VW-Skandal – Dieselaffäre – E-Mobilität
Vom imperialistischen Charakter von Stickoxidwerten, Betrugssoftware und Fahrverboten

Im Herbst 2015 erwischt die US-Umweltbehörde einen VW-Diesel mit dem 30-fachen der vom US-Umweltrecht erlaubten Stickoxid-Menge, im Sommer 2017 wird in Deutschland ein Autogipfel anberaumt, den Politik und Industrie für dringend nötig halten, weil das „Vertrauen“ in die deutsche Schlüsselindustrie und damit in den Industriestandort überhaupt beschädigt ist. Dazwischen liegen ein Urteil eines US-Richters, das VW 23 Mrd. Strafe und Entschädigung kostet, die größte Rückrufaktion in der deutschen Automobilgeschichte und ein ausufernder „Diesel-Skandal“, an dessen Ende eben das Schicksal der gesamten Autonation D beschworen wird.

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VW-Skandal – Dieselaffäre – E-Mobilität
Vom imperialistischen Charakter von Stickoxidwerten, Betrugssoftware und Fahrverboten

Im Herbst 2015 erwischt die US-Umweltbehörde einen VW-Diesel mit dem 30-fachen der vom US-Umweltrecht erlaubten Stickoxid-Menge, im Sommer 2017 wird in Deutschland ein Autogipfel anberaumt, den Politik und Industrie für dringend nötig halten, weil das „Vertrauen“ in die deutsche Schlüsselindustrie und damit in den Industriestandort überhaupt beschädigt ist. Dazwischen liegen ein Urteil eines US-Richters, das VW 23 Mrd. Strafe und Entschädigung kostet, die größte Rückrufaktion in der deutschen Automobilgeschichte und ein ausufernder „Diesel-Skandal“, an dessen Ende eben das Schicksal der gesamten Autonation D beschworen wird.

Die Nation ist sich einigermaßen einig, dass als Grund der Malaise auf Seiten der Vorzeigeindustrie beispielloses „Fehlverhalten“ bzw. „Versagen“ inklusive „krimineller Energie“ vorliegt, begleitet von großen „Versäumnissen“ der Regierung wegen „zu großer Nähe“ zur Industrie, so dass die nötige Kontrolle und Aufsicht über die Automanager durch verantwortliche Politiker fehlt. All diese Vorwürfe münden einsinnig in Plädoyers für den zukünftigen Erfolg dieser Industrie, schließlich hängt das Wohl der ganzen Nation davon ab, bilanziert in den Millionen Arbeitsplätzen. Aus der Abhängigkeit des nationalen Lebensprozesses von den Gewinnrechnungen und Markterfolgen des deutschen Industriekomplexes „Automobil“ ziehen von den Politikern über die Öffentlichkeit bis zu den Arbeiter-Organisationen alle denselben Schluss: Diese Rechnungen müssen für die Großunternehmen aufgehen, deren Geschäft muss unbedingt gelingen, weiterhin, und alle Seiten müssen ihren Beitrag leisten, dass das „Vertrauen“ in die Branche, deren Vertreter eben noch der „Verantwortungslosigkeit“ geziehen wurden, erhalten bzw. wiederhergestellt wird.

Dabei kann von „Versagen“ und „Fehlern“ weder auf Seiten der Industrie noch der Politik die Rede sein. Was der US-Bundesrichter aus Kalifornien mit seinem Urteil über schmutzige Diesel in Verruf gebracht und damit aufgedeckt hat, ist die Weltmarktstrategie der deutschen „Vorzeigeindustrie“, worauf sie beruht und womit sie es heute zu tun bekommt.

I. Der globale Erfolg der deutschen Automobilindustrie und seine Gefährdung

1. Die Indienstnahme der Welt als Sphäre eines wachsenden Geschäfts mit dem Automobil

Als unbefangener Fußgänger oder Autofahrer könnte man sich ja mal die Frage vorlegen, was ein VW „Clean Diesel“ an der kalifornischen Pazifikküste überhaupt verloren hat – in einem Land, das selbst die größten Autoproduzenten des Globus beherbergt, das Fließband als Inbegriff der Massenproduktion erfunden und ganz bestimmt nicht auf ein Auto gewartet hat, das die amerikanische Luft um das Vielfache mehr verpestet als die Polizei erlaubt. Eine unbefangene Antwort könnte vielleicht mit dem Faktum beginnen, dass die deutsche Nr. 1 der Autohersteller die von dem kalifornischen Bundesrichter verfügte Zahlung von 23 Milliarden Dollar oder Euro in bar begleichen kann und das auch tatsächlich widerspruchslos tut. Offenbar sind da auf Seiten VWs kapitalistische Geschäftsmittel unterwegs, die in ihrer Größenordnung so bemerkenswert sind wie die Ansprüche VWs an sein Geschäft, derentwegen es die Begleichung der Summe für unbedingt notwendig hält: Es geht darum, sich seine weltweite Geschäftsfähigkeit im Allgemeinen und die auf dem Territorium des US-Staats im Speziellen zu erhalten; denn VW hat sich längst die ganze Welt, d.h. den riesigen globalen Mobilitätsbedarf zum Mittel für die Vermehrung seines privaten Vermögens gemacht. Allein dieser deutsche Konzern lässt in 20 Ländern auf vier Kontinenten zehn Millionen Fahrzeuge pro Jahr produzieren und verdient mit dem lohnenden Verkauf dieser seiner Weltautos in 150 Ländern ca. 200 Milliarden Euro.

Bemerkenswert ist an dem Gebaren weltgewandter Kommandeure deutscher Konzerne, mit welcher, quasi zum Rechtsanspruch gediehenen, Selbstverständlichkeit sie die ganze Welt nach den zwei Kriterien ‚Markt‘ und ‚Produktionsstandort‘ durchmustern: Nach der einen Seite prospektieren VW & Co die Länder der Welt nach der Zahlungsfähigkeit in einem potenten, werthaltigen Geld. Darauf haben es die Konzerne abgesehen: auf den Geldreichtum der Welt, den sie sich durch den Verkauf ihrer Produkte in steigender Proportion aneignen wollen. Dafür und danach sortiert ein modernes Kapital dieser Größenordnung die Länder; die stellen sich ihm als eine Hierarchie guter bis schlechter Teilmärkte dar, die sich aufaddieren zu einer Art grenzenlosem Markt, der die kalkulierten Überschüsse für das angelegte Kapital einzuspielen hat.

