2 x „Eindämmungspolitik“ der USA im Nahen Osten
Der Iran wird auf die strategische Tagesordnung gesetzt
Die amerikanische Offensive gegen die Terrorstaaten Iran und Irak: Wirtschaftsembargo gegen den Iran und Entwaffnung des Iraks. Unstimmigkeiten zwischen den Aufsichtsmächten einer neuen Nahostordnung.
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Systematischer Katalog
Gliederung
- Der US-Richtspruch über Iran: „Das organisierte Böse“ (Clinton)
- „Eindämmung“ – ein amerikanisches Politikverbot gegen Abweichler
- Die USA wollen ein strategisches Geschäft Rußlands verbieten
- Rußland lernt imperialistische Konditionen des Weltmarkts
- Die USA wollen den Schulterschluß des Westens erneuern
- Die Gegenstrategien der Verbündeten
- Amerika deckt zum wiederholten Mal das Verbrechen Saddam Hussein auf
2 x „Eindämmungspolitik“ der USA im Nahen Osten
Der Iran wird auf die strategische Tagesordnung gesetzt
Gegen die Islamische Republik Iran haben die USA ein umfassendes Wirtschaftsembargo verfügt. Es gebietet allen Unternehmen unter US-Hoheit, sämtliche Handels- und Investitionstätigkeit mit dem Iran einzustellen, darunter auch Ölgeschäfte der Multis über ausländische Zweigstellen. Der Iran sei nach innen und außen ein „verbrecherischer Staat“ (Clinton), so lautete der Richtspruch.
Anlaß des US-Beschlusses war ein Atomgeschäft des Iran mit Rußland. Rußland will das noch unter dem Schah von Siemens begonnene AKW in Buschir zu Ende bauen und zum Laufen bringen. Für die USA ist das der iranische Griff zur Bombe. Der fordert sie als Supermacht des atomaren „Nichtverbreitungsregimes“ heraus. Präsident Clinton trug daher Präsident Jelzin als Gipfelthema an, Rußland habe durch den Verzicht auf dieses Geschäft auch im Außenhandel seine „Verantwortung“ für die „Bekämpfung der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen“ unter Beweis zu stellen. Rußland aber bestand auf dem Vollzug dieses Geschäfts, das nach seiner Rechtsauffassung den jüngst verlängerten Atomwaffensperrvertrag (NVV) voll erfüllt.
Auch den westlichen Partnern legten die USA ihre Sicht des Iran als Weltordnungsfall dringlich ans Herz. Zwar lehnte Clinton den Antrag des republikanischen Senators D’Amato ab, mit einem „sekundären Boykott“, dh. dem Abbruch aller amerikanischen Handelsbeziehungen zu ausländischen Firmen mit Iran-Geschäften, das Ausland zum gemeinsamen Iran-Boykott zu zwingen. Dafür verlangte er beim G7-Treffen in Halifax aber freiwilligen Schulterschluß. Der Erfolg war bescheiden. Zwar versicherten alle, nichts „zur Herstellung von Kernwaffen“ (Erklärung) des Iran beitragen zu wollen, lehnten aber als „Handelsnation“ (Großbritannien) ein Embargo ab und bestanden auf ihrer Politik des „kritischen Dialogs“ mit dem Iran (Deutschland, Frankreich, EU).
So steht die Sache seither.
Der US-Richtspruch über Iran: „Das organisierte Böse“ (Clinton)
Die fundamentalistische Feindschaftserklärung der USA an den Iran samt Wirtschaftsembargo hat Präsident Clinton sinnigerweise vor dem Jüdischen Weltkongreß in New York verkündet:
„Am heutigen Abend möchte ich über den Terrorismus im Nahen Osten sprechen, über verbrecherische Staaten, die das Töten fördern, um den Frieden zu zerstören… Nationen wie Iran, Irak und Libyen. Sie wollen die Region destabilisieren, gewähren Terroristen Zuflucht, errichten und fördern terroristische Basislager in anderen Ländern, gieren nach nuklearen und anderen Massenvernichtungswaffen.“ [1]
Mit der politischen Realität hat das Bild eines „terroristischen Staates“, der „Anstifter und Zahlmeister des Terrorismus“ (Clinton) ist, nicht übermäßig viel zu tun, auch wenn es der Standardvorwurf „jeder nahöstlichen Regierung ist, welche mit einer militanten islamistischen Opposition zu tun hat“. Der Iran bestreitet jedenfalls, Drahtzieher der Hizbollah im Libanon und Hamas in Palästina zu sein,[2] und beschwert sich – mit mindestens ebensolchem Recht – seinerseits über die Parteilichkeit der USA für Israel. Was den „islamischen Fundamentalismus“ betrifft, der nach amerikanischen Aussagen keine Verständigung zuläßt, so pflegen US-Stellen gegenüber der kämpferischen Opposition in Algerien, wo Frankreich seine Ordnungsinteressen zu verteidigen hat, durchaus Kontakte und „raten“ zum Dialog. Auch die Gefahr einer iranischen Atombombe ist bisher mehr amerikanische Sicht der Dinge als anstehendes Programm. Der Chef der IAEO bescheinigt den Persern eine weiße Weste,[3] und nicht einmal knapp 60 g Plutonium mit ungeklärtem Verbleib wie bei Nord-Korea lassen sich ins Feld führen. Es zählt für die USA nicht, daß – im Unterschied zu Israel – der Iran zu den Befürwortern einer Verlängerung des Atomwaffensperrvertrags gehört, daß er verschärfte Kontrollen des Spaltmaterialflusses durch die Wiener Behörde zuläßt, daß er Leichtwasserreaktoren bestellt hat, die den Bombenstoff nur in recht unbrauchbarer Form anfallen lassen, und daß Rußland die (Wieder)Aufbereitung der verbrauchten, mit Plutonium angereicherten Kernbrennstäbe überlassen bleiben soll.
