Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
‚Honesty first!‘
Trump renoviert die moralischen Standards demokratischer Herrschaft
Seit Anfang des Jahres hat die Supermacht einen neuen Chef. Seitdem setzt der Fakten, nicht nur weltpolitischer Art. Auch mit seinem ‚Politikstil‘ setzt er Maßstäbe; für die Art, wie demokratische Regierungsmacht ausgeübt wird, wie man sich als Herrscher an sein Volk und – wie es sich für eine Supermacht gehört, die eine ganze Weltordnung definiert – an die Völker der ganzen Welt wendet. Das tut im Grunde jeder amerikanische Präsident, man muss nur an Trumps unmittelbaren Vorgänger denken; doch Donald Trump ist schon etwas Besonderes. Für die Sitten, die er pflegt, und die politischen Anstandsregeln, die er prägt, halten die journalistischen Vertreter der Weltbevölkerung zwei eng verwandte Prädikate bereit: unanständig und undemokratisch. Die GegenStandpunkt-Redaktion will den neuen Bewohner des Weißen Hauses nicht anständiger machen, als er ist. Aber ein Blick auf seine Amtsführung im vergangenen Quartal zeigt recht deutlich: Un- oder gar anti-demokratisch ist an Trumps herrschaftlichem Stil nichts; und die Maßstäbe, die die Wächter des demokratischen Anstands gegen Trump in Anschlag bringen, sind um keinen Deut besser.
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Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Gliederung
- I. Trumps erste vollständig besetzte Kabinettssitzung
- II. Eine Pro-Trump-Kundgebung in Iowa
- III. Fortschritte im Kampf um schärfere Immigrationsgesetze
- IV. Der Kampf gegen die ‚mainstream media‘ geht weiter
- V. Feier der französisch-amerikanischen Freundschaft
- VI. Die ‚Russland-Affäre‘ geht weiter
- VII. Die Einweihung des größten Flugzeugträgers der Welt
- VIII. Die Reform des amerikanischen Gesundheitswesens scheitert
- IX. Trump sortiert sein Personal neu
- X. Aufmarsch und Anschlag der Rechten in Charlottesville
- XI. Bannon gefeuert, Nation-Building in Afghanistan storniert
‚Honesty first!‘
Trump renoviert die moralischen Standards demokratischer Herrschaft
Seit Anfang des Jahres hat die Supermacht einen neuen Chef. Seitdem setzt der Fakten, nicht nur weltpolitischer Art. Auch mit seinem ‚Politikstil‘ setzt er Maßstäbe; für die Art, wie demokratische Regierungsmacht ausgeübt wird, wie man sich als Herrscher an sein Volk und – wie es sich für eine Supermacht gehört, die eine ganze Weltordnung definiert – an die Völker der ganzen Welt wendet. Das tut im Grunde jeder amerikanische Präsident, man muss nur an Trumps unmittelbaren Vorgänger denken; doch Donald Trump ist schon etwas Besonderes. Für die Sitten, die er pflegt, und die politischen Anstandsregeln, die er prägt, halten die journalistischen Vertreter der Weltbevölkerung zwei eng verwandte Prädikate bereit: unanständig und undemokratisch. Die GegenStandpunkt-Redaktion will den neuen Bewohner des Weißen Hauses nicht anständiger machen, als er ist. Aber ein Blick auf seine Amtsführung im vergangenen Quartal zeigt recht deutlich: Un- oder gar anti-demokratisch ist an Trumps herrschaftlichem Stil nichts; und die Maßstäbe, die die Wächter des demokratischen Anstands gegen Trump in Anschlag bringen, sind um keinen Deut besser.
I.
Knapp fünf Monate nach seiner Amtseinführung hält Trump seine erste vollständig besetzte Kabinettssitzung ab; und weil auch Vertreter der Presse dabei sind und die Kameras laufen, ergreift er die Gelegenheit, den Bürgern zu erklären, warum seine bisherige Politik für sie so großartig ist. Dafür müssen die sich zunächst in seine Lage versetzen und die äußerst schwierigen Bedingungen zur Kenntnis nehmen, unter denen er ihre Lebensbedingungen neu zu bestimmen sucht. Er hat es nämlich mit lauter oppositionellen Demokraten zu tun, die ihm nur Steine in den Weg legen wollen: „Ich nenne sie ‚Quertreiber‘ (obstructionists) – traurig.“ Sie haben die Bestätigung seiner Kabinettsmitglieder in beispielloser Weise verschleppt, schenken ihm keine einzige Stimme bei der Reform des Gesundheitswesens und stellen überhaupt seine Großartigkeit als Präsident in Frage. Umso beeindruckender – so Trumps Botschaft an die Nation – ist sein Machtgebrauch bislang gewesen. Er listet seine vielen Versprechen auf, versichert den Zuschauern, bei der Abarbeitung der Liste trotz aller Hindernisse erstaunlich weit gekommen zu sein, und gelangt dann zur folgenden Bilanz:
„Ich würde sagen, es hat noch nie einen Präsidenten gegeben – mit wenigen Ausnahmen: Roosevelt hatte eine große Wirtschaftskrise zu bewältigen –, der mehr Gesetze beschlossen und überhaupt mehr getan hat in so kurzer Zeit... Ich denke, wir sind so aktiv wie irgend möglich gewesen, in beinahe rekordverdächtigem Tempo.“ (12.6.17)
Das ist toll: Mit seiner Agenda kommt Trump bestens voran – schneller als die vorangegangenen präsidentiellen Machthaber mit ihrer jeweiligen Agenda. Dieser Leistungsvergleich ist schon eigenartig. Immerhin ist dieser Präsident angetreten, das verhasste Establishment in Washington zu bekämpfen, dessen volksverratende Politik zu stornieren und mit der strikten Anwendung des Prinzips America first!
dem Recht des amerikanischen Volks endlich zu entsprechen. Doch in diesem selbstbeweihräuchernden Vergleich – den Trump übrigens nicht nur beim Auftakt seiner ersten Kabinettssitzung, sondern bei jeder Gelegenheit wiederholt, der also für ihn irgendwie der maßgebliche zu sein scheint – braucht vom Inhalt der Politik, die ihn von seinen Vorgängern abheben sollte, gar nicht mehr die Rede zu sein. Er drückt vielmehr auf die schiere Menge seines Machtgebrauchs, auf seine Tatkraft sans phrase. Genauso wenig braucht er den Inhalt der Einwände zu erwähnen, die die Quertreiber
in der Opposition gegen ihn richten; sie stehen gegen ihn, also für gar nichts. Als wollte er einmal möglichst deutlich auf den Begriff bringen, wie schlicht, brutal und auf immer und ewig gleichbleibend der Wille eines demokratisch mündigen Volkes verfasst ist, dem die politische Herrschaft zu dienen verspricht: Jenseits dessen, was die Mitglieder dieses Kollektivs von der Regierung für sich jeweils wollen, brauchen und sich versprechen, werden sie als Volk alle gleichermaßen dann und dadurch bedient, dass möglichst extensiv und intensiv regiert wird. Kurz: Volk braucht Herrschaft, Herrschaft muss liefern – diesen Grundsatz demokratischer Politik bringt Trump in seiner Selbstverherrlichung auf den Punkt.
Und als wollten Trumps politische Gegner und journalistische Kritiker ihm in diesem Grundsatz voll und ganz Recht geben, rechnen sie ihm mit beeindruckender Akribie vor, wie wenig er von seiner eigenen Agenda bislang abgearbeitet hat: kein Rekord, höchstens Mittelmaß, lächerlich im Verhältnis zu Menge und Qualität seiner eigenen Wahlversprechen. Auch das ist eine seltsame Abrechnung mit Trumps bisherigem Werk. Schließlich halten diese Kritiker von seinem Programm gar nichts und drücken ihm bei der Umsetzung gewiss nicht die Daumen. Ihre Kritik zeugt immerhin vom festen Platz der Heuchelei in der Demokratie: Ihre Parteinahme gegen den gewählten Präsidenten wollen sie dadurch ins Recht setzen, dass sie gegen ihn das garantiert überparteiliche Kriterium geltend machen, wonach die Qualität einer Regierung sich daran bemisst, wie viel Politik sie macht und inwieweit sie das Programm erfolgreich umsetzt, das sie sich vornimmt und der Gesellschaft aufherrscht. Ihre diesbezügliche Fehlanzeige unterstellt im Übrigen ebenso selbstverständlich wie das Selbstlob Trumps bei der Präsentation seines Kabinetts die Gleichung zwischen der Ausübung von Macht über die Leute und für die Leute. Die braucht Amerikas reifen demokratischen Bürgern gar nicht erklärt zu werden: Das Quantum Machtgebrauch ist das entscheidende Argument in der politischen Konkurrenz um Zustimmung oder Nicht-Zustimmung der Regierten zu ihrer Obrigkeit; davon gehen alle Seiten aus.