Auf der anderen Seite werfen deutsche Automanager von ihren Zentralen in Wolfsburg, Stuttgart oder München aus noch einen zweiten Blick auf die Welt als Produktionsstandort. Wenn sie in irgendeinem Erdenwinkel ihre Investitionen in produktive Anlagen tätigen, rechnen sie es sich gerne hoch an, dass sie die wirtschaftliche Entwicklung vor Ort voranbringen, Steuergelder produzieren und brasilianischen, portugiesischen oder slowakischen Arbeitnehmern das größte Gut zukommen lassen, das für Menschen ohne Vermögen überhaupt drin ist: Arbeitsplätze, von denen sie leben können und müssen, und zwar die vergleichsweise besten, die der globale Kapitalismus so zu bieten hat. Was in dieser Propaganda selbstbewusster Manager ein bisschen verlorengeht, ist ihr Interesse, dessentwegen sie ganze Nationen quer über den Erdball in einem Vergleich antreten lassen, den sie veranstalten: Was taugt der eine oder andere Landstrich mit seinem gesamten belebten und unbelebten produktiven Inventar als Produktionsstandort, d.h. als Mittel, ihre Produktion auszuweiten bzw. billiger und damit ihren Konzern noch rentabler zu machen? Zusammengenommen – und das sagt etwas über die erreichte ökonomische Macht solcher Industriekonzerne – begutachten sie die Staaten dieser Welt als mehr oder weniger taugliche Anhängsel ihres Kapitalwachstums, die ihnen für die rentable Produktion und den lohnenden Verkauf von Automobilen zur Verfügung stehen.

Was die aufgeklärten Welt-Automanager mit ihrer Prospektion des Globus ausnützen, ist das, was gerade im heutigen Deutschland als „regelbasierte“ globale Weltordnung beschworen wird, weil sie seit Trumps Amtsantritt prekär geworden ist. Die „Regeln“ haben ihre Substanz in wechselseitigen Verpflichtungen souveräner Staaten. Die haben sich unter Anleitung der USA, unterstützt von einer Handvoll westlicher Staaten vom Range Deutschlands, auf einen kategorischen Imperativ festlegen lassen, der lautet: Weltweite Freiheit des kapitalistischen Geschäfts, das ist die alternativlose Lebensgrundlage der Staatenwelt! Dafür stehen sie mit ihrem Gewaltmonopol ein, deshalb haben sie in zahllosen Verträgen und Abkommen feinsäuberlich die diesem Imperativ entsprechenden Bedingungen des grenzüberschreitenden Geschäftsverkehrs vereinbart. Die zum internationalen Recht gediehene Verpflichtung auf eine im Prinzip freie Konkurrenz über die nationalen Grenzen hinaus offerieren sie den Konzernen in aller Welt als Angebot. Um die national nützliche Ausgestaltung dieses Angebots und die Bewältigung der Konsequenzen, die diese globale Konkurrenz der Konzerne für die einzelnen Nationen bedeutet, ringen die Staatsmacher dann wiederum unter- und gegeneinander.

Gar nicht zu überschätzen ist in dieser Hinsicht der Beitrag der deutschen Staatsmacht, die ja nicht nur für eine verkehrstechnische Entwicklung Deutschlands gesorgt hat, die keine Wünsche der ‚Automobillobby‘ offenlässt, sondern mit der Etablierung der EU und ihres europäischen Binnenmarkts dem deutschen Automobilkapital gleich ganz Europa erschlossen hat, so dass deutsche Unternehmen diesen kontinentweiten Markt wie einen erweiterten Heimatmarkt für sich nützen können. Von Zaragoza bis Bratislava verdienen sie unter europäisch einheitlich geregelten Wachstumsbedingungen ein und dasselbe stabile Weltgeld. Unter diesem einheitlichen Geldmaßstab dominieren die deutschen Konzerne mit ihrer Größe und Rentabilität unmittelbar den europäischen Vergleich der Kapitalproduktivitäten und damit den Kampf um die ‚Kostenführerschaft‘, an der sich die Konkurrenz auf dem Markt abzuarbeiten hat. Im profitabelsten Marktsegment, den hochpreisigen Automodellen, haben sich Deutschlands Konzerne ein Quasi-Monopol erwirtschaftet; und auch dort, wo sie nicht die niedrigsten Herstellungskosten definieren, jagen sie dank ihrer Kapitalgröße ihren europäischen Mitbewerbern mit Dumpingpreisen für Golfs und Polos Marktanteile im stagnierenden EU-Gesamtmarkt ab. Mit den Restbeständen der niederkonkurrierten west- oder südeuropäischen Autoproduktion hat die deutsche Automobilindustrie genauso viel anfangen können wie mit den Hinterlassenschaften des Realen Sozialismus im Osten Europas: Aus spanischen Werken sind VW-Filialen geworden, Tschechien und die Slowakei haben ihre ebenso qualifizierte wie disziplinierte, aber mit dem Ende des Ostblocks unbrauchbar gemachte Arbeiterschaft als Billigangebot den kapitalkräftigsten Konzernen zur Verfügung gestellt, und allen voran VW hat sich die Überreste der realsozialistischen Autoproduktion angeeignet und sie mit der Kombination von billigster Arbeit und modernster Produktionstechnik zu weltweit erfolgreichen Marken des Gesamtkonzerns aufgemöbelt. Die sorgen für Konkurrenz im Konzern selbst, was denn auch nicht ohne Wirkung auf die Fügsamkeit von Beleg- und Gewerkschaften in den deutschen ‚Hochlohn‘-Stammwerken bleibt.

Die USA, Weltmacht Nr. 1, Urheber und Garant dieses globalen Kapitalismus, haben in den Krisenjahren seit 2008 gerade auch hinsichtlich ihrer Automobilindustrie erfahren, was es heißt, das nationale Geschäftsleben dem System der international freien Konkurrenz der Kapitale überantwortet zu haben: Deutsche und japanische Hersteller haben im Verdrängungswettbewerb um die – gemessen an den Wachstumsansprüchen der Massen von investiertem Kapital – zu kleine Zahlungsfähigkeit auf dem US-Markt ihr strategisches Ziel erreicht, zwei der drei amerikanischen Konzerne nach allen marktwirtschaftlichen Maßstäben zu ruinieren. Eines ihrer entscheidenden Kampfmittel war die Ausnützung US-amerikanischen Territoriums als rentablen Produktionsstandort, von dem aus man der heimischen Industrie in Detroit das Leben schwer gemacht hat: Die auswärtigen Konzerne haben in den Südstaaten die Kombination von Subventionen, gewerkschaftsfreien Zonen mit anspruchsloser Billigarbeit und modernster Produktivität erfolgreich als Waffe gegen die etablierten US-Hersteller genutzt. Dass General Motors und Chrysler als Konkurrenten am Markt geblieben sind, ist der konkurrenzlosen Finanzmacht der Weltmacht Nr. 1 zu verdanken; sie hat mit zig Milliarden Staatskredit ihre zwei bankrotten Multis gerettet, um sie als nationale Reichtumsquellen gegen die Gewinner der Krisenkonkurrenz aus Deutschland und Japan zu erhalten.

