Haiti-Intervention und Irak-Affäre
Zweimal Ordnungsmacht USA

Die Anforderungen an Haiti: Der machtlose, einsortierte Hinterhof soll ordentlich regiert werden. Amis intervenieren gegen Putschisten und setzen den demokratisch gewählten Präsidenten Aristide wieder ein. Dazu braucht es US-Oberhoheit; die ist diesen lästig und zu teuer. Irak: Amis vereiteln jede nationale Berechnung des Irak (Aufhebung der UN-Sanktionen). Ziel ist eine unzweifelhaft und dauerhaft unterwürfige Souveränität, festgemacht am Sturz von Saddam Hussein. So dokumentiert man seine Kontrollansprüche in der Region und seinen weltpolitischen Führungsanspruch gegenüber den Konkurrenten, die alternative Berechnungen mit dem Irak verfolgen.

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Haiti-Intervention und Irak-Affäre
Zweimal Ordnungsmacht USA

Vielleicht hat US-Präsident Clinton im Falle Haitis und des Irak ja wirklich gemeint, er müsse vor den Kongreßwahlen noch einmal unmißverständlich seine Führungsstärke beweisen, um bei den amerikanischen Wählern Eindruck zu machen. Der Art, wie er den Beweis seiner außenpolitischen Kompetenz angetreten hat, sind allerdings ein paar Klarstellungen über die Außenpolitik der USA zu entnehmen, welchen Herausforderungen ein amerikanischer Präsident sich also heute in der Welt gegenübersieht und wie er sich ihnen stellt.

Haiti

Eine ungeliebte Ordnungsaktion im Hinterhof für die Glaubwürdigkeit der USA

Die USA haben in Haiti militärisch interveniert. Allerdings in einer Weise, die der Öffentlichkeit einiges Kopfschütteln abgenötigt hat, weil nach ihrem Geschmack die Entmachtung der Militärs zu unentschlossen und mit geradezu unerträglichem „Respekt“, statt als Strafgericht an den „Schlächtern“ vonstatten gegangen sei.[1] Auch wenn die Fanatiker überzeugender Machtdemonstrationen den erpresserischen Charakter des Arrangements mit den haitianischen Militärmachthabern vornehm übergehen, sie bemerken mit ihrer Häme über die „Schmierenkomödie“ eine Eigentümlichkeit: Die überlegene Gewalt hat nicht die unbotmäßigen Putschisten demonstrativ machtvoll in die Knie gezwungen und einem wehrlosen Hinterhofregime ihren Willen aufoktroyiert – wie bei Grenada und Panama. Selbst als Clinton den Ernstfall schon weltöffentlich verkündet hatte, hat er den inzwischen in solchen Missionen geübten Ex-Präsidenten Carter den haitianischen Militärchefs nämlich noch die Zustimmung zu ihrer Entmachtung und zu einer amerikanischen Militärpräsenz in Haiti abgerungen, um einen gewaltsamen Einmarsch zu vermeiden. Diese Zustimmung hat sich Clinton einiges Entgegenkommen an Ehr- und andere Bedürfnisse von Cedras & Co. kosten lassen.[2] Es ist unübersehbar: Mag Clinton der Aktion auch noch so sehr den Rang einer überzeugenden Weltmachtmission zuschreiben; die amerikanische Regierung entledigt sich nach ihrem eigenen Verständnis einer mehr als lästigen Herausforderung. Davon zeugen Begründung, Ziel und Verlauf der „friedlichen Intervention“.

Die Herausforderung

lag nicht in der Gefährdung einer positiven Funktion Haitis für amerikanische Macht- und Geschäftsbedürfnisse, sondern hat einen negativen Grund. Das Land versagt den elementaren Dienst, den die USA auch von einem ruinierten und politisch bedeutungslosen Kleinstaat, zumal in ihrem ausschließlichen Zuständigkeitsbereich, verlangen: Er soll sich bei der Aufsichtsmacht nicht störend bemerkbar machen und ihr Lasten ersparen. Dafür findet der Präsident bewegende Bilder amerikanischer Betroffenheit von der Zerstörung jedes „zivilen Lebens“ auf Haiti:

„Heute leben mehr als vierzehntausend Flüchtlinge auf unserem Marinestützpunkt Guantanamo. Die Amerikaner haben bereits nahezu 200 Millionen Dollar für ihre Unterstützung und zur Aufrechterhaltung des Wirtschaftsembargos aufgebracht, und wenn wir nicht handeln, besteht die Aussicht, daß jeden Monat Millionen und Abermillionen auf unbestimmte Zeit ausgegeben werden. Wir werden uns weiterhin der Gefahr eines Massenexodus von Flüchtlingen und dieser konstanten Bedrohung der Stabilität in unserer Region stellen und unsere Grenzen kontrollieren… Wir müssen die brutalen Greueltaten stoppen, die Zehntausende von Haitianern bedrohen, unsere Grenzen schützen, in unserer Hemisphäre Stabilität erhalten und Demokratie fördern sowie die Glaubwürdigkeit der Verpflichtungen bewahren, die wir eingehen.“ (Rede vom 19.9.; in: amerika dienst)

Clinton bemißt den Unterschied zwischen einer ordentlichen Regierung und einer Gewaltherrschaft also daran, ob die Elendsgestalten verläßlich eingefriedet und ruhiggestellt werden, oder ob sich die Bewohner des Armenhauses störend bemerkbar machen – auswärts. Wenn er die Vorzüge demokratischer Verhältnisse auch für Haiti anpreist, dann denkt er an die Entlastung Amerikas: Die Demokratien… werden ihren Bürgern eher die Chance bieten, die sie zum Verbleib in ihrem eigenen Land und zum Aufbau einer Zukunft ermutigen. (ebenda) Ein kleiner Zynismus gegenüber den dahinvegetierenden Massen Haitis.

Aber darüberhinaus ein ernsthaftes Ansinnen des amerikanischen Oberaufsehers an die herrschenden Figuren. Die sollen ihre Herrschaftsansprüche dem amerikanischen Bedürfnis nach „Stabilität“ unterordnen. Daß die Eindämmung des Kommunismus hinfällig geworden ist – ein Auftrag, den die USA auf Haiti am sichersten bei den bekannten Diktatoren und den paar reichen Familien, gleichbedeutend mit „der Wirtschaft“ Haitis, aufgehoben sahen – und daß das Land ökonomisch ruiniert ist, heißt eben nicht, es würde aus der amerikanischen Aufsicht entlassen. Seine herrschenden Kreise sollen dafür sorgen, daß im Land, ohne die alte politische Bedeutung und mit schwindenden Mitteln, Ordnung herrscht, auch wenn die wegen der Staatsarmut und wegen der dahinvegitierenden Massen gar nicht, bzw. nicht ohne dauernde unmittelbare Gewaltanstrengungen zu haben ist.[3] In diesem Sinn haben die USA auch für Haiti auf Demokratie gesetzt und so die blutigen Auseinandersetzungen beenden wollen, für die es in den Augen der amerikanischen Aufsichtsinstanz keinen weltpolitisch guten Grund mehr gab. Nach den Vorstellungen der Oberdemokraten in Washington sollte das Volk durch einen Wahlentscheid die Gelegenheit bekommen, seine Zustimmung zur politischen Herrschaft abzuliefern, sich dadurch befrieden lassen und die diktatorischen Herrschaftsmethoden überflüssig machen. Ein gehöriger Idealismus, wie sich schnell gezeigt hat.

