebaut, mit einem Führer, der die eigene Kreatur ist. Ihm wird eine Öffentlichkeit und ein Wahlkampf finanziert, und mit dieser Unterstützung hat er sich durchgesetzt. Dass er jetzt erst einmal aufräumt und seinen Clan an die Macht bringt, das wird ihm von der amerikanischen Schutzmacht zugebilligt, schließlich ist er der Richtige und muss seine Herrschaft festigen, leadership beweisen. Dagegen läßt sich nichts sagen, schließlich ist er demokratisch gewählt, und dieses Argument hat solange Gültigkeit, bis die Amerikaner Gründe zur Unzufriedenheit mit ihm entdecken und ihren demokratischen Vorbehalt gegen ihn mobilisieren.

Soviel wird daraus also auch klar: Verstöße gegen das demokratische Regelwerk und das Bedürfnis der amerikanischen Ordnungsmacht nach einem Machtwechsel sind immer noch zwei verschiedene Sachen. Und nachdem mit Schewardnadse ein ausgesprochen treuer Vasall der USA gehen musste, für den die Unabhängigkeit seiner Nation von Russland immer oberste Priorität hatte, der auf Amerika als die natürliche Schutzmacht seiner Nation gesetzt und seit seinem Amtsantritt um den Anschluss seiner Nation an EU und Nato gebettelt hat, stellt sich die Frage:

3. Was hat Schewardnadse verkehrt gemacht?

Gewiss nicht aus plötzlicher Sympathie für das große Russland, sondern den Nöten seines kaputten Staatswesens gehorchend und mangels Alternative, nämlich ohne Kapital und mit aufgelaufenen Schulden den russischen Energielieferanten verpflichtet, ist Schewardnadse auf russische Angebote eingegangen. Zur Sicherung der Energieversorgung, einschließlich der Reparatur von Produktionsanlagen und Verteilernetzen, hat er einen Stromverteiler in Tiflis und ungefähr das halbe Stromnetz des Landes an den russischen Stromriesen RAO EES verkauft. (Das im übrigen, nachdem eine US-Firma aus dem georgischen Stromgeschäft ausgestiegen war und ihren Anteil an EES verkauft hatte – welcher klar denkende Unternehmer investiert schon in die Stromversorgung eines Staates, in dem weder Behörden noch Bewohner in der Lage sind, Stromrechnungen zu zahlen?!) Schewardnadse hat sich also darauf eingelassen, den für die Erhaltung seines Ladens notwendigen Bedarf an Heizung und Strom über die alten Beziehungen zu regeln – bis auf weiteres, auf alle Fälle aber für die Zeit bis zu den kommenden Wahlen. Außerdem ist aus den Verhandlungen seiner Regierung ein weiteres Angebot von Gazprom bekannt geworden, eine durch Südgeorgien verlaufende Pipeline zu modernisieren und bis in die Türkei auszubauen. Und damit war Schewardnadse unten durch. Nicht nur bei der nationalistischen Opposition in seinem Land, die ihm prompt Verrat an der Unabhängigkeit der georgischen Nation vorwirft – Das Ziel von Gazprom ist es, Georgiens Haupt-Pipeline in die Finger zu bekommen und Georgiens politische Souveränität zu untergraben –, mit diesem Vorwurf einen Gutteil ihres Wahlkampfes bestreitet und die Regierung dazu zwingt, immer mehr detaillierte Informationen über das geplante Abkommen preiszugeben, die sie lieber für sich behalten hätte. Sondern vor allem bei den USA. Mit seiner Russland-Connection hat Schewardnadse nämlich ausdrücklich gegen den Willen der USA gehandelt:

„Die USA haben ihre Besorgnis darüber zum Ausdruck gebracht, was Steve Mann, Sonderbeauftragter der Regierung in Fragen der Energiepolitik im Kaspischen Becken, neulich als sich ausdehnendes Monopol von Gazprom in der Region beschrieben hat. Am 6. Juni drängte Mann die georgische Regierung dazu, jeden Schritt zu unterlassen, der sich auf die Pipeline im südlichen Kaukasus (die von den USA geplante Gas-Pipeline von Aserbaidschan in die Türkei) sowie auf ein anderes von den USA unterstütztes Projekt nachteilig auswirken könnte, den Bau einer Öltrasse zwischen Baku, Tiflis und dem türkischen Mittelmeer-Hafen Ceyhan.“