Den mit Abstand größten Beitrag zum globalen Wachstum der deutschen Autoindustrie liefert die Volksrepublik China. Den Beschluss der chinesischen Staatsführung, ihre Volksrepublik mit Hilfe auswärtiger Multis zu einer kapitalistischen Nation umzubauen, haben die drei großen deutschen Konzerne von Anfang an ausgenützt: Für den Aufbau einer Autoindustrie exportierten sie längst abgeschriebene Produktionsstraßen nach China und führten sie einer lukrativen Zweitverwertung zu. Teilen des chinesischen Volkes schenkt das deutsche Kapital eine doppelte Aufmerksamkeit: als billigst zu habende Arbeitskräfte und als zukünftige Kunden, die den Konzernen ihre Produkte abkaufen sollen. Bei der dafür nötigen Aufrüstung Chinas zum modernen Autostandort setzen die deutschen Konzerne ihre Macht über die technischen Mittel der Produktivitätssteigerung mit Hilfe des Patent- und Produktrechts ausgiebig ein, um die chinesischen Partner in den Joint Ventures, so weit es eben geht, von der Teilhabe an technologischen Potenzen der Kapitalverwertung auszuschließen und Produktivitätsvorsprünge auf dem Felde des Verbrennungsmotors gegenüber den Konkurrenten zu behaupten. Jenseits des Erfolgs, aus ansehnlichen Teilen einer guten Milliarde blauer Ameisen zahlungsfähige Autofahrer gemacht zu haben, ist es der deutschen Autoindustrie gelungen, der neu entstandenen Oberschicht – Kapitalisten, Führungselite und wohlhabende Parteifunktionäre – beizubringen, dass ihr Repräsentationsbedürfnis für ihren Geldreichtum am besten beim Kauf teurer deutscher Luxuslimousinen aufgehoben ist. Insgesamt ist so mit China der weitaus größte und profitabelste Einzelmarkt der Welt entstanden, mit Wachstumsraten, die den sinkenden Renditen in der krisenhaften Konkurrenz auf den etablierten Märkten entgegenwirken.

Deutsche Autokonzerne sind also Protagonisten in einer Konkurrenz, die angesichts überfüllter Märkte und im Gefolge krisenhafter Einbrüche des globalen Automobilgeschäfts darum geht, sich auf Kosten anderer eine ‚marktbeherrschende Stellung‘ im ‚Verdrängungswettbewerb‘ zu sichern: entscheidende Marktanteile zu erobern und möglichst viele Marktsegmente zu besetzen; die Konkurrenten dauerhaft aus dem Markt herauszudrängen; ihnen das Mithalten im Preiskampf und damit ihre Behauptung im Markt mit allen Mitteln zu verunmöglichen, um sie am besten ganz loszuwerden oder zu übernehmen – kurz: indem man darum konkurriert, sich, soweit es geht, ein Marktmonopol zu erobern. Die Mittel und Methoden für diesen Kampf kommen nicht erst unter den Bedingungen einer globalen Krise des Geschäfts zum Einsatz; dann aber, wenn es für alle um das geschäftliche ‚Überleben‘ geht, dienen sie dem Zweck, die Konkurrenten zu ruinieren. Da gilt es, Montagewerke rundzuerneuern, um die Arbeit ergiebiger zu machen, Arbeitskosten im großen Stil einzusparen, überflüssig gemachte Belegschaft abzustoßen, durch billigere Arbeitskräfte zu ersetzen, die man an den hochmodernen Roboterstraßen möglichst rund um die Uhr einsetzt, um mit dem erreichten technischen Fortschritt die produktiven Mittel der anderen Konkurrenten zu entwerten; dazu gehört, mit teureren oder billigeren, größeren oder kleineren, längeren oder kürzeren, auf jeden Fall „innovativen“ automobilistischen Kreationen neue Bedürfnisse nach eben diesen zu wecken, überhaupt mit der richtigen Modellpolitik den Markt bis in die letzten Nischen zu besetzen, die man möglichst exklusiv gewinnbringend bedient; wenn es sein muss, auch (zeitweilig) ohne Gewinn, sofern das dazu beiträgt, die Konkurrenz aus dem Markt zu werfen. Weil die Durchschlagskraft dieser Strategien mit der vorhandenen Kapitalgröße steht und fällt, zählt auch die Kombination von Nutzung und Ausschaltung von Wettbewerbern via Fusion zu den probaten unternehmerischen Rezepten; gegebenenfalls und ganz unabhängig davon bringt es aber auch ein Kartell zwischen Konkurrenten, um Dritte zu vernichten. Usw. usf.

In diesem Kampf ums Monopol auf den globalen Automärkten entwickelt die europäische und insbesondere die deutsche Autoindustrie die Diesel-Technologie zu ihrem besonderen Konkurrenzmittel, mit dem sie auf dem europäischen Binnenmarkt durchschlagenden Erfolg hat. Gerade für den europäischen Marktführer Volkswagen ist das die Basis dafür, mit seiner neuen, daheim schon flächendeckend durchgesetzten, umweltmäßig vorgeblich so vorbildlichen TDI-Dieseltechnologie den riesigen, bis dato noch mit Benzinern aller Weltkonzerne vollgestellten US-Markt zu erobern.

2. Das staatliche Vorschriftenwesen für die deutsche Erfolgsstrategie „Dieseltechnologie“ – ein politisches Wachstumsmittel und -hindernis

Von diesem Konkurrenzkampf um die Monopolisierung der Gelderlöse aus dem weltweiten Autogeschäft ist der deutsche Staat im Verein mit seinem supranationalen Bündnis EU nicht nur betroffen, indem er die Wirkungen dieser Konkurrenz auf die nationalen Bilanzen als Erfolge oder Misserfolge registriert. Die politischen Standortverwalter agieren auch als Aktivisten, die sich parteilich für die Erfolge ihrer Kapitale starkmachen. Was in dieser hoheitlichen Besitzzuschreibung steckt, machen EU und Deutschland mit der Art und Weise deutlich, wie sie ihren Binnenmarkt in Sachen Umweltstandards für das globale Automobilgeschäft regulieren.

