Das amerikanische Innenleben wird MAGA
Mehr Freiheit der Regierungsmacht für mehr Großartigkeit der Weltmacht
Trump ruft einen Generalnotstand für das großartige Amerika aus, das er zugleich für total heruntergewirtschaftet hält. So will er dafür sorgen, dass die Nation wieder die globale Vor- und Allmacht ausspielt, die seine Vorgänger verraten und vergeigt, also dem amerikanischen Volk geklaut haben. Letzteres hat sich seit längerem an ausländische Drogen und hauseigene Lebensmittelmarken gewöhnt, statt sich auf der Jagd nach Dollar für Amerikas Größe nützlich zu machen. Mit seinem Kampf gegen Migranten, den Sozialstaat, Wokeness und seine politischen Kontrahenten, denen er die Ausbreitung all dieser Seuchen zur Last legt, verhilft Trump seinen Amerikanern dazu, wieder großartig, also richtig amerikanisch zu sein.
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Das amerikanische Innenleben wird MAGA
Mehr Freiheit der Regierungsmacht für mehr Großartigkeit der Weltmacht
I.
Der „Systemkonflikt“ zwischen den marktwirtschaftlichen Demokratien des Westens und dem sowjetischen Realsozialismus ist bekanntlich schon vor dreieinhalb Jahrzehnten zugunsten des Westens entschieden worden. Nicht in dem Sinne, dass nun überall auf dem Globus Demokratie herrschen würde, sondern in dem – politökonomisch weitaus substanzielleren – Sinne, dass es zur Beteiligung am Kampf der Nationen um Kapitalwachstum keine Alternative mehr gibt. Damit sind alle weltweiten Regierungsformen auf dem Spektrum zwischen liberaler Demokratie und Despotie ebendas: Formen, in denen sich dieser weltweit entscheidende und entschiedene Inhalt aller Staatstätigkeit abspielt. Das ist der historische Erfolg einer amerikanischen Weltmacht, die mit all ihren ökonomischen und militärischen Potenzen – bis hin zur mehrfachen Weltzerstörung – darauf bestanden hat, dass sie ihren eigenen politökonomischen Prinzipien nicht gerecht wird, solange die nicht für alle Staaten und Völker der Welt gelten. Und so sieht die Welt nun auch aus: vollständig okkupiert von Staaten, die aus eigenem Antrieb und zur Pflege ihrer eigenen Machtbasis ihre Gesellschaften und sich selbst auf eine Konkurrenz verpflichten, in der Amerika ökonomisch und militärisch der überlegene Konkurrent ist.
In dieser Konkurrenz bestehen die USA auf einer Sonderstellung. Als Macht, die nicht nur die Erfolgsmaßstäbe für alle anderen setzt, sondern auch den entsprechenden Erfolg genießt, bestehen sie auf fragloser ökonomischer Überlegenheit und militärischer Unbesiegbarkeit, sogar Unverwundbarkeit. Amerika stützt sich dabei auf die Größe und Fortschrittlichkeit seiner Kapitalisten; auf die Größe und Unverzichtbarkeit seines Markts für Waren, Geld und Kredit; auf den singulären Stellenwert seines Dollars, in dem der Hauptteil des Weltgeschäfts, insbesondere des finanzkapitalistischen Überbaus abgewickelt wird; schließlich auf seine einzigartigen militärischen Potenzen. Auffällig ist freilich, dass Amerika zur Bekräftigung dieses Anspruchs – in unterschiedlichen Mischformen aus Angebot und Drohung – immer öfter und immer dringlicher Anlass findet. Denn in der auf US-Militär und US-Dollar basierten Welt der Konkurrenz sind Mächte herangewachsen, die sich durch ihre Erfolge in dieser Konkurrenz – ganz systemkonform – zunehmend die Mittel und den Willen zugelegt haben, die Sonderstellung Amerikas zu bestreiten. Der Funktionsweise der amerikanischen Weltordnung widerspricht der Aufstieg solcher Rivalen überhaupt nicht, wohl aber der Funktion dieser Ordnung für Amerika: Die globalisierte kapitalistische Konkurrenz hat die überlegene ökonomische und militärische Macht der USA zuverlässig zu reproduzieren, die Erfolge der Konkurrenten also für Amerika zu funktionalisieren. Die Anfechtung dieser Sonderstellung ist für amerikanische Staatsmänner – parteiübergreifend – unerträglich. Amerikanische Suprematie ist Staatsräson. Doch dass diese Suprematie nach der Ablösung der Systemkonkurrenz durch ein globales System der Konkurrenz nicht darin besteht, eine Welt nach dem eigenen Bilde zu schaffen, um es für amerikanisches Kapital sicher zu machen, sondern darin, der fraglos stärkste Konkurrent in dieser Welt zu sein – kein amerikanischer Politiker verkörpert diesen Standpunkt so konsequent wie Donald Trump.
