Die KPÖ gewinnt in Graz
Die Öffentlichkeit klärt auf: demokratisch mehr als zweifelhaft!
In der zweitgrößten Stadt Österreichs geht die „Kommunistische Partei Österreichs“ als stärkste Kraft aus den Gemeinderatswahlen hervor. Die besorgte Öffentlichkeit stellt sich die Frage, was da wohl los ist.
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Die KPÖ gewinnt in Graz
Die Öffentlichkeit klärt auf: demokratisch mehr als zweifelhaft!
In der zweitgrößten Stadt Österreichs geht die „Kommunistische Partei Österreichs“ als stärkste Kraft aus den Gemeinderatswahlen hervor. Die besorgte Öffentlichkeit stellt sich die Frage, was da wohl los ist.
Zunächst einmal kann beruhigt werden, „mit kommunistischen Fantasien“ der Grazer hat der Wahlausgang nichts zu tun:
„Eine Wurzel des Erfolgs der KPÖ in Graz liegt weit zurück. Im Jahr 1992 baute der Vorgänger der jetzigen kommunistischen Vorsitzenden Elke Kahr, Ernest Kaltenegger, den Mieternotruf auf. Seit damals werden dort Mietverträge und Betriebskostenabrechnungen überprüft, die Rechtmäßigkeit und Höhe von Provisionen, es gibt Beratung bei Schikanen durch Vermieter und bei Kautionsrückzahlungen sowie Hilfe bei Kündigungen und Räumungsklagen.“ (Der Standard, 27.9.21)
Seit Jahren widmet sich die KPÖ der Wohnungsfrage im Kapitalismus – mit Rechtsberatung und tatkräftiger Unterstützung für alle, die mit ihr ihre liebe Not haben: Ob Graz, Wien oder Berlin, das Thema Wohnen reicht bis weit in die Mitte der Gesellschaft
, ist also immer für einen kommunalen Wahlkampf gut. Das macht die regelmäßig guten Wahlergebnisse der KPÖ in Graz ein Stück weit verständlich und für den kundigen Beobachter gar nicht überraschend:
„Doch wer sich ernsthaft mit der steirischen KPÖ auseinandersetzt, wozu spätestens seit Kalteneggers Wechsel vom einfachen Gemeinderat zum Stadtrat 1998 Zeit gewesen wäre, wird bemerken, dass weder er noch Elke Kahr aus dem lokalpolitischen Himmel gefallen sind. Beim Volkshausfest, das jeden Herbst tausende Grazerinnen und Grazer besuchen, steht die Landtagsklubchefin und ehemalige Kindergartenpädagogin Claudia Klimt-Weithaler ebenso am Ausschank wie der Stadtrat und ehemalige Geschichtelehrer Robert Krotzer. Elke Kahr auch mal am Grill... Alle Mandatare der Partei spenden zwei Drittel ihres Gehalts an Sozialfonds. Zum Jahresende wird stets eine Pressekonferenz zum Kassensturz veranstaltet.“ (Der Standard, 29.9.21)
Ob am Griller oder als Hobbyklempner, die KPÖ-Frontfrau samt Gefolge kümmert sich vorbildlich um die Ärmsten der Armen, wenn sie die sozialstaatliche Verwaltung vor Ort um ihr Herz und mit aus den Gehältern ihrer Abgeordneten abgezweigten Mitteln ergänzt. Sie ist stets erreichbar und hat immer ein offenes Ohr für ihre Grazer, statt sich bloß zu Wahlkampfzwecken am Volksfest blicken zu lassen. Sie macht mit dem Versprechen der Politik ernst, sich um die Leute zu kümmern, sie hilft ihnen direkt und unbürokratisch...
Schön, dass es neben all den korrupten Lumpen von Kurz bis Strache und den vielen abgehobenen Lumpen wie Bürgermeister Nagel auch noch so anständige, bescheidene, ehrlich volksnahe Politikerinnen wie Frau Kahr gibt. Viele Grazer finden die KPÖ und ihr Engagement jedenfalls sympathisch und haben ihr ihre Stimme gegeben, was in einer funktionierenden Demokratie ja durchaus auch ein Argument ist.
