Italiens Kampf um seinen Platz in der 1. Liga der Euro-Nationen
Mit einem neuen Armutsniveau für einen europakonformen Staatshaushalt

Seitdem Italien in den Kreis der Euro-Nationen aufgenommen ist, kämpft es um seinen Stand in diesem, indem es sich anstrengt, die Euros zu verdienen, die es per Kreditaufnahme für sich in Anspruch nimmt. Diesem obersten polit-ökonomischen Ziel unterwirft es in immer neuen Reformrunden seinen Standort.

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Italiens Kampf um seinen Platz in der 1. Liga der Euro-Nationen
Mit einem neuen Armutsniveau für einen europakonformen Staatshaushalt

Die italienische Wirtschaft ist in der Krise. Pleiten von prominenten Unternehmen erschüttern das Land. Der Fiat-Konzern schreibt seit Jahren rote Zahlen, die staatliche Luftverkehrsgesellschaft steht vor dem Ruin, der Lebensmittel-Multi Parmalat meldet Insolvenz an, und jeden Monat beantragen Hunderte von Unternehmen aus „konjunkturbedingten Gründen“ die Aufnahme ihrer Belegschaft in die staatliche Lohnersatzkasse.

Ebenso in der Krise sind damit der italienische Staatshaushalt und das staatliche Sozialkassenwesen: Die Einnahmen aus versteuerten Gewinnen und Gehältern brechen weg, das Beitragsaufkommen der Sozialversicherung schwindet dahin, die Ausgabenverpflichtungen steigen tendenziell, so dass die staatliche Finanzplanung insgesamt durcheinander gerät; der nationale Schuldenstand steigt – deswegen.

Und damit ist Italien als Euro-Nation in der Krise. ‚In crisi‘ ist das Land, das sich aus einem wuchtigen staatsmaterialistischen Grund gerne als das europäischste aller europäischen Länder begreift: Nach dem Krieg angetreten als kapitalistisches Erschließungsprojekt mit einer notorisch inflationären Lira, hat es Italien innerhalb von drei Jahrzehnten in und mit Europa ökonomisch zu einem Staat gebracht, der – erst im Rahmen des EWS, jetzt als Mitglied der Währungsunion – über Weltgeld und die dem entsprechende Kreditmacht verfügt. Seine Schulden sind, wie die der anderen Euro-Länder, international anerkanntes Geld – das können nicht viele kapitalistisch verfasste Nationen in der Welt von sich behaupten. Dieser ökonomische Status ist allerdings kein nationaler Besitzstand auf Dauer. Seit Italien ihn errungen hat, weiß es ihn gefährdet – es bestehen Zweifel, ob seine Schulden durch das Kapitalwachstum auf seinem Standort gerechtfertigt sind –, und seitdem kämpft es um seine Sicherung: Die Lira war die erste europäische Währung, der ‚die Märkte‘ Anfang der 90er-Jahre das Vertrauen entzogen haben; mit seinen Staatsschulden drohte ihm Ende der 90er-Jahre der Ausschluss aus der damals gerade in Gründung befindlichen europäischen Währungsunion. Die Erringung der Teilhaberschaft am europäischen Gemeinschaftsgeld war dem Land damals enorme nationale Anstrengungen wert. Und seitdem es in den Kreis der Euro-Nationen aufgenommen ist, kämpft es schon wieder um seinen Stand in diesem, indem es sich anstrengt, die Euros zu verdienen, die es per Kreditaufnahme für sich in Anspruch nimmt. Diesem obersten polit-ökonomischen Ziel unterwirft es in immer neuen Reformrunden seinen Standort.

So betreibt die italienische Regierung schon seit Jahren Krisenmanagement: Um den europäischen Stabilitätspakt und seine haushalterischen Verpflichtungen einzuhalten, will sie möglichst viele Haushaltsposten los werden. Wo, ist keine Frage: Dort, wo Geld und Staatskredit nicht als Geschäftsmittel, sondern als Lebensmittel eingesetzt werden. Außerdem will sie dem Staat neue Finanzquellen erschließen. Wie, ist ebenfalls keine Frage: Durch Maßnahmen zur Senkung des nationalen Lohnniveaus soll der Standort fürs Kapital attraktiver und mehr rentable Arbeit geleistet werden. Ihrem Volk mutet sie seit den 90er-Jahren in etwa die dritte strukturelle Reformrunde zu, nachdem schon die Vorgängerregierungen mittels einer Verbilligung von Gesundheit, Alter und Arbeitslosigkeit um die Teilnahme Italiens am Euro-Unternehmen gekämpft haben. Hier zeigt sich, dass Reformen im modernen Europa staatliche Daueraufgabe sind. Und der stellt sich die italienische Regierung an allen möglichen Fronten.

Eine Föderalismusreform zur Stärkung der Regionen: Die verfassungsrechtliche Vollendung einer Abschreibungsaktion

In Italien sind im Prinzip alle staatstragenden Parteien übereingekommen, dass das Land mehr Föderalismus braucht. Durch eine Verfassungsreform, deren Verabschiedung im Parlament jetzt ansteht, soll die überkommene Aufgabenverteilung zwischen dem Gesamtstaat und den 20 Regionen entsprechend geändert werden, wobei es eines der zentralen Vorhaben der Reform ist, den Regionen die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz für die Ausstattung und Organisation der Bereiche Gesundheit, Schule und Ausbildung und lokaler Polizei zu übertragen (Gesetzentwurf zur Veränderung des Art. 117 der Verfassung vom 14. April 2003). Ausdrücklich alle Regionen sollen in ihren Kompetenzen gestärkt werden, und zur Erfüllung ihrer neuen sozial-, bildungs- und ordnungspolitischen Aufgaben werden sie auch finanzpolitisch ermächtigt. Sie dürfen neue, regionale Steuern erheben, und je nach dem Erfolg, den sie dabei haben, sollen sie sich dann an die Ausübung der ihnen übertragenen Kompetenzen machen. Sie dürfen auf dieser Grundlage auch Schulden machen – zweckgebunden für Investitionen –, werden darin allerdings von einer von Rom eingesetzten Kommission überwacht, die im Interesse einer Europa-konformen italienischen Gesamtverschuldung dafür sorgt, dass ihre Kreditaufnahme in einem als solide geltenden Verhältnis zu ihrem Beitrag zum italienischen Sozialprodukt und zu ihrem Steueraufkommen bleibt. Dem Umstand, dass es recht unterschiedlich bemittelte Regionen sind, die von der Zentralgewalt da zu autonomen fiskalischen Subjekten erhoben werden, trägt ein fondo perequativo Rechnung, eine Art Lastenausgleichsfonds zwischen Regionen unterschiedlicher ökonomischer Potenz. Zusätzlich verpflichtet sich der Staat darauf, zur Beförderung der ökonomischen Entwicklung und zur Beseitigung ökonomischer und sozialer Ungleichheit Zuwendungen zu gewähren, damit die Regionen ihre Funktionen wahrnehmen können (Gesetzentwurf zu Art. 119). Mit der politischen Ermächtigung der Regionen geht somit unmittelbar ihre Verpflichtung auf ihre eigenen finanziellen Ressourcen einher, und dies sorgt dafür, dass die ihnen allen formell gleichermaßen eröffnete finanzpolitische Freiheit recht unterschiedliche Konsequenzen hat: Die vergleichsweise „reichen“ Regionen des Nordens, die als Kapitalstandort funktionieren, können die bei ihnen erhobenen Steuern auch bei sich und für ihre Belange verausgaben, die „armen“ Regionen im Süden müssen mit den Geldern zurechtkommen, die bei ihnen auszuheben sind. Aufrecht erhalten bleibt in der Reform des italienischen Föderalismus zwar der Grundsatz, dass wegen des ökonomischen Nord-Süd-Gefälles im Land der Gesamtstaat weiterhin mit kompensatorischen finanziellen Leistungen in der Pflicht steht; schließlich sollen seine südlichen Regionen und Provinzen auch weiter die Funktionen wahrnehmen können, die ihnen zugedacht sind. Neu aber ist der Inhalt der Verpflichtung, die der Staat mit seinem Ausgleichsfonds auf sich nimmt, und der an die Stelle der berühmten Cassa per il Mezzogiorno tritt, mit deren Mitteln aus dem Süden des Landes früher einmal etwas anderes gemacht werden sollte.