Gebracht haben die Wahlen nämlich keine Stabilisierung, sondern den Erfolg eines ehemaligen Armenpriesters mit ziemlich unpassenden sozialreformerischen Vorstellungen, der den Massen nicht nur aus Wahlgründen eine Verbesserung ihrer Lage versprochen hat, sondern den Staat wirklich mehr auf eine Massenbasis stellen wollte und deshalb einige Veränderungen in Richtung auf einen ordentlichen Staat ins Auge faßte. Damit hat er nicht nur die alten Nutznießer der bescheidenen Staatspfründe gegen sich aufgebracht, sondern auch die paar ökonomischen Nutznießer in Haiti. Diese Koalition hat den störenden Reformpolitiker durch einen gewaltsamen Umsturz des Militärs verjagt. Statt daß die Massen befriedet worden wären, regierte seitdem wie eh und je der Terror. Eigentlich ein schlagender Beweis, daß das Programm „Stabilität durch Demokratie“ kein allgemein durchgesetztes politisches Bedürfnis und für die Verhältnisse Haitis überhaupt unhaltbar ist. Das Funktionieren demokratischer Verfahren setzt nämlich eine einige politische Elite, ein verbindliches nationales Weiß-Warum, eine herrschaftlich gesicherte ökonomische Benutzung des Volks für die Mehrung des privaten und nationalen Reichtums, kurz: eine gefestigte Staatlichkeit voraus; aber die demokratische Herrschaftsform stiftet aus sich heraus keine Stabilität. Die US-Regierung hat das allerdings anders gesehen und für das Scheitern ihres Ordnungskonzepts die herrschenden Figuren verantwortlich gemacht: die Putschisten untergrüben das amerikanische Interesse an geordneten Verhältnissen. Weil sich die Generäle dieser Lesart und ihren Konsequenzen hartnäckig widersetzten, wurde für Amerika ihr Machtverzicht zur Prinzipienfrage: zu einer Frage der Glaubwürdigkeit als Aufsichtsmacht, die offene Insubordination in ihrem Hinterhof nicht hinnehmen kann.[4] Deshalb mußten sie verschwinden.

Das Programm „Stützung der Demokratie“

zielt allerdings überhaupt nicht bloß darauf, den Putsch rückgängig zu machen und den gewählten Präsidenten in seine legitim erworbenen Machtpositionen einzusetzen. Amerikanische Militärs übernehmen erst einmal faktisch die Macht in Haiti, nicht um dieses Land dauerhaft im Sinne eines kolonialistischen Abhängigkeitsverhältnisses ihrer Gewalt zu unterstellen, sondern mit dem entgegengesetzten Ziel: Die Besatzungsmacht will dem Land eine neue Staatsgewalt stiften, um das Land dadurch politisch eigenständig zu machen. Was die politischen Kräfte des Landes und die demokratischen Prozeduren nicht geschafft haben, eine verläßliche für alle Kontrahenten verbindliche Ordnung, das will die amerikanische Regierung jetzt durch die Umkehrung der Gleichung ‚Demokratie sichert Ordnung‘ erreichen: Die amerikanische Aufsicht soll für Ordnung sorgen, und damit das Land reif für Demokratie machen. Eine gewisse Gleichgültigkeit und Rücksichtslosigkeit gegenüber den Zuständen und Figuren in Haiti ist dabei nicht zu übersehen.

„Erstens werden die Diktatoren abgesetzt und Haitis legitime demokratisch gewählte Regierung wiedereingesetzt.“ (So hieß es vor der Einigung mit den Militärs; dann wurde bekanntlich eine Abdankung der Militärs bis zum 15. Oktober und als Gegenleistung eine Generalamnestie ausgehandelt.) „Wir werden haitianische Sicherheitskräfte unter ziviler Kontrolle ausbilden, die das Volk schützen, statt es zu unterdrücken. Während dieser Periode werden Polizeibeobachter aus allen Ländern der Welt mit den Behörden zusammenarbeiten, um die grundlegende Sicherheit und bürgerliche Ordnung zu maximieren… Wenn diese erste Phase abgeschlossen ist, wird die große Mehrheit unserer Truppen nach Hause zurückkehren – in Monaten, nicht Jahren… Dann, in der zweiten Phase, wird sich eine sehr viel kleinere Streitmacht mit den Streitkräften anderer Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen zusammenschließen. Und sie werden Hatiti nach den Wahlen im nächsten Jahr und der Amtsübernahme einer neuen haitianischen Regierung Anfang 1996 verlassen… Präsident Aristide hat zugesagt, mit Ende seiner Amtszeit im Einklang mit der Verfassung abzutreten.“ (Clinton-Rede vom 16.9.)

Amerikanische GIs und Militärpolizei sollen also durch ihre Präsenz erst einmal für Ruhe sorgen und dann eine staatliche Ordnungsmacht auf den Weg bringen. Erst sollen alle Seiten entwaffnet werden und dann ein Gutteil als Mitglied einer neuen Polizeitruppe mit amerikanischer Anleitung und Ausstattung überparteilich Ordnungsaufgaben verrichten, was in einem Land, wo Militär und Polizei sich bisher die Arbeit mit Todeskommandos geteilt haben und jetzt die Opfer von gestern nach blutiger Rache schreien, kein leichtes Unterfangen ist.

Eine entsprechend überparteiliches Vorgehen sieht das Zwei-Stufen-Programm für die Neubesetzung der Machtpositionen vor. Es ist von der Unzufriedenheit geprägt, daß auf allen Seiten die verläßlichen Stellvertreteradressen fehlen, an die man sich mit seinem Ordnungsprogramm halten und denen man das Regieren getrost überantworten könnte. Washington übernimmt die Rolle des ordnenden Schiedsrichters, der alle Machtkonkurrenten in die Schranken weist. Den Militärs wird ein halbwegs förmlicher Machtverzicht eröffnet; ihrer „gesellschaftlichen Basis“ in der reichen Oligarchie und deren Ordnungsbedürfnissen kann die US-Politik nämlich nach wie vor viel abgewinnen. Aristide aber muß für seine Rückkehr an die Macht eine Amnestie und seinen garantierten Machtverzicht im nächsten Jahr unterschreiben. Mit seiner neuerlichen Einsetzung in die Macht ist er zur Übergangsfigur mit insgesamt kaum zwei Amtsjahren und zum Präsidenten von US-Gnaden degradiert. Das schließt ein, daß Aristide seinem alten sozialreformerischen Programm abschwört und in der verbleibenden Zeit für „nationale Versöhnung“ sorgt, sprich: die alten Kräfte an der Macht beteiligt, sowie im Sinne der reichen Oligarchie und amerikanischer „Marktwirtschaftskonzepte“ regiert – also die Massen, die sich von ihm irgendeine Besserung erwarten, gründlich enttäuscht. Nur so kann er das immer noch verbliebene „Mißtrauen in seine politischen Fähigkeiten“ widerlegen. Die ersten Verlautbarungen und Personalentscheidungen beweisen, daß der Mann in den zwei Jahren USA-Exil einiges an politischer Vernunft dazugewonnen hat, seine neuen Gönner ihn also nicht bloß auf Verdacht zu ihrem legitimen Kandidaten erklärt haben.