Aber um all das geht es auch gar nicht. Es geht nämlich um etwas anderes als die weltgemeinschaftliche Beseitigung einer Bedrohung durch ein besonders gewaltbereites Regime, das im Unterschied zu anderen an der Schwelle zur Atommacht steht. Die USA wollen dieser Nation gerade unabhängig von ihren schon vorhandenen nuklearen Fähigkeiten kategorisch und dauerhaft jeden Umgang mit der „sensiblen“ Technik vorenthalten, die die Fähigkeit in sich birgt, Atomwaffen zu bauen; deswegen entwerfen sie das Bild einer drohenden iranischen Atombombe. Wie weit diese Fähigkeit wirklich gediehen ist, darauf kommt es dabei nicht an – da wäre schließlich ein Land wie Israel oder die Bundesrepublik, die einen ganzen Atom- und Plutoniumkreislauf geschäftlich beheimatet nebst den Firmen, die die einschlägigen Anlagen produzieren, viel naheliegender.[4]
Entscheidend ist der politische Wille des Iran, der den amerikanischen Blick auf seine Fähigkeiten lenkt. Die nicht zu übersehende Unverhältnismäßigkeit des Verdikts gegen Iran macht deutlich, daß es den USA um ein umfassenderes Konzept geht, für das „Nichtverbreitung“ nur ein, gleichsam der konzentrierteste, Ausdruck ist. Was die USA am Iran stört und ihn mit anderen zum „Terroristen“ qualifiziert, ist die Rolle einer selbständigen Macht, die er in der strategisch bedeutsamen Öl-Region zu spielen gewillt ist, welche die USA zum bevorzugten Objekt ihrer Kontrolle erklärt haben. Diese Kontrolle zielt ja gerade darauf, auf keinen Fall irgendwelche Staaten zu dulden, die sich unabhängig von den USA behaupten und sich nicht dem amerikanischen Interesse an einer „Nahostordnung“ unterordnen, die ihren festen Bezugspunkt in einer regionalen Vormachtstellung Israels hat: Diese israelische Sonderstellung sollen die arabischen Länder anerkennen, also auf eigene Regionalmachtanstrengungen verzichten und damit ihre Berechenbarkeit für die USA unter Beweis stellen. Um sich gegen diesen amerikanischen Aufsichtsstandpunkt zu vergehen und sich zum Mitglied des „Weltterrorismus“ zu qualifizieren, der die Sowjetunion abgelöst hat, braucht es keine besonderen „antiamerikanischen“ Umtriebe. Je mehr arabische Staaten ihren Frieden mit Israel gemacht haben, umso mehr geraten abweichende Ambitionen als „terroristische Umtriebe“ und die einschlägigen Staaten als „Anführer revisionistischer Bestrebungen“[5] ins Visier, und zwar unabhängig davon, ob und wie weit sie sich machtvoll geltend machen, und unabhängig davon, daß diese Staaten wenig mehr miteinander gemein haben und sogar wie Irak und Iran jahrelang Krieg gegeneinander geführt haben; unabhängig davon, daß die USA jahrelang die eine Seite gegen die andere direkt und indirekt unterstützt haben. Um sich vor dem strategischen Blick der USA zu disqualifizieren, braucht es daher auch keinen Verstoß wie den Zugriff des Irak auf das von ihm beanspruchte Kuweit. Es reicht der bekundete Wille, sich nicht bloß als Ölquelle mit proamerikanischer Verwaltung zu verstehen, um in den Augen der USA als ein einziger Problem- und Störfall zu erscheinen.
Alles, was der Iran unternimmt, wird deswegen als Programm nationaler Emanzipation gedeutet – und für untragbar erklärt. So eröffnet sich eine einzige Liste iranischer Verbrechen:
- Das Land will seinen Exportartikel nicht in steigendem Maße für die eigene Konsumtion verbrauchen und trachtet deswegen „alle möglichen Energiequellen zu erschließen“ (Amrollahi, Leiter der iranischen Behörde für Atomenergie, FAZ 5.7.95); also will er was ganz anderes:
- „Da der Iran über mehr als genug Erdöl für seine Energieversorgung verfügt, müssen wir davon ausgehen, daß er diese (die Nuklear-)Technologie zur Entwicklung seiner Kapazitäten für den Bau von Atomwaffen einsetzen will.“ (Clinton)
- Die Nation fördert ihre Wirtschaft, also ist sie aggressiv:
„Wir möchten ihre Wirtschaft schwächer sehen, so daß sie weniger frei verfügbares Einkommen ausgeben können und sich bis an die Zähne bewaffnen, das ist es nämlich, was sie machen.“ (Clinton, MEED 7.4.95)
- Ziel der iranischen Wirtschaftsplaner ist es, bis zum Jahr 2000 oder so in vitalen Angelegenheiten der Nation autark zu werden, also wollen sie die Region bedrohen.
- Bei einem Ölkonsortium in Aserbaidschan, an dem vor allem US-Ölfirmen beteiligt sind, verhandelt der Iran um eine 5%ige Beteiligung; schließlich führt der einzige momentan funktionierende Weg des Abtransports über persisches Territorium; also will er die Hand auf auswärtige Ölquellen legen.
- Im Juli vermittelt Iran einen Waffenstillstand zwischen den beiden kurdischen Parteien im Nordirak; also untergräbt er konstruktive amerikanische Ordnungsbemühungen:
„Ein Brief, der am 20. Juli von Robert Deutsch, Direktor der Abteilung für den nördlichen Golf im US-Außenministerium, an die kurdischen Führer geschickt wurde, warnt, daß ‚die USA keinerlei Engagement der Regierung Irans im nördlichen Irak befürworten können. Iran ist keine desinteressierte Partei, und es gibt keine konstruktive Rolle, die das Land hier spielen kann.‘“ (MEED 11.8.95)
- In Tadschikistan spielt sich Iran schon wieder als Vermittler auf, ebenso in Afghanistan. Mit Turkmenistan wird über Gaslieferungen verhandelt, usw…
- Kurz: Mit all seinen nicht gerade umstürzlerischen politischen und wirtschaftlichen Bemühungen stellt er eine einzige Herausforderung an die Welt dar.
Die richtige Lesart geht genau umgekehrt: Die USA wollen den Iran – ebenso wie die anderen weltpolitischen Störenfälle – von der politischen, wirtschaftlichen und militärischen Konkurrenz ausschließen, also alle Bemühungen nationaler Politik unterbinden. Diesem feindlichen Interesse ordnen sie alles unter, und das macht für sie alle zwischenstaatlichen Beziehungen verdächtig, weil sie dem Land einen Bewegungsspielraum und Potenzen verleihen, die ihm nicht zustehen:
„Je offener und flexibler wir sind, desto ungeschützter sind wir vor den Kräften des organisierten Bösen… Eines der wichtigsten Merkmale unserer Außenpolitik ist die Erschließung neuer Märkte im Ausland und die aggressive Unterstützung unserer Unternehmen beim Wettbewerb sowie die Schaffung amerikanischer Arbeitsplätze. Es gibt jedoch Zeiten, in denen bedeutende Wirtschaftsinteressen noch wichtigeren Sicherheitsinteressen weichen müssen. Und wir leben in einer solchen Zeit.“ (Clinton, Rede)
Hier ist nicht die Rede von Erschließung, Hebung des Lebensstandards oder ähnlichen Segnungen einer vom Kommunismus endlich befreiten Welt. Keine Rede von einem Netz wechselseitiger Interessen, in denen die beste Garantie für verläßliche Verhältnisse liegen soll; keine Rede von Wandel durch Handel. Die Idee, die die Vereinigten Staaten verfolgen, zielt eben gerade gegen die „klassische“ zivile Einflußnahme unter Nationen auf ein rein strategisches Interesse: Kontrolle.