Auf verfassungsrechtlicher Ebene schreiben die italienischen Politiker nämlich zunächst einmal fest, was sie in den haushaltspolitischen Manövern der letzten zehn Jahre praktiziert haben: Im Zuge der Ausrichtung der finanziaria, des Haushaltsgesetzes, an der Erfüllung der Euro-Beitrittskriterien, und erst recht angesichts der krisenbedingten Verschärfung der Haushaltslage, unter der die verschiedenen Regierungen den europäischen Stabilitätspakt erfüllen wollten, haben sie den Gesamtstaat von einem Bündel sozialpolitischer Aufgaben entlastet und die Zuschüsse an Regionen, Provinzen und Kommunen gekürzt. In einer bloßen Neuorganisation der Prinzipien föderativer Haushaltspolitik und einer Verlagerung politischer Obliegenheiten in den Zuständigkeitsbereich der Regionen geht diese Verfassungsreform Italiens daher nicht auf. Mit der Kombination von Verpflichtung und Ermächtigung der Regionen befreit sich der italienische Staat auch nicht nur von einigen bislang getragenen sozialpolitischen Verbindlichkeiten seinem regional verwalteten Volk gegenüber, sorgt nicht nur für die Verallgemeinerung des „Sparzwangs“, den er sich selbst als Teilhaber an der Euro-Finanzmacht auferlegt: Er relativiert damit auch den Stellenwert des politischen Projekts, das ihm bislang diese „Belastungen“ seines Haushalts wert war. Denn damit, dass der Übergang Italiens vom Agrarland zur modernen kapitalistischen Industrienation im Wesentlichen nur im Norden des Landes stattfand, hat sich die Nation über Jahrzehnte hinweg nicht abfinden wollen. Ganz Italien zu einem funktionstüchtigen kapitalistischen Standort herzurichten und darüber als Reichtumsquelle der Nation zu erschließen war das Interesse noch jeder der vielen Regierungen des Landes und ihnen allen auch immer – wenn auch zusehends in geringerem Maß – die entsprechenden kompensatorischen Leistungen wert: Weil es mit der kapitalistischen Erschließung und Bewirtschaftung seines Mezzogiorno von sich allein nicht vorangehen wollte, sollten Kredite und Fördermittel des Staates die Entwicklung Süditaliens anschieben und perspektivisch auch diesen Landesteil zu einem Beitrag zum nationalen Wachstum machen. Wenigstens rudimentär sollten daher auch dort die Voraussetzungen einer kapitalistischen Benutzung geschaffen und erhalten werden, also wurde die für nötig erachtete Infrastruktur hingestellt und auch für das Quantum an sozialer Fürsorge und Alphabetisierung gesorgt, das für das Vorhandensein einer kapitalistisch brauchbaren Arbeiterschaft unerlässlich ist. Mit seiner Föderalismus-Reform zieht der italienische Staat unter seine diesbezüglichen Bemühungen einen Schlussstrich. Er konstatiert, dass trotz all seiner Bemühungen diese Hälfte des Landes für die Kalkulationen der Unternehmerschaft, denen die Kommandogewalt über die gesellschaftliche Arbeit überantwortet ist, nach wie vor nur höchst bedingt brauchbar ist – und zieht daraus die Konsequenz, dass sich Förderung dort nicht lohnt, dass die stattfindende Geschäftstätigkeit den Transfer weiterer Mittel nicht rechtfertigt und daher Anstrengungen, den Süden ökonomisch brauchbar zu machen, überflüssige Mühe sind. Mit Blick auf die Staatsschulden, in denen sich diese Anstrengungen bilanzieren und die jetzt als Gefährdung der Rechnungen zu Buche schlagen, die er als Euro-Nation anstellt, will er vom materialistischen Grund seiner alten kompensatorischen Leistungen nichts mehr wissen. Mit denen wollte er einmal das praktische Urteil korrigieren, welches seine und die europäisch-internationale Geschäftswelt über seine südlichen Regionen gefällt haben: Jetzt, im Lichte seiner Sorge um die Solidität und den wirkungsvollen Einsatz seiner Finanzmacht, stellen sich ihm seine früheren Versuche, den Süden des Landes zur kapitalistischen Anlagesphäre herzurichten, als pure Geldverschwendung dar, so dass die unter seiner Obhut befindlichen Landesteile, die sich kapitalistisch nicht rentieren und daher ihren Dienst als nationale Reichtumsquelle nicht wie verlangt verrichten, als eine einzige ökonomische Last abzuschreiben sind. Eine staatliche Entwicklungshilfe im eigenen Land, ein Solidaritätsverhältnis zwischen Nord und Süd, das den im Norden verdienten Reichtum zugunsten unterentwickelter Regionen umverteilt und sich im Staatshaushalt als Akkumulation von Schulden negativ bemerkbar macht: Das alles hat es nicht gebracht, hätte es also auch nie gebraucht, weil sich in den betreffenden Landesteilen das private Geschäftemachen, wie man ja sieht, einfach nicht lohnt. Also braucht es das alles auch ab sofort für eine Nation nicht mehr, die sich zum Euro-Regime als ihrer Lebensgrundlage bekennt und daher für Geld und Schulden als einzig senkrechten Verwendungszweck nur noch die Förderung eines real existierenden kapitalistischen Geschäftserfolgs und dessen weitere Konkurrenzfähigkeit kennen will.[1]

So erinnert zwar auch der neue Art. 119 der Verfassung den Staat noch an seine überkommenen kompensatorischen Pflichten bei der Pflege der südlichen Hälfte seines Standorts; praktisch stellen dann aber die Regierenden den Geist des neuen Gesetzes in Form von Restriktionen bei den Mitteln klar, die man in Rom für die südlichen Landesteile noch übrig hat. Doch auch wenn in Bezug auf diese Neudefinition bisheriger Grundsätze italienischer Wirtschafts- und Sozialpolitik Konsens zwischen den staatstragenden Parteien besteht: Stoff für politischen Streit zwischen ihnen gibt sie allemal genug her. Vertretern der post-faschistischen Alleanza Nazionale (AN) und der christlichdemokratischen Unione Democratica dei Cristiani (UDC) leuchtet die Föderalismus-Reform zwar, wie gesagt, durchaus ein; die Notwendigkeit, einen zentral von Rom aus regierten Gesamtstaat Italien mit seiner neuen föderalen Struktur noch zusammenzuhalten, aber schon auch. Daher haben sie so ihre Vorbehalte gegen die Reform, gegen eine allzu weit gehende Entlassung der Regionen aus der Aufsichtsbefugnis der Zentralmacht, gegen zu viel Kompetenzen des neu einzurichtenden Organs zur Vertretung der Regionen gegenüber dem Gesamtstaat, gegen eine die eigene Partei womöglich benachteiligende Reform des Wahlrechts usw. – vor allem aber gegen eine Ausweitung der Machtbefugnisse des Ministerpräsidenten, die die Chefs von ‚Lega‘ und ‚Forza Italia‘ in der Verfassung auch noch gerne institutionalisiert hätten. Wenn also Wirtschafts- und Finanzminister Tremonti mit der Mutter aller Reformen (Bossi zum neuen Föderalismus in Italien) in seinem Sinn vorankommen will und die zur Förderung von Investitionen im Mezzogiorno gewährten ‚A-fonds-perdu‘-Hilfen (NZZ, 14.5.) streichen möchte, sehen AN und die mitregierende UDC die passende Gelegenheit, ihren Vorbehalten wirkungsvoll Ausdruck zu verleihen, ohne die Sache der Reform selbst dabei in Frage zu stellen: Sie sägen Berlusconis ‚Superminister‘ einfach ab. Damit ist der projektierte Fortschritt zur ‚Effektivierung‘ des kapitalistischen Wachstums im Land, für dessen produktive Indienstnahme die Bevölkerung im Mezzogiorno nach Auffassung aller regierenden Parteien überflüssig ist, dann wieder auf genau der Ebene, auf der er dem Sachverstand demokratischer Öffentlichkeiten zugänglich ist: Gelingt es Berlusconi noch, seine Koalition zusammen zu halten? Wie? Mit wem als Minister? Und wenn sich dann namhafte Koalitionäre gegen ihn und Bossis Lega ‚profilieren‘ wollen und sich zu diesem Zweck dafür stark machen, dass der Mezzogiorno noch stärker gefördert werden (NZZ, 3.7.) solle, versteht solche Wortmeldungen schon auch in diesem Land keiner falsch. In ihrem Streit um die Reform Italiens verhehlen die regierenden Koalitionsparteien nämlich ihre Berechnungen überhaupt nicht, die sie selbstverständlich mit im Auge haben, wenn sie die ‚Zukunft‘ des kapitalistischen Standorts Italien ‚sichern‘ und derentwegen die Reform so eine verifica infinita nach sich zieht. Für sie fällt die Reform Italiens eben damit zusammen, dass im Zuge ihrer endgültigen parlamentarischen Verabschiedung sie sich gegen ihre politischen Konkurrenten stärken, und damit steht auch für das regierte Volk die maßgebliche Perspektive fest, aus der es die Neudefinition seiner materielle Lebenslage zu würdigen hat: Allemal stehen die ‚Betroffenen‘ in Strategien und Taktiken der Parteienkonkurrenz im Mittelpunkt, und so können sich die Menschen im armen Süden Italiens ihr zukünftiges Elend auch noch als anerkennenswertes Bemühen von Fini und Co. zurechtlegen, sich ihre angestammte süditalienische Wählerklientel zu erhalten.