Und das war für die USA Grund genug, ihren kaukasischen Freund aus dem Amt zu verjagen. Dessen politische Nöte kennt man zwar: Für Schewardnadse, von dessen Popularität es heißt, dass sie auf den Nullpunkt gefallen ist, ist es lebenswichtig sicherzustellen, dass die Gas-Versorgung nicht vor den Wahlen gestoppt wird. Und man weiß schon auch, dass es ihm nicht am Willen zu fortgesetzter unbedingter Amerika-Treue fehlt, sondern an den Fähigkeiten, die Imperative der Amerikaner zu deren vollster Zufriedenheit umzusetzen: Georgien hängt in seiner Energieversorgung immer noch fast vollständig von Russland ab.[3] Auch über den inneren Zustand des Landes, das er regiert, macht man sich in Washington nichts vor:

„Georgien ist, wie weite Teile Afrikas und anderer Weltgegenden, ein politisches Gemeinwesen, das über Familien- und Clanbeziehungen organisiert ist und in dem Patronage eine absolut zentrale Rolle spielt. Dieses System gedieh unter der sowjetischen Herrschaft, entspricht aber alten georgischen Traditionen. Als die Sowjetunion zusammenbrach und Georgien die geschützten Sowjet-Märkte für seine Produkte verlor, brachen unglücklicherweise sowohl die georgische Wirtschaft als auch das georgische Patronage-System zusammen und trieben die Elite in eine Kleptokratie, in der sie plünderte, was immer als Geldquelle zur Hand war – westliche Hilfe, Energieimporte und die Steuern und Zölle ihres eigenen Landes.“ [4]

Doch all das verdient aus der Sicht der USA keinerlei Berücksichtigung, wenn es darum geht, dass ihren Funktionszuweisungen an dieses Land Genüge getan wird. Dass Georgien – vor nicht allzu langer Zeit noch funktionstüchtige Sowjetrepublik – dank dem weisen Beschluss seiner Führung, aus ihm eine unabhängige Nation und diese zum respektablen Mitglied der marktwirtschaftlich verfassten Staatenwelt zu machen, mittlerweile mit afrikanischen Zuständen zu kämpfen hat und auf dem besten Weg ist, die Gattung der ‚failing states‘ um ein weiteres Exemplar zu bereichern, hindert Amerika keineswegs daran, ihm mit einem ziemlich anspruchsvollen Katalog von Auflagen und Aufgaben entgegenzutreten. Und dieser Katalog schließt offensichtlich als einen wesentlichen Punkt den Verzicht auf alle Energie-Geschäfte mit den Russen ein, die geeignet wären, die energiestrategischen Planungen, die Amerika in der Region verfolgt, zu durchkreuzen. Was auch immer dieser Verzicht für das in seiner Energieversorgung von Russland abhängige Georgien bedeuten mag.

4. Ein Fall in der imperialistischen Konkurrenz um die Beschlagnahmung einer Region

Mit ihrer Bereitschaft, zur Sicherung der Energieversorgung wieder verstärkt mit Russland zusammenzuarbeiten und dafür auch in Kauf zu nehmen, dass russische Konzerne sich Teile der Infrastruktur und Energieerzeugung in Georgien aneignen, war die georgische Führung für Amerika nicht mehr tragbar. Dass man sich in Tiflis – statt die chronischen Stromausfälle mit der Aussicht auf die US-Projekte zu verschmerzen, die schließlich erst noch fertiggebaut sein wollen – überhaupt vorstellen konnte, eine Wiederinbetriebnahme der bereits vorhandenen russischen Pipelines käme in Frage und könnte für Georgien nützlich sein, machte den Austausch der Regierung unabdingbar.

