Was Deutschland nicht bewegt
Ein Jahr Arbeit bei Daimler

Was Deutschland nicht bewegt: Fortschritte in einem Machtkampf anderer Art, der in der Republik immerzu und pausenlos stattfindet, nämlich der, den das Kapital gegen die Lohnarbeit im Lande führt. Mit und ohne Verweis auf Corona setzt zum Beispiel der deutsche Automobil-Musterkonzern neue Maßstäbe in Sachen Lohn, Leistung und Beschäftigung, die die Gegenseite zu schlucken hat, wenn sie überhaupt weiterbeschäftigt werden will. Die diesbezüglich erzielten Fortschritte dokumentieren wir in unserer Chronik über ein Jahr Arbeit bei Daimler.

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Was Deutschland nicht bewegt
Ein Jahr Arbeit bei Daimler

Der deutschen Autoindustrie mangelt es nicht an öffentlicher Aufmerksamkeit. Die neuesten Elektro- und Hybridfahrzeuge werden auf ihre Konkurrenzfähigkeit gegenüber den Modellen von Tesla, Toyota und chinesischen Start-ups hin überprüft, die Fortschritte der nationalen Batterietechnologie werden ebenso aufwändig begleitet wie die Einweihung vollautomatisierter Fertigungsanlagen und der Stand der satelliten- und 5G-gestützten Vernetzung des zahlungspflichtigen Gebrauchs der Ware Mobilität. Die Frage, warum man sich dafür interessieren soll, ob und wie Konzerne deutscher Provenienz es schaffen, diese weltweite Schlüsselindustrie auch in Zukunft so zu dominieren wie gewohnt, wird – wenn sie überhaupt aufkommt – auch beantwortet: Daran hängt unser Wohlstand, durch nichts anschaulicher versinnbildlicht als durch die vielen hunderttausend Arbeitsplätze bei VW, BMW, Daimler und den großen Zulieferern.

In bemerkenswertem Kontrast dazu steht das Interesse daran, wie es an diesen Premium-Arbeitsplätzen zugeht. Eine kurze Chronik rund um den Konzern mit dem Stern auf der Haube.

Februar ’20
Entlassungen zur Rettung gefährdeter Gewinne

Bilanzpressekonferenz, der Jahresgewinn ist 2019 um zwei Drittel eingebrochen. Der erst kurzzeitig amtierende oberste Chef erklärt seinen Shareholdern:

„Das reicht nicht, das ist auch nicht etwas, was ich akzeptiere in der Zukunft.“

Und er erklärt, wie er für Abhilfe sorgen wird:

„‚Ich bin Realist: Die nächsten drei Jahre werden ein Sack voll Arbeit‘, drückt es Källenius an einer Stelle aus. Viel Arbeit sei noch an den Kostenstrukturen zu tun. Im Personalbereich will Daimler ab 2022 jährlich 1,4 Milliarden Euro sparen. Aber Källenius drückt sich dabei um eine klare Antwort, ob nun 10 000 oder, wie jüngst in Medien spekuliert, sogar 15 000 Stellen abgebaut werden sollen. ‚Den Personalabbau machen wir nicht mit dem Rasenmäher, sondern intelligent.‘“ (manager magazin, 11.2.20)

Klare Arbeitsteilung: Wenn es nicht so läuft wie beansprucht, hat der CEO alle Hände voll damit zu tun, seine Belegschaft dafür haftbar zu machen, dass die Gewinne wieder stimmen. Das ist den Experten vom Magazin für Manager so selbstverständlich, dass sie sich ohne eindeutige Zahlen nicht zufriedengeben. Der Chef antwortet mit einer Klarstellung, die ihnen trotzdem sicherlich gefällt, nämlich mit der Widerlegung des gerade in Gewerkschaftskreisen beliebten Gerüchts, Massenentlassungen wären eine Folge mangelnden betriebswirtschaftlichen Einfallsreichtums. Er hat keine plakative Zahl zu bieten, sondern gleich eine Vielzahl von Maßnahmen zur Bekämpfung der Kosten, die der Lebensunterhalt der Belegschaft verursacht. Und darauf kommt es schließlich an.

März ’20
Arbeit passgenau ab- und wieder anschalten – Common Sense in der Krise

Corona-Pandemie, Notstand. Mitte März reagiert Daimler mit einer zweiwöchigen Blockpause an allen Standorten und findet mit dem Betriebsrat eine kostenneutrale Regelung für die ausfallende Arbeit:

„Für die Zeit bis zum Ende der KW 13 müssen die Beschäftigten, sofern vorhanden, Resturlaub aus 2019, Gleitzeit bzw. kollektive/individuelle Freischicht verwenden. In der KW 14 werden die Tage mit Urlaub oder bereits genehmigten T-ZUG-Wandlungstagen belegt. [T-ZUG = ‚Tarifliches ZusatzGeld‘] Um dies sicherzustellen, wird ermöglicht, den für die Osterferien geplanten Urlaub vorzuziehen.“ (Scheibenwischer Extra, März 2020)

In der einen Woche benutzt der Konzern den zinslosen Vorschuss zur Verrechnung, den die Angestellten ihm in Gestalt von angehäuften Überstunden und nicht wahrgenommenen Urlaubsansprüchen gegeben haben. In der anderen Woche verfügt Daimler vorgezogene Osterferien; die finanzieren die Beschäftigten entweder aus ihrem Urlaubskonto oder indem sie die Option ziehen, das in der letzten Tarifrunde vereinbarte tarifliche Zusatzgeld – ganz gemäß dem damaligen Motto Arbeitszeiten, die zum Leben passen – in freie Tage umzuwandeln.

*

Zur selben Zeit kümmert sich die IG Metall turnusgemäß erneut darum, was die Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie vom Ableisten der verlangten Dienste haben. 2020, im Zeichen der Transformation der Branche, hat sie mit einem Moratorium für einen fairen Wandel dokumentiert, dass ‚Arbeitsplatzsicherheit‘ sich nicht mit Lohnforderungen der Arbeitnehmerseite verträgt. Als dann auch noch ‚Corona‘ die Bilanzen verhagelt, übernimmt die Gewerkschaft Verantwortung in schwieriger Zeit, um mit dem Tarifpartner gemeinsam die Krise zu meistern (Zitzelsberger). Die solidarische Lösung, die den Beschäftigten Sicherheit (Hofmann) verschafft, besteht darin, den Betrieben die Sicherheit zu verschaffen, weiter mit den gewohnten Tarifen zu kalkulieren, den Beschäftigten also die Gewissheit von realen Lohnverlusten. In einem historisch einmaligen Schritt bricht die Gewerkschaft die Tarifrunde ab und vertagt sie um ein Jahr. Und weil zu dem Zeitpunkt auch schon sicher ist, dass die Unternehmen sich über das Einsparen von Lohnzahlungen weitere Sicherheit verschaffen werden, kümmert sich die IG Metall außerdem um die Angst vor massiven Einkommensverlusten durch Kurzarbeit, indem sie erreicht, dass die Arbeitgeber diese von ihnen verfügten Einkommensverluste etwas abfedern.