„Eindämmung“ – ein amerikanisches Politikverbot gegen Abweichler
Für dieses Kontrollprogramm haben die USA den Begriff gewählt, der einmal die globale Aufgabe gegenüber der Sowjetunion bezeichnet hat und ihr Recht als globale strategische Aufsicht auch in dieser Region ins rechte Licht rücken soll – „containment“:
„Unsere Politik gegenüber diesen verbrecherischen Staaten ist einfach: Sie müssen eingedämmt werden.“
Diese Aufgabe versteht die Weltaufsichtsmacht heute nach eigener Auskunft im Sinne eines „dual containment“, also so, daß sie im Nahen Osten eine doppelte Notwendigkeit zu erfüllen hat, nämlich die beiden konkurrierenden potentiellen Regionalmächte Iran und Irak kleinzuhalten. Dieses Programm enthält ein gehöriges Stück Selbstkritik der Weltaufsichtsmacht, die mit dem Irak-Krieg erstmals praktisch geworden ist. Die USA haben sich damit von einer Politik verabschiedet, die auf die heilsamen Wirkungen der Konkurrenz der beiden stärksten Nahost-Staaten gesetzt hat: Sie sollten sich – sogar mit amerikanischer Unterstützung für den jeweils passend erscheinenden von beiden – wechselseitig schwächen und so neutralisieren.[6] Mit der Aufgabe der Sowjetunion und damit auch ihrem außenpolitischen Rückzug aus der Golfregion haben die USA die Chance gesehen, diese Nutznießer des Ost-West-Konflikts auf ihr eigentliches Normalmaß – nämlich das, was es in den Augen der USA sein sollte – zurechtzustutzen und damit gleich auch alle Rivalitäten darum, wer denn die Vormacht in der Region ist, zu erledigen: keine von beiden. Deswegen erschien Amerika seine Unterstützung des Irak im Krieg gegen den Iran Khomeinis nachträglich als ein schwerer Fehler, der dem Irak erst seine bedrohliche Stärke verliehen und seine Führung zur Unbotmäßigkeit ermuntert hat. Diesen Fehler haben die USA mit dem Irak-Krieg korrigieren wollen, der den Irak auf einen Schlag „in die vorindustrielle Zeit gebombt“ hat.[7] Die USA haben sich seitdem darauf verlegt, sich selber als stärkste, konkurrenzlose Macht vor Ort neu geltend zu machen; genau so bauen sie sich im arabisch-persischen Golf auf.[8]
„Die USA hat eine neue Flotte geschaffen, die im Golf stationiert ist, sagte ein Sprecher der US Navy in Dubai am 3. Juli. Die Flotte ist die erste, die nach dem zweiten Weltkrieg aufgestellt wurde, und umfaßt zwei nuklear getriebene U-Boote und einen Flugzeugträger mit 70 Flugzeugen.“ (MEED 14.7.95)
Den strategischen Vorteil, den die Bush-Regierung dem Nachfolger hinterlassen hatte, gedenkt die Clinton-Administration jetzt weiter auszubauen:
„Als wir die Regierung übernahmen, befanden wir uns am Golf in einer strategisch glücklichen Situation. Statt die eine Macht gegen die andere aufzubauen, konnten wir die feindliche Politik beider auf einmal eindämmen.“ [9]
Deswegen kommt mit der fortdauernden und fortschreitenden Entmachtung des Irak auch der zweite Problemfall, der Iran, neu ins Visier der Eindämmungspolitik. Was beim Irak mit Krieg erreicht wurde, das soll beim Iran mit anderen ‚friedlichen‘ Mitteln durchgesetzt werden. Diesem strategischen Interesse ordnen die USA alles unter, und deswegen erscheinen alle „normalen“ zwischenstaatlichen Beziehungen, Diplomatie, Wirtschaftsbeziehungen, und erst recht die Ausstattung mit so problematischen Gütern wie Atomkraftwerken als eine einzige Gefahr. Die soll durch das Einschreiten der amerikanischen Macht prinzipiell unterbunden werden. Deswegen wirkt die Regierung auf die US-Ölfirma Conoco ein, die gerade die Ausschreibung für die Entwicklung eines iranischen Offshore-Ölfeldes im Golf gewonnen hatte, auf dieses Geschäft zu verzichten; deswegen strengt sie sich an, die Beteiligung des Iran am Ölgeschäft in Aserbeidschan zu verhindern; deswegen verbietet sie den Export von „Ausrüstungsgegenständen für Ölfelder“; deswegen beschließt sie einen generellen Boykott. Der Nutzen der anderen Seite, der noch bei jedem Handel zustande kommt, ist der unerträgliche Zustand. Die Beschwerde der Iraner, man wolle sie daran hindern, „sich moderne Technologie für eine erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung zu verschaffen“ (FAZ 3.5.95), liegt da schon richtig.
Allerdings zielt das Bemühen der USA auf mehr. Ihrer feindlichen strategischen Sichtweise soll sich auch der ganze Rest der Welt anschließen. Alle anderen interessierten Mächte sollen ihre Konkurrenzanstrengungen und wirtschaftlichen Berechnungen zurückstellen, weil sie nach amerikanischer Lesart dem mißliebigen Staat zu mehr Macht verhelfen, als ihm eigentlich zusteht. Die „Partner“ der USA einschließlich Rußland sind vom Ordnungsbedürfnis der Führungsmacht in der Region nicht bloß „betroffen“, weil mit einem neuen Antrag auf „Mitmachen“ konfrontiert. Das neue antiiranische Szenario ist bewußt auf sie gemünzt – wie beim Irak auch schon. Handel und Wandel ebenso wie Rüstungsgeschäft und Rüstungspolitik, mit denen alle entscheidenden Nationen um Aufträge und Einfluß konkurrieren, sind unter einen parteilichen strategischen Vorbehalt der USA gestellt. Der Verdacht der übrigen Staatenwelt, die USA wollten die Region für sich monopolisieren, kann also gar nicht ausbleiben.
