Klarstellungen zum Vietnamkrieg
Von den unterschiedlichsten Standpunkten aus wird der Ausgang des Vietnamkrieges als Niederlage der USA beurteilt. Die antiimperialistische Linke hielt ihn — und hält ihn zum Teil auch heute noch — für den Sieg eines Volkes über einen imperialistischen Unterdrücker; die Rechte, vor allem in den mit den USA verbündeten Staaten, betrachtete ihn, zum Teil ebenfalls bis heute, als gefährlichen Präzedenzfall mangelnder Treue der Vormacht des Westens zu ihrem eigenen vorgeschobenen Außenposten und als Zeichen bedenklicher Unzuverlässigkeit der amerikanischen Schutzgarantien; die Sozialliberalen in aller Welt werten ihn als die gerechte Quittung dafür, daß die USA sich angeblich — ohne Augenmaß und ohne abwägende Rücksichtnahme auf die "besonderen Probleme" Vietnams und auf die selbstverständlich dazugehörige spezielle "vietnamesische Mentalität" — auf einen "nicht gewinnbaren Dschungelkrieg" eingelassen hätten. Alle diese Einschätzungen ,übersehen' jedoch eine wesentliche Besonderheit des Kriegsendes in Vietnam, an die sie selbst doch allesamt erinnern: den Umstand, daß die Streitmacht der USA nicht geschlagen, sondern abgezogen wurde, die militärische Niederlage der am Ende zwar mit amerikanischen Waffen, aber allein kämpfenden südvietnamesischen Armee überlassen blieb, der kommunistische "Sieg" sich also dem ganz und gar souveränen, durch keinerlei militärische Not diktierten Entschluß der USA verdankt, Südvietnam als verbündeten Staat preiszugeben. Eine Nation, die so frei wie die USA den Nutzen einer Fortführung, einer — zu jedem Zeitpunkt in so gut wie beliebigem Ausmaß möglichen — Eskalation oder einer Beendigung ihres Krieges kalkuliert, kann mit diesem Krieg nicht gescheitert sein — ganz zu schweigen davon, daß die Gegenseite mit ihrem "Sieg" auch einen Erfolg davongetragen hätte. Umgekehrt: das ganze "Geheimnis" des Kriegsendes in Vietnam liegt in der Eigenart des Erfolgs, den die USA durch ihr militärisches Eingreifen sich gesichert haben.
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Klarstellungen zum Vietnamkrieg
l. Kriegsende und Kriegszweck
Von den unterschiedlichsten Standpunkten aus wird der Ausgang des Vietnamkrieges als Niederlage der USA beurteilt. Die antiimperialistische Linke hielt ihn — und hält ihn zum Teil auch heute noch — für den Sieg eines Volkes über einen imperialistischen Unterdrücker; die Rechte, vor allem in den mit den USA verbündeten Staaten, betrachtete ihn, zum Teil ebenfalls bis heute, als gefährlichen Präzedenzfall mangelnder Treue der Vormacht des Westens zu ihrem eigenen vorgeschobenen Außenposten und als Zeichen bedenklicher Unzuverlässigkeit der amerikanischen Schutzgarantien; die Sozialliberalen in aller Welt werten ihn als die gerechte Quittung dafür, daß die USA sich angeblich — ohne Augenmaß und ohne abwägende Rücksichtnahme auf die "besonderen Probleme" Vietnams und auf die selbstverständlich dazugehörige spezielle "vietnamesische Mentalität" — auf einen "nicht gewinnbaren Dschungelkrieg" eingelassen hätten. Alle diese Einschätzungen ,übersehen' jedoch eine wesentliche Besonderheit des Kriegsendes in Vietnam, an die sie selbst doch allesamt erinnern: den Umstand, daß die Streitmacht der USA nicht geschlagen, sondern abgezogen wurde, die militärische Niederlage der am Ende zwar mit amerikanischen Waffen, aber allein kämpfenden südvietnamesischen Armee überlassen blieb, der kommunistische "Sieg" sich also dem ganz und gar souveränen, durch keinerlei militärische Not diktierten Entschluß der USA verdankt, Südvietnam als verbündeten Staat preiszugeben. Eine Nation, die so frei wie die USA den Nutzen einer Fortführung, einer — zu jedem Zeitpunkt in so gut wie beliebigem Ausmaß möglichen — Eskalation oder einer Beendigung ihres Krieges kalkuliert, kann mit diesem Krieg nicht gescheitert sein — ganz zu schweigen davon, daß die Gegenseite mit ihrem "Sieg" auch einen Erfolg davongetragen hätte. Umgekehrt: das ganze "Geheimnis" des Kriegsendes in Vietnam liegt in der Eigenart des Erfolgs, den die USA durch ihr militärisches Eingreifen sich gesichert haben.
Über diesen Erfolg geben die amerikanischen Begründungen für die fällige Beendigung ihres Engagements hinreichend Aufschluß. Nehmen wir z.B. die des seinerzeit verantwortlichen Kriegsministers:
"The picture of the world's greatest super-power killing or seriously wounding 1000 non combatants a week while trying to pound a tiny backward nation into Submission on an issue whose merits are wholly dis-puted is not a pretty one." (McNamara im Mai '68, Pentagon Papers S. 680)
Heißt das, daß der amerikanische Vietnamkrieg eine einzige übertreibung war, ein gigantischer Irrtum womöglich über Größe und Bedeutung dieser "tiny nation" und des "issue", dem sie gefügig gemacht werden sollte? Ganz im Gegenteil: das war der Stand des Jahres 1968. 14 Jahre zuvor, als die glorreiche französische Republik trotz Fremdenlegion und von den USA gefüllter Kriegskasse mit ihrem Streben nach neuerlicher Eingemeindung Indochinas in das mehr schlecht als recht wiederbelebte französische Weltreich militärisch wirklich scheiterte; als nach der Emanzipation der nordvietnamesischen Volksrepublik von Frankreich deren Wiedervereinigung mit der nur vorläufig französischer Oberhoheit überlassenen Südhälfte des Landes anstand — die Verlaufsform war bereits vereinbart:, freie Wahlen''. —, erst recht 1955, als die USA Südvietnam zu einem Mitglied der freien Staatenwelt und den Katholiken Diem zu dessen Diktator machten; in der Kennedy-Ära, als die USA den allmählich verlorengehenden Guerillakrieg zunehmend selbst in die Hand nahmen und den dafür hinderlichen Präsidenten in einem Militärputsch beseitigen ließen und durch einsichtigere Generäle ersetzten; und noch 1964, als US-Präsident Johnson den Krieg auf Nordvietnam auszudehnen begann — in jeder Phase einer amerikanischen Eskalation des von den Franzosen verlorengegebenen Kampfes um ein der freien Welt zugehöriges Indochina war Vietnam tatsächlich weit mehr als eine "tiny nation", eben weil nämlich der "issue", dem das Land sich unterwerfen sollte und nicht mochte, ein ganz anderer war als der, den McNamara 1968 im Auge hatte. Um was es hier ging, hatten die Amerikaner in ihrer unnachahmlichen Art als Theorie formuliert: Mit der "Domino-Theorie", die den "Fall" einer einzigen südostasiatischen Nation zum zureichenden Grund für den anschließenden "Fall" einer weiteren Nation nach der anderen erklärte, informierten die USA die Welt über ihre weltpolitischen Sorgen und Vorhaben.