Auf diese Weise wollen die Oberaufseher doch noch eine Ordnung in Haiti auf die Beine stellen, die die amerikanische Präsenz überflüssig macht und den Vereinigten Staaten künftig die Unkosten der Kontrolle in ihrem Hinterhof möglichst erspart. Deswegen verspricht Clinton in Erinnerung an vergangene Haiti-Aktionen, sein Land werde sich diesmal nicht längerfristig und umfassend engagieren. Eine Dauerzuständigkeit kommt ihm glatt wie eine unliebsame Verpflichtung und Belastung vor. Erstens will er weltöffentlich beweisen, daß Amerika dauerhaft für Ordnung sorgen kann; dazu gehört nach seinem Geschmack, daß die Aufsicht in so einem Hinterland quasi automatisch funktioniert. Zweitens denkt seine Regierung deshalb nicht daran, mehr als die unbedingt nötige ordnungspolitische Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten und sich für einen Wiederaufbau des embargogeschädigten Landes in die Pflicht nehmen zu lassen.[5]

„Wir versuchen nicht eine militärische Schlacht zu gewinnen. Und wir sind in keiner Weise verantwortlich, den Wiederaufbau Haitis aktiv zu gestalten. Dies ist keine Operation zum Bau einer Nation; dies ist keine traditionelle Friedensstiftungsoperation… Der nationale Aufbau muß von den internationalen Hilfsinstitutionen geleistet werden.“
„…daß unsere Soldaten nicht am Wiederaufbau Haitis oder seiner Wirtschaft beteiligt sein werden. Die internationale Staatengemeinschaft muß durch Zusammenarbeit die für den Wiederaufbau Haitis erforderliche wirtschaftliche und technische Hilfe bereitstellen.“ (Pressekonferenz Clintons vom 14.10.; Rede vom 16.10.)

Die Vereinigten Staaten wollen nur dafür verantwortlich sein, die gewaltmäßigen Voraussetzungen zu stiften. Das lassen sie sich dann sogar etwas kosten, vorerst 216 Millionen unter dem Titel „Programm für die Wiederankurbelung der Wirtschaft, für demokratische Reformen und humanitäre Hilfe“, wobei ein Gutteil dieses Geldes für Gehälter und Umschulung der Ex-Sicherheitskräfte vorgesehen ist, um „diesem Drachen die Zähne zu ziehen“ und zu verhindern, „daß sie in den Untergrund gehen und den bewaffneten Kampf aufnehmen.“ (Neue Züricher Zeitung, 19.10.) Was den wirtschaftlichen Fortschritt des Landes angeht, so verweist Clinton das in den Zuständigkeitsbereich des IWF und der internationalen Gemeinschaft. Freilich nicht ohne Aristide die verbindliche Perspektive mit auf den Weg zu geben, es ginge jetzt vordringlich um eine Privatisierung des öffentlichen Sektors und die Verringerung des Staatspersonals auf die Hälfte.

Die Perspektiven

Es ist also abzusehen, was der von Aristide versprochene Fortschritt von „unmenschlichem Elend“ zur „Armut in Würde“ dem Land bringt: Den eigentlichen Stützen der Gesellschaft im Land wird der Machtwechsel damit versüßt, daß Aristide und sein neuer Ministerpräsident ihnen eine „privatwirtschaftlich“ ausgerichtete Politik versprechen und bei den internationalen Kreditgebern um Aufbaukredite nachsuchen. Die Massen bekommen, wenn überhaupt, das Regiment des IWF mit seinen Sparvorschriften bei staatlichen Subventionen zu spüren und kommen vielleicht etwas mehr in den Genuß der Segnungen der internationalen Hungerhilfe. Alles andere wäre gefährlich und ordnungsgefährdend – das hat Aristide vor dem Putsch bewiesen, als er Demokratie in Haiti mit elementaren sozialstaatlichen Inhalten füllen wollte.

Allerdings macht das umgekehrt die Ordnung noch lange nicht für ihre Vorreiter in Washington verläßlich. Haiti mit dem geringsten Aufwand ein Staatsleben verpassen zu wollen, zu dem es mit seinen politischen Gegensätzen und seinen ungenügenden ökonomischen Mitteln selbst nicht fähig ist; für eine Stabilisierung aber keine materielle Grundlage stiften zu wollen und „Wirtschaftshilfe“ von vornherein unter dem Gesichtspunkt rigoroser Sparsamkeit und Nichtzuständigkeit zu behandeln; und schließlich das Land möglichst bald sich selbst überlassen zu wollen: Das alles ist schon ein gewisser Widerspruch. Es kommt nämlich überhaupt nur soviel an Staatlichkeit zustande, wie die USA und die internationalen Institutionen zu garantieren willens sind. Das hat die Ordnungsmacht schon zu spüren bekommen. Mit dem Ideal angetreten, die bloße Präsenz amerikanischer Soldaten würde die blutigen Auseinandersetzungen beenden, wurden die Oberaufseher damit konfrontiert, daß unter ihren Augen die Gewalttätigkeiten weitergingen, bzw. jetzt von beiden Seiten losgingen, so daß die Soldaten die Rolle der Polizei übernehmen mußten, um die Todesschwadronen, aber auch die plündernden und rachedurstigen Anhänger Aristides halbwegs zur Räson zu bringen. Das Entmachten der alten Kräfte ist das eine, etwas anderes ist es schon, die Massen, die als ersten Freiheitsakt Cedras und Konsorten „die Kehle durchschneiden“ wollen, davon abzuhalten. Und noch etwas anderes ist es, aus eigentlich unversöhnlichen Mannschaften von Tätern und Opfern eine neue Ordnungsmacht zu schmieden, wenn es gar keine allgemeinverbindliche Staatshoheit gibt, in deren Dienst sie sich stellen könnte usw. usw.. Umgekehrt haben die Putschisten mit ihrem hinhaltenden Widerstand bewiesen, daß auch hoffnungslos Unterlegene und Ziehkinder der USA sich überhaupt nicht freiwillig fügen. Und es ist gar nicht abzusehen, weswegen angesichts der auswärtigen Gleichgültigkeit auch gegenüber einem Haiti unter „demokratischer Führung“ und angesichts der permanenten staatlichen Notlage diese Sorte „nationaler Selbstbehauptung in Würde“ ein für alle Mal aussterben sollte. Das amerikanische Verlangen nach geordneten Hinterhofverhältnissen, ohne daß man den politischen Adressaten dieses Anspruchs die Grundlage für einen funktionalen Nationalismus liefern wollte oder könnte, ist also schwerlich zufriedenzustellen. Und wenn die Clinton-Administration daraus den Schluß zieht, den Fall möglichst schnell der UNO zur Betreuung zu übergeben, um sich Lasten zu ersparen und Aufsichtskosten abzuwälzen, dann zeigt das im Grunde, wie bedingt das Interesse der Aufsichtsmacht an einer Konsolidierung solcher Hinterhofländer ist und wie wenig sie an ihre eigene Propaganda von einem „demokratischen Aufbau Haitis“ glaubt. Soweit hat es der Imperialismus gebracht, daß er einen Großteil seiner Geschöpfe für ziemlich nutzlos erklärt und sich nur dafür stark macht, sie nicht zur Dauerbelastung werden zu lassen.

Irak

Der amerikanische Kampf um die exemplarische Erledigung eines störenden Souveräns

Kaum waren die amerikanischen Ordnungskräfte in Haiti stationiert, hat Clinton im Nahen Osten gewichtigeren weltpolitischen Aufsichtsbedarf entdeckt: den Irak. In diesem Fall ist er merklich entschlossener eingeschritten als im Falle Haitis: Saddam Hussein habe mit Truppenbewegungen im Süden Kuwait neuerlich bedroht und damit wieder einmal bewiesen, daß er „unberechenbar, aggressiv und verrückt“ sei; die Weltgemeinschaft müsse dagegen geschützt werden – mit einer US-Drohung ganz anderen Kalibers. Golfkriegsstimmung lag in der Luft.