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So kommt es auch bei Daimler. Angesichts des akut einbrechenden Autoabsatzes kann der Konzern viel weniger mit der Arbeit seiner knapp 300 000 Angestellten anfangen. Gleichzeitig besteht er auf ihrer jederzeitigen Verfügbarkeit für das flexible Wieder-Hochfahren der Produktion, sagt deswegen bis Ende Juli in wechselndem Umfang und in allen Varianten großen Teilen der Belegschaft Kurzarbeit an. Der Konzern trennt so mit Hilfe dieses gesetzlichen Instruments sein fortbestehendes Kommando über die Arbeit von den üblicherweise dafür nötigen Kosten. Für die Arbeitnehmer bedeutet der gesunkene Arbeitsbedarf des Unternehmens, dass sie ihr Auskommen mit einem geschrumpften Einkommen zu finanzieren haben. Als vermögenswirksamer Eingriff in den Arbeitsvertrag unterliegt das natürlich der Zustimmungspflicht des Betriebsrats, aber die ist – Stichwort Entlassungen verhindern – bloße Formsache. Alle Hände voll hat die Vertretung der Mitarbeiter dann damit zu tun, denen zu erklären, worauf sie sich mit der angesagten Kurzarbeit im Einzelnen einzustellen haben – vom Entgelt, das mittels Online-Rechner und aufwändiger Arbeitszeiterfassung erst einmal ermittelt sein will, über den Krankheitsfall und die Altersvorsorge bis hin zum Urlaubsanspruch.

April ’20
Arbeitszeiten, die zum Leben passen, zum Zweiten

Die schlechte Nachricht von Kurzarbeit und Verdienstausfall hat auch ihr Gutes:

„Durch das Herunterfahren des Betriebs und die anschließende Kurzarbeit konnten in den letzten Wochen zahlreiche Kolleginnen und Kollegen entlastet werden, die zu Hause ihre Kinder betreuen müssen.“ (Scheibenwischer Extra, April 2020)

Und noch eine gute Nachricht vom Betriebsrat: Er kümmert sich im Anschluss um das Problem, dass Kitas noch über einen längeren Zeitraum geschlossen bleiben und Schulklassen den Unterricht nur schrittweise wieder aufnehmen werden (ebd.). Es trifft sich nämlich, dass es für die Unvereinbarkeit von Beruf und Familie bereits ein Pflaster gibt:

„Wir haben uns deshalb für eine Erweiterung der T-ZUG-Regelung eingesetzt, um Beschäftigten mit Kindern mehr Flexibilität zu bieten.“ (Ebd.)

Und tatsächlich geht für Eltern von Kindern unter 12 – kurzfristig, unbürokratisch, auch für TEILZEITBESCHÄFTIGTE – einiges, sofern – selbstverständlich weiterhin in Abstimmung mit eurer Führungskraft – der Betrieb gerade nicht so viel Arbeit abrufen will. Wenn die freien Tage nicht schon zur Abdeckung der Blockpause draufgegangen sind, ist die Arbeitszeitsouveränität, die die Umwandlungsoption des ‚T-ZUG‘ den Beschäftigten verschafft, jetzt zur souveränen Bewältigung der Drangsale gut, die ‚Corona‘ aufruft, weil das Familienleben sowieso schon immer zentimetergenau in den Arbeitstag eingepasst ist.

Loswerden, ohne zu entlassen – von der Hoheit über den Arbeitsvertrag

Parallel verläuft der Personalabbau zunächst wie versprochen geräuschloser als ein Rasenmäher. Die Nicht-Besetzung der dank Fluktuation freiwerdenden Stellen regt höchstens einmal einzelne Arbeitnehmervertreter unter dem Gesichtspunkt der schleichenden Verdichtung der Arbeit für den Rest der Mannschaft auf. Leiharbeiter und Ferienhilfskräfte sind als fester Bestandteil der benutzten Mannschaft nicht fest angestellt, werden also auch nicht wirklich entlassen, wenn sie nicht weiter in Dienst genommen werden. Und die Entlassungen, die dann doch die engere Betriebsfamilie treffen, geschehen auf freiwilliger Basis, zeugen insofern von der sozialen Verantwortung des Sozialpartners. Als aber im April ein von der oberen Unternehmensetage festgelegter Leitfaden zum Stellenabbau ungewollt öffentlich wird, gerät diese ansonsten unauffällige Abteilung Personalpolitik kurzzeitig in die Schlagzeilen. Ungeachtet der namensgebenden Funktion der Ausscheidungsgespräche wird die akribisch geplante Ausübung von Druck auf die Auszustellenden als Mini-Skandal aufbereitet:

„Die Atmosphäre soll ruhig und sachlich bleiben, länger als 15 bis 30 Minuten soll das Gespräch möglichst nicht dauern... Ganz oben auf der Liste steht dabei, die Notwendigkeit des Stellenabbaus zu thematisieren. ‚Die Situation ist im gesamten Unternehmen sehr kritisch‘, ist einer der Leitsätze. Die Corona-Krise treffe Daimler in einer Phase, ‚in der wir ohnehin vor wirtschaftlichen Herausforderungen stehen‘, schreibt etwa CEO Ola Källenius im Grußwort für die Vorbereitungsseminare. Damit soll auch verhindert werden, dass sich Aussortierte auf andere Stellen im Unternehmen bewerben... ‚Bevor über die Trennung entschieden wurde, haben wir Möglichkeiten, Sie weiter zu beschäftigen, überprüft. Leider ist die Situation im gesamten Unternehmen derzeit sehr kritisch.‘ Wichtig sei, so heißt es im Leitfaden, dass die Manager auf Smalltalk verzichten und die schlechte Nachricht in den ersten drei Sätzen aussprechen und dabei klare Worte wählen wie ‚beenden‘ oder ‚trennen‘... Sagt der Mitarbeiter im Trennungsgespräch, dass seine Existenz bedroht ist, soll die Führungskraft antworten: ‚Deshalb möchten wir Sie mit der Abfindungszahlung für eine Übergangszeit absichern und Sie in der Suche nach einer neuen Aufgabe unterstützen.‘ Der Leitfaden rät den Führungskräften auch, eine ‚individuelle, wohlüberlegte Begründung‘ parat zu haben; das sei ‚ein Schlüsselfaktor für den Gesprächserfolg‘. Mögliche Begründungen könnten sein, dass die Kompetenzen des Mitarbeiters ‚nicht den Anforderungen der Zukunft‘ entsprechen. Auch ‚Low Performance‘ sei als Argument erlaubt, aber ‚nur wenn dokumentiert‘! Theoretisch kann sich ein Mitarbeiter auch weigern, eine Trennung zu unterzeichnen. Für diesen Fall hat der Leitfaden versteckte Drohungen vorbereitet. Es könne sich ‚dann alles für dich ändern. Dann musst du in Zukunft sehen, wie du mit dieser Unsicherheit im beruflichen Umfeld umgehen kannst.‘ Konkrete Beispiele für diese Veränderungen gibt es nicht. In früheren Entlassungswellen wurden bockige Mitarbeiter oft in Einzelbüros gesetzt und bekamen keine Aufgaben mehr. Viele mussten sich ihr Recht auf Arbeit vor Gericht erstreiten.“ (finanzen100.de, 30.4.20)