Gegenstand der weltpolitischen Sorgen der USA waren die Einflußsphären der alten westlichen Kolonialreiche. An eine Restauration kolonialer Herrschaft alten Stils über die Welt war nach dem 2. Weltkrieg schon deswegen nicht mehr zu denken, weil die zuständigen Mutterländer in Europa mit dem Ende des Weltkriegs selber ökonomisch am Ende waren und auch ihre maßlose militärische Übermacht in den einst von ihnen kolonisierten Weltgegenden verloren hatten: zum Teil hatten sie selbst gegen die faschistischen Angreifer — in Südostasien gegen den japanischen Imperialismus — den Nationalismus ihrer Hinterländer nicht nur mobilisiert, sondern auch zur Militärmacht organisiert; daß dagegen auch mit amerikanischer Finanzhilfe nicht mehr aufzukommen war, für diese bittere Wahrheit über die Rückständigkeit des alten Kolonialismus führte Frankreich mit seinem verlorenen Indochinakrieg den praktischen Beweis. Hier stand also eine Neuordnung der kapitalistischen Weltherrschaft an, die positiv mit dem Streben nach nationaler Unabhängigkeit kalkulierte und dergleichen konstruktiv in die Organisation des Imperialismus einbaute. Dies um so mehr, als im seinerzeitigen kommunistischen "Lager" eine antiimperialistische Macht bereitstand, um nationale Aufstandsbewegungen gegen kolonialistische Vorherrschaft und militärische Repression zu unterstützen. Denn das war der Kernpunkt aller weltpolitischen Sorgen, die die USA mit dem weltweiten Streben nach nationaler Unabhängigkeit und der anstehenden Liquidierung der alten Kolonialreiche hatten: Für jeden der absehbarerweise neu entstehenden souveränen Staaten gab es zur freundschaftlichen Kooperation mit der kapitalistischen Weltmacht zwar kaum ökonomisch, auf jeden Fall aber politisch eine Alternative; und diese Alternative mußte den neuen Souveränen um so näher liegen, je mehr sie ihre Souveränität kommunistischer Waffenhilfe verdankten. Der weltpolitische Gegner also machte es für die USA zur Notwendigkeit, die Entkolonialisierung der Welt nicht einfach zu hintertreiben, sondern zugleich selbst aktiv voranzutreiben — durch die Installierung kooperationswilliger Souveräne in allen Gegenden, die bislang unter fremder Souveränität gestanden hatten. Unabhängige Nationalstaaten zu schaffen, deren Unabhängigkeit ein Bollwerk nicht gegen die weltweiten Interessen der USA darstellte, sondern gegen eine weitere Ausdehnung des Weltkommunismus, der seinerzeit — was heute auch schon fast vergessen ist — ziemlich »monolithisch" von der DDR bis Nordkorea reichte und mit dem Sieg der Roten Armee in China soeben seinen zweiten weltgeschichtlichen Triumph nach der Oktoberrevolution errungen hatte, das war die Aufgabe, vor die sich die USA als d i e für Weltmarkt und Menschenrechte zuständige Weltmacht gestellt sahen — und die zu lösen sie mit der Propagierung ihrer "Dominotheorie" aller Welt versprachen.
Es ist das historische Pech Vietnams, daß die USA in dem hier stattfindenden Kampf um nationale Emanzipation alles das in zugespitztester Form realisiert sahen, was sie nach der erfolgreichen Abwicklung des 2. Weltkriegs, also im Hinblick auf ihre neue Rolle als absolute Weltmacht, mit entsprechend absoluten Sorgen erfüllte. Hier erwies das Konzept der Restauration einer gemäßigten abendländisch-kapitalistischen Kolonialherrschaft unter amerikanischer Anleitung und Nutznießung sich praktisch als undurchführbar. Hier traten kommunistische Staaten nicht einmal mehr bloß als Waffenlieferanten für den Gegner, sondern sogar als anerkannte Garantiemächte einer Vereinbarung auf, die den Erfolg ihres Schützlings zu einem regelrechten Rechtstitel erhob — ein Schritt, der den militärischen Erfolg zwar allemal voraussetzt, deswegen aber dennoch kein Luxus ist: in der Welt der Souveräne ist ein Erfolg erst dann komplett — wenn auch keineswegs sicher —, wenn durch seine Rechtsförmlichkeit klargestellt ist, daß die Staatenwelt sich darauf einlassen will, ihn zu respektieren, d.h. mit ihm zu kalkulieren; und für einen anderen Staat Garantiemacht zu spielen, bedeutet stets den Anspruch auf eine Verantwortlichkeit für die Geschicke der Welt, wie sie eigentlich doch nur einer Weltmacht zukommt. Vor allem aber: In Vietnam waren diese beiden Probleme mit der — vertragswidrigen; aber die USA hatten das Indochinaabkommen von 1954 ja schon gleich gar nicht unterzeichnet — Einrichtung Südvietnams als souveräner Staat mit allerbesten Beziehungen nach Washington nicht ausgestanden (wie im Fall Koreas, dessen brüderliche Teilung zwischen UdSSR und USA durch den Koreakrieg sehr schnell sehr haltbar wiederhergestellt worden war); vielmehr wurde den USA diese doch so überaus komfortable Lösung durch die zunehmend erfolgreicher operierende südvietnamesische Guerilla praktisch bestritten. Was folglich gegen diesen Aufstand durchzukämpfen war von amerikanischer Seite, das war nichts Geringeres als das Kernstück des Konzepts der USA zur imperialistischen Neugestaltung der Weltherrschaft im Zuge der Liquidierung des Kolonialismus: die Etablierung lokaler Souveräne, deren Streben nach nationaler Unabhängigkeit sich nicht gegen die USA richtete, sondern Gegnerschaft gegen den Hauptfeind der USA gewährleistete.