Das Verbrechen Saddams

bestand allerdings gar nicht in einer Wiederauflage seiner nationalen „Wiedervereinigungs“-Politik, die ihm 1991 einen Blitzkrieg der überlegenen US-Militärmacht, rigorose Dauersanktionen, eine weitgehende Entwaffnung und ein ziemlich einmaliges UN-Kontrollregime eingebracht hat. Zu einem neuerlichen erfolgreichen Zugriff auf Kuwait wäre das Land auch schwerlich fähig: Das international durchschlagskräftige Material wurde unter UNO-Aufsicht demontiert; nördlich des 36. und südlich des 32. Breitengrades herrscht ein streng überwachtes militärisches Flugverbot; jede Truppenbewegung wird beobachtet; die Rüstungsproduktion unterliegt dauerhafter Überwachung aus der Luft und vor Ort; im Kurdengebiet ist die irakische Hoheit weitgehend außer Kraft gesetzt; das strikte Ölexportverbot zeitigt Wirkung: Hunger und Krankheiten greifen um sich, weil der Staat für das Volk, auf dessen Brauchbarkeit für seine nationalen Ambitionen er ehemals auch mit seinen Ölmilliarden geachtet hat, die Lebensmittelrationen, das Gesundheitswesen und elementarste Versorgungsbedingungen nicht mehr aufrechterhalten kann; Staatsapparat und Armee sind ebenfalls betroffen. Nicht bloß das Volk, die Herrschaft befindet sich in einer elementaren Notlage.[6]

Die „Aggression“ Saddams bestand diesmal in Wahrheit bloß darin, in dieser Notlage auf eine baldige Aufhebung der UN-Sanktionen zu dringen. Er hat der UNO mehr oder weniger hilflos gedroht, die „Zusammenarbeit“ aufzukündigen, falls dem Irak nicht endlich wieder gewisse Souveränitätsrechte und -mittel zugestanden werden; und er hat vielleicht zur Bekräftigung dieser Drohung und seiner Souveränitätsansprüche Truppen näher an Kuwait heranbewegt – wie sehr und ob überhaupt verbotenerweise, ist strittig.[7] Er hat also darauf gepocht, daß der Irak für seine nun Jahre dauernde Unterwerfung unter die rigiden UNO-Auflagen als Gegenleistung endlich Schritte zu einer Beendigung der materiellen Knebelung und völkerrechtlichen Ausgrenzung erwarten könne.

Berufen hat er sich dabei auf die UNO-Resolutionen, in denen schließlich keine bedingungslose Kapitulation niedergelegt ist, sondern ein Regelwerk von internationalen Ansprüchen an den Kriegsverlierer und von daran geknüpften Sanktionen: Demnach erwirbt der Irak dadurch, daß er sich den UNO-Beschlüssen mit ihren Eingriffen in die irakische Hoheit beugt und die ziemlich einmaligen Souveränitätsbeschränkungen hinnimmt, seinerseits einen berechtigten Anspruch auf die schrittweise Zurücknahme der „Straf“sanktionen. Dringlich erneuert hat Saddam diesen Anspruch nicht zufällig in dem Augenblick, wo die Entscheidung anstand, die UNO-Überwachungsanlagen in den Produktionsstätten dauerhaft in Gang zu setzen, also den Irak auf unabsehbare Zeit einer ziemlich lückenlosen Rüstungskontrolle zu unterwerfen. Und ebenfalls gar nicht zufällig hat er die Weltgemeinschaft in diesem Augenblick darauf hinweisen wollen, daß die USA durch die Verweigerung jeder Gegenleistung den Irak ruinieren wollten und sich die UNO zum Büttel dieses Unrechts mache.[8] Dieses Vorgehen mag auf Uneinigkeit unter den entscheidenden Aufsichtsmächten berechnet gewesen sein. Das zeigt nur die Not des Irak: Für die Wiederzulassung zu einem halbwegs normalen staatlichen Leben ist er vollständig auf die Berechnungen und die förmliche Einigung der entscheidenden UNO-Mitglieder verwiesen. Die – allen voran die USA – diktieren nämlich als Siegermächte dem Irak die Bedingungen, definieren Art und Dauer seines negativen Sonderstatus und setzen damit Völkerrecht.[9]

Die amerikanische Antwort

Was Saddam als vertragswidrige Machenschaft der USA anklagen wollte, dazu hat sich umgekehrt die amerikanische Regierung bekannt. Sie hat darauf beharrt, daß es ihr gutes Recht und im Dienste der Völkergemeinschaft weiterhin unerläßlich sei, Saddam kleinzumachen; daß ihm jetzt erst recht jede Aussicht auf Lockerung der Sanktionen versagt werden müsse.

Auf diplomatischer Ebene hat die US-Regierung weitgehendere Eingriffe in die irakische Hoheit ins Spiel gebracht – ein generelles Truppenverbot südlich des 32. Breitengrades; sie drohte glaubwürdig mit „Präventivschlägen“, definierte immer neue Vorleistungen, die der Irak erst erfüllen müsse, und erklärte schließlich offiziell Saddams Verschwinden zur einzig hinreichenden Bedingung für eine Lockerung des amerikanischen Würgegriffs.[10] Darüberhinaus ergriff die amerikanische Regierung die nach ihren Auskünften bedrohlichen irakischen Truppenbewegungen als Gelegenheit, dieser „Provokation“ mit einer „angemessenen militärischen Reaktion“ zu begegnen: Die Flieger und Truppen vor Ort werden jetzt dauerhaft verdoppelt und Waffenlager für schweres Gerät eingerichtet, ganz im Sinne einer „vorbeugenden“ Abschreckung, die nationale Machtambitionen im Keim ersticken soll. Clinton hat also die diplomatischen Vorstöße Saddams zum Anlaß für eine Eskalation der Pressionen und Gewaltandrohungen gemacht und deswegen eine neue irakische Bedrohung erfunden: Das ist der Kern des neuerlichen Falls irakischer Aggression.

Worum es den Vereinigten Staaten zu tun ist

– Keine Normalität für den Irak

Es geht also gar nicht darum, den Irak zur Erfüllung irgendwelcher Bedingungen zu bewegen, sondern darum, ihn laufend zu schädigen, auszuhungern, zu destabilisieren, zu demütigen und unter Kuratel zu halten, solange Saddam die verbleibende Macht in Händen hält.[11] Die Begründungen, es gelte ein für alle Mal das „Katz-und-Maus-Spiel“ Saddams mit der Weltgemeinschaft zu beenden (Verteidigungsminister Perry), er dürfe „nie mehr in der Lage sein, seine Nachbarn zu bedrohen“ (Clinton), bezeichnen durchaus passend die Perspektiven, denen der Irak unterworfen werden soll: Die Fähigkeit und der Wille des Landes zu einer eigenen nationalen Politik sollen dauerhaft gebrochen werden. Es soll sich in die Rolle einer beschränkten Macht fügen und seine nationalen Berechnungen und Mittel an dieser amerikanischen Statuszuweisung ausrichten, ohne daß seinen Ansprüchen auf nationales Vorankommen ein positives Angebot gemacht würde. Kurz: Die amerikanische Irak-Politik verfolgt stur das Programm, eine unzweifelhaft und dauerhaft unterwürfige Souveränität erzwingen zu wollen. Für die oberste Aufsichtsmacht war und ist der Irak – und nicht nur er – mit seinen Ölquellen, seiner dadurch gesicherten Teilhabe am internationalen Reichtum, dem Zugang zu Waffen, einer eigenen Waffenproduktion, einem zahlreichen Volk, einer schlagkräftigen Armee und lauter entsprechend ambitionierten nationalen Perspektiven nämlich ein einziges Problem; eben kein machtloses, ruiniertes, und für die Rohstoffbedürfnisse der Welthandelsnationen austauschbares Land im selbstverständlichen Einflußbereich der USA, wie Haiti.