Für Aufregung sorgt Trumps erste Kabinettssitzung allerdings gar nicht wegen dieses einleitenden Selbstlobs des Präsidenten, sondern wegen der Fortsetzung, die das Treffen nimmt: Es hatte sich wohl auch im neuen Kabinett herumgesprochen, dass der neue Chef eine besondere Schwäche für öffentliche Lobpreisungen hat und dass man als Co-Machthaber gut daran tut, sich bei ihm rechtzeitig einzuschleimen. Also ergreifen Trumps Kabinettsmitglieder die Gelegenheit, Trump vor laufender Kamera in seinem Selbstlob ausgiebig Recht zu geben und jeweils auf ihre Art zu beteuern, welch große Ehre es sei, einem so hyperaktiven Präsidenten zu dienen. Eine echte historische Neuheit im demokratischen Politikbetrieb – könnte man jedenfalls meinen angesichts des Raunens und Gruselns in Redaktionsstuben auf beiden Seiten des Atlantiks nach diesem zwanzigfachen öffentlichen Kniefall. Sie hatten wohl erwartet, dass Trumps Mitarbeiter ihre nationale Pflicht anders, nämlich nach der Stellenbeschreibung der Trump-Kritiker wahrnehmen würden, indem sie reihum erläutern, wie sie ihren Boss im Namen der Demokratie und des Friedens ordentlich in Schach zu halten gedenken und dass sie nur unter dieser Bedingung und äußerst widerwillig ihre Posten antreten. Dass ein Präsident andererseits seine Mannschaft im Griff haben und aus ihr eine treue Gefolgschaft formen muss, die reibungslos funktioniert bzw. den glaubwürdigen Eindruck von Eintracht in der Regierungszentrale vermittelt: Darauf besteht die Presse, die bei dieser Gelegenheit ihrer Schadenfreude freien Lauf lässt: Hinter der Fassade der widerlichen Verehrung herrsche in Wahrheit beispiellose Zwietracht im Weißen Haus, sodass zum generellen Versagen
des Chefs bei der Machtausübung ein einziges Chaos
in der volksdienlichen Machtzentrale dazukommt – eine kritische Parteinahme für effektives Regieren, mit der die Profis der Öffentlichkeit ihre demokratische Reife bezeugen.
II.
Eine Woche später versammelt Trumps PR-Abteilung einige tausend Anhänger in einer großen Halle für eine Pro-Trump-Kundgebung in Iowa. Das positive Echo, das der Chef von seinen offiziellen Angestellten bekommt, ist ihm vielleicht doch zu schal, wiegt jedenfalls das negative Echo nicht auf, das ihm aus allen Ecken der Hauptstadt entgegenschallt. In diesem Sinne begrüßt er sein Publikum mit einem Statement direkt aus dem Herzen:
„Es ist immer schön, dem Sumpf in Washington entkommen zu können und mit den wirklich hart arbeitenden Menschen Zeit zu verbringen. Die nennen wir amerikanische Patrioten.“ (21.6.17)
Dass das Bad in der Menge Trump gut tut, ist verständlich, bekommt er damit doch die Großartigkeit seiner Politik unmittelbar und spürbar zurückgespiegelt: als Zustimmung bzw. fanatische Liebe zu seiner Person. Und so sehr die Demokratie als System auf die ‚checks and balances‘ Wert legt, die der Willkür von einzelnen Politikern eine enge Grenze ziehen, so sehr schätzen gerade Demokraten den Personenkult um den geliebten Führer. Nichts anderes organisiert eine Wahl, in der sich alles um die Großartigkeit von Führungspersönlichkeiten und welchen, die es werden wollen, dreht. Der Einheit zwischen dem obersten Regierungssubjekt und seinen Regierten ist es gewiss auch dienlich, wenn der Präsident sich mit seinem Publikum derart gemein macht, und zwar in der probaten Form einer ideellen Verbundenheit in der Feindschaft gegen einen gemeinsamen Gegner. Schon darin steckt freilich die kleine, aber entscheidende reelle Differenz: Für Trump ist Washington der Wohnort nicht bloß seiner Gegner, deren Amtswahrnehmung ihm nicht passt, sondern auch des Machtapparats, an dessen Spitze er selber steht. Die zelebrierte Einheit zwischen Trump und dem Publikum, das ihn umgibt, muss also ein wenig präzisiert werden: In den jubelnden Massen hat Trump eine von ihm mobilisierte und in Anspruch genommene Berufungsinstanz für den Machtgebrauch, den er ansagt. Und der besteht trotz aller Aggressivität seiner Rhetorik gar nicht darin, den Sumpf
in dem Sinne trockenzulegen
, dass er den politischen Betrieb in Washington bekämpft, sondern darin, die dort beheimatete Staatsgewalt voll und ganz im eigenen Sinne zu verwenden. Mit seiner Beschimpfung des Politikbetriebs in Washington, mit dem seine Anhänger unzufriedener nicht sein könnten, hat Trump eine fix und fertige Erklärung für jegliche zukünftige Unzufriedenheit, zu der sie sich veranlasst sehen mögen: Mit Trump selbst und seiner Amtsführung hat das nichts zu tun; die Schwierigkeiten, die das Regieren ihnen bereitet, liegen vielmehr an den Schwierigkeiten, die ihm bereitet werden; er selbst gehört nicht zum Sumpf, er wohnt bzw. herrscht nur dort. Und umgekehrt: Alle Angriffe, mit denen Trump es zu tun bekommt, sind Angriffe auf seine Anhänger, das gute Volk.
Das ist, demokratisch gesehen, schon genial. Trump nimmt damit den Standpunkt der Herrschaft und der Betroffenen ein und pflegt die geheuchelten Argumentationsmuster von Regierung und Opposition zugleich. Als der regierende Machthaber wirbt er mit der puren Tatkraft seiner Herrschaft für sich; als Gegner und Opfer des Washingtoner Establishments ist er Mit-Opfer, also Verbündeter in jeder Unzufriedenheit mit der Herrschaft, der er vorsteht. Außerdem hat Trump seinen angereisten Patrioten zwei handfeste Argumente zu bieten, warum sie ihn zum Sumpf nicht dazurechnen sollten, er ihre frenetische Anerkennung vielmehr redlich verdient hat: Neben der Beschwörung seiner schieren Tatkraft, die auch an diesem Abend nicht zu kurz kommt, und der unfairen Hindernisse, mit denen er konfrontiert wird, ist da erstens die Menge der Anhänger zu erwähnen, die so gutwillig seine Selbstdarstellung aufnehmen: Schaut euch die Größe dieser Menge an!
Zweitens haben einige von ihm selbst geförderte Kandidaten Wahlsiege eingefahren – trotz des enormen Aufwands, den die oppositionellen Demokraten in diesen Wahlkämpfen betrieben haben, und trotz der Attacken, die sie täglich gegen Trump und seine Mannschaft richten:
„Sie veranstalten eine Hexenjagd gegen uns, sie haben alles Mögliche gegen uns laufen, aber wir siegen, siegen, siegen.“ (Ebd.)
Ein recht produktiver und schon wieder erzdemokratischer Zirkel: Erfolg bei der Einholung der Zustimmung des Volkes – bei solchen Kundgebungen und in echten Wahlen – berechtigt zu weiteren Erfolgen und zur Zustimmung zu den Maßnahmen, die es noch umzusetzen gilt. Das Regieren kann weitergehen, die Opfer stehen hinter ihm.
III.
In diesem Sinne fängt auch die nächste Woche gut an. Trump bekommt Recht, nicht nur von seinen Mitarbeitern und seinen Fans, sondern auch vom höchsten Gericht des Landes, in einem seiner zentralen Vorhaben: dem Kampf um schärfere Immigrationsgesetze. Die von Berufungsgerichten verordnete Aufhebung seines zeitweiligen Einreiseverbots für Menschen aus sechs mehrheitlich muslimischen Ländern wird rückgängig gemacht und das Gesetz in Kraft gesetzt, jedenfalls vorläufig und mit Einschränkungen: Wer eine ‚echte‘ – ‚bona fide‘ – Beziehung zu einem US-Bürger oder einer US-Institution nachweisen kann, darf nach wie vor einreisen; im Herbst wird dann endgültig über die Verfassungskonformität der Maßnahme befunden.
Das ist ein besonders süßer Sieg für Trump, der sich mit seinem Dekret nicht nur allerlei Empörung aus der Bevölkerung und – deutlich gewichtiger – aus entscheidenden Abteilungen der nationalen Wirtschaft eingehandelt hatte, sondern auch den handfesten Widerspruch der Judikative. Die Zurückweisung hat Trump sich keine Sekunde lang gefallen lassen; er hat dem betreffenden – sogenannten
– Richter die berufliche Eignung abgesprochen und sich dann entgegen den Ratschlägen seiner Berater geweigert, bei seiner Werbung für die Maßnahme das Wort Verbot
nicht in den Mund zu nehmen und seine Angriffe auf die political correctness
der Kritiker einzustellen, damit sein Vorhaben nicht endgültig als Fall von religiöser Diskriminierung abgewiesen wird. Er solle stattdessen eine vorläufige Einreisepause
beschließen und sie rein mit Verweis auf Notwendigkeiten der nationalen Sicherheit verteidigen, so die Empfehlung. Derlei opportunistische Spitzfindigkeiten sind Trump allerdings zuwider; ihm geht es erkennbar ums Prinzip: Wenn die nationale Sicherheit schon über alles geht, was auch keiner seiner Kritiker leugnen mag, dann gilt dieses Heiligtum eben absolut; dann ist die flächendeckende Ausgrenzung als gefährlich eingestufter Ausländer keine Maßnahme, die es gegen andere Rechts- und sonstige Güter abzuwägen gilt, sondern der unverrückbare Orientierungspunkt für alle sonstigen Erwägungen. Dieses Prinzip darf sich nicht an der bestehenden Rechtslage, an den Bedürfnissen des anderen nationalen Heiligtums namens ‚die Wirtschaft‘ und schon gar nicht an demokratischen Befindlichkeiten in puncto Diskriminierung relativieren. Im Gegenteil: Die Notwendigkeiten der nationalen Sicherheit sollten die Rechtslage definieren, die die Richter schlicht durchzusetzen haben; sie bestimmen den festen Rahmen, innerhalb dessen die Wirtschaft ihren Bedarf nach Arbeitskräften überhaupt entwickelt; und sie bilden schließlich die verbindliche Leitplanke für die nationale Sittlichkeit – für die Art, wie ein Amerikaner Ausländer zu bewerten und ideell zu sortieren hat, für wen man sein Herz öffnet, wen man in seiner Heimat willkommen heißt, bei wem man in Sachen Religion liberal bleibt – und bei wem eben nicht.