Der Ausbau der russischen Pipelines hätte nämlich erstens dem amerikanischen Projekt ökonomisch Konkurrenz gemacht; Branchenkenner problematisieren ohnehin schon, ob und wann sich die Investitionen in die neue Trasse überhaupt rentieren. Zweitens hätte er die politische Zielsetzung des Projekts konterkariert; schließlich ist mit ihm die Ausmischung der Russen aus dem Geschäft mit den Kaspischen Energiereserven und der dortigen Staatenwelt bezweckt. Die USA bestehen darauf, dass das von ihnen herbeiorganisierte Geschäftsleben im Kaukasus derselben Ausschließlichkeit gehorcht – nur in der anderen Himmelsrichtung –, die sie Gazprom verübeln, wenn es an seinem Monopol auf dem Gebiet der GUS arbeitet. Amerika will ja nicht zufällig eine ganz neue Transportroute in die Landschaft setzen, die unter Inkaufnahme größerer Umwege an allen Amerika nicht partnerschaftlich verbundenen Staaten vorbeiläuft; an dem damit beschlossenen Lebenszweck für Georgien – als Durchleitungsland für Amerika zu fungieren – dürfen sich georgische Politiker nicht vergehen; dass Georgien eventuell mit beiden Seiten seine Energieversorgung regeln könnte – das wäre hier eine völlig abwegige Vorstellung von freier Marktwirtschaft. Und drittens und überhaupt hätte Russland Gelegenheit bekommen, sich unter Ausnutzung georgischer Abhängigkeiten verlorengegangenen politischen Einfluss auf dieses Land wieder zu verschaffen. Und das wäre aus amerikanischer Sicht gänzlich unerträglich gewesen: Denn Washington geht es schon seit längerem darum, Georgien und die anderen Staaten der Region dem noch bestehenden Einfluss der russischen Groß- und einstigen Sowjetmacht zu entziehen, russische Ambitionen endgültig hinter die russischen Grenzen zurückzudrängen und sich über unbedingt loyale „Partnerstaaten“ vor Ort an diesen Grenzen als die alleinbestimmende Aufsichtsmacht einzusetzen. Amerika will sich nicht nur den ausschließenden Zugriff auf die Sphäre des Geschäfts mit der Weltenergiereserve sichern, sondern geht davon aus, dass dieser Ausschluss ebenso wie alle diesbezüglichen Eingriffe in die Verteilung von Geschäft und politischer Macht in der Region erstklassige Gewaltfragen aufwerfen. Und diese regelt es gleich mit. So richtig fertig ist der schöne neue „Energie-Korridor“ erst dann, wenn er unter der richtigen militärischen Kontrolle steht und sich keine andere Macht dort störend bemerkbar machen kann. Als Schirmherr einer solchen politischen Unabhängigkeit Georgiens übt Amerika daher seit längerem Kritik an der militärischen Präsenz Russlands in Georgien und hat nun die Forderung, die russischen Stützpunkte zu schließen, mit neuem Nachdruck erhoben.

Worum es Amerika geht, hat man in Moskau nicht nur gut verstanden, ungefähr so, wie die Amerikaner es unterstellen, rechnen die Russen ja auch, wenn sie Georgien großzügige Angebote auf dem Feld der Energieversorgung machen. Damit werden nicht nur Geschäfte angekurbelt, sondern auch und gerade wegen der elementaren Bedeutung des Geschäftsartikels Energie, von dem ja irgendwie das gesamte Staatsleben abhängt, Druckmittel gesammelt; Hebel für allfällige Erpressungen des Russland nicht gerade wohlgesonnenen Nachbarn im Süden, den man sich gefügig machen und auf Respekt gegenüber russischen Interessen verpflichten will – insbesondere in der Frage der Sicherung eines besonders prekären Abschnitts der russischen Südgrenze und der Definition von Terrorismus bzw. Freiheitskampf im Kaukasus. Schon seit Jahren liegt Russland, das den tschetschenischen Aufstand ausrotten will, mit Georgien im Clinch. Es verlangt, dass sich der südliche Nachbar nicht mehr als Rückzugsgebiet und Hinterland für die tschetschenischen Kämpfer zur Verfügung stellt und diese, soweit er deren habhaft werden kann, an Russland ausliefert. Und nachdem sich Georgien diesem russischen Sicherheitsinteresse verweigert und mit den Tschetschenen eigene Rechnungen angestellt hat, leitet Russland daraus auch schon seit längerem sein Recht ab, den Kampf gegen den „internationalen Terrorismus“ auf georgischem Boden in die eigenen Hände zu nehmen.

