Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Verdi-Warnstreik am Frankfurter Flughafen
... für Risiken und Nebenwirkungen bitten wir um Entschuldigung

Ende Februar legt das private Sicherheitspersonal (Personen- und Frachtkontrolle, Flughafensicherheit und Services) im Zuge eines Warnstreiks der Gewerkschaft Verdi den Frankfurter Flughafen für 22 Stunden weitgehend still: Die gesetzlich vorgeschriebenen Sicherheitskontrollen fallen aus, etwa 37 000 Passagiere können nicht fliegen, zeitweise wird die Flugabfertigung ganz ausgesetzt. Vollbracht haben das ca. 800 Leute vom Sicherheitsdienst, das sind nach Gewerkschaftsangaben etwa 90 % des betreffenden Personals. Mit dem Warnstreik wollen Verdi und die verbündete dbb-Tarifunion ihrer Forderung nach einer Tariflohnerhöhung auf 16 Euro, einheitlich für alle Sicherheitsleute, Nachdruck verleihen; die Arbeitgeber, der Bund der Deutschen Sicherheitswirtschaft (BDSW), hatten bis dahin 10 bis 13 Euro geboten.

Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen

Verdi-Warnstreik am Frankfurter Flughafen
… für Risiken und Nebenwirkungen bitten wir um Entschuldigung

Ende Februar legt das private Sicherheitspersonal (Personen- und Frachtkontrolle, Flughafensicherheit und Services) im Zuge eines Warnstreiks der Gewerkschaft Verdi den Frankfurter Flughafen für 22 Stunden weitgehend still: Die gesetzlich vorgeschriebenen Sicherheitskontrollen fallen aus, etwa 37 000 Passagiere können nicht fliegen, zeitweise wird die Flugabfertigung ganz ausgesetzt. Vollbracht haben das ca. 800 Leute vom Sicherheitsdienst, das sind nach Gewerkschaftsangaben etwa 90 % des betreffenden Personals. Mit dem Warnstreik wollen Verdi und die verbündete dbb-Tarifunion ihrer Forderung nach einer Tariflohnerhöhung auf 16 Euro, einheitlich für alle Sicherheitsleute, Nachdruck verleihen; die Arbeitgeber, der Bund der Deutschen Sicherheitswirtschaft (BDSW), hatten bis dahin 10 bis 13 Euro geboten.

Der große Airport in Frankfurt wird fast lahmgelegt infolge einer unerwartet hohen Streikbeteiligung, die zustande kommt, weil auch sehr viele nicht organisierte Sicherheitsmitarbeiter gestreikt haben. Die ganze Aktion ist also von der Beteiligung her ein voller Erfolg (Verdi-Streikleiter Mathias Venema), und die Streikenden demonstrieren nachdrücklich, was mit Geschlossenheit und Entschlossenheit an Gewerkschaftsmacht zu mobilisieren ist.

Das zeigt Wirkung – auch in der Öffentlichkeit. Die ist empört wegen des überraschenden Ausmaßes der Behinderungen und hält sich mit scharfer Kritik an Verdi nicht zurück: Ein Warnstreik, so die FAZ, sollte doch ein Nadelstich sein, dieser hier wäre aber völlig unverhältnismäßig wie ein Hieb mit dem Vorschlaghammer gewesen, und warum ausgerechnet am verkehrsreichen Freitag? Daraufhin gibt derselbe Streikleiter ein paar erstaunliche Erklärungen ab. Er sieht sich gegenüber der FAZ zu Rechtfertigungen veranlasst, bei denen vom gewerkschaftlichen Selbstlob über den gelungenen Warnstreik rein gar nichts mehr übrig bleibt:

„Wir haben ganz klar die Forderung aus der Belegschaft erhalten, nicht wieder so kurz zu streiken; diesmal wollten alle Schichten mitmachen.“ (FAZ-Gespräch mit Verdi-Streikleiter Venema, FAZ 25.02.14)

Auch wenn Verdi vielleicht wirklich lieber zur Nadel als zum Hammer gegriffen hätte: Die Streikbereitschaft der Mitglieder hat die Gewerkschaft diesmal geradezu genötigt, ein wenig härter aufzutreten. Über die gelungene Mobilisierung spricht der Streikleiter im Ton Verständnis heischender Entschuldigung. Und ganz in diesem Sinne geht es weiter:

„Zuletzt hatte man uns vorgehalten, Warnstreiks so kurz zu halten, dass sie praktisch ohne Wirkung blieben. Gelegentlich hat man sich bei Fraport auch darüber lustig gemacht, dass unsere Warnstreiks gewissermaßen unbemerkt geblieben seien.“ (Venema, ebd.)