Praktisch in Gang gebracht ist der Reformprozess jedenfalls schon jetzt, vor der formvollendeten parlamentarischen Verabschiedung der Verfassungsartikel, nämlich dadurch, dass im Zuge der ganz gewöhnlichen Konsolidierung des Haushaltes im Sinne der neuen Verfassung verfahren und an den Regionalfonds wie an den Ausgaben unter der Rubrik ‚Süden‘ gespart wird. Indem der italienische Staat die regionalen und kommunalen Verwaltungskörperschaften seines Landes so auf den Grundsatz festlegt, sich fortan mit eigenen Mitteln um die soziale Pflege der Bevölkerung zu kümmern, etabliert er im Land einen geldpolitischen Sachzwang, der ganz von selbst sein regional verteiltes und regiertes Volk in neuer, radikalisierter Weise mit dem Maßstab der Brauchbarkeit fürs kapitalistische Geschäft vertraut macht. Den Geldbedarf der Regionen bekommen die lieben Bürger im ganzen Land – dort, wo die Zahlungskraft notorisch gering ist, ganz besonders – so zu spüren, dass ab sofort vermehrt Teile ihrer Einkommen für ihre auf eigene Rechnung wirtschaftenden Regionen und kommunalen Verwaltungen reserviert sind: Die lassen sich alle öffentlichen Dienstleistungen vom Strom über die Wasserversorgung bis zur Müllabfuhr und zum Museumsbesuch entsprechend teurer bezahlen.[2]

Ganz besonders zu spüren bekommt der – nicht geringe – kapitalistisch unproduktive Teil der italienischen Bevölkerung die Folgen, wenn nunmehr regionale und andere Gebietskörperschaften für die Wahrnehmung von Staatsfunktionen aus der Abteilung ‚Soziales‘ alleinzuständig sind. Indem diese sich um den Erhalt der bei ihnen ansässigen Teile der lohnarbeitenden Klasse fortan ganz nach Maßgabe der Mittel kümmern, die sie auf Grundlage des bei ihnen laufenden Geschäfts dafür erübrigen können, setzen eben sie den sozialpolitischen Grundsatz euro-imperialistisch rechnender Nationen durch, dass für Leute, die sich nicht selbst mit eigener Arbeit ihren Lebensunterhalt verdienen, auch noch der schäbige Lebensstandard zu kostspielig ist, der ihnen von ihren Obrigkeit bislang zugestanden wurde. Mit dem können in Italien allenfalls noch Bürger in solchen Regionen rechnen, in denen die Verwaltung genügend Mittel für das Durchfüttern von unproduktiven Armen und Alten und für die Versorgung der Kranken auf dem bisherigen Niveau übrig hat. Wo dies nicht der Fall ist – südlich von Rom verläuft da in etwa die soziale Demarkationslinie –, ist mit der geringeren Masse des regionalen Steueraufkommens auch die Reichweite der ‚sozialen Verantwortung‘ entsprechend kürzer bemessen. Dann finden im Süden selbst ‚soziale Versorgungsleistungen‘ der lächerlichsten Art einfach nicht mehr statt, weil regionale und kommunale Behörden die casa del popolo mit TV im Sommer und ein wenig Heizung im Winter einfach zusperren – und die pauperisierten Massen können sich ausschließlich in eigener Verantwortung mit der Perfektionierung all der Techniken durchs Leben schlagen, mit denen sie sich schon bisher in ihrem Elend eingehaust haben.

Die Gesundheitsreform: Eine Klassen-Medizin für die italienische Klassen-Gesellschaft

Gemäß der Beschlussfassung, seine Zuständigkeit für die Volksgesundheit den Regionen zu übertragen, kürzt der italienische Staat allein mit dem Haushaltsgesetz 2004 seine Zuwendungen an den nationalen Gesundheitsdienst (Servizio Sanitario Nazionale, SSN) um 6,3 Mrd. Euro, was etwa 8% der Einnahmen des SSN entspricht. Das haut rein in den Etat eines Gesundheitssystems, das im Wesentlichen durch den Staatshaushalt finanziert wird – und deshalb schon bislang nicht gerade üppig ausgestattet war –, und schlägt entsprechend in den Leistungen des Gesundheitswesens durch: In den armen Regionen und Provinzen des Südens, in denen der Wegfall bislang geleisteter staatlicher Zahlungen mangels Zahlungskraft weder mit Steuern noch mit Privatrechnungen zu kompensieren ist, verrotten Krankenhäuser. Weil Gehaltszahlungen für medizinisches Personal oft genug ausfallen, wandern Ärzte ab. Unter die Vorgabe gestellt, den Dienst am Kranken betriebswirtschaftlich rentabel abzuwickeln, werden die Gesundheitseinrichtungen reihenweise in den finanziellen Ruin getrieben. Sie machen zu – gleichgültig dagegen, in welchem technischen Zustand sie sind, und auch dann, wenn sie weit und breit die einzigen Einrichtungen zur medizinischen Versorgung sind.[3] Auf der anderen Seite wird von den örtlichen Gesundheitsämtern (Unità Sanitarie Locali; USL) der Bezug der medizinischen Leistungen verteuert. Die ticket genannten Zuzahlungen des Patienten – weltweit die zweithöchsten nach den USA – werden laufend erhöht; gerade in den Regionen, deren Bewohner sich die eigene medizinische Versorgung gar nicht leisten können. Nur dort, dort aber schon, wo entsprechende private und regional-öffentliche Zahlungsfähigkeit vorhanden ist, sind medizinische Technik und Behandlung auf dem neuesten Stand zu haben. Und damit die Leute mit besser gefülltem Geldbeutel für ihre dementsprechend anspruchsvolleren Gesundheitsbedürfnisse auch das passende Angebot vorfinden, lässt der Staat seit neuestem die private Liquidation auch durch Ärzte zu, die in Krankenhäusern Dienst tun – erstaunlicherweise tun sie Letzteres dann mit einem Mal zusehends weniger. Mit dieser Kombination aus regionalem Rückbau von Gesundheitseinrichtungen einerseits, der Einführung einer individuellen Medikation in Abhängigkeit von der privaten Zahlungskraft andererseits, verabschiedet sich der italienische Staat endgültig von dem Standpunkt, er hätte – kostenlos womöglich, wie es in der italienischen Verfassung heißt! – für ein das ganze Volk betreuendes Gesundheitswesen zu sorgen, und leitet die letzten Schritte zur Abschaffung einer sozialen ‚Errungenschaft‘ ein, die er einmal für durchaus vereinbar mit kapitalistischen Systemnotwendigkeiten gehalten hat. Für einen auch in Gesundheitsfragen konsequenten Kapitalismus gehört es sich ab sofort, dass über Art und Umfang der medizinischen Behandlung Kranker deren private Zahlungsfähigkeit entscheidet, und dafür tut der Staat dann alles Nötige: Er macht für seine minderbemittelte Klasse die Ware ‚Gesundheit‘ unerreichbar und setzt den Stand von Volksgesundheit durch, der seiner kapitalistisch durchsortierten Bevölkerung entspricht.