Diesen Zweck haben die USA tatsächlich durchgekämpft — bis zu dem Punkt, daß am Ende in Vietnam tatsächlich kein Dominostein" mehr auf dem Spiel stand, sondern nichts als "a tiny backward nation" und "an issue whose merits are wholly disputed". In Vietnam haben die USA den von ihnen für entscheidend erachteten Angriff auf die Durchsetzung ihres Imperialismus der kooperationswilligen Souveräne in aller Welt zurückgeschlagen, und zwar so wirksam, daß sie seit Ende der 60er Jahre die fortdauernden Verzweiflungstaten von Nordvietnam und ,Vietcong' nicht mehr für einen irgendwie entscheidenden Gefahrenpunkt für ihren Imperialismus zu erachten brauchten. Die Liquidierung aller alten Kolonialreiche war abgewickelt, und zwar ohne daß irgendwo noch einmal eine Ausweitung des Ostblocks zur Entscheidung gestanden hätte; im Gegenteil: der Ostblock selbst war über den Versuchen der UdSSR, eine zur Konkurrenz mit den USA auf deren Gebieten fähige Weltmacht zu werden, an seiner wichtigsten Nahtstelle auseinandergebrochen. Insofern war der Vietnamkrieg ein "Stellvertreterkrieg" — nur eben nicht in dem Sinn, als wäre es den USA nicht um Vietnam, sondern um etwas anderes: eine "Demonstration", ein abschreckendes Beispiel, ein imperialistisches Programm o.a. gegangen. Der Vietnamkrieg war der Krieg, in dem die USA den Kampf um ihre Weltmacht ausgetragen haben, und zwar in der dem Angriff auf ihre Weltmacht angemessenen Form und am adäquaten Ort. Und mit dem adäquaten Ende: einer abschließenden, von totaler Vernichtung des Landes nicht weit entfernten Bestrafung Nordvietnams für seinen Widerstand, also dafür, der Weltmacht der USA eine Zeitlang das Problem gewesen zu sein, sowie der Südvietnamesen dafür, den USA dieses Problem nicht wirksamer abgenommen zu haben (sie durften sich noch zwei Jahre lang nach dem Abzug der US-Truppen am Gegner aufreiben und dürfen heute ohne die amerikanischen Mittel auskommen, mit denen die USA sie bei der Zerstörung ihres Landes noch am Leben gehalten hatten).
Der Ausgang des Vietnamkrieges beweist somit nicht das Scheitern, sondern die gelungene Durchsetzung des US-Imperialismus. Wer ihn — von rechts — als Preisgabe eines Verbündeten verurteilt, der gibt damit nur seinem Wunsch nach noch vollständigerer Vernichtung aller Feinde der USA und ihrer Freunde als der in Vietnam praktizierten Ausdruck: ihn stört, daß die Weltmacht des freien Westens bei der Liquidierung von Widerstand überhaupt noch kalkuliert. Wer — in solidarischer Kritik — den Krieg der USA als unkluge Einmischung und seine Beendigung als allzu späten Verzicht auf allzu viel Botmäßigkeit eines in seiner Eigentümlichkeit zu würdigenden Landstrichs bedauert, der äußert damit nur besserwisserisch seine Wunschvorstellungen über harmonischere Formen der Durchsetzung und Behauptung kapitalistischer Weltherrschaft. Wer schließlich — von links — vermeldet, in Vietnam hätten die USA sich mit dem Widerstandswillen des Volkes v e r kalkuliert und seien letztlich unverrichteter Dinge — als "Papiertiger" entlarvt, hieß das früher — nach Hause abgezogen, der teilt nur mit, daß er von den Kalkulationen einer Weltmacht nichts wissen will — und schon gar nichts von den praktischen Resultaten ihrer Anwendung. Eine imperialistische Weltmacht führt keine Eroberungskriege um Land, so daß die Preisgabe von Land ihr ein arges Ärgernis bereiten würde, sondern schützt ihre Herrschaft in der Gestalt kooperationsbereiter Souveräne — oder auch in der Form, daß sie kooperationsunwilligen Souveränen das Leben, das heißt immer: ihren Untertanen das überleben schwer macht. Eine imperialistische Weltmacht führt auch keine Beutekriege um Bodenschätze, womöglich gar mit der Absicht, sich dadurch zu bereichern, sondern sie schützt die Weltwirtschaft, verhindert also nach Kräften, daß aus der nationalen Souveränität eines Landes dem freien Kapital- und Warenverkehr unüberschreitbare Schranken erwachsen, und setzt dafür im Ernstfall auch Mittel an einer Stelle ein, wo diese sich niemals amortisieren, geschweige denn verzinsen — daß die USA den Vietnamkrieg um das Erdöl im indochinesischen Festlandssockel geführt hätten, gehört zu den Erfindungen, mit denen antikapitalistische Linke sogar noch am Krieg nachweisen wollten, daß ein demokratischer Staat eigentlich nie um seinetwillen, sondern nur unter dem Druck seiner Monopole Böses tut. Erst recht führt eine imperialistische Weltmacht keine Abnutzungskriege, um ihre Rüstungsindustrie zu beschäftigen — dies die andere linke Erfindung, die Grund und Folge bei der Rüstung auf den Kopf stellt und damit den vom Staat gesetzten Zweck der Rüstung leugnet, um die gewalttätige Praxis der Demokratie mit ihrer angeblichen ökonomischen Abhängigkeit entschuldigen und so von ihr eine gute Meinung behalten zu können —; ja nicht einmal die militärische Vernichtung des Gegners ist für sie ein so unbedingter Selbstzweck, daß man ihr — ein linker Zynismus besonderer Art! — das überleben einiger Millionen Feinde als papiertiger"mäßige Schwäche anrechnen könnte: Gerade darin erreicht die Souveränität einer Weltmacht ihre höchste Spitze, noch in der Verwendung ihrer schwersten Waffen keiner militärischen Not gehorchen zu müssen, sondern in ihren Entscheidungen frei zu bleiben — eine Freiheit, die in ihren Kalkulationen allemal noch mehr Vernichtung zustandebringt als ein faschistischer "Kampf um Lebensraum", dem im übrigen die Strategie der "verbrannten Erde" so perfekt nirgends gelang!
Kurz: Der Zweck des Vietnamkriegs war nicht der faschistische, durch kolonialistische Versklavung einzelner Gegenden den eigenen Staat mit größtmöglicher Macht — Land, Untertanen und Reichtum — auszustatten, so daß er sich gegen den Rest der Welt als Souverän behaupten kann; für diesen Zweck hätte er wahrhaftig nicht viel gebracht. Der Zweck des Vietnamkriegs war der fortschrittlich imperialistische, den Anspruch der längst über jeden faschistischen Wunschtraum hinausgewachsenen, reellen Weltmacht der USA auf unbeschränkte Zuständigkeit für das Weltgeschehen in der prekären Phase der Liquidierung der Kolonialreiche gegen die "antiimperialistische" Gegenmacht des Ostblocks durchzusetzen, also dafür zu sorgen, daß nicht die freie Welt zur "Insel" auf dem Globus wurde, sondern das sozialistische Lager eine "Insel" auf dem Globus blieb; diesen Erfolg hat er gebracht. Und dafür war er ganz offenkundig auch nicht zu teuer: die UdSSR, nicht Amerika ist an dem Punkt, wo sie sich ihre Militärmacht ökonomisch kaum noch leisten kann.