Die USA wollen ein strategisches Geschäft Rußlands verbieten
Betroffen von diesem US-Verdikt war zunächst Rußland. Dessen neue marktwirtschaftliche Führer, die sonst mit wenig weltwirtschaftlichen Erfolgen gesegnet sind, hatten mit dem Großauftrag ein Geschäft unter Dach und Fach gebracht, das bei westlichen Ökonomen als strategisches Schlüsselgeschäft gilt, weil es den auswärtigen Handelspartner in nationalen Grundlagen vom Lieferland abhängig macht.[10] Erfreulich war dieser Deal auch deshalb, weil endlich mal ein Stück sowjetische Erbmasse ökonomisch brauchbar war und der neuen russischen Staatsraison nutzte. Bislang war die Kerntechnik eher zur Last geworden. Mangels neuer militärischer Aufträge ist sie in großen Bereichen ein aufwendiger Stillegungsfall samt Abwicklung eines hochkarätigen Fachpersonals statt ein wirtschaftlicher Beitrag. So gesehen stand mit dem Iran-Geschäft ein ausnahmsweise mal gelungener Fall von „Konversion“ ins Haus. Der Iran war für diese Sorte Geschäft eine der wenigen „Marktlücken“, die nicht bereits vom exklusiven Kreis der westlichen Atommafia besetzt und kontrolliert sind, eben weil die USA diesen Staat seit längerem zum Paria erklärt haben. Rußland hat den Zuschlag des Iran nur bekommen, weil Deutschland zwar jahrelang seinen Siemens-Fuß in Buschir pflegte, aber aus Vorsicht gegenüber dem amerikanischen Freund die Fertigstellung der KKW unterließ.[11]
Die USA hat es aber wie beim Iran auch bei Rußland nicht beeindruckt, daß es sich auf die penible Einhaltung der üblichen Geschäftspraxis berufen konnte. Sie bestanden auf Rücktritt vom Geschäft:
„Die Vereinigten Staaten werden sich nach den Worten Außenminister Christophers ‚mit nichts anderem als dem Ende des (iranischen) Atomprogramms zufriedengeben‘. Vor der Abreise Präsident Clintons zum Moskauer Gipfeltreffen mit Präsident Jelzin am Montag bekräftigte Christopher den entschiedenen amerikanischen Widerstand gegen die Lieferung russischer Leichtwasserreaktoren und anderer Nukleartechnik an Iran.“ (FAZ 6.5.95)
Damit war ausgerechnet zu einem Gipfeltreffen im Umkreis der Feierlichkeiten zum alliierten Sieg im 2. Weltkrieg ein schwerwiegender diplomatischer Konflikt mit Rußland eröffnet. Das amerikanische Begehren stand nicht nur im Kontrast zu amerikanischen Beteuerungen, man sei an einem wirtschaftlich und politisch „stabilen“ Rußland interessiert. Die USA beanspruchten ein Entscheidungsrecht über Auslandsgeschäfte Rußlands, als unterliege dieses politisch-militärischen Bündnispflichten wie seinerzeit die NATO-Partner in Sachen COCOM-Liste gegen den Ostblock. Im Sinne einer völkerrechtlichen Verpflichtung Rußlands führten die USA das Nichtverbreitungsgebot des NVV an. Rußland, das von der SU mit der Atommacht auch die Führungsrolle eines „Have“ im NVV geerbt hat, wurde also mit dem Anspruch der USA konfrontiert, einseitig zu definieren, wo die gebotene „zivile Förderung“ aufhört und die verbotene „Proliferation“ anfängt. Die USA stellten damit klar, wie sie die „globale Zusammenarbeit“ mit Rußland in Sachen „Frieden und Abrüstung“ verstehen: als Verschrottung jeder Potenz Rußlands daheim, also auch jeder Potenz, in solchen strategischen Dingen international mitzumischen. Die US-Diplomaten wußten schon, warum sie ein wenig flankierende Pflege des diplomatischen Scheins von gleich zu gleich betrieben und Clinton Rußland heuchlerisch an sein eigenes Sicherheitsinteresse an einem atomwaffenfreien Iran erinnerte:
„Rußland hat als Nachbar des Iran ein besonderes Interesse an der Erreichung dieses Ziels. Wenn Rußland den Verkauf von Atomreaktoren fortsetzt, wird es dieses Ziel unterhöhlen.“ [12]
Rußland lernt imperialistische Konditionen des Weltmarkts
Rußland zeigte sich gelehrig, freilich nicht im Sinne der USA. Russische Diplomaten beharrten zunächst auf der Gleichberechtigung beim NVV, warfen ihrerseits den USA dessen Verletzung vor und drohten feinsinnig mit dessen Nichtverlängerung:
„‚In Rußland fürchtet man, daß die Position der Vereinigten Staaten, die einer Diskriminierung des Iran gleichkommt, dazu führen könnte, daß eine Verlängerung des Atomwaffensperrvertrags scheitert‘, sagte der Vorsitzende der Informationsabteilung des russischen Atomministeriums, Kaurow… Nach Artikel vier des Atomwaffensperrvertrages sei, so Kaurow, jedes Land, das im Besitz von Kernwaffen ist, verpflichtet, anderen Unterzeichnerstaaten, die nicht im Besitz von Kernwaffen sind, bei der Entwicklung der Kerntechnik und der Nutzung der Kernenergie für friedliche Zwecke Hilfe zu leisten. … Nach russischem Verständnis ist somit der amerikanische Protest gegen das Atomgeschäft eine Diskriminierung des Iran, die nicht zugelassen werden könne.“ (FAZ 27.3.95)
Präsident Jelzin beharrte auf dem Gipfeltreffen mit Clinton auf Rußlands Geschäft. Das Zugeständnis, auf die Lieferung einer Gaszentrifuge zu verzichten, wurde wenig später wieder dementiert und wird wohl die amerikanisch-russische Kommission noch beschäftigen, zu der sich Rußland bereit fand. Mit dem Argument, das Atomgeschäft sei „legal“, erhob Jelzin Rußlands Interesse zum Recht und setzte es dem gegenteiligen Standpunkt der USA entgegen: „Wir haben keine Angst vor Drohungen.“ Was die sowjetischen Realsozialisten irgendwann nicht mehr wahrhaben wollten, lernen also die neuen russischen Marktwirtschaftler ziemlich schnell neu kennen: Der „friedliche Welthandel“ ist eine Frage des Rechts und das ist ein Geschöpf staatlicher Macht. Und wenn sie es beim Iran-Geschäft nicht ohnehin schon im Sinn gehabt haben, so bekennen sie sich mit der gezielten diplomatischen Entlarvung:
„‚Wir haben den Eindruck, daß die Vereinigten Staaten nur um ihre Marktanteile fürchten‘, sagte Kaurow.“ (a.a.O),
dazu, daß sie sich auch in die „Einfluß“ genannte Kombination von Geschäft und Gewalt einleben, die die Ökonomie des Imperialismus so hochpolitisch macht. So entdecken sie ihre „südlichen Nachbarn“ neu unter dem Gesichtspunkt der eigenen Einflußsphäre.
„Iran ist eine einflußreiche Macht am Golf, und jeder Versuch der Isolation wird nicht die gewünschten Ergebnisse erzielen.“ [13]
Die USA wollen den Schulterschluß des Westens erneuern
Rußland war nicht der einzige Adressat der USA. Unüberhörbar war der Befund und die Anklage der USA, auch die westlichen Partner seien auf lauter Abwegen, statt den einen „freien Westen“ zu bilden. Clintons Sittengemälde, das Böse schmarotze von den falschen Freiheiten, die ihm die Welt gewährt, läßt ziemlich offen, ob er noch Weggefährten vor Fahrlässigkeit warnen oder Konkurrenten beschuldigen will, mit unzulässigen Geschäften Giftnattern wie den Iran hochzuziehen. Eines steht für die amerikanischen Eindämmungsstrategen fest: Zu Macht kommen Widersacher Amerikas in den fertigen Kräfteverhältnissen der Staatenwelt nur aus den Arsenalen der mächtigen Staaten, also müssen dort die Quellen eingedämmt werden.