Die stets wachsame Öffentlichkeit macht es sich in dem Fall nicht so leicht. Auch wenn sie nichts Kommunistisches an der Politik dieser KP zu entdecken vermag, bleibt sie misstrauisch. Die Wiener Zeitung fragt sich: Was würde eine kommunistische Stadtregierung für Graz bedeuten?
und reicht die Frage an einen Grazer Experten vom Fach der Politologie weiter.
„Geld und billige Wohnungen für Arme zur Verfügung zu stellen, eine Anlaufstelle für die Bürger zu sein: Das kann die KPÖ weiter machen und etwa in der Sozial- und Wohnungspolitik fortsetzen. Aber Antworten auf Themen aus anderen Politikgebieten, die sehe ich bisher nicht. Die KPÖ stand bei größeren Projekten bisher immer eher auf der Bremse. Da besteht also die Gefahr, dass es zu einem Stillstand in Graz kommt.“ (Wiener Zeitung, 27.9.21)
Ein erster sachdienlicher Hinweis, der das Misstrauen befeuert: Diese Partei hat offensichtlich die falsche Prioritätensetzung. Es ist ja schön, dass sie sich um die Armen und um die Wohnungsprobleme der Massen kümmert, und das soll sie in verantwortlicher Position dann auch gerne weiter tun. Aber was ist eigentlich mit den anderen „Politikgebieten“? Bremse, Stillstand! Ein erfolgreiches Bemühen um die unausgesprochen guten Zwecke der Politik, um die wirklich wichtigen „größeren Projekte“, die uns alle irgendwie weiterbringen, darf man bei dieser kommunistischen Vereinseitigung auf das Soziale eher nicht erwarten.
Die Redaktion des Standard lässt einen Grazer Soziologen zu Wort kommen, der den Verdacht seines Kollegen noch etwas nachschärfen kann. Genau besehen beackert die KPÖ ihr zwar demokratisch anerkanntes, aber einseitiges Politikfeld des Sozialen auch noch in ganz verkehrter Weise. Sie macht nämlich in Wahrheit keine Sozialpolitik, im Gegenteil, sie unterlässt, was sozialpolitisch geboten wäre:
„Hätte die Grazer KPÖ eine politische Ausrichtung, hätte sie darauf gedrängt, die Zahl der Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter zu erhöhen, um ebenjene Aufgaben wahrzunehmen, denen Elke Kahr und Konsorten in ihren Sprechstunden mit viel Hingabe nachgehen.“ (Der Standard, 2.10.21)
Wer also gedacht hat, der Sozialstaat sei eigentlich ungefähr das, was Elke Kahr praktiziert – Hilfe für in Not geratene Bürger –, der muss sich nicht erst von eingefleischten Marxisten über seinen Irrtum bezüglich der staatlichen Verwaltung der notorischen materiellen Notlagen der lohnarbeitenden Bevölkerung belehren lassen. Der vom Standard eingeladene Experte sagt es ihm: Die ‚sozialen Probleme‘ in die Zuständigkeit der politischen Hoheit zu überführen, das ist sozialstaatliche Politik.