Die Reform des Rentensystems: Ein staatlicher Angriff auf den sozialen Besitzstand schlechthin

Auch dem italienischen Staat sind seine Rentner zu viel; sie werden zu alt und beziehen zu lange zu früh zu viel Rente – gemessen nämlich an der von ihm gestifteten Rechtslage, mit der er ihre Versorgung von der Einkommensquelle der abhängig Beschäftigten abhängig gemacht hat: Das für die soziale Vorsorge zuständige Institut, das Istituto Nazionale della Previdenza Sociale (INPS), finanziert sich aus Pflichtbeiträgen der Lohnarbeitenden; 24% von deren Verdienst bezahlen die Arbeitgeber, 9% die Arbeitnehmer. Und die Mittel, die sich auf diese Weise dem Lohn abringen lassen, reichen schon lange nicht mehr, um die durch 35 Beitragsjahre erworbenen Ansprüche der Alten auf Unterhaltszahlungen in Höhe von maximal 80 Prozent ihres letzten Einkommens zu bedienen. Gereicht haben sie etwa die 35 Jahre, in denen sich eine wachsende lohnarbeitende Bevölkerung den Anspruch auf eine Rente erst einmal durch Beitragszahlungen erwerben musste; in den Zeiten des kapitalistischen Aufbruchs Italiens, in denen auch die Löhne gestiegen sind. Seitdem auch die italienische Wirtschaft ihr Wachstum und ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit mit Rationalisierungen und Massenentlassungen steigert, seit den 80er-Jahren also in etwa, reichen diese Mittel bei weitem nicht mehr. Zumal es die Unternehmer schon damals gerne der Sozialkasse überlassen haben, den von ihnen betriebenen Abbau ihrer Belegschaften ‚sozial abzufedern‘ – die ebenfalls vom INPS unterhaltene cassa integrazione hat sich darüber sehr flott von ihrer ursprünglichen Bestimmung als bloßer Lohnersatzkasse für Kurzarbeit zur allgemeinen Fürsorgeeinrichtung für die wachsende disoccupazione gewandelt.[4] Im Etat des INPS machte sich dies alles als chronisches und ausuferndes Defizit bemerkbar, das bis Anfang der 90er-Jahre der Staat mit Mitteln aus seinem Haushalt ausgeglichen hat.

Seit damals – und deswegen – steht für Italien und seine Partner in Europa fest, dass es den italienischen Rentnern entschieden zu gut geht. Unter dem Gesichtspunkt seiner Staatsfinanzen und seiner mit Blick auf die gemeinsame europäische Geldwirtschaft für viel zu hoch erachteten Staatsschulden ist dieser Befund damals regelrecht zum nationalen Skandal gediehen: Der nationale Fahndungswille hat die Alten in den Zeiten der ‚Wende‘ als Urheber der nationalen Finanzmisere ausgemacht; sie sollen sich massenhaft – mithilfe einer korrupten politischen Klasse, die sich damit ihre Wählerstimmen erkauft hat – Geld vom Staat erschlichen haben. Und seitdem steht noch für jede italienische Regierung der Handlungsbedarf im Prinzip fest: Die Renten müssen auf das kapitalistisch korrekte, quasi natürliche Maß reduziert werden, das durch die Finanzarithmetik der Sozialversicherung ‚vorgegeben‘ ist, also so zusammengestrichen werden, wie es das durch eine sinkende nationale Lohnsumme schwindende Beitragsaufkommen ‚gebietet‘. Das beschert dem Land nun die dritte Pensionsreform innerhalb eines Jahrzehnts. Mit ihr will die Regierung Berlusconi endlich – man denke: Wir sind die Letzten in Europa! – auch den Empfehlungen der EU-Kommission und der OECD nachkommen. Nachdem schon die Vorgängerregierung durch entsprechende Änderung der Rentenformel und Abschaffung des Inflationsausgleichs dem Institut der sog. baby-pensione, einer Art Mindestrente, auf die sich der Italiener mit einigen Beitragsjahren einen Anspruch erwerben konnte, zu Leibe gerückt ist, sollen nun endlich Nägel mit Köpfen gemacht werden. Die im Mai 2004 zur Verabschiedung anstehende Reform sieht Einsparungen von ca. 30 Mrd. Euro in den Jahren 2008-2013 vor; durch eine stufenweise Anhebung des Renteneintrittsalters von 57 auf 60 Jahre und der für den Bezug der vollen Rente nötigen Beitragsjahre von 35 auf 40, durch eine Verringerung der Leistungsansprüche, die Abschaffung von Sonderrenten und Frühpensionierungen sowie durch ‚Anreize‘ zum Arbeiten über das bisher geltende Eintrittsalter hinaus.[5]

Diese Reform beschäftigt die Nation seit bald zwei Jahren, sie veranlasste die Gewerkschaften zu mehreren landesweiten Streiks und führte auch sonst zu viel Aufruhr. Von ungefähr kam diese Aufregung nicht, schließlich macht sich die Regierung mit ihrer Reform an dem sozialstaatlichen Besitzstand der italienischen Arbeiterklasse zu schaffen: Nicht dass das skandalös hohe Rentenniveau von sage und schreibe bis zu 80 Prozent des Lohnes jemals ein gigantischer Besitzstand gewesen wäre – es waren eben bestenfalls 80 Prozent von einem italienischen Lohn. Aber die waren oft genug der einzige Besitzstand einer kompletten italienischen Familie. Aufgrund der landestypischen Besonderheit, dass die italienischen Kapitalisten das ihnen zur Verfügung stehende Arbeitsvolk in einigen Regionen gar nicht übermäßig brauchen können und wenn, dann nur zum Teil zu sozialstaatlich geregelten Verhältnissen in Dienst nehmen (siehe dazu den nächsten Abschnitt), sind in diesem Land oftmals die Pensionszahlungen der Eltern oder Großeltern – häufig auch bloß besagte „baby-“ oder „mini-pensioni“ – das einzige regelmäßige Familieneinkommen, das dann auch noch für den Unterhalt dauerarbeitsloser Kinder oder Enkel herhalten muss. Genau diesen großfamiliären Versorgungsdienst der Rente unterhöhlt in diesem Land eine Pensionsreform, die ansonsten ganz nach dem Muster anderer EU-Staaten vonstatten geht.

Die Reform des Arbeitsmarktes: Anpassung des Arbeitsrechts an die real existierende Arbeitswelt

In Italien ist etwa ein Drittel aller Lohnabhängigen ohne feste Anstellung beschäftigt; in so genannten „prekären“ Arbeitsverhältnissen, die unter verschiedenen, zumeist mehreren rechtlichen Gesichtspunkten als problematisch gelten, unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachtet einen nicht zu unterschätzenden Wirtschaftsfaktor darstellen, vom italienischen Staat daher auch mehr oder weniger geduldet, gelegentlich aber auch rechtlich verfolgt und in dieser juristischen Grauzone vom Kapital jedenfalls massenhaft unterhalten werden: Erstens die Beschäftigung illegaler Einwanderer. Dieser Quelle billigster Arbeitskräfte, die sich irgendwelche Ansprüche schon deswegen nicht leisten können, weil sie von Abschiebung bedroht sind, bedienen sich italienische Unternehmer in großem Umfang, und der italienische Staat, der das Bedürfnis seiner Wirtschaft nach einem unschlagbar billigen, von allen sozialen Sicherheiten befreiten Ausbeutungsmaterial allemal bestens versteht, anerkennt die Konkurrenznöte seiner mittelständischen Kleinindustrie, seiner Bau- und Agrarwirtschaft, seiner Dienstleistungsbetriebe usw. auch so weit, dass er 1-2 Millionen extracomunitari, EU-externe Ausländer meist aus Afrika und Asien, bei sich hat gewähren lassen – was nicht heißt, dass er den clandestini nicht schon in der Vergangenheit immer wieder massiv mit Großrazzien in den einschlägigen Quartieren zu Leibe gerückt ist. Der zweite Posten dieser ‚prekären‘ Arbeitswelt ist die Schwarzarbeit (lavoro nero bzw. irregolare), abgeleistet im Dienste von Arbeitgebern, die alle steuerlichen und sozialrechtlichen Verpflichtungen umgehen; üblicherweise ist das bei allen möglichen Formen der Tagelöhnerei, der Gelegenheits- und Saisonarbeit sowie bei allen möglichen Dienstleistungen der Fall, bei Putzkolonnen, Hausmeisterdiensten etc.; auch die Pflege der Alten wird größten Teils so, für 2-3 Euro die Stunde schwarz auf die Hand, von extracomunitari erledigt. Drittens gibt es Formen der unmittelbaren Lohnsklaverei, die zwar im bürgerlichen Gemeinwesen eigentlich verboten sind, der kapitalistischen Ausbeutung aber überhaupt nicht widersprechen und dort, wo sie auf der Grundlage elendster Verhältnisse zu haben sind, von einer sowieso hart am Rande der Legalität wirtschaftenden Geschäftswelt auch in größerem Stil praktiziert werden. Z.B. der Handel mit und die Vermietung von de facto rechtlosen Subjekten, in Italien als caporalato jedermann geläufig: So genannte caporali heben auf dem Lande Elendsgestalten aus und vermieten diese Figuren an Großgrundbesitzer oder sonstige Dienstherren, deren Willkür sie dann völlig ausgeliefert sind.