„Die Industrienationen, die dem Iran weiterhin konzessionierte Kredite gewähren, können sich den Konsequenzen ihres Handelns nicht entziehen: Sie erleichtern es dem Iran, seine Ressourcen zur Unterstützung des Terrorismus einzusetzen und die Aussichten für den Frieden auszuhöhlen… Wir erwarten, daß die Mitglieder des Sicherheitsrats, denen auf diesem Gebiet besondere Verantwortung zukommt, gemeinsam mit uns vorgehen.“ (Christopher)
Am Fall Iran strapazieren die USA also die Einrichtungen der alten antisowjetischen Weltordnung als Instrumente einer Neuen Weltordnung und verlangen Gefolgschaft. Nicht nur von Rußland wollen sie die Zustimmung zu einem Welthandel, den die USA politisieren, indem nach ihrer Definition Nationen als Handelspartner gesperrt und gewisse Waren in den Giftschrank strategischer Artikel eingeschlossen werden sollen. Auch die Einrichtungen des internationalen Kredits sollen als Waffen der Weltordnungspolitik Amerikas zur Verfügung stehen. Ihr Wille zur Konservierung der Kräfteverhältnisse ist erklärtermaßen „aggressiv“ – fragt sich, gegen wen:
„Auch im Hinblick auf konventionelle Waffen und Raketen verfolgen wir eine aggressive Strategie… Darüber hinaus wollen wir ein Nachfolgeregime für den COCOM erarbeiten, das den Handel mit Waffen und sicherheitsempfindlichen Technologien mit den Paria-Staaten eindämmt.“ (Christopher)
So gesehen hat der Fall Iran ähnlich exemplarische Qualität wie der Irak-Krieg. Deswegen deutet der amerikanische Präsident seinen Boykott-Beschluß auch als Signal an noch ganz andere Adressen als den Iran:
„Unseren Schätzungen zufolge wird das Embargo begrenzte Auswirkungen haben. Nach Prüfung aller Optionen habe ich jedoch entschieden, daß wir selber Opfer bringen und eine Führungsrolle übernehmen müssen, wenn wir andere Nationen zu Opfern veranlassen wollen, um das Verhalten des Iran zu ändern… Mein Beschluß zur Verhängung des Embargos sollte dem Iran und der ganzen Welt die unverminderte Entschlossenheit der Vereinigten Staaten vor Augen führen, alles in ihrer Macht Stehende zu unternehmen, um dem Verhalten und den Ambitionen dieser Nation Beschränkungen aufzuerlegen.“ (Clinton)
Die Gegenstrategien der Verbündeten
Die Meldungen über ihren Erfolg in der Isolierung Irans –
„Unsere Politik hat dazu beigetragen, daß der Iran für seine Aktionen bezahlt. Das Land wurde wirksam von der Kreditvergabe durch internationale Finanzinstitutionen ausgeschlossen.“ (Clinton) –
haben so ihre Schattenseiten. Zwar haben die USA wirksam verhindert, daß Umschuldungen über den IWF zustande gekommen sind. Dafür wurden das erste Mal in der Geschichte des IWF die Schulden eines Mitglieds bilateral verlängert. Alle wichtigen europäischen Nationen haben, teils untereinander abgestimmt, in zweiseitigen Abmachungen mit dem Iran die alten Kredite umgeschichtet. Bei den Weltmarktnationen ist Amerikas Verlangen nach einem gemeinsamen Wirtschaftsboykott gegen Iran also auf Widerstand gestoßen. Und das sind eben die Nationen, von deren Handel und Kredit Irans Wirtschaft abhängig ist, deren Mitmachen also für den amerikanischen Erfolg unerläßlich ist. Von Japan bis Europa wurde aber höflich und bestimmt erklärt, das Embargo läge weder im wirtschaftlichen noch im politischen Interesse
. (IHT 3.5.95)
Japan wollte trotz oder wegen des eigenen Handelsstreits mit den USA keineswegs auf den Iran als drittgrößten Öllieferanten der Nation verzichten. Stattdessen planten Tokios Strategen gerade, Irans nationale Unabhängigkeitsbemühungen zum Ausbau eines bilateralen Verhältnisses auszunutzen, indem japanischer Entwicklungs-Kredit ein Wasserkraftwerk bei Teheran finanzieren sollte. Japans Zusage an Clinton, dieses Projekt lasse sich überdenken und hinauszögern, hat inzwischen zu einem Resultat geführt:
„Japan hat den USA offiziell mitgeteilt, daß es sich an den Handels- und Investitionssanktionen gegenüber Iran nicht beteiligen wird… mit dem Argument, daß die moderaten Kräfte im Iran gestärkt werden müssen, und dazu seien Strafmaßnahmen nicht geeignet.“ (MEED 23.6.95)
Auch Großbritannien wies das Verlangen des special partner prinzipiell zurück:
„Als Handelsnation haben wir die Sicht eingenommen, daß Handelsembargos nicht ein Instrument von Politik sind, das wir favorisieren. Wir sind nicht überzeugt, daß sie wirken.“ (IHT 3.5.95)
Frankreich leistete sich einen offiziellen Affront, der nur dadurch überspielt wurde, daß von beiden Seiten so getan wurde, als liege er nicht auf der Ebene der Regierungen. Die französische Ölfirma Total stieg in das Geschäft ein, auf das das US-Unternehmen Conoco auf Drängen Clintons noch vor Verhängen des Embargos verzichtet hat:
„Total hat trotz des Drucks der USA, nicht in den Iran zu gehen, ein 600 Mio $ Abkommen unterzeichnet, zwei iranische Offshore-Ölfelder im Golf zu entwickeln… Das Sirri-Abkommen verschafft Frankreich eine privilegierte Stellung, die die Beziehungen, mit den Worten des Außenministers Ali Akbar Velayati, auf einen „dauerhaften und langfristigen“ Status hebt… Total, das vier Jahre lang verhandelt hatte, hatte den Vertrag im März an Conoco aus den USA verloren… Ein Sprecher des US-Außenministeriums sagte am 13. Juli, daß es in Frankreich Protest eingelegt habe und Paris aufgefordert habe, keine öffentlichen Kredite zur Finanzierung des Geschäfts herzugeben. Ein Sprecher des französischen Außenministeriums antwortete am 17. Juli, daß es keine rechtlichen Mittel habe, das Abkommen zu blockieren.“ (MEED 28.7.95)
Die Wirksamkeit des US-Vorgehens gegen Iran war damit bestritten und das Embargo in einen einseitigen amerikanischen Geschäftsverzicht verkehrt. Darüberhinaus war ein Interessensgegensatz grundsätzlicherer Art auf dem Tisch. Das „wirtschaftliche Interesse“ der Weltmarktkonkurrenten der USA verweigert deren Politisierung des Welthandels die Gefolgschaft und erklärt sie stattdessen zum Anschlag auf die „gemeinsamen Prinzipien“ des Freihandels. Sprich: auf ihr Interesse an Handel mit Iran, der national positiv zu Buche schlägt.