Deswegen haben die USA einen massiven Krieg geführt. Deswegen haben sie den Irak lückenloser internationaler Überwachung unterstellen lassen. Deswegen sind sie immer wieder mit gezielten Schlägen und militärischen Demonstrationen gegen das Land vorgegangen.[12] Das ist der Grund, warum sich die amerikanischen Oberaufseher mit der einmaligen Zerschlagung der irakischen Souveränitätsmittel nicht zufriedengeben wollen. Gute Gründe, sich unterzuordnen, das wissen sie offenbar, haben sie nämlich gar nicht zu bieten. Daher das Bemühen, dem Irak vorerst jede Perspektive zu verbauen und ihn weiter zu ruinieren.

Deshalb, und nicht wegen amerikanischer Verbohrtheit, wie europäische Nationalisten gern bemängeln, halten sie nach wie vor unerbittlich daran fest, diesem Staat eine neue Führung aufzwingen zu wollen, auch wenn die gar nicht in Sicht ist. Festgebissen haben die USA sich nämlich an der Person Saddam Husseins, auch wenn überhaupt nicht absehbar ist, und von der Clinton-Mannschaft auch nicht ernsthaft vertreten wird, daß sich der irakische Nationalismus mit Saddams Abgang dem amerikanischen Unterordnungsansinnen bereitwilliger beugen würde. Weil sich Saddam allen amerikanischen Bestrebungen zum Trotz an der – wenn auch beschränkten – Macht behauptet hat, ist seine Beseitigung endgültig zur amerikanischen Prinzipienfrage geworden: Nachträglich wird sein Sturz zum entscheidenden Kriegsziel erhoben, das man, wenn schon nicht durch die damaligen Siege, dann wenigstens jetzt erreichen müsse. So personalisieren die amerikanischen Aufseher ihr Bedürfnis, den Irak in den Griff zu bekommen. An Saddam kämpfen sie ihren Anspruch durch, nicht-genehmer Nationalismus hätte sich amerikanischen Vorbehalten zu beugen; an ihm tragen sie deshalb auch ihre Unzufriedenheit darüber aus, daß die Regionalmachtanstrengungen solcher Staaten keine verläßliche Unterordnung garantieren.[13] An ihm stellen sie damit ein Prinzip der seit Bush so genannten „Neuen Weltordnung“ klar: Wo die amerikanische Macht ein Land für ihre Berechnungen nicht brauchbar findet, da greift sie zum Terror. Das ist kein einmaliger, durch unberechenbare Machthaber provozierter Störfall einer ansonsten friedlichen Staatengemeinschaft, sondern Prinzip amerikanischer Weltkontrolle.

Weil sich dieser Weltmachts-Anspruch am Sturz des Saddam-Regimes festgemacht hat, kritisiert die Clinton-Administration nachträglich die Golfkriegsdiplomatie ihres Vorgängers. Daß der sich als Kriegsherr und -gewinner überhaupt darauf eingelassen hat, den amerikanischen Kriegszweck in die Form von UNO-Regelungen zu gießen, die der Irak bei Strafe seines Ruins zu erfüllen hätte, das erscheint jetzt als ein einziger Fehler, weil damit Saddam das Taktieren und Überleben möglich gemacht worden sei.[14] Das will die Oberaufsichtsmacht jetzt korrigieren, indem sie als Instanz, die über die Erfüllung der Resolutionen wacht, das Vertragswerk beugt, uminterpretiert, erweitert und damit faktisch aushebelt. Das Land soll nicht zur Normalität zurückkehren können, und sei es die Normalität eines ökonomisch vorerst ruinierten, aktuell auf den Status einer lokalen Untermacht zurückgestutzten und auf unabsehbare Zeit beaufsichtigten Landes. Auch einen einseitig ausgestalteten Friedenszustand mit dem Irak kann die amerikanische Regierung nicht brauchen. Das, so befürchtet sie, würde dem Land neuerlich Bewegungsfreiheit und Gelegenheiten verschaffen, sich nach und nach national wieder aufzustellen. Nicht nur Saddam hätte erfolgreich überlebt und damit die siegreiche Vormacht in deren eigenen Augen bloßgestellt; es wären damit auch wieder den ökonomischen und politischen Berechnungen der Konkurrenzmächte Tür und Tor geöffnet. Auch nach dieser Seite hin bemängelt die Führungsmacht in Weltaufsichtsfragen selbstkritisch, daß die internationale Form der Irak-Überwachung abweichende Standpunkte und Ansprüche anderer Mächte ins Spiel bringt, statt sie Amerikas Kontrollinteressen unterzuordnen. Es geht nämlich nicht nur um den Irak, sondern um die ganze Region und darüberhinaus um die Einordnung konkurrierender Aufsichtsinteressen. Das macht die amerikanischen Politiker so aggressiv.

– Die Sicherung einer entscheidenden Region

Erstens hat die verbliebene Weltmacht mit dem Irak-Krieg eine neue Politik gegenüber der Nahostregion insgesamt eingeleitet. Die alten, wegen der Macht der Sowjetunion und damit der Weltkriegsträchtigkeit jedes Eingreifens erzwungenen Rücksichten sind hinfällig, damit aber noch lange nicht die Gesichtspunkte, unter denen man vormals den sowjetischen Einfluß auf diese Region bekämpft hat. Als wichtiges Grundstoffreservoir für die Welthandelsnationen und geostrategische Nahtstelle zwischen Europa, Asien, Rußland und Afrika will Amerika die Region möglichst weitgehend unter seine Aufsicht stellen, nicht zuletzt deshalb, um eine lebenswichtige Rohstoffquelle sowie Geschäfts- und Einflußsphäre der europäischen Konkurrenten selber im Griff zu haben. Dem dient einerseits das Bemühen, durch Friedensschlüsse mit Israel weitere arabische Staaten in eine amerikanisch dominierte und garantierte Ordnung einzugliedern und die Palästinenser als Störelement aus dem Weg zu räumen. Der Irak-Krieg hat unter anderem dem wenig positiven Angebot Nachdruck verleihen sollen, auf diese und nur auf diese Weise könnten sich die arabischen Staaten die Feindschaft des US-Schützlings Israels und der USA selbst ersparen. Insofern hängt der Erfolg des Nahost-„Friedensprozesses“ auch am gelungenen Nachweis, daß man die „Aussöhnung“ nicht schadlos verweigern und sich nicht straflos gegen die US-Macht stellen kann. Ein Nachweis, der allerdings diejenigen nicht überzeugt, die sich das Streben nach einer regionalen Vormachtrolle auch gegen Amerikas Einwände zumessen und zutrauen – siehe Irak und Iran. In ihrem Fall kommt die Stabilisierung der regionalen Verhältnisse daher nur durch gelungene Destabilisierung voran.[15] Umso schlimmer, daß Saddam mit seiner Durchhaltepolitik mindestens genauso symbolisch die US-Macht blamieren will, wie die USA an ihm ein Exempel ihrer Macht statuieren wollen.