Diesen – auf Basis eines absoluten Überschusses an Arbeit suchenden Massen – blühenden Niedriglohnsektor findet der italienische Staat an sich natürlich überhaupt nicht prekär. Sofern sich seine Unternehmer bei der erpresserischen Ausnutzung der Notlage dieser einkommenslosen, auch von keiner Gewerkschaft vertretenen Volksmassen an seine Mindestanforderungen halten, sofern sie die Meldevorschriften einhalten und die für ihre Tagelöhner fälligen Pauschalbeiträge zur Sozialkasse abführen, ist für ihn die Arbeitswelt in Ordnung. Nicht in Ordnung für ihn ist freilich die ‚Schattenwirtschaft‘ (economia sommersa), die herauskommt, wenn sie dies nicht tun, und damit das Arbeitsleben in diesem Sinne künftig mehr in Ordnung kommt, treibt die Regierung Berlusconi mit ihrer legge Biagi, ihrer großen Reform des Arbeitsmarktes, die gesetzliche Regelung dieser Sphäre voran: Das Geschäft mit den Billigstarbeitskräften soll unter Kontrolle genommen, unter weitgehender Anerkennung aller Praktiken, mit denen die Unternehmer den Preis der Arbeit gegen Null treiben, vermehrt in den Dienst der verschiedenen Abteilungen des staatlichen Finanzwesens gestellt, als Beiträger zum nationalen Finanzaufkommen dann auch staatlich gefördert und darüber zum anerkannten, wachsenden und auch durchaus Maßstab setzenden Bestandteil des italienischen Arbeitsmarktes ausgebaut werden. Mit ihrem Gesetz will die Regierung das Arbeitsrecht erklärtermaßen den Erfordernissen einer immer komplexeren gesellschaftlichen Realität anpassen – Regeln, die für das fordistische Fabrikwesen gemacht seien, könnten nicht auf die moderne Arbeitswelt angewendet werden, so die offizielle Begründung. Sie gibt mit ihrer Reform also den Unternehmern und ihrem Interesse programmatisch Recht, indem sie all den von ihnen gestifteten ‚prekären‘ Arbeitsverhältnissen eine vertragsrechtliche Form vorschreibt: Leiharbeit, befristete und unbefristete Zeitarbeit, Gelegenheitsarbeit, Nebenerwerbstätigkeiten, private Anwerbung und Vermittlung einzelner Arbeitskräfte wie ganzer Belegschaften, projektbezogenes Anheuern und Feuern von Arbeitskräften, Arbeit auf Abruf, Scheinselbständigkeit, Outsourcing etc. – für all diese Beschäftigungsformen, mit denen die Unternehmer die Senkung des Kostenfaktors ‚Arbeit‘ betreiben, gibt es nun per Gesetz – Stichwort nuovi contratti, das Herzstück der Reform – eine passende Vertragsform. Die Regierung sorgt so dafür, dass der Pauperismus nun auch staatsoffiziell als normale proletarische Existenzweise anerkannt ist und der ‚working poor‘ ganz legal den nationalen Reichtum mehren darf.

Die Reform des Zuwanderungsgesetzes: Ohne Beitrag zum Sozialprodukt keine Aufenthaltsgenehmigung

In einer Abteilung dieses nationalen Billigarbeitsmarktes greift die Regierung allerdings doch korrigierend in die Praxis der Unternehmer ein: Die massenhafte Beschäftigung illegaler Einwanderer kriegt schon einen Dämpfer, wenn die Behörden, wie im neuen Zuwanderungsgesetz vorgesehen, Ernst machen mit der verschärften Ausweisung der clandestini – das aber ist Italien sich, seinem Volk und dem Schengener Abkommen einfach schuldig. Das neue Gesetz, die legge Bossi-Fini, knüpft die Aufenthaltserlaubnis für Einwanderer ausdrücklich an die Bedingung, dass die einen sicheren Arbeitsvertrag vorweisen können. Durch den muss garantiert (sein), dass sie für ihren Unterhalt während ihres Aufenthalts in Italien selber aufkommen können … darüber hinaus muss der Arbeitgeber für eine angemessene Unterkunft sorgen und im Stande sein, für die Kosten der Rückführung aufzukommen. Die Masse der anlandenden Elendsgestalten, die gar nicht die Chance auf ein irgendwie vertraglich geregeltes Arbeitsverhältnis hat, soll nach dem Willen des Gesetzgebers sofort von italienischem Boden entfernt werden; und zwar durch entsprechende Maßnahmen der sie abfangenden Grenzpolizei so effektiv, dass sie gar nicht erst Gelegenheit bekommt, in die Kriminalität abzutauchen und sich der Kontrolle des Staates zu entziehen. Die italienische Regierung scheidet so nachdrücklich das ausländische Strandgut in eine staatsnützliche und als solche, bei nationalem Bedarf, auch willkommene Zufuhr an billigem Ausbeutungsmaterial auf der einen Seite und in die Vielen auf der anderen, die unter Ordnungs- und Sozialfürsorgegesichtspunkten betrachtet eine bloße Last für den Staat darstellen und als solche wie eine Seuche zu bekämpfen sind.

Reform der tariflich geregelten Arbeitsverhältnisse: Staatliche Manöver zur direkten Lohnsenkung und zur Durchsetzung neuer Freiheiten für die Unternehmer

Als Arbeitgeber und Lohnzahler seiner eigenen Bediensteten geht der italienische Staat unter Berlusconi im Kampf gegen das nationale Lohnniveau selbst vorbildlich voran und profiliert sich als Vertragsbrecher langfristig ausgehandelter Abmachungen mit den Gewerkschaften. Seinen Angestellten und Beamten bleibt er Lohnzahlungen einfach schuldig, Ende 2003 warten laut der Zeitung Repubblica ca. 4,5 Millionen Arbeitnehmer auf vertraglich vereinbarte Lohnerhöhungen: Der Staat zahlt sie einfach nicht. Erst auf Druck der Gewerkschaften hin bemüht sich der „Welfare“-Minister Maroni an den Verhandlungstisch zurück, wo er dann darauf besteht, dass über die bereits vertraglich zugestandenen Lohnerhöhungen neu verhandelt wird. Abgeschlossen wird in der Regel zu deutlich schlechteren Konditionen, welche die großen Gewerkschaften akzeptieren, um von der Gegenseite überhaupt noch als Instanz akzeptiert zu werden, mit der man zum Zwecke der Vereinbarung von Tarifverträgen verhandelt.