2. Der Kriegsverlauf
Die am Vorbild faschistischer Kriegszwecke orientierte Vorstellung, die USA hätten in Vietnam einen Mißerfolg erlitten, setzt sich fort in entsprechend kritischen oder höhnischen Begutachtungen ihrer Kriegsführung: Sie hätten die Eskalation zu zögerlich betrieben und besser daran getan, gleich zu Anfang des Guerillakrieges voll gegen Nordvietnam zuzuschlagen — dies der Vorwurf von rechts; sie hätten die vietnamesische Mentalität falsch eingeschätzt, außerdem zu sehr auf bornierte Militärs gehört und wären so in den Krieg regelrecht "hineingeschlittert"; überhaupt hätten sie besser mit buddhistischen Mönchen statt Katholiken und Milchpulver statt Napalm einsteigen sollen — so die Kritik von sozialliberaler Seite; sie hätten die militärische Eskalation bis hin zum Bombardement Nordvietnams nur deswegen so vorangetrieben, um ihr Scheitern zu verdecken und ihre Niederlage gegen das Volk hinauszuzögern, also auf jeder Stufe nur erneut ihre Schwäche (= "Papiertiger") unter Beweis gestellt — so die hoffnungsvolle Deutung des linken Antiimperialismus. Keins dieser Urteile hat mit der tatsächlichen Strategie der USA im Vietnamkrieg etwas zu tun.
a) Die Etablierung eines eigenständigen südvietnamesischen Regimes, einschließlich gelegentlicher Inszenierung eines Anscheins demokratischer Legitimation durch gefälschte Wahlen, war für die USA in keiner Phase ihres Engagements eine bloße Fiktion. Im Gegenteil: wie ernst es ihnen mit dem Herzstück ihres imperialistischen Programms war, ihrer Herrschaft über die Welt die Form souveräner lokaler Herrschaften zu geben, die mit den USA wie mit einem gleichberechtigten Freund und Bündnispartner kooperieren, das haben die USA gerade die Südvietnamesen in aller Ausführlichkeit durchleiden lassen.
Mit der Regierung Diem haben sie zunächst voll auf die antikommunistischen Elemente eines südvietnamesischen Nationalismus gesetzt und sich auf dessen Erfolg verlassen, bis es fast schon zu spät war. Auch dann, mit dem Militärputsch gegen Diem, haben die USA keineswegs ein quasi-kolonialistisches »Marionettenregime" installiert, sondern ihr ganzes Vertrauen auf die einzig zuverlässig antikommunistische Kraft in Südvietnam gesetzt: die militärische Führung, die ihr eigenes faschistisches Ideal von einer südvietnamesischen Lokalmacht verfolgte. Dementsprechend war die Entsendung amerikanischer Truppen nie darauf berechnet, den militärischen Selbstbehauptungswillen der südvietnamesischen Staatsgewalt zu ersetzen, sondern war stets dessen Unterstützung — daß das durchaus keine Fiktion war, beweist das Verhältnis der Verlustziffern des südvietnamesischen und des amerikanischen Militärs. Selbst auf dem Höhepunkt des amerikanischen Engagements war dieses — bei aller üppigen Brutalität in der Wirkung — knapp kalkuliert: z u knapp sogar für das Ziel, Südvietnam wieder vollständig zu unterwerfen, aber stets reichlich genug für das Ziel, eine südvietnamesische Staatsgewalt zu erhalten, die aus eigener Entscheidung die "Säuberung" ihres Staatsgebiets von ihren Gegnern anstrebte. Die Bombenangriffe auf Nordvietnam hätten durchaus noch anders ausgesehen, hinsichtlich der verfügbaren militärischen Mittel der USA jedenfalls leicht , anders aussehen können, wenn es um den Endsieg gegangen wäre: ihr Zweck war eben nicht einfach die Vernichtung des nordvietnamesischen Staates, sondern — bis zum Schluß und am deutlichsten in jener Endphase, als die Pariser Friedensverhandlungen mit den schwersten Bombardements zeitlich exakt zusammenfielen — das nordvietnamesische Zugeständnis, sich wenigstens formell und vorübergehend mit der Existenz Südvietnams abzufinden, also die Anerkennung der von den USA installierten Souveränität durch den Feind. Nur scheinbar paradoxerweise war es erst die Endphase des Vietnamkriegs, abgewickelt unter dem expliziten Programmtitel " Vietnamisierung des Krieges", in der die USA ihr Konzept der bündnispartnerschaftlichen Unterstützung eines lokalen Souveräns aufgaben: Erst und nur in diesem Abschnitt behandelten die USA die südvietnamesische Souveränität praktisch als nurmehr fiktiv, nämlich ganz zynisch nach Maßgabe der von niemandem ernsthaft geteilten Fiktion, die einheimische Regierung sei mit amerikanischer Waffenhilfe Herr der Lage. Für die USA hatte sich eben der Zweck ihres Engagements mit dem Abschluß ihrer Verhandlungen mit Nordvietnam endgültig erfüllt: Südvietnam konnte als "tiny backward nation" abgeschrieben werden.
Tatsächlich blamiert also der Ablauf des Vietnamkriegs die faschistische Idealvorstellung eines siegreichen Blitzkriegs gegen Nordvietnam. Nie zuvor war ein Krieg, bei allem Verzweiflungsmut, Opferwillen und auch militärischem Geschick des Gegners, so sehr ein so frei gehandhabtes Mittel imperialistischer Politik: gerade so, wie er sich hinzog, und bis hin zu der einzigartigen Konstellation, daß Friedensunterhändler Kissinger täglich das für den Verhandlungsfortschritt gerade für erforderlich erachtete Quantum Bomben bis auf die Tonne genau von der Luftwaffe abrufen konnte, taugte dieser Krieg als Rückendeckung für die imperialistische Neuordnung der Welt.