– Die Durchsetzung höherer Kontrollansprüche

Zweitens kämpft Clinton am Irak nach wie vor um die Richtlinienkompetenz in den entscheidenden Aufsichtsfragen. Die Konkurrenten haben sich qua UNO und NATO zwar in den Irak-Krieg und die Irak-Kontrolle einbinden lassen, aber nur, um ihre Mitbeteiligung zu sichern und ihrerseits im Namen der Völkergemeinschaft abweichende Aufsichtsgesichtspunkte zur Geltung zu bringen. Also lassen sie sich auch nicht dauerhaft festlegen. Der Nahe Osten ist schließlich keine für Europa nur begrenzt wichtige Hinterhofregion der USA, keine strategisch und ökonomisch vergleichsweise unbedeutende Ansammlung von Kleinstaaten, sondern ein neuralgischer Punkt und deshalb auch Objekt europäischer Weltmachtinteressen. Und für Rußland ist er mindestens ein gewichtiges Feld, sich unter Ausnutzung alter Beziehungen weltpolitisch mitentscheidend ins Spiel zu bringen. Je länger daher die UNO-Aufsicht über den Irak andauert, desto mehr tritt der Gegensatz zwischen dem Kontrollbedürfnis der USA und den Benutzungsinteressen der Aufsichtsbeteiligten zutage, desto mehr macht sich bei einigen Mitaufsehern genau umgekehrt wie bei den USA das Bedürfnis bemerkbar, die Verhältnisse wieder zu normalisieren und sich vorausgreifend Sonderbeziehungen und Sonderverhältnisse für die künftige Benutzung des geschädigten, aber gerade deshalb geschäftsträchtigen und beziehungswillen Landes zu sichern.[16] Sie haben nämlich überhaupt keine zwingenden Gründe für einen fortdauernden Ausschluß des Irak von der Weltpolitik und vom Welthandel. Jeder Fortschritt in Richtung auf einen irgendwie gearteten „Frieden“, jeder Schritt zur Aufhebung der Sanktionen ist daher das Einfallstor für konkurrierende Bemühungen, mit Handel und Wandel, mit Diplomatie und Waffenexport den eigenen nationalen Reichtum und Einfluß zu vergrößern. So wird das amerikanische Kriegsziel untergraben. Jede dieser Anstrengungen wird von der amerikanischen Regierung deshalb mit der Begründung bekämpft, das würde nur das unberechenbare Regime fördern und mit neuer Macht ausstatten. Das ist der weltpolitisch gute Grund, warum die USA laufend den Versuch anstrengen, jede Normalisierung zu unterbinden: Sie wollen die im Golfkrieg kurzzeitig erreichte Sonderstellung der USA als Kriegsherr laufend wiederherstellen. Nur solange die gewaltsame Ordnungsstiftung auf der Tagesordnung steht, kann sich die oberste Aufsichtsbehörde eine unbestrittene Vorrangstellung ausrechnen. Um die kämpft sie nämlich hier im Unterschied zu Haiti, wo sich die Konkurrenz nicht einmischt, aber auch der Nutzen der Aufsicht mehr als gering ausfällt. Saddam Hussein dient, so gesehen, den USA regelrecht als Vorwand, das Ende des Ausnahmezustands immer wieder hinauszuschieben.

Was Saddam schon wieder aufgerührt hat: Die Konkurrenz um Kontrolle und Benutzung der Welt

Die damalige Kriegslage und die Anti-Saddam-Koalition im Sicherheitsrat der UNO läßt sich allerdings nicht beliebig erneuern. Die von der amerikanischen Regierung heraufbeschworene Kriegsdrohung hat allen voran Frankreich und Rußland zu Widerspruch herausgefordert, so verlogen, wie es sich unter den Vorzeichen einer gemeinsamen Weltaufsicht gehört. Zunächst haben sie sich auf amerikanischen Antrag hin zu dem Prinzip bekannt, daß der Irak sich jeder Drohung zu enthalten und alle UNO-Resolutionen zu erfüllen hat. Seinen Rechtsanspruch auf Wiederherstellung der Souveränität unterschreiben und sich damit offen gegen Amerika stellen, das wollten sie nicht; abweichende Aufsichtsgesichtspunkte, den Anspruch auf eine abweichende „Krisenregelung“ ins Spiel bringen aber schon. Die Franzosen haben erst ihre Bereitschaft zur Teilnahme an eventuellen Militäraktionen im Rahmen der UNO signalisiert und durch die Entsendung einer Fregatte ihr Mitspracherecht in den von Amerika aufgemachten Kriegsfragen, aber keine tatkräftige Unterstützung angemeldet. Nachdem der Irak seine Truppen zurückgezogen hat, haben sie dann den behaupteten irakischen Verstoß in Zweifel gezogen und Clinton öffentlich niedere wahltaktische Motive für sein Vorgehen unterstellt. Schließlich haben sie gemeinsam mit Rußland und China den amerikanischen UNO-Antrag auf ein generelles Stationierungsverbot irakischer Truppen südlich des 32. Breitengrads abgelehnt, die Vereinigten Staaten vor „einer Politik der vollendeten Tatsachen“ gewarnt und öffentlich angekündigt, sich künftig entschiedener um die eigene Mitentscheidung solcher weltpolitischer Problemfälle zu kümmern. Rußlands Außenminister hat seinerseits vor „übertriebenen Reaktionen“ Amerikas gewarnt und sich dafür eingesetzt, Bagdad „einen Anreiz zu geben, die UNO-Resolutionen zu erfüllen.“ In diesem Sinne hat sich die russische Regierung – ganz ähnlich wie neulich in Jugoslawien – mit eigenen diplomatischen Vorstößen im Namen der UNO in Spiel gebracht: Sie hat dem Irak die öffentliche Anerkennung Kuwaits, also ein weiteres Entgegenkommen gegenüber den amerikanischen Forderungen abgehandelt, ihm dafür aber versprochen, sich für den Beginn der Überwachung seiner Rüstungsanlagen und eine möglichst baldige Aufhebung der Sanktionen einzusetzen.

Diese Versuche, die amerikanische Absicht und Lesart der Resolutionen zu unterlaufen, hat die USA zu offenen diplomatischen Feindseligkeiten gegenüber diesen Mitaufsehern und gegenüber dem Irak zu umso heftigeren Demonstrationen unerbittlicher Feindschaft bewogen. Frankreichs Einwände wurden mit dem verräterischen Verweis zurückgewiesen, hier würde die politische Solidarität geschäftlichen Interessen geopfert – ein deutlicher Hinweis darauf, daß die USA auf die Unterordnung aller Benutzungsgesichtspunkte unter ihren Kontrollstandpunkt dringen. Und Rußlands „Vermittlungsversuch“ wurde im Sicherheitsrat dadurch torpediert, daß die USA seine Befassung verhindert und stattdessen eine warnende Resolution durchgedrückt haben. Alles andere, so die Auskunft, widerspreche sowieso den Abmachungen zwischen Clinton und Jelzin. Clinton drängt also genau wie in Jugoslawien auf Ausschluß Rußlands aus den weltpolitischen Affären: Seine Mitsprache wird nur gebilligt, wenn das Land darauf verzichtet, eigene Einflußinteressen ins Spiel zu bringen; also gar nicht. Erledigt hat das die russischen Bemühungen allerdings überhaupt nicht. Jetzt hat Saddam auf russisches Drängen Kuwait anerkannt – und damit eins erreicht: Clinton fühlt sich zu der neuerlichen Klarstellung veranlaßt, daß an eine Änderung seiner Haltung nicht zu denken ist, egal, wieweit Saddam noch geht.