Das muss man Trump schon lassen: Mit seiner konsequenten Weigerung, auch nur ein Jota von seinem Vorhaben und seiner Werbung für dasselbe zurückzunehmen, sorgt er für Klarheit im Verhältnis zwischen der bürgerlichen Staatsgewalt und der Gesellschaft, über die sie herrscht. Die Unangefochtenheit der staatlichen Souveränität ist die Prämisse des nationalen Lebens; sie geht absolut vor, gilt vor den Regeln und der Sittlichkeit des Gemeinwesens, und muss gelegentlich auch gegen den nationalen ‚way of life‘ geltend gemacht werden. Die Gleichbehandlung aller Menschen als Konkurrenten um Geld, die sich nur daran scheiden sollen – daran allerdings umso gründlicher –, wie weit sie es in dieser Konkurrenz bringen, und die Freiheit aller Menschen, sich auf ihren Erfolg oder Misserfolg ihren privaten, öfters religiösen Reim zu machen, gelten nur so weit, wie die diese Konkurrenz ordnende Staatsgewalt ihre Souveränität unangefochten respektiert sieht; und darüber entscheidet noch allemal sie selbst, also ihr Chef, und der gemäß seinen Prioritäten. Damit handelt sich Trump den Vorwurf ein, gegen das ganze Wesen Amerikas zu verstoßen, das von hart arbeitenden Einwanderern aufgebaut wurde und das seinen einmaligen Erfolg ihrer harten Arbeit, ihrem Erfindungsreichtum und ihrem finanziellen Geschick verdankt; ihnen hat das Land seine Türe doch stets geöffnet und ihre privaten Fimmel stets erlaubt, und es erntet die Früchte bis heute. Dieser Beschönigung der äußerst produktiven amerikanischen Klassengesellschaft und ihres weltanschaulichen Liberalismus setzt Trump keinen Einspruch in dem Sinne, vielmehr eine ergänzende Klarstellung entgegen: Dieser Staat mag ein Land der Einwanderer regieren, aber er lässt sich in seiner Politik und in seinem Sicherheitsbedarf nicht von Leuten beeinflussen, die ihm zuströmen, sich auf seinem Gebiet niederlassen, reich werden wollen, irgendwie über die Runden kommen müssen, dabei ganze Kommunen bevölkern und ‚Communities‘ pflegen. Der Staat greift vielmehr ganz nach eigenem Kalkül auf die Leute zu, die er braucht und will, und schmeißt die andern raus.
In diesem Sinne sorgt Trump einige Wochen später für zusätzliche Klarheit mit seinem Vorhaben, erstens auch die legale Immigration in die USA erheblich einzuschränken und zweitens zu einer ‚merit-based‘ Einwanderungspolitik zu wechseln, die auf bestimmte, höhere Qualifikationen Wert legt. Der Staat – dies der politische Gehalt von Trumps Klarstellung – lässt die Menschen zur schönen Welt der Gleichheit der Konkurrenz nach eigenem Bedarf zu; und damit beharrt er auf der Diskriminierung, die jeder demokratische Staat tagein, tagaus vollzieht: zwischen denen, die Inländer sind, und denen, die es nur werden wollen. Und es ist offenbar die leichteste Übung, auch diese Scheidung als Tribut an das Gebot der Mitmenschlichkeit zu rechtfertigen, dessen Missachtung Trumps Kritiker ihm vorwerfen: Ihnen hält Trump die Erinnerung an die Mitmenschen entgegen, die schon hier sind und für die die armen Immigranten aus dem Süden ernstzunehmende Konkurrenten auf dem Arbeitsmarkt seien. Für keinen der Beteiligten an diesem erbaulichen Wertediskurs spricht dieser Hinweis gegen die staatlich geregelte Konkurrenz selbst oder gegen die Arbeitsplätze, bei denen das Elend lateinamerikanischer ‚Wirtschaftsflüchtlinge‘ glatt als Wettbewerbsvorteil gilt, der die Einheimischen bedroht. Im Gegenteil: Das spricht vielmehr für die Einbildung, der Zwang zur Beteiligung an dieser Konkurrenz wäre ein kostbares Privileg, an dessen Verteilung die Menschenfreundlichkeit der Politik hängt.
Trump ist da jedenfalls ganz entschieden: Die Menschen, an die er ‚first‘ denkt, sind die Amerikaner, denen er die Abhängigkeit von einem Arbeitsplatz im Dienste der Vermehrung echt amerikadienlichen Kapitals von ganzem Herzen gönnt und für deren ökonomische Existenz die anderen, die Konkurrenten von südlich der noch zu bauenden Mauer, eine Gefahr darstellen. Und in der Frage fährt Trump am gleichen Tag noch zwei Siege ein. Das Repräsentantenhaus billigt erstens härtere Strafen für kriminelle, illegal wieder eingereiste Immigranten und zweitens eine Keine Zuflucht für Kriminelle
-Verordnung, die die Kommunen zu einem härteren Vorgehen gegen illegale Immigranten nötigen soll. Den Vorwurf, Trump habe sich damit endgültig als Rassist blamiert, der es auf Immigranten abgesehen hat, weiß Trump zu entkräften: Schon der Name für die Verschärfung des Umgangs mit straffällig gewordenen Ausländern – ‚Kate’s Law‘, nach dem Opfer eines solchen Ausländers benannt – beweist, dass es hier unmöglich um pauschale Verurteilungen gehen kann, sondern um einen pauschalen Dienst an echten Opfern von Verbrechen; und zwar von Missetaten, die sich – worin auch immer das einzelne Verbrechen jeweils besteht – vor allem dadurch auszeichnen, dass sie nicht von echten Amerikanern begangen werden. Sie sind insofern ein Beweis dafür, dass der Staat hier Angriffe aus der Fremde nicht abgewehrt hat, seine Souveränität also nicht intakt ist. Auf die Art organisiert Trump ein großes Quidproquo: Die Berufung auf die private Betroffenheit seiner Bürger für die Wiederherstellung seiner Souveränität erscheint als die Ertüchtigung der staatlichen Fähigkeit zur zukünftigen Abwehr ihrer Betroffenheit, als Dienst an unbescholtenen Bürgern, z.B. an der beautiful ‚Kate‘ und den vielen schönen amerikanischen Familien, für die die Präsenz von illegalen Immigranten eine nicht abgewehrte, obwohl hinlänglich bewiesene Lebensgefahr darstellt. Die Städte, die sich weigern, Immigranten pauschal zu verhaften und zurückzuschicken, machen sich also des Verbrechens schuldig, Verbrecher zu schützen. Verweise darauf, dass man durch die allgemeine Verfolgung aller Illegalen gerade die unschuldigen, hart arbeitenden, ihre Familien unterstützenden Illegalen jedem Verbrecher aussetzt, weil sich keiner von ihnen mehr traut, die Sicherheitsdienste der Polizei in Anspruch zu nehmen, sind so defensiv wie lächerlich. Denn genau so sind die neuen Gesetze gemeint: Die Sicherheit der Einheimischen braucht die flächendeckende Verunsicherung der Fremden – das ist keine Nebenwirkung, sondern Zweck der Sache. Eine echte legislative Errungenschaft also; die andere Kammer muss das Gesetz nur noch abnicken.
IV.
Doch schon am nächsten Tag ist Trump ziemlich schlecht drauf. Trotz seiner per Wahlerfolg bewiesenen Großartigkeit und all seiner Erfolge im Amt will sich bei den etablierten Medien die Erkenntnis einfach nicht durchsetzen, dass er ein Glücksfall für Amerika ist. Und so fügt er der langen Geschichte seines Kampfes gegen die „mainstream media“ eine weitere Episode hinzu. An diesem Morgen sind es die zwei Moderatoren eines gerade bei Republikanern beliebten Morgenmagazins (Joe Scarborough und Mika Brzezinski von Morning Joe
), die zu spüren bekommen, was es heißt, wenn Trump Feuer mit Feuer bekämpft
:
„Hab’ gehört, das niedrig bewertete ‚Morning Joe‘ spricht schlecht über mich (die Show gucke ich eh nicht mehr). Wie kommt es dann, dass die Niedrig-IQ-Crazy-Mika zusammen mit Psycho-Joe drei Nächte in Folge ums Neujahr herum zu mir ins Mar-a-Lago kamen und darauf bestanden, sich mit mir zu treffen? Sie blutete schlimm wegen eines Faceliftings. Ich hab’ Nein gesagt!“ (29.6.17)
Für die Profis der Öffentlichkeit offenbart Trump mit seinem persönlichen Angriff auf Crazy Joe
und Dumm-wie-ein-Stein-Mika
(so ein weiterer Tweet) eine Schwäche: Er steht nicht über dem ‚Meinungsstreit‘, den sie führen, sondern reagiert empfindlich auf alles, was er als Beleidigung wahrnimmt – und das ist recht viel. Der Hauptbetroffene davon, dass Trump sich immer so aggressiv betroffen aufführt, ist sein eigenes Amt: Indem er sich – wie im Wahlkampf – als Partei bekennt und aufführt, als müsste er den Sieg noch erringen, wozu auch persönliche Gehässigkeiten unvermeidlich dazugehören, beschmutzt er die Würde
des hohen Amtes, das er mit seinen offenbar effektiven Methoden mittlerweile längst errungen hat. In diesem Sinne wird ein aufschlussreicher Vergleich gemacht:
„Vielleicht sollten wir einen Moment lang mit Donald Trump Mitleid haben... Denn ihm geht offensichtlich die Härte eines George Washington ab, der einmal bemerkte, dass ‚die Pfeile‘ seiner Kritiker ‚niemals den verwundbarsten Teil von mir treffen könnten‘. Ihm fehlt auch das Selbstvertrauen eines Dwight Eisenhower, der einmal auf die Frage, ob er die Berichterstattung über ihn fair finde, sagte: ‚Naja, am Ende sehe ich nicht, was ein Journalist einem Präsidenten jemals antun könnte.‘“ (New York Times, 30.6.17)
Oder, wie der angegriffene Moderator selbst es zusammenfasst:
„Trump sollte sich mehr um die NATO oder den Aufbau einer Beziehung zu Angela Merkel kümmern als sich mit irgendwelchen Nachrichten-Moderatoren anzulegen.“ (Ebd.)