Ihre Absicht, ein ihnen freundschaftlich verbundenes souveränes Südvietnam durchzusetzen, nahmen die USA keineswegs nur militärisch ernst. Auf allen Gebieten der Innenpolitik unterstützten sie die Regierung Südvietnams bei der Verwirklichung des ersten und elementarsten demokratischen Grundsatzes, daß zu einem funktionierenden Staatswesen auch ein funktionierendes Volk gehört. Allen voran überzeugten sie die südvietnamesische Regierung von der Notwendigkeit, die Scheidung ihrer Bevölkerung in Feinde und brauchbare Untertanen nicht bloß nach der einen Seite hin mit der Vernichtung aller irgendwie verdächtigen Elemente, sondern ergänzend dazu auch konstruktiv mit der Konzentration aller übrigen unter ihrem Schutz, also unter militärisch-polizeilicher Aufsicht durchzusetzen: ,,Pazifi-zierung" war der Titel, unter dem ganze Bevölkerungsteile zwecks Rettung ihrer Freiheit in Konzentrationslager umgesiedelt wurden. Parallel zur großflächigen Zerstörung der Reproduktionsgrundlage der südvietnamesischen Bevölkerung leisteten die USA nicht nur Finanzhilfe in Form großzügiger Bezahlung des Staatshaushalts; sie sorgten damit auch für die Entstehung neuer Arbeitsplätze — die nie lange besetzt blieben — in der Armee; und mit der Art der Versorgung ihrer eigenen Soldaten, die der Privatinitiative von Schwarzhändlem alle Chancen eröffnete, leisteten sie ihren unverzichtbaren Beitrag zu einer ganz neuartigen wirtschaftspolitischen Errungenschaft: einer parasitären Überlebenswirtschaft — deren Konstruktionsfehler, ganz und gar von amerikanischen Produkten abhängig zu sein, die Südvietnamesen heute noch bitterer als damals zu spüren bekommen. Je umfassender die USA sich engagierten, um so größere Heerscharen amerikanischer Ethnologen und Sozialwissenschaftler wandten ihre Phantasie dem ebenso kulturpolitischen wie sozialreformerischen Problem zu, wie sich wohl der Glaube allzu vieler Südvietnamesen an zumindest nicht schlechtere Verhältnisse unter kommunistischer Herrschaft noch nachhaltiger als durch Bombardements entmutigen lassen könnte.
Insofern blamiert der Verlauf des Vietnamkriegs also auch jede sozialliberale Bedenklichkeit, ob Südvietnam nicht durch mehr demokratische Reformen eher als durch Krieg für den freien Westen hätte gewonnen werden können. Bis hin zum täglichen "body count", dem Zählen der getöteten Gegner, gehorchten selbst die militärischen Aktionen dem urdemokratischen Ziel, dem widerspenstigen Volk die Illusion der Nützlichkeit ihrer staatlichen Gewalt beizubringen — der "body count" bewies ja, daß nur Gegner daran glauben mußten — und so zu freiwilliger Zustimmung zu seiner Herrschaft zu verhelfen.
c) Ein militärisch-strategischer Test war der Vietnamkrieg schon — allerdings nicht in dem Sinne, daß die Militärmacht der USA durch das Konzept des "Volkskriegs" auf die Probe gestellt oder gar praktisch widerlegt worden wäre: diese Frage hat ernsthaft nur die Konstruktionsabteilung einiger Rüstungsfirmen und die taktische Phantasie des Offizierskorps beschäftigt und zu so überzeugenden Ideen wie der einer elektronischen Barriere zwischen Nord und Süd beflügelt, die die augenblickliche Auslöschung jedes grenzüberschreitenden Lebewesens garantieren sollte. Der entscheidend wichtige Test war der, den die USA mit ihren beiden Hauptgegnern angestellt haben: den beiden "Schutzmächten" Nordvietnams UdSSR und VR China. Schon die Etablierung einer souveränen Regierung in Südvietnam unter offener Mißachtung des Abkommens von 1954 war die Probe aufs Exempel dafür gewesen, daß ein Abkommen über Fragen der Souveränität eines Landes ohne amerikanische Unterschrift nichts wert ist und vor allem die Anmaßung der UdSSR, als Garantiemacht aufzutreten, in der Welt harter imperialistischer Tatsachen nichts zu zählen hat. Auf der Grundlage dieser prinzipiellen Klarstellung war jeder Schritt der USA zur Ausweitung und Intensivierung ihres Krieges eine praktische Untersuchung der Frage, ob und wie die ,,Garantiemacht" UdSSR und 'die selbsternannte "Schutzmacht" VR China ihre Schutzversprechen gegen die USA wahr machen würden. Und das eine steht fest: befriedigender für die USA hätte dieser Test wirklich nicht ausgehen können:
— Die UdSSR unterstützte Nordvietnam zwar mit Waffenlieferungen, die den Fortgang des Krieges erlaubten, riskierte es aber nie, als Garantiemacht der vietnamesischen "Wiedervereinigung" aufzutreten und auch nur den Versuch zu machen, durch eine entsprechende Drohung an die Adresse der USA den Fortgang des Krieges zu verhindern; sie tat dies nicht einmal, als die USA mit ihren Bombardierungen die systematische Zerstörung des Bündnispartners der UdSSR ins Werk setzten. Im Gegenteil: Noch ehe die demokratische Vietnamesenschlächterei der USA ihren Höhepunkt erreicht hatte, entschloß die UdSSR sich zur Politik der Entspannung gegenüber dem imperialistischen Gegner, also zu Arrangements, die die weltweite Herrschaft des Kapitalismus nicht beschränkten, sondern weniger bedrohlich gestalten und — im "Osthandel" — ein wenig sogar der eigenen Ökonomie zugute kommen lassen sollten. So lieferte die UdSSR mit ihrer Anteilnahme am Vietnamkrieg je länger, um so deutlicher den Beweis, auf den die USA es abgesehen hatten: daß eine weitergehende Behinderung des Imperialismus der USA als die, die mit der Existenz des Ostblocks per se gegeben war, von der Vormacht des Ostblocks nicht angestrebt wurde, vielmehr umgekehrt auch diese Beschränkung so absolut nicht gemeint war.
— Die VR China unterstützte Nordvietnam ebenfalls — und ebenfalls nie so, daß es ihr oder den USA weh getan hätte. Stattdessen propagierte sie, als wäre das die beglückendste politische Entdeckung über den Imperialismus seit Lenin, den brutalen Zynismus, bei der amerikanischen Kriegsführung handelte es sich ja doch bloß um die kraftlosen Feigheiten eines "Papiertigers", und veranstaltete mit ihrem Volk eine "Kulturrevolution" — gerade so, als hinge das sozialistische Heil der Menschheit (auch nur der chinesischen) von den Manövern ab, die die chinesische KP sich einfallen ließ, um nach dem Verblassen ihrer wirklichen Verdienste um ihr Volk um so nachdrücklicher die ideologische Einigkeit des Volkes mit ihr zu inszenieren. Seit wann die VR China ihren nordvietnamesischen Schützling dann als Instrument antichinesischer Einkreisungspolitik der UdSSR beargwöhnte und die Fortsetzung des Vietnamkriegs um eine weitere, chinesische "Phase" ins Auge faßte, kann dahingestellt bleiben: Sicher ist, daß die unter Nixons Präsidentschaft machtvoll erwachende amerikanisch-chinesische Freundschaft sich nicht der Erleichterung der Volksrepublik über das schließliche Ende der amerikanischen Zerstörung ihres sozialistischen Bündnispartners verdankt, sondern weit mehr mit dem chinesischen Nachweis an die Adresse der USA zu tun hat, daß es eine antiimperialistische Solidarität im "sozialistischen Lager" nicht einmal mehr als Erinnerung gibt - stattdessen schon eher die Solidarität zwischen Weltmacht und Großmacht gegen die aus entgegengesetzten Gründen verhaßte Weltmacht Nr. 2.