Auch ohne solche Leaks ist jedem irgendwie klar, wie es kommt, dass sich selbst noch das Rausschmeißen von Leuten als einvernehmlicher Vertrag regeln lässt: Wo schon Gerüchte über eine kritische Situation des Unternehmens für den besorgten kurzen Schluss auf die eigene Lage hinreichen, ist mit der offiziellen Verkündung von wirtschaftlichen Herausforderungen Sicherheit gestiftet, auf wessen Kosten die bewältigt werden. Und schon die Einladung zum Ausscheidungsgespräch lässt beim Eingeladenen keinen Zweifel über seine ganz persönliche Zukunft aufkommen. Überhaupt kein Wunder also, dass die werten Mitarbeiter für kunstvoll aufbereitete Abfindungsangebote zugänglich sind:

„Ältere Mitarbeiter, die ein Angebot zur Frühpensionierung oder Altersteilzeit annehmen, bekommen 25 000 Euro extra. Jüngere werden belohnt, je schneller sie unterschreiben.“ (Ebd.)

Auch dass das Unternehmen im Ablehnungsfall seine Hoheit über die Arbeitsbedingungen in strafender Absicht wahrnehmen kann, dürfte nicht unbekannt sein. Aber die herrschende Sittlichkeit in der deutschen Arbeitswelt diktiert eben, dass ein Mafia-Ton sich nicht gehört; der Schein eines respektvollen Diskurses auf Augenhöhe ist gefordert, wenn Angebote gemacht werden, die nicht ausgeschlagen werden können.

Juli ’20
Maßloses Leiden an der Sozialpartnerschaft …

Corona schafft für alle Betriebe im Südwesten Probleme eigener Art. Nicht so sehr das Home-Office an sich – ob die feststehenden Aufgaben zuhause oder im Büro erledigt werden, spielt in erfreulich vielen Fällen keine Rolle; und die geforderte Arbeit mit den sonstigen häuslichen Notwendigkeiten in Einklang zu bringen ist Sache der Mitarbeiter. Auch nicht so sehr in der Produktion, in der physische Anwesenheit unabdingbar ist – wenn die Arbeitsabläufe hygienebedingt entzerrt werden müssen, wird das feststehende Arbeitsvolumen eben breiter auf die 24 Stunden des Tages verteilt. Ein Problem wird das alles, wenn dadurch gesetzliche Schutzregeln ihre Schutzfunktion zu entfalten oder auch nur zusätzliche Kosten zu verursachen drohen. Abhilfe schafft im Juli ein maßgeschneidertes Corona-Tarifpaket:

„Um den Betrieben, die unverschuldet in diese Corona-Krise geraten sind, Hilfestellungen zu geben, haben Südwestmetall und die IG Metall Baden-Württemberg jüngst ein Tarifpaket geschnürt... Im Kern wurde beschlossen, dass die Betriebsparteien in Absprache mit den Tarifvertragsparteien die Auszahlung des Urlaubsgelds um bis zu zwei Monate auf Ende August verschieben konnten, um finanziell klammen Unternehmen aus der Liquiditätslücke zu helfen... Zweitens kann für Arbeitnehmer, die wegen prekärer Schul- und Kitabetreuung ihrer Kinder im Home-Office arbeiten und ihre Arbeitszeit unterteilen müssen, die nächtliche Mindestruhephase auf neun Stunden verkürzt werden. Bislang schreibt das Arbeitszeitgesetz mindestens elf Stunden vor... Drittens können die Betriebsparteien die Spät- oder Nachtarbeitszuschläge begrenzen, wenn sich wegen der Pandemie und zum Schutz der Mitarbeiter die Arbeitsorganisation ändert. Das gilt speziell dann, wenn eine Schicht entzerrt wird und damit zum Teil in ein zuschlagspflichtiges Zeitfenster gerät. Das gesamte Tarifpaket tritt rückwirkend zum 1. Juni in Kraft und ist bis Ende 2020 befristet.“ (Stuttgarter Zeitung, 11.7.20)

Das Urlaubsgeld der Beschäftigten als Liquiditätshilfe für notleidende Unternehmen ist zwar eine wegweisende Idee, für die Arbeitgeber aber viel zu wenig:

„Unterm Strich zeigen sich die Arbeitgeber ungehalten über die geringe Bereitschaft der IG Metall, mehr für die unter der Corona-Krise leidenden Unternehmen zu tun... Nicht durchgesetzt hätten die Arbeitgeber insbesondere ihre Forderung nach einer automatischen Differenzierung, wonach einem Betrieb, der sich wegen Corona in wirtschaftlichen Nöten und in Kurzarbeit befindet, Erleichterungen zustehen.“ (Ebd.)

Und das ist nicht bloß misslich, sondern ein Symptom für einen Missstand grundsätzlicher Art:

„‚Wir haben das nicht erreicht, weil die Arbeitgeber wie so oft keine Druckmittel als Flächentarifvertragspartner in der Hand haben‘, betont Dick. Die IG Metall habe erneut nach dem Motto agiert: Einschnitte für die Beschäftigten dürfe es allenfalls auf einzelbetrieblicher Ebene und gegen Beschäftigungssicherung geben – aber nicht auf der Ebene des Flächentarifvertrags. Dahinter steckt, dass viele Unternehmen mühsame Verhandlungen mit dem Betriebsrat scheuen... ‚Wenn wir feststellen: Wir können nur in Zeiten, in denen es aufwärtsgeht, halbwegs gut miteinander verhandeln, aber wenn es ernst wird, nicht mehr – dann wäre dies keine solide Basis.‘ Der IG Metall müsse klar sein: ‚Wenn sie es jetzt nicht zulässt, dass in Betrieben Personalabbau und Einschnitte für die verbleibenden Beschäftigten gleichzeitig vereinbart werden, riskiert sie ganz bewusst, dass noch mehr Stellen verloren gehen.‘ Die Gewerkschaft führe die Sozialpartnerschaft ‚auf einen Grat, der bald so schmal ist, dass uns der Absturz droht‘.“ (Ebd.)