Darüberhinaus wurde auch noch von der EU unter deutsch-französischer Führung eine abweichende politische Beurteilung des Iran zu Protokoll gegeben, also ein konkurrierendes Interesse an politischem Einfluß und ‚Weltordnungskompetenz‘ angemeldet. Zunächst versicherte Deutschlands Rexrodt in erprobter Heuchelei des partner in leadership:
„Deutschland teile die Sorge der amerikanischen Regierung wegen der Ausbreitung von Terrorismus und Fundamentalismus.“ (FAZ 3.5.95)
Tatsächlich halten auch die europäischen Führungsmächte die „antiimperialistischen“ Unabhängigkeits- und Lagerbildungsambitionen der Mullahs für korrekturbedürftig. Daß es dabei aber nicht um Beistand für die amerikanische Neuordnung des Nahen Ostens, sondern um eine „realistischere“ Fügsamkeit des Iran gegenüber dem europäischen Interesse an Einfluß und Geschäft am Golf geht, hat Rexrodt auch offenbart. Wie einen Tip an die USA zu einer effektiveren Methode zur Erziehung des Iran legte er die anders gelagerten Einflußziele Deutschlands dar:
„Ein Handelsembargo sei aber nicht das geeignete Instrument, um eine politische Entwicklung zu mehr Freiheit und Liberalisierung in Gang zu bringen. „Es sei gefährlich, Länder in eine Ecke zu stellen und sie zu isolieren“, mahnte Rexrodt.“ (FAZ 3.5.95)
Deutschland hat noch im Februar 1995 auf Beschluß eines interministeriellen Gremiums die Sperre für Hermes-Bürgschaften im Irangeschäft aufgehoben,
„obwohl Christopher die Erwartung geäußert hatte, daß die sieben führenden Industrieländer Iran zinsgünstige Kredite und andere Zugeständnisse verweigern würden.“ (FAZ 3.5.95)
Erklärte Absicht dieses Schrittes war, hier eine Vorreiterrolle für Europa und Japan zu spielen. Mit der europäischen Absprache[14] im Rücken, das Embargo den USA zu überlassen, sekundierte Frankreich:
„Der französische Außenminister Juppé sagte in Paris, seine Regierung glaube nicht ‚an einseitige Embargos‘. Frankreich teile zwar viele Sorgen der Vereinigten Staaten, unterhalte aber gerade deswegen einen ‚kritischen Dialog‘ mit Teheran.“ (FAZ 3.5.95)
Im Namen von „Freiheit und Liberalisierung“ testen Europas Weltmächte auf ihre Weise und in ihrem Interesse, wie weit sich die iranischen Fundamentalisten in ihre innere Ordnung hereinreden lassen, um gewünschte Beziehungen zu den europäischen Imperialisten zu erhalten. Und dafür haben sich die europäischen Kulturnationen längst eigene Rechtstitel und Testfälle geschaffen: Wie steht es um den iranischen Bannfluch gegen den „satanischen“ Dichter Rushdie? Wie springt Teheran mit einer inneren Opposition um, von der sich Frankreich und Deutschland immer einige Exilanten bevorraten? Geben die Mullahs der Spionage überführte Deutsche an ihre nationalen Eigentümer zurück? usw. Der „kritische Dialog“ mit dem Iran ist für Länder wie Deutschland und Frankreich gerade deswegen so interessant, weil die amerikanische Nah-Ost-Politik diesen Staat „in die Ecke stellt“. Europas Weltpolitiker wollen sich nämlich nicht damit abfinden, daß die USA seit dem Irak-Krieg das politische Ordnen des Nahen Osten ziemlich gründlich monopolisiert haben. So erhellt sich auch die diplomatische Affäre, daß der deutsche Geheimdienst seine guten Beziehungen zum iranischen dazu genutzt hat, für Israel einen Deal um seinen abgeschossenen und gefangenen Kampfflieger und einen von Israel eingesperrten Fundamentalistenführer einzufädeln. Es soll eben doch nichts ohne den deutsch-europäischen Einfluß zu regeln sein.
Amerika deckt zum wiederholten Mal das Verbrechen Saddam Hussein auf
Mitten in dem anhaltenden Streit um den Iran ist auch der andere „terroristische“ Staat, der Irak, zum wiederholten Mal weltöffentlich auffällig geworden. Der Staatenwelt wurden „Fakten“ zu Ohren gebracht, die jeden Glauben an Einsichtsfähigkeit und Einsichtswillen des brutalen „Schlächters“ und Störenfrieds jedes Nah-Ost-Friedens schlagend belegen sollen. Die USA sahen sich prompt in ihrer unbeugsamen Haltung bestätigt und machten sich zum entschiedenen Befürworter eines neuen Handlungsbedarfs, damit der Irak endlich so in die Knie gezwungen wird, daß niemals mehr eine Gefahr von diesem Staat und seinem „verrückten“ Chef ausgehen kann. Geliefert wurden die Beweise für die fortbestehende unberechenbare Feindschaft Iraks aus höchstoffizieller irakischer Quelle. Sie stammen aus dem Mund eines nach Jordanien geflohenen Familienmitglieds Saddams, der selbst die drittwichtigste Machtfunktion im Staate ausgeübt hat; sind also kaum glaubwürdiger zu haben. Nach den Worten des geflüchteten Schwiegersohns hätte im August ein erneuter irakischer Überfall auf Kuweit stattfinden sollen, wäre nicht die jetzige Entlarvung dieses Plans dem zuvorgekommen; im übrigen hätte Saddam im Golfkrieg den Einsatz bakteriologischer Waffen vorgehabt, wenn – so wieder die USA – sie nicht mit Atomwaffen gedroht hätten, was selbstverständlich für ihre Atomwaffen und gegen das irakische Kriegspotential spricht. Trotz aller Überwachung und peinlichen Befragung durch UN-Inspektoren hätte es Saddam bis jetzt vermocht, den wirklichen Stand der Aufrüstung und den Umfang des vorhandenen Waffenarsenals Iraks zu verheimlichen. Dieser freudig geglaubte Verdacht bekommt neue Nahrung, weil die irakische Regierung als Reaktion auf diese Entlarvung selbst freiwillig zugibt, mit bakteriologischen Waffen herumexperimentiert zu haben, so daß dann auch der vom irakischen Dissidenten angeführte Konjunktiv, wenn Saddam Kuweit erobert hätte, dann hätte der Irak erst recht sein Atomwaffenprogramm fortgeführt, zur unumstößlichen Wahrheit über das wird, was dieser Diktator noch jetzt alles im Schilde führt. Kaum waren die hohen Regierungsmitglieder in Jordanien mit demonstrativer Feindseligkeit gegen Saddam aufgenommen, schon wurden „ungewöhnliche Truppenbewegungen“ der irakischen Armee im Süden des Landes gesichtet: Dieses Mal soll das Regime in Bagdad sogar einen Überfall auf Jordanien vorgehabt haben, gegen den einzigen Staat in der Umgebung also, der noch Handelsbeziehungen mit dem Irak aufrechterhält. Davon mußte der Verrückte abgeschreckt werden, mit aller US-Macht, wie es sich gehört. Die USA beorderten ihre Kriegsflotte vor Ort, sandten Tausende GIs zum Schutz des erneut bedrohten Kuweit in die dortige Wüste und hielten Manöver mit jordanischen Truppen ab, nachdem auch der König dieses Landes endlich gemerkt hatte, daß Saddam der einzige Feind seiner Region und damit seines Staates ist. Den letzten Beweis, daß von Saddam schon wieder die Bedrohung des Friedens im Nahen Ostens und des Weltfriedens insgesamt ausgeht, lieferten die angelandeten amerikanischen Truppen. Würden die USA sich so aufstellen, wenn nicht wirklich die Gefahr eines von Saddam neu angezettelten Krieges bestünde?