Dass dann auch hoheitliche, von der Not der Bürger zu unterscheidende Gesichtspunkte bei der Betreuung der Armut gelten, ist den Anwälten ordentlicher Sozialpolitik nicht unbekannt. Ein Redakteur des Standard etwa weiß nicht nur, dass städtische Sozialfonds
den Rahmen politischen Handelns
auf dem Feld des Sozialen vorgeben; er besteht darauf, dass sich das in einer ordentlichen Demokratie auch so gehört:
„Kahr und Co argumentieren gerne damit, dass ihr Erfolg vor allem auf humanitäre und populäre Aktivitäten wie Nothilfen, vor allem für Grazer mit Wohnungsproblemen, aufbaue. Das ist richtig und ringt einem – nicht nur wegen des freiwilligen Gehaltsverzichts der KPÖ-Politiker – Respekt ab. Aber letztlich ist das Sozialarbeit nach dem Vorbild der Caritas. Jenseits der städtischen Sozialfonds Geld an Bürger zu verschenken ist letztlich Populismus und ersetzt nicht politisches Handeln. Marx hätte es Almosen genannt.“ (Der Standard, 1.10.21)
Ja, menschlich ist Frau Kahr schwer in Ordnung. Respekt. Aber! Wenn die KPÖ als politische Caritas auftritt, dann liegt der Verdacht der Wählerbestechung nahe – Populismus. Unmittelbare materielle Hilfe ziemt sich nicht als Wahlargument. Ehrliche Politiker versprechen dem Wähler, dass seine Sorgen bei ihnen, in ihrer politischen Verwaltung bestens aufgehoben sind, besser nämlich als bei der Konkurrenz, und sonst nichts. Eine verantwortungsvolle demokratische Kraft lässt dabei keine Zweifel aufkommen, dass die Politik als zuständige Instanz dem Bürger zuteilt, was ihm nach den geltenden sozialstaatlichen Gesichtspunkten zusteht und wofür „städtische Sozialfonds“ überhaupt Geld übrig haben. Damit buhlt sie um seine Stimme. So mag eine seriöse Partei dem bedrängten Bürger gegebenenfalls die bessere Ausstattung, Verwaltung und Zurichtung des Sozialstaats versprechen, aber sie hütet sich jedenfalls davor, diese schöne Einrichtung irgendwie an der politischen Gewalt vorbei ergänzen, d.h. korrigieren zu wollen. Der Wähler soll schließlich – umgekehrt – seine materiellen Nöte in die Frage münden lassen, wer sich als der bessere Verwalter des Staatsapparats mit all seinen fix und fertig eingerichteten Notwendigkeiten eignet, die bekanntlich dafür sorgen, dass es keine „einfachen Lösungen“ gibt.
Wer sich also fragt, was daran verwerflich ist, wenn sich die Kommunisten eine so vorbildliche Organisation wie die Caritas zum Vorbild nehmen, der bekommt die Antwort: Almosen darf die Caritas verteilen, die KPÖ darf es nicht. Wenn ihr schon die Demokratie und ihr Sittengesetz nicht heilig sind, dann soll sie es sich eben von ihrem Hausheiligen gesagt sein lassen: Kommunisten, wie wir sie mögen, sollen doch bitte bei ihren unmenschlichen Dogmen bleiben.
Der KPÖ nützt ihr jahrzehntelang unnachgiebig verfolgtes praktisches Bemühen um Rehabilitierung ihres Kommunismus als einen Wert der Menschlichkeit, gegen den doch keiner etwas haben kann, offenbar wenig. Ja, sie hat sich mit ihrem sozialen Engagement einen Wahlsieg in Graz erarbeitet. In den Augen der Öffentlichkeit sammelt sie damit aber eher keine Sympathiepunkte. Im Gegenteil, mit all ihrem wohlmeinenden Idealismus legt diese Partei offen, dass es ihr um das, um was es hier geht – Vorankommen, statt ‚Stillstand‘ –, nicht geht, und dass sie das, um was es ihr geht – das Soziale –, ganz falsch, nämlich in Distanz und Konkurrenz zum zuständigen Staat betreibt. Mit ihren sozialen Extradiensten blamiert sie nicht den Sozialstaat, sondern an dessen Prinzipien blamiert sie sich.
Den schönen Idealismus des Sozialen nimmt die KPÖ eben viel zu ernst: Was sie in den Augen ihrer Kritiker vermissen lässt, das ist das gewöhnliche und gewohnte Verhältnis zwischen herrschaftlich mit Macht zu betreibender Sache und schönem, volksnahem, sozialem und sonst wie menschenfreundlichem Habitus.