Nicht einmal zur – von seinen republikanischen und demokratischen Vorgängern noch gerne gepflegten – propagandistischen Überhöhung einer für die USA vollständig funktionalisierten Staatenwelt fordert Trump, dass die Welt für „Demokratie“ sicher gemacht werden müsste. Schon gar nicht von Amerika selbst. Es interessiert ihn explizit nicht, ob anderswo Herrscher sich frei, geheim und in fairer Parteienkonkurrenz von ihrem Volk wählen lassen, um dann ihre Regentschaft verfassungskonform, mit viel Respekt und Raum für parlamentarische Opposition und abweichende Meinungen in der Öffentlichkeit abzuwickeln. Vom MAGA-Anwalt ist dafür weder Lob noch Tadel zu erwarten, in der Hinsicht sind alle Staaten für ihn souverän: Sie allein bestimmen, auf welche Sorte Herrschaft ihre Untertanen ein Recht haben. Ihr Respekt vor internationalen Regeln und Institutionen interessiert Trump bekanntlich genauso wenig wie die Regeln und Institutionen selbst: Zu Deals bereit ist Trump gegenüber allen Staaten, gleich welcher herrschaftlichen Machart. Zum Deal-Making müssen die lokalen Herrscherfiguren freilich schon qualifiziert, also des nationalstaatlichen „common sense“ mächtig sein: Sie müssen als Machthaber auftreten, die offen und ungeschminkt nichts als die Interessen ihrer Macht verfolgen; die unbedingte Identität ihrer Herrschaft mit ihrem, und zwar nur ihrem, naturwüchsigen Volk repräsentieren, d.h. den eigenen Laden oben wie unten vollständig im Griff haben. Vor allem müssen sie das einzig vernünftige Gesetz einer Welt von Nationalstaaten respektieren, die alle um dasselbe konkurrieren: das Recht des Stärkeren, das Amerika als Recht des Allerstärksten sich reserviert. Den Willen des MAGA-Chefs müssen die anderen Staatsführungen als unverrückbar vorgegebene Naturbedingung ihrer Freiheit anerkennen, rücksichtslos erfolgsorientiert gegen ihresgleichen anzutreten. Wer das ehrliche Kräftemessen mit den Kontrahenten zu seinen Gunsten verfälschen will, indem er sich auf Sachnotwendigkeiten oder übergeordnete Regeln, auf inter- oder gar supranationale Verbindlichkeiten beruft, verdient Trumps ehrlichen Hass auf Heuchelei. Derlei Wertehuberei sagt ihm dann schon alles Nötige über die internen Affären anderer Staaten, was auch immer er da an migranten- und minderheitenfreundlichen Abweichungen vom vernünftigen Nationalismus entdecken mag. Respekt fordert Trump weder für die Großartigkeit des – einzig menschengerechten – amerikanischen politischen Systems noch für ein amerikanisch garantiertes globales Regelwerk, sondern „nur“ für die Größe seiner Macht und seines Willens, sie gegen alle Konkurrenten einzusetzen. Im Gegenzug verspricht Trump, für genau diese Sorte Respekt zu sorgen: Amerika ist die stärkste Macht, also bekommt es, was es will.
Trump erntet für seine Fortschreibung der imperialistischen Erfolgsstory der USA bekanntlich eine sehr schlechte Presse, auch und gerade in Amerika selbst: Die Miss- und Verachtung politischer Höchstwerte und der westlichen Wertegemeinschaft, die Zerstörung der Institutionen der Völkergemeinschaft, des bewährten Modells amerikanischer Weltmacht – zwischen diesen Opfern wird nicht ansatzweise unterschieden. Solche Kritiker bestärken Trump nur in seinem ohnehin verfestigten, wenn auch ungerechtfertigten Verdacht: Den etablierten Zuständigen für Amerikas Macht sei der Schutz der Weltordnung, ihrer Prinzipien und Werte wichtiger als der Erfolg der USA darin. Den amerikanischen Imperialismus bisheriger Machart findet Trump allen Ernstes nicht nationalistisch genug.