Auf der einen Seite also bezweifeln und untergraben die Konkurrenten Amerikas Kontrollstrategie ausgerechnet dort, wo es den USA auf den machtvollen Beweis ankommt, daß sie nach wie vor die Weltgemeinschaft auf Linie bringen können. Auf der anderen Seite bezichtigen die USA die Konkurrenten der weltpolitischen Sabotage und drohen damit, daß sie die Form gemeinschaftlicher Aufsicht auch aufkündigen und ihre Strategie andauernder gewaltsamer Kontrolle im nationalen Alleingang durchsetzen können, wenn sich die UNO dafür nicht mehr zum Instrument machen läßt. Wir sehen dieses Gebiet als wichtig für die nationalen Interessen der USA an und werden mit anderen multilateral handeln, wenn wir können, und allein, wenn wir müssen. (International Herald Tribune, 17.10.) Die dauerhafte Aufstockung der amerikanischen Truppen vor Ort richtet sich also nicht nur gegen störende regionale Ambitionen. Sie dient auch dazu, die Lage gegebenenfalls gegen alle diplomatischen Störmanöver und Einsprüche schnell und damit unwidersprechlich militärisch entscheiden zu können, sich also unbestreitbare Aufsichtspositionen zu sichern. Noch eine Klarstellung in Sachen Imperialismus heute: Es geht darum, den Konkurrenten den Einfluß in Gebieten streitig zu machen, die für Weltaufsicht und Welthandel zählen.[17]

Das alles hat Saddam Hussein losgetreten; aber das liegt nun wirklich nicht an ihm.

[1] Allen voran beherrscht der „Spiegel“ die Kunst, die amerikanische Regierung an ihren eigenen moralischen Eingreiftiteln zu blamieren – So werden aus Würgern Waffenbrüder, aus Marionetten Respektspersonen… Erst verdammen sie Cedras, dann hofieren sie ihn. (26.9.) – und daraus Clintons „Führungsschwäche“ abzuleiten. Natürlich wäre Carlos Widmann auch mit einem gewaltsamen Eingreifen nie zufriedenzustellen gewesen. Für ihn diskreditiert sich die Weltmacht nämlich schon dadurch, daß die Hinterhoffiguren nicht widerspruchslos auf die Stimme ihres Herrn in Washington hören.

[2] Wenn Clinton sich brüstet, durch eine Kombination von kreativer Diplomatie, wirtschaftlichem Druck und der Glaubwürdigkeit militärischer Bedrohung das Risiko für die amerikanischen Streitkräfte reduziert zu haben, so daß jetzt die echte Chance einer ordentlichen und weniger gewalttätigen Machtübergabe und eines nationalen Aufbaus besteht (Rede vom 21. und 29. Sept.; in: amerika dienst), so sind das für US-Interventionen bisher eher unübliche Gesichtspunkte, bzw. gute Gründe für ein entschiedenes und durchschlagskräftiges Aufräumen gewesen.

[3] Vgl. dazu den Artikel „Der Verfall der Dritten Welt“ in: GegenStandpunkt 4-92, S.175.

[4] Deswegen hat es den Putschgenerälen auch überhaupt nichts genutzt, daß die US-Politik ursprünglich selber nicht klar entschieden war, ob man sich mit dem ungeliebten Wahlsieger Aristide abfinden sollte, oder nicht doch lieber auf die bewährten Kräfte – reiche Oligarchie und Militär – setzen sollte. Auch wenn inzwischen publik wurde, daß sich die Terrortrupps der Machthaber entschiedener Förderung des CIA erfreut haben, sich also durchaus als Agenten amerikanischer Ordnungsinteressen verstehen konnten: Am Ende gab der Anspruch der CIA-Vorgesetzten den Ausschlag, daß sich auch die lokalen Machtinteressen, auf die Amerika bis gestern gesetzt hat, dem neuen Kurs der amerikanischen Regierung zu beugen haben.

[5] Kein Wunder, daß dieses neue Ideal einer kostenlosen Staatenbeaufsichtigung die Phantasie politischer Vordenker beflügelt, die über begrenzte, aber effektive Ordnungseinsätze nachdenken: Die USA brauchen eine Truppe für verdeckte Aktionen. Möchtegerne Despoten muß man einfach kaufen oder durch eine kleine Revolution beseitigen. (International Herald Tribune, 20.9.)

[6] Das alles ist den öffentlichen Hetzern gegen den irakischen Diktator natürlich bekannt. Sie führen es genüßlich als Beweis für seine Gefährlichkeit an: Angesichts einer solchen Lage und der hoffnungslosen Unterlegenheit der dezimierten Streitkräfte gegenüber den USA gibt ein neuerlicher Angriff auf Kuwait überhaupt keinen Sinn – da kennen Imperialismusstrategen sich aus; aber das spricht überhaupt nicht gegen die US-Propaganda von einer neuerlichen Bedrohung Kuwaits, sondern für die Verrücktheit und Unberechenbarkeit Saddams.

[7] Daß die Truppenbewegungen keinesfalls mehr zu bedeuten hatten, ist ebenfalls niemand ein Geheimnis. Frankreich – ebenso wie Rußland – haben nachträglich sogar höchstoffiziell die amerikanische Lesart von verbotenen Truppenbewegungen in Zweifel gezogen, keinen Verstoß gegen Geist und Buchstaben der UN-Resolutionen mehr feststellen wollen und den USA Irreführung vorgeworden – übrigens nicht zuletzt, um damit das Projekt einer eigenen europäischen Satellitenaufklärung ins rechte Licht zu rücken. Von einer wirklichen Bedrohung Kuwaits wollte jedenfalls nicht einmal die amerikanische Regierung ernsthaft reden; sie interpretierte die Verlegung von 60000 irakischen Soldaten in südliche Richtung vor der UNO als einen „offenkundigen Versuch des Irak, den UNO-Sicherheitsrat so einzuschüchtern, daß er über die Bedingungen für eine Aufhebung des Erdölembargos verhandelt.“ (UNO-Botschafterin Albright; in: amerika-dienst, 19.10.)

[8] Was sie uns versprochen haben, haben sie nicht eingehalten. So erlebten wir während der letzten elf Monate ein einziges langes Verzögerungsmanöver, das darauf abzielt, die Aufhebung der Sanktionen auf unabsehbare Zeit zu verschieben. Amerika will das Embargo vor dem Sturz des Regimes offenbar gar nicht aufheben. (Der stellvertretende Ministerpräsident Aziz; Neue Züricher Zeitung, 10.10.94)

[9] Das unterstellen auch die heuchlerischen Bemerkungen, Saddam hätte sich mit seinen „Provokationen“ nur selber geschadet und auch die Staaten, die die Sanktionen wohlwollend überprüfen wollten, gegen sich aufgebracht. Als wäre nicht bekannt, daß das erzwungene Eingehen auf die Resolutions-Forderungen dem Irak in drei Jahren kein bißchen Erleichterung gebracht hat und jede Überprüfung der Sanktionsbeschlüsse von den USA strikt abschlägig beschieden und hintertrieben worden ist. Aber was soll man von einer kritischen Öffentlichkeit erwarten, die einerseits die wachsende Not der irakischen Massen ganz auf das Konto Saddams verbucht – er könnte ja der UNO einfach die Regie über sein Öl und die Einkünfte überlassen und so beschränkte Verkäufe für „humanitäre Zwecke“ ermöglichen; und die gleichzeitig mit vollem Verständnis für das amerikanische Anliegen nachprüft, wieweit der Zerfall des Regimes durch Hunger, Unzufriedenheit, Desertion und Aufstände schon gediehen ist.

