Der Kopf als Revenuequelle
Die Widersprüche des geistigen Eigentums
Das ‚geistige Eigentum‘ ist als internationaler politischer Streitgegenstand öffentliches Thema geworden. Der Umkreis strittiger Ansprüche reicht vom Eigentumsschutz künstlerischer Machwerke bis zum Respekt vor dem Eigentumsrecht an naturwissenschaftlichen Entdeckungen und technologischen Erfindungen – Urheberrechte, Patente, Marken –, das alles will als immaterielles Eigentum geschützt und respektiert sein. Anlass für den
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Systematischer Katalog
Gliederung
- Eine systemgerechte Absurdität des bürgerlichen Erwerbslebens
- Eine Einkommensquelle von Urhebern
- Erfindungen und „Patente“ als Produktivkraft des kapitalistischen Standorts
- Noch ein Feld der Unternehmenskonkurrenz: die „Marke“ und der Schutz der Unternehmensidentität
- Der Geist als Waffe und Streitgegenstand in der internationalen Konkurrenz
Der Kopf als
Revenuequelle
Die Widersprüche des geistigen
Eigentums
Das geistige Eigentum ist eine umstrittene Angelegenheit. Viele mögen nicht mehr einsehen, dass sie für Texte, Software, Musik oder Spielfilme zahlen sollen, wenn sie ohne Aufwand kopiert oder kostenlos aus dem Netz heruntergeladen werden können. Und manche entdecken im Eigentum an „immateriellen“ Gütern die hässliche, ungerechtfertigte Seite des Eigentums, das sie bei handfesten leiblichen Dingen für ganz sachgerecht halten. Dagegen beharrt nicht nur die Mehrheit der Künstler auf dem Recht an ihren Werken, von denen sie auch leben können müssen. Politiker wiederum entdecken am geistigen Eigentum vor allem, dass es zu wenig respektiert wird. Sie haben ein offenes Ohr für die Klagen der Medienkonzerne, die ein lückenlos durchgesetztes Copyright für ihre Profite brauchen. Das sieht die Regierung im Inland schon ganz gut, im Ausland aber nur unzureichend verwirklicht. Da grassieren „Ideendiebstahl“ und „Produktpiraterie“, die deutschen Multis nicht nur ihre Gewinne, sondern „unserer“ Wirtschaft überhaupt den „Vorsprung durch Technik“ klauen. Für führende Wirtschaftsmächte wie Deutschland ist das eine Herausforderung, sich um den Schutz des geistigen Eigentums auch dort zu kümmern, wo fremde Herrschaften über den Umgang mit den reklamierten Urheberrechten, Patenten und Marken entscheiden. In der globalen Konkurrenz ist das geistige Eigentum folglich zum politischen Kampfgegenstand geworden.
Eine systemgerechte Absurdität des bürgerlichen Erwerbslebens
Um mit dem Recht des Urhebers an seinem Werk zu beginnen.[1] Das ist jedermann geläufig: die Produkte von Kopfarbeit kommen, so wie man das auch von denen der Handarbeit kennt, als Eigentum ihrer Produzenten in die Welt. Das ist jedermann so geläufig, dass die Eigenart dieses Verhältnisses und sein Grund gar keines sachlichen Gedankens mehr gewürdigt werden. Denn selbstverständlich ist das nicht. Die Werke der Wissenschaft, Dichtung und Kunst sind ihrer Natur nach allgemein: Ihre Hervorbringung ist darauf berechnet, dass sie verbreitet und vom Rest der Menschheit nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern auch zur eigenen Sache gemacht werden; kein Dichter oder Denker will seine Geistesschöpfungen mit ins Grab nehmen. Die Erkenntnisse über Natur und Gesellschaft sollen nachvollzogen und verallgemeinert, die auf moralische Erbauung gemünzten Botschaften der künstlerischen Phantasie vom Publikum angeeignet und genossen, also zum anerkannten Bestandteil der gesellschaftlichen Bildung gemacht werden. Darüber hinaus lebt der ganze Fortschritt von Wissenschaft und Kultur vom Nachdenken, was andere vorher gedacht haben, um in der Auseinandersetzung damit zu neuen Erkenntnissen zu kommen. Die werden zwar durch die intellektuellen Anstrengungen des Subjekts hervorgebracht, besitzen dann aber eine von Wissenschaftlern und Künstlern getrennte Objektivität, sind also auch in dieser Hinsicht allgemein.[2]
Der moderne Staat, der Wissen und Kultur als
Produktivkraft seiner Ökonomie und Herrschaft schätzt,
will diese allgemeine Verfügbarkeit der Resultate der
geistigen Arbeit. Zugleich widerspricht die
Allgemeinheit des Wissens dem universellen
Zweck, auf den er seine bürgerliche Gesellschaft
festgelegt hat: der Vermehrung des privaten
Geldreichtums. Was für alle Arbeit gilt, gilt auch für
die geistige Arbeit: Ohne den Verkauf ihrer Resultate ist
mit ihr kein Geld zu verdienen; und das setzt die
exklusive Verfügung über das geistige Werk
voraus. Wie gesagt, ihrem Gebrauchswert nach taugen die
Produkte der geistigen Arbeit gar nicht, andere vom
Zugriff auszuschließen: Erkenntnisse kann jedermann
nachdenken, ohne sich ihrer – wie der Mittel der
leiblichen Bedürfnisse – materiell bemächtigen zu müssen,
und sie werden nicht dadurch „weniger“ oder verbraucht,
dass andere sie nachvollziehen, sie sich also zu eigen
machen.[3] Ihre
Hervorbringung ist eben allgemeine Arbeit
.[4] Damit daraus
Privatarbeit wird, die im ökonomischen
Sinne Eigentum schafft, muss die höhere Gewalt
des Staates hinzutreten: Im Urheberrecht fixiert
sie extra den exklusiven Charakter dieser allgemeinen
Arbeit und sichert ihn umständlich, damit das
ausschließliche Verfügungsrecht auch dann Gültigkeit
behält, wenn die Sache, auf die es sich bezieht, längst
unwiderruflich in den allgemeinen Gebrauch übergegangen
ist. Sie verbietet die – vor allem wirtschaftliche –
Nutzung künstlerischer und wissenschaftlicher
Errungenschaften durch andere als den Urheber und regelt
den Zugang zu diesen Produkten der Kopfarbeit über
Lizenz-Vertrag und Geld. Manchem fällt am geistigen
Eigentum auf, dass Eigentum Ausschluss ist; und dass der
seinen Grund und Zweck einzig darin hat, durch
Vorenthalten dessen, was andere brauchen oder nutzen
können, eine Sache zur Geldquelle, nämlich zu einem
Handelsobjekt zu machen, mit dem ihr Besitzer anderen
Geld abnehmen kann. Das Eigentum an materiellen Dingen
zieht nicht annähernd so viel Kritik auf sich – so als ob
das einzelne Dasein dieser Dinge und der Umstand, dass
sie durch den Gebrauch vernutzt bzw. verzehrt werden, sie
„von Natur“ zum Eigentum prädestinieren würden.