Ein starkes Stück, diesmal ganz ohne argumentativen Leitfaden. Erst werden die Gewerkschaften als Erfüllungsgehilfen der einseitigen Diktate des Unternehmens in die Pflicht genommen. Wo die Gewerkschaft der Aufforderung zur Unterwerfung nicht hundertprozentig nachkommt, beklagt Gesamtmetall die Ohnmacht der Konzerne, in der ihnen nur noch die Macht über die Arbeitsplätze bleibt. Die subtile Erinnerung daran, dass Deutschlands Edelunternehmen auch ganz anders könnten, macht jedenfalls deutlich, wem der Absturz droht, wenn uns der Absturz droht. Da schlägt der Verbandschef eine Rückbesinnung auf die Vernunft vor, also die Einsicht, dass der Doppelpack aus Personalabbau und Verbilligung der Arbeit letztlich für die Arbeiter da ist.

… und seine produktive Bewältigung

Unterdessen führt Daimler vor, wie solche mühsamen Verhandlungen mit dem Betriebsrat laufen:

„Der Autobauer Daimler will wegen der Corona-Krise noch deutlich mehr Stellen streichen als bisher bekannt. Personalvorstand Wilfried Porth nennt zwar weiterhin keine Zahl. Mit den bisher kolportierten 10 000 oder 15 000 Arbeitsplätzen, die Berichten zufolge wegfallen sollen, komme man jedenfalls nicht aus. ‚Die neue Zahl ist auf jeden Fall größer als die beiden‘, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. ‚Und die bräuchten wir, um betriebsbedingte Beendigungskündigungen zu verhindern.‘ ... Dass es bis zum Ende des Jahrzehnts keine betriebsbedingten Kündigungen geben soll, hatten Konzern und Betriebsrat im Zusammenhang mit dem Konzernumbau in der ‚Zukunftssicherung 2030‘ vereinbart – intern ‚ZuSi‘ genannt. Darin stehe aber auch, sagte Porth, dass neu verhandelt werde, wenn sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen signifikant verändern. ‚Die ZuSi beschreibt den Weg, den man gemeinsam geht, um Beschäftigung zu sichern‘, betonte er. ‚Bei veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen beschreibt sie aber auch den Weg, der am Ende zu betriebsbedingten Kündigungen führen kann, ohne dass es einer Kündigung der Vereinbarung bedarf.‘ Nun sei man im Gespräch. Und darüber, dass sich die Rahmenbedingungen signifikant geändert hätten, gebe es auch keinen Dissens. ‚Aber die Bereitschaft des Betriebsrates, hier wirklich signifikante Maßnahmen zuzugestehen, ist leider nicht besonders ausgeprägt‘, kritisierte Porth. Um das Ziel, betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden, halten zu können, brauche man deutlich mehr Entgegenkommen. Es gehe auch, aber nicht nur um die Zahl der Arbeitsplätze. ‚Wir haben tarifliche Vereinbarungen wie Pausenregelungen, wir zahlen Spätschichtzulagen ab 14.00 Uhr – das sind alles historische Dinge, die mögen zum damaligen Zeitpunkt alle richtig gewesen sein. Aber sie passen nicht mehr in die heutige Zeit, und sie passen nicht mehr in die heutigen Kostenstrukturen‘, sagte Porth. Man rede über Arbeitszeitverkürzungen ohne Lohnausgleich, man könne auch über Weihnachts- und Urlaubsgeld reden. ‚Die Frage ist: Was kann man am einfachsten umsetzen? Und was ist für die Mitarbeiter von begrenzter Auswirkung?‘, sagte Porth. ‚Wir wollen nicht die Entgeltlinien absenken. Und wir wollen nichts tun, das die Mitarbeiter wirklich in wirtschaftliche Schwierigkeiten bringt. Aber wir müssen einen Weg finden, die Restrukturierung des Unternehmens zeitnah umzusetzen. Das ist die Grundvoraussetzung dafür, dass die ZuSi in der Form weiter gelten kann.‘“ (Weser Kurier, 11.7.20)

Die Krise verschärft sich, der Arbeitgeber verfällt auf das Mittel, den Stellenabbau zu verschärfen: Genau für solch einen Fall hat der Betriebsrat hellsichtig schon 2017 eine langfristige Zukunftssicherung (ZuSi) abgeschlossen – mit dem Schlimmsten ist eben immer zu rechnen. Davon, dass die Beschäftigten von Daimler sich mit dieser Vereinbarung im Rücken beruhigt zurücklehnen könnten, geht aber erst gar niemand aus. Stattdessen bringt die verpflichtete Unternehmerseite die Vereinbarung ins Spiel und muss noch nicht einmal mit deren Aufkündigung drohen: Der Personalvorstand deutet einfach auf die nicht minder vorausschauend eingefügte Klausel, die ihm im bestehenden Abkommen alle nötigen Freiheiten sichert, und bekundet seinen guten Willen zum Verzicht auf betriebsbedingte Beendigungskündigungen– wenn nur mittels des nötigen Entgegenkommens äquivalenter Ersatz organisiert wird. Diese signifikanten Maßnahmen reihen sich bruchlos ein in den fälligen Anpassungsprozess an die Kostenstrukturen, die die heutige Zeit dem zeitlosen Kostensenkungsinteresse nun einmal vorgibt. An Ideen mangelt es nicht, und man muss auch gar nicht so viel ändern, solange eingesehen ist, dass alle Lohnbestandteile außerhalb der Tabelle des ‚regulären‘ Entgelts doch wohl ein verzichtbarer Luxus sind.

*

Am einfachsten und mit einer Gesamtbetriebsvereinbarung total zeitnah umzusetzen ist schließlich – der Zeitlohn macht es möglich – die Absenkung der wöchentlichen Arbeitszeit für alle Mitarbeiter im indirekten Bereich außerhalb der eigentlichen Produktion um zwei Stunden. Wenn Daimler weniger Stunden bezahlen will, offenbart sich der Bedarf der Belegschaft, die vertraglich festgelegten Wochenstunden abzuleisten, um überhaupt auf den gewohnheitsmäßigen Lohn zu kommen, als überkommener Besitzstand. Und mit dem Stichwort ‚Corona‘ wird nicht nur die 35-Stunden-Woche zur Ermessenssache des Unternehmens, sondern jetzt ganz offiziell auch das T-ZUG, das gemäß derselben Vereinbarung in 2021 der unternehmerischen Verfügung zugeführt wird, verbindlich in freie Tage umgewandelt und nicht ausgezahlt zu werden. Außerdem wird ganz nebenbei der üblicherweise gut vier- bis knapp fünfstellige Lohnbestandteil Ergebnisbeteiligung komplett gestrichen, sodass sich insgesamt eine Verbilligung der Belegschaft um eine halbe Milliarde Euro ergibt. Mit einem und, das eher ein nämlich ist, charakterisiert Gesamtbetriebsratschef Michael Brecht die Sicherheit, die er der Belegschaft damit verschafft hat:

„Beschäftigung bei Daimler bleibt bis 2030 gesichert, und betriebsbedingte Kündigungen bleiben ausgeschlossen.“

Jedenfalls solange der Verzicht darauf noch in die Zeit passt.