Das jetzt zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres mit einem militärischen Großaufmarsch gekrönte Schauspiel ‚Amerika schützt die Region vor dem irakischen Verbrecher‘ beweist freilich etwas anderes. Die Clinton-Regierung erklärt selbst, daß „sie nicht damit rechnet, daß der irakische Diktator Saddam Hussein in absehbarer Zeit Kuwait, Saudiarabien oder Jordanien angreifen will“ (NZZ 24.8.). Sie reagiert mit ihrem erneuten Aufmarsch am Golf also auch nicht auf entsprechende Pläne Bagdads, sondern konfrontiert das Land mit einer neuen Kriegsbedrohung, um dessen noch vorhandene Herrschaft ein Stück weiter zu destabilisieren. Die Entmachtung des Irak, dessen militärische Mittel teils völlig zerstört sind, teils einer totalen äußeren Kontrolle unterliegen und dessen territoriale Hoheit weitgehend beschränkt ist – der Norden ist das freie Bewegungsfeld der türkischen Kurdenverfolgung, südlich des 38.Breitengrades gilt nur die Kontrolle der westlichen Flugüberwachung –, stellt die amerikanische Regierung nämlich noch lange nicht zufrieden. Die Flucht des bisherigen Chefs der irakischen Militärplanung beschert der amerikanischen Hüter des nahöstlichen Friedensprozesses einen weiteren Zerfall der Macht Saddams. Daß Mitglieder des inneren „Familien-Clans“ sich vom „Diktator“ abwenden, feiert Amerika als gerechten Erfolg der internationalen Isolierung: Mit der Überstellung Hussein Kamels nach Jordanien sei dem CIA ein entscheidender Schlag gelungen, wird öffentlich verkündet. Dann wird es wohl auch so gewesen sein! In amerikanischen Regierungskreisen wird kurzfristig die Überlegung gewälzt, ob Amerika in der Person des Überläufers, der für alle militärischen Verbrechen verantwortlich war, die nach fester Einschätzung der USA vom Irak ausgegangen sind, die passende Figur gefunden hat, die man an Stelle Saddams zum künftigen Staatsverwalter Iraks einsetzen könnte. Auf alle Fälle wird der Beweis, daß Saddam nicht einmal mehr über eine fraglose persönliche Hausmacht verfügt, zur Gelegenheit genommen, dem erklärten Feind die Unmöglichkeit seiner Selbstbehauptung vor Augen zu führen. Das wird mit entsprechendem Nachdruck versehen und der längst bloß noch um sein politisches Überleben ringende Diktator deswegen weltöffentlich unter eine neue Kriegsdrohung gesetzt.
Das „Böse“ dieser „unerträglichen Diktatur“ besteht für Amerika eben gar nicht in dem, was der Herrscher über den irakischen Staat jetzt noch mit seiner „Unberechenbarkeit“ alles im Nahen Osten anstellen könnte, sondern im hartnäckigen Selbstbehauptungswillen seiner längst weitgehend entmachteten und weltpolitisch handlungsunfähigen Herrschaft, auch wenn dieser Selbstbehauptungswille sein einziges Mittel längst darin findet, den Auflagen, die ihm im Namen der UNO gemacht werden, nachzukommen. Die USA entnehmen diesen Bemühungen zielstrebig die Kalkulation, damit wieder ein Stück Staatsanerkennung zu erfahren und sich von dem verhängten Boykott, der das Land ruiniert hat, zu befreien. Für sie ist der Zweck des Irak-Krieges nicht erreicht, solange Saddam noch regiert, der Mann, der den irakischen Aufstand gegen den Ordnungsanspruch der USA personifiziert, dessen Ende sie mit dem Golfkrieg zum Programm erklärt haben und den sie deswegen beseitigen wollen, egal ob das amerikanische Bedürfnis nach nationaler Unterordnung durch Personalwechsel überhaupt zu befriedigen ist. Deswegen lehnen die USA eine Lockerung des UNO-Boykottbeschlusses ab, und jedem Bericht des Überwachungsbeauftragten der UNO Ekeus entnehmen die USA immer nur, daß Gefahr im Verzug ist.