Tatsächlich ist es vom politökonomischen Prinzip her gar
nichts anderes, wenn der Staat den Produkten der
materiellen Arbeit den Charakter von Privateigentum
aufdrückt, den auch sie nicht von Natur haben. Auch da
macht ein Akt hoheitlicher Gewalt aus Arbeit
Privatarbeit, also eine Produktion nützlicher Dinge, die
auf gesellschaftliches Bedürfnis berechnet ist, aber
nicht, um es zu befriedigen, sondern um es für den
Gelderwerb des Produzenten auszunutzen. Verschieden sind
daher nur die staatlichen Vorkehrungen, die nötig sind,
um die Definition der jeweiligen Hervorbringungen als
Eigentum durchzusetzen: Bei materiellen Produkten, die es
eben jeweils nur einmal gibt, genügt es, das physische
Wegnehmen der Sache zu verbieten und zu bestrafen; aus
Ideen und Erkenntnissen wird Eigentum erst dadurch, dass
der Staat die Nutzung dieser, sobald hervorgebracht,
allgemein und überall nutzbaren ideellen Produkte
verbietet und seine ganze Gesellschaft entsprechend
überwacht.
Eine Einkommensquelle von Urhebern
Der Staat garantiert dem Schöpfer das ausschließliche
Recht, sein Werk in körperlicher Form zu verwerten
(§ 15 UrhG), sowie den
Anspruch auf eine angemessene Vergütung für die
Nutzung
(§ 11
UrhG).[5] Das Urheberrecht schützt die
eigentumswirksamen Leistungen der geistigen Tätigkeit,
also ihre Vermarktungsfähigkeit, stiftet so in
einer Welt von Eigentümern ein Geldinteresse an der
Produktion immaterieller Güter und ermöglicht zugleich
den Zugang des Geldes zu ihnen.[6] Geld ist mit dem Recht allein
allerdings noch nicht verdient. Ob das Dichter mit ihren
Geschichten oder Sänger mit ihren Liedern tun, hängt im
Normalfall von einem Vermarkter ab, der aus
ihren „Werken“ eine verkaufsfähige Ware macht und deren
Verkauf dann erfolgreich betreibt. Er verwertet sein
Kapital, indem er dem Urheber dessen „absolutes
Zueignungsrecht“ auf sein Werk abkauft.[7] So profitieren in erster
Linie die Medienunternehmen vom Urheberrecht – als
Bedingung dafür, dass es sich auch als das Lebensmittel
für Schriftsteller, Komponisten und Sänger erweist. Nur
dann lebt von ihrem Kopf nicht bloß eine Laus.
Wo Geistiges, Allgemeines als ausschließendes
Privateigentum geschützt wird, gehen der Gesellschaft die
politischen Kontroversen und dem Staat der
Regelungsbedarf beim geistigen Eigentum nicht aus. So alt
wie die Erfindung dieser Rechtskategorie durch den frühen
bürgerlichen Staat ist der Streit um das
Plagiat. Er dreht sich um die in einer Welt von
Eigentümern einzig maßgebliche Frage, wo beim geistigen
Werk die eigene Leistung anfängt und wo eine
bloße Übernahme von Gedankengut eines anderen
vorliegt – was da gedacht oder gedichtet wird,
ist überhaupt nur unter diesem juristischen Gesichtspunkt
von Bedeutung. Das Urteil ist im Normalfall allerdings
alles andere als einfach. Schließlich gibt es genug
Denker und Künstler, die mit einem Einfällchen
bei
einer Theorie hier und einem Modifikatiönchen
bei
einem Kunstwerk dort die Veränderungen herbeiführen,
die dem fremden Eigentum den mehr oder weniger
oberflächlichen Stempel des seinigen aufdrücken.
(Hegel, Rechtsphilosophie,
§ 69). Das erfüllt nicht nur für den
frühbürgerlichen Rechtsphilosophen, der hier offenbar in
eigener Sache engagiert ist, sondern auch für den
modernen Rechtsstaat den Tatbestand von
Diebstahl.
Neben dem Plagiat kennt der Staat noch einen zweiten Diebstahl von geistigem Eigentum: die Raubkopie. Die wird geradezu herausgefordert durch die „körperliche Form“, mittels derer Urheber und Vermarkter die geistigen Inhalte „verwerten“. Bücher, Tonträger, Film- oder bildende Kunstwerke sind solche Formen, wodurch die geistigen Mühen zu einer äußerlichen Sache werden, aus deren Verkauf als Ware sich der erstrebte Geldnutzen schlagen lässt. Die materielle Existenz des „Werks“ ist mechanisch produziert, kann also auch beliebig oft reproduziert werden – ohne jeglichen geistigen Aufwand, wie er für die Herstellung des Originals betrieben werden musste. Seit der Existenz des Druck- und Verlagswesens gibt es das „wilde“ Kopieren der von ihnen vertriebenen Werke. Der Staat stellt das unter Strafe und macht damit das Geistesprodukt, das jeder vervielfältigen kann, zu Eigentum, das von Nichteigentümern nicht vervielfältigt werden darf, jedenfalls nicht aus geschäftlichen Motiven.[8] Mit dem Copyright verbietet er das gewerbsmäßige Kopieren – mit einer großen Ausnahme: für den Eigenkonsum bleibt es erlaubt. Dabei hat der Staat nicht nur das Bildungs- und Informationsbedürfnis seiner Bürger im Auge, sondern vor allem sein eigenes Interesse an der wissenschaftlich-moralisch-kulturellen Bildung des Volkes und der politischen Willensbildung: Der Nachdruck von Werken für den Unterrichtsgebrauch ist prinzipiell erlaubt; für Ausbildung und Forschung darf das gesammelte Wissen der Gesellschaft uneingeschränkt verwendet werden, sofern die Quelle ordentlich zitiert ist; öffentliche Kunstwerke dürfen durch Foto, Film oder Malerei vervielfältigt werden; auch für politische Reden, Zeitungsartikel und Nachrichten in den Medien gilt kein Copyright. Wer davon Gebrauch macht, soll gleichwohl dem Urheber indirekt eine „angemessene Vergütung“ bezahlen. Den massenhaften Angriff auf das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit kontert der Staat mit einer Geräte- bzw. Speichermedienabgabe für die Hersteller von Kopiergeräten und Computern sowie der Schaffung von Verwertungsgesellschaften, um dem geistigen Eigentum die Gelderträge zu sichern, die ihm zustehen.