Das ist schon interessant, denn damit verlangt die demokratische Öffentlichkeit von der Herrschaft Souveränität auch ihr und ihrer Kritik gegenüber: Den Präsidenten sollte polemische Kritik nicht jucken, jedenfalls nicht so sehr, dass er sich zu einem Gegenschlag herausgefordert sieht. Damit wird ausdrücklich die Freiheit der Macht anerkannt, journalistische Angriffe schlicht zu ignorieren – man besteht sogar darauf, wenn man genau darin die Würde des Amtes
erkannt haben will: Der höchste Amtsträger soll in der Gewissheit ruhen, im Besitz der einzig entscheidenden Kompetenz zu sein, nämlich den Weg der Nation zu bestimmen und sich in dieser Autorität praktisch unanfechtbar zu wissen. Diese Forderung gibt Auskunft über die wahre Natur der Freiheit, die die professionelle Öffentlichkeit für sich selbst verlangt: Sie ist bloß die Kehrseite der Freiheit, die die Presse den wirklichen Machthabern zuerkennt. Man besteht auf der Erlaubnis, das gesamte Tun und Treiben der Regierenden in Frage zu stellen, weil man weiß und akzeptiert, ja geradezu darauf besteht, dass die Öffentlichkeit von den Herrschenden als ungefährliche, weil praktisch inkompetente, eben als ‚bloße‘ Kritik behandelt wird. Das ist die Meinungsfreiheit, zu der die journalistische Öffentlichkeit von der demokratischen Hoheit ermächtigt sein will: Sie besteht in der strikten Trennung zwischen einer Äußerung von Kritik, die rücksichtslos sein darf, und der praktischen Konsequenz, die noch jeder Kritik immanent ist. Der Respekt, den man vom Präsidenten fordert, besteht in der souveränen Duldung von Meinungen, die bei aller Gehässigkeit dem angegriffenen Machthaber alle Freiheit lassen, selbst zu entscheiden, was aus ihnen folgt – und ob überhaupt irgendetwas.
Das ist zwar wunderbar konstruktiv, beeindruckt Trump aber überhaupt nicht: Die Presse soll ja gerade Partei ergreifen, nämlich für ihn – und zwar gerade deswegen, weil er sich als Partei aufführt und auf niemanden Rücksicht nimmt. Genau das braucht es ja für den Kampf, der im Politikbetrieb der USA endlich zu führen ist – gegen alle, die sein volksdienliches nationales Konkurrenzprogramm nicht unterstützen. Er will ja gerade den Geist des Kämpfens und vor allem des Siegens, also der Erledigung aller Gegner, in die Politik (wieder)einführen, weil Amerika endlich wieder zum weltweit unangefochtenen Gewinner werden soll. Dazu gehört ein sehr entschlossener Kampf gegen seine Kritiker in den mainstream media
; dieser Kampf bringt allerdings nicht bloß seine Feindschaft gegen sie zum Ausdruck. Seine tiefe Beleidigung zeugt vielmehr von einem stark empfundenen Rechtsanspruch auf Anerkennung; nicht bloß wegen seiner empfindlichen Seele, sondern wegen der Natur seiner politischen Position. Denn so sehr Trump sich als Gegner von Establishment & Mainstream versteht, so wenig versteht er sich dabei als Vertreter einer bloßen Randposition jenseits des Mainstreams, der mit dessen Feindschaft ohnehin fest rechnet. Er giert nach Lob und Anerkennung, weil er sich sicher ist, selbst der wahre Vertreter des wahren amerikanischen Mainstreams zu sein. Seine Grobheiten gegen seine Kritiker sind dabei sehr passend, weil er damit deutlich macht, dass die Beschimpfung des Präsidenten seine Gegner disqualifiziert.
V.
Kurz nach seiner Reise nach Polen und zum G20-Gipfel in Hamburg – für die er von der amerikanischen Presse relativ gute Noten bekommt – kehrt Trump nach Europa zurück, diesmal nach Paris, um anlässlich des französischen Nationalfeiertags und des Eintritts der USA in den Ersten Weltkrieg vor hundert Jahren die französisch-amerikanische Freundschaft zu feiern. Paris ist zwar immer noch nicht Pittsburgh, also kein relevantes politisches Sorgeobjekt für ihn, bietet aber eine schöne Gelegenheit, die Großartigkeit der amerikanischen Nation zu feiern, nämlich ihre vergangenen kriegerischen Großtaten, diesmal die Rettung Frankreichs und der Welt im Ersten Weltkrieg. Partnerschaft zwischen Nationen, eine profunde Verbundenheit zwischen Völkern – solche Werte und Ideale sind dem ‚America first!‘-Fanatiker also keineswegs fremd; sie gehören dort sogar zelebriert, wo sie in der schönsten Form offenbar werden, nämlich in der Waffenbrüderschaft. In ihr bewähren sich Völker mit Haut und Haar und bis zur letzten Konsequenz als Völker im elementaren Sinne: als Manövriermasse unter dem Kommando ihres Staates, die ihm durch ihren Einsatz und ihre Opfer zu seiner Durchsetzung gegen seinesgleichen verhilft – zu einem Sieg im Weltmaßstab in dem gefeierten Fall, für den Frankreich nicht einmal mehr alte Schulden bezahlen muss.
Nach der Militärparade kommt eine Pressekonferenz, auf der Trump seinem Amtskollegen Macron sein größtmögliches Lob spendet: Er ist so wie Trump selbst, ein großartiger Präsident, ein harter Kerl. Er wird die Leute nicht schonen, die gegen das Gesetz verstoßen und diese furchtbare Gewalt ausüben.
Und eine gewisse Affinität zwischen den Vorstehern der großartigen Amerikaner hier und der grandiosen Franzosen dort, dem besten Präsidenten aller Zeiten hier und dem président jupitérien dort, lässt sich auch nicht bestreiten: Macron demonstriert es bei jeder Gelegenheit mit seinen zahlreichen Inszenierungen von Glanz und Gloria der französischen Macht vor den herrschaftlichen Prunkbauten des Landes und eben bei einer beeindruckenden Militärparade mit Trump an seiner Seite. Und beide führen es zusammen mit einer ausgedehnten Händedruck-Session auf den Champs Élysées in aller Deutlichkeit vor: Die Herrlichkeit der Macht lässt deren Inhaber heller erstrahlen, und die Standhaftigkeit der Machthaber wirft ein schönes Licht auf die Respektwürdigkeit der Macht, die sie kommandieren und repräsentieren. So findet Trump bei Macron endlich mal das positive Echo, das seine heimische Öffentlichkeit ihm verweigert: Ganz Frankreich ein Podest für die Großartigkeit Amerikas, das vor hundert Jahren gekommen ist, um zu siegen, und für den Siegeswillen Trumps, der hundert Jahre später vorbeischaut, um Amerika wieder großartig zu machen.
Das alles ist für die demokratische Öffentlichkeit vollkommen normal. Für die ist die entscheidende Frage, wie gelungen die Person an der Macht dieser Repräsentationspflicht nachkommt. Von dem Standpunkt aus findet sie an der Reise etwas ganz anderes bemerkenswert, nämlich schon wieder ein Haar in der Suppe. Trump erfüllt nämlich auch hier seine staatsmännische Pflicht ganz im Sinne seiner persönlichen Einzigartigkeit: Als Nr. 1 der Nr. 1, als leibhaftiges America first!
, leistet er sich, ganz Kavalier der alten Schule, eine lobend-anzügliche Bemerkung über die beeindruckende Figur von Mme Macron. Das sorgt für eine kleine Aufregung, weil bei der Demonstration völkerverbindender militärischer Herrlichkeit heutzutage der demonstrative Respekt für die Würde der Frau nicht fehlen darf. Ansonsten wird vor allem das zur Kenntnis genommen: Trump hat eine schöne Zeit weg von daheim genossen, wo die ‚Russland-Affäre‘, der er in Paris mit seinem Staatsbesuch doch nur mal wieder zu entfliehen versucht, geduldig auf seine Heimkehr wartet.
VI.
Es ist nämlich herausgekommen, dass Trumps Sohn und einige andere Vertreter der Trump-Wahlkampfmannschaft sich mit einer russischen Anwältin und einigen anderen getroffen haben, um ‚Kompromat‘ gegen Hillary Clinton, die damalige Gegnerin im Wahlkampf, zu sammeln. Die ‚Russland-Affäre‘ geht also weiter. Die amerikanische und europäische Öffentlichkeit gibt sich von dem Treffen geschockt und ist zugleich überhaupt nicht überrascht: Dass Trump mit den Russen illegal zusammengearbeitet hat, steht für sie ja längst fest; mit den neuen Informationen hat man zwar immer noch keinen ‚rauchenden Colt‘ gefunden, aber ‚die Einschläge kommen immer näher‘. Und das sorgt für einen spannenden Sommer, fast so spannend wie der Auftritt des von Trump gefeuerten FBI-Chefs vor dem Untersuchungsausschuss im Kongress einige Wochen zuvor. Die amerikanische Demokratie verarbeitet ihre internen Machtkämpfe mit beeindruckender Transparenz als Medienspektakel.