Genau das ist der Gehalt jedes Notstands, den Trump zu Beginn seiner zweiten Amtszeit ausruft: der hauseigene Unwille, die unanfechtbare und überwältigende Übermacht zu sein, die das amerikanische Wesen überhaupt ausmacht. Womit schon die fällige Korrektur feststeht: eine Absage an sämtliche weltpolitischen und weltwirtschaftlichen, völkerrechtlichen, bündnispolitischen, humanitären etc. Institutionen und Prinzipien, mit denen Amerika seine Weltmacht zu einer allgemein gültigen Weltordnung ausgebaut und zu einer höheren eigenen Verpflichtung verklärt hat. Darin erblickt Trump nicht die weltweite Systematisierung, vielmehr die Fesselung amerikanischer Macht; dagegen setzt er das eine schlichte Verfahrensprinzip: Entweder Amerika verfügt frei über seine Machtmittel oder es sind eben nicht Amerikas Machtmittel, sondern die seiner Rivalen. Ein unvollständiger Überblick:
- Ausweislich der hartnäckigen Handelsdefizite der USA und des berüchtigten „Rust Belt“ legt das US-Establishment offenbar mehr Wert auf ein System des freien Welthandels als auf amerikanische Handelserfolge und industrielle Dominanz darin. Dabei bezeugt doch die Verfügung über den weltgrößten Markt, die fortschrittlichsten Technologien, die unverzichtbare Weltwährung und unschlagbare militärische Zerstörungspotenzen, dass Amerika gar nicht um die Verteidigung seiner Überlegenheit konkurrieren muss, die Konkurrenten vielmehr zur Reproduktion amerikanischer Überlegenheit politisch zwingen kann – was auch der Beweis ist, dass Amerika ein Recht darauf hat, diese Schuld von seinen Konkurrenten einzutreiben. Durch den entsprechend beherzten Einsatz von Zöllen lässt sich ein globales Tributverhältnis einrichten, das sich logischerweise nicht auf die Erzwingung von ökonomischen Diensten beschränken muss. Trump beruft sich dabei zwar regelmäßig auf einen Notstand, der ihn zu außerordentlichen Maßnahmen zwingt, macht aber zugleich deutlich, dass die Überführung der ökonomischen Konkurrenz aller Länder in deren politische Unterwerfung unter Amerika die Einrichtung des einzig vernünftigen Normalzustands ist – der „common sense“ einer Supermacht.
- Gleiches gilt für den Energienotstand, der laut Trump schon deswegen vorliegt, weil Amerika nicht die weltweite Energiedominanz genießt, zu der es kraft seiner gottgegebenen fossilen Ressourcen doch fähig ist. Mit ihnen ließen sich die Konkurrenten zu – auch hier nicht bloß ökonomischer – Dienstbarkeit gegenüber Amerika zwingen. Da sind dem US-Establishment die Verhinderung einer angeblichen planetaren Katastrophe und die Schaffung eines Weltmarkts für grüne Energie offenbar wichtiger gewesen. Mit der Erkenntnis, dass der Klimawandel, auf den sich seine Vorgänger berufen, nur eine antiamerikanische Verschwörung sein kann, folgt Trump seinem sicheren Gespür für die Naturgesetze amerikanischer Macht: Ein echter „Notstand“ kann unmöglich erfordern, dass Amerika sich selbst Schranken auferlegt; er kann nur bedeuten, dass Amerika umgekehrt unter zu viel Beschränkungen leidet. In dem Sinn beschließt Trump den schrankenlosen Einsatz bewährter amerikanischer Energiequellen – „Drill baby drill“, „Mine baby mine“ – und macht Schluss mit Windfarmen, die zwar auch Freiheitsenergien produzieren, aber immer noch zu sehr nach hässlicher Selbstbeschränkung aussehen. Auch hier fällt offensichtlich das, was Trump mit Berufung auf einen Ausnahmezustand beschließt, mit dem einzig vernünftigen Normalzustand amerikanischer Macht zusammen.