Und da kriegt die alte Sache vom Diebstahl am geistigen Eigentum neue Brisanz durch den technischen Fortschritt: Das Internet löst das immaterielle Werk von der Bindung an ein physisches Transportmittel, macht es mit einem Tastenklick verfügbar, für jeden, jederzeit und über Ländergrenzen hinweg. Im World Wide Web trifft die Gier, sich kostenlos Texte, Bilder Musik sowie Software aller Art herunterzuladen, die sich als Freiheit feiert, auf die komplementäre Gier, dass auch im Netz der „content“ als Eigentum geschützt ist und als Bereicherungsquelle wirkt.[9] Der Staat sieht sich durch den Konflikt der Interessen zur Regelung herausgefordert, den er gar nicht eindeutig entscheiden will: Das Internet schätzt er als eine gewaltige Geschäftssphäre; deren Wachstum will er nicht schädigen, indem er die Nutzer im Netz, ihr Angebot an wie den Zugriff auf die „Inhalte“ unter den Generalverdacht der Urheberrechtsverletzung stellt. Andererseits ist für ihn selbstverständlich, dass auch im virtuellen Raum das Prinzip des Eigentums seine Geltung behalten muss, was einen Umfang an Überwachung erfordert, von der Honecker und seine Stasi nur hätten albträumen können. Wie auch immer, eines zumindest ist mit der Untergrabung des Urheberrechts durch das Internet sicher: Sie ist eine sprudelnde Einkommensquelle für Rechtsanwälte.
Ganz erledigt ist die Sache damit allerdings nicht. Die für eine moderne Kulturnation zuständige Staatsgewalt mag es bei dem Schutz des geistigen Eigentums nicht belassen. Sie fordert und fördert die Blüte der Wissenschaften und Künste in allen Abteilungen und emanzipiert deshalb in gewissem Umfang die geistige Schöpferkraft der Nation von den Notwendigkeiten des privaten Gelderwerbs. Dass man im Kapitalismus von seinem Kopf mehr schlecht als recht, wenn überhaupt, leben kann, ist dem Staat nicht unbekannt. Mit der Entdeckung des Spins von Elektronen oder der Weiterentwicklung der strukturfunktionalen Methode lässt sich kein Geld verdienen. Deshalb bezahlt der Staat die Forscher an seinen Universitäten gleich selbst, damit die mit ihren Erkenntnisleistungen die Wissenschaft voranbringen, die er als Produktivkraft für seine Wirtschaft und Herrschaft betrachtet. Und da er auch die Dienste der schönen Künste für die Idealisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse schätzt und zugleich weiß, dass Schauspielen, Singen oder Geigen äußerst prekäre Erwerbsquellen sind, subventioniert er Theater und Opernhäuser mit seinen Haushaltsmitteln. So ist dann für beides gesorgt: für die Tauglichkeit der geistigen Arbeit als Einkommensquelle und für die Dienste der Wissenschaftler und Künstler am Fortschritt der Nation.
Erfindungen und „Patente“ als Produktivkraft des kapitalistischen Standorts
Die kapitalistisch gewichtigste Leistung intellektueller
Betätigung ist die Anwendung naturwissenschaftlicher
Erkenntnisse in Gestalt von Erfindungen auf allen
Gebieten der Technik
, die neu sind, auf einer
erfinderischen Tätigkeit beruhen und gewerblich anwendbar
sind.
(§ 1 PatG).
Erfindungen sind erstens das Konkurrenzmittel
des Kapitals; und zweitens erkennt der Staat Wissenschaft
und Technologie als entscheidende Erfolgsbedingungen
seines Kapitalstandorts an. Ganz selbstverständlich geht
er dabei von dem herrschenden Zweck der „erfinderischen
Tätigkeit“ aus: Neue Produkte werden entwickelt,
um mit „innovativen“ Waren „gewerblich“ tätig zu werden,
also auf den Markt zu treten und selbigen dadurch zu
„erobern“ – und nicht etwa um als Gebrauchswerte die
menschlichen Bedürfnisse zu erweitern und zu befriedigen.
Die Erfindung soll sich für das Unternehmen als Schlager
zum Abschöpfen der dort vorhandenen Kaufkraft erweisen,
weil die neuen Produkte noch konkurrenzlos sind und mit
den erzielbaren Preisen seinem Produzenten einen
Monopolgewinn einbringen. Und auch bei neuen
Produktionsverfahren, dem anderen Typus von
Erfindungen, ist das erklärte Anliegen nicht die
Erleichterung der Arbeit und Verkürzung der Arbeitszeit,
sondern die Verbilligung der Produktion, die in
Verkaufspreisen der Produkte resultiert, die
konkurrenzfähig, also niedriger sind als die der anderen
Anbieter und nichtsdestotrotz einen ordentlichen Gewinn
enthalten. Dass die für die Konkurrenz der Kapitale
entscheidende Kostensenkung dabei keine physikalische
oder chemische Eigenschaft der technischen Innovationen
ist, sondern ihre systematische ökonomische Anwendung auf
Kosten der Arbeiter erfordert, unterstreichen die
Unternehmer mit jedem „technischen Fortschritt“:
Verbesserte Maschinerie, innovative Verfahren und neue
Materialien verbilligen die Industrieprodukte nur, wenn
sie die für ihre Herstellung nötige – bezahlte – Arbeit
einsparen. Für den Unternehmer lohnt sich neue Technik,
wenn sie pro Produkt mehr Arbeitslohn spart, als sie
selbst kostet. Sie steigert die Leistung der bezahlten
Arbeit, erlaubt ihm also, relativ weniger davon zu
kaufen, und steigert dadurch den Gewinn auf sein
eingesetztes Kapital. Mit der Senkung seiner
Gestehungskosten führt der Unternehmer den Kampf um den
Markt: Er kann billiger verkaufen als seine Konkurrenten,
seinen Marktanteil auf deren Kosten ausdehnen und die
verfügbare Kaufkraft vermehrt auf seine Konten lenken. So
soll und kann sich die technische Erfindung als Hebel in
der Konkurrenz bewähren: nämlich Lohnkosten – den
Lebensunterhalt der Massen – überflüssig machen, indem
sie die Fähigkeit des Kapitals zur Ausbeutung der im
aktiven Dienst verbleibenden Arbeitskraft erhöht.