[10] Erst verlangte Washington den Rückzug der Truppen hinter den 32. Breitengrad. Als der erledigt, der amerikanische Aufmarsch aber im vollsten Gange war, bestanden Außenminister und UNO-Botschafterin auf der Anerkennung Kuwaits. Als der Irak das in Verhandlungen mit den Russen neuerlich verbindlich zusagte und dafür die baldige Wiederzulassung von Ölverkäufen verlangte, sollte die Anerkennung förmlich parlamentarisch besiegelt und bei der UNO hinterlegt werden und der Irak ein für alle Mal die von der UNO verfügten Grenzkorrekturen mitunterschreiben, „eine Forderung, die so nicht in der Resolution des Weltsicherheitsrats vom April 1991 enthalten ist… In dieser Resolution werden der Irak und Kuwait lediglich verpflichtet, die Grenzen von 1963 zu beachten, die von den Verienten Nationen neu markiert werden müßten.“ (Süddeutsche Zeitung, 11.10.) Die neue Lesart bedeutet immerhin, daß der Irak auf seinen einzigen Zugang zum Meer und ein Dutzend ergiebiger Ölquellen verzichten soll. Dann wurden die ungeklärte Reparationsfrage sowie die kurdische und schiitische Autonomie aufs Tapet gebracht und überhaupt an der Verläßlichkeit Saddams gezweifelt: Man müsse sich erst von einem „tiefgreifenden Sinneswandel überzeugen“; im übrigen dürfe Saddam keinesfalls für eine „Selbstverständlichkeit, die Anerkennung Kuwaits,“ mit einer „Lockerung der Sanktionen“ belohnt werden. (Albright) Und zuguterletzt gab Christopher ungerührt zu Protokoll, das nächste Mal würden die USA gleich zuschlagen und Saddam „könne wahrscheinlich auch dann nicht im Amt bleiben, wenn er sämtliche UNO-Resolutionen erfülle.“ (Süddeutsche Zeitung, 18.10.)

[11] So kommt die Absurdität zustande, daß der Irak – unterstützt von Rußland – inzwischen regelrecht darauf drängt, daß die Überwachung der Militäranlagen begonnen wird, damit gemäß der UNO-Resolution dieser bisherige Hauptgrund für die Sanktionen entfällt und in absehbarer Zeit, vorgeschlagen sind sechs Monate, Ölverkäufe wieder erlaubt werden; daß umgekehrt aber die USA den Beginn dieses von ihnen verlangten Kontrollregiments laufend hintertreiben, um sich einen UNO-gemäßen Vorwand für die unerbitterliche Aufrechterhaltung der „Strafmaßnahmen“ zu erhalten. Noch wichtiger als die Kontrolle ist ihnen eben die Erledigung des Saddam-Regimes. Das erklärt, warum der Überwachungs-Beauftrage, der sich noch zwei Tage vor dem amerikanischen Vorstoß äußerst zufrieden über die abgeschlossenen Vorarbeiten zur Videoüberwachung irakischer Rüstungsbetriebe geäußert und die kooperative Haltung des Irak bei der Vernichtung und Kontrolle seiner Waffen hervorgehoben hatte, seinen entsprechenden Bericht an den Sicherheitsrat – Voraussetzung für die Aufhebung der Sanktionen – einige Tage später umfrisiert hat: „Die Iraker machten die geringstmöglichsten Zugeständnisse zum Konsens. Ohne Sanktionen kein Druck.“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.10.) Außerdem wurde eine Behandlung im Sicherheitsrat auf amerikanisches Drängen aufgeschoben.

[12] Unter dem Titel „Seit dem Golfkrieg: Zahlreiche Drohgebärden Saddam Husseins“ führt die Süddeutsche Zeitung unter anderem auf: Abschüsse von irakischen Flugzeugen wegen Verletzung der Flugbeschränkungen; Luftangriffe auf irakische Raketenstellungen wegen der Entwendung von Waffen aus einem Kuwait zugeschlagenen irakischen Grenzstützpunkt; Bombardierung der Geheimdienstzentrale in Bagdad wegen angeblicher Attentatspläne gegen Ex-Präsident Bush.

[13] Selbst die frühere Strategie, die beiden Hauptproblemfälle im Nahen Osten, Iran und Irak, sich wechselseitig schwächen zu lassen, wird nachträglich harscher Kritik unterzogen: Die Stellvertreterrolle, die man dem Irak für Amerikas Kampf gegen den Iran Khomeinis zugedacht hatte, habe ihn erst richtig groß gemacht.

[14] Kein Wunder, daß bei jeder Gelegenheit unweigerlich die Debatte aufkommt, ob man nicht die totale Vernichtung der irakischen Macht und Saddams durch falsche Zurückhaltung im Golfkrieg verpaßt habe. Auch wenn man alle Berechnungen aufführt, die damals gegolten haben: eine totale Zerschlagung der irakischen Macht war unter regionalen Stabilitätsgesichtspunkten nicht erwünscht; der Sturz Saddams schien ohnehin nur eine Frage der Zeit; der UNO-Auftrag, mit dem man sich hatte versehen lassen, um sich der internationalen Zustimmung und Unterstützung zu versichern, definierte einen begrenzten Kriegsauftrag; dessen offensichtliche Verletzung hätte die Anti-Saddam-Koalition gesprengt – es bleibt nachträglich ein ehrliches Bedauern.

[15] Das amerikanische Außenministerium hat dafür den Begriff einer „Logik der doppelten Eindämmung“ erfunden. Das ist ein anderer Ausdruck dafür, daß die amerikanische Außenpolitik keinen Gesichtspunkt kennt bzw. zu bieten hat, unter dem die beiden Staaten wie Ägypten und Jordanien zur „Vernunft“ zu bewegen wären; daß umgekehrt diese Staaten für Israels Rolle als regionaler Zuchtmeister schon früher eine Nummer zu groß waren und deshalb Amerikas Abschreckungsmacht gefragt ist, „um die reaktionären Staaten zu neutralisieren, einzudämmen und durch selektiven Druck vielleicht letztlich in konstruktive Mitglieder der internationalen Staatengemeinschaft umzuwandeln.“ (Anthony Lake, Zuständiger für nationale Sicherheitsbelange; in: amerika dienst, 16.3.)

[16] So wurde aus Frankreich gemeldet, daß bereits umfangreiche Handelsabkommen und Kooperationsverträge mit dem Irak abgeschlossen worden sind, die nach Aufhebung der Sanktionen in Kraft treten sollen. Rußland hat im September Wirtschaftsabkommen über 10 Milliarden Dollar getroffen und vorsorglich die vorrangige Bedienung alter irakischer Schulden ausgehandelt. Und auf dem Höhepunkt der Krise hat die Regierung in Moskau mit dem irakischen Erdölminister konferiert.

[17] Das betrifft nicht nur den Irak, wie die deutsch-amerikanische Auseinandersetzung um die geschäftlichen und geheimdienstlichen Beziehungen Deutschlands mit dem Iran zeigt. Genauso wie die amerikanische Regierung das deutsche Geschäft mit dem politischem Verdacht belegt, es würde ein von ihr zum Weltterrorismus gezähltes Regime befördern, genauso denkt Deutschland umgekehrt an positive politische Perspektiven von Handel und Wandel und sichert sie (geheim)diplomatisch ab: Es geht darum, weltweiten Einfluß zu gewinnen. Nicht nur die USA stehen nämlich auf dem Standpunkt, daß Aufsicht und Benutzung heute nicht mehr voneinander zu trennen sind.