Ausgeschlossen wird von diesem kontinentalen Markt niemand, das sind sie sich bei der kapitalistischen Benützung der ganzen Welt, der sie sich aus nationalem Interesse verpflichtet haben, schuldig. Die Vorschriften für die Zulassung von Automobilen in der EU, die für alle Hersteller gelten, nehmen sie allerdings von vornherein als Konkurrenzmittel der in Europa beheimateten Kapitale ins Visier, mit deren Ausgestaltung sie die Konkurrenzergebnisse in ihrem Sinne manipulieren wollen: Europäische Standorthüter verkünden gerne, dass die europäischen Klimaziele nur mit dem Diesel zu erreichen sind. Warum nicht mit dem so sparsamen Hybrid oder gleich dem E-Motor? Die Politik bekennt sich ausdrücklich zu der Technologie, mit der Europas Hersteller auf dem europäischen Markt die allergrößten Geschäftserfolge gegen ihre Konkurrenten einfahren und darüber die stärksten Erfolgsmittel erwerben. In der politischen Ausgestaltung der notwendigen, aber kostenträchtigen Schranken für die Verpestung der Luft – Rücksichtnahme auf Mensch und Natur muss in der kapitalistischen Rechnungsweise ja politisch erzwungen werden – nehmen sie daher generell auf die Erfordernisse besondere Rücksicht, die diese Technologie generiert bzw. verträgt: Die CO2-Grenzen sind streng gefasst, die NOx-Werte eher großzügig, die Industrie erwirkt in Kollaboration mit der Kommission großzügige Ausnahme- und Überschreitungsregeln.[1] An diesen Vorgaben, deren Erfüllung die Politik den deutsch-europäischen Auto- und Zulieferkapitalen, die sich auf die Perfektionierung der Dieseltechnologie spezialisiert haben, zutraut, darf sich der Rest der Welt abarbeiten.

In dieser Weise wird die EU als supranationale Aufsichtsbehörde dem Interesse der europäischen Staaten am Verlauf der Konkurrenz gerecht: Mit ihren auf dem europäischen Binnenmarkt geltenden Vorgaben fördert sie Europas Kapitale und nötigt außereuropäische, sich an diesen Regeln zu bewähren, wenn sie in der EU verdienen wollen.[2] Die Staaten der EU systematisieren so die Scheidung der global agierenden Konzerne in ihre und fremde. Mit den verhängten Bedingungen des Geschäfts fördern sie die jeweiligen Multis parteilich in deren Kampf um die Monopolisierung der Erträge, und sie beanspruchen sie damit zugleich als ihre staatlichen Reichtums- und Machtquellen, die vom Steueraufkommen über die auf ihrem Hoheitsgebiet aufgestellten Arbeitsplätze bis zur weltweiten Verwendung ihres Geldes zum Konkurrenz-Erfolg der Nation beitragen.

Als national rechnende und zugleich führende Macht in Europa gibt sich Deutschland mit einer bloßen Beteiligung an dieser Art europäischer Konkurrenz um die Erträge aus dem Autogeschäft nicht zufrieden. Die deutschen Standortverwalter sind sich angesichts der Marktverhältnisse sicher, dass die Gewinne nicht für alle europäischen Hersteller reichen, und bestehen daher auf Regelungen, die exklusiv vorteilhaft für die deutsche Autoindustrie sind.[3] Die deutsche Politik arbeitet also auch in Europa die Gegensätze zwischen den Staaten so richtig heraus und weiß dann schon sehr genau, was sie an VW, BMW und Daimler hat und an Renault oder Toyota nicht. Die deutschen Konzerne wissen wiederum, was sie an ihrem Staat haben, spätestens dann, wenn sich noch die laxesten Umweltstandards als Schranke für das deutsche Erfolgsmittel „Diesel“ erweisen, weil der Anspruch auf ein profitträchtiges, also niedriges Kostenniveau mit den technischen Erfordernissen eines in Komfort, Leistung und Haltbarkeit konkurrenzfähigen Produkts in Konflikt gerät.[4] Den löst die deutsche Autoindustrie im Bewusstsein ihrer ökonomischen Macht und im Vertrauen darauf, dass ihre nationale Regierung all das deckt, mit dem flächendeckenden Einsatz ihrer Betrugssoftware, mit dem sie das staatlich verfügte Abgasregime aushebelt. Diesen Betrug organisieren die deutschen Konkurrenten als nationales Industriekartell und machen ihn dergestalt haltbar, dass er als nationales Konkurrenzmittel gegen die anderen Hersteller taugt.

Der Volkswagenkonzern, der mit dem propagierten „Clean Diesel“ den US-Markt erobern will, traut sich diesen Betrug auch auf dem Hoheitsgebiet der Weltmacht Nr. 1 zu, wo er aus denselben Kostengründen umso nötiger ist. In den USA trifft VW nämlich auf einen Markt, der genau umgekehrt wie in Europa v.a. strenge NOx-Werte verlangt, die vom Diesel nur mit noch größerem technischem, also Kostenaufwand zu erreichen sind. Die amerikanischen Behörden fördern eben aus ihren staatlichen Konkurrenzerwägungen ihre amerikanischen Benzin-Schlucker zu Lasten des Diesel. Daran will ein erfolgsverwöhnter deutscher Multi allerdings seine Wachstumsstrategie nicht scheitern lassen...

3. Die Dieselaffäre und andere Herausforderungen für das deutsche Weltgeschäft mit dem Automobil

In den USA wird die Aufdeckung des Software-Betrugs zum kostspieligen Störfall für den VW-Konzern, weil der US-Bundesrichter stur das geltende Recht durchsetzt und sich zum verlängerten Arm der privaten Entschädigungsansprüche macht – und kein politisch übergeordnetes Interesse am US-Standort die mit der verhängten Strafzahlung verbundene enorme Schädigung des Verursachers relativieren will, im Gegenteil: Das US-Justizministerium nimmt den deutschen Konzern zusätzlich unter Aufsicht, VW hat die 23 Milliarden Dollar zu zahlen, der Börsenkurs halbiert sich zeitweise, und der gesamte Konzern ist in der Krise. Mit dem ‚Skandal‘ in den USA ist schlagartig auch das ganze Dieselgeschäft von VW nachhaltig infrage gestellt – und nicht nur das.