Der Staat in seiner Rolle als „ideeller Gesamtkapitalist“ und Garant für die Bedingungen der privateigentümlichen Konkurrenz trägt dem ökonomischen Sachverhalt Rechnung, dass der Kapitalismus vom technischen Fortschritt lebt. Er anerkennt das Interesse der Kapitalistenklasse an „wissensbasierten Innovationen“ als Sachzwang ihrer Konkurrenz und weiß zugleich, dass die Erforschung der Natur für die im Wettbewerb um Geldvermehrung stehenden Unternehmer eine grundlegende Bedingung ihres Geschäfts, aber selbst kein Geschäft ist. Er sieht sich herausgefordert von dem der kapitalistischen Produktionsweise innewohnenden Widerspruch zwischen der Notwendigkeit, alle Potenzen der Wissenschaft als allgemeinen Reichtum der Gesellschaft zu entwickeln und der privaten Form ihrer Aneignung als Geschäftsmittel der Kapitalistenklasse. Diesem Widerspruch stellt sich der Staat, indem er die Entwicklung der Wissenschaft selbst betreibt, die naturwissenschaftliche und technologische Forschung von „kurzfristigen“ Kosten-Gewinn-Kalkulationen und sonstigen privaten Berechnungen befreit, um den Zugriff auf die Produktivkraft Wissen „langfristig“, also verlässlich und dauerhaft zu sichern. Er sorgt für Hochschulen und andere hochkarätige Forschungseinrichtungen, trägt die Kosten für ihre Ausstattung und bezahlt den Lebensunterhalt seiner meist beamteten Wissenschaftler. Zugleich hat der staatliche Förderer der Wissenschaft immer den privaten Geschäftszweck vor Augen, dem alle Forschung dienen muss: Heutzutage fordert er von seinen universitären Forschungsinstituten, ihre Entdeckungen am besten gleich selbst kommerziell zu „verwerten“, zum Beispiel durch angegliederte Technologieparks als „Inkubatoren“ für unternehmerische „Start-ups“; auch für den direkten Zugriff der Wirtschaft soll die Universität sich öffnen, um gemeinsame Forschungsvorhaben zu betreiben, als Garantie für „anwendungsbezogene“ Erkenntnisse.[10]
Die neben und getrennt von der ökonomischen Konkurrenz organisierte eigene Sphäre der Wissenschaft und Forschung produziert die Fortschritte im allgemeinen Wissen, auf das es dem Staat ebenso ankommt wie auf seine private Verwertung als Konkurrenzmittel der Unternehmen. So wird die Wissenschaft zu einer Macht des Kapitals. Die Unternehmen eignen sich das allgemeine Wissen mithilfe bezahlter Kopfarbeiter an. Die angestellten Forscher und Ingenieure entwickeln es für den spezifischen Firmenbedarf weiter, um es in neue Produkte und technologische Verfahren umzusetzen.[11] Mit denen steigert das Unternehmen seinen Gewinn, weil und solange es als einziges über diese „Innovationen“ verfügt.
Den ökonomischen Nutzen aus seinen Erfindungen sieht der Unternehmer daher von seinesgleichen bedroht. Erfindungen haben die Eigenschaft jeder „Idee“: Kaum in der Welt – erst recht dann, wenn die erfinderische Vorstellung reale mechanische Gestalt angenommen hat – kann sie von Konkurrenten theoretisch angeeignet und praktisch nachgebaut werden. Und in den modernen Zeiten des Internet und der „Digitalisierung“ aller Produktionsprozesse, in der die Software die Rationalisierungstechnologie par excellence ist, muss kein Auto oder Smartphone mehr zerlegt werden, um hinter ihr „Konstruktionsgeheimnis“ zu kommen, das man im Übrigen auch nicht mehr begreifen muss. Gelingt dem Konkurrenten der Zugang zur Software, kann er sich die neue Erfindung mit dem Befehl „copy+paste“ vollkommen „mechanisch“ und gratis aneignen. Der äußerst profitable Konkurrenzvorteil der alleinigen „gewerblichen Anwendung“ der Erfindung durch den Technologieführer wird zerstört durch das komplementäre Interesse der Wettbewerber, möglichst schnell selbst die neue Technik zu besitzen. Monopol- und Extraprofite werden nur solange erzielt, wie die Konkurrenten nicht über vergleichbare Technologien verfügen. Nicht das Wissen, sondern der Wissensvorsprung zählt in der Konkurrenz. Die absolute Steigerung der Produktivkraft – an sich eine Vergrößerung des Reichtums der Gesellschaft, weil mit kürzerer Arbeitszeit und weniger Arbeitsmühe mehr Gebrauchswerte hergestellt werden können – ist nur dann von Nutzen, wenn sie auch eine relative ist, d.h. rascher voranschreitet als bei den Konkurrenten; so dass sie mit den neuen billigeren Produkten und kostensparenden Produktionsverfahren von den Märkten verdrängt und ihre gleichartigen Anstrengungen entwertet und zum Scheitern gebracht werden. Erfindungen, die praktische Benutzung der Natur auf Grundlage ihrer theoretischen Beherrschung, sind kapitalistisch wertlos, sobald auch die Wettbewerber über sie verfügen.
Mit dem Patentrecht greift der Staat in den Interessengegensatz ein, der die Konkurrenz der Kapitalisten beherrscht: Er gewährt dem Unternehmer das ausschließende ökonomische Nutzungsrecht an seiner Erfindung. Das Patent ist die Form des geistigen Eigentums, mit der der Staat zwischen der gesellschaftlich verfügbaren technischen Neuerung und ihrer exklusiven geschäftlichen Nutzung trennt. Der Gesetzgeber ermächtigt den Patentinhaber, die Anwendung seiner Erfindung den Konkurrenten zu verbieten, weil er sie alleine nutzen will, oder aber ihnen gegen Gebühren zu erlauben, also die Nutzungsrechte gewinnträchtig in der Form einer Lizenz zu veräußern.[12] Durch seinen Patentschutz garantiert der Staat die Exklusivität der Verwertung der Erfindungen und zugleich die Allgemeinheit der Nutzung neuer Technologien. Er will Innovationen, von denen nicht nur das einzelne Kapital profitiert, sondern mit denen das kapitalistische Wachstum insgesamt an seinem Standort vorangebracht wird. Das ist sein Interesse an dem „technischen Fortschritt“, dementsprechend er das Patentrecht ausgestaltet. Patentierbar ist nur „Neues“ und „gewerblich Anwendbares“, muss also einen Fortschritt in der Entwicklung der Produktivkraft der gesellschaftlichen Arbeit darstellen, einschließlich der perspektivischen kapitalistischen Anwendung im Produktionsprozess. Das Patent wird auf 20 (in Ausnahmen 25) Jahre gewährt, was dem erfindenden Unternehmen beides, die Amortisierung seiner Forschungskosten und einen Extra- bzw. Monopolprofit sichern soll. Durch das zeitliche Monopol stachelt der Staat die Innovationanstrengungen seiner Kapitalistenklasse ebenso an wie durch das eingebaute Verfallsdatum: Dem absehbaren Verlust ihres staatlich gesicherten Konkurrenzvorteils entkommen die Unternehmen nur mit immer neuen patentierbaren Erfindungen; was eben noch Spitzentechnologie war, ist nach kurzer Zeit zum neuen Minimalstandard kapitalistischer Rentabilität am nationalen Standort verallgemeinert. Demselben Ziel beschleunigter „Innovation“ dient die mit dem Recht auf das Patent verbundene Pflicht zur „Offenlegung“: Seine Erfindung darf das Unternehmen geschäftlich exklusiv nutzen, das dahinter stehende naturwissenschaftlich-technische Wissen muss es im Gegenzug für das Patentamt dokumentieren und für jeden einsehbar machen. Damit macht der Staat den neuesten Stand der Technologie für darauf aufbauende weitere Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen in den Unternehmen, aber auch für Forschung und Lehre an seinen technischen Universitäten frei verfügbar.[13] Auf keinen Fall soll das Patentrecht Erkenntnisfortschritte in den Naturwissenschaften und beim technologischen Wissen behindern, weshalb es zwischen schutzwürdigen „Erfindungen“ und grundsätzlich nicht patentierbaren „Entdeckungen“ unterscheidet. So handhabt der Staat den Schutz des geistigen Eigentums als Hebel, um aus seinem kapitalistischen Standort einen Automaten zur laufenden Erzeugung von „innovativen Technologien“ zu machen.