Die ehrenwerte soziale Gesinnung kann insofern auch unmöglich der wahre Antrieb dieser Partei sein. Vielmehr drängt sich in den Augen der öffentlichen Begutachter geradezu die Frage auf: Worum geht es dieser Partei dann eigentlich? Wozu, weshalb besticht sie den Wähler? Für Macht und Pfründe ihrer Bonzen ja irgendwie nicht:
„Also, obwohl die KPÖ Graz weder dem demokratischen Zentralismus genügt (dann hätte das Zentralkomitee der KPÖ in Wien mehr zu sagen) noch Zellen in Betrieben hat und allem Anschein nach auch keinen illegalen Apparat mehr betreibt (um nur drei der 21 Leitsätze zu resümieren), ist sie auch keine postkommunistische Partei. Diese Nachfolgeorganisationen versammelten in den ehemals sowjeteuropäischen Staaten Wendehälse, die vor allem den eigenen materiellen Vorteil im Auge haben. Das kann man der Grazer KPÖ nicht vorwerfen.“ (Der Standard, 2.10.21)
Es ist gerade die Unbestechlichkeit der KPÖ, ihr über jeden Korruptionsverdacht erhabener Anstand samt Bescheidenheit, der gegen sie spricht. Als korrupte Wendehälse wüsste man jedenfalls, woran man bei ihnen ist. Der immerzu beklagte Schacher um Geld und Posten gehört zu einer funktionierenden Demokratie schließlich dazu, wer da mitmischt, ist in ihr angekommen. Bei diesen Kommunisten aber vermisst man nicht nur ihn, sondern auch die sonstigen Insignien des eigenen antikommunistischen Feindbilds.
Damit ist der weitere Indizienprozess auf Schiene gebracht. Demokratischer Zentralismus hin oder her, und illegale Zellen mag es ja nicht mehr geben. Dennoch, der einmal identifizierte Fremdkörper gibt sich immer mehr als solcher zu erkennen, je genauer der aufgestachelte Verdacht hinschaut. Beispielsweise in die Statuten der Partei, die so gar nicht zu ihrer Praxis passen mögen. Da stellen sich dem eingangs zitierten Grazer Politologen schon ein paar Fragen, ob das ganze Auftreten der Partei nicht nur ihren wahren Charakter verschleiert. Und siehe da:
„Bedenklich ist, dass die KPÖ in Graz und in der Steiermark darin offiziell zum orthodoxen Kommunismus, der letztlich auch demokratiefeindlich ist, steht. Das wird nach außen hin nicht gelebt, aber es stellt sich schon die Frage: Warum trennt man sich dann nicht auch formal davon? Macht man das nur aus Nostalgie?“ (Wiener Zeitung, 27.9.21)
Ein Kommentator des Standard gibt diesbezüglich sachdienliche Hinweise:
„Dass sich aber der Vizeklubchef der KPÖ im steirischen Landtag, ein führender, langjähriger Funktionär, erdreistet, mit mehreren Fernsehauftritten in der belarussischen Hauptstadt Minsk die übelste und gewalttätigste Diktatur in Europa in Schutz zu nehmen, und dass seine Genossen über diesen skandalösen Vorfall nicht empört sind, sondern statt eines Parteiausschlusses ‚klärende Gespräche‘ führen wollen, ist eine unmissverständliche Warnung: Auch die Kahr-KPÖ ist mehr als ein karitativer Verein. Sie bekennt sich trotz halbherziger Abgrenzung im Grunde noch immer zum widerlichen politischen Erbe dieser Partei.“ (Der Standard, 5.10.21)
Wen das nicht überzeugt, weil er den Gulag hinter dem praktizierten sozialen Gewissen der KPÖ einfach nicht erkennen mag, der macht sich der Beihilfe zur Verschleierungstaktik der Kommunisten schuldig:
„Wer immer sie [die KPÖ] gewählt hat, trug und trägt dazu bei, dass die Wahrheit über den Kommunismus hinter den Sozialspenden der Grazer KPÖ-Gemeinderäte versteckt wird.“ (Der Standard, 2.10.21)
Sosehr die KPÖ einen gescheiten Herrschaftswillen vermissen lässt, indem sie jenseits der städtischen Sozialfonds Geld an Bürger
verschenkt, gibt sie andererseits dem nachforschenden bürgerlichen Verstand also am Ende unweigerlich zu erkennen, dass sie damit bloß versteckt, worum es ihr in Wahrheit geht: um den guten Ruf totaler Herrschaft.