Der Ablauf des Vietnamkriegs hat somit nichts und niemanden gründlicher blamiert als den prätendierten Antiimperialismus der UdSSR wie der VR China samt den jeweils dazugehörigen Idealen des Volkskriegs bzw. der internationalen Solidarität. In jeder Phase waren es die USA, die als imperialistische Demokratie die internationale Solidarität, nämlich mit der südvietnamesischen Regierung, und den »Sieg im Volkskrieg", nämlich die demokratisch kontrollierte Vernichtung des Gegners und seiner bloß "papierenen" Kräfte so in die Tat umgesetzt haben, wie es sich für eine Weltmacht gehört.
3. Kriegsöffentlichkeit und Antikriegsopposition
Die Theorien über eine verkehrte Strategie der USA in Vietnam und ein schließliches Scheitern ihres kriegerischen Engagements verfügen konsequenterweise auch über Vorstellungen von den Gründen für ihren Rückzug aus Indochina, unter denen die kritische (Welt-)öffentlichkeit einen hervorragenden Platz einnimmt: Sie sei der eigenen Streitmacht in den Rücken gefallen und habe die Moral der Truppe untergraben; oder umgekehrt: sie habe der Regierung moralisch keine andere Wahl gelassen, als von ihren übertriebenen Zielen abzulassen und "die Jungs heimzuholen — oder aber einen unheilvollen Bruch innerhalb der Nation und den "Verlust" der kritischen Jugend zu riskieren.
Tatsächlich ist die Rolle der Öffentlichkeit im Vietnamkrieg höchst bemerkenswert — nur ganz anders, als die Ideologie von einem Kriegsende infolge innerer Opposition bemerken will.
a) Bemerkenswert ist als erstes nicht nur, wie einhellig die amerikanische Öffentlichkeit — und die des freien Westens überhaupt; für die bundesdeutsche galt vollends das Kritikverbot in der Form des Slogans: "Die Freiheit Berlins wird in Vietnam verteidigt!" — den Vietnamkrieg unterstützte, sondern daß die amerikanische Regierung sich in keiner Phase der Eskalation ihres kriegerischen Engagements bemüßigt fühlte, die in gleichem Maße engagiertere Kritik am Krieg innerhalb der amerikanischen Öffentlichkeit wirksam zu unterdrücken. Im Gegenteil: wohl in keinem anderen Land wurde so frei so scharfe Kritik am Kriegsgeschehen geübt wie in den USA selber — ohne daß das dessen zunehmend härtere Fortführung im geringsten beeinträchtigt hätte. Die USA brachten es fertig, einen Krieg zu führen, der seine ideologische Rechtfertigung als gute Tat gegen den Kommunismus täglich widerlegte, und sich eine Öffentlichkeit zu leisten, die eben dies täglich verkündete: mitten im »schmutzigsten Krieg" blieben sie eine ungetrübte Demokratie. Die Lösung dieses Rätsels liegt zur einen Hälfte darin, daß die amerikanische Kriegsopposition nie eine Gegnerschaft gegen den "imperialistischen Zweck des ganzen Unternehmens war. Wo immer sich Schrecken darüber ausbreitete, was der Welt größte und solideste Demokratie mit unbotmäßigen Völkern anzustellen vermochte, stellte sich zugleich als erster Gedanke die ideologische Gewißheit ein, daß diese Demokratie als Veranstalter des Krieges nicht in Frage kam. Kritik richtete sich gegen die Militärs, die angeblich verselbständigt und selbstherrlich gegen demokratische Kontrolle "Ihren" Krieg abwickelten; gegen die Rüstungsindustrie, die aus Geschäftsgründen und zum Zwecke waffentechnischen Fortschritts die Verlängerung und Ausweitung des Krieges betriebe; gegen Politiker, die angeblich aus blinder Machtbesessenheit im Komplott des ,,military-industrial complex" mitmischten; usw. — lauter Erfindungen, die ihren gemeinsamen Grund in dem Interesse haben, die imperialistische Demokratie als Subjekt des Geschehens zu leugnen. In idealistischer Form, nämlich als Protest gegen die Praxis einer Nation, die sich für die Geschicke der Welt "verantwortlich" weiß, äußert sich in diesem Interesse genau die Selbstgerechtigkeit des demokratischen Bewußtseins, die die Mehrheit der Nation der kriegerischen Praxis ihrer Regierung zustimmen ließ: die Überzeugung, daß eine wirklich an den "Grundwerten der amerikanischen Verfassung" orientierte Demokratie eigentlich nichts falsch machen kann, vielmehr berufen ist, mit eben diesen ,,Grundwerten" der Herrschaft auf der ganzen Welt ihre Maßstäbe zu setzen. Noch die Hippie-Parole, in die die amerikanische Antikriegsopposition einmündete: "make love, not war!" teilt den "Grundkonsens" der amerikanischen Demokratie, daß es selbstverständlich und gerechterweise an ihr liegt, wie die Herrschaft auf der Welt aussieht, ist also eine infantile Stilblüte demokratisch-imperialistischen Bewußtseins.
Auch einen derart affirmativen Protest gegen ihre kriegerischen Unternehmungen muß eine demokratische Nation sich allerdings erst einmal leisten können. Die USA konnten das, weil — und konnten das in dem Maße, wie — der Vietnamkrieg für sie tatsächlich nie mehr war als eine außenpolitische Aktion. Ihr Bestand als Nation stand hier in keiner Hinsicht je auf dem Spiel; folglich ergab sich nie auch nur andeutungsweise die Notwendigkeit, die politischen und ökonomischen Aktivitäten der Nation dem Zweck der Kriegsführung in Vietnam u n t e r -zuordnen. Wie es sich für einen Krieg gehört, in dem es nicht um Machtgewinn, sondern um die Sicherung amerikanischer Macht über die Welt ging, wurde der Vietnamkrieg nicht aus der Substanz amerikanischer Macht und amerikanischen Reichtums bezahlt, sondern in jeder Hinsicht aus dem Überschuß heraus geführt. Und weil die USA sich im Vietnamkrieg so als die maßgebliche Weltmacht betätigten, brauchten sie nie aufzuhören, ihre Souveränität im Innern demokratisch zu betätigen. Noch im Krieg bedurfte es keiner angeordneten Gleichschaltung der öffentlichen Meinung, damit die Nation sich ihr gutes Gewissen bewahrte; vielmehr bewahrte sie sich auch hier ihr gutes Gewissen demokratisch, nämlich indem sie selbst ihre eigene Kritik als anerkannte Stimme der öffentlichen Meinung mit umfaßte. Und wo studentische Demonstrationen zu weit gingen in der Störung des öffentlichen Getriebes, wurden sie unter dem Beifall der Mehrheit durch schlagkräftige Einsätze der Nationalgarde aufgelöst. Das ist die reelle Souveränität einer Weltmacht!
b) Stützte sich schon der frühe idealistische Protest gegen den Vietnamkrieg auf alles andere als die Kenntnis, mit welchem Gegner und welchem Kriegszweck man es zu tun hatte, so ging es der späteren "Antikriegsbewegung", die auf die Heimholung der eigenen "boys" und das Ende einer längst nicht mehr einsichtigen "Verstrickung" der eigenen Nation im politischen Dschungel Indochinas drängte, erst recht um alles andere als um Kriegsgegnerschaft; und was sich unter demokratieidealistischen Gesichtspunkten als Erfolg einer kritischen Öffentlichkeit gegen den Militarismus ausnimmt, ist tatsächlich genau umgekehrt ein Lehrstück über die Funktion der öffentlichen Meinung in der Demokratie.