Der durch sein Patentrecht angestachelte Forschungs- und
Erfindungsgeist sorgt dafür, dass dem Staat der
Regelungsbedarf nicht ausgeht. Insbesondere die
Fortschritte in der Bio- und Gentechnologie sind eine
Herausforderung an seine hoheitliche Definitionskunst: Wo
hören „Entdeckungen“ auf bzw. fangen „Erfindungen“ an,
und was soll überhaupt patentierbar sein? Sein
juristisches Machtwort legt fest, dass der menschliche
Körper … keine patentierbare Erfindung sein kann
,
wohingegen ein durch ein technisches Verfahren
gewonnener Bestandteil, einschließlich der Sequenz oder
Teilsequenz eines Gens … eine patentierbare Erfindung
sein kann, selbst wenn der Aufbau dieses Bestandteils mit
dem Aufbau eines natürlichen Bestandteils identisch
ist.
(§ 1a PatG) Mit
derartigen Unterscheidungen und Grenzziehungen schafft er
die rechtlichen Grundlagen für die Konkurrenz der Bio-
und Gentechnikunternehmen um die Patentierung von
Arzneimitteln und Produktionsverfahren, deren Entwicklung
und Wirksamkeit auf der Entschlüsselung des menschlichen
Erbmaterials beruhen. Zugleich kennt der Staat höhere
Interessen, derentwegen der angestachelte Forschungsdrang
und Geschäftssinn der auf „life sciences“ spezialisierten
Unternehmen auch wieder gebremst werden muss: Beim
„menschlichen Leben“ im Allgemeinen und ganz besonders
beim „werdenden Leben“ darf nicht alles gemacht werden,
was technisch machbar ist. Wo es um die Produktion und
Reproduktion des Volkskörpers geht, beansprucht der Staat
das absolute Verfügungsrecht über sein lebendes Inventar;
er dekretiert, was die öffentliche Ordnung oder die
guten Sitten
verlangen, nämlich ein Patentverbot für
das Klonen von menschlichen Lebewesen
, für die
Veränderung der genetischen Identität der Keimbahn
und für die Verwendung von menschlichen Embryonen zu
industriellen oder kommerziellen Zwecken.
(§ 2 PatG)
Ansonsten steht der Staat mit seinem Patentrecht voll hinter den Unternehmen der Biotechnologie und Pharmaindustrie; er sichert ihnen damit Monopolpreise für Arzneimittel, auch wenn die auf der anderen Seite die Kosten seines Gesundheitswesens in die Höhe treiben. Dann muss der Staat sich eben das fehlende Geld von seinen Bürgern holen und dafür sorgen, dass sie aus ihrem knappen Einkommen die Pharmaprofite bezahlen. Denn das hat ihnen um ihrer Gesundheit willen einzuleuchten: In einer Gesellschaft, in der sich alles um das Geld dreht, würde kein forschendes Pharmaunternehmen ohne patentgeschützte Monopolgewinne auch nur ein einziges Medikament entwickeln.
Noch ein Feld der Unternehmenskonkurrenz: die „Marke“ und der Schutz der Unternehmensidentität
Auch die Marke
gehört zu den Gütern, die der Staat
als geistiges Eigentum schützt.[14] Der Markenschutz ist wie
eine Karikatur des Patents, aber in der Welt des
Eigentums gibt es die Kategorie der Karikatur nicht. Was
der Staat da schützt, hat mit geistiger Arbeit nichts zu
tun, sondern betrifft die Identität eines
Unternehmens in der Konkurrenz gegen seinesgleichen auf
dem Markt. Wenn das Unternehmen schon kein
Monopol auf das Produkt hat, weil viele das gleiche
herstellen, dann soll es wenigstens ein Monopol auf das
Zeichen haben, das auf seinem Erzeugnis klebt. Auf diese
äußerliche Erscheinungsweise der Ware gewährt der Staat
ein ausschließliches Recht, das Dritten untersagt,
ohne Zustimmung des Inhabers der Marke im geschäftlichen
Verkehr … identische oder ähnliche Zeichen zu
benutzen.
(§ 14 MarkenG)
Name, Logo und Machart ihrer Produkte betrachten die im
erbitterten Kampf um das Geld ihrer Kundschaft
erfolgreichsten Unternehmen als ihr wichtigstes
„immaterielles Kapital“ und Trumpf für zukünftige
Markterfolge. In der Tat können sie auf die Idiotie des
verbreiteten Markenbewusstseins bauen, das sich
schon längst von seiner Grundlage, einer besonderen
Qualität des Produkts, getrennt hat. Selbstbewusste
Konsumenten stehen loyal zu „ihrer“ Marke. Für das Auto
mit dem Stern, das Smartphone mit dem angebissenen Apfel
oder die Brause mit dem roten Bullen legen sie locker
mehr Geld hin, weil sie zu ihrer anspruchsvollen
Persönlichkeit passen, ihnen mithin auch mehr „wert“ sind
als vergleichbare Produkte. Es gehört zu den Absurditäten
der Marktwirtschaft, dass allein die Exklusivität der
Marke einem Unternehmen Extraprofite einbringt.
Gerechterweise gehört die Nachahmung der auf dem Markt
erfolgreichen Produkte zu den Marketingstrategien von
Wettbewerbern. Das ist für die Markenunternehmen eine
arglistige Täuschung der Kunden, mithin Diebstahl ihrer
„immateriellen Werte“. Der Staat sieht das genauso und
kriminalisiert alles, was seine Gerichte für einen klaren
Fall von Nachahmung halten, als „unlauteren“ Wettbewerb.
Der Geist als Waffe und Streitgegenstand in der internationalen Konkurrenz
Mit dem Rechtsinstitut des geistigen Eigentums verwandelt der Staat die geistige Arbeit in eine Einkommens- und Profitquelle seiner Ökonomie. Das Ganze organisiert er kapitalistisch sachgerecht so, dass „Innovationen“ der Motor des Standorts sind – und vice versa. Der am heimischen Standort monopolisierte Vorsprung in Wissenschaft und Technologie ist für den Staat das Kampfmittel nach außen: in der Konkurrenz gegen und auf Kosten der konkurrierenden Standorte. Die hier tätigen Unternehmen sollen mit der überlegenen Produktivkraft der gesellschaftlichen Arbeit, die sich in patentgeschützten Produkten und Produktionsverfahren verkörpert, und der Exklusivität der „Marke“ den Weltmarkt erobern. Mit dem Export neuer und billigerer Waren sowie Investitionen in eigene Hochtechnologie-Produktionsstätten im Ausland sollen sie den Kampf um die Aneignung der Erträge des globalen Kapitalismus führen, sich bereichern und damit den Reichtum der Nation vergrößern.