Mit der demonstrativen Missachtung der Tarifverträge in eigener Sache will der Staat durchaus als Vorbild wirken. Flächentarifverträge, contratti collettivi nazionali del lavoro, gelten auch in Italien als Fesseln einer freien unternehmerischen Kalkulation mit der Arbeitskraft, die ja für das Zustandebringen von Wachstum für den in Europa regierenden politökonomischen Sachverstand die unabdingbare Voraussetzung ist. In den Verhandlungen zu den patti nazionali per Italia, eine Art konzertierte Aktion, in deren Rahmen der Staat den Gewerkschaften das Interesse der Unternehmer als Leitfaden für die anstehenden nationalen Reformaufgaben vorbuchstabiert, dringt die Regierung Berlusconi daher auf die Revision dieser Sorte von ‚Wachstumshindernissen‘ – und macht sich daran, das von den Gewerkschaften durchgekämpfte Prinzip zu kippen, wonach in ganz Italien, also auch in seinen minder kapitalisierten Regionen, für dieselbe Arbeit derselbe Lohn zu zahlen ist. In der Praxis hat dieses Prinzip zwar schon in der Vergangenheit immer weniger gegolten; die italienischen Industrieunternehmer behandeln die südlichen Regionen des Landes längst als ihre ‚Sonderwirtschaftszonen‘, in denen für sie Arbeitskräfte billiger zu haben sind als in Mailand oder Turin;[6] und die Gewerkschaften selbst haben diese Praxis auch immer mehr zugelassen. Aber der Regierung kommt es auch da darauf an, die von den Unternehmern hergestellten Verhältnisse ins Recht zu setzen und damit zu verallgemeinern. Unter dem Stichwort gabbie salariali, wörtlich „Lohngehege“, sollen nun wieder regional unterschiedliche Tarifniveaus eingeführt werden, deren Abschaffung die Gewerkschaften Ende der 60er-Jahre als einen ihrer ganz großen Erfolge gefeiert haben. Die Arbeitgeber sollen endlich auch offiziell das Recht auf die Billiglöhne erhalten, zu denen sie in den minderentwickelten Regionen Italiens die Arbeit suchende Bevölkerung erpressen können. Die Linie ist klar: Soweit es tariflich geregelte Verhältnisse gibt, sollen sie ausgehebelt und auf das Maß hinorientiert werden, das in Gestalt des neben ihnen existierenden Billiglohnmarktes vorgegeben ist. Die Betroffenen sollen sich das mit dem schönen Argument einleuchten lassen, dass derselbe Lohn, der im Norden für teure Mieten und Lebensmittel reichen muss, im Süden, wo Mieten und Lebensmittel im Vergleich billiger sind, gar nicht nötig ist. Umgekehrt dürfen sich die Nordlichter schon mal mit der Perspektive vertraut machen, dass ihr vergleichsweise hoher Lohnstandard angesichts der Konkurrenten, an denen sie verglichen werden, wohl demnächst nicht mehr zu halten sein wird und nach unten korrigiert werden muss.

Die andere große Front, an der die Regierung gegen den gewerkschaftlich durchgesetzten Arbeitsstandard ankämpft, betrifft das Arbeiterstatut (statuto dei lavoratori) mit seinem berühmten articolo 18, dem gesetzlichen Kündigungsschutz. Besagter Artikel ist mittlerweile dahingehend geändert, dass Betriebe bis 15 Mitarbeiter – und das sind in Italien 95% aller Betriebe – nicht mehr unter den alten Kündigungsschutz fallen; sie dürfen nun ohne Begründung und finanzielle Abfindung entlassen. Genutzt werden diese neuen Freiheiten von den Unternehmern nicht zuletzt dazu, sich der gewerkschaftlichen Mitbestimmung zu entledigen: Sie spalten (schein)selbständige Abteilungen von sich ab, die dann aus dem Geltungsbereich des Arbeiterstatuts ganz herausfallen.

Neben dem Kampf gegen alles, was Gewerkschaften einmal als ihre ‚Errungenschaften‘ zu feiern pflegten, geht die Regierung auch unmittelbar gegen störende gewerkschaftliche Umtriebigkeit vor. Autonome gewerkschaftliche Basisgruppen, die sog. Cobas (Comitati di base), die in ihrem Kampf gegen die von oben betriebene Verschlechterung proletarischer Lebensbedingungen mit mehr als nur symbolischen Streiks auf lokaler Ebene das öffentliche Leben wirklich stören und lahm legen, werden mit Geldstrafen und ihre Mitglieder mit Entlassungen bedroht. Oder auch einmal mit Einzelverträgen, die ursprünglichen Abmachungen entsprechen, zufrieden und damit ruhig gestellt. Und wenn dann der Staat – wie im Falle der öffentlichen Verkehrsbetriebe – schließlich doch vereinbarte Lohnerhöhungen auszahlt, dann schlägt er prompt bei der Benzinsteuer zu: Mit einem zeitlich befristeten Aufschlag auf den nationalen Benzinpreis bittet er sein Auto fahrendes Volk zur Kasse.

Die Reform zur Angleichung der Armutsverwaltung an europäische Standards: Ein eher langfristig angelegtes Projekt

Darüber, was sie mit ihren Reformen anrichtet, macht sich die italienische Regierung selbstverständlich nichts vor. Sie weiß, dass sie massenhaft Sozialfälle in ihrem Volk schafft, jedenfalls rechnet sie fest damit, dass auf die Kommunen, an denen auch in Italien die leidige Aufgabe hängen bleibt, die endgültig mittellosen proletarischen Existenzen mit irgendeinem Almosen abzuspeisen, zusätzliche Belastungen zukommen. Mit der Einrichtung eines Fonds, mit dem der Staat seinen Kommunen dann hilfreich zur Seite stehen kann, anerkennt sie grundsätzlich, dass diese Wirkung der von ihr vorangetriebenen Verelendung auf die kommunalen Haushalte irgendwie geregelt sein will. Die Einrichtung dieses Fonds gibt ihr schon mal Gelegenheit, sich dafür zu feiern, dass Italien – als einer der letzten Staaten in Europa, der seinen pauperisierten Massen bislang so gut wie keine Sozialhilfe zahlt – die Prinzipien der europäischen Sozialcharta nun auch bei sich verwirklicht hat:

„Die Republik sichert dem Einzelnen und den Familien ein integriertes System von Sozialmaßnahmen und -diensten zu, fördert Maßnahmen zur Gewährleistung der Lebensqualität, der Chancengleichheit, der Nichtdiskriminierung und der Bürgerrechte, leistet Präventionsarbeit, beseitigt oder verringert Zustände der Behinderung, des Notstands und des Unbehagens von Einzelpersonen oder Familien, die durch die Unangemessenheit des Einkommens, durch soziale Schwierigkeiten und Pflegebedürftigkeit bedingt werden, im Einklang mit den Artikeln 2, 3 und 38 der Verfassung.“

Die Ausstattung dieses Fonds mit Mitteln lässt dann freilich erst einmal auf sich warten. Schließlich müssen erst einmal ganz genau die Kriterien festgelegt werden, nach denen staatliche Gelder für diesen eigentlich unwerten Zweck verausgabt werden. Und das kann dauern. Die von der Regierung eingesetzte sozialwissenschaftliche Expertenkommission ist noch dabei, zu erforschen, welche Formen des proletarischen Pauperismus als Armut überhaupt anerkannt zu werden verdienen, und hat sich bislang noch nicht auf ein einheitliches Kriterium für die vielfältigen Formen der Armut einigen können.

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Die regierungsamtliche Präsentation der Reformen und die Antwort auf sie: Anwälte der Betroffenen kritisieren Berlusconis „Machtmissbrauch“