Der Gegner ist also selber schuld, wenn er die Gewerkschaft herausfordert zu beweisen, dass man sie mit ihren Streikaktionen ernstnehmen muss, und dass sie sich jedenfalls vom Arbeitgeber nicht einfach lächerlich machen lässt.

Im Übrigen, so der Verdi-Funktionär, ist nicht die Gewerkschaft daran schuld, wenn der Warnstreik so durchschlagende Wirkung hatte. Seine Organisation hat sich nämlich durchaus bemüht, die Folgen des Streiks in Grenzen zu halten und ihr Möglichstes getan, um die Situation zu entschärfen: Wir haben sofort 100 Leute abgestellt, und zwar hundert Mann von genau dem Sicherheitspersonal, das gerade am Streiken war. Da hat die Gewerkschaft doch glatt die eigenen Mitglieder als Streikbrecher rekrutiert und findet das anerkennungswürdig.

Die Bemühungen der Gewerkschaft treffen aber leider auf eine bedauerliche Desorganisation auf Seiten der Arbeitgeber: Die haben letztlich das entstandene Chaos zu verantworten, weil Fraport überhaupt kein Krisenmanagement an den Tag gelegt habe: Es hätten von vornherein mehr Flüge abgesagt werden müssen… Ich habe den Fraport-Notfallplänen mehr zugetraut (Venema). An denen liegt es also, dass der Warnstreik die Bahnen einer vorherseh- und planbaren Störung verlassen hat. Der Arbeitgeber hat nach Venemas Vorstellung offenkundig nicht nur die Möglichkeit, sondern geradezu die Verpflichtung dafür zu sorgen, dass der Streik möglichst ohne Kollateralschäden ausschließlich gegen ihn wirkt.

Dennoch ist Verdi nicht uneinsichtig, was die Schuldfrage bezüglich der Störungen des Flugbetriebs betrifft, und bittet tags darauf ihrerseits öffentlich auch noch richtig um Entschuldigung für die Auswirkungen des Warnstreiks: Es tut uns leid, dass so viele unschuldige Menschen Unannehmlichkeiten hatten. (Verdi-Sprecherin Ute Fritzel)

Im Gespräch mit der FAZ wirbt der Streikleiter ebenfalls öffentlich um Verständnis für die Schwierigkeit der Entscheidung über den richtigen Streikzeitpunkt, der die Belästigung für die ‚Fluggäste‘ gering hält und möglichst kein – selbstredend auch von der Gewerkschaft anerkanntes – Interesse an einem reibungslosen Flugverkehr schädigt:

„Es war keine bewusste Entscheidung für den Freitag. Wir haben am Mittwoch in Hahn gestreikt und eben am Freitag in Frankfurt. Das hätte auch umgekehrt sein können. Auf jeden Fall hätten wir nicht vor einem langen Wochenende oder dem Ferienbeginn gestreikt. Man muss bedenken, dass der Februar ein eher verkehrsschwacher Monat ist... Wir hätten auch nie zu Ferienbeginn gestreikt, auch nicht am Fastnachtswochenende. Vergangenen Donnerstag wäre es schon wegen des Uefa-Cups nicht gegangen, wir wollten keinesfalls Tausende Fußballfans, die nach Porto wollten, im Terminal festsetzen. Damit haben auch wir so nicht gerechnet.“ (FAZ, 25.02.14)

So gesehen kommt für Verdi eigentlich gar kein Tag zum Streiken infrage. Denn es ist immer irgendetwas los: Ferien, Fasching, Fußball, lange Wochenenden... Den Flugbetrieb bestreiken – das will die Gewerkschaft natürlich, und dass der Streik ihr einziges Mittel der Durchsetzung ist, ist ihr geläufig. Andererseits aber sollen die Flugpassagiere von der Anwendung dieses ihres wichtigsten Hebels gegen den Arbeitgeber möglichst nicht betroffen sein. Wie kommt Verdi überhaupt auf ein derart seltsames Anliegen: einen Streik auf einem Airport zu veranstalten, ohne dass jemand am Reisen gehindert wird?