Auch Personalvorstand Porth ist ganz zufrieden, jedenfalls so zufrieden, wie ein erfolgsorientierter Personalvorstand es überhaupt sein kann:

„‚Wir danken der Belegschaft für ihren wichtigen zeitlich befristeten Beitrag, um diese Krise gemeinsam zu bewältigen‘, heißt es da, bevor der Blick auf weitere Sparnotwendigkeiten gerichtet wird: ‚Darüber hinaus gilt es, weiterhin miteinander die langfristigen strukturellen Themen anzupacken und zu lösen.‘“

Da trifft es sich gut, dass Porth in Personalunion Verhandlungsführer von Südwestmetall für die nächste Tarifrunde ist und dort anpacken kann, was die Kostenstrukturen langfristig vorgeben.

November ’20
Aktiver Standortvergleich vs. Aktivismus des Verglichen-Werdens

Das Schicksal des Standorts Untertürkheim gerät immer mehr in die Schlagzeilen. Dort soll in Zukunft einerseits der ‚e-Campus‘ mit einer überschaubaren Anzahl von Arbeitsplätzen der Abteilung Forschung und Entwicklung angesiedelt, andererseits einiges an Produktion eingestellt werden. Letzteres findet schon seit längerem statt, weshalb der Betriebsrat bereits 2019 mit der Konzernleitung Vereinbarungen über Maßnahmen zur Kompensation der obsolet gemachten Arbeitsplätze geschlossen hat. Nach den neuesten Plänen sollen aber zügig 4 000 der 19 000 Beschäftigten überflüssig gemacht werden – für den Betriebsrat nicht bloß ein Bruch der Vereinbarungen, sondern ein Verstoß gegen das 2005 formulierte gemeinsame Ziel, das Werk Untertürkheim als übergreifendes Kompetenzzentrum zum Hauptstandort und Leitwerk für die Entwicklung und Produktion von Aggregaten weiterzuentwickeln. Im Lichte dieser Einigkeit mahnt er die Verantwortlichen:

„Die Produktion legt einen Grundstein für das notwendige Know-how eines Leitwerkes“, dessen Stärke darin liege, „von der Entwicklung bis zum fertigen Produkt“ alles zu beherrschen. Und wenn es gilt, „den Standort Untertürkheim aus seinen Stärken und Kompetenzen heraus weiterzuentwickeln“, seien „das Können und die Kompetenz der Belegschaft die Grundlage der Veränderung. Wir, die Beschäftigten in Untertürkheim, sind nämlich nicht teuer, wie es das Unternehmen regelmäßig behauptet, wir sind wertvoll.“ („Wir sind Leitwerk“, Scheibenwischer 11/20)

Derweil stellt Daimler weiterhin praktisch klar, wer dem Konzern wo wertvoll ist und wie, plant den Ausbau der Kurbelwellenproduktion in Polen, den Bau eines neuen, zum weltweiten Einsatz gedachten Verbrennungsmotors in China, etc... Know-how und Kompetenz vor Ort sind offenbar überhaupt keine Mangelware in Fabriken, deren Effizienz sich bekanntlich ebenso in Geld bemisst wie die Billiglöhne in Ostdeutschland, Polen und China. Die machen die Arbeit dort besonders wertvoll – aber das ist ja der Ausgangspunkt des Leidens der Untertürkheimer Leitwerker...

Der Betriebsrat belässt es nicht beim beleidigten Pochen auf ideelle Anrechte, die aus unverzichtbaren Kompetenzen erwachsen, sondern beharrt auf den Vereinbarungen mit der Konzernleitung. Das geht dem Management zu weit. Der Vorstand sieht sich genötigt, der Belegschaft in einem internen Schreiben die Zeichen der Zeit zu erklären:

„‚Die Verhandlungsführer der Arbeitnehmerseite beharren darauf, dass alle bestehenden Vereinbarungen unverändert umgesetzt werden‘, heißt es nun in dem Schreiben des Managements, das der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Zwar seien die aus damaliger Sicht sinnvoll und richtig gewesen, doch die Lage habe sich grundlegend verändert. ‚Festhalten am Status quo ist daher keine Option‘, schreiben die Vorstände Markus Schäfer und Jörg Burzer.“ (heise online, 25.11.20)

Klar: Jedwede Abmachung ist hinfällig, wenn sie nicht mehr zur Betriebskalkulation von Daimler passt. Für die Verhandlungsführer der Arbeitnehmerseite hat der Vorstand außerdem die Mitteilung parat, dass man den e-Campus samt Schlüsselkompetenzen woanders ansiedeln muss, wenn sie weltfremd auf pacta sunt servanda beharren – es finde sich auf dem Gelände einfach nicht genügend Platz für Kurbelwellenproduktion und e-Campus! Ade Zukunftsarbeitsplätze.

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IG Metall und Gesamtbetriebsrat bleibt nicht verborgen, dass alle Teile der Belegschaft gegeneinander ausgespielt werden. Sie mobilisieren dagegen für eine Solidaritätsaktion im Daimler-Konzern und darüber hinaus:

„Zum ersten Mal in der Unternehmensgeschichte machen alle Gesellschaften und Standorte bei einer gemeinsamen Solidaraktion mit. Die Belegschaft hat bereits Zugeständnisse gemacht und leistet einen monetären Beitrag, um der aktuellen wirtschaftlichen Situation Rechnung zu tragen. Jetzt ist es Zeit, um über die Zukunft der Daimler-Standorte in Deutschland zu sprechen. Michael Brecht, Vorsitzender des Daimler-Gesamtbetriebsrats: ‚Transformation, Covid, Rezession. Die Belegschaft leistet bei allen Herausforderungen ihren Beitrag: Qualifikation, Hygieneregeln, Sparbeitrag. Doch es reicht dem Vorstand nicht. Funktionen sollen ins Ausland verlagert oder gleich ganz verkauft werden. In den Werken zittern die Beschäftigten und haben Angst um ihre Zukunft. Die Belegschaft in der Verwaltung fühlt sich verstoßen. Dabei wollen wir über die Zukunft sprechen.‘ ... Roman Zitzelsberger, Bezirksleiter der IG Metall Baden-Württemberg: ‚Die Beschäftigten wollen an der Transformation teilhaben, Zukunftsthemen rund um die Mobilität weiterentwickeln und sind auch bereit, sich weiterzubilden. Es sind die Kolleginnen und Kollegen, die Unternehmen wie Daimler erfolgreich machen. Deshalb haben sie es verdient, Teil der Zukunft zu sein. Sie dürfen nicht das Gefühl haben, nicht mehr gewollt zu sein. Wir begreifen die Transformation als eine große, erfolgversprechende Chance.‘ Nicht nur Daimler, sondern die gesamte Automobilindustrie befindet sich im Auf- und Umbruch hin zu emissionsfreier und vernetzter Mobilität. Diese Veränderung darf nicht auf dem Rücken und zu Lasten der Beschäftigten passieren, sondern mit ihnen. Es gilt, zehntausende Arbeitsplätze zu sichern. Daher heißt es für den Daimler-Gesamtbetriebsrat und für die IG Metall: Zukunft statt Jobabbau. ‚Daimler stellt seine Zukunft unter das Motto Nachhaltigkeit. Das gilt bei Produktion, Emission, Luxusdefinition und Profitabilität. Doch was ist mit nachhaltiger Unternehmenskultur und nachhaltiger Beschäftigung? Oder will der Vorstand keine nachhaltig motivierten Beschäftigten? Wir sind keine Bittsteller. Wir haben Daimler zu dem gemacht, was es heute ist‘, so Michael Brecht. Deshalb gehe es jetzt darum, ein deutliches Signal an die Daimler-Unternehmensleitung zu senden.“ (Presseerklärung vom 23.11.20)

Das hat den Arbeitnehmervertretern offenbar schwer imponiert: Ihr Gegenüber verkündet keine Schäbigkeit gegen die Angestellten ohne Berufung auf Krise, Zukunft, Nachhaltigkeit oder Transformation – und schon ist jeder mögliche Einwand im Keim erstickt. Dieses Verfahren der Vereinnahmung beherrschen Brecht und Zitzelsberger jedenfalls nicht schlechter als Källenius und die Funktionäre von Gesamtmetall. Blöd nur, dass in ihrem Fall an Stelle der Macht über den Gehalt dieser Abstraktionen die kraftvolle Erinnerung an Verzichts- und Leistungs- und Anpassungsbereitschaft der verdienten Stützen des Unternehmens steht. Blöd auch, wenn dann noch das deutliche Signal an den zu beeindruckenden Adressaten entsprechend aussieht:

„Ziel der Solidaritätsaktion ist es, 170 000 Postkarten dem Daimler-Vorstand zu übergeben. ‚Jede Karte steht für eine Kollegin oder einen Kollegen mit individuellen Sorgen und Wünschen. Jede Karte ist ein Teil von Daimler.‘“ (Ebd.)

Roman Zitzelsberger bringt auf den Punkt, auf welches selbstbewusst vorgetragene ohnmächtige Anliegen die vielen individuellen Sorgen uniform zusammenschnurren: Man will Sicherheit, in welche Richtung wir entwickelt werden.

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Ein erster Erfolg: Ein Einundsiebzigstel der Investitionsplanung von Daimler wird zum Transformationsfonds erklärt:

„Die Mittel sollen vor allem für die Weiterentwicklung von Zukunftstechnologien und Beschäftigung in deutschen Werken angesichts des Wechsels vom Verbrennungsmotor zum elektrischen Antrieb genutzt werden. ‚Nach kontroversen Diskussionen in den vergangenen Wochen haben wir erreicht, dass zusätzlich zum Daimler-Investitionsplan ein Transformationsfonds in Höhe von 1 Milliarde Euro eingerichtet wird‘, so Gesamtbetriebsratsvorsitzender Michael Brecht. ‚Mit diesen zusätzlichen Mitteln haben wir mehr Möglichkeiten, neue Technologien und Produkte in unseren Werken umzusetzen. Das sichert Beschäftigung und Know-how.‘“ (finanznachrichten.de, 3.12.20)

Bleibt zu hoffen, dass die Entwicklungsingenieure nicht gerade mit dieser Milliarde einen Antrieb erfinden, der mit noch weniger Teilen auskommt als ein Elektromotor.

Februar ’21 Entlassungen zur Sicherung der gestiegenen Gewinne

Eine Bilanzpressekonferenz später kann Ola Källenius den Aktionären eine Erfolgsbilanz präsentieren: Mit 10 000 Mitarbeitern weniger hat Daimler bei geringerem Umsatz wieder solide 6,6 Mrd. als operatives Ergebnis erzielt, weil man wegen der Pandemie ein straffes Kostenmanagement betrieben habe. Allerdings: Genau dieses Kostenmanagement braucht es auch ganz ohne Pandemie, recht betrachtet immer. Solange die Arbeit kostet, die ein Unternehmen nutzt, gibt es für die Kostenmanager einen Sack voll Arbeit:

„Das Management muss die Zügel straff halten, damit sich nicht wieder der alte Daimler-Schlendrian einschleicht.“

So fordert der Daimler-Anteilseigner Deka mit seinem Recht auf Rendite ein, was das Management ohnehin vorhat: Unsere Personalkosten weiter senken (Källenius). Das schwäbisch-umsichtige Versprechen, auch in Zeiten vollerer Kassen ... das Geld nicht mit vollen Händen ausgeben zu wollen, ergänzt der Chef zur Sicherheit noch um das Stichwort der Zeit, die Transformation, die nicht nur eine technische Herausforderung, sondern auch eine wirtschaftliche (FAZ, 1.4.21) ist, ihm also in Sachen Personal die Vorgaben macht.