An der Ausweitung des VW-Skandals zur nationalen „Diesel-Affäre“ wird deutlich, dass nicht nur die Konkurrenzstrategie von Volkswagen gefährdet ist, sondern die der gesamten deutschen Branche, die auf den Verbrennungsmotor und dabei vorrangig auf den Diesel ausgerichtet ist. Bedroht ist damit eine ganze Standortstrategie Deutschlands, die im ertragreichen Gebrauch dieser Erfolgstechnologien besteht, die Deutschlands Konzernen immerhin so etwas wie die globale Marktführerschaft eingebracht hat und gegen die Hybridstrategie Toyotas und die noch in Entwicklung begriffenen Ansätze einer globalen Umorientierung von potenten Staaten und ihren Kapitalen auf ‚E-Mobilität‘ gerichtet ist. Berechnet war diese Strategie darauf, sich zwar für den Kampf um den ‚Zukunftsmarkt Elektroauto‘, und was dafür alles an technologischen Mitteln und Fähigkeiten erfordert ist, zu rüsten – wie man erfährt, sollen inzwischen die deutschen Großunternehmen die Hälfte aller Patente in dem einschlägigen Segment besitzen –, sich aber vorzubehalten, wann sich der großangelegte Einsatz dieser neuen Technologie nach den eigenen Gewinnmaßstäben und im Verhältnis zu den bisher eingesetzten Erfolgsmitteln wirklich lohnt; also in Rechnung zu stellen, was es dafür erst noch national und international alles an Voraussetzungen, an Standortgegebenheiten, politischen Vorgaben und geschäftlichen Erfolgsbedingungen braucht, deren Ausnutzung bzw. Herstellung man sich mit seiner Kapitalmacht selbstverständlich zutraut. Solange sorgt man dafür, den Markt mit konventionellen Fahrzeugen zu ‚besetzen‘. Diese Strategie ist, ausweislich der Rekordgewinne und steigenden Marktanteile, für die deutschen Konzerne außerordentlich gut aufgegangen, verschlafen hat ‚unsere Autoindustrie‘ da gar nichts.

Allerdings sieht sich diese Standortstrategie inzwischen ohnehin durch Konkurrenzoffensiven von auswärts herausgefordert. Andere Nationen und ihre Kapitale forcieren den Umstieg auf die E-Mobilität nach ihren Kriterien und damit gegen den deutschen Standort und die Weltmarktführerschaft seines Automobilkapitals, was in dem Ausspruch des Baden-Württembergischen Ministerpräsidenten Kretschmann kurz und bündig zum Ausdruck kommt: Im Westen Tesla, im Osten China.[5] Von dort und nicht nur von dort wird das ‚Modell Deutschland‘ des Autokapitals mit seinem Anspruch, den sog. Umbruch in der globalen Autoindustrie nach eigenem Zeitplan und Kalkül zu betreiben, bedroht.

Was z.B. Tesla angeht, so sorgt die ökonomische Macht des weltweit überakkumulierten Finanzkapitals, das nach lohnender Anlage sucht, dafür, dass aus der kalifornischen Geschäftsidee, für nachhaltige Verkehrsmittel zu sorgen, tatsächlich ein ernst zu nehmender Konkurrent auf dem ‚Zukunftsmarkt‘ zu werden droht. Der produziert zwar nach zehn Jahren immer noch nur ein Prozent der Menge an Autos, die Ford auf den Markt wirft, und macht jährlich Milliarden Verluste, ist aber eben an der Börse mehr wert als der arrivierte Weltmarktchampion, weil die Spekulanten auf die Ausweitung seines Geschäfts setzen: Mit dem zur Verfügung stehenden Kredit im Verein mit einem japanischen Batteriehersteller tritt Tesla mit dem Anspruch an, seine Elektroautos zum massentauglichen Geschäft auszubauen und so gerade den deutschen Luxusherstellern künftig entscheidende Anteile am globalen Automarkt abzujagen.[6]

Und was die Volksrepublik China angeht, so sorgt dort die politische Macht für eine einschneidende Neudefinition des Geschäfts auf dem weltgrößten Markt für Automobile. Die chinesische Führung nimmt die schönen Wirkungen der Konversion ihrer Republik zur Autonation auf Land und Leute – die chinesischen Großstädte gehören mittlerweile zu den smogverseuchtesten der Welt – zum Anlass, das Geschäft mit konventionellen Autos zu beschränken und in großem Stil das Geschäft mit strombetriebenen Autos zu fördern.[7] Dabei geht es erkennbar nicht nur um einen technischen Umbruch. Die neuen Vorschriften zielen politökonomisch auf die Entwicklung von Technologien für E-Autos und Batterien zu konkurrenzfähigen Kosten – und zwar diesmal unter der Regie chinesischer Unternehmen: Der chinesische Staat will die existierenden und immer noch nötigen Beteiligungen ausländischer Konzerne dafür instrumentalisieren, bei sich eine weltmarktfähige eigene nationale E-Auto-Produktion zu stiften. Gleichzeitig unternimmt er größte Anstrengungen, den eigenen Standort zum Markt für die neue Generation von Autos herzurichten. Ausgehend von Markterfolgen daheim ist diese Strategie auf die Eroberung der Märkte der Welt mit chinesischen E-Produkten berechnet. Mit dem staatlich beschleunigten Umstieg auf die E-Mobilität soll das Kapital vom nationalen Standort aus also den westlichen, koreanischen und japanischen Kapitalen den Rang als Technologieführer und -eigentümer bestreiten, China seinen Status als gigantische Auto-Werkbank mit sehr beschränktem Zugang zur Spitzentechnologie endgültig loswerden und umgekehrt zur kapitalistisch führenden Nation in Sachen E-Auto und Batterietechnik aufsteigen, die selbst anderen die Konkurrenzmaßstäbe setzt. Eine Ansage, die Deutschlands profitabelsten Markt, das Heimatgeschäft und überhaupt seine führende Stellung in Sachen ‚Mobilität‘ bedroht.[8]

Und schließlich droht aus Amerika ja auch noch eine ganz andere Gefahr: Jenseits der heißen Spekulation um die profitträchtigste Antriebstechnologie braucht der amtierende US-Präsident Trump noch nicht einmal überhöhte Stickoxidwerte von deutschen „Clean Dieseln“, um mit Verlauf und Ergebnis der weltweiten Konkurrenz ums Geldverdienen dermaßen und derart unzufrieden zu sein, dass er deutschen und anderen Autokonzernen, selbst wenn sie Produktionsstandorte in den USA unterhalten, wegen ihrer Importe und ihrer Billigproduktion in Mexiko mit einschneidenden Strafzöllen droht – und damit deren ganzes Amerikageschäft bedroht.[9]

Die gründliche Zerstörung des Verkaufsarguments ‚sauberer Diesel‘ und des ganzen darauf gegründeten Geschäftsmodells addiert sich also mit anderen imperialistischen Konkurrenzansagen und -manövern zu einem weitreichenden Angriff auf die Sonderstellung der deutschen Autoindustrie und damit auf ein Kernstück des deutschen Industriestandorts und deutschen Reichtums überhaupt. Die Gegenwehr, die von den angegriffenen ‚global players‘ deutscher Provenienz und ihrem politischen Standorthüter für nötig gehalten wird, beschränkt sich daher nicht darauf, die Einbußen für das Dieselgeschäft in Grenzen zu halten, sondern zielt damit und überhaupt darauf, die Rolle des ‚Marktführers‘ zu verteidigen und die Freiheit zur Bestimmung des globalen Verdrängungswettbewerbs zurückzuerobern.