Mögen die erwünschten Wirkungen ihrer Reformen bislang auch ausbleiben und mag sich Italien den „Blauen Brief“ aus Brüssel nun doch noch einhandeln, eines kann man der Regierung Berlusconi nicht vorwerfen: Versäumnisse. Dafür, dass auf ihrem Standort mehr Geschäftstätigkeit stattfindet und der Staat auf der Grundlage wieder mehr finanzielle Spielräume gewinnt, setzt sie die ganze ihr zu Gebote stehende Macht ein. Nach allen Regeln der Regierungskunst und so, wie es der wirtschaftspolitische Sachverstand in ihrem Land und in Europa von ihr fordert, verbilligt sie ihr Volk und sorgt für mehr Freiheiten des Kapitals, es härter ranzunehmen. Und der Chef dieser Regierung ist nicht nur extrem tätig bei der kapitalistischen Renovierung des Standorts, er verkauft seine Werke auch perfekt und nach allen Regeln der demokratischen Kunst, nämlich in aller erster Linie sich selbst als ihren genialen Urheber. Zur in der Demokratie dafür allemal nötigen Überzeugungsarbeit hat er sein eigenes Medienimperium, also ausreichend technisches Gerät und Personal in Diensten, um in Presse, Funk und Fernsehen das Volk davon zu informieren, mit was für einem menschlichen Glücksfall an der Regierungsspitze es da beschenkt wird: Wo könnten Macht und Geld Italiens besser aufgehoben sein als in Händen eines unglaublich erfolgreichen Geschäftsmannes, der es mit seinem Vermögen auch noch dazu gebracht hat, vom Volk an die Staatsspitze kommandiert zu werden! Was könnte Italien Besseres passieren, als von einem regiert zu werden, der selbst eine einzige Synthese von Macht und Reichtum ist und verspricht, die Nation kapitalistisch so vorbildlich auf Vordermann zu bringen wie einen seiner Konzerne! Als dieses vom Himmel geschickte Geschenk für die Nation inszeniert sich der Mann und lässt sich von seinen Schranzen für jede seiner Taten beweihräuchern, und da dank seiner gesetzgeberischen Kompetenz inzwischen auch öffentlich-rechtliche Sendeanstalten weitgehend frei von abweichenden Meinungen sind, besteht an dem Umstand, dass Italien von einer einzigen personifizierten kapitalistischen Erfolgsgarantie regiert wird, kein nennenswerter öffentlicher Zweifel mehr. Zumal der Mann auch keine Gelegenheit versäumt, noch ein unwidersprechliches Argument für seine und seiner Regierungskunst Güteklasse in den Vordergrund zu schieben: Auch als Retter der Nation vor dem Kommunismus ist Berlusconi immer und überall unterwegs. Dessen Handlanger sind seiner maßgeblichen Auffassung nach neben einigen unbelehrbaren Journalisten und einer Journalistin mit roten Haaren vor allem Staatsanwälte und Richter, die ihn irgendwelcher unsauberer Machenschaften bezichtigen und dafür belangen wollen – IHN!, und damit steht auch schon fest, was das für Leute sein müssen: Ewiggestrige, die den Aufbruch Italiens in die kapitalistische Moderne hintertreiben wollen, für den er steht; Verbrecher in roten Roben also, die letzten Relikte sozial inspirierter Vaterlandsverräter, die einfach nicht kapieren wollen, dass alles, was im Land Recht ist und infolgedessen auch als gerecht gilt, an ihm und seinem nationalen Erfolgsprogramm Maß zu nehmen hat. Also säubert er den Justizapparat von den entsprechenden Figuren, dekretiert als Gesetz, dass Gesetze ihm grundsätzlich nichts anhaben können, und macht sich so die Justiz auch als moralische Anstalt zurecht, die in seinem Sinne fungiert. Denn in Gestalt kommunistischer Menschheitsverbrecher, die da den Justizapparat, die oberste Instanz aller Gerechtigkeit im Staat, unterwandert hätten, bekämpft er nicht nur ihm unbequeme Rechtspfleger. Mit der sittlichen Aura, die er sich dabei verleiht, diskreditiert er in aller Grundsätzlichkeit einen Standpunkt, der ihm und der politischen Linie, die er dem Land verordnet, womöglich noch mit irgendwelchen sozialen Bedenklichkeiten kommen könnte. Dafür steht das Schreckgespenst ‚Kommunismus‘ für Berlusconi: Es ist der sittliche Totschläger, der alle vom neuen obersten nationalmoralischen Wert abweichenden Vorstellungen in Sachen Recht und Gerechtigkeit ächtet, den er in seiner glanzvollen Synthese von Macht, Reichtum und Regent des öffentlichen Meinens repräsentiert. Berlusconis Regierung räumt nicht nur auf mit allem, was in Italien einmal an praktizierter sozialer Fürsorglichkeit politisch institutionalisiert war. Sie sorgt auch dafür, dass im Volk derselbe Geist Einzug hält, in dem sie ihr nationales Aufbruchswerk verrichtet – und sich so auch bei den regierten Massen die Auffassung breit macht, dass alles, was auch nur irgendwie an den alten staatlichen assistenzialismo erinnert, ein einziges Verbrechen wider die kapitalistisch-nationale Menschennatur von Italienern ist.

Auf ihre Weise verdient um die Herstellung genau dieses Geistes machen sich im Land aber auch andere:

Erstens eine Öffentlichkeit, die der Berichterstattung über die sozialen Notlagen, in die die Regierung die Bevölkerung mit ihren Reformen stürzt, breiten Raum gibt. Ausgiebig wird breit getreten, dass bei 60 Prozent aller Italiener die Einkünfte fürs Notwendigste nicht mehr reichen; Lokalzeitungen ergehen sich in drastischen Schilderungen gar nicht besonderer Härtefälle; wohlmeinende Menschen vom Gemüseverkäufer bis zum Staatspräsidenten kommen zu Wort und sind sich darin einig, dass das Leben immer weniger gerecht, dafür zusehends härter wird, usw. Die Allgemeinheit des Elends ist die erste Botschaft solcher Informationen, die Unausweichlichkeit, mit der man als ‚Betroffener‘ mit ihm zu rechnen hat, die zweite, die Alternativlosigkeit des Verhängnisses, das da über einen hereinbricht, die dritte, und so gewöhnt man ein Volk daran, dass es sich an das neue Niveau der Armut anzupassen hat, an das es von seiner Herrschaft angepasst wird.

Ihrem Beruf gleichfalls alle Ehre macht zweitens die linke parlamentarische Opposition im Land. Ihr oppositioneller Standpunkt ist mit der Auffassung, dass Berlusconi die falsche Besetzung für die Führung der Nation ist, fertig auf den Begriff gebracht, und dafür sucht sie dann ihre Belege zusammen. Sie bringt zur Sprache, wie sehr dieser Mann die Freiheit der Meinung mit Füßen tritt und das Recht manipuliert – und will damit den Einwand gegen Berlusconi untermauern, mit dem sie als letzte noch verbliebene Wacht an der Demokratie moralisch Eindruck machen will: Den Interessenkonflikt zwischen seinem privaten Reichtum und seiner politischen Macht. Ziemlich fadenscheinig führt sie den Nachweis, dass sich Berlusconi mit seinem Einsatz für seine persönliche Unternehmer- und Medienmacht in Widerspruch zu den Interessen Italiens als kapitalistischer Macht begibt; sie hält ihm vor, dass sein Dauerkampf gegen die italienische Justiz eine Verfehlung darstellt; dass er seinem Auftrag nicht gerecht wird, weil er Italien nur egoistisch im Sinne seiner eigenen Interessen und Vorlieben – Rettung des italienischen Fußballs! – regiere, und dass er vor lauter Verwicklungen in seine diversen Affären seine eigentlichen Aufgaben nicht erledige. So agitieren die ‚linken‘ Parlamentarier das Volk für eine denkbar sachfremde Befassung mit der Politik, deren Opfer es gerade wird. Wo Berlusconi in seiner Politik vorführt, was eine parlamentarische Demokratie so alles an Mitteln für den Zweck parat hält, die Nation kapitalistisch auf Vordermann zu bringen, monieren sie Verstöße gegen parlamentarische und andere demokratische Verkehrsformen, wo der Privatmann und Angeber ad personam nur die Linie demonstriert, auf die es nach seinem herrschaftlichen Willen für Italien politisch anzukommen hat, ignorieren sie konsequent, dass da der Chef einer amtierenden Regierung mit der Sache renommiert, die er auf den Weg bringt: Nie und nimmer ist für diese linke Opposition die Politik, das, was der Mann seiner Nation als Maxime allen kapitalistischen Erfolges vorgibt und dann auch noch als Insignien seiner auf Erfolg geeichten Persönlichkeit vor sich herträgt, der Skandal. Skandalös für sie ist, dass da einer in der Regierung sitzt, den nur seine persönliche Bereicherungssucht treibt, und damit gehen sie beim Volk dann werben – auf dass es beim nächsten Urnengang diejenigen ermächtige, die Italiens Reformagenda wirklich in nationaler Verantwortung in die Tat umsetzen!

Drittens sind da noch die drei großen Gewerkschaften, die Berlusconi zu seinen Oppositionellen rechnet. Auch die wollen von einem Gegensatz der Sache Italiens zu den Interessen ihrer Klientel einfach nichts wissen. Auch sie klagen Versäumnisse der Regierung bei der Regelung der nationalen Notwendigkeiten an; sie betreibe keine Wirtschafts- und Forschungspolitik und tue nichts gegen die Billiglohn-Konkurrenz aus China und den osteuropäischen Anschlussnationen. Wo die Regierung mit ihrem Reformprogramm gerade nach Kräften die Zurichtung italienischer Arbeitsplätze zum Instrument einer erfolgreichen Standortkonkurrenz betreibt, bestreiten sie mit der Vorstellung eines alternativen Programms zur Stärkung Italiens in ebendieser Konkurrenz der Regierung, dass die ihrer Verantwortung für den Schutz italienischer Arbeitsplätze nachkommt. So nationalistisch verdorben treten am Ende Gewerkschaften auf, die als Interessenvertretung der Lohnabhängigen antreten und an deren Zwangslage, sich im Dienst an fremdem Eigentum einen Unterhalt verdienen zu müssen, als ihrer eigenen Geschäftsgrundlage unverdrossen festhalten: Sie kennen nur mehr ein Interesse ihrer Mitglieder, nämlich das an einem Arbeitsplatz; dieses Interesse wissen sie vom Geschäftserfolg der Unternehmer abhängig, die mit Arbeitsplätzen ihren Profit erwirtschaften, und machen sich deswegen für deren Konkurrenzerfolg in der Welt sowie für eine Regierung stark, die dem zur Durchsetzung verhilft. Mit der Linken ‚verschwistert‘ zu sein, hieß hierzulande einmal der Vorwurf an die Adresse der italienischen Gewerkschaften. Heute zeigen die Vereine, dass sie in Sachen Verantwortlichkeit mit einem DGB lässig jeden Vergleich aushalten: Unter der Parole Gegen den Abstieg Italiens betteln sie um Mitsprache beim Reformieren und sind, damit ihnen diese gewährt wird, zu jeder Schandtat beim Umgang mit den von ihnen Vertretenen bereit.