- Dem massenhaften Drogenkonsum seines geliebten Volkes und dem ausländischen Geschäft damit entnimmt Trump, dass die US-Politik ihren schon vor Jahrzehnten ausgerufenen „Krieg gegen Drogen“ nicht ernst nimmt, amerikanische Kriegspotenzen also wieder einmal nicht für Amerika einsetzt. Die werden stattdessen in den „forever wars“ jenseits des „big beautiful ocean“ zur Verteidigung der Regeln einer Weltordnung verschwendet, die nur den Konkurrenten nutzt. Die politische Elite selbst brockt ihrem Volk diesen gesundheitlichen Notstand ein, für den Trump die einzig sachgerechte Lösung kennt: Er versetzt seine südlichen Nachbarn so lange in einen (einstweilen vor-)kriegsartigen Notstand, bis Amerika die Dienstleistungen bekommt, die es von ihnen will. Auf die Frage, welche Dienstleistungen Amerika von wem im Einzelnen eigentlich am Ende will – mehr Beihilfe zur Bekämpfung von Drogenkartellen, mehr Öl für US-Multis, einen freiwilligen Regimewechsel, die freiwillige Rücknahme von Flüchtlingen –, gibt Trump immer dieselbe Antwort: „We’ll see.“ Um die Notlage zu bewältigen, die hier für Amerika selbst vorliegt, besteht Trump auf seiner Freiheit, all diese Fragen einseitig zu bestimmen, also die Deals zu machen, die die anderen Staaten hinzunehmen haben.
- In der millionenfachen Anwesenheit von illegalen Immigranten auf amerikanischem Boden sieht Trump den Beweis des Landesverrats: Amerikanische Politiker stellen ihre eingebildete Verantwortung fürs Elend der Welt über das Hausrecht ihres eigenen Volkes – der nationalen Ressource schlechthin. Wenn sie die millionenfache eigenmächtige Einwanderung nicht als den Kriegsakt erkennen, der sie ist, dann wollen sie die amerikanische Heimat anscheinend lieber zu einem globalen Dorf machen. Entsprechend geht die Trump-Regierung in diesem Fall gegen einen doppelten Feind vor: erstens gegen fremde Invasoren mit der massiven Aufrüstung und Anwendung der polizeilichen und militärischen Gewalt im Innern und mit der ökonomischen und militärischen Erpressung von Herkunfts- und Empfängerländern zur Rücknahme der vielen Unerwünschten; zweitens gegen die riesige fünfte Kolonne im eigenen Land, deren Existenz feststeht, wenn das Kriegsszenario, in dem Amerika steckt, als solches gar nicht erkannt wird. Hier gilt erst recht die Identität zwischen dem Ausnahme- und dem Normalzustand: Mit einer Gewaltkampagne, wie das Land sie bislang – weder gewalttechnisch noch moralisch – für möglich gehalten hätte, wird explizit der Zustand eingerichtet, auf den das Volk seit jeher ein absolutes Recht hat: die totale Freiheit und Sicherheit der Staatsgewalt bei der Verfügung über ihr Menschenmaterial.
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Amerika hat sich also von fremden Mächten und Menschen übertölpeln, betrügen und ausnutzen lassen – immer unter Berufung auf höherwertige Verpflichtungen und erfundene Notwendigkeiten, denen das Land wegen falscher Rücksichtnahme, verkehrter Berechnungen oder böswilliger Missachtung der nationalen Interessen gefolgt ist. Von Anfang an hat Trump klargemacht, dass dieser Vorwurf an das US-Establishment gegen mehr als die einzelnen Verbrechen und das Personal früherer Regierungen gerichtet ist, das sich derer kriminell schuldig gemacht hat. Seine Kritik gilt der gesamten Parteienlandschaft, der ganzen Art des Regierens, die das Prinzip Schwäche als Leitfaden der Politik etabliert hat, sowie der Verfasstheit des Volkes selbst, inklusive des Selbstbilds, das es schon viel zu lange von sich zeichnet. Als lebendes Paradigma des erfolgreichen Deal-Making, also des Diktierens aus der Position des Konkurrenzgewinners, nimmt Trump die anstehende Aufgabe an der Heimatfront in Angriff.
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