Die Argumente dieser deutlich massenhafteren Antikriegsstimmung: die "Eindämmung" des Kommunismus in Ostasien sei nicht mehr so vordringlich, weil die UdSSR und die VR China ohnehin nicht mehr an einem Strang zögen; außerdem sei nicht einzusehen, weshalb amerikanische Jungs ihr Leben riskieren sollten für die Freiheit eines Volkes, dem an seiner Freiheit offenkundig so wenig liege; und im übrigen — siehe McNamara! - ehre es eine Weltmacht wenig, so verbissen im Clinch mit einer so "tiny backward nation" zu liegen; alle diese Argumente haben nichts anderes zum Inhalt als den nach langen Kriegsjahren schließlich errungenen Erfolg der USA. Auen möglichen Leuten, von den besorgten Eltern einberufener Wehrpflichtiger bis in die Reihen des Militärs hinein, war auf einmal klar, daß Vietnam kein Dominostein war, dessen Sturz die ganze kapitalistische Weltordnung durcheinander gebracht hätte; und die Öffentlichkeit entdeckte, daß sie und selbst der Senat seinerzeit "Weh den "Tonkin-Zwischenfall", mit dem Johnson sich freie Hand für die Eskalation des Krieges verschafft hatte, behördlicherseits "getäuscht" worden seien—als wäre jemals ernsthaft eine Täuschung darüber möglich gewesen, daß ein ,,Angriff" von Fischern mit Schrotflinten auf amerikanische Schlachtschiffe nur dann ein Kriegsgrund ist, wenn die Regierung der USA ihn als solchen betrachten will. Unleugbar fand ein "Stimmungsumschwung" in der öffentlichen Meinung der USA zu ihrem Krieg statt; und mit diesem .Umschwung' bewährte die amerikanische Öffentlichkeit sich als das demokratische Organ dafür, den Entwicklungsstand der Weltlage hinsichtlich der imperialistischen Interessen des eigenen Staates zu merken. In der Form der Kritik, nämlich in Fragen wie: Warum sollen wir für die dort unten eigentlich bluten? — Fragen, in denen die Ideologie, die USA führten ihren Krieg für die Südvietnamesen, ebenso ungebrochen weiterlebt wie der faschistische Wunsch nach einem wenn schon, dann gleich alles augenblicklich entscheidenden Vemichtungsschlag — in der Form von Vorwürfen an die eigene Obrigkeit gewahrte die Öffentlichkeit, daß Vietnam tatsächlich nichts anderes mehr war als ein relativ bedeutungsloser Erdenwinkel. Weil — und nur weil — sie damit tatsächlich recht hatte, der Kriegszweck erkämpft war, bekam die öffentliche Meinung von ihrer demokratischen Obrigkeit dann auch recht, indem diese den Krieg einstellte — fünf Jahre nach dieser öffentlichen Erkenntnis, nachdem nämlich erstens am wirklichen Erfolg nicht mehr zu zweifeln war und zweitens zu allem Überfluß den Nordvietnamesen noch ihr Land gehörig verwüstet und das formelle Eingeständnis abgerungen worden war, daß ihre Fortführung des Krieges allein die Wiedervereinigung zweier Wüsteneien zum Ziel hatte und sich überhaupt nicht mehr gegen die Weltmacht der USA richtete. So liefert die Antikriegsbewegung in den USA das Beispiel für die Bedeutung demokratischer Verfahrensweisen für imperialistische Außenpolitik: dafür eben, wie eine Weltmacht ihr eigenes Vorgehen am Maßstab imperialistischer Zweckdienlichkeit kontrolliert und — durch einen Präsidenten, der mit den öffentlichkeitswirksamsten Parolen im Wahlkampf sein Glück macht — auch korrigiert.
4. Die Kriegsfolgen
Wenn es noch eines Beweises bedarf, daß Nordvietnam alles andere als der Gewinner und die USA noch viel weniger der Verlierer des Vietnamkrieges sind, so liefert ihn die Nachkriegszeit in beiden Ländern in aller Deutlichkeit und Eindeutigkeit.
a) Mit der Eroberung der südlichen Landeshälfte hat Nordvietnam weder Macht noch Reichtum hinzugewonnen, sondern im Gegenteil seiner Ökonomie, die die USA ohnehin schon recht erfolgreich ,"in die Steinzeit zurückgebombt" hatten, ein kaum lösbares Überlebensproblem aufgeladen. Die amerikanische Präsenz in Südvietnam war nämlich die Reproduktionsgrundlage der dortigen Bevölkerung gewesen, nachdem ihr eben durch den Krieg der Amerikaner die agrarische Reproduktionsgrundlage genommen und zerstört worden war; folglich haben die vietnamesischen Behörden nach ihrem "Sieg" im Süden nebeneinander das nackte Elend und einen aus dem staatlich verwalteten Elend sich immer wieder erneuernden Schwarzmarkt zu verwalten. Warum die nordvietnamesische Regierung diese Last dennoch mit offenkundiger Begeisterung ihrem Volk aufgebürdet hat, ist allerdings spätestens von dem Zeitpunkt an kein Rätsel mehr, als diese Regierung die Befreiung Südvietnams von seiner Militärdiktatur und den USA mit der Befreiung des Nachbarn Kambodschas von seiner Militärdikatur und deren chinesischen Gönnern fortsetzte: Ganz offensichtlich hat dieser Staat Größeres im Auge, als seinem Volk nach einer Generation praktisch ununterbrochenen Krieges Ruhe und ein Auskommen zu verschaffen. Es ist schon eine verrückte Logik, wenn ein Staat sich die Herrschaft über ein Hungergebiet erstreitet und dafür dem eigenen Land eine Hungersnot auferlegt, die überhaupt nur so zu regeln ist, daß jedem Bürger, der noch über ein wenig Bares verfügt, für dessen Ablieferung eine todesgefährliche Ausreise übers Meer als Alternative eröffnet wird — die Chinesen, weil sie derselben Logik mächtig sind und ihr gemäß gegen Vietnam "Blutopfer" bringen, an die sie für Vietnam und gegen die USA nie gedacht haben, haben dafür den Begriff "Hegemonie" erfunden. Sicher ist bei alledem nur eins: je konsequenter die vietnamesische Regierung ihre militärischen Erfolge als Erfolge fehlinterpretiert und sich durch sie zur lokalen Großmacht berufen fühlt, um so gründlicher fällt das Scheitern ihrer Pläne aus, das sie damit vorbereitet.