Außer um ihre Tarifforderung kämpft die Gewerkschaft noch um etwas ganz anderes: Um ihren guten Ruf in der Öffentlichkeit und um die Anerkennung, dass sie mit ihrem Anliegen nach allen anerkannten Maßstäben berechtigter Interessenvertretung keinesfalls unverantwortlich und rücksichtslos agiert. Ihrem Ringen um das Verständnis der Fluggäste und der öffentlichen Berichterstattung ist zu entnehmen, dass sie den Gegensatz, in den sie durch ihren Arbeitskampf zur Kundschaft ihres Arbeitgebers und zu den kommentierenden Medien gerät, vermeiden, und da, wo sie das nicht kann, durch ihre Werbung um Verständnis kleinhalten will.

Dass das nicht geht, will sie nicht wahrhaben, auch wenn sie an den Reaktionen auf ihren Streik sehen könnte, in was für einem Land sie die Interessen ihrer Mitglieder vertritt: Wann immer die Gewerkschaften die materiellen Interessen ihrer Mitglieder in Erinnerung bringen, stören sie – weil diese nun einmal im Gegensatz zu denen „der Wirtschaft“ stehen, die Vorrang haben. Die Interessen der Lohnabhängigen kommen eben nicht einfach mit dem allgemeinen Gang der Wirtschaft voran. Und wenn sie sich mit ihrem Interesse an Einkommen bemerkbar machen, dann haben die Beschäftigten nicht nur ihre Arbeitgeber gegen sich, sondern gleich noch deren Kunden und die Öffentlichkeit.

  • Kunden, die sich mit dem Kauf eines Flugtickets partout als Konsumenten sehen wollen, deren Recht auf pünktliche Vertragserfüllung sich keinerlei Einschränkung gefallen zu lassen braucht; und nicht etwa selbst, so wie die Streikenden, als Arbeitnehmer, denen ihre Arbeitgeber ebenfalls die Löhne kurz halten.
  • Und eine Öffentlichkeit, die darauf pocht, dass der Standpunkt des Reisenden, der verlangen kann, dass alles nach Plan läuft und jeder Zuständige seinen Dienst leistet, der gültige Standpunkt der Allgemeinheit ist. Die dabei wohl zu unterscheiden weiß, wer hier welchen Dienst schuldig ist: Die Arbeitskräfte einer Dienstleistungsgewerkschaft jedenfalls den Dienst, in ihrem Unternehmen ihre Arbeit ordentlich und billig zu erledigen. Und das Dienstleistungsunternehmen den Dienst, seine Kunden reibungslos und möglichst billig zu befördern – und damit als Wirtschaftsunternehmen ordentlich Gewinn zu machen. Dass das in eins fällt – und dass dabei eine Gewerkschaft mit ihren Forderungen nur stört, das ist der Standpunkt, von dem aus FAZ & Co. die „Unverhältnismäßigkeit“ des Warnstreiks geißeln – und immerzu den geschädigten „Fluggast“ anführen und die drohende Geschäftsschädigung von Fraport meinen. Deshalb machen sie öffentlich Stimmung gegen Verdi und helfen regelmäßig nach, falls die Flugpassagiere nicht von selbst genug Empörung über die Störung produzieren: „Können Sie für diesen Streik noch Verständnis aufbringen?“

Das ist die übliche feindselige Umgebung, auf die Verdi trifft, wenn der Entschluss zum Streik gefallen ist. Verdi nimmt das zur Kenntnis und antwortet darauf mit dem Bemühen, sich das Wohlwollen der Flugreisenden und der Medien nicht zu verscherzen – als ob es dieses Wohlwollen überhaupt für das gewerkschaftliche Anliegen gäbe; und als ob dieses Wohlwollen ihren Lohnforderungen weiterhelfen würde und nicht allein ihr Kampf und eine wirksame Störung des Geschäftsgangs.