Hier sieht der Staat sich erneut herausgefordert: Er muss sicherstellen, dass die Verfügungsmacht über die „innovativen“ Technologien auch exklusives Mittel der auf dem heimischen Standort operierenden Unternehmen ist und bleibt – gerade weil sie ihre Gewinne auf auswärtigen Märkten machen. Also tut er alles in seiner Macht stehende, die anderen Staaten auf den Respekt vor dem geistigen Eigentum festzulegen. Die fremden Hoheiten haben ihre Gewalt in den Dienst des Schutzes des geistigen Eigentums der internationalen Kapitale zu stellen, deren Waren oder Produktionsstätten sich auf ihrem Territorium befinden; sie sollen das fremde geistige Eigentum schützen, als wäre es ihr eigenes. Damit wird ihnen der Widerspruch zugemutet, die heimische Wirtschaft – also die Quelle ihrer nationalen Macht – von der Anwendung der fortgeschrittenen technischen Potenzen auszuschließen, welche die überlegene Rentabilität der ausländischen Konkurrenten sicherstellen. Deren Interesse sollen sie in gültiges Recht verwandeln und damit garantieren. Das wäre „fairer Wettbewerb“. Die so angegangenen Staaten mitsamt der dortigen Unternehmerschaft finden sich mit der verlangten Festschreibung ihres Konkurrenzrückstandes keineswegs ab. Konsequent machen sie sich an die „Ausbeutung“ der Eigenart der „immateriellen Güter“, einmal erfunden und hergestellt allgemein verfügbar zu sein: Sie verschaffen sich Einblick in die im Patent offengelegten Konstruktionspläne oder besorgen sich gleich das fertige Produkt, in dem das erfinderische „Know-how“ vergegenständlicht ist, um mit einem billigen Nachbau dem „Technologieführer“ den Markt streitig zu machen. Es sind nicht nur die Unternehmen im Ausland, die „unser“ geistiges Eigentum klauen, auch die Staaten selbst legen Hand an: Sie beauftragen ihre Ministerien, ihre Forschungseinrichtungen und Geheimdienste mit der systematischen Ausforschung hierzulande geschützter Erfindungen, um eigene moderne Industrien aus dem Boden zu stampfen und den Wettbewerbsvorsprung der „Technologieführer“ aufzuholen. Natürlich lassen auch die führenden Industriestaaten nichts anbrennen und forschen sich wechselseitig aus, zu welchen technologischen Durchbrüchen es der Konkurrent gebracht hat.
Das ändert nichts an dem gemeinsamen Interesse der etablierten Weltwirtschaftsmächte, ihr Monopol an den Fortschrittspotenzen des Wachstums gegen die „Entwicklungs-“ und aufstrebenden „Schwellenländer“ zu verteidigen. Deren Anstrengungen, sich Zugriff auf die fortschrittlichen Technologien zu verschaffen, sind für die führenden Industrienationen identisch mit einem Angriff auf das Recht des geistigen Eigentums und damit auf ihren ökonomischen Besitzstand, gegen den man sich gemeinsam zur Wehr setzen muss:
„Intellectual Property Rights (Geistiges Eigentum) unterstützen Kreativität und Innovation. Die EU muss dieses immaterielle Kapital für Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit schützen. Von der Durchsetzung dieser Rechte innerhalb der EU und weltweit hängen europäisches Wachstum und Arbeitsplätze ab. Wenn Europas Ideen, Marken und Produkte raubkopiert werden, werden Arbeitsplätze in der EU vernichtet. Allerdings sind die Mittel zur Durchsetzung dieser Rechte auf unseren wichtigsten Ausfuhrmärkten bislang begrenzt.“ (MEMO/10/508 der EU-Kommission vom 20.10.10 zum Handelsabkommen zur Bekämpfung von Produkt- und Markenpiraterie – ACTA)
„China muss lernen, mit dem geistigen Eigentum so umzugehen, wie wir das gewöhnt sind, denn das ist Raub, wenn man da einfach kopiert.“ (Merkel, Interview mit dem ZDF am 23. Mai 2006)
Der Kampf von Deutschland und Europa um die Geltung der nationalen und europäischen Regelungen als international verbindliches Regime von „Intellectual Property Rights“ ist eine imperialistische Macht- und Erpressungsfrage erster Güte. Für die Regierungen in Berlin und Brüssel kommt es darauf an, in Verhandlungen mit den anderen Weltwirtschaftsmächten und dem Rest der Staatenwelt eine Welthandelsordnung durchzusetzen, die den globalen Respekt vor dem geistigen Eigentum sichert – und damit ihren Status als bleibende Nutznießer ihres technologischen Vorsprungs festschreibt. Das 1995 im Rahmen der WTO in Kraft getretene TRIPS-Abkommen (Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums) haben sie als Erfolg in diesem Kampf verbucht.[15]
Aktuell sehen sich die EU, die USA und Japan zu neuen Anstrengungen beim geistigen Eigentum gezwungen. Ein immer größerer Anteil ihrer Gewinne aus dem Welthandel und Kapitalexport stammt aus der Anwendung von produktivitätssteigerndem „Know-how“, also „immateriellen Gütern“. Und aus den Schwellenländern sind mittlerweile ernsthafte Konkurrenten geworden, die selbst über die Kapitalgröße und Kreditmasse verfügen, um „Erfindungen“ für das eigene Wachstum auszuschlachten und aus Blaupausen weltmarktfähige Produkte zu machen. Insbesondere China, aber auch Indien, Brasilien oder Russland kommen ins Blickfeld als Nationen, die mit ihrer „Produktpiraterie“ unsere Waren „Made in Germany“ von den etablierten Exportmärkten verdrängen und unseren heimischen Markt mit ihren „Raubkopien“ überschwemmen. In dieser veränderten Konkurrenzlage bekommt die Fähigkeit der etablierten Weltwirtschaftsmächte, ihre Geschäftsordnung des geistigen Eigentums gegen die Aufsteiger zu behaupten, neue Relevanz. In Ergänzung von TRIPS arbeiten sie an neuen Handels- und Investitionsabkommen, die einen besseren Schutz des Urheber-, Patent- und Markenrechts auf dem gesamten Erdball leisten sollen: durch die Bekräftigung von EU- bzw. US-amerikanischem als supranationalem Recht, das nicht nur von allen Staaten übernommen werden muss, sondern diese Staaten endlich auch verpflichtet, Verstöße bei sich tatsächlich strafrechtlich zu verfolgen und zu bestrafen.[16]
Da Europa und die USA die Zustimmung dazu von den unter dem Akronym BRICS zusammengefassten Schwellenländern nicht kriegen, auf die sie andererseits angewiesen sind, schließen sie bi- und plurilaterale Handelsabkommen, die immer mehr dritte Staaten gegen die inkriminierten Sünder in Stellung bringen, um denen ihre Exportmärkte zu entziehen. Die „Drittstaaten“ werden mit ihrem eigenen Interesse am unverzichtbaren Zugang zu den Binnenmärkten von USA, EU und Japan erpresst; sie erhalten eine „geregelte Zulassung“ – um den Preis, dass sie sich gegenüber China und den anderen aufstrebenden Rivalen als verlängerter Arm der Durchsetzung westlicher Rechtsansprüche zu positionieren haben.[17] So kommt der globale Schutz des geistigen Eigentums voran.