Der Vorfall und die Aufregung darüber zeugen gleichermaßen davon, was im demokratischen Wahlkampf normal und geboten ist: Die Jagd nach ‚schmutziger Wäsche‘, um den Gegner moralisch bis zum Rufmord hin zu diskreditieren, ist – das versichern die vielen befragten ehemaligen professionellen Wahlkampfmitarbeiter – eine bewährte Methode, die Bürger darüber aufzuklären, in welchem Kästchen ihr Wahlkreuz am besten aufgehoben ist. Und allemal effektiver als die Widerlegung irgendwelcher ‚Argumente‘ der Gegenseite. Die Demokraten waren in der Hinsicht offenbar auch nicht faul, haben immerhin einige Agenten in die Ukraine geschickt, um zwielichtigen Geschäftsbeziehungen des Trump-Clans nachzugehen. Doch absolut tabu – das versichern die gleichen Mitarbeiter – ist dabei die Zusammenarbeit mit fremden Mächten; das gebietet der Patriotismus der demokratischen Schlammschlacht, in der es um die personelle Besetzung und nicht die Schädigung der Weltmacht gehen soll. Für Trump selbst gilt diese Unterscheidung allerdings nicht; er bringt in zweierlei Hinsicht etwas mehr Konsequenz, also Rücksichtslosigkeit in den demokratischen Wahlkampf: Erstens sind dort, wo es ums Gewinnen geht, sowieso alle Mittel geboten; gerade das ist ja sein Rezept für seinen Erfolg als Geschäftsmann gewesen – also für den Erfolg, mit dem er sich erfolgreich als geeigneter Kandidat fürs höchste Amt empfohlen hat. Zweitens sitzt aus seiner Sicht der Hauptgegner ohnehin nicht in Moskau, sondern im Sumpf des eigenen Establishments, dessen Verrat an Amerika schon längst feststeht.
Der stets wachsende Verdacht einer konspirativen Zusammenarbeit zwischen Trump und Putin wurde von Anfang an durch die für die amerikanischen Medien befremdliche Bewunderung genährt, die Trump für das echte Mannsbild im Kreml schon während des Wahlkampfs und immer wieder zum Ausdruck gebracht hat. Und tatsächlich: Was die Sittlichkeit der präsidentiellen Machtausübung angeht, ist Putin für Trump stets ein vorbildlicher Charakter gewesen. Er schätzt die schiere Führungsstärke, die Putin ausstrahlt – zumal in einer feindlichen Umwelt. Er ist beeindruckt von der Entschiedenheit und vor allem von dem Erfolg, mit dem Putin sich als starker Führer nach innen und nach außen inszeniert und auch betätigt. Trump schließt sich auch nicht der Empörung der amerikanischen Presse über Putins Vorgehen gegen seine inneren und äußeren Gegner an, hält die vielmehr für eine bodenlose Heuchelei: Denkt ihr wirklich, wir sind so unschuldig?
Auch Putins Feindschaft gegen gewisse Auswüchse des ‚Liberalismus‘, seine mannhafte Verteidigung von Russland als einem Land, das nicht nur ökonomische und weltpolitische Interessen verfolgt, sondern nichts weniger als die Zivilisation
bewahren will, findet Trump höchst anständig. Nichts anderes bewegt ja die wahren Patrioten
, mit denen Trump so gerne außerhalb des verlotterten Sumpfs in Washington Zeit verbringt. Dass Putin schließlich die Souveränität Russlands, die Wiederherstellung seiner weltpolitischen Stärke zum Dreh- und Angelpunkt seiner Politik macht, kann Trump nur billigen. Und zwar nicht deswegen, weil er ein ‚Russlandfreund‘ wäre und der Wiederauferstehung der russischen Weltmacht das Wort reden würde, sondern weil er genau das für Amerika will – nur in viel größerem Maßstab, versteht sich. Aus dem Grund ist es für Trump übrigens ein Rätsel, warum Russland den Kandidaten Trump hätte favorisieren sollen – ausgerechnet den Mann, der sich die Dominanz Amerikas über den Weltenergiemarkt und die Verstärkung seiner absoluten militärischen Überlegenheit in aller Welt vorgenommen hat! Ob die Verwunderung echt oder gespielt ist, tut nichts zur Sache; in jedem Fall zeugt sie von dem durch und durch patriotischen Fanatismus für die amerikanische Macht, der Trumps Wertschätzung für Putin zugrunde liegt.
Genau das – die Freiheit der amerikanischen Macht, die Souveränität Washingtons gegenüber allen anderen Mächten – ist auch der Maßstab, an dem Trumps Kritiker sein ‚Verhältnis‘ zu Putin skandalisieren. Man befürchtet ein Einknicken vor dem Rivalen, wälzt die Sorge, ob Trump dem Machiavelli im Kreml auf den Leim gehen könnte und Amerikas Macht von ihm instrumentalisieren und seine strategischen Positionen schwächen lassen könnte. Und man verlängert diese Sorge in den Verdacht, Putin habe kompromittierende Informationen gegen Trump selbst, damit auch einen Erpressungshebel, mit dem er die Fähigkeit der Supermacht, rücksichtslos zu handeln, empfindlich einschränken könnte. Trump schießt wiederum mit dem gleichen Vorwurf zurück, dass es doch die Demokraten unter der Führerschaft des Clinton-Clans selbst waren, die so richtig mit den Russen zur Stärkung des Gegners und zur Schwächung Amerikas kollaboriert haben. Er dagegen wolle bloß, wie gesagt, die USA gegenüber der ganzen Welt stärken.
Und dank der Fortschritte der nationalen Aufrüstung bekommt Trump gleich die Gelegenheit, genau das zu zelebrieren.
VII.
Denn zum Abschluss der Made in USA
-Woche Ende Juli darf Trump den größten Flugzeugträger der Welt einweihen:
„Bei der Indienstnahme dieses atemberaubenden Schiffs gebührt unsere Hochachtung den Tausenden von Soldaten und Zivilisten, die es entworfen und gebaut haben. Sie haben ihre Liebe zum Vaterland in alle Schotten und Nieten dieses Schiffes gegossen... Ihr erlebt jetzt den Augenblick, in dem dieses unglaubliche Kunstwerk der Stolz der US-Navy und das Symbol der Macht und des Ansehens Amerikas wird... Amerikanischer Stahl und amerikanische Hände haben eine 100 000 Tonnen schwere Botschaft an die Welt gebaut: Amerikanische Stärke ist allen überlegen, und unter meiner Regierung werden wir täglich größer und besser und stärker. Das kann ich euch allen sagen: Wo auch immer dieses Schiff am Horizont auftauchen wird, werden unsere Alliierten in Ruhe schlafen können und unsere Feinde vor Furcht zittern, weil dann jeder weiß, dass Amerika jetzt kommt und Amerika kommt gewaltig. (Applaus)“ (21.7.17)
Patriotismus ist für Trump keine bloße Sonntagsveranstaltung, und das gilt nicht nur für die Soldaten, die ihn beruflich und gegebenenfalls bis zur letzten Konsequenz praktizieren. Patriotismus wird täglich bei der Arbeit gelebt, in der täglichen Anstrengung, für sich und seine Familie zu sorgen. Das gilt erst recht für die Gebrauchswerte, die die Zerstörungskraft der Supermacht bilden. Zwar fehlen in diesem poetischen Bild einer äußerst innigen Einheit von ‚Hand‘ und ‚Stahl‘, von hard work und hard power die Rüstungsunternehmen, die an dieser Vergegenständlichung der Vaterlandsliebe bekanntlich gut verdienen, aber an die Einheit von deren Geschäft und den Gewaltpotenzen der Nation hat Trump auch gedacht: Zum Schluss seiner zeremoniellen Rede rühmt er sich für sein Vorhaben, rekordmäßige Rüstungsausgaben zu beschließen. Die Arbeiter können darin den Beweis sehen, wie sehr der Präsident höchstpersönlich an sie denkt, wenn er das gedeihliche Verhältnis von mehr Geschäft und mehr Gewalt zu optimieren verspricht – mit ein paar Zentnern greenbacks tons of jobs!
So kann man den Ausbau imperialistischer Überlegenheit per Ausbau militärischer Abschreckungs- und Vernichtungspotenzen auch erläutern: als Gunst für tüchtige Amerikaner, die zum Leben harte Arbeit im Dienste satt finanzierter Arbeitgeber brauchen. Da fühlt sich die demokratisch reife Presse zu konstruktiver Skepsis herausgefordert: „Sind wirklich rekordmäßige Rüstungsausgaben beschlossen worden?“ „Werden dadurch wirklich so viele Jobs entstehen?“ Und so beteiligen sich alle an der Fertigstellung der Gleichung, die sie dann vorwärts wie rückwärts lesen können: Amerikanische Arbeit schafft imperialistische Machtpotenzen, deren Stärkung den großartigen amerikanischen Firmen was zu verdienen und den großartigen armen Leuten Arbeit gibt. So sieht der Dienst des Vaterlands an den Landeskindern aus, die es lieben:
„Nun muss der Kongress seine Arbeit tun und einen Haushalt beschließen, der für die vermehrte, stabile und verlässliche Finanzierung sorgt, die unser Militär braucht und unsere Männer und Frauen in Uniform verdienen – und ihr werdet es kriegen, glaubt mir. Ich sag’s euch, ihr kriegt das schon.“ (Ebd.)
Wobei es auch einen Extra-Dienst gibt, für den die Soldaten selbst etwas tun können – die Demokratie macht es möglich:
„Und übrigens: Ruft eure Senatoren an, um dafür zu sorgen, dass ihr health care kriegt.“ (Ebd.)
VIII.