II. Die Kollaboration von Kapital und Staat in der offensiven Schadensbewältigung

1. Die Skandalbewältigungsstrategie des Kapitals: Rettung der alten und Produktion neuer Mittel für den Kampf um die Weltmarktführerschaft

Im Umgang mit dem nicht bestellten Umbruch beweisen die deutschen Kapitale, was in ihnen und ihren Mitteln steckt, die sie im Kampf um die Gewinne aus dem Weltmarkt geschärft haben. Das betrifft zunächst einmal die Bewältigung der unmittelbaren Schäden des aufgeflogenen Betrugs. Die schlagartige Entwertung des in der Diesel- und Benzintechnologie angelegten Kapitals suchen die deutschen Konzerne mit ihrer überlegenen Finanzmacht zu verhindern: Auf dem Höhepunkt der „Vertrauenskrise“ verzichten sie auf Profite, indem sie sich kartellmäßig auf Preisnachlässe einigen, die sich zu den staatlichen Prämien hinzuaddieren, und ihre Autos zu Dumpingpreisen losschlagen. Die für VW anfallenden Streit-, Straf- und sonstigen unmittelbaren Kosten der Affäre verarbeitet die Firma, wie es sich für ein kostenbewusstes Unternehmen gehört, durch eine gleich auf die Zukunft angelegte Kostensenkungsoffensive bei den Produktionskosten, d.h. zu Lasten der Belegschaft: Der Konzern nimmt die Krise im Herbst 2015 zum Anlass für die Ankündigung, dass in den kommenden Jahren 23 000 Arbeiter weniger im Konzern beschäftigt werden. Die bezahlte Arbeit in der Produktion herkömmlicher Autos muss angesichts der ‚schweren Lage des Unternehmens‘ in jedem Fall billiger, also ergiebiger für die Erwirtschaftung der fälligen Erlöse werden, denn die Rendite der Kernmarke VW ist für die Ansprüche des Konzernchefs sowieso zu niedrig. Und das Unternehmen stellt heute schon klar, dass es für die profitable E-Auto-Produktion morgen überhaupt weniger Arbeit brauchen wird.

Für die verbleibenden Beschäftigten wird die Arbeit nicht weniger. Die neuen Konzernführer kündigen an, was die Belegschaft von den Ingenieuren bis zu den Bandarbeitern ab sofort materiell zu leisten hat: Nach den Vorgaben der Kommandeure der Arbeit muss möglichst schnell für jedes denkbare Bedürfnis nach Automobilen immer das passende Modell nicht nur im herkömmlichen Segment, sondern auch auf dem Sektor E-Automobile zur Verfügung stehen, selbstverständlich zu Kosten und in Stückzahlen, wie sie nur global agierende, kapitalkräftige Unternehmen aus dem Stand hinkriegen, weil sie über die dafür nötigen Potenzen der Massenproduktion gebieten.[10] In den selbst zu Multis gereiften Zulieferern stehen die Instrumente für die schnelle Entwicklung neuer Technologien und kostengünstiges Outsourcing bereit. In Sachen Schlüsseltechnologie „Batterie“, dem kapitalistisch interessantesten, weil größten Wertschöpfungsprodukt, kalkulieren die Konzerne kraft ihrer Kapitalgröße mit dem preisgünstigen Kauf auf dem Weltmarkt und dem eigenen Einstieg in die Produktion.

Für die Herstellung der gesamten Lade-Infrastruktur, auf deren Basis das strombetriebene Auto erst ein Massengeschäft wird, sistiert die deutsche Autoindustrie – schon wieder – zeitweise die Konkurrenz, um sie hinterher, wenn das Geschäft in Gang ist, umso härter und vor allem erfolgreich zu führen. In offiziellen und politisch erwünschten Kartellen werden die Unkosten für die Produktion der Geschäftsbedingungen geteilt, um auf deren Grundlage einen Leitmarkt E-Mobilität (VW-Konzernchef Müller) zu kreieren.[11] So geht kapitalistisch erfolgreiche „Innovation“, mit der deutsche Kapitale dafür sorgen wollen, dass sich für sie die Kosten lohnen und die Entwertung der produktiven Mittel im Kampf um die „Zukunftsmärkte“ bei den Konkurrenten und insbesondere den amerikanischen oder chinesischen Pionieren der E-Mobilität anfällt.

Damit dieses ehrenwerte kapitalistische Anliegen klappt und das „freie Spiel der Kräfte“ am Markt der Zukunft im Sinne Deutschlands ausgeht, rufen seine Auto-Kapitalisten vernehmlich nach dem Staat, den sie mit ihren illegalen Machenschaften großzügig beschissen haben. Bei der heimischen politischen Gewalt machen sie ausdrücklich das Recht auf ihren Erfolg geltend – und sind bei ihr ganz an der richtigen Adresse, wie die politischen Manöver des deutschen Standorthüters im Gefolge des Skandals unter Beweis stellen. Der deutsche Staat führt bei der Bewältigung der ‚nationalen Autokrise‘ exemplarisch vor, wie viel Staatsräson in der vielgescholtenen Kumpanei und allzu großen Nähe von Politik und Industrie steckt. Die Rettung des privaten Kapitalwachstums ist schließlich staatlicher Dienst am Allgemeinwohl, am Erfolg des Standorts Deutschland nämlich.

2. Die staatliche Skandalbewältigung im Geiste des deutschen Standortpatriotismus

Die deutsche Staatsmacht ist also in dieser internationalen Affäre für die Sicherung des etablierten Geschäfts deutscher Konzerne gefragt und bringt sich auch als solche zur Geltung. Zunächst allerdings so, dass sie auf machtvolles Auftreten verzichtet: Die deutsche Politik akzeptiert stillschweigend das Urteil, das der US-Richter verfügt, und behandelt seine materiellen Konsequenzen für den deutschen Konzern als reine Rechtsangelegenheit. Mit den USA will sie sich auf keinen Fall so anlegen, dass die Geschäftsfähigkeit von VW im Speziellen und die deutscher Geschäftemacher im Allgemeinen leidet. Für ihr eigenes Hoheitsgebiet und seine europäischen Außenbezirke folgt die deutsche Staatsmacht im Fall VW und seinen Weiterungen freilich einem ganz anderen Imperativ: Mit den Mitteln ihrer staatlichen Macht kümmert sie sich darum, den deutsch-europäischen (Diesel-)Markt als Wachstumssphäre des deutschen Autokapitals gegen alle Anfechtungen von außen und innen zu sichern, egal mit wie viel „krimineller Energie“ in den Führungsetagen ihre Gesetze übergangen worden sind.