Bleibt zu erwähnen, dass es in Italiens Betrieben vereinzelt noch Arbeiter gibt, die sich von ihren zahlreichen Anwälten nicht vertreten sehen und sich zum Zwecke der Behauptung ihres Interesses aufstellen: Sie organisieren sich in Basisgruppen und verweigern den Dienst, um höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen zu erzwingen oder wenigstens die Verschlechterungen abzuwehren, die ihnen serviert werden. Das ist von all dem, was man in Italien einmal für eine ‚starke proletarische Linke‘ gehalten hat, übrig geblieben – und prompt sehen die Gewerkschaften an diesen versprengten Überbleibseln ihrer eigenen ‚kämpferischen‘ Tradition ihre letzten großen Bewährungsproben und neuen Kampfaufgaben. Mit ihren Streiks und Betriebsblockaden bereiten die Basisgruppen nämlich nicht nur den Betriebsherren Schwierigkeiten. Sie stören auch die großen Gewerkschaften in ihrem Bemühen, in einem ausschließlich konstruktiven Klima den sozialen Dialog mit der Regierung zu pflegen. Die Führung von UIL, CISL oder CGIL bietet also gelegentlich ihre Vermittlung an in der Auseinandersetzung zwischen Konzernleitung und aufmüpfigen Belegschaften – um diese zu befrieden, um die lokalen Streikführer auszuschalten und sich so wenigstens ihr unangefochtenes Monopol auf Vertretung der Arbeiterinteressen als das Argument zurück zu erobern, das in ihrem Kampf um Anerkennung und Mitsprache beim Reformkurs die Gegenseite als Letztes überzeugen soll!

[1] Fast sieht es so aus, als wollte die Regierung in Rom mit ihrer Föderalismus-Reform der immer schon vorhandenen Kritik norditalienischer Bürger recht geben, die schon immer der Auffassung waren, dass der Süden Italiens ihnen auf der Tasche liegt und die ‚terroni‘ mit der Unterstützung ihrer in Rom regierenden Diebesbande den Reichtum verpulvern, der im Norden verdient wird. Der Regionalismus der Bossi-Partei ‚Lega Nord‘, die mit dieser Kritik zur staatstragenden Partei aufgestiegen ist und es zum Koalitionspartner in der Regierung Berlusconi gebracht hat, war in der Tat Geburtshelfer dieser Reform. Festzuhalten bleibt jedoch: Lange Jahre ist dieser Standpunkt von Italiens regierenden Patrioten im Namen der Einheit Italiens als unpatriotisch zurückgewiesen worden – bis die es sich haben einleuchten lassen, dass die Beanspruchung des Staatskredits für ein im Resultat zweifelhaftes Entwicklungsprojekt Italien und seinen nationalen Geldrechnungen zum Schaden gereicht. Erst das hat die Bossi-Partei über die Grenzen eines Lokal-Patriotismus hinaus respektabel gemacht.

[2] Italien diskutiert – nach längerer Pause – mal wieder heftig über die Höhe seiner nationalen Inflationsrate. Die Teilnehmer am öffentlichen Leben streiten darüber, ob die Teuerungsrate eher bei 2% oder 20% liegt. Dieser zahlenmäßige Unterschied um den Faktor zehn macht bereits deutlich, dass es hier nicht um irgendwelche statistischen Feinheiten oder Rechenfehler geht: Der regierungsamtlichen Definition einer staatlichen Erfolgsziffer halten die Konsumentenverbände und Gewerkschaften die von ihnen beklagte Rate der Verarmung entgegen. Die Interessensverbände von unten finden mit ihren Klagen über zweistellige Kaufkraftverluste in der Öffentlichkeit großes Gehör, und ihre akribischen Auflistungen dokumentieren durchaus glaubwürdig, wie sehr der Staat, besonders in Gestalt seiner regionalen und provinziellen Unterabteilungen, das Leben seiner Bevölkerung verteuert hat und wie erfolgreich sich die Unternehmer im Lande darum bemüht haben, sich über höhere Preise der vorhandenen Zahlungsfähigkeit der Bevölkerung zu bemächtigen. Dagegen setzt die Regierung mit den vom staatlichen Statistikinstitut amtlich beglaubigten 2,3% ihre an Europa gerichtete Botschaft: Die Erfüllung der Stabilitätskriterien, denen sie sich mit der Teilnahme am Euro verpflichtet hat, ist für sie nach wie vor die Maxime ihrer nationalen Finanz- und Wirtschaftspolitik; in der Hinsicht ist unter Berücksichtigung der allgemein schwierigen wirtschaftlichen Lage, sogar ein Erfolg zu vermelden, das Inflations-Kriterium wurde so gut wie erfüllt; und von den desaströsen Wirkungen, die sie mit ihren Bemühungen um einen europatauglichen Staatshaushalt anrichtet, lässt sie sich nicht beeindrucken. Wer die beklagt, hat immer noch nicht begriffen, was die entscheidenden Mittel Italiens sind, sich in Europa zu behaupten und seine Finanzmacht zu stärken: Maßnahmen zur Beschneidung des Lebensstandards seiner Bevölkerung.

[3] Berichte über Zustände, dass Familien in süditalienischen Krankenhäusern mittlerweile Betten und Verpflegung selbst ins Krankenhaus mitbringen müssen, betreffen längst keine „Auswüchse“ mehr. Zur Normalität gehört mittlerweile auch ein „Gesundheitstourismus“: Patienten aus dem Süden reisen quer durch Italien, um in den Genuss einer Untersuchung oder medizinischen Behandlung zu gelangen. Die armen Regionen bezahlen lieber die dadurch entstehenden Kosten an auswärtige Krankenhäuser als selber welche zu unterhalten.

[4] Dieser ursprünglichen Bestimmung verdankt sich die Eigentümlichkeit, dass es in Italien die Unternehmer sind, die staatliche Beihilfe für die von ihnen Entlassenen beantragen. Deren Beschäftigung gilt nur als temporär unterbrochen, ihr Arbeitsvertrag läuft formell weiter, so lange, wie sie für die Zeit ihrer Nichtbeschäftigung Lohnersatzleistungen aus der cassa integrazione bekommen. Arbeitslosenunterstützung aus dieser Kasse erhält somit sowieso nur, wer ein Beschäftigungsverhältnis vorweisen kann. Die vielen Arbeitslosen, die nie einen Arbeitgeber gefunden haben bzw. nur einen solchen, der sich die Sozialversicherungsbeiträge lieber spart, kommen also gar nicht erst in den Genuss eines Arbeitslosengeldes. Statistiker bemerken das an ihren Zahlen so: Italien gibt pro Arbeitslosen etwa 15% der Summe aus, die in Deutschland ausgegeben wird.

[5] Noch bevor diese Rentenreform in Kraft tritt, kann die Regierung erste Erfolge vorweisen: Angesichts der „Anreize zum Weiterarbeiten“ und der Aussicht auf niedrigere Renten vertagen 100.000 rentenberechtigte Arbeiter schon heute ihren Eintritt in den ‚wohlverdienten Ruhestand‘ und schonen damit die Rentenkasse.

[6] Faktisch bezahlt z.B. der Fiat-Konzern in seinem modernsten Werk im süditalienischen Melfi seit 10 Jahren ca. 15% weniger Lohn als im Norden. Dazu kommen ein Sanktionsregime mit Lohnabzügen bei Nichterfüllung der Leistungsvorgaben und ein 3-Schichten-System, in dem 12 Nachtschichten ohne Unterbrechung abzuleisten sind. Dafür gibt es Löhne zwischen 900 und 1200 Euro.