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Zwar erhalten die Beschäftigten rückwirkend für 2020 noch eine Corona-Prämie von 500 Euro. Aber angesichts der gleichzeitig vom Vorstand beschlossenen Erhöhung der Dividende auf Vor-Corona-Niveau wird aus der Belegschaft Unmut kolportiert. Die IG Metall bestätigt Debatten im Werk Bremen angesichts eines Geschmäckles (buten un binnen, 23.2.21), das dieser Verwendung der Gewinne anhafte, wenn die Belegschaft lange Zeit in Kurzarbeit und nach wie vor zu reduzierten Bezügen schafft. Das schlichte Zeugnis dessen, wofür die Leute überhaupt von Daimler in Dienst genommen werden und wofür so akribisch an ihnen gespart wird, will nicht so recht zum Bild vom Zusammenstehen in der Not passen, das die betriebliche Praxis des vorangehenden halben Jahres offenbar unbeschadet überstanden hat. Eine erstaunliche Haltbarkeit angesichts der Bilanz, die der Betriebsrat im nächsten Monat verkündet:

März ’21
Von den Leistungen und Freiheiten des Zeitlohns

Als im Juli die Gesamtbetriebsvereinbarung ausgehandelt wurde, herrschte anerkannte Not:

„Der Gesamtbetriebsrat verhandelte deshalb eine Verkürzung der Arbeitszeit mit Entgeltreduzierung um 5,71 % im indirekten Bereich. Zu diesem Zeitpunkt rechnete jeder noch mit weiterer Kurzarbeit in der Produktion nach den Sommerferien. Es kam anders. Die Produktionsprogramme gingen nach oben. In der Produktion füllten sich wieder alle Schichten. Sogar Überstunden wurden notwendig. Und in den indirekten Bereichen? Die Kolleginnen und Kollegen in der Entwicklung, in den Verwaltungsbereichen, in den Werkstätten und in den produktionsbegleitenden Bereichen müssen seit Sommer 2020, wie ihre Kolleginnen und Kollegen in der Produktion, unter Volldampf arbeiten. Allerdings mit weniger bezahlter Arbeitszeit und somit mit weniger Entgelt im Monat. ... in der Entwicklung: Der Druck, Entwicklungsprojekte schneller als in der Vergangenheit zum Abschluss zu bringen, ist länger zu spüren. Ganz besonders in den Bereichen, die als Zukunft der Transformation gelten, rund um die Batterietechnologie und den eATS. Der Betriebsrat befürchtet, dass unter diesem Entwicklungsdruck auch unbezahlte Arbeit geleistet wird.... in der Zeitabrechnung: Seit wir alle in Kurzarbeit waren, wissen wir, wie wichtig eine korrekte Zeitdokumentation im zem@web ist. Das läuft aber nicht automatisch. Viele Korrekturen und manuelle Eingaben sind notwendig, damit für die Entgeltabrechnung alles stimmt. Die knappe Personalbesetzung wird durch die Arbeitszeitverkürzung aber nochmals verschärft. Ein Teufelskreis, der zu ernsthaften gesundheitlichen Gefährdungen führt. ... in der Instandhaltung: Die Aufgabe der Instandhaltung ist es, 15 Schichten Produktion in der Woche zu begleiten – wenn es eng wird, noch die 16. Schicht abzudecken und größere, planbare Reparaturen außerhalb der Produktionszeit am Wochenende durchzuführen. Die Kolleginnen und Kollegen machen das gerne und mit großem Engagement. Die Arbeitszeitverkürzung führt aber dazu, dass immer mehr Schichten in der Instandhaltung eklatant unterbesetzt sind. Neben der Entgelteinbuße bezahlen die Beschäftigten diesen Missstand auch mit einer Belastung ihrer Gesundheit. So geht das nicht weiter!“ (Scheibenwischer 3/21)

Was alles und wie es geht, führt die Bilanz der Betriebsräte im Modus der Empörung eindrücklich vor – wie segensreich nämlich die Institution des Zeitlohns für die Gestaltung des Verhältnisses von Kosten und Ertrag durch das Unternehmen ist. Es ruft von der vorhandenen Mannschaft genau so wenig und dann auch so viele Arbeitsstunden ab wie benötigt, und zahlt ganz gerecht jede Stunde gemäß seinem Bedarf. Es nutzt die mit der Lohnzahlung erworbene Weisungsbefugnis, um zu definieren, wie viel Arbeit in jeder der bezahlten Stunden unterzubringen ist – die Beanspruchung des großen Engagements der Kolleginnen und Kollegen macht auf deren Kosten Erstaunliches möglich. Und es lässt sich – ganz dem Sinn der Sache gemäß – keine Gelegenheit entgehen, die tatsächlich verlangte von der bezahlten Arbeitszeit zu trennen.

Ganz so geht es allerdings tatsächlich nicht weiter: Der Betriebsrat setzt der Sonderkonjunktur zum 1.4. ein Ende. Jedoch hat Personalvorstand Porth in der Zwischenzeit in seiner neuen Funktion als Tarifverhandler seine Hausaufgaben gemacht und seine Vorstellungen davon formuliert, wie es in Zukunft weitergehen soll:

Flexibilisierung als Flächentarifvertrag

Den Forderungskatalog der Arbeitgeber für die Tarifrunde fasst die IG Metall übersichtlich zusammen:

„Einschränkung der Alterssicherung: Aufweichen des Alterskündigungsschutzes und der -verdienstsicherung. Abschaffen von bezahlten Pausenregeln, z.B. von Dreischicht- und Erholzeitpause. Absenkung tarifvertraglicher Standards: Veränderung der Zuschlagszeiträume für Spät- und Nachtarbeit zum Nachteil der Beschäftigten. Urlaubs- und Weihnachtsgeld sollen durch die Betriebsparteien in Teilen variabilisiert und ertragsabhängig ausgestaltet werden können. Keine Entgeltsteigerungen, bis das Vorkrisenniveau wieder erreicht ist, in jedem Fall nicht vor 2022 – das entspricht einem Reallohnverlust. Kostenentlastung für alle Unternehmen: Die Arbeitskosten sollen sinken und Betriebe sollen tariflich verankert individuelle Möglichkeiten erhalten, um vom Flächentarif abzuweichen.“ (Scheibenwischer 2/21)

Noch ein Stück übersichtlicher fasst es Arbeitgeberpräsident Wolf zusammen:

„Wir wollen ja gar nicht an die Tabelle ran, müssen aber andere Möglichkeiten für Kostensenkungen finden.“

Natürlich lehnt die IG Metall die Horror-Liste von Herrn Porth ab und stellt unter dem hübschen Motto Beschäftigung sichern, Zukunft gestalten, Einkommen stärken ihrerseits Forderungen. Nach ein paar Verhandlungsrunden sind beide Seiten zufrieden: Ein wirklich guter Abschluss (Wolf); Beschäftigung und Zukunft gesichert, Angriffe der Arbeitgeber abgewehrt (IG Metall). Bleibt die Frage, was das für die Beschäftigten bedeutet.

Tariferhöhungen jedenfalls nicht. Eine Corona-Prämie von 500 Euro haben sie sich mit ihrem erfolgreichen Einsatz für die Unternehmensbilanzen in Krisenzeiten aber verdient. Vor allem jedoch haben sie zu gewärtigen, dass ihnen in Zukunft wegen Krise, Transformation oder warum auch immer eine Arbeitszeitreduktion auf bis zu 28 Stunden („4-Tage-Woche“) angesagt werden kann, und das unbefristet. Gesichert wird also nur, dass ihre Beschäftigung weniger kostet – eine Sicherheit, die sich nicht einmal mit einem teilweisen Lohnausgleich durch ihre Arbeitgeber verträgt.