Auf ihrem eigenen Territorium tut sie alles, um dem ganzen Skandal im Prinzip den Boden zu entziehen und dem Unternehmen Schadenskosten zu ersparen. Der Betrug der Industrie wird zu einer mehr oder weniger kreativen Auslegung der von der deutschen Politik mitverantworteten Abgasregelungen herunterdefiniert, die rechtliche Verfolgung auf die Fehlleistungen einzelner Figuren beschränkt. Die Entschädigungsinteressen von knapp 10 Millionen Kunden sollen demgemäß mit einer Art Rückrufaktion (Software-Update) bedient sein, so dass mit diesen politischen Vorgaben schon mal eine Menge dafür getan ist, dem Kapital materielle Lasten jenseits der bereits eingetretenen zu ersparen. Auf nationalen „Autogipfeln“, zu denen nur die Kommandeure der als deutsch definierten Unternehmen eingeladen werden, bekennt sich die Regierung zu ihren nationalen Autounternehmen und zum Diesel als deutscher „Brückentechnologie“, heiligt deren jüngste Generation ungeachtet der Tatsache, dass auch diese wieder die Grenzwerte überschreitet, als unverzichtbares Mittel für den Klimaschutz (Merkel) und tut alles in ihrer Macht Stehende, um den einschlägigen Multis den nationalen Standort als verlässlichen Heimatmarkt zu sichern.[12]

Was den gemeinsamen europäischen Markt, also die EU-Staaten angeht, wird die deutsche Politik entsprechend tätig. Den europäischen Konkurrenten von VW & Co, samt ihren Regierungen, die in der Affäre die Gelegenheit wittern, der notorisch überlegenen deutschen Autoindustrie das Wasser abzugraben, haut der deutsche Verkehrsminister um die Ohren, dass der Abgasbetrug eine gesamteuropäische Angelegenheit ist und die deutschen Fahrzeuge noch die saubersten unter den schmutzigen sind. Dobrindt droht den europäischen Kollegen mit Zulassungsverboten für ausländische Hersteller auf Europas größtem Einzelmarkt. Auf diese Weise erwirkt die deutsche Politik in Europa eine Art Stillhalteabkommen zwischen den EU-Herstellernationen, die allesamt gegeneinander Schadensersatzdrohungen unter Verschluss und auf Vorrat halten, die an den amerikanischen Schadensfall heranreichen.[13]

Darüber hinaus macht sich die Politik jetzt ganz entschieden für die Zukunftsperspektiven des Autostandorts Deutschland in der E-Technologie stark. Die Befriedigung des gesellschaftlichen Bedarfs an emissionsfreier Mobilität soll als private Bereicherung deutsch-europäischer Unternehmen stattfinden. Dafür, dass das gelingt, ist ganz viel Staat verlangt. In diesem Sinne fungieren die politisch Verantwortlichen für den Standort jetzt konsequent als Anwälte des Fortschritts: Die Wende zur wirklich ‚sauberen‘ Technologie ist national endgültig fällig. Also zählen Einwände der Art nicht, dass z.B. die Produktion von Batterien mit gigantischen Umweltbelastungen bei den Rohstoffländern und in den Produktionsstätten einhergeht und die Produktion des nötigen Stroms über Jahrzehnte hinaus eine Menge CO2 produzieren wird. Es kommt darauf an, die Wende rechtzeitig und kostenverträglich hinzukriegen – und das erfordert, störende Rücksichten zurückzustellen. Bedenken wie Sorgen um Lasten und Risiken der nationalen Kraftanstrengung in Sachen ‚Sicherung der Zukunft des Automobil-Standorts Deutschland‘ werden in dem Dauerstreit um Ablaufdaten der ‚Brückentechnologie‘ Verbrennungsmotor und verbindliche Quoten für E-Fahrzeuge erschlagen von der allgemeinen Gewissheit, dass Deutschland jedenfalls alles tun muss, um mit dem beschleunigten Aufbau einer gewinnfähigen neuen E-Mobilitätsindustrie den Kampf um die Geschäftsfelder der Zukunft für sich und gegen andere zu entscheiden.

Dass die Produktion der neuen Generation von Automobilen mit ihren E-Achsen und Stromspeichern deutlich weniger Arbeitsaufwand bereitet als die hochkomplexen Verbrennungsmotoren mit ihren Chemiefabriken im Abgasstrang, ist für Deutschland keine gute Nachricht; erst recht nicht, dass von diesem geringeren Arbeitsaufwand in Zukunft ein größerer Teil in Asien verbleiben könnte. Von rentabler Arbeit lebt das Kapital, lebt das von ihm kommandierte und abhängige Volk und lebt der Staat, der die Frage, in welchen Nationen der größte Teil der Wertschöpfung und damit die Hauptgewinne mit der nächsten Autogeneration anfallen, nicht den privaten Kalkülen seiner Kapitale überlässt. Oberste Priorität hat für die deutsche Politik deshalb die Brechung der asiatischen Vorherrschaft im Verkauf der Stromspeicher, aus denen E-Autos ihre Energie beziehen. Dass dem zuständigen EU-Kommissar und dem deutschen Wirtschaftsstaatssekretär in dieser Sache der Begriff Batterie-Airbus einfällt, ist passend, weil er die Größenordnung dieser euroimperialistischen Angelegenheit widerspiegelt: Analog zu dem erfolgreichen Luftfahrtprojekt geht es um die Bekämpfung des globalen Quasi-Monopols von chinesischen, koreanischen und japanischen Herstellern, wofür Europas Staaten ihre politische und finanzielle Macht zusammenwerfen sollen. Angesagt sind die Mobilisierung von Staatskredit in entsprechenden Größenordnungen und die Zentralisation und Konzentration von Kapitalen unter europäischer Regie, um ein Kapital zu schmieden, das durch Größe und politische Garantie in der Lage ist, konkurrenzfähige Produkte mit entsprechendem jahrelangem Vorlauf zu entwickeln, zu produzieren und so erfolgreich zu verkaufen, dass Samsung, LG und Panasonic Marktanteile entrissen werden und deutsche Autohersteller über konkurrenzfähige Zulieferteile vom eigenen Standort verfügen.

Auch die Entstehung der nötigen Zahlungsfähigkeit überlässt die deutsche Staatsmacht nicht dem Zufall: Jenseits der staatlichen Kaufprämien setzt sie ihre Finanzmacht unter freundlicher Beteiligung der Unternehmen für die Schaffung eines Mobilitätsfonds in Milliardenhöhe ein, mit dem sie die Umrüstung des Öffentlichen Personen-Nahverkehrs auf E-Mobilität betreibt. Zudem fördert und bezahlt sie die Ausrüstung von Städten mit Ladestellen und schafft auf diese Weise einen wohldosierten Markt für elektrische Fahrzeuge und seine Voraussetzungen – verknüpft mit dem praktisch verfolgten Ideal, den existierenden für Verbrennungsmotoren nicht zu schädigen.[14]

Dann ist die Industrie gefragt, darauf aufbauend eine schlagkräftige E-Autoindustrie zu etablieren.