Doch es hilft alles nichts. Einige Tage später steht fest: Die Reform des amerikanischen Gesundheitswesens ist vorerst gescheitert. Dabei ist das Projekt namens ‚Repeal & Replace‘ – die Abschaffung und Ersetzung der während der Obama-Administration beschlossenen Gesundheitsreform – gar nicht an Obamas Demokraten gescheitert, sondern an der Uneinigkeit der Republikaner selbst, die sieben Jahre lang in ihrem Hass auf ‚Obamacare‘ ein Bild der Geschlossenheit abgegeben haben. Manchen Senatoren gehen die vorgesehenen Einsparungen zu weit; sie verweisen auf die Schäden für die Bürger, die voraussichtlich zu Millionen aus jeder Versicherung rausfliegen würden. Da ist außerdem die in manchen Bundesstaaten grassierende ‚Opioid-Epidemie‘, für deren Bekämpfung sogar die unter Obamacare vorgesehenen staatlichen Gelder nicht ansatzweise ausgereicht haben. Etwas gewichtiger sind die befürchteten Schäden für das Geschäft mit der medizinischen Versorgung, das sich auf die gleichen Gelder längst verlässt. Zudem ist in etlichen Kommunen das Krankenhaus der größte Arbeitgeber, und dessen größte Geldquelle sind wiederum die Subventionen des Zentralstaates. Andere Republikaner entdecken umgekehrt im neuen Gesetzesentwurf viel zu viel vom alten System, nämlich zu viele Kosten, für Unternehmer wie – solange die gesund bleiben – für die zwangsversicherten Bürger. Manche unter ihnen siedeln ihren Einwand eine Ebene höher an und gewahren in der Versicherungspflicht einen einzigen Anschlag auf den Höchstwert der Freiheit, auf dem die ganze Nation aufgebaut ist. Da gibt es die einen, die mit ihrem Geld selbstverantwortlich umgehen sollen, also die Freiheit genießen sollen, selbst zu entscheiden, wo Verzicht fällig ist, ohne für andere Bürger ihres Schlags verzichten zu müssen. Die anderen brauchen Freiheit von den – steuerlichen oder sonstigen – Kosten, die ihnen die medizinische Versorgung ihrer Belegschaften bereitet. Schließlich gibt es verantwortliche Haushaltspolitiker, die von gewissen Posten befreit werden müssen, die ihren Staatshaushalt belasten... So bringen die Republikaner gegeneinander alle Momente des widersprüchlichen Monstrums namens kapitalistisches Gesundheitswesen zur Geltung. Da treffen die disparaten Ansprüche des Staates aufeinander: der Anspruch auf Volksgesundheit, d.h. auf die Tauglichkeit des Volkskörpers für alle Anforderungen der kapitalistischen Konkurrenz und des Staatslebens, die auf die Leute zukommen; das politische Interesse an einem erfolgreichen Geschäft mit der medizinischen Versorgung und deren Finanzierung; drittens der Staatsgesichtspunkt einer möglichst geringfügigen finanziellen Belastung für ‚die Wirtschaft‘ und den Staatshaushalt. Daher gehört ein gelungenes Gesundheitswesen zu den unerreichten Idealen bürgerlicher Politiker, die in diesem Nest aus konkurrierenden, der Marktwirtschaft eigenen Ansprüchen eine Herausforderung sehen, die es mit verantwortlicher Sachkompetenz, politischer Klugheit und Kuhhandel zu bewältigen gilt, so dass die soziale Marktwirtschaft eine endlose Geschichte der Reformpläne, der erfolgreichen und bald danach wieder reformbedürftigen Reformen und der erneuten Reformpläne darstellt.
Die Widersprüche eines kapitalistischen Gesundheitswesens gehen Trump allerdings nichts an; sich selbst kennt er dagegen sehr gut: Ich hasse es, zu verlieren.
Damit dürfte die Substanz seiner Unzufriedenheit über das gescheiterte Reformvorhaben erschöpfend auf den Punkt gebracht sein. Das liegt allerdings nicht daran, dass ihm der Gegenstand ‚health care‘ selbst egal wäre – was ihm von allen Seiten, auch von den Republikanern vorgeworfen wird:
„Manche in den Fake-News-Medien sagen, ich engagiere mich nicht für health care. Falsch. Ich kenne mich gut aus und will einen Sieg für die USA.“ (28.6.17)
Auch die Betreuung der Volksgesundheit und des riesigen Geschäfts, das damit gemacht wird, ist also für Trump ein weiterer Fall der immer gleichen Notwendigkeit, auf jedem Feld die Nr. 1 zu sein, auch wenn es auf diesem Feld keinen Gegner in dem Sinne gibt. Das war überhaupt Trumps ganze eigene Kritik an Obamacare: ein Verstoß gegen das allerheiligste amerikanische Prinzip, den Erfolg. Obamacare war – so Trumps Mantra – eine gescheiterte Reform; inwiefern, ist da nicht so entscheidend, auf jeden Fall herrscht auf allen Seiten irgendwie Unzufriedenheit. Diese vernichtende Kritik war nie als Auftakt zu einem eigenen Plan gemeint, den Trump in der Tasche hat oder von seinen Fachmännern hat entwickeln lassen. Entgegen den Vorwürfen der Öffentlichkeit ist das allerdings kein Fall von Planlosigkeit, oder nur dem Drang geschuldet, sich an Obama zu rächen. Es ist vielmehr ein weiterer Anwendungsfall für Trumps Haupt- und Generaldiagnose: Amerika hat schon alle nötigen Mittel, das Beste für alle berechtigten Interessen in der Nation zu erreichen; es mangelt bloß am politischen Willen & Können in Washington, den einschlägigen ‚Deal‘ hinzubekommen. In der Frage, worin dieser Deal genau zu bestehen hat, ist Trump stets undogmatisch geblieben; ganz dogmatisch ist er aber darin, dass der Deal eine gelungene Gleichung zwischen der Freiheit des Geschäfts und der Befriedung, wenn nicht Befriedigung aller anderen einschlägigen berechtigten Ansprüche hinbringen muss. Entsprechend führt sich Trump in allen Stadien der Verhandlungen mit und im Kongress auf: Er agiert als Cheerleader und als Mahner, wie ein mit echten Vollmachten ausgestatteter und besonders gebieterischer Bundespräsident, der gegenüber dem Politikbetrieb die Einheit zwischen Führung und Volk, also ihr gemeinsames Recht auf erfolgreiches Regieren vertritt. Er verkörpert das sozialstaatliche Ideal einer Versöhnung zwischen allen konkurrierenden Ansprüchen in Bezug auf das Gesundheitswesen gewissermaßen als eine lebende politmoralische Instanz, die über dem politischen Verfahren steht und mit dem Damoklesschwert wedelt. Die anderen Politiker schulden ihm diesen Erfolg; dass sie sein großes Reformanliegen, egal aus welchen unterschiedlichen Gründen, scheitern lassen, ist nicht weniger als ein Verrat an ihm. Vor allem deswegen, weil ihm das von der journalistischen Öffentlichkeit hauptsächlich als sein Misserfolg angekreidet wird: ein Dealmaker, der es einfach nicht versteht, in der Politik echte Erfolge einzufahren.
Und weil sie hier Verrat begangen haben, haben sich die versammelten Politiker im Kongress auf allen Feldern vorerst diskreditiert; Trump teilt ihnen das in aller ihm eigenen Deutlichkeit mit, sobald dieser Haufen von Verlierern mit neuen Sanktionen gegen Russland allen Ernstes Trumps außenpolitische Bestimmungsfreiheit eingrenzen will:
„Unsere Beziehung zu Russland war noch nie schlechter und wird sehr gefährlich. Dafür könnt ihr dem Kongress danken – den gleichen Leuten, die uns nicht mal eine Gesundheitsreform geben können!“ (3.8.17)
IX.
Angesichts des gescheiterten Reformwerks und der sich zuspitzenden ‚Russland-Affäre‘ kommt Trump zu dem Befund: Es reicht. Nicht nur die Abgeordneten der eigenen Partei fallen ihm in den Rücken, auch in seiner Regierungsmannschaft ist er von Pfeifen und Verrätern umgeben, die er loswerden muss. Also besinnt er sich auf seine Kernkompetenz des Heuerns und Feuerns und entschließt sich zu einer Neusortierung seines Personals. Den FBI-Chef hatte er wegen des Russland-Dings
ja längst gefeuert, womit das Ding
allerdings nicht erledigt ist; das legt er irgendwann seinem eigenen Justizminister zur Last, von dem er sich unfair – und das ist ein sehr milder Ausdruck
– behandelt sieht, und legt ihm den Rücktritt nahe. Er organisiert seine PR-Abteilung neu, der er seine mangelnde Anerkennung in der Öffentlichkeit zuschreibt: Er drängt seinen Pressesprecher aus dem Amt und feuert anschließend seinen Stabschef, womit er die personelle Verbindung seiner Administration zur republikanischen Partei weitgehend kappt, die er inzwischen fest zu den Verrätern des Establishments rechnet:
„Es ist sehr traurig, dass Republikaner, darunter sogar manche, die auf meinem Rücken über die Ziellinie getragen wurden, sehr wenig tun, um ihren Präsidenten zu schützen.“ (23.7.17)
Ein neuer Kommunikationsassistent namens Scaramucci wird angeheuert, der durch Haargel, Fliegerbrille und vor allem überbordende Loyalität gegenüber dem Chef auffällt. Der verspricht erstens, den Bruch
zwischen der Trump-Regierung und den Medien zu reparieren, die offensichtlich unter einer Wahrnehmungsstörung leiden:
„Ich glaube, es hat manchmal einen Bruch gegeben zwischen der Art und Weise, wie wir den Präsidenten sehen und lieben, und der Art und Weise, wie manche von Ihnen vielleicht den Präsidenten sehen. Und ich bin mir sicher, dass das amerikanische Volk den Präsidenten so sehen will, wie ich ihn sehe. Diese Botschaft wollen wir vermitteln.“ (21.7.17)
Gleichzeitig schwört er, zweitens, einen ultimativen Sieg im Kampf gegen die Leakers
zu gewinnen, die die wahren Bösewichte sind.