Auch in diesem Fall geht es also um mehr als um den begrenzten Widerstand, den Saddam dem amerikanischen Begehren entgegenzusetzen vermag. Es geht um eine Botschaft an die Adresse der UNO-Mitaufsichtsmächte und Konkurrenten. Die haben nämlich auch in diesem Fall ihre abweichende Sicht der Dinge und haben sie auch schon zu Protokoll gegeben.[15] Bei den in regelmäßigen Abständen anstehenden Sicherheitsratsabstimmungen über eine Fortführung des totalen Wirtschaftsboykotts gegen waren sich zuletzt die Boykottstaaten längst nicht mehr einig. Gegen den unbeugsamen Willen der USA, die am erfolgreich geführten Irakschlag nachträglich bemängeln, ihn nicht vollständig zu Ende geführt zu haben, standen Kalkulationen Rußlands und vor allem der europäischen Staaten, daß aus der herbeigeführten irakischen Ohnmacht ein Mittel für eigenen geschäftlichen und politischen Einfluß zu machen wäre. Deswegen wollen sie den Boykottbeschluß eigentlich längst aufheben. Um das zu unterbinden und um auf Geschlossenheit der Anti-Saddam-Koalition zu dringen, haben die USA zum wiederholten Mal die Kriegslage erneuert. Die imperialistischen Konkurrenten der USA, die in letzter Zeit eine heftige Reiseaktivität in den Irak entwickelt haben, um an allererster Stelle dabei zu sein, wenn es nach dem Ende des Boykotts um den Wiederaufbau dieses Landes, genauer um die Frage geht, welche Nation vorrangig der Protektor und Nutznießer dieses Ölstaats wird, haben ihre diesbezüglichen Pläne vorläufig wieder einmal zu den Akten gelegt. Einen UNO-offiziellen Bruch mit der von den USA weltöffentlich vorgeführten Kampflinie wollten sie dann doch nicht riskieren. So wurde – unter heftigem Einsatz der moralischen Empörung, die dem „Schlächter von Bagdad“ gilt – wieder einmal der Frieden im Nahen Osten durch Amerika gerettet.
[1] Rede von US-Präsident Clinton am 30.4.95, Amerika Dienst 17, 10.5.95; im folgenden zitiert als „Rede“
[2] „Iran leistet extremistischen palästinensischen Gruppen keine praktische Hilfe und wird einem Friedensabkommen zwischen Syrien und Israel nicht entgegenstehen. Wenn es einen Frieden gibt, der Syrien zufriedenstellt, haben wir keine Probleme mit Syrien.“ (Middle East Economic Digest (MEED) 14.7.95)
[3] „Hans Blix, Vorsitzender der IAEO, sagte, daß er keine Probleme aus dem Geschäft Rußlands mit Iran voraussehe, da das Land „alle Sicherheitsmaßnahmen akzeptiert hat … und auch die IAEO eingeladen hat, zu einem beliebigen Zeitpunkt an alle Stellen zu kommen, die Installationen zu inspizieren.“ Er sagte auch, daß die IAEO im Iran „niemals gesehen hat, daß nukleares Material abgezweigt worden wäre.““ (MEED 14.7.95)
[4] Schon fast komisch war ein öffentlicher Dialog zwischen Israel und den USA zu Anfang des Jahres, als Israel die Meldung lancierte, Iran könne „in drei bis fünf“ Jahren eine „islamische Bombe“ bauen. Die ‚Bombe der Mullahs‘ sollte nämlich Israels Nein zum Atomwaffensperrvertrag legitimieren. Stellen im Pentagon widersprachen dem und meinten, daß für ein solches Projekt mindestens 15 Jahren erforderlich wären. Inzwischen hat man sich auf die Version geeinigt, daß eine iranische Bombe in etwa 7 – 8 Jahren zu haben wäre.
[5] Außenminister Christopher, Amerika Dienst (AD) 26.1.95
[6] Nach dem Zweiten Weltkrieg war der Persische Golf zu einer Lebensader für die industrialisierte Welt geworden, für deren Verteidigung die USA bereit waren, sehr viel Geld, Waffen und nötigenfalls auch Blut zu investieren. Denn hier lagern 65 Prozent der weltweiten Erdölvorkommen, die mangels Alternative auch in Zukunft die wichtigste Energiequelle bleiben werden. Um den Ölfluß zu garantieren, ließen sich die USA in den vergangenen Jahrzehnten auf ein Strategie-Spiel ein, das mal Iran, mal Irak als Partner favorisierte. Bis zur islamischen Revolution 1979 bauten die USA Iran militärisch auf, um Iraks Stärke einzudämmen, danach lief das Spiel umgekehrt. Gemeinsam mit Frankreich, Deutschland und der Sowjetunion rüsteten die USA Irak bis 1988 zu einem waffenstarrenden Monster auf…
Albrecht Metzger, FR 26.7.95
[7] Baker, nach FR 26.7.95
[8] Die Aufgabe, die sie sich gestellt haben, haben die USA inzwischen in eine militärische Dauerpräsenz vor Ort gegossen:
[9] Martin Indyk, ehem. Nahost-Berater Clintons im Nationalen Sicherheitsrat, FR 26.7.95
[10] Darauf sind die sehr politischen Ökonomen des Westen schon gleich scharf. Nichts anderes meint die deutsche Umweltministerin Merkel, wenn sie in der nationalen Energiedebatte auf der Option neuer KKW beharrt, weil Deutschland „die fortschrittlichste Technik“ habe und damit Deutschland „international zur Verbesserung der Sicherheit von KKW beitragen“ könne.
[11] Der Vorsitzende der Informationsabteilung des russischen Atomministeriums „Kaurow erinnerte daran, daß Deutschland mit dem Bau eines Atomkraftwerks in Buschir begonnen habe. Fünf Millionen Mark seien dort bereits investiert worden. Als Iran sich 1992 an Rußland gewandt habe, habe der russische Atomminister, Michajlow, dem deutschen Wirtschaftsminister Rexrodt vorgeschlagen, den Bau in deutsch-russischer Zusammenarbeit zu beenden. Erst nachdem Rexrodt abgelehnt habe, und nach gründlicher Überprüfung durch die IAEO habe sich Rußland zu dem Geschäft entschlossen.“ (FAZ 27.3.95)
[12] Der republikanischen Opposition in den USA blieb es überlassen, aus dem Fall Iran explizit den Fall Rußland zu machen: Mit sowjetkommunistischem Erbe betreibt Rußland schmutzige Geschäfte, durch die es Amerikas Feinde aufrüstet und sich selbst Einfluß verschafft. Präsidentschaftsaspirant Dole empfahl seinem Konkurrenten im Amt, „er möge sich seine Moskaureise doch noch einmal überlegen, wenn Jelzin wirklich auf seinen Reaktorverkäufen beharre.“ (FAZ 3.5.95)
[13] Ein russischer Politiker in einem Interview mit der iranischen Zeitung Hayat, FR 26.7.95
[14] Daß hier mal eine gemeinsame europäische Außenpolitik zustandekommt, bemerken US-Journalisten natürlich sofort: Die Nationen der EU, Frankreich, Deutschland und Britannien, haben sich verständigt auf das, was sie ‚kritischen Dialog‘ mit dem Iran nennen, als Opposition zu Handelssanktionen. Sie haben sich auch auf eine Gemeinschafts-Aktion verständigt, wo ihr Handel betroffen ist.
(IHT 3.5.95)
[15] Vgl. den Artikel „Die UNO der 90er Jahre. Fortschritte des Imperialismus unter der Losung seiner Überwindung“ in GegenStandpunkt 1-93, S.15, der die 1. Auflage dieser amerikanischen Strategie behandelt, die Verbündeten ständig in eine neuerliche Anti-Saddam-Koalition zu zwingen.