[1] In dem
TRIPS-Abkommen (Agreement on Trade-Related Aspects
of Intellectual Property Rights), 1995 im Rahmen
der WTO geschaffen, haben die Staaten im Wesentlichen
die drei disparaten Sachverhalte fixiert, die ihnen als
geistiges Eigentum gelten und zu schützen sind: das
Urheberrecht
garantiert den Schöpfern von
Werken der Dichtung, Wissenschaft und Kunst
ein
Eigentumsrecht an ihnen; der gewerbliche
Rechtsschutz
in Gestalt von Patenten bezieht sich
auf die Resultate geistiger Arbeit, die als
naturwissenschaftliche Erkenntnisse in der Form ihrer
technologischen Anwendung vorliegen; das
Markenrecht
sichert einem Unternehmen die
Exklusivität seines Namens und seiner Produkte und
verbietet die Nachahmung durch Wettbewerber.
[2] Auch wenn im
fertigen Geistesprodukt der Prozess seiner
Hervorbringung und damit seine Bindung an den Urheber
erloschen ist – das ist bei der geistigen
Arbeit nicht anders als bei der körperlichen –,
hält die Gesellschaft die Verbindung von
Geschöpftem und Schöpfer lebendig. Sie pflegt die
Erinnerung an die Urheber der kulturellen Werke und
ehrt die Forscher, indem sie ihre Erkenntnisse nach
ihnen benennt. Die ideelle Zurechnung des Schöpfers zu
seinem Werk, welche die Gesetze der Mechanik ebenso
untrennbar mit Newton verbindet wie die Komposition der
9. Symphonie mit Beethoven, hat mit dem Recht des
geistigen Eigentums nichts zu tun – auch wenn der
Auffassung eines berühmten Rechtsphilosophen zufolge
die Hervorbringung der Sache
identisch ist mit
Eigentum erwerben
(Hegel,
Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 62).
Damit aus dem Werk das Eigentum des Urhebers wird, sind
andere Mächte erforderlich als die Schöpferkraft des
menschlichen Geistes.
[3] Dass Wissen seiner Natur nach der exklusiven Verwendung widerspricht, ist schon anderen aufgefallen:
Wenn die Natur ein Ding am wenigsten tauglich für
alleiniges Eigentum gemacht hat, so ist das die
denkende Kraft, die man ‚Idee‘ nennt, die ein
Individuum nur solange alleinig besitzt, solange es sie
für sich behält; aber in dem Moment, in dem sie
ausgeplaudert wird, bringt sie sich selbst in den
Besitz eines jeden, und der Empfänger kann sich ihrer
nicht entledigen. Ebenso ist es ihr eigentümlich, dass
niemand weniger besitzt, denn jeder besitzt sie als
Ganzes. Der, der eine Idee von mir erhält, erhält damit
Unterweisungen für sich selbst, ohne mich um meine zu
bringen, so wie der, der seine Fackel an meiner
entzündet, das Licht empfängt, ohne mich ins Dunkel zu
stürzen.
(Brief von Thomas
Jefferson, einem der Gründungsväter der USA, an Isaac
McPherson Monticello vom 13.08.1813)
Die theoretische Schlussfolgerung – Erfindungen
können also, ihrer Natur nach, kein besitzbares Gut
sein.
– lässt der bürgerliche Staat nicht gelten
und beweist praktisch, dass sie es doch sein können,
weil er sie gegen ihre Natur dazu macht.
„Ideen“ sind dann Eigentum wie die materiellen Dinge
auch. Bei denen meint auch Jefferson, sie seien von der
Natur so eingerichtet, dass sie zu ausschließendem
Besitz taugen.
[4] Allgemeine Arbeit
ist alle wissenschaftliche Arbeit, alle Entdeckung,
alle Erfindung.
(Karl Marx,
Das Kapital Bd. III., MEW 25, S.114)
[5] „Zu den geschützten Werken der Literatur, Wissenschaft und Kunst gehören insbesondere:
Sprachwerke, wie Schriftwerke, Reden und Computerprogramme; Werke der Musik; pantomimische Werke einschließlich der Werke der Tanzkunst; Werke der bildenden Künste einschließlich der Werke der Baukunst und der angewandten Kunst und Entwürfe solcher Werke; Lichtbildwerke einschließlich der Werke, die ähnlich wie Lichtbildwerke geschaffen werden; Filmwerke einschließlich der Werke, die ähnlich wie Filmwerke geschaffen werden; Darstellungen wissenschaftlicher oder technischer Art, wie Zeichnungen, Pläne, Karten, Skizzen, Tabellen und plastische Darstellungen. Werke im Sinne dieses Gesetzes sind nur persönliche geistige Schöpfungen.“ (§ 2 UrhG)
[6] Die schöngeistigen Bedenken, ob Kunstwerke Waren sein dürfen, weil sie kulturell zu „wertvoll“ seien, um den Massen vorenthalten zu werden, oder die Vermarktung auf Kosten der „wahren“ Kunst ginge, blamieren sich an dem Überlebensinteresse der Künstler: Der Stolz, dass ihr Werk in aller Munde ist, ist das Eine, das Andere ist die Frage, wo ihr Honorar bleibt.
[7] Wo das „Werk“ von bezahlten geistigen Arbeitskräften industriell produziert wird, wie in der Software- oder Filmbranche, gehört es von Anfang an dem Unternehmen; der Urheber ist hier identisch mit dem Eigentümer des Produktionsprozesses.
[8] Kaum blühen Wissenschaft und Kunst in der bürgerlichen Gesellschaft auf, verlangen ihre Aktivisten, dass dieser allgemeine Reichtum als ihre private Bereicherungsquelle vom Staat geschützt wird:
Die allererste Beförderung der Wissenschaften und
Künste ist, diejenigen, die darin arbeiten, gegen
Diebstahl zu sichern und ihnen den Schutz ihres
Eigentums angedeihen zu lassen; wie die allererste und
wichtigste Beförderung des Handels und der Industrie
war, sie gegen die Räuberei auf den Landstraßen
sicherzustellen.
(Hegel,
Rechtsphilosophie, § 69).
Dass Wissen und Kultur dann florieren, wenn mit ihnen Geld verdient werden kann, ist auch der Standpunkt des bürgerlichen Staates; zugleich geht er davon aus, dass Forschung und Lehre selber erst mal kein Geschäft sind und er daher eigenhändig für deren Entwicklung als allgemeine Produktionsbedingung sorgen muss, durch die Einrichtung eines allgemeinen Bildungswesens und die Gründung von Universitäten.