[1] Im Straßenverkehr dürfen die Diesel-Pkw das Mehrfache der in den Grenzwerten festgeschriebenen Schadstoffe ausstoßen, zudem muss die Abgasreinigung nur in einem eng gefassten Temperaturbereich („Thermofenster“) funktionieren, damit der der Technologie eigene „Zielkonflikt“ zu den Kosten zu bewältigen ist, die die Hersteller für vertretbar halten: Die Reduktion der Stickoxide erhöht den Verbrauch und damit die CO2-Werte usw.

[2] Neben diesem nicht-tarifären Instrument belegt die EU außereuropäische Pkw mit einem Zollsatz von etwa zehn Prozent.

[3] Die zu erfüllenden CO2-Grenzwerte und die damit verbundene Einstufung der Fahrzeuge in die Effizienzklassen A, B, C usw. erfolgt durch die mehrfache Intervention der Bundesregierung als Quotient des Energieverbrauchs und des Fahrzeuggewichts. Dadurch werden die besonders schweren deutschen Pkw bevorzugt. Außerdem ist das über Jahre im Voraus zu kalkulierende Regime systemgemäß als marktwirtschaftlicher Anreiz ausgelegt: Die Produktion von verbrauchsstarken SUVs usw. ist nicht verboten, sie wird nur mit Strafzahlungen bewehrt, wenn der gesamte Flottenverbrauch eines Herstellers einen bestimmten Durchschnittswert übersteigt.

[4] In der technischen Realisierung des Profitanspruchs mit dem Diesel stellt sich heraus, dass für ein legales Produkt entweder ein bedeutend höherer Aufwand betrieben werden oder dem kapitalistisch rentablen Produkt die Einhaltung der Grenzwerte geopfert werden muss.

[5] Grundlage dieser Offensiven sind einerseits die verheerenden Konsequenzen des Erfolgs, den gesamten Globus zum Markt für den Autoverkehr hergerichtet zu haben: Die Staaten haben es mit der Notwendigkeit zu tun, die schädlichen Wirkungen der auf Verbrennung beruhenden Antriebssysteme zu begrenzen, damit das Wachstum mit Autos ungebremst weitergehen kann. Zudem betreiben dieselben Staaten längst eine Wende in der Energieerzeugung, deren Vollendung den „Umbruch“ hin zum elektrisch betriebenen Fahrzeug braucht: Der Verkehr auf ihrem Standort soll in steigender Größenordnung einen substanziellen Beitrag zur Verringerung des Verbrauchs fossiler Brennstoffe und zum größer werdenden Geschäft mit dem Strom aus erneuerbaren Energieträgern leisten.

[6] Als Sumpfblüte des Finanzkapitals und dieser staatlichen Vorbehalte gegenüber der automobilen Umweltverschmutzung gedeiht Tesla nicht zufällig in Kalifornien, dem US-Bundesstaat mit der nachhaltigsten staatlichen Förderung von strombetriebenen Autos und mit sehr liberalen Zulassungsvorschriften für autonomes Fahren; auch da tritt Tesla mit dem Anspruch an, führend zu sein.

[7] Zu den staatlichen Maßnahmen Chinas gehören:

 In den heimischen Metropolen werden Zulassungen für benzinbetriebene Autos nur noch verlost. E-Autos sind davon befreit.

 Alle in China fertigenden Hersteller müssen ab 2019 eine Quote von 10 % E-Autos erfüllen. In der Ausgestaltung dieser staatlichen Marktlenkung ist China ein gelehriger Schüler Europas mit seinem Verkauf von Verschmutzungsrechten: Mit Kreditpunkten für jedes in China produzierte E-Auto erwerben sich die Hersteller größere Quoten für die Produktion von benzinbetriebenen Pkw. Diese Kreditpunkte können unter den Konzernen gehandelt werden.

 In die in China produzierten E-Autos dürfen – aus ‚Sicherheitsgründen‘ – ausschließlich chinesische Batterien eingebaut werden.

 Westliche Konzerne dürfen in China mehr Joint Ventures eingehen, unter der Bedingung, dass die damit produzierten E-Autos unter chinesischem Markenzeichen verkauft werden.

 Der Staat plant die Errichtung von 800 000 Ladestationen.

[8] In dieser Offensive steckt zugleich das Eingeständnis, dass China den Vorsprung der etablierten Hersteller auf dem Feld der konventionellen Autos nicht mehr einholt. Diesbezügliche Anläufe, chinesische Autos in die Welt zu exportieren, sind z.B. an den Marktnormen in der EU gescheitert.

[9] Bezeichnend der Auftritt deutscher Automanager während Merkels Antrittsbesuch bei Trump: Zur Beschwichtigung des neuen US-Präsidenten deuten sie auf ihre Erfolge als Kapitalexporteure im Südosten der USA, wo das deutsche Autokapital es mittlerweile zum größten Arbeitgeber und zum größten Autoexporteur der USA überhaupt gebracht hat, um dem Präsidenten beizubringen, dass es sich bei BMW, Daimler und VW doch eigentlich sowieso um so etwas wie American capital handelt.

[10] Das macht auch den Unterschied zu Tesla und anderen Newcomern aus, die die Rentabilität ihrer Produkte über die massenhafte und darüber erst billige Fertigung noch unter Beweis stellen müssen.

[11] Mit der konzentrierten Finanzmacht von vier Weltkonzernen soll in Europa an den Autobahnen ein Ladenetz errichtet werden, das in der Leistungsfähigkeit alles Bisherige übertrifft und so einen gewichtigen Beitrag für die Ingangsetzung des Geschäfts mit E-Autos liefern soll.

[12] Die von Gerichten verhängten kommunalen Fahrverbote werden als ganz falsche Signale verurteilt und hintertrieben. Am Standort D bleibt es bei freier Fahrt für freie Bürger. Die Neufassung der „real drive“-Grenzwerte lässt der Autoindustrie wie früher Freiheiten im Umgang damit: Das Ausmaß ihrer erlaubten Überschreitung fällt etwas kleiner aus.

[13] Allein in Frankreich ermitteln Staatsanwälte gegen VW, FAC und Renault-Nissan in Sachen Betrug und bilanzieren die Entschädigungssumme bloß für VW auf etwa 20 Mrd. Euro. In Großbritannien liegen Klagen gegen die VW-Tochter Skoda vor, deren Streitwert ebenfalls in die Milliarden geht.

[14] Die staatlichen Kaufprämien für E-Autos sind aus diesem Grund im Vergleich zu Staaten ohne bedeutende Autoindustrie bescheiden bemessen.