Dass Politiker die mangelnde Anerkennung der Öffentlichkeit für ihre großartigen Taten auf ein Vermittlungsproblem
zurückführen, ist Demokraten gewiss geläufig – was sicherlich auch für die politische Intrigenwirtschaft gilt, zu der Kategorien wie Loyalität, Verrat, Bauernopfer etc. allemal dazugehören. Dass Trump aber dermaßen darauf besteht, vom wahren amerikanischen Volk grenzenlos geliebt zu werden und die persönliche Treue seiner Partei und überhaupt des ganzen politischen Establishments eigentlich verdient zu haben, bringt ihm den Vorwurf ein, offensichtlich kein Demokrat, vielmehr ein Diktator zu sein, zumindest im Herzen. Dabei beweist Trump Tag für Tag, was für ein verkehrter Gegensatz das ist:
Den demokratischen Personenkult, der in der Wahl zelebriert wird, nimmt Trump im Amt furchtbar ernst. Er hält es für einen unerträglichen Widerspruch, dass in der Wahl das Bedürfnis des Volkes nach einer glaubwürdigen Führungsperson regelrecht zelebriert wird und überhaupt der Höhepunkt der Demokratie in diesem Ermächtigungsakt bestehen soll, der Gewählte dann aber im Amt lauter Anforderungen rechtlicher und sonstiger Art – bis ins öffentliche und private Betragen hinein – genügen muss, die er selbst nicht bestimmt. Er liefert mit jedem Tweet und mit jedem neuen ‚Tabubruch‘ die Klarstellung, dass der Kampf der glaubwürdigen Führungspersönlichkeiten in der Wahl nicht bloß eine staatsrechtliche Funktion erfüllen sollte, nämlich die Auswahl von Sachwaltern der feststehenden Notwendigkeiten des Amts; in der Wahl treten vielmehr Führungspersonen gegeneinander an, und als solche werden sie gewählt – als Herrscher, die die Notwendigkeiten und Freiheiten der anderen bestimmen. Mit der Wahl kommen weder bestimmte private Interessen der Bürger noch vorgefundene Notwendigkeiten der Staatsmacht, sondern der vom Volk zum Führer bestimmte Präsident an die Macht. Als solcher hat er ein unbedingtes Recht auf Gefolgschaft, auf treue und erfolgreiche Dienste von seinen politischen Dienern. Da beruft sich Trump also nicht auf etwas Undemokratisches wie ‚die Vorsehung‘, nicht einmal vorwiegend auf seine eigene bewiesene Vortrefflichkeit, vielmehr auf die Leistung des urdemokratischen Wahlakts, der ihn ins Amt gebracht hat – das ist die Leistung, die seine Vortrefflichkeit beweist. Im Spektrum demokratischer Sittlichkeit fallen Trumps Selbstverständnis und gelebte Botschaft nur deswegen auf, weil der Mann in sehr radikaler Weise die Heuchelei des Dienstes nach vorgegebenen Verfassungsregeln durch die Brutalität des Klartextes politischer Machtfülle ersetzt. Für ihn steht einfach fest: Nur dann, wenn sein Wort gilt und der gesamte Regierungsapparat hinter ihm bzw. ihm zu Diensten steht, ist die unverbrüchliche Einheit zwischen Volk und Führung verwirklicht, die in der demokratischen Wahl versprochen wird.
Die Neusortierung findet ihr vorläufiges Ende mit der Entlassung des neuen Kommunikationsassistenten schon nach anderthalb Wochen. Das findet die Öffentlichkeit auf beiden Seiten des Atlantiks ein bisschen schade, hat er doch mit seiner ruppigen Art für ziemlich viel Erheiterung, aber auch für verächtliches Kopfschütteln gesorgt. Etwas befremdlich findet sie diesen Mann, weil sie ihn für einen bizarren Fremdkörper im demokratischen Getriebe hält, statt in seiner Synthese aus Angeberei, demonstrativem Opportunismus gegenüber dem Chef und Entschlossenheit, seine Feinde moralisch und politisch fertigzumachen, gewisse Kernelemente der demokratischen Konkurrenz – zur Kenntlichkeit verzerrt – zu erblicken, über deren erbaulichen Verlauf sie selber jahrein, jahraus berichten. Mit dem neuen Stabschef ist die professionelle Öffentlichkeit viel zufriedener, denn hier tritt ein echter General an, dem man zutraut, das Chaos
im Weißen Haus zu beenden, also dem Widerstreit der dort engagierten Interessen Einhalt zu gebieten und endlich das Prinzip von Befehl und Gehorsam in der Regierungsmannschaft durchzusetzen. Die Demokratie kann also aufatmen; der Präsident kann ab in den Urlaub.
X.
Doch zum Schluss seiner verdienten Auszeit passiert etwas, was Trump wieder sehr traurig
macht: ein Aufmarsch von Rechtsradikalen in Charlottesville, der zu Straßenschlachten mit linken und anderen Gegendemonstranten führt und in einem Anschlag auf letztere mit einer Toten und vielen Verletzten gipfelt. Die militanten Rechtsradikalen, die da auf die Straße gegangen sind, finden Trump klasse, was viele von ihnen nicht bloß mit dem Tragen der inzwischen berühmten Schirmmütze Marke Make America Great Again!
auf der Demo zeigen: Ganz explizit treten sie an, Trumps ureigene Mission in die Tat umzusetzen:
„Wir sind fest entschlossen, unser Land zurückzuerobern. Wir werden Donald Trumps Versprechen erfüllen.“ (David Duke, Ex-Chef des Ku-Klux-Klans und Mitorganisator der Demonstration)
Die Rückeroberung fängt an mit der Demonstration ihres Rechts auf die Anerkennung ihrer Gesinnung als die der wahren
, aber vergessenen
Amerikaner, der unterdrückten eigentlichen Herrscher des Landes, als deren Erlöser Trump im Januar sein Amt angetreten hat. Sie lassen sich – dies der offizielle Anlass der Demonstration – die Symbole ihrer Helden nicht wegnehmen, in diesem Fall das Reiterstandbild des Generals Robert E. Lee, Oberbefehlshaber des konföderierten Heeres im amerikanischen Bürgerkrieg. Die Statue und ihre Kopien im gesamten Süden wurden hauptsächlich Ende des 19. Jahrhunderts und während der Bürgerrechtsbewegung in den 1960ern von rechten Politikern aufgestellt, um das – ‚eigentliche‘ – Vorrecht der Weißen in Amerika zu unterstreichen; und seit dem Erfolg der Bürgerrechtsbewegung, die diese angry white men für eine tragische Niederlage halten, stehen solche Statuen für ein letztes Stück Anerkennung für die entrechteten Weißen. Für die rechten Demonstranten ist mit Trumps Ankunft im Weißen Haus die Zeit endlich gekommen, ihr Recht wieder geltend zu machen; und ihr bewaffneter Auftritt lässt keinen Zweifel an ihrem Willen aufkommen, diesen Anspruch auch praktisch einzulösen. Kurz: Wir sind hier, wir sind bewaffnet, wir sind berechtigt! Nachdem die Polizei ihre Demo angesichts der Schlägerei mit linken Gegendemonstranten auflöst, macht sich ein rechter Gesinnungsgenosse auf, den berechtigten Kampf konsequent fortzuführen, und steuert sein Auto in die Menge der Gegendemonstranten.
Nach der Schlacht und dem Anschlag richten sich alle Augen auf den Präsidenten selbst, zu dessen Stellenbeschreibung das Spenden tröstender und versöhnender Worte anlässlich tragischer Ereignisse gehört. Für die Profis der Öffentlichkeit ist nämlich das Hauptopfer der Schlacht die Einheit der Nation über alle ethnischen, kulturellen und parteipolitischen Grenzen hinweg, und die entscheidende Frage ist, ob da der Präsident seinem Amt gerecht wird: Wenn die Einheit der Nation durch rechtsradikale Gewalt so bösartig angegriffen wird, dann ist es an dem Chief, nicht nur den obersten Inhaber der Staatsgewalt, sondern auch den Vater der nationalen Familie zu spielen und seinem Volk die nötige moralische Orientierung zu geben. Und nach einer für seine Verhältnisse ungewöhnlich langen, zweitägigen Sendepause kommt Trump dem Auftrag auf seine Art nach:
„Wir verurteilen in den stärkstmöglichen Worten dieses ungeheuerliche Zusammenspiel von Hass, Bigotterie und Gewalt, auf vielen Seiten. Auf vielen Seiten! Das läuft nun schon eine lange Zeit in unserem Land. Nicht Donald Trump, nicht Barack Obama. Das läuft schon eine lange Zeit, eine lange Zeit. Das hat keinen Platz in Amerika. Jetzt brauchen wir unbedingt die Wiederherstellung von Recht und Ordnung, den Schutz unschuldiger Bürger. Kein Bürger sollte sich jemals um seine Sicherheit sorgen müssen.“ (Trumps Statement zu Charlottesville, 12.8.17)
Schon die zeitliche Verzögerung seiner Ansprache und erst recht seine Worte zeugen davon, dass Trump sich hier zu einer Abweichung von seiner moralischen Richtlinie hat durchringen müssen. Er ergreift mal nicht Partei, nicht einmal für die fanatischen Anhänger, die ihn als ihren Anführer feiern. Er entschließt sich vielmehr zu einer überparteilichen, im Wortsinn staatsmännischen Reaktion: Er nimmt den Anschlag und die ihm vorausgegangene Straßenschlacht als das, was sie für das staatliche Gewaltmonopol allein sind: eine gewaltsame Auseinandersetzung, damit ein – von vielen Seiten
begangener – Verstoß gegen das vom Staat gewaltsam durchgesetzte Gesetz. Im Gegensatz zu all denen, die von ihm eine eindeutige Verurteilung der Rechtsradikalen erwarten, die in seinem Namen angetreten sind, das gute Amerika zu spalten, ist für Trump das Hauptopfer der Schlacht die verletzte Ordnung selbst, mitsamt ihrer anthropomorphen Fassung: dem unschuldigen Bürger
, der diese Ordnung braucht, sich an sie hält und durch solche Gewalt überall in Amerika, nicht nur in Charlottesville, leiblich bedroht ist. Entsprechend diesem staatsmännischen Blick auf die Ereignisse lautet das von Trump ermittelte Motiv für den vielseitigen Bruch von Recht und Ordnung: Recht besehen hat sich in Charlottesville der Hass
selbst ausgetobt – ein Motiv, das keines ist, sondern bloß die in die Gesinnung der Täter projizierte Denunzierung der Gewalt, die die Staatsgewalt sich nicht gefallen lassen will. So führt Trump diese Gewalt auf keine politische Gesinnung zurück; er ist in dieser ersten Reaktion sichtlich und hörbar bemüht, die rechte Gesinnung nicht namhaft zu machen, die in Charlottesville zugeschlagen hat. Er diagnostiziert vielmehr eine reine Verneinung des Rechts, das der Staat allen Bürgern zukommen lässt und gegen alle durchsetzt, sodass die versprochene Heilung folglich in der Wiederherstellung des Respekts auf allen Seiten für Law & Order in Amerika besteht.