In der Weltöffentlichkeit hat Vietnam mit seinen militärischen Erfolgen all den moralischen Kredit verloren, den es nie gehabt hat, von dem die Weltöffentlichkeit aber trotzdem ungerührt behauptet, sie sehe sich nunmehr leider genötigt, ihn zu streichen — und dies nicht wegen der Hungersnot, die dort der Staat seinem Volk bereitet. Das Elend und die Flüchtlinge, die Vietnam heute produziert, sind der westlichen Welt willkommen — zwar nicht in der Form einwanderungswilliger Massen, dafür um so mehr als Beweismittel (und dafür werden dann auch gelegentlich ein paar ordentlich gesiebte kleine Massen aufgenommen): als Beleg dafür, wie unmenschlich kommunistische Unfreiheit sei; gerade so, als wären die vietnamesischen Flüchtlinge für die Meinungsfreiheit auf den Ozean hinausgeschwommen, oder als litte die vietnamesische Landwirtschaft unter mangelnden Menschenrechten. Peinlich ist dieser zynische demokratische "Beweis" gerechterweise für jene westlichen Linken, die ihrerseits den Imperialismus im Vergleich mit seinen eigenen demokratischen Idealen als Verstoß gegen Freiheit und Selbstbestimmung kritisiert haben und nun angesichts der Enttäuschungen über die Opfer des Nachkriegs-Vietnam Trost in der Beteuerung suchen, auch dafür seien letztlich die Amerikaner verantwortlich. Warum eigentlich sehen sich Linke heute dazu gedrängt, ihre einstige Kritik an den USA als dem Schuldigen an den seinerzeitigen Leichen zu rechtfertigen? Die staatstreue, proimperialistische Öffentlichkeit nimmt diese Rechtfertigung begeistert auf, um sie umzudrehen: Die Flüchtlinge von heute lassen das Napalm von gestern in einem ganz neuen Licht erscheinen; und schuldig sind die Amerikaner vor allem deswegen, weil sie — abgezogen sind!
b) Die USA haben aus ihrem Vietnamkrieg einige Tausend Krüppel behalten, auf die es niemandem ankommt, und zwei Lehren gezogen. Die eine spricht sich in der Sphäre der (Film-)Kunst als psychologische Bewältigung des Kriegsgeschehens aus und besteht in der Lüge, der Krieg sei, recht betrachtet, ein menschliches Grenzphänomen und als solches bei aller Verwerflichkeit doch vor allem ganz außerordentlich und in der allgemeinsten Weise interessant. (Man sieht, selbst Hollywood geht mit der politischen Konjunktur: das Psycho-Drama löst die Verherrlichung der Green Berets fristgerecht ab. Was der US-bürgerliche Kunstverstand hier bis hin zu "Apocalypse Now" unter Beweis stellt, ist seine unbegrenzte Fähigkeit, sich mit Hilfe der nsvchologischen Kategorie des "menschlich Interessanten" noch die ärgsten und unkompliziertesten Schlächtereien zu einem geistigen Genuß aufzubereiten, östlich des Atlantik fehlt es mal wieder — wie stets bei solchen Großtaten amerikanischer Kultur ~ nicht an Stimmen, die diesen Kunstzweig kritisch als gewagte Selbstkritik der mit sich selbst entzweiten amerikanischen Volksseele beschwatzen; besagte "Seele" selbst führt hier in Wahrheit nur praktisch vor, wie es ihr gelungen ist, den ganzen Krieg hindurch mit sich und ihrer imperialistischen Gewalt einig zu bleiben.
Die andere Lehre betrifft das außenpolitische Auftreten der USA und beinhaltet ziemlich genau das Gegenteil der Schlußfolgerungen, die ein verlorener Krieg dem Verlierer nahezulegen pflegt. Noch längst bevor sich irgendwo auf der Welt eine Notwendigkeit für die USA abzeichnet, wieder einmal militärisch einzugreifen — und gerade durch den Vietnamkrieg ergibt eine solche Notwendigkeit sich so leicht nicht, jedenfalls nicht in solchen Fällen wie dem Krieg zwischen Äthiopien und Somalia oder zwischen MPLA und FNLA in Angola —, wird weltöffentlich klargestellt, daß die USA ihrer Verantwortung für die Welt, einschließlich der daraus abzuleitenden gewaltsamen Ordnungsaktionen, keineswegs müde geworden sind oder zu werden gedenken. Daß europäische Kommentatoren dies in Form der Besorgnis aussprechen, die USA könnten aus ihrem "Scheitern" in Vietnam womöglich die falschen Schlüsse ziehen, ist nichts als die Redeweise der Abhängigkeit. Der amerikanischen Öffentlichkeit gefällt es jedenfalls ganz ausnehmend gut, wenn ihr pietistischer Präsident, kaum ein halbes Jahrzehnt nach den letzten schweren Bombardements Hanois, die Welt ganz ausdrücklich wieder unter dem Gesichtspunkt möglicher Kriegsanlässe betrachtet und solche in Gestalt von 3000 sowjetischen Soldaten auf Kuba ebenso wie in den Potentaten der östlichen Ölwelt nicht bloß entdeckt, sondern auch schon mal vorbereitend durchspielt: mit einem demonstrativen Großmanöver auf Kuba, mit dem Plan einer zusätzlichen speziellen 100.000-Mann-Emgreiftruppe für die Beilegung imperialistischer Affären sonstwo auf der Welt. Das Militär ist ohnehin schon reorganisiert, nämlich auf verläßlichere Berufssoldaten umgestellt, die in ihren Kampferfahrungen dauerhafteren Nutzen haben als Wehrpflichtige; und vor Weibern, die sich gleichermaßen auszeichnen wollen, kann die Army sich kaum retten. Die Volksmasse darf sich einstweilen beim Frieren und Schlangestehen nach Benzin, dem Vorschlag ihres Oberpredigers folgend, vorstellen, sie mobilisiere die erforderlichen Tugenden für den edlen Zweck eines Quasi-Krieges um die Größe der Nation; und daß im Vorwahl- und Wahlkampf um die Präsidentschaft dringlicher denn je "Führer Persönlichkeit" gefragt ist, dürfte ebensowenig eine Erfindung deutscher Kommentatoren sein, wie zweifelhaft bleibt, wofür die Nation eigentlich dermaßen dringlich einen fähigen demokratischen Führer braucht: einen vom Zuschnitt eines Kennedy, der einst gleichzeitig den inneren Aufbruch zu neuen Ufern, die Weltraumfahrt und den Vietnamkrieg energisch und entscheidend vorangetrieben hat .