Sie können allerdings ab Februar 2022 selbst eine Sonderzahlung namens Transformationsbaustein einsetzen, also einen eigenen Lohnbestandteil als Mittel des Lohnausgleichs interpretieren. Diese neue, prozentual auf den Lohn bezogene Sonderzahlung erhalten alle Beschäftigten, ihr spezieller Reiz erschließt sich aber im Falle der verordneten Arbeitszeitabsenkung:

Dann „gibt es verschiedene Möglichkeiten zur Anwendung: 1. Alle Beschäftigten eines Betriebs tragen solidarisch mit einem Teil ihres Trafobausteins dazu bei, die Arbeitszeit-Absenkung von betroffenen Beschäftigten finanziell abzufedern. 2. Jeder Beschäftigte finanziert mit seinem Trafobaustein teilweise oder ganz seine eigene Arbeitszeitabsenkung. In diesem Fall kann der einzelne Beschäftigte seine Entgelteinbußen individuell weiter durch die Einbringung von Sonderzahlungen verringern.“ (Pressemitteilung der IG Metall vom 31.3.21)

Für derartige Münchhausen-Manöver bleibt den Beschäftigten im Prinzip auch das 2018 vereinbarte ‚Tarifliche Zusatzgeld‘ erhalten, dessen vorangegangene Vereinnahmung durch Daimler die Blaupause für den neuen Baustein abgibt. Wo das T-ZUG noch nicht zwangsweise in freie Tage umgewandelt ist, sondern möglicherweise ausgezahlt wird, erfolgt das 2021 erst im Oktober und nicht wie sonst im Juli – im Juni gibt es ja schon die Corona-Prämie. Außerdem sollte die Nettoumsatzrendite des Arbeitgebers nicht unter 2,3 % gefallen sein. Für diesen Fall bekommt der Mitarbeiter nämlich Sinn und Zweck der Lohnzahlung handgreiflich zu spüren: Die Auszahlung wird verschoben oder gestrichen, als Automatismus aber vorerst nur in 2021. Auch das Weihnachtsgeld wird flexibel, wenn die Betriebsparteien sich darauf einigen, seine Höhe an das Betriebsergebnis anzupassen: 50 % sind drin, in beide Richtungen. Und schließlich müssen die Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie noch zur Kenntnis nehmen, dass der Flächentarifvertrag ihren Betrieb und ihre Gewerkschaft gar nicht bindet, sondern freisetzt, abweichende betriebliche Zukunftstarifverträge zu schließen. Mit einem können sie fest rechnen: Für die Sicherung ihrer Beschäftigung wird wirklich alles getan.

Unsicherheit als Betriebsvereinbarung – oder: keine betriebsbedingten Kündigungen …

Unterdessen, noch ganz ohne flächentarifvertragliche Erlaubnis und sogar ohne die sonst üblichen Zugeständnisse in Sachen Lohn und Leistung, findet sich für den Standort Untertürkheim eine Lösung:

„Nach monatelangen und intensiven Gesprächen haben sich Betriebsrat und Werkleitung in den Verhandlungen um die Zukunft unseres Standorts geeinigt. Als IG-Metall-Betriebsräte sind wir bis zum Schluss nicht von unserer Überzeugung abgewichen, dass Zukunft nur mit dem gesamten Standort geht: einer starken Forschung und Entwicklung und zukunftsfähigen Produkten für unsere Werkteile. Unsere Hartnäckigkeit hat sich ausgezahlt: Das Resultat ist ein klares Bekenntnis zu unserem Standort und zu seiner Belegschaft, das Untertürkheim zukunftsfähig aufstellt und euch, Kolleginnen und Kollegen, Sicherheit und Perspektiven gibt. Mit dem Verhandlungspaket, insbesondere mit der Zusage für den ‚Mercedes-Benz Drive Systems Campus‘, forcieren wir konsequent den Ausbau der E-Mobilität und werden den Veränderungen durch den Technologiewechsel gerecht – gleichzeitig bleiben wir im konventionellen Antrieb handlungsfähig. Damit stärken und sichern wir nachhaltig unsere Stellung als Leitwerk und Kompetenzzentrum für Antriebstechnologien und als Entwicklungs- und Produktionsstandort.“ (Scheibenwischer Extra, 5.3.21)

Die Kolleginnen und Kollegen von Untertürkheim sind demnach die ebenso verdienten wie stolzen Nutznießer der Festlegung, welche Teile der Konzern neben dem e-Campus weiterhin oder neu in Untertürkheim bauen oder entwickeln lässt und welche stattdessen ins polnische Jawor verlegt werden: die Gunst, beschäftigt zu werden, als großer Preis in dem Standortvergleich, den der Konzern veranstaltet. Was die gewonnene Sicherheit angeht, die die Angesprochenen ideell als gemeinschaftliche Handlungsfähigkeit und als ihre nachhaltig gestärkte Stellung im Konzern verbuchen dürfen, halten die fünf Punkte der begleitenden Vereinbarung zwischen Betriebsrat und Werksleitung die nötigen Klarstellungen bereit. Der erste Punkt regelt die Freiwilligen Ausscheidungsvereinbarungen, die dann etwas pietätlos am 1. Mai beginnen – der zugehörige Leitfaden liegt ja schon länger vor. Wie immer werden also genau so viele Arbeitsplätze gesichert, wie vom Unternehmen gebraucht. Die Punkte zwei bis vier halten die Auskunft parat, dass an diesen Arbeitsplätzen rein gar nichts verlässlich ist: von der Frage, wie sie in Zukunft aussehen (Umschulungs- und Weiterqualifizierungsangebote), mit welcher Tätigkeit man auf welchem Posten gebraucht wird (Temporäre Versetzungen mit klarem Zielbahnhof) bis hin dazu, wo genau in der Region sich attraktive Beschäftigungsperspektiven auftun (Freiwilliger Wechsel an andere Standorte). Und last but not least hat das Ganze dann doch noch einen speziellen Preis, was den Beschäftigungserhalt betrifft: Im letzten Punkt (Flexibilitätsquote Arbeitnehmerüberlassungen) regelt die Vereinbarung die Erweiterung kostengünstiger und flexibler interner Auslagerung von Arbeitsplätzen durch Leiharbeit von bisher acht auf bis zu 15 % der Beschäftigten.

April ’21
Usw.

„Nach der Verhandlung ist vor der Verhandlung. Auch wenn zwei große Verhandlungen nun abgehakt sind, gehen uns die Themen nicht aus.“ (Betriebsrat im Scheibenwischer 4/21)