Den Übergriff auf das hohe Gut georgischer Souveränität können wiederum die USA nicht auf sich beruhen lassen:

„Die russischen Bombardierungen im Norden Georgiens im Jahr 2000 stellten eine klare und nicht hinzunehmende Verletzung der georgischen Souveränität dar. Russland beschuldigte die georgische Regierung, keine Kontrolle über georgisches Staatsgebiet in der Pankisi-Schlucht auszuüben und zuzulassen, dass die Region zum Zufluchtsort für Kriminelle, Terroristen und tschetschenische Rebellen wird. Die Russen verlangten, Maßnahmen gegen den Terrorismus zu ergreifen.
Unsere sofortige Antwort bestand darin, eine klare Grenze zu ziehen gegen weitere Übergriffe auf georgisches Territorium. Wir stellten gegenüber der georgischen Regierung klar, dass sie es nicht zulassen könne, dass Terroristen ihr Staatsgebiet als sicheren Hafen benützten, und drängten sie zur Unterstützung im weltweiten Kampf gegen den Terrorismus. Wir machten der russischen und georgischen Regierung klar, dass es Georgien überlassen bleiben müsse, die Probleme auf seinem Territorium zu lösen.
Als Teil unserer Bemühungen, Georgien dabei zu helfen, die zur Lösung dieser Probleme und zum Schutz seines Territoriums notwendigen Fähigkeiten zu entwickeln, stellten wir das Georgia-Train-and-Equip-Programm (GTEP) auf, das im Mai 2002 anlief. GTEP ist darauf zugeschnitten, Georgien in Sachen Grenzüberwachung, Anti-Terrorismus, Krisenreaktion und Militärreform zu unterstützen.“[5]

Auf diese unwiderstehliche Art haben sich die USA militärisch am Schauplatz etabliert: In der Rolle des uneigennützigen Schiedsrichters, der dem russischen Vorwurf mangelnder Terrorismusbekämpfung recht gibt, aber nur, um den russischen Militärvorstoß zurückzuweisen. Der auf der anderen Seite die georgische Regierung auf Pflichten bei der Bekämpfung des Terrorismus verweist, um ihr dann mit einem Hilfsangebot zur Seite zu stehen. Damit ist dem russischen Antrag formell entsprochen, in der Substanz aber, dass sich Georgien russischen Interessen gegenüber dienstfertig zu erweisen hat, ist er zurückgewiesen. Und nicht nur das: Jetzt stehen russischen Sicherheitskräften an der Grenze amerikanische gegenüber, und Amerika entscheidet, wieviel russischer Sicherheitsbedarf dort respektiert wird und wann die USA ihre AWACS zu Kontrollflügen über Russland starten lassen. Auf der anderen Seite hat Georgien einen Konflikt bestanden, dem es mit seinen eigenen Kräften gar nicht gewachsen gewesen wäre. Mit dem amerikanischen Angebot von Hilfe, das zurückzuweisen man sich gar nicht leisten konnte, hat man sich dann aber auch eine Kraft ins Land geholt, deren Programm sich nicht darin erschöpft, Georgien behilflich zu sein. Die definiert vielmehr, wie und welche Politik in Georgien gemacht wird. Als Sponsor der georgischen Elitetruppe hat Amerika einiges beim Einsatz dieses einzigen funktionierenden und daher ziemlich entscheidenden Gewaltmittels der Nation mitzureden; das hat sich ja auch schon als militärischer Rückhalt der Opposition beim Umsturz bewährt. Außerdem haben sich die USA in einem Sicherheitspakt mit Georgien April letzten Jahres den Freibrief erteilen lassen, dort militärisches Gerät ganz nach amerikanischem Bedarf aufzustellen. Und wie man diesen Freibrief in Anspruch nehmen wird, hat man sich in Washington im Hinblick auf etwaige „diplomatische Unannehmlichkeiten“, die von Seiten der Russen zu erwarten sind, wenn sich die USA als Militärmacht im Kaukasus festsetzen, besonders sorgfältig ausgedacht:

„Das Pentagon wird seine Militärpräsenz in Georgien privatisieren und ein Team ehemaliger US-Offiziere damit beauftragen, das zerbröselnde Militär der ehemaligen Sowjetrepublik auszurüsten und zu beraten. So wird die Expansion nach Osten, die Moskau verärgert, optisch verschönert… Ein westlicher Diplomat sagte, dass die USA außerdem daran denken, in Georgien eine ‚forward operational area‘ zu schaffen, wo Ausrüstung und Treibstoff gelagert werden können, ähnlich wie in Hilfseinrichtungen in der Golfregion. Die beiden Elemente würden Washington eine ‚virtuelle Basis‘ verschaffen – gelagerte Ausrüstung und ein loyales georgisches Militär – ohne die diplomatische Unannehmlichkeit, eine ständige Militärbasis in einem Land einzurichten, in dem Moskau bereits zwei umstrittene Militärstützpunkte besitzt.“ [6]

Wenn Moskau meint, auf die militärische Expansion der Amerikaner an seiner Südgrenze verärgert reagieren zu müssen, muss es demnächst also damit rechnen, dass ihm die amerikanische Regierung die Mitteilung macht, dass es bei ihr an der falschen Adresse ist; es kann sich mit seinen Beschwerden ja an den privaten Betreiber wenden. Im übrigen richtet sich Amerika dort genau so ein, wie es seiner Bedarfslage entspricht: Es bringt für alle militärischen Eventualitäten schon mal die nötige Ausrüstung und den Treibstoff in die Region; außerdem richtet es sich die Mannschaften der georgischen Wehrmacht zu einer ihm jederzeit zur Verfügung stehenden Legionärstruppe her – die Loyalität des georgischen Militärs wird dabei schon ganz selbstverständlich auf Amerika bezogen. Wenn es dann in der Region etwas aufzuräumen gibt, braucht der amerikanische Präsident für beide Elemente nur mehr den Einsatzbefehl zu unterzeichnen.

***

(Fortsetzung in GegenStandpunkt 2-04, S.97)

[1] Der so titulierte Raum erstreckt sich vom Osten der Türkei und dem östlichen Schwarzen Meer über den südlichen Kaukasus und das Kaspische Meer bis zum Westen Chinas und von der Südgrenze Russlands bis zum Norden des Iran, Afghanistans und Pakistans. Er umfaßt die ehemaligen Sowjetrepubliken und heutigen GUS-Staaten Georgien, Armenien, Aserbeidschan, Kasachstan, Usbekistan, Kirgistan, Tadschikistan und Turkmenistan.

[2] Im georgischen Parlament trifft das auf Unverständnis und Empörung: Viele Gesprächspartner von ‚Iswestija‘, die sich am Mittwoch im Parlamentsgebäude aufhielten, wo wegen nicht bezahlter Rechnungen alle Telefone abgeschaltet wurden, wiederholten: ‚Bei uns fängt alles erst an. Dieses Drehbuch wurde nicht in Tbilissi geschrieben‘. Einem Mitarbeiter des Apparats des georgischen Parlaments zufolge wurden in Georgien die Wahlen schon immer gefälscht, dem jedoch wird erst jetzt solche Bedeutung beigemessen. (Iswestija, 13.11.03)

[3] Alle Zitate aus: „Georgia: Smell of Russian Gas Hangs Over Election Campaign.“ RFE/RL, 13. Juni 03

[4] „The West had a different Georgia on its mind.“ Anatol Lieven, International Herald Tribune, 26.11.03

[5] Beth Jones, Assistant Secretary for European and Eurasian Affairs – Statement before the House International Relations Committee, March 13. 2003

[6] US privatises its military aid to Georgia, Nick Paton Walsh in Tbilisi, January 6, 2004, The Guardian