Auch Trumps anschließender Appell an die Nation – dies der Heilung zweiter Teil – fällt äußerst staatsmännisch aus:
„Der Hass und die Zwietracht müssen aufhören, und zwar sofort. Wir müssen als Amerikaner zusammenkommen: mit Liebe für unsere Nation und wahre – ich meine es wirklich ernst: wahre – Zuneigung füreinander.“ (Ebd.)
Die Bürger in Charlottesville und anderswo in Amerika mögen mit ihren Vorstellungen von einer guten amerikanischen Heimat einander noch so unversöhnlich gegenüberstehen: Solche Differenzen verblassen davor, dass sie alle Bürger des gleichen, von ihm regierten Kollektivs sind. So spricht er die Demonstranten, Gegendemonstranten und überhaupt die amerikanischen Bürger als das an, was sie für ihn als ihren Führer sind: die Mitglieder des von ihm geführten Volks, als solche geeint, nämlich durch seine Definition von ihnen und ihren Anliegen. Die auf der Demo zutage getretene Unversöhnlichkeit ist so gesehen ein Affront gegen Trump selbst, ein trauriger Schandfleck auf dem schönen Bild, das Amerika seit seinem Amtsantritt abgibt. Es ist nämlich so: Unter seiner Herrschaft funktioniert der nationale Kapitalismus einfach prächtig:
„Unser Land macht es gerade sehr gut auf vielen Wegen. Wir haben Rekord-, absolute Rekordbeschäftigung, die wenigsten Unbeschäftigten seit 17 Jahren. Firmen strömen in unser Land. Foxconn und Autofirmen, so viele andere kommen zurück in unser Land. Wir haben Handelsverträge nachverhandelt, um sie gut für unser Land und gut für den amerikanischen Arbeiter zu machen. Es passieren so viele unglaublich schöne Dinge in unserem Land. Wenn ich jetzt Charlottesville betrachte, erscheint es mir sehr, sehr traurig!“ (Ebd.)
Die großen Geschäftemacher machen große Geschäfte, immer mehr Amerikaner aller Couleur können glatt für deren Bereicherung arbeiten und kriegen sogar Geld dafür: Was soll also der ganze Hass?
Doch Trumps erste, überparteiliche Reaktion wird ihm nicht gedankt. Zwar bedankt sich die Mehrheit der demonstrierenden Rechtsradikalen bei ihm für die Ausgewogenheit seiner Schuldzuweisung; darin sehen sie nämlich den Beweis eines großen Fortschritts in der moralischen Lage der Nation: Sie sind nicht mehr die Bösewichte, denen eine geeinte Nation der selbsternannten Guten gegenübersteht; ihre Feinde – die Linksliberalen, die in ihren Augen die Macht und die kulturelle Hegemonie im Lande längst usurpiert haben – sind vom Präsidenten selbst als Feinde der Nation denunziert worden. Doch ansonsten erntet Trump nichts als Empörung. Und zwar nicht nur vom prominentesten Anführer der radikalen Rechten, David Duke, dem Trumps offensichtliche Bemühung, die rechte Gesinnung hinter der rechten Gewalt unerwähnt zu lassen, nicht reicht. Duke vermisst und verlangt die explizite und aggressive Parteilichkeit, die die Rechtsradikalen an Trump schon immer geschätzt haben, und für die sie ihn doch gewählt haben. Der Rest der Nation wirft Trump umgekehrt vor, den radikalen Rechten, die sich auf ihn berufen, gerade mit seiner überparteilichen, beidseitigen Schuldzuweisung die verdiente Denunziation zu ersparen. Demnach unterlässt er den ihm eigenen Hang zur rhetorischen Vernichtung des Feindes ausgerechnet dort, wo sie einmal wirklich angebracht wäre. Angeleitet von den rechtesten Republikanern im Kongress, die den demonstrierenden Neo-Nazis den Ehrentitel ‚patriotische Kämpfer in der Schlacht gegen das liberale Establishment‘ bestreiten, den sie für sich selbst reklamieren, fordern Opposition und Öffentlichkeit vom Präsidenten, endlich die schönen Worte zu sprechen, die die Würde des Amtes verlangt, und die es braucht, um die Nation in solchen schwierigen Zeiten wirklich zusammenzubringen: Nazi
, Terror
, Böse!
Angesichts seines Unwillens, seinem Amt auf diese Art gerecht zu werden, entdeckt man in dem Fall sogar eine regelrechte Gelegenheit, Trump eine nochmalige Niederlage zu bereiten und ihm ein ganz großes Stück Legitimität zu entziehen. Und tatsächlich: Nach ein paar Tagen Dauerbeschuss weicht Trump abermals von seiner moralischen Richtlinie ab und lässt sich zu einer mehr einseitigen Absage an die Rechtsanhänger seines Make America Great Again!
-Mobs bewegen. Er nennt den Ku-Klux-Klan und die white supremacists
beim Namen und spricht dabei sogar die verlangten Zauberworte.
Doch auch das wird ihm nicht gedankt: Die frohe Botschaft habe er viel zu spät verkündet; außerdem sei am Duktus und an der Körpersprache des Präsidenten bei seiner nachgeholten Denunziation allzu leicht zu erkennen, dass seine Worte seine Haltung nicht wiedergeben. Ganz klar: Dieser Mann verstellt sich. Das wäre für sich genommen auch gar nicht so schlimm; verlangt ist ja nur, dass der Präsident den Anforderungen seines Amts gerecht wird; und da ist in diesem Fall – das unterstreicht die journalistische Öffentlichkeit auf beiden Seiten des Atlantiks – wirklich nicht viel verlangt, nämlich das bloße Abspulen des Mantras Rassismus, Nazis, böse
(SZ, 19.8.17) – was auch immer er selbst davon halten mag. Doch derartige Heuchelei, die hier als präsidentielles Pflichtbewusstsein ausgedrückt wird, ist diesem Präsidenten einfach zuwider. Deswegen kehrt er bei der ersten Gelegenheit zu seiner Linie aufrichtig ungeschminkter Parteilichkeit für rechten Patriotismus in all seinen Erscheinungsformen zurück. Er erneuert sein Urteil ‚Alle Seiten sind schuld!‘ in der Gewissheit, dass das jetzt endgültig nicht mehr als Distanzierung von seinen empörten Anhängern misszuverstehen ist. So ist Trump erkennbar wieder mit sich und seinem inneren Kompass im Reinen.
XI.
Es folgen zwei staatsmännische Taten, die man in liberalen Kreisen dem Präsidenten gar nicht zugetraut hätte. Zum einen feuert Trump seinen engsten Kumpel Steve Bannon, nachdem der die rechte Szene in Charlottesville als Clowns verhöhnt und den bösen Nordkoreaner, zeitweilig Trumps Lieblingsfeind, zur vernachlässigenswerten Nebengröße erklärt hat. So viel Distanz zu seinem finsteren Einflüsterer und radikalen Alter Ego irritiert. Zum andern kündigt der Präsident eine verstärkte Fortführung des Afghanistan-Einsatzes an, in offenem und offen erklärtem Widerspruch zu seinen Wahlkampfversprechen. Zum allgemeinen öffentlichen Lob für diesen Akt weltpolitischer Vernunft kommt natürlich gleich eine Portion hämischer Kritik: Nicht einmal dieses Versprechen kriegt der Mann eingelöst! Doch immerhin erklärt er seinem Volk klar und deutlich, warum er in dem Fall das Kalkül seiner Generäle höher stellt als seinen untrüglichen Instinkt:
„Mein erster Instinkt war: Abziehen! Und normalerweise folge ich gerne meinem Instinkt. Aber mein ganzes Leben lang habe ich gehört, dass Entscheidungen ganz anders sind, wenn du im Oval Office sitzt... Wir müssen uns der Realität stellen, wie sie jetzt existiert – den Bedrohungen, mit denen wir konfrontiert sind, den ganzen Problemen der heutigen Zeit, und den sehr vorhersehbaren Konsequenzen eines raschen Abzugs... Amerikas Interessen in Afghanistan und Pakistan sind klar: Wir müssen die Entstehung von neuen sicheren Häfen stoppen, die es Terroristen erlauben, Amerika zu bedrohen, und wir müssen verhindern, dass nukleare Waffen und Substanzen in die Hände von Terroristen geraten und gegen uns verwendet werden...“ (21.8.17, in Fort Myer)
Und zweitens bleibt Trump gerade in dieser Selbstkorrektur sich selbst treu. Die verrückte Idee seiner Vorgänger, den Afghanen einen Staat zu spendieren, lehnt er nach wie vor ab. Wenn er zusätzliche Soldaten nach Afghanistan schickt, dann nur zu dem einen Zweck: Wir machen kein Nation-Building mehr, wir killen Terroristen.
(Ebd.)
Punktum. Applaus. Der Chef beklatscht sich selbst. Dass mehr als ‚killing‘ nie wirklich auf der Agenda des freien Westens stand, wenn man die Schönfärberei mal beiseite lässt, das räumt eine zartfühlende liberale Öffentlichkeit dies- wie jenseits des Atlantiks ein. Empört ist sie trotzdem: So offen und so drastisch darf ein Führer der Guten in der Welt einfach nicht daherreden!
Schon klar: So viel Verzicht auf professionelle Heuchelei, so viel brutale honesty ist dann doch schon arg grenzwertig nach dem Kanon der demokratischen good manners.