[9] Zur Praxis des
massenhaften, eigentlich verbotenen Downloads hat sich
ein theoretischer Überbau kritischer Menschen
zusammengefunden, die nichts gegen das Eigentum bei
knappen Gütern
haben, aber das geistige Eigentum
in der Wissens- und Informationsgesellschaft
für
einen Anachronismus halten: Das Urheberrecht
verhindert, dass der uralte Traum, alles Wissen und
alle Kultur der Menschheit zusammenzutragen, zu
speichern und heute und in der Zukunft verfügbar zu
machen, der durch die rasante technische Entwicklung
der vergangenen Jahrzehnte in greifbare Nähe gerückt
ist
, Realität wird. (www.piratenpartei.de).
Manche von ihnen fordern die Abschaffung des
Urheberrechts, nicht ohne zu beteuern, dass Künstlern
natürlich ein Anspruch auf Ausgleichszahlung
für
ihre geistigen Mühen zusteht; andere machen sich stark
für eine Open-Source-Bewegung
und halten die
kostenlose Software für das wahre Reich der Freiheit;
und wieder andere versteigen sich zu der kühnen
Vorstellung, die praktische Ignorierung des
Urheberrechts im Netz wäre das Ende des bürgerlichen
Eigentumsbegriffs
und der Anfang des
Kommunismus
: Denn der Ausschluss vom Besitz
schöner und nutzbringender intellektueller Erzeugnisse
– und von dem Wert all dieser Wissenszuwächse für die
Menschen – entspricht nicht länger der Moral, wenn
jedermann sie zu den gleichen Kosten wie jede
Einzelperson besitzen kann.
(dotCommunist Manifesto)
[10] Eine ausführliche Darstellung dazu findet sich in dem Artikel Hochschulreform heute: Das Projekt, Wissenschaft und Ausbildung als Waffe in der Standortkonkurrenz zu effektivieren in GegenStandpunkt 4-05.
[11] Das Eigentum an der Erfindung besitzt das Unternehmen, es hält das „Patent“. Der tatsächliche Erfinder erhält vom Unternehmer gewöhnlich eine „Erfindervergütung“, wie es seinem Status als abhängig Beschäftigtem und seinem Dienst am Firmenerfolg entspricht.
[12] Mit der Lizenz wird das technische Wissen selbst zur Ware und der Handel mit ihm zu einer eigenständigen lukrativen Geschäftssphäre.
[13] Ausnahmen bei der patentrechtlichen Pflicht zur Offenlegung kennt der Staat natürlich auch: er verordnet Geheimhaltung bei den Patenten für „sicherheitsrelevante“ Erfindungen, also insbesondere solchen der Kriegstechnologie.
[14] Als Marke
können alle Zeichen, insbesondere Wörter einschließlich
Personennamen, Abbildungen, Buchstaben, Zahlen,
Hörzeichen, dreidimensionale Gestaltungen
einschließlich der Form einer Ware oder ihrer
Verpackung sowie sonstige Aufmachungen einschließlich
Farben und Farbzusammenstellungen geschützt werden, die
geeignet sind, Waren oder Dienstleistungen eines
Unternehmens von denjenigen anderer Unternehmen zu
unterscheiden.
(§ 3
MarkenG)
[15] Bei der
Aushandlung von TRIPS verlief die Hauptkampflinie
zwischen den führenden Industrienationen und den
Entwicklungsländern, die sich erstmalig in einem
multilateralen Handelsabkommen darauf haben festlegen
lassen, ihre Staatsgewalt in den Dienst am Schutz der
geistigen Eigentumsrechte der multinationalen Konzerne
auf ihrem Hoheitsgebiet zu stellen. Seitdem müssen die
Bauern in der Dritten Welt die Patente von
internationalen Agrarkonzernen respektieren und ihr
Saatgut teuer von Monsanto oder Bayer kaufen. Das
bringt den Agrarmultis außerordentliche Gewinne und den
Entwicklungsländern ein flächendeckendes Bauernsterben.
Die einzigen Zugeständnisse, die sie den
Weltwirtschaftsmächten abhandeln konnten, waren die
Anerkennung des Rechts an ihren genetischen
Ressourcen (biologisches Pflanzen- und Tiermaterial)
und ihrem traditionellen Wissen
und
Zwangslizenzen für lebenswichtige Arzneimittel zur
Bekämpfung bedrohlicher Seuchen
. Wenn ganzen
Dritte-Welt-Staaten ihre Bevölkerung abhanden zu kommen
droht, müssen die globalen Pharmakonzerne ausnahmsweise
einmal die Produktion von Generika zulassen – auf
Kosten ihres patentgeschützten Rechts auf
Monopolprofite.
[16] Das Ziel der
EU ist die Verbesserung des Schutzes und der
Durchsetzung von geistigen Eigentumsrechten in dritten
Staaten. Dieses Ziel wird auf verschiedenen Wegen
verfolgt: a) Multilaterale Abkommen: Die EU ist
Mitglied der WTO (World Trade Organisation) und der
WIPO (World Intellectual Property Organisation), um den
Schutz und die Durchsetzung des geistigen Eigentums zu
verbessern. Die EU war ein Hauptunterstützer von TRIPS
(Trade Related Aspects of Intellectual Property
Rights); b) Bilaterale Handelsabkommen: Die EU
verhandelt eine Reihe von bilateralen Handelsabkommen,
die umfassende Kapitel zum geistigen Eigentum
beinhalten. Diese Kapitel sollten so weitgehend wie
möglich den Regelungen der EU entsprechenden
vergleichbaren Schutz gewähren, wobei die EU auch den
Entwicklungsgrad der betreffenden Länder in Rechnung
stellt; c) Plurilaterale Abkommen: Die EU war beteiligt
an der Aushandlung von ACTA (Anti-Counterfeiting Trade
Agreement), das die Zusammenarbeit der beteiligten
Staaten zur effektiven Bekämpfung von Rechtsbrüchen in
großem Maßstab verbessern soll. Es wurde vom
Europäischen Parlament 2012 abgelehnt.
(ec.europa.eu)
[17] Dieses Ziel
verfolgt auch das große Projekt der transatlantischen
Handels- und Investitionspartnerschaft TTIP: Das
Abkommen wird den hohen Wert zum Ausdruck bringen, den
beide Vertragsparteien dem Schutz des geistigen
Eigentums beimessen, und auf dem bestehenden Dialog
zwischen der EU und den USA auf diesem Gebiet aufbauen.
In den Verhandlungen sollten insbesondere die Bereiche
angesprochen werden, die für die Förderung des Handels
mit geistigem Eigentum beinhaltenden Waren und
Dienstleistungen am wichtigsten sind.
(Generalsekretariat des Rats der EU,
Leitlinien für die Verhandlungen über TTIP zwischen der
EU und den USA) Alles Wissenswerte dazu findet
sich in dem Artikel Mit TTIP zur
Wirtschafts-NATO in GegenStandpunkt 3-14.